Das grosse Sterben Der Mensch als Feind der Biene Leben mit einer behinderten Tochter – eine Mutter erzählt
Banken: Wie unser Geld für Waffenproduktion und Umweltzerstörung arbeitet
Nr. 286 | 19. Oktober bis 1. November 2012 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
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Titelbild: zvg
Editorial Die Biene und wir BILD: ZVG
Ein verlorener Eisbär, der einsam auf einer Scholle dahintreibt – mit diesem Bild wird gerne vor dem menschengemachten Klimawandel gewarnt. Als Reaktion darauf hört man zuweilen, dass Eisbären zwar putzige Tierchen sind (Knut!), dass die Menschheit aber nicht aussterben wird, wenn die weissen Bären dereinst kein Eis mehr unter den Tatzen haben. Eine etwas zynische Haltung, zugegeben, aber der Mensch wird den Eisbären wohl tatsächlich überleben. Etwas anders sieht das mit Biene Maja aus. Denn weniger gut entkräften lässt sich die Bedrohung, die vom Bild ausgeht, das sich dem Präsidenten des Deutschen Imkerverbandes bot, als er eines Tages in seinen Bienenstöcken nach dem Rechten sah: «In vielen Stöcken bewegte sich nichts mehr, alle Bienen waren tot, der Boden FLORIAN BLUMER war mit Leichen übersät.» Seit einigen Jahren beschäftigt ein weltweites Bienen- REDAKTOR sterben Imker und Wissenschaftler. Die Ursachen sind nicht restlos geklärt, sicher ist aber, dass der Mensch auch hier seine Finger im Spiel hat. Wie der oben zitierte Imker gebraucht auch der renommierte Schweizer Dokumentarfilmer Markus Imhoof deutliche Worte: Er spricht von einer «totalitären Landwirtschaft», die wir der Natur aufzwingen. Schade um die süssen Tierchen, dann streichen wir uns halt Konfitüre aufs Brot? Albert Einstein sagte einst, dass der Mensch noch vier Jahre zu leben habe, wenn die Biene von der Erde verschwunden sein wird. Ein etwas drastischer Schluss, doch Einsteins Herleitung klingt einleuchtend: «Keine Bienen, keine Bestäubung, keine Pflanzen, keine Tiere, keine Menschen mehr...» Lesen Sie im Interview, was Markus Imhoof mit seinem Filmteam über die Bienen und unseren Umgang mit ihnen herausgefunden hat. Wenn Sie auch hin und wieder Ihre Runde im Wald drehen, dann kennen Sie vielleicht das Phänomen: Ein Text, den man schreiben muss, formuliert sich im Kopf plötzlich von alleine, eine zündende Idee trifft einen wie der Blitz oder Probleme, an denen man zuvor lange herumstudierte, lösen sich wie von selbst. Lesen Sie in diesem Heft die Geschichte eines Laufwunders aus Norddeutschland: von einem Mann, der im Alter von 18 bis 40 zwischen Drogenszene und Gefängnisaufenthalten hin und her pendelte und mittels Laufen wieder in die Spur fand. Den Marathon läuft der heute 42-Jährige in einer Zeit, die manch ambitionierten Läufer vor Neid grün anlaufen lässt. Nicht eine Rekordzeit, sondern der Weg ist das Ziel, wenn am 28. Oktober Surprise-Verkäufer und –Sympathisanten am Start des Luzerner Laufs stehen werden. Wenn auch Sie das Rennen für eine gute Sache halten und ein paar Franken locker haben: Mit einer kleinen Spende können Sie den Läufern eine Motivationsspritze verpassen und gleichzeitig unserer Organisation unter die Arme greifen. Wir wünschen viel Sauerstoff in Hirn und Muskeln, und eine anregende Lektüre, Florian Blumer
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@vereinsurprise.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 286/12
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10 Bienen Bestäubung von Menschenhand Mit «Das Boot ist voll» brachte der Dokumentarfilmer Markus Imhoof einst den Schweizer Film international ins Gespräch. Nach den Flüchtlingen hat sich der Gewinner des Silbernen Bären nun der Bienen angenommen. Und dabei wenig Erbauliches herausgefunden: Im Surprise-Interview spricht er von einer «totalitären Landwirtschaft», mit welcher der Natur mit aller Gewalt Monokulturen aufgezwungen werden. Eine der Folgen: Die Bienen, unverzichtbar in der Nahrungsmittelproduktion, sterben uns langsam weg.
13 Banken Bomben auf meinem Konto Wem würden Sie eher spenden: Jemandem, der für ein Verbot von Landminen kämpft, oder jemandem, der für die Produktion von Streubomben sammelt? Blöde Frage. Doch wer sein Geld bei einer konventionellen Bank hat, tat – unbewusst – bis vor Kurzem genau Letzteres. In Grossbritannien haben seit Anfang Jahr bereits Hunderttausende ihr Geld zu Alternativbanken gebracht. Auch hierzulande gibt es die Möglichkeit, darüber zu bestimmen, was mit den eigenen Einkünften geschieht. Reden wir über Geld!
BILD: REUTERS/JOHN VIZCAINO (COLOMBIA MILITARY)
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Inhalt Editorial Knut und Maja Die Sozialzahl Prekäre Löhne für Frauen Aufgelesen Gläubiger Atheist Zugerichtet Braut aus dem Internet Leserbriefe Pointiertes zur Asylpolitik Starverkäufer Bob Ekoevi Koulekpato Porträt Zeichnen in Afghanistan Laufsport Vom Junkie zum Leistungssportler Fremd für Deutschsprachige Gross herausgekommen Nachruf Surprise-Käufer Otto Stich Kulturtipps Pasta hausgemacht Ausgehtipps Schätzele an der Reuss Verkäuferporträt Glücklich auf der Strasse Projekt Surplus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP
BILD: ZVG
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BILD: PETER LAUTH
16 Behinderung Lebensqualität zu Hause
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Beim Gespräch mit Surprise ist die mehrfachbehinderte Janina nicht dabei. Die 26-Jährige erträgt es nicht, wenn in ihrer Anwesenheit über sie geredet wird, sie kann sich selber verbal nicht äussern. Ihre Mutter Margrit erzählt an ihrer Stelle die berührende Familiengeschichte: Wie es war, von der Behinderung ihres Kindes zu erfahren. Was es bedeutete, ein schwerbehindertes Kind aufzuziehen. Warum es für sie und ihren Mann nie infrage kam, ihre Tochter ins Heim zu geben. Und warum sie froh ist, dass es damals noch keine pränatale Diagnostik wie heute gab.
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Tieflohnbeziehe nde Frauen: 19 ,1%
Tieflohnbeziehe nde Männer: 6,9 %
Tiefe L öhne k Produk önnen tivität nicht e dieser infach werden Erwerb nur m . Vielm s it der t ä t e ig h schafte en in r zeige geringe Verbin n n s a n ie n l h . a a D lz dung g u a e zi c o n h S bis he O V Die e r g ebrach r s a ä n u u is n t m e e a u t n t ra io s isse de chwer, nen de m für F nen. U r Gewe r Lohn Frauen nd es Tieflöhne vor alle r a k b f ü hängig r eine ist auc Gastro en fällt Mitglie h kein nomie es dschaf nken im Monat Z Fra 00 u 40 f u als a er n ll nig t zu ge d , we g d d e d un et a m ie eit s arb s g H ll tes e d w am o w es Wer vo e t nd in e r e Bu ll s r D de kschaf erie zu etailha dnis schwe tlichem jenen B ndel, d t nach dem Verstän ilTe ig e all e O verdient, bekomm ch ie r n au a r ganisa nchen vom W gehören leistun tionsgr mit ger irtscha tiefen Lohn. Dazu gen». T ad geh infür Statistik einen ftszwe hochgerechnet , en mm ko ören, g ie ein hn ig f Lo e g ihr e d L nn w e ö we , r h e anz zu en r n « k arp e 10 s 20 e c s gt. r zeitbeschäftigt h in lie s aftlich önliche d daru ser Marke er Verh m auch n Dien Der Sc n-Woche, unter die andlun stAusdru auf eine 40-Stunde hweize werbstätige zu Er 0 00 8 36 g n s tze c m plä H r k its is be in a Ar geringe c c 0 t h 00 h e 5 e t r . rg Pe r G u llte e ste beiteten auf 27 n r ge w d sein erksch achte an wird e e Mind aftsbun . Damit muss jede in n. ere e pti s g d ze diesen Bedingungen t ak e lohn-In setzlic hat au inkommen pro Ar h festg itiative f diese ein tiefes Erwerbse beitsst elegter m lancier ekären Arson in der Schweiz pr en lch u so n in M t n d . ue 4 in e Fra 0 G . d 0 d sin eforde D 0 e ig uf s ie F t lo r s na oh h n efl e r Besonders hä Ti n k t n en bei tsprich von 22 Drittel aller kungen 42 Woc t einem Franke denn mehr als zwei n, se nis 7 ält p h rh d ap ve e n Kn ie its narbeit be Monat ser Init rs formuliert: nomm slohn sstund iative, weiblich! Oder ande en wür von en. Üb ozent wenn Pr 19 beziehenden sind als hr d er die A me e er s , ab ie b er, w nn e ir Mä f d n ü d e llte u r ste n n c ge s n h an o w er t c all e a irt h n en n heiss d Proz der Ur ohnstelle. in verm , dass vor all ebattie ne ang uen haben eine Tiefl Fra en tig e stä r r e t m erb vie e h f w erw rtem M wenig erden. aller verteilt sich au davon asse ar qualifiz Die ein ser Tieflohnstellen die e lft a Hä u b l» e ie die de e s n nd an , dass rte Erw itslos w Ru ht der «Detailh in den die An erbstät ürden, An erster Stelle ste gestell meiste ige die an tzt se be n Wirtschaftszweige. llte t ste n e ge An n deren F 0 00 ä a w 74 ll u nd e e f ru it n n d vo e g ie a die r e n, u s h lle b e c Ste e e d h 0 n T un 20 s chäftig bei die ieflohn mit 55 800 Stellen den Fa t würd sem Lo stellen astronomie» mit 38 «G die t ll mm e h g ko n b n n a nn lle , weil raucht r nicht sind. Da g» mit 27 000 Ste die Fir mit Sch es Kon verzich n, die «Beherbergun men trollen warzar ten kön r de e wi so 53 300 Beschäftigte en , tig b d stä e n rb a m it we en. Au m Er u u en it m nd s he s d zie g be d e a hn f jee r n flo n tie g M 0 0 en wird private indestlo und 28 40 n und 44 60 heute v n Haus . Ein sp hn nic u» mit 18 400 Stelle ba fts ha sc ie nd h e La ht d z le a ielles A lten ge Frauen e bei den «Garten- un tig sind schenk ugenm in nich kommen tiefe Löhn ig uf hä ers nd . t e so S r Be w t k ie sind gerege erden, Angestellten. ren nicht nur lten Ar in beso festgele wo sch en» vor. Dazu gehö ng tu b eis n stl e g en o d it t Di n n e erem A sverhä n und n in g «persönliche ltnisse usmas dann a ch die Angestellte ewiese n täs auf e uch du Coiffeursalons. Au n. ge eig inen ge zw Wäschereien und fts r ha c sc h irt W g m e se setzlic die s e zu t en z rd we t n e lte n ha h Minde efprivaten Haus stlohn CARL h der Anteil an Ti O KNÖ anBranche beläuft sic P F rechnet. In dieser EL (C BILD: .KNOE WO M Prozent. PFEL@ M lohnstellen auf 61,8 V EREIN
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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Gläubiger Atheist Düsseldorf. Atheist sei er auf seine alten Tage geworden, sagt der als gläubig bekannte Professor Norbert Blüm, ehemaliger Minister unter Helmut Kohl – denn heute heisse der Gott Mammon. In seinem Essay schreibt er sich in einen wahrhaft heiligen Zorn. Alles werde privatisiert: das staatliche Gewaltmonopol, Land und Wasser. Die Musik von Mozart und Co. werde zum sponsorenfinanzierten Event, über die Sünde wachten heute die Ratingagenturen und auch die Liebe werde dem Geld geopfert, unser Herz durch einen Tresor ersetzt. Gott bewahre!
«Obdach-Loge» am Millerntor Hamburg. Very Important Person = Very Rich Person? Der an dieser Stelle immer wieder gern zitierte FC St. Pauli dreht in Zusammenarbeit mit der Fernsehlotterie für einmal den Spiess um: Für ein Heimspiel wird die VIP- zu einer «Obdach-Loge». Das Hinz&Kunzt-Vertriebsbüro wird ins Stadion verlagert, in der Loge werden sich LotterieGewinner mit Hinz&Künztlern gemeinsam das Spiel ansehen, der Gewinnspielerlös kommt sozialen Projekten zugute. Die Herren Heusler, Canepa, Kaenzig? Gute Idee, nicht?
Biken für bodo Dortmund. Auch im Ruhrpott geht man in Sachen Spenden ungewöhnliche Wege: Während in Luzern Ende Oktober unter dem Label «Charity Run» ja bekanntlich für Surprise gelaufen wird, ist in Dortmund das Motto «Biken für bodo» für eine gemeinsame «Charity-Ausfahrt» ausgegeben worden: 180 Kilometer gilt es dabei in vier Stunden zu bewältigen – nicht etwa auf dem Velo, sondern auf dem Motorrad. «Auch für weniger Geübte ist das gut zu schaffen», meint Initiatorin Betty Andre.
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Zugerichtet Wie bei Kachelmann? Schlammfarben gekleidet von der Kapuze bis zur Schuhsohle, als wollte er sich tarnen. Das Gesicht fast erloschen. Er spricht leise, fast emotionslos, hält nur mit seinem ArabischDolmetscher Blickkontakt. Mustafa,* 33, reiste vor zehn Jahren von Tunesien in die Schweiz ein und ersuchte um Asyl, das ihm zügig gewährt wurde. Doch just als er sich auf die Suche nach einem Job hätte machen können, ereilte den jungen Burschen ein diffuses Leiden, «das es ihm leider verunmögliche zu arbeiten». Seither kämpft er mithilfe von Ärzten und Anwälten um eine IV-Rente. Vor dem Obergericht wiederum kämpft Mustafa um seine Ehre und letztlich um sein Bleiberecht. Das Bezirksgericht Zürich hatte ihn wegen Vergewaltigung und versuchten strafbaren Schwangerschaftsabbruchs schuldig gesprochen und zu 30 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. «Niemals habe ich etwas Unrechtes getan», beteuert Mustafa. Die Anschuldigungen seiner Ex-Frau seien nichts weiter als Lügen, versichert er und schildert Fatima als Ausbund an Infamie und Heimtücke. «Ein Rachefeldzug, weil sie von meiner neuen Freundin erfahren hatte.» Denn Mustafa, obwohl mittellos und invalide, ist kein Kind von Traurigkeit und geht im Internet öfters auf Brautschau. Auf einer DatingSeite für Muslime hatte er auch die 20-jährige Fatima aus Algerien kennengelernt, einen Monat später heirateten sie. Niemals würde er eine Frau schlagen, behauptet Mustafa. Er sei gar nicht fähig, eine Frau zu vergewaltigen. Und die Blessuren, mit denen Frau Fatima in der 27. Schwangerschaftswoche Zuflucht im Spital suchte?
«Möglicherweise hat sie sich diese selbst beigebracht. In arabischen Ländern hat es Tradition, dass sich Frauen selber schlagen, wenn sie emotional aufgewühlt sind.» Dieser Satz stammt allerdings nicht von Mustafa, sondern von seiner Verteidigerin. Sie beantragt einen Freispruch, «in dubio pro reo», 37 400 Franken Haftentschädigung, plus Schadenersatz. Es stehe Aussage gegen Aussage, wie beim Fall Kachelmann. Der Geschädigtenvertreter schüttelt ungläubig den Kopf über seine Kollegin. Sie setze sich doch sonst für die Rechte von Migrantinnen ein, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. «Jetzt argumentieren Sie genau gegenteilig», moniert er nach ihrem zweieinhalbstündigen Plädoyer sarkastisch. Im Gegensatz zu ihrem Mandanten habe sich seine Mandantin im besten Sinne assimiliert. Sie habe nach der Trennung von ihrem gewalttätigen Ehemann das Kopftuch abgelegt, in kürzester Zeit Deutsch gelernt und eine Stelle als Pflegerin im Altersheim angenommen, um sich und ihr Kind durchbringen zu können. Zu lügen brauche sie nicht, um hierbleiben zu dürfen. Hingegen könnte Herr Mustafa seinen Status als Flüchtling verlieren, wenn er vorbestraft sei, zumal seit dem Arabischen Frühling in Tunesien die von ihm favorisierte Islamisten-Partei an der Macht ist und er keine Drangsalierungen mehr zu befürchten habe. Die Richter halten die Aussagen von Fatima für plausibel und bestätigen das erstinstanzliche Urteil. Seiner Ex-Frau muss er 5000 Franken Genugtuung bezahlen. * alle Namen geändert
ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 286/12
Leserbriefe «In kaum einer anderen Zeitung habe ich in den letzten Jahren so pointierte Aussagen zur traurigen Schweizer Asylpolitik lesen können.» Surprise-Spinat macht stark Jeden Abend können wir für den Salat von Ihrem Spinat abschneiden, der wunderbar wächst und nachwächst und auch uns prima stärkt. Danke für Ihre Arbeit auf allen Ebenen. Auf dass sie ebenso kräftig (weiter-)wächst! Sylvia Frey Werlen, Basel
Nr. 284: Wunschkind Schweizer Luft Geärgert Gelegentlich kaufe ich Surprise. Aus verschiedenen Gründen, jedoch interessieren mich vor allem die Beiträge, die meist sehr gut sind. Dieses Mal jedoch habe ich mich über den Beitrag «Fremd für Deutschsprachige» geärgert. Die Schreiberin hat sich wohl nie überlegt, dass die Frage nach dem Woher auch gut gemeint sein kann. Helene Hofer, per E-Mail
Nr. 283: Feindbild Flüchtling
Eine Stimme für Diskriminierte Heute Morgen habe ich wieder einmal das Strassenmagazin Surprise gekauft. Es war bis dahin ein mittelmässiger Morgen – verschlafen, erster Schultag an der Jazzschule Bern, im Stress. Nun gut, dachte ich, jetzt mache ich dem Strassenverkäufer eine Freude, indem ich ihm ein Magazin abkaufe, und mir eine, indem ich so auf dem Weg nach Bern etwas Gutes zu lesen habe. Also suchte ich mein Portemonnaie hervor, bezahlte dem sympathischen Verkäufer die sechs Franken und ging von dannen. Einige Stunden später die bittere Erkenntnis – mein Portemonnaie ist weg. Das muss mir irgendwo und irgendwie auf dem Weg von Aarau nach Bern abhandengekommen sein. Was für ein Frust! Ich hatte die gesamte Gage von 280 Franken von einem Gig am Wochenende dabei, was fast ein Viertel meines Monatseinkommens ausmacht. Und dann all die persönlichen «Sächeli», die sich im Laufe eines Portemonnaie-Zeitalters ansammeln. Trotzdem machte mir das Magazin beim Lesen Spass, wenn an einem solchen Tag von «Spass» überhaupt die Rede sein kann. Eine gute Ausgabe. Wichtig und wertvoll, verschafft Ihr doch mit eurem Magazin diskriminierten Minderheiten eine Stimme. Was wiegt im Vergleich mit solchen Schicksalen schon der Verlust eines Portemonnaies! Corinne Huber, per E-Mail
Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 (0)61 564 90 99, redaktion@vereinsurprise.ch
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Traurige Asylpolitik Ich lese Surprise regelmässig und finde eigentlich in jeder Ausgabe lesenswerte Artikel. Als besonderes Highlight hoffe ich immer auf eine neue Kolumne «Wörter von Pörtner». Mit dem Themenheft «Feindbild Flüchtling» haben Sie aus meiner Sicht eine weitere Qualitätsstufe erreicht: In kaum einer Zeitung habe ich in den letzten Jahren so pointierte Aussagen zur traurigen Schweizer Asylpolitik lesen können. Gratulation. Christian Koller, Zürich
Starverkäufer Bob Ekoevi Koulekpato Ruth und Emil Bumann aus Riehen: «Bob Ekoevi Koulekpato ist unser Starverkäufer, weil er freundlich und hilfsbereit ist. Und seine offene Art und Fröhlichkeit ist einfach toll! Wir wünschen ihm nur das Beste.»
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Porträt Die Nomadin Li Gelpke arbeitete während elf Jahren als technische Zeichnerin für den «Atlas linguistique de l’Afghanistan». Der Atlas erschien nie, dafür brachte sie nun im Eigenverlag ein Bilderbuch heraus. VON MICHÈLE FALLER (TEXT) UND NICOLE PONT (BILD)
In der schönen Altbauwohnung liegt ein Hauch von Orient in der Luft. Teppiche an Wänden und auf Böden, eine Lampe aus buntem Glas in der Stube und auf dem Sofa ein feiner Stoff, leuchtend rot und violett gemustert. «Dieser Stoff kommt im Buch vor.» Li Gelpke blättert, bis tatsächlich ein älterer Mann mit einem Gewand aus genau jenem Stoff auftaucht. Das Bilderbuch mit den aquarellierten Zeichnungen «Ein Bazar in Zentral-Asien» erschien letzten Herbst – etwa 40 Jahre, nachdem die Zeichnungen vor Ort entstanden sind. «Es ist nie zu spät», stellt die Grafikerin und Zeichnungslehrerin fest, und sie muss es wissen. Mit ihrem Kinderbuchprojekt begann sie um 1970. Bei verschiedenen Verlagen fand man es toll, es passe aber nicht ins Konzept. Also blieb es liegen, bis die Künstlerin mit 80 beschloss, das Buch selber herauszugeben. Die liebevoll kolorierten Bazar-Szenen, auf denen es eine Fülle von Details zu entdecken gibt, wurden in die richtige Reihenfolge gebracht und mit den Kindern Shirin und Abdul schuf Li Gelpke zwei neue Figuren, die den Leser durch die Gassen mit den Händlern und Handwerkern sowie zum Bad und zum Teehaus führen. «Den Text habe ich in einer Nacht geschrieben», sagt die heute 83-Jährige nebenbei. Gewidmet ist das Buch statt ihrem Sohn nun ihrem Enkel. Nach Afghanistan, wo die Zeichnungen entstanden, kam Li Gelpke über einen Umweg via Persien: Gemeinsam mit ihrem Mann, der Orientalistik studiert hatte, reiste die Grafikerin 1960 für die Mitarbeit am iranischen Sprachatlas als Zeichnerin und Fotografin für vier Monate in die persische Salzwüste. Um Dialekte und Sprachvarianten zu erheben, erfragte man die jeweils ortsübliche Aussprache und Bezeichnung von verschiedenen Gegenständen, die zeichnerisch festgehalten wurden. «Fotografieren reicht eben nicht», errät Li Gelpke die Gedanken ihres Gegenübers. «Zeichnen kann man massstabgenau.» Persisch hatte die damals 31-Jährige bereits ein paar Jahre zuvor beim Professor ihres Mannes gelernt. «Persisch ist nicht schwierig – abgesehen von der Schrift», sagt die liebenswürdige Dame mit der angenehm direkten Art und dem aufmunternden Lächeln. Der Atlas sei nie zustande gekommen, nimmt Li Gelpke vorweg. Wohl sei man bezahlt worden, doch Persien habe dann doch kein Interesse am Material gehabt: «So sind sie, die Iraner! Ganz lieb, und sie machen einem wahnsinnig viele Komplimente, aber furchtbar kompliziert!» Auch die Zeichnungen, die die Besucherin von den Menschen machte, kamen nicht so gut an. «Sie wollten schon gezeichnet werden. ‹Aber süss!› », sagt sie auf Persisch und imitiert lachend ihre damaligen Gastgeber. Fünf Jahre später hatte derselbe Orientalistikprofessor ein weiteres Sprachatlas-Projekt in petto und fragte die selbständige Grafikerin an, ob sie Lust habe, zwei Monate nach Kabul zu gehen, um dort für den «Atlas linguistique de l’Afghanistan» zu arbeiten. Und ob sie hatte. «Weg, endlich wieder weg!, dachte ich.» Und mit etwas verlegenem Lächeln: «Ich bin halt ein bisschen eine Nomadin.» Dann beginnt sie mit leuchtenden Augen von Afghanistan zu erzählen. «Das sind stolze und freiheitsliebende Menschen, die Afghanen! Und offen!» Sie hätten ge-
spürt, wie sich die Fremde dem Land und den Leuten verbunden fühlte. «Obwohl ich eine Frau bin, blaue Augen habe – den bösen Blick! – und mit der linken, also unreinen Hand zeichne, bin ich nur einmal als Teufel beschimpft und aus einem Laden gejagt worden», erzählt sie gelassen. «Es war fantastisch», sagt die Grafikerin über ihre Arbeit am Sprachatlas. Die sechs Bücher, die aus den 13 Karten und 800 Zeichnungen entstehen sollten, erschienen allerdings ebenfalls nicht. Das Material lagere in Bern und Paris; bereit zur Auswertung. Aber die Zeichnerin glaubt nicht mehr dran. «Afghanistan ist kaputt.» Damals habe man junge Frauen in Minijupes neben den Tschadors gesehen, erinnert sich Li Gelpke. Und beginnt von den schönen Gewändern in allen Farben zu
«Ich frage mich ab und zu: Wie hält es jemand aus, ohne zu zeichnen?»
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schwärmen. «Ein Tschador ist super: Man sieht alles und wird nicht gesehen.» Und im selben Atemzug: «Aber er ist natürlich Blödsinn.» Nach dem ersten Aufenthalt 1965 kehrte sie bis 1976 noch viermal für jeweils fünf Wochen zurück. «Die Landschaft ist so schön wie persische Miniaturmalerei.» Sie berichtet von violetten und zitronengelben Bergen sowie einsamen flötenspielenden Hirten. Von einer Nacht unterm Sternenhimmel, als ein Soldat sie vor bösen Geistern beschützen sollte, der aus Angst vor denselbigen so laut sang, dass sie ihn schliesslich ins Bett schickten. Auf dem Land hat sie mit den Männern gegessen und anschliessend bei den Frauen immer wieder Dinge vernommen, die Ersteren verborgen blieben – etwa Gespräche darüber, was die Afghaninnen vom Heiraten halten oder wie, ganz konkret, das Kinderkriegen geht. Ab 1957 arbeitete Li Gelpke auch als Zeichnungslehrerin. Der Kontakt mit den Kindern habe sie so glücklich gemacht wie das Zeichnen selber. «Ich frage mich ab und zu: Wie hält es jemand aus, ohne zu zeichnen?» Schon als kleines Mädchen sass sie zeichnend neben dem Vater, der Chemigraf war, am Pult, mit vierzehneinhalb machte sie die Aufnahmeprüfung zur Kunstgewerbeschule in Zürich, wo sie mit 19 Jahren die Grafikfachklasse abschloss. Das «Beglückende» des Zeichnens gab Li Gelpke auch auf Mal- und Kulturreisen in Marokko weiter, die sie zwischen 1993 und 2009 durchführte. Vier Tage Marrakesch und dann runter in die Wüste. «Wie habe ich das eigentlich ganz allein gemacht?» Sie gibt die Antwort gleich selber: «Wichtig ist, immer neugierig und kritisch zu bleiben. Und positiv. Man muss in Bewegung bleiben, in diesem Alter passiert so viel!» Sie nickt nachdrücklich: «Der letzte Lebensabschnitt ist der spannendste. Aber auch der schwierigste, weil man aufräumen muss.» Und Dinge erledigen wie etwa ein Buch herausgeben. Und so dem Bazar in Tâshqurghân, der von den sowjetischen Truppen zerstört wurde, neues Leben einhauchen. ■ Li Gelpke: «Ein Bazar in Zentral-Asien», erhältlich bei der Autorin (ligelpke@me.com), in den Basler Museen und im Buchhandel.
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Bienen Feind Mensch Wie der Biene die Mandeln im Müesli schaden, inwiefern sie unter dem Kapitalismus leidet und warum eine Hummel all diese Probleme nicht hat: Regisseur Markus Imhoof gibt Antworten, in seinem Film «More Than Honey» und im Interview mit Surprise.
VON YVONNE KUNZ
«Bienensterben» heisst das Schlagwort jeweils, wenn die Medien melden, wie viel Prozent aller Bienenvölker wieder eingegangen sind, 30, 40 oder gar über 50. Hinter den nackten Fakten steckt jedoch Grundsätzlicheres, als dass der Honig teurer wird, Grösseres noch, als dass ein Drittel der Nahrungsmittel von der Bestäubung durch Bienen abhängig sind. Es ist dieses grosse Ganze, um das es dem Schweizer Regisseur Markus Imhoof in seinem neusten Film geht. Mit der Dokumentation «More Than Honey» zeigt er ein eindrückliches Panoptikum der Problematik. Vom Imker Jaggi in den Schweizer Bergen, dessen
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Bienen wegen Inzuchtschwäche darben, geht die Reise in die USA. Dort werden Bienen in industriellem Massstab von einer Plantage zur nächsten gekarrt. In China wiederum gibt es in gewissen Regionen vor lauter Chemie keine Bienen mehr, und die Blüten müssen von Hand bestäubt werden. Man erfährt, dass Bienenköniginnen aus österreichischer Züchtung in die ganze Welt verschickt werden, es in Australien kein Bienensterben gibt und Killerbienen nicht nur einen schwierigen Charakter haben, sondern auch mehr Honig produzieren als die herkömmlichen. Die einzelnen Geschichten verdichten sich wunderbar zu einem globalen Denkstück über das Verhältnis des Menschen zur Natur. SURPRISE 286/12
Herr Imhoof, in Ihrem Film geht es um «mehr als Honig», wie uns der Titel sagt. Von welcher These gingen Sie aus? Die Grundfrage, die wir uns stellten, war: Sind die Bienen oder die Menschen die Protagonisten des Films? Und wenn die Menschen die Antagonisten der Bienen sind, was ja das Thema des Films ist, dann gibt es verschiedene Arten, wie Menschen mit Bienen umgehen. Zu welchem Schluss kamen Sie? Sterben die Bienen aus? Sie sterben. Es sterben viel zu viele, bis zu 70 Prozent sind es dieses Jahr in der Schweiz. In Amerika ist die Situation nicht mehr ganz so dramatisch, aber es sterben immer noch 30 Prozent. Es gab zwar schon immer Bienenkrisen, doch die derzeitige ist die massivste, die es je gab, sie ist weltumspannend. Das hat natürlich mit der Globalisierung zu tun. Und es ist ein Echo der Weltwirtschaftskrise. Wie genau verknüpfen Sie das? Durch die Nahrungsmittelindustrie. Ein Beispiel: Rund 80 Prozent aller Mandeln werden in Kalifornien gepflanzt, das heisst, sie hatten heute Morgen in Ihrem Müesli wohl eine solche Mandel. Wächst der Wohlstand, zum Beispiel in Indien, dann wollen auch die Inder ein Luxusprodukt wie Mandeln, also muss noch mehr produziert werden. Heisst das, die Bienen sind einfach erschöpft? Stress ist sicher ein Faktor. Wenn sie vier Wochen nur Mandeln haben, kommt Mangelernährung hinzu. Mandelhonig ist sehr bitter, Menschen können ihn gar nicht essen. Und dennoch müssen die Bienen arbeiten wie wahnsinnig, und das tun sie, solange es Arbeit hat. Sie fliegen immer auf die gleichen Pflanzen, solange sie da sind, und garantieren so die Bestäubung. Anders als zum Beispiel die Hummel, die zu dem fliegt, was sie gerade findet. Die Biene hat auf einer Mandelplantage also keine Wahl. Nein, dort hat es ja nichts anderes. Es ist eine totalitäre Landwirtschaft. Es ist eine totalitäre Sicht der Welt. Dies bedingt eine radikale Polizei, sonst könnte sie nicht überleben, siehe Putin und andere Diktaturen. In diesem Fall sind Pestizide die Polizei. Dadurch, dass so viele Pflanzen so nahe beieinanderstehen, sind sie sehr viel anfälliger, für Parasiten ist es das Paradies. Also muss man draufhauen. Ein bekanntes Problem bei der Monokultur. Der UNO-Food Report sagt ja auch, dass man kleinere Landwirtschaftsbetriebe haben müsste, die ihre Produktion stärker variieren. Doch das Gegenteil wird gemacht: Es muss praktisch sein, alles in einer Reihe stehen, und beim Eingang der Mandel-Plantage steht ein Schild, auf dem heisst es: Wenn Sie eintreten, riskieren Sie Krebs! Ich wollte gerade nach Ihren verstörendsten Eindrücken fragen ... Mir kam das vor wie das Höllentor. Auch schrecklich: In Australien gibt es bereits Wegwerfbienen in Kartonröhren. Man bringt sie in die Felder, und wenn sie fertig sind, verbrennt man sie.
Ich ging immer davon aus, der Mensch habe eine spezielle Beziehung zu Bienen. Das ist ja das Perverse, auch der kalifornische Industrie-Imker John Miller hat seine Bienen gerne. Aber er sagt, er könne nicht aussteigen, er müsse seine Mitarbeiter bezahlen, der Zug fährt. Auch er ein Opfer des spätkapitalistischen Auswuchses. Ja! Aber was will man ihm sagen? Dass man die Bäume auseinandersetzen und verteilen muss? Da sagt der Mandelbaron, es ist einfach unpraktisch, wenn hinter jedem Haus ein Mandelbaum steht, den man einzeln spritzen und schütteln muss.
«Auch schrecklich: In Australien gibt es bereits Wegwerfbienen in Kartonröhren.» Markus Imhoof
Was könnte man denn tun? Man kann anders denken. Die Grundfrage ist: Gehört der Mensch zur Natur oder ist er der Chef der Natur? Bei dieser Frage kann jeder Konsument etwas mitentscheiden. Wer im Winter Erdbeeren isst, kann davon ausgehen, dass Bienen bei der Produktion gelitten haben. Sie verfliegen sich in die Lüftungsklappen oder prallen gegen die Scheiben der Gewächshäuser und sind mangelernährt. Die Frage ist immer: Wie viel Leid ist an meinem Genuss beteiligt? Wenn sich der Mensch als Teil der Natur versteht, dann hört er ihr anders zu und er will etwas anderes von ihr oder freut sich, wenn er etwas von ihr bekommt – und wählt andere Politiker. Halten Sie für realistisch, dass die Menschen innehalten und anders wählen? Der Club of Rome sagt, dass es in 30 Jahren eine Revolution geben wird, weil die Jungen ihre Umwelt zurückwollen. Aber vielleicht kann man schon früher beginnen, darüber zu reden – und zu handeln. Das versuche ich auch mit diesem Film zu erreichen. Es ist ja auch pervers, dass es den Bienen in den Städten besser geht als auf dem Land. Die Bienen sind also eine Metapher für das Zusammenspiel von Mensch und Natur? So ist es. Ich versuche ja einerseits einen emotionalen Bezug zu den Bienen herzustellen: Man sieht, wie sie die Dinge erleben, die man ihnen antut. Und sie sind eine Chiffre für etwas Grundsätzliches, das zwar ganz genau an den Bienen erzählt wird, aber etwas Grösseres meint. Im Schneideraum haben wir oft diskutiert, ob wir Dinge ausformulieren sollen oder ob wir wollen, dass erst die Zuschauer sie zueinander sagen oder danach fragen. So wie wir das gerade tun: Gedanken austauschen. Es wäre schön, wenn die Leute aus dem Kino kämen und der Film in der Beiz oder zu Hause Nachwirkungen hätte. ■
«More Than Honey» läuft ab 25. Oktober in den Deutschschweizer Kinos.
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BILD: ZVG
Markus Imhoof und sein Filmteam unternahmen alles, um uns der Beine so nahe zu bringen wie möglich.
Bienen Im Tempo des Flügelschlags Die Makroaufnahmen der Bienen lassen den Zuschauer das Leben in einem Bienenstock hautnah miterleben. Dazu verwendete Imhoof verschiedene Bildtechniken, welche die Handlungsstränge des Films auch aus dem Blickwinkel der Bienen erzählen – unter anderem Radarbilder, Wärmekameras, Zeitraffer- und Satelliten-Aufnahmen. So sind Bilder über das Leben im Inneren eines Bienenstocks oder die Begattung einer Königin in vollem Flug entstanden. Das Team arbeitete in einem Bienenstudio auf dem Gelände einer alten Fabrikanlage. An 35 Drehtagen kamen hier insgesamt 15 Bienenvölker zum Einsatz. «Man kann den Bienen ja keine Befehle geben», so Imhoof, «wir haben darum im April und Mai gedreht, wo vieles bei den Bienen stattfindet, und wir hatten eine lange Liste von Themen, die vorkommen sollten: Nektarabgabe im Stock, Pollen abstreichen und einlagern, Schwänzeltanz oder Wabenbau.» Für die Aufnahmen mussten ungewöhnliche technische Fragen gelöst werden. Imhoof sagt: «Wir haben lange experimentiert: Welche Geschwindigkeit ist am angemessensten? Wir haben herausgefunden, dass sich die Bienen mit 70 Bildern pro Sekunde ungefähr so schnell bewegen wie Menschen. Der Zuschauer soll nicht das Gefühl haben, dass es sich um Slow Motion handelt. Es soll selbstverständlich sein, dass er den Bienen zusieht, und mit 70 Bildern pro Sekunde sieht man auch, was sie tun. Wenn man sie mit 24 Bildern pro Sekunde filmt, dann geht das so schnell, das ganze Gekrabbel der kleinen Beine, die Zungen, Fühler und Flügel, dass man Details gar nicht wahrnehmen kann. Alle fliegenden
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Bienen haben wir mit 300 Bildern pro Sekunde gefilmt, die Flügelbewegungen erschienen uns so am natürlichsten – die Flügel bewegen sich mit 280 Schlägen pro Sekunde.» (dif) ■ Markus Imhoof Der gebürtige Winterthurer Markus Imhoof drehte mit «Fluchtgefahr» und «Tauwetter» in den Siebzigerjahren Werke, die damals dem Neuen Schweizer Film internationale Beachtung brachten. Sein 1980 entstandener Film «Das Boot ist voll» wurde an der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet und schaffte es auf die Shortlist für den Oscar als bester fremdsprachiger Film. Neben seiner Filmarbeit ist Imhoof auch für seine Opern- und Schauspielinszenierungen bekannt. Mit Bienen war der Regisseur schon früh vertraut, und er ist auch heute noch familiär mit ihnen verbunden: «Das Bienenhaus meines Grossvaters war für uns Kinder ein magischer Ort. Faszinierend, aber auch unheimlich, wenn wir uns barfuss näher wagten zu dem aufgeregten Summen in der Sommerhitze. Und mittendrin der alte Mann mit Strohhut, ohne Schutz. Die Bienen taten ihm nichts, als ob sie ihn kannten.» Heute sind es seine Tochter Barbara Imhoof und sein Schwiegersohn Boris Baer, die in Australien das Immunsystem der Bienen erforschen und in «More Than Honey» ebenfalls dokumentiert werden: Sie kreuzen Wildbienen mit Haustierköniginnen und bringen sie auf eine unbewohnte Insel. Ihre Hoffnung ist, eine Bienenart zu züchten, die in erster Linie überlebensfähig ist. (dif) SURPRISE 286/12
BILD: KEYSTONE/IMAGEBROKER/JIM WEST
Entfernung von Bergspitzen zur Kohle-Gewinnung in Whitesville, USA.
Banken Sie werden nicht ruhen Während Bio und Fair Trade in aller Munde sind, spricht hierzulande kaum jemand übers Geld. In Grossbritannien dagegen läuft seit Anfang Jahr eine Kampagne, die zur Abkehr von HSBC, Barclays Bank und Co. aufruft – mit grossem Erfolg.
VON FLORIAN BLUMER
«In den Alpen würde die UBS so etwas niemals finanzieren», sagte ein Aktivist der NGO «Mountain Justice» diesen Frühling. Was er damit meinte: Dass die Schweizer Grossbank wohl kaum Firmen unterstützen würde, die es zwecks Rohstoffgewinnung auf das Matterhorn, den Eiger oder auch nur das Stockhorn abgesehen haben. In den Appalachen in den USA hingegen tragen – trotz Protesten der Anwohner – Bergbauunternehmen zur Kohlegewinnung ganze Berge ab, mit freundlicher finanzieller Unterstützung der UBS. Anstiftung zur Steuerhinterziehung, SURPRISE 286/12
Investition in Unternehmen, die Streubomben produzieren, Spekulation um Nahrungsmittel, Boni-Exzesse – bei den Grossbanken kehrt keine Ruhe ein. Was einmal mehr die Frage aufwirft: Was macht eigentlich meine Bank mit dem Geld, das ich bei ihr einzahle? In Grossbritannien fragen sich das immer mehr Menschen. Und wechseln daraufhin ihr Konto, wie ein Bericht aus England zeigt. In der Schweiz gibt es bis jetzt keine derartige Bewegung, der Anteil an nachhaltig investiertem Geld liegt gerade mal bei 4,1 Prozent. An mangelnden Möglichkeiten zu ethischem Banking liegt dies jedenfalls nicht, wie Finanzexperte Andreas Missbach im Interview von der «Erklärung von Bern» darlegt.
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Banken Small is beautiful In Grossbritannien haben immer mehr Menschen genug davon, dass ihre Bank in Waffenproduzenten investiert, Geld wäscht oder ihrem Top-Management exorbitante Boni bezahlt. Seit Anfang Jahr haben laut der Kampagne «Move Your Money UK» eine halbe Million Kunden ihre Bank gewechselt.
VON FRANCES PERRAUDIN
Letztes Jahr kam ans Licht, dass die britischen Grossbanken Royal Bank of Scotland, Lloyds TSB, Barclays und HSBC alle in Unternehmen investierten, die Streubomben herstellen. Das ist nicht illegal – in solche Unternehmen darf investiert werden, nur das direkte Finanzieren der Produktion von Streubomben ist verboten. Für Danielle Paffard, die ihr Geld bei der HSBC hatte, war das dennoch der Auslöser: «Ich bin eine langjährige Aktivistin, und ich realisierte: Mein ganzes Engagement wurde davon untergraben, wo ich mein Geld hatte», sagt sie. «Ich kannte viele Leute, die ethisch bewusst leben und sich politisch engagieren, ihr Geld aber immer noch in Banken wie Barclays hatten.» Paffard und eine Gruppe von Freunden – Aktivisten, Ex-Banker und Leute, die bei gemeinnützigen Banken arbeiteten – gründeten im Februar dieses Jahres «Move Your Money UK» («Bewege Dein Geld GB»), eine Bewegung mit dem Ziel, Menschen über die ethischen Alternativen zum Banking mit den fünf Grossen (HSBC, Barclays, Lloyds TSB, Santander und RBS) zu informieren und zu einem Wechsel zu animieren. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres, in die der LiborSkandal, die Geldwäschereiaffäre um HSBC und Boni-Exzesse fielen, wechselten laut Schätzungen von «Move Your Money UK» 500 000 Leute in Grossbritannien ihre Bankkonti zu ethischen Alternativen. «Das Bankensystem ist gross und undurchsichtig, und es ist schwierig, mit dem Durchschnittsbürger darüber zu sprechen», sagt Paffard. Aber fast jeder habe ein Bankkonto, und die «Move Your Money UK»Kampagne hebe das Persönliche auf die politische Ebene. «Es ist unser Geld, das für systematische Korruption verwendet wird», sagt sie. «In der Kampagne geht es darum, den Banken zu sagen, dass wir nicht zufrieden sind mit dem ‹business as usual› und wir es nicht länger akzeptieren werden. Wir wollen Menschen dazu ermutigen, ihre Macht als Konsumenten zu nutzen, um ein besseres Bankensystem aufzubauen und zu unterstützen.» Renten und Hypotheken statt Casino Malcolm Hayday, CEO der Charity Bank, die mit dem Geld ihrer Kunden soziale Unternehmen und gemeinnützige Organisationen finanziert, sagt, dass es keine Notwendigkeit gebe, aus Geld noch mehr Geld zu machen: «Im Kern geht es beim Bankgeschäft darum, den Menschen die Möglichkeit zu geben, mit ihrem Geld etwas zu machen. Die Bereitstellung von Finanzdienstleistungen sollte sich am Nutzen orientieren. Das Bankgeschäft sollte den Menschen zugutekommen – indem es ihnen Dinge wie Renten, Versicherungen oder Hypotheken verschafft. Es wird erst zum Problem, wenn es missbraucht wird.» Kleinere Banken wie die Charity Bank stellten kein systemisches Risiko für die Realökonomie dar, argumentiert Hayday weiter. Er habe nichts gegen Leute, die spekulieren wollen. Aber es sollte abgekoppelt vom ökonomischen System geschehen, von dem die Menschen in ihrem Alltag abhängig sind. Brian Capon, Sprecher der British Bankers’ Association, meint, dass die «Move Your Money UK»-Kampagne das Problem aufbausche: «Wir
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müssen das Ganze ins richtige Licht rücken. Bei den Verfehlungen geht um die Handlungen einer relativ kleinen Zahl von Leuten, und wir müssen uns bewusst sein, dass eine halbe Million Menschen im Bankensektor und eine weitere Million im Finanzsektor arbeiten. Das sind eine Menge Leute, und nur wenige von ihnen haben tatsächlich solche Situationen verursacht.» Capon betont, dass man überlegen sollte, was man tatsächlich von seinem Bankkonto erwartet, bevor man sein Geld verschiebt. Viele der kleineren Banken könnten nicht die grosse Palette an Dienstleistungen und Produkten ihrer grösseren Konkurrenten anbieten. Er rät: «Lassen Sie sich nicht von einer Kampagne dazu verleiten, ein Bankkonto zu kündigen, das am besten zu Ihren Bedürfnissen passt, um zu einem zu wechseln, bei dem dies nicht der Fall ist. Denken Sie darüber nach, bevor sie sich in etwas stürzen, das dann nicht die beste Lösung für Sie ist.» Viele der alternativen Banken bieten nicht die ganze Palette an Dienst-
«Es ist unser Geld, das für systematische Korruption verwendet wird.» Danielle Paffard
leistungen an und Hayday räumt ein, dass es für ethische Kleinbanken schwierig ist, mit den grösseren Banken zu konkurrieren. Aber er betont, dass dieser Bereich am Wachsen ist. «Wir erhoffen uns, dass unsere Bank in fünf Jahren dreimal so gross ist wie heute. Aber wir werden dies nur tun, wenn wir dabei unsere Verantwortung wahrnehmen können. Wenn wir Geld nicht verantwortungsvoll verleihen können, dann werden wir gar keines verleihen.» Wie in jedem Wirtschaftssektor hängt auch der Erfolg der ethischen Kleinbanken von den Kunden ab, und sie können nur wachsen, wenn mehr Leute Konti bei ihnen eröffnen – Hayday ist optimistisch, dass dies geschehen wird. Über «Move Your Money UK» sagt Hayday: «Ich denke, es hat grosses Potenzial, um die Dinge zu verändern. Nicht die Bewegung allein, aber einzelne Bürger, die eine bestimmte Art des Verhaltens fordern.» Mit der Fair-Trade-Bewegung und dem Aufstieg des ethischen Konsumenten ist zum Trend geworden, dass Menschen Kaufentscheidungen aufgrund ihrer Werthaltungen treffen. Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis dies auf das Bankgeschäft übergreift? «Waren Sie schon einmal an der Canary Wharf (Londons Bankendistrikt an der Themse)?», fragt Hayday zurück. «Es ist eine andere Welt. Es gibt dort keine Sensibilität für die Entbehrungen und die Rezession in anderen Teilen des Landes. Auf eine Art sind wir alle Komplizen der Finanzkrise, weil wir den Banken keine Fragen gestellt haben. Wir müssen fragen: Was tut Ihr mit meinem Geld, wenn ich abends ins Bett gehe? Wir wissen: Wenn sie ehrlich wären, wären wir entsetzt.» ■
Übersetzung: Florian Blumer www.street-papers.org / The Big Issue in the North – UK SURPRISE 286/12
Banken «Es gibt kein Menschenrecht auf eine hohe Rendite» Andreas Missbach ist Finanzspezialist bei der Nichtregierungsorganisation «Erklärung von Bern» und Autor des Ratgebers «Saubere Renditen». Er erklärt, warum man kein Konto bei einer Grossbank haben sollte – und warum in deren Fonds auch Autofirmen und Nestlé als nachhaltig gelten.
INTERVIEW: FLORIAN BLUMER
Als umweltbewusster Mensch mit ethischen Grundsätzen – muss ich mein Konto bei der UBS oder der CS kündigen? Gegenfrage: Wieso haben Sie dort überhaupt ein Konto? In der Schweiz sind wir in der komfortablen Situation, dass wir seit den Protesten gegen die Verwicklungen der Grossbanken mit dem Apartheidsregime in Südafrika zum Beispiel die Alternative Bank haben, die ganz anders funktioniert. Konkret: Weshalb sollte man heute auf ein Konto bei der UBS oder der CS verzichten? Grossbanken legen ihr Geld beispielsweise in Ölfirmen an, in Kohlefirmen oder in kontroverse Bergbaufirmen, bis vor Kurzem auch in Produzenten von Streubomben und anderen geächteten Waffen. In diesem Bereich haben sie Besserung versprochen, aber ob sie das nun wirklich gar nicht mehr machen, ist auch nicht sicher. Und es ist nicht so, dass man eins zu eins weiss, was mit dem eigenen Geld, das man aufs Bankkonto einbezahlt hat, gemacht wird. Und wenn ich ein Konto bei der Postfinance habe? Der grosse Unterschied bei der Post ist natürlich, dass es ein Staatsbetrieb ist, dort finanziert man zumindest keine Boni und überrissene Gehälter von Topmanagern mit. Aber die Postfinance funktioniert grundsätzlich genau gleich wie die anderen Finanzinstitute. Auch sie hat keine sozialen oder ökologischen Richtlinien, das Geld wird ganz normal an den Finanzmärkten angelegt. Wo soll man denn sein Geld hinbringen, wenn einem soziale und ökologische Fragen wichtig sind? Es gibt Banken, die anders ticken: die anthroposophische Freie Gemeinschaftsbank oder die Alternative Bank Schweiz (ABS). Sie haben strenge Richtlinien, was sie finanzieren und was nicht. Hier kann man sichergehen, dass kein Geld in Ölfirmen oder in Bergbauaktien angelegt wird. Die ABS vergibt den grössten Teil ihrer Kredite an Immobilienprojekte. Sie probiert dabei, möglichst energeSURPRISE 286/12
tisch sinnvolle Gebäude und eher sozialen Wohnungsbau als Einfamilienhäuschen zu unterstützen, was sie aber auch nicht ganz konsequent schafft. Bei der KMU-Finanzierung unterstützt sie vor allem soziale und ökologische Projekte. Bei der ABS kann man sicher sein, dass man mit seinem Geld nichts unterstützt, das einem gegen den Strich geht? Grundsätzlich schon. Wenn einem aber zum Beispiel die Verbauung der Schweiz ein Dorn im Auge ist, wird es auch hier schwierig. Das Problem ist: Es gibt nicht für jeden Fall die perfekte Alternative. Man muss sich überlegen, was einem wichtig ist. Aber die grosse Stärke der ABS ist: Man weiss, womit sie ihr Geld verdient. Bei den Grossbanken ist die Transparenz ein Problem.
zum Beispiel einfach eine Anlage will, mit der man keine Waffenproduktion unterstützt, dann findet man das. Man muss sich aber be-
«In der Schweiz kommen wir ohne Grossbanken aus – es gibt genügend Alternativen.» Wenn ich nun Student bin und Ende Monat mein Kontostand jeweils gegen null geht – lohnt es sich für mich wirklich, die Bank zu wechseln? Wenn man sehr wenig Geld auf dem Konto hat, dann kann man sich sogar fragen, ob man der Bank nicht eher schadet, weil sie mehr Kosten hat, als sie mit einem verdient. Aber ich denke, es ist eine Prinzipienfrage. Im Fall der Banken hat man tatsächlich die Möglichkeit zu sagen: Ich will nichts damit zu tun haben. In anderen Bereichen, zum Beispiel bei Handys, findet man zum Teil schlicht kein Produkt, bei dem man sicher sein kann, dass es unter höchsten ethischen Standards hergestellt wurde. In der Schweiz kommen wir aber eigentlich ohne Grossbanken aus – es gibt genügend Alternativen. Und wenn ich Vermögen und ein hohes Einkommen habe und doch bei einer Grossbank bleiben will? Es gibt ja auch bei diesen Anlagemöglichkeiten, die als nachhaltig angepriesen werden? Es kommt darauf an, was man will. Die grosse Masse der nachhaltigen Anlagefonds funktioniert nach dem Prinzip, dass sie gewisse Ausschlusskritieren haben. Wenn man
wusst sein, dass diese Fonds nach dem «Bestin-Class»-Prinzip geführt werden. Das heisst: Von den Branchen, die nicht ausgeschlossen sind, werden die nachhaltigsten Firmen ausgesucht. Es kann also durchaus sein, dass man dann die nachhaltigste Autofirma drin hat. Die Grosskonzerne wie Roche, Nestlé und Novartis sind in fast allen diesen Fonds drin. Nachhaltigkeit ist darin, würde ich einmal sagen, basal bis banal definiert. Muss ich denn auf viel Geld verzichten, wenn ich mein Geld zur ABS oder zur Freien Gemeinschaftsbank bringe? Oder lassen sich hohe Rendite und Ethik unter einen Hut bringen? Es ist ja nicht so, dass man in den letzten Jahren bei den Grossbanken unbedingt sehr hohe Renditen hatte, sondern unter Umständen sehr hohe Verluste, weil sie irgendwelche strukturierten Produkte der Lehman Brothers oder des US-Immobilienmarktes drin hatten. Es gibt kein Menschenrecht auf eine hohe Rendite. Generell gilt: Man kriegt nicht alles. Es gibt nicht die supernachhaltige Anlage, die total sicher ist und auch noch eine überdurchschnittlich nachhaltige Rendite hat. Es ist immer ein Kompromiss. ■
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Behinderung «Als hätte ihre Seele lange geschlafen» Nach der Geburt schien es, als wäre alles ganz normal. Dann wurde klar: Janina ist schwer behindert. Mit Ärzten machte die Familie nicht nur gute Erfahrungen, ihren Job gab Mutter Margrit Thaler auf. Dennoch sagt sie, sie hätte nie vor der Entscheidung stehen wollen, vor die der neue Down-Syndrom-Bluttest werdende Eltern heute stellt.
VON MONIKA BETTSCHEN (TEXT) UND PETER LAUTH (BILD)
Es ist still im Haus. Janina ist nicht hier. Bei einem Gespräch über ihre Krankheit dabei zu sein, ohne selbst etwas einwerfen zu können, wäre für die heute 26-Jährige zu frustrierend. Die junge Frau leidet seit ihrer Geburt an einer schweren Mehrfachbehinderung. Obwohl sie nicht sprechen kann, nimmt sie ihre Umgebung sehr genau wahr. Ihre Mutter Margrit Thaler sitzt am Esstisch in der Küche ihres Hauses in Luzern
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und beschreibt ihre Tochter als einen empfindsamen, fröhlichen und extrovertierten Menschen. Seit vier Jahren teilt sich Janina einen Tagesplatz in einer Wohngruppe mit einer gleichaltrigen Kollegin. Zwei Nächte pro Woche schläft sie dort im gemeinsamen Zimmer und einmal pro Monat bleibt sie über das Wochenende. Für ihre Eltern schafft diese Struktur regelmässige Freiräume, um auch manchmal als Paar etwas unternehmen zu können. Einmal pro Jahr fährt die Familie gemeinsam in den Jura und verbringt dort erholsame Tage in einem rollstuhlgängiSURPRISE 286/12
gen Ferienhaus. Über die Jahre hat sich eine wohltuende Routine eingestellt. Margrit Thaler bereut es heute nicht, dass sie für ihre Tochter ihren damaligen Beruf als Redaktorin bei einer Luzerner Zeitung aufgegeben hat. Sie kümmerte sich mit viel Liebe und Geduld um das Mädchen, erzählte ihr Märchen, erklärte ihr die Wochentage und Jahreszeiten oder zählte mit ihr bis zehn. «Diese einfachen Mengenbegriffe sollen ihr dabei helfen, sich in der Welt zurechtzufinden», erklärt die engagierte Familienfrau. Mit Händedruck könne Janina Zustimmung auf eine Frage signalisieren. «Um sich mit einem Menschen zu verständigen, gibt es viele Wege.» Janinas Vater Urs arbeitet selbständig als Kommunikationsberater. Obwohl er beruflich viel unterwegs ist, beteiligt er sich so oft er kann an ihrer Pflege, gibt ihr das Essen, wäscht sie oder macht mit ihr physiotherapeutische Übungen. Auf dem Küchentisch ausgebreitet liegen Familienfotos. Janina als Baby, als Kleinkind zusammen mit ihrem älteren Bruder Emanuel oder mit ihren Eltern. Bilder voller Lebensfreude. Aber auch auf Fotopapier festgehaltene Momente der Anstrengung. Janina in der Physiotherapie. Janina, die kämpft.
finden wohl die meisten Eltern die Behinderung ihres Kindes zunächst als persönliche Katastrophe.» Im Zusammenleben mit Janina mache ihre Familie aber viele schöne Erfahrungen, die das Leben von allen auf einmalige Weise bereichere. «Solche Testverfahren wiegen die Menschen in einer falschen Sicherheit. Viele Behinderungen entstehen durch äussere Einflüsse, zum Beispiel bei der Geburt oder durch Unfälle.» Janina galt am Tag ihrer Geburt als ausgesprochen gesundes Mädchen. Und doch ist sie heute körperlich stark beeinträchtigt. War es eine bislang unbekannte Stoffwechselkrankheit oder eine Impfschädigung, die das Leben der Familie Thaler kurz nach Janinas Geburt auf den Kopf stellte? Die Mutter blickt aus dem Küchenfenster in den Garten hinaus und mag keine Ursachenforschung mehr betreiben. Sie erinnert sich an jene frühen Momente zurück, welche die Weichen komplett neu stellten. «Als Janina zwei Tage alt war, wurde sie gegen Tuberkulose geimpft und fiel wenig später in einen komatösen Zustand. Beweisen, dass hier etwas schiefgelaufen ist, kann man nicht, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass alles, was danach kam, auch damit zusammenhing», erzählt sie. In ihren Worten liegt keine Wut, selbst dann nicht, als sie davon berichtet, wie Janina als etwa drei Wochen alter Säugling zum ersten Mal von Krämpfen geschüttelt wurde. Die Ärzte gaben Entwarnung, meinten, das würde sich mit der Zeit schon geben. Aber die Anfälle kamen wieder. Die junge Mutter spürte instinktiv, dass mit Janina etwas nicht stimmte. «Die Kleine war abwesend und passiv.
Mehr als Essen und Pflege «Für uns stand Janinas Behinderung nie im Vordergrund, sondern ihre starke, gesunde Persönlichkeit. So kam es für uns auch nie in Frage, sie in ein Heim zu geben», betont die Mutter. Dem Ehepaar Thaler war es immer besonders wich«Janina hat unser soziales Umfeld ins Positive verändert. tig, beiden Kindern gerecht zu werden. Penibel Unsere Freundschaften sind heute geprägt von einer achtete die junge Mutter darauf, auch mit ihgrossen Tiefe und Ehrlichkeit.» rem Sohn, der bei Janinas Geburt eineinhalb Jahre alt war, regelmässig viel Zeit zu verbrinIhr Blick ging ins Leere, sie wirkte wie nicht von dieser Welt.» Von grosgen. «Emanuel war nie eifersüchtig und reagierte verständnisvoll auf die ser Sorge getrieben brachte sie ihre Tochter schliesslich zur Kontrolle ins Betreuung seiner Schwester. Ihn und Janina verbindet bis heute eine Krankenhaus. In Gegenwart des Oberarztes erlitt das Mädchen einen erselbstverständliche Vertrautheit.» neuten Anfall. «Der Arzt warf einen Blick auf das krampfende Baby und Das Telefon klingelt. Das kurze Gespräch dreht sich um einen abgeanstatt mit mir zu sprechen, rief er seine Kollegen, sie sollen schnell brochenen Hebel an der Bremse von Janinas Rollstuhl. Ein ungekommen, es gebe da etwas Interessantes zu sehen.» Diese entwürdischminkter Einblick in einen Alltag, der neben viel Schönem auch von gende Situation hat sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt. bürokratischen Hürden geprägt ist. Ein behindertes Kind zu Hause zu betreuen, setzt von den Eltern ein Höchstmass an Beharrlichkeit und Ein Lächeln, eine neue Welt Hingabe voraus. Die Untersuchungen ergaben die Diagnose Epilepsie. Darauf folgten Im Umgang mit der Invalidenversicherung sei es wichtig, dass sich die weitere Hiobsbotschaften: Das Ehepaar Thaler erfuhr, dass ihre Tochter Eltern Verbündete suchen und sich wehren, wenn Entlastung und Hilfe nie würde gehen, sprechen, geschweige denn ein selbstbestimmtes Leverweigert würden, sagt Margrit Thaler. «Wir mussten schon mehrmals ben führen können. «Ständig wurde uns gesagt, was Janina nicht tun Rekurs einlegen, zum Beispiel, als die IV nach Janinas 18. Geburtstag kann. Nie wurden uns in Bezug auf ihre Entwicklung Perspektiven aufdie Hippotherapie streichen wollte. Dabei bedeutet gerade dieses Angegezeigt. Dieses erste Jahr nach Janinas Geburt war für uns alle sehr bot, das Zusammensein mit Pferden und die Bewegung, für Janina echschlimm.» Als ausgebildete Heilpädagogin wusste Margrit Thaler gut, te Lebensqualität. Und Lebensqualität bedeutet für alle Menschen doch was auf sie zukommen würde. Der Gedanke, dass das Mädchen zum weit mehr als bloss Essen und Pflege.» Beispiel nie einen Beruf erlernen, keine Beziehung führen, einfach kein Ein Jahr nach Janinas Geburt zog die Familie aus der Luzerner Altstadt sogenannt normales Leben führen kann, belastete sie sehr. «Am Anfang in ein anderes Quartier, wo die Infrastruktur besser ihren Bedürfnissen ist man auch in Bezug auf Medikamente und Therapien verunsichert angepasst werden konnte. Um das Mädchen zu Hause zu betreuen, beund greift nach jedem Strohhalm.» Doch mit der Zeit lerne man im Umnötigte die Familie einerseits personelle Unterstützung von der Spitex, gang mit Ärzten zwischen den Zeilen zu lesen, genau zu beobachten andererseits Hilfsmittel wie etwa einen Rollstuhl, einen Treppenlift, eiund sich selber zu informieren. nen Badewannensitz oder Orthesen, speziell angepasste Beinschienen. Erst als sie und ihr Mann Urs 1987 auf einen ganzheitlichen TherapieFreundschaften, die sich über ein bestimmtes Hobby definiert hatten, ansatz aus England aufmerksam gemacht wurden, stellte sich endlich brachen in dieser Zeit auseinander. An deren Stelle traten neue Kontakein neuer Alltag ein. Janinas Motorik und ihr Gleichgewichtsgefühl wurte. «Janina hat unser soziales Umfeld ins Positive verändert. Unsere den in intensiven Therapiestunden geschult. Zum ersten Mal hörten die Freundschaften sind heute geprägt von einer grossen Tiefe und EhrlichEltern, dass ihre Tochter auch Fortschritte machen kann. Sie wurde als keit», stellt Margrit Thaler rückblickend fest. ganzer Mensch wahrgenommen und gefördert. So konnte sie als Dreijährige erstmals für einige Sekunden alleine sitzen. Sie konnte lächeln, Entwürdigender Arztbesuch auf ihre Umwelt reagieren. «Dass uns Janina plötzlich solch ein FeedSie wünscht sich eine Gesellschaft, die Behinderte als selbstverständlich back geben konnte, eröffnete uns als Familie eine völlig neue Welt. Es anschaut. In Bezug auf den erst vor Kurzem eingeführten Bluttest, mit war, als hätte ihre Seele lange geschlafen und sei nun endlich aufgedem sich Trisomie 21 nachweisen lässt, meint sie: «Ich hätte nie vor eiweckt worden.» ner solchen Entscheidung stehen wollen. In der Schwangerschaft emp■ SURPRISE 286/12
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BILDER: ZVG
Aus dem Familienalbum: Janina als Baby, mit Bruder Emanuel und mit ihrer Mutter.
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Behinderung «Mehr Freiräume für die Eltern schaffen» Pro Infirmis bietet Eltern, die ihr behindertes Kind zu Hause in vertrauter Umgebung betreuen wollen, professionelle Hilfe. Julia Vielle, Assistentin für den Bereich Dienstleistungen der Westschweiz und des Tessins, zeigt auf, wie dieser anspruchsvolle Alltag gestaltet werden kann.
INTERVIEW: MONIKA BETTSCHEN
Frau Vielle, was müssen Eltern beachten, die ihr behindertes Kind zu Hause betreuen möchten? Man muss sich bewusst sein, dass diese Aufgabe viel Zeit, Geld und Energie kostet. Man muss die Lage realistisch betrachten und sich im Klaren sein, dass dieser Weg Einschränkungen im Alltag mit sich bringt. So müssen Eltern oft beruflich kürzertreten, um den Bedürfnissen ihres Kindes gerecht werden zu können. Wir raten deshalb betroffenen Eltern, sich unbedingt frühzeitig professionelle Unterstützung zu holen. Wie sieht diese Unterstützung bei Pro Infirmis aus? Wir bieten persönliche Beratung durch unsere Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Diese klären mit den Eltern ab, was in ihrem individuellen Fall nötig ist. Denn jede Familie hat andere Bedürfnisse. Das hängt zum einen mit der familiären Situation, zum anderen mit der Art der Behinderung und deren Schweregrad zusammen. Auch gibt es in den Kantonen unterschiedliche Regelungen, die beachtet werden müssen. Ein behindertes Kind zu Hause zu pflegen, kostet Geld. Wo finden Eltern bei der Finanzierung Hilfe? Betroffene Eltern sollten keine Zeit und Energie damit verlieren, sich ohne professionelle Hilfe einen Überblick zu verschaffen. Dieses Thema ist sehr komplex, sodass es für Laien alleine schwierig ist, sich zu informieren. Wir hingegen haben langjährige Erfahrung und kennen die verschiedenen Möglichkeiten genau. Von der IV gibt es zum Beispiel die Hilflosenentschädigung, den Intensivpflegezuschlag oder den Assistenzbeitrag. Weiter gibt es Entlastungen, die von den Krankenkassen gedeckt werden, wie etwa die Spitex im Bereich der medizinischen Pflege. In einem Beratungsgespräch können wir gemeinsam mit den Eltern herausfinden, welche Unterstützung benötigt wird und die weiteren Schritte in die Wege leiten. Was machen Familien, deren Mittel trotz solcher Beiträge nicht ausreichen? Pro Infirmis hat für solche Fälle verschiedene Fonds, die sich einerseits aus Beiträgen des Bundes und andererseits aus privaten Spenden zusammensetzen. Jede Familie, unabhängig von ihrem Einkommen, hat Anspruch darauf, ein Kind daheim zu betreuen. Wo sind der Betreuung zu Hause Grenzen gesetzt? In welchen Fällen ist eine Heimbetreuung die bessere Lösung im Interesse des Kindes? Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Man kann nicht pauschal sagen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen. Ausschlaggebend ist SURPRISE 286/12
aber in jedem Fall der Wunsch der Eltern. Ihr Engagement ist entscheidend. Schwierig kann es werden, wenn zum Beispiel ein Elternteil selber krank ist. Eltern eines behinderten Kindes geraten automatisch in eine Abhängigkeit von ärztlichen Meinungen. Oft sind verschiedene Fachbereiche betroffen, sodass es als Laie schwierig ist, sich ein Bild zu machen. Wo finden Eltern Rat im Umgang mit Ärzten, zum Beispiel im Zusammenhang mit Medikamenten und Therapieansätzen? Pro Infirmis bietet mit seinen Fachleuten Begleitung und Unterstützung in administrativen und organisatorischen Fragen. Medizinische Beratung können wir allerdings keine anbieten. Auch hier ist vieles kantonal geregelt. In allen Sprachregionen hat Pro Infirmis zum Beispiel eine Fachstelle, deren Mitarbeiter sehr gut vernetzt sind mit Ärz-
«Betroffene Eltern benötigen genügend Freiräume, um sich erholen zu können.» Julia Vielle
ten. Diese Leute begleiten die Eltern und ihre behinderten Kinder. In einem solchen Fall raten wir den Eltern, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, zum Beispiel in Selbsthilfeorganisationen. Auch auf eine Krankheit spezialisierte Organisationen sind bei medizinischen Fragen sehr gute Anlaufstellen. Welche politischen Massnahmen müssten aus Ihrer Sicht ergriffen werden, um für die Betreuung behinderter Kinder zu Hause optimale Rahmenbedingungen zu schaffen? Betroffene Eltern benötigen genügend Freiräume, um sich erholen zu können. Eine solche Aufgabe fordert sehr viel Kraft von den Familien. Damit Eltern zum Bespiel die Möglichkeit haben zu arbeiten, wären Entlastungen in Form von Tagesstätten und Spielgruppen wünschenswert, die mit geschultem Personal und entsprechender Infrastruktur behinderten Kindern gerecht werden. Ein weiterer Ansatz wären mehr Dienstleistungen, die Unterstützung rund um die Uhr an allen Wochentagen anbieten. Pro Infirmis hat aus diesem Grund den Bereich «Entlastungsdienste» aufgebaut. Doch wäre es gut, wenn es noch mehr solche Angebote geben würde. Im Kanton Freiburg erhalten alle Menschen, die wegen der Betreuung eines abhängigen Angehörigen im Beruf kürzertreten, eine finanzielle Entschädigung. Auch das wäre eine Idee, die Schule machen könnte. ■
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Laufsport Der Sucht davongerannt In diesem Herbst laufen in Basel und Luzern Surprise-Verkäufer, um für den Verein Surprise Spenden zu sammeln – und etwas für ihre Gesundheit zu tun. Dass Laufen sogar Leben retten kann, zeigt die Geschichte des 42-jährigen Stephanus Juhre aus Kiel: Über 15 Jahre lang war er drogenabhängig, heute läuft er den Marathon in 2 Stunden 45 Minuten – und träumt von einem Spiesserleben.
VON PETER BRANDHORST (TEXT) UND HEIDI KLINNER-KRAUTWALD (BILD)
Inzwischen strebt Juhre die Wettkampfebene an und trainiert fünfmal die Woche, legt dabei durchschnittlich insgesamt 80 Kilometer zurück. Manchmal, wenn er Unruhe verspürt und nicht schlafen kann, schnürt er sich auch mitten in der Nacht die Schuhe. Beim Interview zeigt er auf die letzten Daten seiner Laufuhr: Um 3:58 Uhr war er in der Nacht zuvor zu einem Lauf über 33,28 Kilometer aufgebrochen, 2:56 Stunden später war er wieder zu Hause. «Schlafen tue ich in solchen Nächten wenig», sagt Juhre, «aber ich bin anschliessend total fit für den Tag.» Marathonstrecken bewältige er mittlerweile «entspannt». Sein grosser Traum ist es, in ein paar Jahren fit zu sein für mehrtägige Wü-
Wenn Stephanus Juhre über die Zeit spricht, in der er Straftaten beging, um sich Drogen zu beschaffen und immer wieder im Gefängnis landete, benutzt der inzwischen 42-Jährige auch schon mal das Bild eines Ertrinkenden: «Ich war oft kurz davor, ganz abzusaufen.» Seit seinem 18. Lebensjahr pendelte er zwischen Knast und Drogenszene und verbrachte so mehrere Jahre hinter Gittern. Vor knapp zwei Jahren, nach seiner letzten Haftentlassung, hat er sein Leben radikal verändert. Drahtig und zäh wirkt er, als er auf dem Fahrrad zum Interview erscheint, 79 Kilo KörMitten in der Nacht ist Juhre zu einem Lauf über 30 Kilomepergewicht verteilen sich auf 1,85 Meter Gröster aufgebrochen – und danach «total fit» in den nächsten se. Dass er bis vor fünf Jahren – und seit seiTag gestartet. nem 21. Lebensjahr – immer wieder harte illegale Drogen konsumiert hat, ist ihm äusserlich stenläufe. 2014 will der Deutsche erstmals an den Bieler Lauftagen teilnicht anzumerken. Juhre lebt längst clean, trinkt auch keinen Alkohol nehmen, bei denen 100 Kilometer zu absolvieren sind. Juhre sagt, es reimehr, wird aber weiterhin mit Drogenersatzstoffen substituiert. Wegen ze ihn, über seine Grenzen zu gehen und «den inneren Schweinehund einer bereits im Kindesalter aufgetretenen Aufmerksamkeitsdefizitzu überwinden». /Hyperaktivitätsstörung (ADHS) muss er zusätzlich regelmässig Medikamente nehmen. Trotz dieser Handicaps hat er es inzwischen bereits Die Sucht wird bleiben geschafft, Trainingsläufe über die gut 42 Kilometer lange MarathonNicht aufgeben, sich immer neue Ziele suchen – Stephanus Juhre strecke in 2:45 Stunden zu bewältigen. scheint es gelungen zu sein, seinem Leben über das Laufen eine neue 16 Jahre alt war Stephanus Juhre, als seine Eltern nicht mehr mit ihm Richtung und Stabilität zu geben. «Mit dem Sport hat er zu sich selbst klarkamen und ihn vor die Tür setzten. Bald landete er für mehrere Jahgefunden», lobt Arne Hoffmann, Bewährungshelfer beim Landgericht re in Hamburg, sass nach einer Schlägerei mit 18 Jahren das erste Mal Kiel, der Juhre seit dessen Haftentlassung vor knapp zwei Jahren als im Jugendknast und probierte schliesslich Drogen aus. Etwa ein Jahr Führungsaufsicht intensiv betreut. Dass sein Proband seither beharrlich lang hielt er sich auch obdachlos in der Hamburger Hauptbahnhofszeseine sportlichen Ziele verfolge, sagt Hoffmann, versetze ihn mittlerne auf. «Ich war neugierig und wusste nicht, was ich mit meinem Leben weile in die Situation, auch in alltäglichen Problemsituationen schnell anfangen sollte», beschreibt Juhre diese Zeit. Aufgrund seiner psychizu Lösungsansätzen zu kommen. Juhre selbst sagt, je mehr und je länschen Störung ADHS sei er zudem schon immer ein sehr unruhiger Typ ger er laufe, desto grösser werde der Abstand zu den Szenen, die so viegewesen, «schnell aufbrausend, ich konnte meine Gedanken dann nicht le Jahre sein Leben bestimmt haben. Die Sucht, das weiss er, wird ihn sortieren». Die Drogen habe er damals wohl vor allem genommen, um als Krankheit sein ganzes weiteres Leben begleiten. Wie bei allen Süchsich «ruhig zu kriegen». tigen hat auch sein Selbstbewusstsein über die Jahre stark gelitten. Mit Doch statt irgendwann Ruhe zu finden, geriet er zunächst immer dem Laufen kann er sich jetzt aber neue Bestätigung verschaffen, die stärker in die Spirale von Sucht und Kriminalität. Dass sein Körper ein durch den Alltag hilft. «Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich wohl solches Leben all die Jahre überhaupt ausgehalten hat und er heute volkein ganz so schlechter Läufer bin», sagt Juhre, «und dann habe ich mir ler Zuversicht in die Zukunft blicken kann, erklärt Juhre damit, dass er gesagt: Nutze diese Chance auf dem Weg nach vorn.» schon damals sportlich aktiv war. «Wenn ich mal wieder zu einer EntEin gutes Stück hat er auf diesem ungewöhnlichen Lauf durch sein giftung musste, habe ich mir als Erstes die Laufschuhe eingepackt», sagt Leben schon bewältigt. Dazu gehört auch, dass er inzwischen ganz ofer. «Das Laufen begleitet mich mein ganzes Leben und hat mir immer fen über seine Vergangenheit sprechen kann. Juhre tut dies, um andewieder Auswege aus scheinbar hoffnungslosen Situationen aufgezeigt.» ren Menschen in ähnlichen Situationen ein Vorbild zu sein. «Man kann es schaffen», sagt er, «ich will an dieser Stelle Vorbild sein und Anreize Runden drehen im Knast geben.» Später will er, der im Moment noch in einer teilstationären Ein«Wenn ich laufe», sagt Juhre, «werde ich stärker für das normale Lerichtung der Kieler Fachambulanz und von Hartz IV lebt, am liebsten eiben.» Das Laufen ermögliche es ihm, Dinge klarer zu sehen und zu erne Ausbildung zum Fitnesstrainer absolvieren. «Sport treiben und ein kennen, «welche Ziele ich noch habe, wohin ich möchte». Als er bis DeSpiesserleben führen, warum nicht», sagt er, und lacht. zember 2010 in Kiel seine letzte, 41-monatige Haftstrafe verbüsste, da ■ nutzte er die tägliche Knastfreistunde, um im Anstaltshof im Kreis zu rennen. Dazwischen strampelte er regelmässig auf einem Anstaltstrimmrad. INSP: www.street-papers.org / HEMPELS – Germany SURPRISE 286/12
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Fremd für Deutschsprachige Grosse Dinge An mir vorbei zieht ein riesiger Telefonhörer die Strasse hoch. Hinterher stolpern in unregelmässigen Abständen ein paar Telefonbücher, an deren oberem Rand je ein Kinderkopf zwischen den Seiten hervorschaut. Den feierlichen Anlass der Traubenernte begeht das Dorf Hallau mit dem traditionellen Omzog, begleitet von mehr als nur ein paar Takten Marschmusik. Ich schaue, lache ein bisschen in den Lärm hinaus und denke über die Bedeutung all dessen nach, während die längst zum Nationalsymbol verfestigte Bratwurst langsam im Mund des Senioren neben mir verschwindet. Warum wollen wir die Dinge zu gewissen Anlässen laut und überlebensgross haben? Damit wir sie besser hören, sehen, fressen können? Ein pausbackiges Mädchen tänzelt in roter Tracht vorüber; ihre Linke winkt im Takt
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der Blaskapelle, während ihre Rechte Schlüferli unters Volk bringt. Grosse Dinge sind bestens geeignet für Menschenmengen, man kann sich prima um sie scharen, ihnen gemeinsam huldigen, sich gemeinsam von ihnen überragen lassen: Megalithen, Kreuze, Führerstatuen, gigantische glattglänzende Frauenkörper auf Werbeplakaten oder, nun ja, Telefonhörer. Ob es möglich ist, eine Kultur zu entschlüsseln, indem man sich allein die grossen Objekte anschaut, die sie hervorbringt? In der Zuschauermasse entdecke ich Ines, eine alte Klassenkameradin. Sie unterhält sich mit ihrer Mutter, und beide scheinen gelangweilt. Ines’ Mutter ist eine moderne Frau, die einen eigenwilligen Stil pflegt. Sie hat sich mit wallenden, schwarzen Tüchern behängt, auf der Brust leuchtet rot eine grobe Steinkette und am Finger trägt sie einen Glasring von der Grösse einer Säuglingsfaust. Aber da, wo die Schönheit einer albanischen Frau anfängt, hört die ihrige auf: Ihre Lust an Oversized bezieht sich nicht aufs Kopfhaar, welches sie millimeterkurz, geometrisch und schwarz als hochdisziplinierte Lederkappe auf ihrem Kopf trägt. Einst, bei einer Hochzeit in Mazedonien, hatte mir ein Mädchen namens Kujtime erklärt, dass die Haare die Zierde der Frau seien. Ihr grosser Bruder hatte dieses Insiderwissen preisgegeben und ihr dazu geraten, im Leben
niemals das Haar abzuschneiden. Zum Beweis der Wahrheit seiner Worte schwang sie ihre fast knielange Mähne über die Schulter und sich selbst zu unsrer Jurorin empor. Sie mass die Haarlänge aller Mädchen in der Runde und ernannte mich zur Siegerin. Mein Haar war, den Zopf einer zerknirschten Blondine knapp hinter sich lassend, neben dem ihrigen das längste. Der Sieg wurde mir besonders hoch angerechnet, denn ich hatte gewonnen, obwohl ich përjasht, also draussen, aufgewachsen war. Als ich wieder nach Ines’ Mutter Ausschau halte, der heimlichen Königin und Galionsfigur dieses gewissen Typs Schweizerin, ist sie verschwunden. Also stelle ich mir vor, wie sie gleich, eine Carte blanche in der hocherhobenen Faust, auf dem nächsten Umzugswagen um die Ecke gebogen kommt – einen Trupp sozial engagierter, emanzipierter, kulturell interessierter Frauen mit grossen Accessoires anführend. Mit gigantischen Scheren schneiden sie den jungen Mädchen links und rechts im Publikum die langen Haare ab und werfen deren Brüdern funkelnde Blicke durch die exzentrischen Brillengestelle zu. SHPRESA JASHARI (SHPRESAJASHARI@HOTMAIL.COM) ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING (RAHELEISENRING.CH) SURPRISE 286/12
Nachruf Otto Stich BILD: REUTERS/RUBEN SPRICH
Der im September verstorbene Alt-Bundesrat Otto Stich aus Dornach SO war ein regelmässiger Surprise-Käufer und ein Sympathisant unserer Institution. Er war keiner, der viel Lärm um seine Person machte. Auch sein Surprise kaufte er jeweils ohne viel Aufhebens zu machen. So war es eine grosse Überraschung, dass seine Angehörigen in der Todesanzeige zu Spenden für uns aufriefen und auch die Kollekte der Abdankungsfeier vollumfänglich an Surprise ging. Wir bedanken uns postum ganz herzlich! Und wir baten Otto Stichs langjährigen Sprecher Oswald Sigg, für uns einen persönlichen Blick auf das Leben dieses in vieler Hinsicht aussergewöhnlichen Politikers zu werfen.
VON OSWALD SIGG
Schweigsam, wortkarg. Aber auch gradlinig und manchmal stur und unbeirrt war er. Ein Pfeifenraucher, den man sogar als Nichtraucher mochte. Die Pfeife spielte bei Otto Stich überhaupt eine zentrale Rolle. Er hatte eine ganze Sammlung von schönen Stücken. Wenn er Ärger bekam im Bundesrat oder sonst im Bundeshaus, dann kaufte er sich jedes Mal im Tabakladen beim Zytglogge eine Pfeife. Er arbeitete, er dachte, er schrieb mit der Pfeife. Er hörte einem zu, und wenn er die Pfeife aus dem Mund nahm, war man gewarnt. Darauf folgte die Antwort. Mit der hohen Stimme. Er sprach nie laut, aber umso deutlicher. Ein ungeliebter Bundesrat, zunächst Bevor er gewählt wurde, hielten ihn die Linken einfach für einen bürgerlichen Sozialdemokraten aus Dornach im solothurnischen Schwarzbubenland. Niemand wusste so recht, wo das lag. Als er gewählt war und im Bundesrat sass, nahmen ihn die Rechten schon fast für einen Sozialisten. Mit der Akzeptanz seiner Wahl zum Bundesrat rief er eine verSURPRISE 286/12
itable Identitätskrise bei den Genossen hervor. Noch viel mehr bei den Genossinnen. Er galt als Verhinderer von Liliane Uchtenhagen. Die SPFrauen vor allem wollten raus aus dem Bundesrat. Wir wollten aufhören mit zwei SP-Bundesräten, die vom mehrheitlich bürgerlichen Parlament für genehm erklärt worden waren. Der Jungbrunnen der Opposition lockte damals, als man den ausserordentlichen «Landsturm-Parteitag» zur Frage des Austritts aus dem Bundesrat vorbereitete. «Wir und Willi wollten Lilli» stand gesprayt auf der Hauswand des Coop-Zentrums am Breitenrainplatz in Bern. Ein Anzeichen des Frühlings der sozialistischen Opposition? Es kam anders. Am Parteitag im Kursaal Bern, oben auf der Bühne, einen kleinen Kaktus vor sich betrachtend und die Pfeife im Mund, sass Otto Stich stundenlang und sprachlos mit einer Miene, die verhiess: Macht einfach, was Ihr für richtig befindet. Und am Schluss, als die Partei entschied, im Bundesrat zu bleiben, benahm er sich nicht als Sieger. Er lächelte und sprach ein paar wenige Worte in Mikrofone und Kameras. Es wurde wieder ruhiger im Land. Ein zäher Finanzminister Zurückgekehrt in sein Büro im ersten Stock der früheren Nobelherberge «Bernerhof», begann Otto Stich die Bundeskasse zu hüten wie seinen Augapfel. Und Max Frischs böses Wort vom sechsten bürgerlichen Bundesrat geriet sofort in Vergessenheit. Sein Prinzip für den Bundeshaushalt war denkbar einfach: Geld, das man nicht hat, darf man auch nicht ausgeben. Sein Programm erschöpfte sich aber nicht in der Sparsamkeit. Er sorgte gezielt für neue Einnahmen, besonders im Individualverkehr. Die Staus auf Autobahnen fand er höchst absurd. Einmal sagte mir Otto, er sei überzeugt, dass es gewisse Autofahrer auf die Staus abgesehen hätten, weil sie nur dort ihre grossen und hochgerüsteten Offroader geniessen könnten. Nur schon deshalb seien Autobahngebühren berechtigt. Der Bundesrat aus Dornach führte die Autobahnvignette und gegen grossen Widerstand der Transportunternehmer die Schwerverkehrsabgabe ein. Die Benzinsteuer wurde erhöht. Die ersten Pauschalbesteuerungen von ausländischen Reichen im Kanton Obwalden bekämpfte Otto Stich hartnäckig: Er setzte die dortige Steuerverwaltung kurzerhand unter die Vormundschaft des Bundes. Für ihn war die Beihilfe zur Kapitalflucht vor ausländischen Steuerbehörden ein moralisches Delikt, das er nicht mitverantworten wollte. Ein sozialer Mensch, vor allem In seiner Autobiografie forderte Otto Stich dringend einen Systemwechsel in der Sozialpolitik und schrieb: «Ziel muss die Sicherung der Existenz aller im Lande lebenden Menschen sein.» Die nur ganz selten ausgesprochene Leitlinie seines Wirkens war eine schlichte: soziale Gerechtigkeit. Daran mass er sein eigenes und das politische Handeln anderer. ■ Oswald Sigg, Journalist und Ex-Bundesratssprecher, arbeitete zwischen 1980 und 1987 für die Bundesräte Willi Ritschard und Otto Stich als Informationschef des Eidg. Finanzdepartements.
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Kulturtipps
Das Tierchen hier habe menschliche Vorfahren, sagt der Evolutionsbiologe.
Marina Abramović provoziert: Heute in Designerklamotten, früher ganz ohne.
Buch Des Phönix’ Kern
Kino Warum sitzt du so still, Grossmutter?
Einhorn, Phönix, Drache und Co. – blosse Fantasie oder Realität? Der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf behauptet: Es gab und gibt sie wirklich.
Die frühen Arbeiten von Marina Abramović verstörten. Mittlerweile spricht die Performance-Künstlerin ein breites Publikum an. «Marina Abramović: The Artist Is Present», der Dokumentarfilm von Matthew Akers, ist faszinierender Beweis dafür.
VON CHRISTOPHER ZIMMER VON MICHAEL GASSER
Fabelwesen haben die Menschen zu allen Zeiten fasziniert – und tun es noch heute. Davon zeugen zahlreiche Bücher und Filme. Bei Harry Potter etwa tummeln sich unter anderem Phönix, Einhorn, Kentaur, Hippogreif oder Basilisk – und begeistern uns. Das hat Tradition. Jeden Lebensbereich, schreibt der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf, haben die Menschen mit Fabelwesen bevölkert: Luft, Gewässer, Wälder, Berge, selbst die eigene Lebensgemeinschaft. Aber hat es diese Fabelwesen wirklich gegeben? Ja, behauptet Reichholf. Alles lässt sich auf einen Ursprung zurückverfolgen. Für alles gibt es ein Vorbild, einen Ausgangspunkt des Fabulierens, das den Menschen im Blut liegt. Damit schaffen sie sich Orientierung, starke Symbole, die Teil eines Überlebensprogramms sind. Dabei «entstellen» mündliche Überlieferung, Übersetzungsfehler und absichtliche Veränderungen die realen Vorbilder so sehr, dass – davon ist Reichholf überzeugt – aus wirklichen Lebewesen Fabelwesen werden. Also macht er sich daran, den Beweis dafür zu liefern. Er rückt dem angeblich nur Fantastischen mit den Mitteln der Wissenschaft auf den Pelz: Zoologie, Paläontologie, Sprachwissenschaft, Geschichte und Mythologie. Aus diesem scheinbaren Widerspruch zwischen Erfundenem und harten Fakten schöpft sein Buch einen besonderen Reiz, nicht zuletzt, weil er zwar faktenreich und detailliert vorgeht, aber zugleich in einer klaren, verständlichen und gut lesbaren Sprache. Ganz Wissenschaftler, klärt uns Reichholf so in nachvollziehbaren Schritten darüber auf, dass der Phönix auf den Flamingo zurückgeht, das Einhorn auf die Oryx-Antilope, und dass Drachen nicht tierische, sondern menschliche Vorbilder haben. Dazu gibt es noch eine bunte Palette von weiteren Enthüllungen: etwa zum Weihnachtsmann und seinem Rentier Rudi, zu den zwölf Aufgaben des Herakles, zu Zyklopen, Wolpertingern oder den Tierkreiszeichen – eine wahre Fundgrube für alle Wissbegierigen. Und weil Reichholf durch und durch Biologe ist, schildert er die lebendigen Vorbilder mit einer solchen Begeisterung, dass sie nicht weniger faszinieren als die unglaublichsten Fabelwesen.
Marina Abramovic´ und ihre Performance-Kunst haben es geschafft. Und zwar bis ins Museum of Modern Art in New York. Was Regisseur Matthew Akers zum Anlass nahm, einen Dokumentarstreifen über die 65Jährige und ihre Show im MoMA zu drehen. «Endlich bekommst du all diese Anerkennung», sagt Abramovic´, die in diesem Jahr mit dem Robert-Wilson-Spektakel «The Life and Death of Marina Abramovic´» in Basel gastierte, leicht irritiert, aber hochzufrieden. Die Tochter eines jugoslawischen Kriegshelden geniesst ihren späten Erfolg in vollen Zügen. Und so ist der Zuschauer mit dabei, wenn die selbsterklärte «Grossmutter der Performance-Kunst» Designer-Kleider vom Teuersten shoppt, mit der Luxus-Limousine zum Museum chauffiert wird und sich im perfekt drapierten, roten Satinbett von einer Grippe erholt. Vielleicht wirkt es deshalb wie nostalgisches Beiwerk, wenn Abramovic´ davon erzählt, wie sie in den Siebzigerjahren in einem Citroen-Bus lebte – samt Hund und damaligem Partner. Zu jener Zeit war ihre Kunst verstörend, sie peitschte sich selbst, schnitt sich mit einer Rasierklinge ein Pentagramm in den Bauch oder fuhr stundenlang mit dem Auto im Kreis und schrie dazu ins Megaphon. Tempi passati. 2012 sitzt Abramovic´ täglich 7,5 Stunden auf einem Stuhl im MoMA – brav, still, stumm und ohne Pause zu machen. Und das während dreier Monate. Ihr gegenüber nimmt ein Museumsbesucher nach dem nächsten Platz. Die Kamera fängt ein, wie sich die Blicke von Künstlerin und Besucher treffen, was sich in ebenso feierlichen wie berührenden Bildern äussert. Sie sehe so viel Traurigkeit in den Leuten, äussert Abramovic´ mal nach getanem Tageswerk. Was zunehmend und sichtlich an den Kräften der Performerin zehrt. Matthew Akers konnte sich nicht so recht entscheiden, ob er eine filmische Biografie drehen oder sich auf den Hype um Abramovic´s Show konzentrieren wollte. Dennoch gelingt es ihm, die Stärke, Härte, aber auch die Verletzlichkeit der Künstlerin zu visualisieren. Was macht, dass «Marina Abramovic´: The Artist Is Present» fasziniert.
Josef H. Reichholf: Einhorn, Phönix, Drache. Woher unsere Fabeltiere kommen.
mit Marina Abramović und Weggefährten.
S. Fischer 2012. CHF 37.90
Der Film läuft ab dem 25. Oktober in den Deutschschweizer Kinos.
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Matthew Akers: «Marina Abramović: The Artist Is Present», USA 2012, 105 Min.,
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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
Pasta selbst gemacht: Der Aufwand lohnt sich. 01
Klimaneutrale Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf
Piatto forte Pasta fatta in casa Wenn man der Pasta auf den Zahn fühlen kann, dann ist sie «al dente». Noch viel besser geht das, wenn man die Teigwaren selber herstellt. Nach der letzten Kolumne über gekaufte Pasta beschäftigen wir uns dieses Mal mit der Eigenfabrikation. VON TOM WIEDERKEHR
Wer zu Hause seine eigene Pasta herstellen will, hat prinzipiell drei Möglichkeiten: den Teig walzen, ziehen oder von Hand formen. Die einfachste Art ist wahrscheinlich das Walzen. Die italienische Nonna braucht dazu lediglich ein Wallholz. Unsereiner macht das mit einem Pasta-Maschinchen, welches den Teig gleichmässiger walzt, als wir das nördlich der Alpen mit dem Nudelholz schaffen. Aus gewalztem Pastateig werden Nudeln gemacht. Für gewalzte Pasta eignet sich am besten ein Nudelteig mit Eiern. Der Grundteig besteht aus 300 Gramm Hartweizendunst, 3 Eiern, 1 Esslöffel Olivenöl und einer Prise Salz. Hartweizendunst ist in der Schweiz nicht überall erhältlich. Eine Alternative, die gute Ergebnisse liefert, ist das «Spätzlimehl», eine Mischung aus Weich- und Hartweizenmehl, welches beide Grossverteiler im Sortiment haben. Wichtig ist, den Teig nach dem Kneten mindestens eine Stunde oder länger ruhen zu lassen, damit er quellen kann. Danach wird er nach eigenem Gusto dünn bis sehr dünn ausgewalzt und je nach Vorliebe in schmale bis breite Nudeln geschnitten. Zum Antrocknen gibt es spezielle Nudelgestelle. Eine improvisierte Wäscheleine erfüllt den Zweck aber mindestens so gut. Gezogene Pasta wird genau genommen gepresst: Die Pressform, durch welche der Teig gepresst wird, entscheidet über die Form der Pasta. So werden von Spaghetti über Penne bis Fusilli alle Teigwaren gemacht, die wir aus dem Supermarkt kennen. Eier und Weichweizenmehl sind hier tabu, denn der Teig würde für die Pressform zu weich und zu klebrig. Darum besteht er nur aus diesen Zutaten: 300 Gramm Hartweizendunst, 120 bis 150 Milliliter Wasser, 1 Esslöffel Olivenöl und eine Prise Salz. Erfahrungsgemäss wird der Teig besser, wenn er eine Nacht ruhen kann. Die Herstellung gepresster Pasta erfordert zwingend technische Hilfsmittel. Für Universal-Küchenmaschinen von Anbietern wie Kenwood oder KitchenAid gibt es passendes Zubehör. Der Aufwand für Pasta fatta in casa ist nicht unbeträchtlich. Aber wer es probiert hat, versteht, warum dies eine der wichtigsten Fertigkeiten ist, welche die Mamma in Italien ihren Töchtern weitergibt.
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Scherrer & Partner GmbH, Basel
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Balcart AG, Carton Ideen Lösungen, Therwil
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Psychiatrische Dienste Aargau AG (PDAG)
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Locher, Schwittay Gebäudetechnik GmbH, BS
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fast4meter, storytelling, Bern
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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen
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Schweiz. Tropen- und Public Health-Institut, BS
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seminarhaus-basel.ch
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Supercomputing Systems AG, Zürich
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AnyWeb AG, Zürich
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VXL gestaltung und werbung ag, Binningen
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Cilag AG, Schaffhausen
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Coop
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Zürcher Kantonalbank
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Kibag Management ‹AG ›
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Knackeboul Entertainment
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Brother (Schweiz) AG
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Musikschule archemusia, Basel
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Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur
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Proitera GmbH, Betriebliche Sozialberatung, BS
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responsAbility Social Investments AG
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BEVBE Ingenieurbüro, Bonstetten
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Judith Turcati, Englischunterricht, Wila
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Axpo Holding AG, Zürich
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
Bezugsquellen und Rezepte: http://piattoforte.ch/surprise 286/12 SURPRISE 286/12
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Derzeit erhältlich: das Jubiläumsheft.
Basel Ein Vierteljahrhundert Kulturvermittlung Die Basler ProgrammZeitung feiert ihr 25-jähriges Jubiläum – mit einem Spezialheft und einem Fest im Ackermannshof, wo nicht nur kulinarische, sondern auch kulturelle Häppchen serviert werden. Das ganze Surprise-Team gratuliert der ProgrammZeitung sehr herzlich: Auf weitere 25 Jahre beste Kulturvermittlung!
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KURT LUSSI
BILD: STEPHAN SCHACHER
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Ausgehtipps
Skater-Girls gibt’s auch in Kunming.
Liebeskummer? In Luzern gibt’s Abhilfe.
Zürich Chinesische Partnerin
Luzern Schätzele an der Reuss
Sie heisst Kunming. Und es ist mit ihr ein bisschen ähnlich wie mit Vinnytsya und San Francisco: Wir wissen nicht recht, warum sie unsere Partnerstädte sind. Oder was das genau heisst. Noch bis November können wir nun aber erfahren, wie die bereits 30-jährige Beziehung zu Kunming aussieht, was Zürich schon alles von ihr lernen konnte und umgekehrt. Die Jubiläumsausstellung im Museum Bärengasse dokumentiert die Zusammenarbeit in der Wasserversorgung, im öffentlichen Verkehr, in der Stadtplanung und im Denkmalschutz. Sie zeigt Werke, die Zürcher Künstler von ihrem Atelieraufenthalt in der Partnerstadt nach Hause gebracht haben und stellt Stephan Schachers Fotoprojekt «31 Days, 31 Ways, 31 Minds» vor: Der Fotograf hat in den beiden Partnerstädten je 31 Menschen porträtiert und sie befragt, wie sie in 31 Tagen die Welt verändern würden. Im Begleitprogramm im Stadthaus wird über Kunmings wirtschaftlichen Wandel und seine Bedeutung als Kunsthandelsplatz diskutiert. (dif)
Man könnte meinen, Luzern wolle seine Geburtszahlen steigern oder die Scheidungsrate senken. Jedenfalls steht die ganze Stadt unter dem Stern von «Flirten, Verlieben, Lieben und Zusammensein»: Mit «Ewig Dein» findet ein ausuferndes Programm statt, von der titelgebenden Ausstellung im Historischen Museum über Dessous-Apéro und Single-Brunch 35+ bis hin zur, Vorsicht, «Liebes-Safari». Wenn Sie also zum Sprung auf Ihre Angebetete ansetzen wollen oder einen Heiratsantrag planen: Sie können bis im März 2013 aus 24 Veranstaltungsorten den passendsten auswählen. (dif) Ewig Dein – Vom Flirten, Lieben und Zusammensein, noch bis zum 3. März 2013. www.ewigdein.ch
Zürich – Kunming: 30 Jahre Städtepartnerschaft,
Jubiläumsfest der ProgrammZeitung,
noch bis am So, 11. November, Museum Bärengasse;
Freitag, 26. Oktober, 18 bis 2 Uhr, Ackermannshof,
Begleitprogramm im Stadthaus mit Gesprächsrunden
St. Johanns-Vorstadt 19 – 21, Basel. Eintritt frei,
am Do, 25. Oktober (Kunming im Wandel) und
Anmeldung erwünscht: info@programmzeitung.ch,
Di, 30. Oktober (Im Sog der Kunst) und
www.programmzeitung.ch
Do, 8. November (Fokus Wirtschaft). www.stadt-zuerich.ch/aussenbeziehungen
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Alles wird gut Die Ringelblume geht unter die Haut. Hilft immer und überall.
grundsätzlich ganzheitlich Beratung täglich (auch sonntags) von 8–20 Uhr St. Peterstrasse 16, 8001 Zürich (nähe Paradeplatz) Bestellung online: www.stpeter-apotheke.com
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Auch in der Stadt gibt’s Platz für einen kleinen Schwatz.
Zürich Die Stadt als Performance «Was können die Künste für die urbane Gesellschaft tun?», fragt die interdisziplinäre Konferenz reART:theURBAN. Um Antworten zu bekommen, bringt sie renommierte Wissenschaftler, Künstler und Kunstschaffende zusammen, unter anderen der Philosoph Slavoj Zizek, die PerformanceWissenschaftlerin Shannon Jackson und der Soziologe Dirk Baecker. Neben Vorträgen und Diskussionsrunden in kleinem Rahmen gibt’s Kunst-Happenings und Workshops von Leuten wie Lukas Bärfuss, dem Künstlerkollektiv Blast Theory aus England oder der ägyptischen Theatermacherin Laila Soliman. Das Programm ist ambitioniert, die Experten international. Richtig grossstädtisch, könnte man sagen. (dif)
Ob Sonne oder Regen: Mehr Lebensqualität für Menschenaffen.
Basel Turnen unter freiem Himmel
reART:theURBAN – Interdisziplinäre Konferenz, Do, 25. bis Sa, 27. Oktober,
Die Gorillas, Schimpansen und Orang-Utans im Basler Zolli konnten endlich ihr neues Zuhause in Beschlag nehmen: Nach zweijähriger Bauzeit wurde die bis zu 16 Meter hohe Aussenanlage eröffnet. Kaum waren die Türen offen, wagten sich die Tiere eines nach dem anderen hinaus: In der dschungelartigen Umgebung können die Menschenaffen Wind und Wetter erleben und nach Würmern, Insekten und Kräutern suchen. Das ist nicht nur für die Tiere schön, sondern auch für ihre nächsten Verwandten.
Tagungsort Gessnerallee Zürich, künstlerische Interventionen in der ganzen Stadt.
www.zoobasel.ch
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Verkäuferporträt «Am Rande integriert» Cristina Choudhary (63) aus Zürich hat das Leben auf der Strasse selbst gewählt. Heute sei dort vieles nicht mehr so wie früher. Dennoch sagt sie: «Ich bin rundum zufrieden.»
«Am 1. November werde ich pensioniert. Das gibt mir das Gefühl, nichts mehr zu müssen. Aber ich führe trotzdem alles weiter. Surprise zu verkaufen macht Spass und die Nachtwache bei einer alten, dementen Parkinsonpatientin will ich unbedingt bis zum Ende machen. Nicht nur aus Pflichtgefühl, sondern um etwas abzuschliessen. Ich mache das nun seit sechs Jahren und will die ganze Geschichte kennen. Sonst wäre es, als ob man ein Buch lesen und nach drei Vierteln aufhören würde. Ich habe das Leben am Rande der Gesellschaft selbst gewählt. Zehn Jahre lang war ich auf Tramp durch die Welt, irgendwann hatte ich aber Lust, wieder sesshaft zu werden. Nie so ganz, natürlich – nennen wir es ‹am Rande integriert›. Surprise verkaufen ist ein schönes Mittelding, finde ich. Ich bin auf der Strasse, habe meine Freundschaften auf der Strasse, wohne aber mit meiner Katze Sina in einer Wohnung. Ich mag es schön und sauber. Mit meinem Freund könnte ich nicht mehr zusammenwohnen. Er ist jetzt wieder auf der Strasse, und seither freuen wir uns immer, einander zu sehen. Früher gab es auf der Strasse einen viel grösseren Zusammenhalt und es galten andere Regeln. Man hing nicht sesshaft rum, auf Tramp sowieso nicht. Jeder hat irgendetwas gemacht, verschiedenste Arbeiten. Ich stellte Schmuck her. Es gab keine Sozialhilfe – entweder man bestand oder ging heim zu Mama. Heute rennt man zum Sozialamt, hängt den ganzen Tag rum, und wenn nach fünf Tagen das Geld alle ist, ist man der Ärmste der Armen. Deswegen gibt mir mein Freund sein Geld und ich teile es ein für ihn. Wir treffen uns jeden Tag in der Stadt, ich gebe ihm etwas und er freut sich, dass das Geld jetzt den ganzen Monat reicht. Als wir damals gingen, hatten wir wirklich nichts. Heute sind die Ärmsten der Armen reicher als ich. Wenn ich meinen Surprise-Ertrag anschaue, bin ich schlechter dran. Das stört mich aber gar nicht. Heute wird auf der Strasse verarscht und gelogen. Wenn dich früher einer verarscht hat, wurde er ausgegrenzt. Es gab einen Ehrenkodex. Es gab unausgesprochene Regeln, man konnte sich nicht benehmen wie man wollte: Leute anpöbeln, rumrülpsen, überall urinieren. Und man räumte seinen Dreck weg. Wenn einer aggressiv wurde und eine Flasche zertrümmerte, musste er die Scherben aufnehmen – unter Aufsicht! Wenn jemand mit den Hunden schlecht umging, wurde sofort interveniert. Früher war es wie eine Familie, einer ist für den anderen eingestanden. Wenn jemand starb, zündeten wir eine Kerze an. Als die beiden Anführer an meinem früheren Verkaufsplatz auf der Brücke beim Taubenschlag weg waren – einer ist heute integriert, der andere abgestürzt –, übernahmen die Punks. Da haben sich viele der Älteren distanziert. Auch ich. Ich fühlte mich nicht mehr wohl. Schon morgens um acht hatte ich besoffene, krakeelende Typen um mich herum, bis am Abend. Das hat mich genervt. Ich war abends aggressiv und habe viel rumgemotzt im Surprise-Büro, so lange, bis ich einen anderen Platz bekam. Jetzt bin ich schön im Quartier von Wipkingen und habe mich noch nie so wohlgefühlt. Es hat ein paar Randständige, die aber integriert sind. Die treffe ich abends manchmal, oder Bekannte von
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AUFGEZEICHNET VON YVONNE KUNZ
mir kommen vorbei. Das Geschäft läuft gut und stabil. Leider habe ich einige Leute verloren, die mir wichtig waren. Röfe zum Beispiel, ein Alkoholiker. Der war früher mal in Goa – von daher hatten wir schon mal viel gemeinsam. Der hatte nie Geld, aber er hat mich nie angebettelt. Der hatte seinen Stolz. Es sch… mich an, wenn ich sehe, dass der Zusammenhalt zerfällt. Ungerechtigkeit tut weh. Wenn das Gesetz nicht für alle gleich ist, und der Mächtige alles darf. Im Pfuusbus von Pfarrer Sieber, wo ich mich früher auch engagierte, geht es zum Beispiel zu und her wie im Wilden Westen. Von der Teamleitung sind viele der Guten gegangen und ersetzt worden durch Habasche, die da den Chef raushängen. Was ich dort sah, ist unmoralisch, hat mit christlicher Gesinnung wenig zu tun. Die ist mir aber wichtig. Wenn ich bete, wünsche ich mir, dass es für mich so weitergeht wie bisher. Ich bin dankbar, dass ich hier bin. Wenn man sich umschaut, in anderen Ländern, dann fühle ich mich hier wohl und sicher. Ich habe einen guten Arbeitsplatz, ich bin rundum zufrieden. Das ist nicht selbstverständlich.» ■ SURPRISE 286/12
SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin
verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, U-Abonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!
Andreas Ammann Bern
Jela Veraguth Zürich
René Senn Zürich
Marlis Dietiker Olten
Kurt Brügger Basel
Fatima Keranovic Basel
Josiane Graner Basel
Wolfgang Kreibich Basel
Tatjana Georgievska Basel
Bob Ekoevi Koulekpato, Basel
Marika Jonuzi Basel
Peter Gamma Basel
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Jovanka Rogger Zürich
Ralf Rohr Zürich
Anja Uehlinger Aargau
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1/2 Jahr: 3000 Franken
1/4 Jahr: 1500 Franken
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1 Monat: 500 Franken
286/12 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 286/12
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.
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Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.
24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–
Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden vom Verein Surprise geführt. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.
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Datum, Unterschrift 286/12 Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch
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Herausgeber Verein Surprise, Postfach, 4003 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Reto Aschwanden, Florian Blumer (Nummernverantwortlicher), Diana Frei, Mena Kost redaktion@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Monika Bettschen, Peter Brandhorst, Michèle Faller, Michael Gasser, Heidi Klinner-Krautwald, Peter Lauth, Frances Perraudin, Nicole Pont, Oswald Sigg Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 15000, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Oscar Luethi (Leitung)
Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83, M +41 79 428 97 27 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Alfred Maurer, Bruno Schäfer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99 Paloma Selma, p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10, F +41 61 564 90 99 Lavinia Biert (Leitung), Olivier Joliat, David Möller o.joliat@vereinsurprise.ch, www.strassensport.ch Vereinspräsident Peter Aebersold
Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. SURPRISE 286/12
Ist gut. Kaufen! Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit – gute Sache. Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute. Alle Preise exkl. Versandkosten.
Surprise Zeitungs-Taschen (34 x 36 cm); CHF 37.50 neon-orange schwarz
Surprise City-Taschen (24,5 x 35,5 cm); CHF 40.– rot schwarz
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Surprise Rucksack (32 x 40 cm); CHF 89.– rot
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*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch
Dazu passend: Leichtes T-Shirt, 100%Baumwolle, für Gross und Klein.
Schön und gut. Grosses Badetuch 100 x 180 cm aus sehr langlebigem Zwirngarn, 100% handgepflückte Baumwolle. Mit Surprise-Logo eingewebt und von A bis Z in der Schweiz hergestellt. Vorder- und Rückseite verschiedenfarbig: vorne kühles Aquablau, hinten heisses Rot.
Herren CHF 25.– S (schmal geschnitten) Kinder CHF 20.– XS S Alle Preise exkl. Versandkosten.
Strandtuch (100 x 180 cm) CHF 65.–
50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute.
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*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch SURPRISE 286/12
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Laufen für Surprise! Surprise macht stark. Machen Sie uns stärker – und unterstützen Sie unsere Läufer. Der Verein Surprise stellt ein eigenes Team auf. Sechs Surprise-Verkäufer nehmen am 28. Oktober am Charity Run beim «Luzern Marathon 2012» teil und zeigen ihren Durchhaltewillen.
Ruedi Kälin Surprise-Verkäufer ZH 5 Mile Run
Michael Hofer Surprise-Verkäufer ZH 5 Mile Run
Markus Thaler Surprise-Verkäufer AG 5 Mile Run
Peter Conrath Surprise-Verkäufer ZH 5 Mile Run
«Mir tut es gut, und Surprise profitiert auch davon.»
«Ich laufe für Surprise, weil ich etwas für meine Gesundheit machen möchte.»
«Ich laufe für Surprise, weil sogar Joschka Fischer schon an vielen Marathons war – und ich noch nie.»
«Ich möchte Surprise etwas zurückgeben, weil ich hier eine faire Chance bekommen habe.»
«Ich laufe beim Luzerner Marathon, um Surprise in Luzern bekannter zu machen.»
Dieter Blumer Surprise-Fan Halbmarathon
Florian Blumer Surprise-Redaktor 5 Mile Run
Ghide Gherezgihier Surprise-Verkäufer BE Halbmarathon
Silvan Bommer Surprise-Fan Halbmarathon
Ande Weldemariam Surprise-Verkäufer BE 5 Miles Run
«Ich laufe für Surprise, weil ich das Magazin schätze: Es vermittelt einen anderen Blick auf die Dinge.»
«Ich laufe für Surprise, weil ich beeindruckt bin, wie viele SurpriseVerkäufer an den Start gehen.»
«In meiner Heimat Eritrea bin ich Velorennen gefahren. Hier in der Schweiz laufe ich regelmässig.»
«Ich laufe für Surprise, weil ich Spenden für ein gutes Projekt sammeln möchte.»
«Ich laufe gerne am Lucerne Marathon mit, wenn ich dadurch Surprise unterstützen kann!»
Reto Bommer Surprise-Vertriebsleiter ZH Halbmarathon
Setzen Sie ein Zeichen gegen soziale Ausgrenzung und Ungerechtigkeit. Unterstützen Sie unsere Surprise-Läufer mit einer Spende! Weitere Informationen finden Sie unter: www.charityrun.vereinsurprise.ch
Spendenkonto: PC 12-551455-3 Verein Surprise, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99