Nr. 290 | 14. Dezember 2012 bis 3. Januar 2013 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
Lesen! Sibylle Berg, Paulo Coelho, Tim Krohn, Dieter Meier, Milena Moser, Max Rüdlinger, Ralf Schlatter, Ruth Schweikert, Christoph Simon und Gabriel Vetter
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Titelbild: Priska Wenger
Seit Kurzem versucht mein 16 Monate alter Sohn, dem Affen aus dem Zoo-Bilderbuch die Banane aus der Hand zu stibitzen. Entschlossen kratzt er mit Zeigefinger und Daumen über die kartonierte Buchseite. «Neh!», sagt er und schaut mich erwartungsvoll an. «Das kannst du nicht nehmen, schau, es ist nur gemalt, das ist im Buch drin», sage ich, froh darüber, dass wenigstens diese Banane vor ihm sicher ist. Auch wenn ich einen Krimi lese, kann ich gut damit leben, dass sein Inhalt den Buchseiten nicht entkommen kann. Dass der Mörder am Schluss nicht nur geschnappt, sondern auch für alle Zeiten ausbruchssicher zwischen den Buchdeckeln eingekastelt bleibt. Trotzdem könnte ich über die Bananen-Sache ins Grübeln geraten. Verwahren Bücher ihren Inhalt tatsächlich so sicher? Was ist dann mit einem Montaigne oder MENA KOST Rousseau? Ist nicht einst das Denken dieser Philosophen den Seiten entschlüpft, auf REDAKTORIN die es gebannt war, um die Gesellschaftsordnung ganz Europas zu verändern? Ausserdem: Gerade die Wochen um Advent und Weihnachten eignen sich hervorragend, um darüber nachzudenken, wie prophetische Schriften allerhand Kräfte entwickeln und eine beträchtliche Anhängerschaft versammeln können. Das Papier nimmt mit sprichwörtlicher Geduld jede Saat des Schreibenden auf. Doch allein in Buchform vermag auch der machtvollste Gedanke die Welt nicht zu verändern. Die Lesenden entscheiden, was sie sich in den Kopf setzen lassen möchten. Leser sind auch Ausleser. In diesem Sinn möchten wir Ihnen diese Surprise-Ausgabe ganz besonders empfehlen: Sie enthält Kurzgeschichten von Sibylle Berg, Paulo Coelho, Tim Krohn, Dieter Meier, Milena Moser, Max Rüdlinger, Ralf Schlatter, Ruth Schweikert, Christoph Simon und Gabriel Vetter. Fast alle haben exklusiv für Surprise geschrieben und uns ihre Geschichten geschenkt. Dafür danken wir ihnen von Herzen. Und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, danken wir, dass Sie Surprise so treu unterstützen. Für die Verkäuferinnen und Verkäufer ist – ganz besonders in den Weihnachtstagen – jedes verkaufte Magazin ein Aufsteller. Lassen Sie sich den einen oder anderen Samen in Kopf oder Herz einpflanzen, sodass die Geschichten diesen Seiten entwachsen können. Wir sind sicher, dass Sie dieser Weihnachtsausgabe vieles entnehmen können, was gut ist. So gut wie Bananen. Oder besser. Wir wünschen frohe Lektüre Herzlich Mena Kost
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@vereinsurprise.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 290/12
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BILD: DOMINIK PLÜSS
Editorial Aussaat
03 05 06 08 28 30 33 34
Inhalt Editorial Aussaat Basteln für eine bessere Welt Buch-Orakel Mein Lieblingsbuch Was Surprise-Verkaufende lesen Porträt Der Geschichtenerzähler Kulturtipps Tränen und Trost Kreuzworträtsel Büchergutscheine gewinnen Projekt Surplus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP
10 Die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinen PAULO COELHO
12 Alains neuer Name CHRISTOPH SIMON
13 Felix, Reto, Milena und Daniel RUTH SCHWEIKERT
16 Der Samichlaus im Kreisverkehr GABRIEL VETTER
17 Eine Weihnachtsgeschichte SIBYLLE BERG
18 Weisch wie!? MAX RÜDLINGER
20 Fällt dieses Jahr aus MILENA MOSER
22 Zwei Komma acht Volt RALF SCHLATTER
24 Bellevue retour DIETER MEIER
25 Strahlende Nacht TIM KROHN
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BILD: ZVG
Die Illustrationen dieser Ausgabe stammen von Priska Wenger. Sie hat sich von den Pflanzen inspirieren lassen, die in den biblischen Schriften erwähnt werden. Die freischaffende Illustratorin gestaltet seit vielen Jahren die Bilder zu unserer Gerichtskolumne «Zugerichtet». Sie studierte Visuelle Kommunikation und Illustration an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Luzern. Seit 2007 lebt und arbeitet Priska Wenger in New York, wo sie 2009 den Master in Fine Arts ablegte.
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3. Klappen Sie das Buch auf, strecken Sie den Zeige-
das nächste in Griffnähe. In unserem Fall wäre das der
finger und tippen mit ihm kurzentschlossen in das offe-
«Armutsbericht Basel-Stadt».
ne Buch.
2. Schliessen Sie die Augen, atmen Sie einmal tief
4. Nehmen Sie sich die drei typischen Horoskopkate-
durch, zweimal, dreimal. Denken Sie an nichts oder an
gorien vor: Liebe, Gesundheit, Geld. Das Buchorakel
vorbeiziehende Wolken.
wird Ihnen Auskunft geben. Öffnen Sie die Augen und
ILLUSTRATION: SIMON DREYFUS | WOMM
1. Nehmen Sie ein Buch. Ohne lange zu denken, einfach
lesen Sie den Satz, auf den Sie zeigen. Nun liegt es an Ihnen und Ihrem siebten Sinn, die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Zur Inspiration für die Interpretation hier ein Beispiel:
Liebe
Gesundheit
Geld
Textstelle: «Jugendliche und junge Erwachsene kommen in
Textstelle: «Sie (die potenzialorientierte Armutspolitik) ge-
Textstelle: «Aus der Empirie ist bekannt, dass solche Aus-
den Gesprächen selber auf ihren Drogenkonsum und auf ei-
staltet die öffentlichen Infrastrukturen derart, dass auch ar-
tauschhandlungen (Geld, Güter, Dienstleistungen, Wissen,
gene Suchtproblematiken zu sprechen, ältere Personen
me Personen sie nutzen können, ist sich der Mechanismen
Überzeugung und moralische Unterstützung) zahlreich sind
nicht.»
gesellschaftlicher Integration und Ausgrenzung bewusst
und zwischen den drei meist gleichzeitig lebenden Genera-
Interpretation: Haben Sie die 30 schon überschritten,
und bekämpft darum alle Formen von Diskriminierung.»
tionen hin und her fliessen, auch wenn die älteren tenden-
sollten Sie – auch wenn es Ihnen schwerfällt – Ihrer
Interpretation: Es sieht nicht gut aus. Aber Ihnen wird
ziell mehr geben als die jüngeren.»
Partnerin nächstes Jahr beichten, dass sie hin und wie-
geholfen werden.
Interpretation: Das kann nichts anderes heissen als:
der an einem Joint ziehen.
Ein Familienmitglied wird Sie reich machen!
Basteln für eine bessere Welt Jahresendzeit ist Orakelzeit: Jeder will wissen, was das neue Jahr bringt. Dafür gibt’s zum Beispiel in jeder Gratiszeitung oder Billigillustrierten ein Horoskop. Nur: Ist Ihnen nicht auch schon verdächtig vorgekommen, dass für dasselbe Sternzeichen in jedem Horoskop wieder etwas anderes steht? Und dass «Sticheleien eines Mitmenschen sollten Sie an sich abperlen lassen» vielleicht nicht exklusiv für Fische gilt? Wir haben eine bessere Idee: Vertrauen Sie auf die Kraft der Bücher. SURPRISE 290/12
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Meine Lieblingslektüre Kästner, Konsalik und Kriminalfälle: Surprise-Verkäuferinnen und -Verkäufer erzählen, was sie am liebsten lesen – und warum. Das Basler Fotografen-Duo Ursula Sprecher und Andi Cortellini hat die sieben für Sie auf einer Theaterbühne in Lese-Szene gesetzt. VON DIANA FREI UND MENA KOST (AUFZEICHNUNGEN), URSULA SPRECHER UND ANDI CORTELLINI (BILDER)
Ruedi Kälin, 54, Sihlpost, ZH und Migros Chur, GR «Ich lese gerne 20 Minuten: Sport, Wetter und Horoskope. Am wichtigsten ist mir der Sportteil. Im Sommer lese ich alles über Fussball, Leichtathletik, Formel 1 und so weiter. Im Winter alles über Eishockey; mein Lieblingsclub ist der HC Davos. Sonst lese ich eigentlich nichts. Ausser natürlich Surprise, das lese ich immer. Und zwar fange ich mit der letzten Seite an, mit dem Verkäuferporträt nämlich, damit ich informiert bin, wer neu bei uns arbeitet und was die Kollegen so treiben.»
Nicolas Gabriel, 48, Uraniaparkhaus, ZH «Ich liebe Kinderbücher, vor allem jene, die um die 1900 geschrieben wurden. Durch sie kann ich in eine andere Zeit blicken. Johanna Spyri etwa gefällt mir gut, aber auch Geschichten auf Schweizerdeutsch. Und Kästner lese ich auch sehr gerne. An Kinderbüchern gefällt mir, dass sie meist liebevoll geschrieben und ausserdem echt sind. Einfach, aber echt.»
Aster Tesfaye, 29, Migros Ettingen, BL «Ich lese gerne romantische Bücher, solche über Liebe, Familienzusammenhalt und Kinder. Lebensgeschichten eben. Allerdings habe ich nicht sehr viel Zeit zum Lesen neben meinem kleinen Sohn und meiner Arbeit. Trotzdem: Jetzt, wo ich die Sprachschule abgeschlossen habe, möchte ich versuchen, Bücher auf Deutsch zu lesen.»
Marlis Dietiker, 62, Unterführung Bahnhof Olten, SO «Ich lese gerne Zeitungen. Für Bücher habe ich fast keine Zeit mehr. Früher habe ich gerne Tatsachenberichte – zum Beispiel über kriminalistische Ermittlungen – und Reisereportagen in Buchform gelesen. Das waren Taschenbücher, auch Konsalik habe ich viel gelesen. Aber mittlerweile bekomme ich vom Lesen recht müde Augen. Heute lese ich meist das Oltener Tagblatt, 20 Minuten und den Blick. Die Realität interessiert mich mehr als erfundene Geschichten.»
Ernst «Aschi» Aebersold, 55, auf Tour in Burgdorf, BE «Ich lese die Bibel, weil ich gläubig bin. Sie hilft mir. Jeden Morgen lese ich darin, rede mit dem Herrgott, lege meinen ‹Säich› vom Vortag hin. Man macht viele Fehler, immer wieder die gleichen. Ich lese das Neue Testament, das Alte Testament, die Offenbarungen, Evangelien. Ich suche mir aber keine bestimmten Textstellen aus. Ich schlage das Buch einfach am Morgen auf und sehe, was da steht. Manchmal bekommt die Stelle für mich aber eine Bedeutung für genau diesen Moment.»
Bob Ekoevi Koulekpato, 44, Rathaus, BS «Ich lese nur die Bibel und Surprise. Die Bibel macht mir mein Herz ruhig. Und Surprise lese ich, um noch besser Deutsch zu lernen. In der Bibel lese ich alles, Altes Testament, Neues Testament. Besonders gut gefällt mir Psalm 140 (139), ein Psalm Davids: «Errette mich, Herr, von den bösen Menschen; vor den Gewalttätigen bewahre mich! Denn sie haben Böses im Sinn und schüren täglich Streit. Sie spitzen ihre Zunge wie eine Schlange, Otterngift ist unter ihren Lippen.»
Tatjana Georgievska, 42, Coop Bachletten, BS «Am meisten lese ich psychologische Sachbücher. Dabei lerne ich viel über Menschen und darüber, wie ich mich in schwierigen Situationen verhalten kann. In Mazedonien hatte ich es schwer, und solche Bücher haben mir sehr geholfen, besser mit allem klarzukommen. Leider finde ich hier keine Literatur in meiner Muttersprache. Wenn ich täglich im Tram von einer Arbeit zur anderen unterwegs bin, lese ich mein serbisches Heft ‹Svet› mit Geschichten über Sänger und Schicksale.»
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Porträt Wahre Gefühle Der Baselbieter Paul Strahm ist mit Leib und Seele Märchenerzähler. Dies ist seine Geschichte. VON FLORIAN BLUMER (TEXT) UND TOBIAS SUTTER (BILD)
südamerikanische Märchen sehr rassistisch, insbesondere die brasilianischen. In indianischen und afrikanischen sei der Held oft ein Trickster, der brutal oder gar sadistisch vorgeht – ohne dabei auf die Nase zu fallen. Generell würden sich die Märchen aber überall gleichen: Viele Motive wie «die Frau, die sich ein Stück Fuss abschneidet, damit der Schuh passt», fänden sich in Märchen aus den verschiedensten Erdteilen. Entscheidend bei einer Geschichte, sagt Paul Strahm, sei für ihn, dass er eine Spannung aufbauen kann. Die Zuhörer müssten «werweissen»: Was meint er jetzt, worum geht es? Und sie müssten zum Schluss wieder erlöst werden, am besten mit einer Pointe, die sie zum Lachen oder zum Aufatmen bringt. «Dazu braucht es eine Hauptperson, die eine Entwicklung durchmacht, etwas überwindet, erreicht – und auch Hilfe zulassen kann.» Womit wir wieder beim Helden unserer Geschichte wären: «Jeden Fortschritt habe ich anderen zu verdanken», sagt Paul
Es war einmal ein Mann. Der hatte ein gutes und zufriedenes Leben als Lehrer an einer Tagesschule für behinderte Kinder in Münchenstein im Kanton Baselland. Doch als er gegen 50 ging, erwachte in ihm die Neugier. Es zog ihn in die Welt hinaus. Also nahm er ein halbes Jahr Urlaub von der Schule und machte sich auf – ans andere Ende der Welt, nach Neuseeland. Dort angekommen, überlegte er sich, wie er wohl am besten Kontakt zu den Menschen fände. Eine Freundin zu Hause, eine Schauspielerin, hatte eine Idee: «Geh doch in die Schulen und erzähle unsere Sagen. Die Kinder in Neuseeland hören sicher gerne Geschichten von der anderen Seite der Erde.» Der Mann zweifelte – er konnte doch nicht einmal richtig Englisch. Doch dann versuchte er es einfach. Er suchte die schönsten Geschichten heraus, von der Teufelsbrücke, vom Fischer, der im Schlaf den Rheinfall runter «Durch das Erzählen bin ich sensibler geworden, und ich würde fuhr, von der weissen Gemse, natürlich die von unserem Nationalhelden. Eine Amerikanerin sagen: auch empathischer.» half ihm beim Übersetzen und er lernte die Geschichten auswendig, Wort für Wort. Dann, eines Morgens, nahm er seiStrahm. Dass die Sätze kurz sein müssen, dass man Pausen machen, das nen ganzen Mut zusammen und klopfte bei einer Schule in Queenstown Tempo wechseln, verschiedene Rollen einnehmen muss – all das hat an. «Ich möchte gerne Schweizer Sagen erzählen», sagte er dem Rektor, Strahm von erfahrenen Erzählern gelernt, von Coaches, in seiner Aus«es ist gratis.» Und er erzählte den ganzen Morgen, vier Stunden am bildung zum Erzähler und in diversen Weiterbildungen. Es hat ihn weit Stück. Die Schüler liebten seine Geschichten und der Mann begann, sie gebracht: In diesem Jahr gewann er den Erzählerpreis der deutschen immer mehr Kindern zu erzählen. Dann reiste er nach Amerika und erGertrud-Hempel-Volkserzähler-Stiftung. zählte sie auch den Erwachsenen, die ihm zuhören wollten. Nun hatte Der Baselbieter sagt, dass ihn das viele Erzählen auch charakterlich er so richtig Gefallen gefunden am Erzählen. Zurück in der Schweiz trat verändert habe: «Ich bin eindeutig sensibler geworden, und ich würde er sogleich der Schweizerischen Märchengesellschaft bei – sein Partner sagen: auch empathischer.» Wenn man Geschichten zum Erzählen vorhatte gelesen, dass diese neu gegründet worden war. Und er begann, bereite, müsse man sich hineindenken, sich mit der Geschichte identifiMärchen aus der ganzen Welt zu erzählen: im Basler Zolli, an Weihzieren. «Und da macht man ein Stück weit Erfahrungen mit – auch wenn nachtsessen von Firmen, in Kleintheatern, in Kirchen, im Verkehrshaus man weiss, dass alles nur eine Geschichte ist.» Luzern, an Kongressen und Festivals und sogar in Gefängnissen. Immer So vielseitig die Märchen sind – Strahm sagt, er habe bis heute kein mehr Menschen lauschten seinen Geschichten und er wurde zu einem einziges schwules oder lesbisches Märchen gefunden, nirgendwo auf grossen Geschichtenerzähler, beliebt bei Gross und Klein. Und wenn er der Welt. Dass er selbst nicht Frauen liebt wie die Prinzen und Könige, nicht … von denen er erzählt, spiele überhaupt keine Rolle: «Ich kann mich proPaul Strahm ist heute 66 Jahre alt und pensioniert. Und er erzählt so blemlos in die heterosexuellen Paare in den Märchen versetzen: Es sind viel wie nie zuvor in seinem Leben. Eine erfüllende Tagesbeschäftigung dieselben Gefühle, es ist dieselbe Liebe.» Und doch möchte er die Lücke also und ein schönes Rentnerhobby für jemanden, der mit dem Talent in der Märchenwelt eines Tages noch schliessen, mit einem selbst gezum Erzählen gesegnet ist? Mitnichten. «Ich bin kein guter Redner, das schriebenen Märchen. freie Sprechen liegt mir nicht», sagt Paul Strahm mit seiner ruhigen, tieOb eine Geschichte wahr ist oder nicht – das würden Kinder erst im fen, warmen Stimme. Was ihm zugutekomme: «Ein Schwätzer ist in der Pubertätsalter zu fragen beginnen, sagt Strahm. Er erzähle ihnen dann Regel kein guter Erzähler», sagt er. Hinter dem scheinbar lockeren Aufimmer die Geschichte, die ihm einst ein Mädchen im Zolli berichtete: Sie tritt steckt harte Arbeit, sechs Stunden für eine Minute Erzählen: «Zuerst sei einmal durch die Luft geflogen, und plötzlich sei sie abgestürzt. Da muss ich die Geschichte umschreiben. Dann stelle ich mir sie vor, spresei ein Walfisch herbeigeflogen und habe sie aufgefangen, sie sei weich che sie und verbessere das Manuskript, wieder und wieder. Am Schluss gelandet, wie auf einem Kissen. «Ich frage die Jugendlichen dann: Ist spreche ich sie und spreche sie, ich murmle sie beim Spazieren vor mich das jetzt wahr? Nein, sagen sie, das ist unmöglich! Aber es ist doch hin, am Abend im Bett – bis ich während des Sprechens einschlafe.» wahr, entgegne ich, dass das Kind sich wünscht, durch die Luft zu flieDoch zuallererst gilt es natürlich, eine gute Geschichte zu finden. gen? Und dass es Angst hatte abzustürzen und erleichtert war, dass es Strahm sagt, er suche meist in der Sammlung des wissenschaftlichen Dieweich fiel? Das leuchtet den Kindern ein. Seht ihr, sage ich dann: Alles, derich-Verlags. Doch ihm gefalle dort vielleicht jede zehnte oder zwanwas ich erzähle, entspringt der Fantasie, ist also nicht ganz wahr. Und zigste Geschichte. «Es gibt so viel Ramsch!», sagt er, «Märchen sind nicht doch ist es so wahr, dass es in unseren Gefühlen stimmt.» ■ die heiligen Geschichten, als die sie oft gesehen werden.» So seien viele SURPRISE 290/12
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Die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinen VON PAULO COELHO
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Kuh, lag tot auf dem Feld. Sie schämten sich, den Pilgern zum Abschied kein rechtes Frühstück bereiten zu können, da die Kuh, die ihnen sonst Milch gab, nicht mehr lebte. Als die Engel die ungepflasterte Strasse entlanggingen, machte der jüngere Engel seiner Empörung Luft. «Ich kann nicht begreifen, wie du dich verhalten hast! Der erste Mann hatte alles, was er brauchte, und dennoch hast du ihm geholfen. Und bei diesen armen Leuten, die uns so freundlich aufgenommen haben, hast du nichts unternommen, um ihr Leid zu lindern!» «Die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinen», sagte der ältere Engel. «Als wir in diesem schrecklichen Keller waren, bemerkte ich, dass auf der anderen Seite der Wand viel Gold lag, das ein früherer Hauseigentümer dort versteckt hatte. Und ich beschloss, es wieder zu verbergen, weil der jetzige Herr des Hauses nicht bereit war, denen zu helfen, die es brauchten. Gestern Nacht, während wir im Bett der jungen Eheleute schliefen, bemerkte ich plötzlich, dass noch ein dritter Gast dazugekommen war: der Todesengel. Er war auf die Erde geschickt worden, um das Kind zu holen. Aber da ich ihn seit vielen Jahren kenne, ist es mir gelungen, ihn davon zu überzeugen, statt dem Kind der Kuh das Leben zu nehmen. Erinnere dich an den Tag, der bald gefeiert wird: Ausser den Hirten wollte niemand Maria eine Herberge geben. Dafür aber sahen diese als Erste den Retter der Welt.» ■ www.street-papers.org / INSP. Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann
Paulo Coelho («Der Alchimist») wurde 1947 in Rio de Janeiro, Brasilien geboren. Sein früher Wunsch, Schriftsteller zu werden, stiess bei seinen Eltern auf Unverständnis. Als er aufbegehrte und Drogen zu konsumieren begann, schickten sie ihn mit 19 Jahren in eine psychiatrische Anstalt. Aufgrund von Songtexten wurde er später des Okkultismus verdächtigt und von der Militärdiktatur wegen angeblich subversiver Tätigkeit verhaftet und gefoltert. Als internationaler Bestsellerautor setzt er sich heute für Brasiliens unterprivilegierte Bevölkerungsschicht und andere Bedürftige ein. Coelho wurde 2007 von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zum Friedensbotschafter berufen. Seine Weltsicht ist vom Glauben an eine Weltenseele und Zahlenmystik geprägt.
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Es gibt eine altbekannte Legende, deren Herkunft ich nicht feststellen kann. Sie erzählt vom Erzengel Michael, der eine Woche vor Weihnachten seine Engel bat, auf die Erde hinabzusteigen und die Menschen zu besuchen, weil er wissen wollte, ob alles für das Fest von Christi Geburt bereit sei. Paarweise wurden sie losgeschickt, immer ein älterer Engel mit einem jüngeren, damit der Erzengel sich einen umfassenden Eindruck dessen machen konnte, was in der Christenheit geschah. Eines dieser Zweiergespanne wurde auch nach Brasilien geschickt und kam dort spät in der Nacht an. Da die beiden Engel nicht wussten, wo sie übernachten sollten, baten sie in einem der grossen Herrenhäuser, wie es sie vereinzelt noch heute in Rio de Janeiro gibt, um Herberge. Der Herr des Hauses, ein Adliger, der wie viele in Rio kurz vor dem Bankrott stand, war ein tiefgläubiger Katholik, der die Himmelsboten sogleich an ihrem goldschimmernden Heiligenschein erkannte. Doch da er gerade eine grosse Weihnachtsfeier vorbereitete und sich bei der Dekoration nicht aufhalten lassen wollte, wies er ihnen zum Schlafen einfach einen Raum im Keller zu. Obwohl auf den Weihnachtskarten immer Schnee zu sehen ist, fällt das Christfest in Brasilien mitten in den Sommer. Im Keller, in dem die Engel übernachten sollten, herrschte eine fürchterliche Hitze, und die feuchte Luft war zum Ersticken. Die Engel legten sich auf die harte Erde. Als sie ihr Nachtgebet begannen, bemerkte der ältere Engel einen Riss in der Wand. Er erhob sich, reparierte ihn mithilfe seiner überirdischen Fähigkeiten und betete weiter. Die beiden schmorten die ganze Nacht wie in der Hölle und bekamen fast kein Auge zu. Trotzdem mussten sie am nächsten Morgen ihre Mission erfüllen. Sie durchstreiften die grosse Stadt mit ihren zwölf Millionen Einwohnern, mit ihren Stränden und Hügeln, ihren Gegensätzen. Sie füllten ihre Fragebögen aus, und als es wieder Nacht wurde, machten sie sich auf ins Landesinnere. Doch sie hatten die Zeitverschiebung nicht bedacht und hatten daher wieder keinen Ort zum Übernachten. Diesmal klopften sie an die Tür einer bescheidenen Hütte. Das junge Paar, das ihnen öffnete, wusste nicht, wie Engel aussehen, und erkannte daher die beiden Pilger nicht. Sie bereiteten den Engeln ein Nachtmahl und zeigten ihnen ihr neugeborenes Kind. Als Schlafplatz boten sie ihnen ihr eigenes Bett an und entschuldigten sich immer wieder dafür, dass sie nicht genug Geld hätten, um sich gegen die mörderische Hitze eine Klimaanlage leisten zu können. Als die Engel am nächsten Morgen aufwachten, fanden sie das Paar in Tränen aufgelöst vor. Ihr einziger Besitz und Lebensunterhalt, eine
VON CHRISTOPH SIMON
«Du, Alain, dein Pfadi-Leiter hat angerufen.» «Wurmfresser? Was wollte er denn?» «Keine Ahnung, ich war nicht da. Er ist auf dem Telefonbeantworter.» «Was sagt er?» «Dass er mich sprechen möchte. Morgen ruft er wieder an. Hast du eine Idee, was er will?» «Nein.» «Hast du im Pfingstlager was angestellt?» «Nicht dass ich wüsste.» «Alain, es ist besser, wenn ich vorbereitet bin.» «Vielleicht wegen Stinkstiefel.» «Wer ist Stinkstiefel?» «Ein Pfadeler vom Stamm Neubrück. Er lungerte vor unserem Biwak herum und knüpfte die Knoten unserer Blachen auf. Gebissen hat er auch, das Aas. Guck mal, hier!» «Das war Stinktier?» «Stinkstiefel.» «Warum hat er dich gebissen?» «Biss geradewegs in meine Hand, und ich hab geschrien und Sachen gebrüllt! Sachen! Dass ich ihn verprügeln würde, dass er acht Tage nicht im Schneidersitz werde schnitzen können. Am ausgestreckten Arm habe ich ihn über das Brett beim Latrinenloch gehalten und liess ihn zappeln, bis er hoch und heilig versprach, nie mehr Wölflis wie mich zu quälen. Kaum liess ich ihn fallen, kam Wurmfresser angestürzt und nahm den stinkenden Stinkstiefel in die Arme.» «Ich verstehe. Du warst sehr zornig.» «Ja. Wenn ich endlich bei den Rovern bin, kaufe ich mir ein elektrisches Küchenmesser und schneide ihm die Daumen ab.» «Weil Stinktier dich gebissen hat.» «Stinkstiefel.»
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Alains neuer Name
«Aber warum hat er dich gebissen?» «Wegen der Haare, die ich ihm ausgerissen hab. Es musste sein. Er hat Wurmfresser und Bifidus verraten, wer im Baumhaus geraucht hat – » (Pause) «Aber es schmeckt mir nicht! Deswegen kann Wurmfresser nicht angerufen haben, das haben wir ja schon im Sarasani ausdiskutiert.» «Überleg mal, Alain.» «Tu ich die ganze Zeit. Bifidus’ Hund leidet unter einer Scheinschwangerschaft.» «Wie bitte?» «Bifidus’ Mops hat ein Nest unter der Fahnenstange gebaut und Milch am Bauch gekriegt. Ehrlich. Wir sagten alle, schau dir mal die kranke Missy an. Bifidus nahm die eingebildete Schwangerschaft sehr ernst.» «Alain, wovon sprichst du, bitte?» «Bifidus war total durcheinander. Wir durften sie sogar zum Tierarzt begleiten. Während der Missy untersuchte, schlotterte der Hund vor Angst wie Mamis Vibritator, hat Senfgas gesagt, und der Tierarzt sagte, es gäbe nur zwei Möglichkeiten, die gute Missy gesund zu machen: Entweder man liesse sie decken oder eine Operation.» «Gut, na schön. Was passiert mit dem Hund?» «Wird operiert. Bifidus hat Angst, aber wir kümmern uns gut um den Hund, Senfgas, Avanti Popolo und ich. Lesen ihm Lucky Luke vor und erzählen ihm, wie viele Tausend Hunde letztes Jahr von ihren Besitzern ausgesetzt worden sind oder im Wald angezündet oder einfach aus dem fahrenden Auto geworfen worden sind. Weisst du, Missy, sagen wir, vielleicht ist es ganz gut, dass du keine Kinder haben kannst. Dann kommen sie wenigstens nicht in die Hände von Sadisten mit verdorbener Fantasie.» «Wenn ich bloss wüsste, weshalb dein Leiter bei uns angerufen hat.» «Vielleicht wegen dem Chilipulver? Aber dabei hat mich keiner gesehen.» «Was für Chilipulver, wo?» «Auf dem WC-Papier der Jungschar auf dem Feld gegenüber.» «Und sowas machst du?» «Ja, du früher nicht?» «Langsam fürchte ich mich regelrecht davor, mit Wurmfresser zu sprechen. Wie geht’s denn allgemein in der Pfadi?» «Durchschnittlich, würd ich sagen.» «Spielst du auch mit den anderen Wölflis?» «Wir schaukeln und rutschen die Baumstämme runter. Aber darf ich dir was sagen, Paps? Eigentlich möchte ich diese Spiele der Wölflis nur noch in der Dämmerung tun, bei Tag geniere ich mich vor den Rovern.» «Ach Alain, früher konnte ich dich aufs wippende Holzpferd setzen, und wenn ich vom Einkaufen zurückkam, hob ich dich vom leise schwankenden Pferd herab, wo du in vollkommenem Behagen ausgehalten …» «Paps. Hör auf.» «Wurdest du im Pfingstlager nicht getauft?» «Neben dem Singkreis am Lagerfeuer war das DER Höhepunkt des Lagers.» «Und welchen Namen haben sie dir gegeben?» «Sie verbinden dir die Augen und drücken dir eine Schnecke in die Hand, die sollst du essen.» «Welchen Namen?» «Innocent.» ■ Christoph Simon geboren 1972 in Langnau im Emmental, lebt als freier Schriftsteller in Bern. Zuletzt erschienen: «Spaziergänger Zbinden» (Roman) und «Viel Gutes zum kleinen Preis» (Sammelsurium).
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Felix, Reto, Milena und Daniel VON RUTH SCHWEIKERT
Milena war zwei Jahre älter als Daniel, erinnerte ich mich, sie musste jetzt also vierundzwanzig sein. «Wie junge Frauen eben so sind», erzählte Felix, «sportlich, stolz auf ihre Unabhängigkeit; sie arbeitet im Vertrieb einer Rollstuhlfirma und wohnt mit einer Freundin zusammen.» Ausserdem war sie wohl wirklich sehr hübsch; «nicht nur in den Augen des Vaters», fuhr Felix fort, das glaube er behaupten zu dürfen: gross, schlank, lange dunkle Haare, leuchtend grüne Augen, dazu die klassische Nase ihrer Mutter; er habe schon genau hingeschaut damals vor acht Jahren an der Beerdigung von Milenas Grossmutter in Köln. Seither hatte er seine Tochter nicht wieder gesehen. Es war ein Dienstagabend Ende November. Felix hatte mich angerufen. Seit Isabelle, seine zweite Frau, sich vor fünf Monaten in einen Tangotänzer verliebt hatte und sofort aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war, telefonierten wir wieder häufiger. Ich war allein zu Hause; Reto war ins Kino gegangen, irgendein Actionfilm, um abzuschalten, wie er sagte – genauso gut hätte er sich vor den Fernseher setzen können, dachte ich –, und Daniel war mit seinen Freunden unterwegs. Ich erinnerte mich, dass Felix mir damals von dieser Beerdigung erzählt hatte; dass Milena die ganze Zeit über abseits gestanden hätte, sorgsam bewacht von ihrer Mutter, und es ihm nicht gelungen sei, mit ihr zu sprechen. Trotzdem brauchte ich einen Moment, um mir klarzumachen, dass Felix mit Milenas Grossmutter tatsächlich seine eigene Mutter meinte, die 2004 in Köln gestorben war. Dass Mathilde Hartmann nicht seine leibliche Mutter war, sondern das Ehepaar Hartmann ihn adoptiert hatte, als er knapp zwei Jahre alt war, hatte er erst mit weit über zwanzig erfahren. Selten fühlte ich mich jemandem so nahe wie am Telefon. Ich liebte es, in der dunklen Wohnung zu sitzen und der vertrauten Stimme eines SURPRISE 290/12
Freundes oder einer Freundin zu lauschen. Es war, als vermöchten Atem und Stimme, Wörter und Sätze ihre ganze Kraft und Bedeutung erst in der Abwesenheit des zugehörigen Körpers zu entfalten. Sass mir jemand gegenüber, fühlte ich mich oft befangen. Bevor ich jemanden anrief – oder einen erwarteten Anruf entgegennahm –, machte ich in der Wohnung sämtliche Lichter aus. Ich legte die Füsse auf den Schreibtisch, lehnte mich im Bürostuhl zurück und schaute durch die halb offenen Jalousien in die Nacht. Felix war Ende der Achtzigerjahre mein Lehrer gewesen an der Schauspielschule – er unterrichtete Sprechtechnik – ; ein kompakter, leicht untersetzter Vierzigjähriger damals, der ausgesprochen jugendlich wirkte. Ich hatte mich sofort in ihn verliebt, allerdings war ich, wie ich bald feststellte, nicht die Einzige. In der Wohnung war es still. In den Radionachrichten hatten sie für weite Teile der Deutschschweiz heftige Stürme angekündigt, mit Windgeschwindigkeiten bis zu hundertzwanzig Stundenkilometern. Tatsächlich wehte ein starker Wind, der die letzten Herbstblätter aufwirbelte und in die kahlen Bäume fuhr, als wollte er sie entwurzeln. Ob ich mir Sorgen machen musste um Daniel? Ich hatte keine Ahnung, was in seinem Inneren vorging oder wer seine Freunde waren. Ich wusste nur, dass sie sich fast jeden Abend am See trafen, um Death Metal zu hören und Bier zu trinken. Das Wetter konnte ihnen offensichtlich nichts anhaben, weder Regen noch Kälte hielt sie von ihren Treffen ab; ja, manchmal fragte ich mich, ob Daniel den Wechsel der Jahreszeiten überhaupt mitbekam. Morgens verliess er das Haus mit Sonnenbrille und Kopfhörern, nach den Vorlesungen und den Nachmittagen im Chemielabor kehrte er mit Sonnenbrille und Kopfhörern zurück, und am Wochenende sass er bei heruntergelassenen Jalousien vor dem Laptop, auf dem
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die Gegend, wie Felix sich ausdrückte; ihr dunkelblauer Saab ähnelte wie von Zauberhand unablässig neue Bilder auftauchten und wieder denn auch einer komplett eingerichteten Wohnung, während ihre stets verschwanden. wechselnden Wohnungen mich an die Ausstellungsräume eines MöbelIch hatte mich wie immer beiläufig nach Milena erkundigt, «und deigeschäfts erinnerten. Felix hatte gut ein halbes Dutzend Berufe; er war ne Tochter?», ohne eine Antwort zu erhoffen, geschweige denn zu erSchauspieler, Sänger, Dramaturg, Regisseur, Sprecher und Sprecherziewarten, mehr damit der Sache Genüge getan war und ich mir nicht her; sein Geld aber hatte er vor allem mit Seminaren verdient. Seine irgendwann später vorwerfen musste, meine Freundschaftspflicht verHauptklientel waren Ärzte, denen er die Grundlagen verbaler und nonnachlässigt zu haben, die – so sah ich es – verlangte, den anderen auch verbaler Kommunikation zwischen Arzt und Patient beibrachte. Er refean unangenehme Dinge zu erinnern. Ähnlich empfand es wohl Felix; rierte über den Umgang mit der eigenen Macht und der Ohnmacht des fast jedes Mal, wenn wir telefonierten, fragte er mich nach dem Fibrom Patienten, analysierte und demonstrierte anhand kurzer Dokumentarfilin meiner rechten Brust, das ich seit fünfzehn Jahren hatte; ob es mir me Sprechweisen und nonverbale Botschaften wie Angst oder Wut. Und Sorgen bereite, ob es gewachsen sei; obwohl ich ihm versichert hatte, Isabelle, die mir mit ihrem langen Hals, den kurz geschorenen Haaren dass aus einem Fibrom niemals ein bösartiger Tumor entstehen konnte. und den schmalen, kraftvollen Gliedern bisweilen vorkam wie eine GaDas zumindest versicherte mir meine Frauenärztin. «Milena!», hatte Fezelle, die sich unter die Menschen wagte, war stets an seiner Seite, verlix in all den Jahren meistens gesagt, als hätte ich ihn nach ihrem Nawaltete seinen Terminkalender, spielte die Hauptrollen in seinen Tanzmen gefragt, und übergangslos von seinen nächsten Projekten erzählt, theaterstücken, trug die teuren Kleider, die er ihr schenkte, kochte, die sich wie Felsblöcke vor ihm auftürmten. Da war erstens ein Kinderwusch und bewunderte ihn. buch, das er schreiben und das ein prominenter Ex-Politiker illustrieren Milena sei natürlich überrascht gewesen, erzählte Felix weiter, sie hasollte; dann eine Best-of-Macbeth-Collage, die er im Düsseldorfer Ratbe seinen Anruf indessen nicht als ungebührlich empfunden. Er sei sihaus inszenierte – sofern es mit der Bewilligung klappte – und die cher, sie werde sich in nächster Zeit bei ihm melden. Ich staunte über gleichzeitig eine Modeschau war, indem die Schauspielerinnen und seine gewählte Ausdrucksweise. Das Reden strengte ihn an, vor allem Schauspieler die Sommerkollektion eines Jungdesigners vorführten; abends, auch wenn Aussenstehenden kaum etwas auffiel, eine leichte drittens hatte er atemberaubende Fotos gesehen von einer OlivenölVerzögerung vielleicht, eine undeutlich artikulierte Endung, eine eigenplantage in Zentralspanien, die zu einem Spottpreis zum Verkauf stand. tümliche Formulierung. Vor vier Jahren hatte er einen Schlaganfall erUmso erstaunter war ich deshalb, als Felix – um eine Nuance zu laut litten. Nachdem er mehrere Seminare absagen musste, blieben die Anund zu forsch, dachte ich – wie beiläufig sagte: «Milena? Es geht ihr gut.» Er habe ihre Nummer ausfindig gemacht im Internet und sie einfach angerufen. Es war seltUmso erstaunter war ich, als Felix – um eine Nuance zu laut sam, wie sehr mich diese Nachricht berührte. und zu forsch – wie beiläufig sagte: «Milena? Es geht ihr gut.» Ich hatte Milena nie kennengelernt, weder damals, Ende der Achtzigerjahre, als Felix und ich fragen aus. Als Regisseur hatte er nie wirklich Erfolg gehabt, jetzt war eine Zeitlang so etwas wie ein Paar waren – zumindest für die zwei Taer endgültig aus dem Rennen. Und dann erkrankten ein paar Leute um ge pro Woche, an denen er in Zürich Sprechtechnik unterrichtete –, noch ihn herum, ein ehemaliger Mitschüler, eine alte Freundin, ein Nachbar, in all den Jahren danach, wo wir einander zwar nur selten sahen, aber alle in Felix’ Alter oder wenig älter. Isabelle hingegen drehte einen Kurzuns dennoch nicht vollständig aus den Augen verloren. Das mochte dafilm. Sie wurde für eine Lesereihe angefragt, sie lernte Tangotanzen, sie mit zu tun haben, dass ich zufällig dabeigewesen war, als er vom Tod verliebte sich. Isabelle war achtunddreissig; es war absehbar gewesen – seiner leiblichen Mutter erfuhr. Dass ich einer der wenigen Menschen wenn auch nicht unvermeidlich –, dass sich ihre Wege trennen würden. überhaupt war, die seine Geschichte kannten. Weder Milena noch ihre Felix taumelte wie ein angeschlagener Boxer im Ring im Viereck zwiMutter gehörten dazu. schen Verzweiflung, Wut, Eifersucht und einem noch zaghaften Gefühl Das deutsche Ehepaar Hartmann hatte den kleinen holländischen Jungen 1950 adoptiert. Jakob war das unehelich geborene Kind einer Opernsängerin, Anna Zylberstein; über Jakobs Vater schwieg sie sich aus. Als Jakob zur Welt kam, war Anna sechsundvierzig und krank. Die Geschichte war und blieb rätselhaft. Warum gab eine Amsterdamer Jüdin, die ein deutsches Lager überlebt hatte, als sie keine Kraft mehr hatte, ihr Kind alleine grosszuziehen, es ausgerechnet in eine deutsche Familie zur Adoption? Umgekehrt: Was konnte ihm einen besseren Schutz gewähren als eben diese? Der kleine Jakob vergass alles; die holländische Sprache, das Gesicht seiner Mutter, ihre Stimme, seinen eigenen Namen. Er hiess jetzt Felix. Felix Hartmann. Das ungefähr war in groben Zügen seine verborgene Geschichte, die er mir an jenem Morgen erzählte – ich durfte ausnahmsweise bei ihm übernachten – , nachdem der Anruf aus einem Amsterdamer Krankenhaus gekommen war; Anna Zylberstein war in der Nacht gestorben. Wenig später schloss ich meine Ausbildung ab und lernte Reto kennen. Felix und ich sahen uns seltener, hielten aber den Kontakt. Manchmal kam es mir tatsächlich genau so vor: als hielten wir beide den Kontakt an je einer Hand, ein kleines schwarzes Männlein, das zwischen uns auf und ab hüpfte. Felix rief mich jedes Jahr im Februar zu meinem Geburtstag an; wir trafen uns auf einen Kaffee, wenn er auf der Durchreise von Deutschland nach Italien war; ich besuchte ihn drei, vier Mal im Sommer bei San Remo oder in Frankreich. Später war Isabelle fast immer dabei. Auch sie war seine Schülerin gewesen. Nach drei oder vier Monaten Bekanntschaft hatten sie geheiratet. Die beiden reisten ständig durch
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nen als sie sich selbst kennen konnte; ich stellte mir vor, ich müsste ihr der Erleichterung, wenn er daran dachte, dass er Isabelle nun nie mehr nur den entsprechenden Schlüssel liefern und schon konnte sie ihr Inbeweisen musste, wie jugendlich, vital und dynamisch er mit bald vierneres aufschliessen. undsechzig und chronischem Bluthochdruck noch immer war. Von ferne war das dumpfe Grollen der Üetlibergbahn zu hören. ObIch hatte schon vor längerer Zeit im Internet recherchiert und Milewohl es erst gegen zweiundzwanzig Uhr ging, waren die Strassen beina Hartmann gefunden. Sie lebte in Köln. Ich hatte mit dem Gedanken nahe leer, die Sturmwarnung hatte gewirkt, nur selten fuhr ein Auto vorgespielt, nach Köln zu fahren und Milena endlich zu sagen, was ich bei. Bald würde Reto vom Kino nach Hause kommen und irgendwann über ihren Vater wusste. Es stimmte, ich hatte Milena nie gesehen, sie hoffentlich auch Daniel. Unser Gespräch war zu Ende; Felix wünschte mir aber immer wieder vorgestellt; wie sie zu einem Schulkind, einem Teenager, einer jungen Erwachsenen heranwuchs. Die Vorstellung betraf weniger ihr ÄusFelix taumelte wie ein angeschlagener Boxer im Viereck seres – ich erinnerte mich vage an ein kleines Schwarzweissfoto, das Felix damals in seinem zwischen Verzweiflung, Wut, Eifersucht und einem noch winzigen Zürcher Appartement an die Wand zaghaften Gefühl der Erleichterung. gepinnt hatte; ein hübsches Mädchen mit einem weichen Gesicht und schwarz gelockten mir eine gute Nacht; ich wünschte ihm dasselbe. Ich ging ins Bad, putzHaaren – als vielmehr ihre innere Entwicklung. Ich fragte mich, ob und te mir die Zähne und zog das Pyjama an. Bevor ich das Licht löschte, wann sich die verschwiegene Herkunftsgeschichte ihres Vaters zeigen warf ich einen letzten Blick auf den Schreibtisch. Alles war an seinem würde. Oder ob es möglich war, dass Milena nichts davon merkte, dass Platz: Mein Laptop, Briefe, Rechnungen. Ein paar Gratiszeitungen, ein sie gar keine Rolle spielte. Ich sammelte alles, was Felix mir über sie ergelber Bleistift, ein Schwarzweissfoto von Daniel als Kleinkind. Er sass zählte, und bewahrte es in meinem Gedächtnis auf. in einem Hochstuhl und schmierte sich die Reste einer Banane ins GeAls Milena neun war, hatte er sie für eine Woche mit in die Sommersicht. Bevor ich einschlief, dachte ich an ihn und es schien mir, als hätferien genommen, ans Mittelmeer. Doch Milena hatte sich geweigert, te ich ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, als hätte ich ihn irgendwo schwimmen zu gehen, oder – wie Isabelle vorgeschlagen hatte – mit eiunterwegs verloren. nem Pedalo rauszufahren. Noch nicht einmal die nahe Gelateria mit ih■ ren abenteuerlichen Kreationen vermochte sie aus dem Haus zu locken. Sie verkroch sich mit ihrem Walkman ins Bett und tauchte nur zu den Mahlzeiten auf, bis Felix es nicht mehr aushielt und sie vorzeitig bei der Mutter ablieferte. Natürlich hätte ich ihr auch einen Brief schreiben können. Aber jeRuth Schweikert geboren 1964 in Lörrach, des Mal, wenn ich einen Versuch dazu unternahm, schien es mir volllebt mit ihrer Familie in Zürich. Sie schreibt kommen abwegig; noch abwegiger, als einfach nach Köln zu fahren und Romane, Erzählungen und Theaterstücke soan ihrer Wohnungstür zu klingeln. Am hemmungslosesten allerdings wie Kolumnen und Essays. Ausserdem untergab ich mich der Vorstellung hin, Milena aus der Ferne zu beobachten. richtet sie am Schweizerischen LiteraturinstiIch kannte zwei, drei Leute in Köln und stellte mir vor, wie sie Milena tut in Biel. überallhin folgten und mir über jeden ihrer Schritte berichteten, wie sie sich bewegte, wen sie traf, worüber sie mit ihren Freunden sprach. Vielleicht war es so: Ich glaubte nach all den Jahren Milena besser zu ken-
Der Samichlaus im Kreisverkehr VON GABRIEL VETTER
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Hauptstrasse genommen hatte, sass er nun im Schlammassel. Kurz nachdem nämlich Ulf in den Romanshorner Kreisel eingebogen war – und plötzlich vor sich den eigenen Schlitten voller bestens duftender Marzipan-Mäuse entdeckte –, rannte er natürlich wie blöd dem Schlitten, also den Marzipan-Mäusen, nach. Wie ein Hund seinem eigenen Schwanz. Natürlich ohne Erfolg: Ulf rannte und rannte – und der Abstand blieb doch immer derselbe. Weshalb der Samichlaus nun also, an diesem 6. Dezember, mitten in der kalten Nacht, bereits seine achtundzwanzigste Runde um den Romanshorner Hauptstrassen-Kreisel drehte. Und dann passierte es: Bei Runde vierundvierzig konnte sich der Samichlaus nicht mehr halten und musste tatsächlich – es ist leider nicht schön, aber wahr – mitten in den Kreisel erbrechen. Das Erbrochene gefror natürlich sofort, was noch viel unschöner war. Die nun gefrorenen Gebilde sahen ein bisschen so aus, wie jene Figuren aussehen, die beim Bleigiessen an Silvester entstehen. Nur eben etwas hässlicher. Doch damit nicht genug: In all den Adventstagen über all die Jahre, in denen der Samichlaus mit seinem Esel Ulf durch die Thurgauer Strassen bretterte, ist dem Samichlaus derselbe Lapsus mit jedem einzelnen Kreisel im Kanton Thurgau passiert. Überall, in Kreuzlingen und in Bottighofen und in Altnau und in Frauenfeld und in Bischofszell, hat der Samichlaus mit seinem Schlitten Dutzende Runden gedreht und sich schliesslich in die Kreisel erbrochen. Und deswegen, liebe Kinder, sehen die Kreisel im Thurgau auch so aus, wie sie eben aussehen: Weil der Samichlaus bei Madame Soleil so schlecht Foxtrott tanzte. ■
Gabriel Vetter wurde 1983 in Schaffhausen geboren, durchlebte die harte Schule des Klettgauer und Thurgauer Landlebens und gilt heute als Ausnahme-Erscheinung in der literarischen Bühnenlandschaft des deutschsprachigen Raums. Für sein Programm «Tourette de Suisse» (erschienen im Sprechstation Verlag 2005) wurde Gabriel Vetter als jüngster Preisträger überhaupt mit dem renommierten Radio-Kabarett-Preis «Salzburger Stier» ausgezeichnet. In der Spielzeit 2012/13 ist Gabriel Vetter, der anfänglich Jus und Theaterwissenschaften studierte, Hausautor am Theater Basel. Der Autor wohnt hin und wieder in Winterthur, engagiert sich mit Herz und Lunge für die Organspende und mag Kühe sehr gerne. SURPRISE 290/12
BILD: HEIKE DÜRSCHEID
Es war einmal, liebe Kinder, ein Samichlaus im Kanton Thurgau. Es war damals nicht nur saukalt, es war auch stockfinster – und dem Samichlaus wurde langsam übel. Der Samichlaus versuchte mit aller Konzentration, seine Augen an irgendeinem Punkt zu fixieren und diesen Punkt so lange wie möglich im Blick zu behalten; denn so hatte er es einst gelernt; damals im Adventstanz-Kurs bei Madame Soleil, im Samichlaus-Nachhilfe-Lager in der Wladiwostocker Kaserne. «Bei Pirouetten immer schön einen Fixpunkt im Auge behalten, sonst müsst ihr erbrechen, chers amis», hatte Madame Soleil stets gesagt. Ach, was hätte er dafür gegeben, wieder Chlaus-Kind zu sein. Damals! Damals war er noch klein gewesen; ein unscheinbarer Chlaus-Goof mit schlohweissem, aber etwas allzu widerspenstigem Kinderbart, ein übergewichtiger Knollennasen-Bub aus dem Lehrbuch, und damals hätte er, der Samichlaus, niemals gedacht, dass er einst hier stranden würde: Im Thurgau, ausgerechnet. Doch zu höheren Weihen hatte es ihm am Ende nicht gereicht: Die talentiertesten Chläuse, die Streber und jene ErbChläuse aus den gut situierten Nikolaus-Familien, wurden alle sofort ab Presse abgeworben, von PR-Firmen in feinsten Zwirn gesteckt und nach Florida entsandt oder in die Karibik, nach Caracas und Singapur, wo sie fröhliche Sonnenkinder mit Mandarinen und Sonnencreme beschenkten. Er aber, der nur mittelmässig begabte Samichlaus, der durch einen dummen Seitensprung in die Welt geschleuderte Sohn eines AushilfsSchmutzlis aus Bottrop und einer dreibeinigen algerischen Rentierdame mit Hang zu einem Punsch-Problem, wurde nach seinem knapp bestandenen Abschluss an der Samichlaus-Sonderschule in Harlem in den Kanton Thurgau versetzt. Hätte er im Fach Chlausen-Foxtrott bei Madame Soleil nur eine etwas bessere Note erzielt, wäre er wenigstens nach Kinshasa geschickt worden, als Père Noel im kugelsicheren Geländewagen, wo er den artigen Kindern wenigstens glänzige Handgranaten, und nicht mehlige Walnüsse, hätte aushändigen dürfen. Doch statt eines 4x4-Wagens und einem ganzen Harem afrikanischer Wüstenköniginnen musste er sich nun mit einem Plastik-Schlitten aus Otto’s Warenposten begnügen, für 49.90 Fr., mit einem einzigen Esel vornedran, einem dämlichen Grenzgänger-Maultier aus Friedrichshafen namens Ulf. Ulf war denn auch die Ursache, weshalb dem Samichlaus dermassen speiübel war: Ulf, der schwäbische Idioten-Esel, war völlig versessen auf die Marzipan-Mäuse, die der Samichlaus in seinem grossen Sack, zwischen den Äpfeln und den Biberlis, verstaut hatte – und die eigentlich für die Kreuzlinger Steiner-Schüler bestimmt waren. Weil aber der Samichlaus dummerweise in Romanshorn die Abkürzung über den Kreisel auf der
Eine Weihnachtsgeschichte Du liegst da, du schnarchst, oder ich bilde mir ein, dass du Geräusche machst, die man deutlich hört, weil es draussen so still ist, als wären wir nur übrig. Das ist diese Festzeit, die Jahresendzeit, wo die Welt starr ist vor Angst, weil wieder alles vorbei ist, sich nichts geändert hat. So sitzen sie in ihren Wohnungen, die dunklen Höhlen gleichen, nach Nahrung riechen, nach Zimtzeug riechen, alles riecht wie eine schwere Wolke aus Mensch und Trägheit, weht nicht mal, steht in den Höhlen, und draussen ist tot. Draussen ist nichts, ausser Stillstand und Warten, dass diese furchtbare Zeit vorübergehen möge und alles von vorne beginnt. Von vorne, da will ich nicht dran denken. Du machst Geräusche und ich denke kurz, dass ich nie mehr einen anstarren werde, im Schlaf, berauscht von seiner Anwesenheit. Du bist ein Tisch geworden, und es ist Jahresende, da räumt man auf und um und raus, was die Sicht versperrt. Und denkt, man könnte ja noch mal zum Anfang gehen. Wenn doch sonst schon alles gelaufen ist, könnte doch ein neuer Mensch das Leben, das garantiert wieder beginnt demnächst, zu etwas Lautem werden lassen. Und du schnarchst. Manchmal in der Nacht, wenn du denkst ich schlafe, deckst du mich zu. Wenn ich mich zu weit aus dem Fenster lehne, fasst du mich ängstlich um den Leib. Du kochst Dinge, die furchtbar schmecken, du kleckerst beim Essen, und ich kenne alle deine Witze. Es sind immer dieselben, wir lachen seit Jahren darüber. Wir haben eine Sprache, die keiner ausser uns versteht, sie ist bescheuert, und wir denken wie alle Paare, das sei einzigartig. Du hast neben mir gesessen im Krankenhaus, und ich wusste nicht, wie ich dich beruhigen soll. Das neue Leben könnte in einer Villa stattfinden. Mit einem Menschen, dessen Haare noch voll sind, dessen Hosen ich nicht kenne, dessen Familiengeschichten mir neu sind, und draussen sind alle tot. An manchen Tagen sehe ich dich nicht mehr, eben wie den Tisch, den wir nie hatten, weil wir nicht gewusst hätten, was man damit tut. Wir essen im Bett, du kleckerst, ich wische dir das Gesicht, es ist wie meins, ich spüre Verletzungen, die du hast. Aufregend ist das nicht. Und nun schnarchst du nicht mehr, im Schnee draussen läuft einer. Vermutlich lebt er allein. Alles ist noch möglich für ihn, er war in einem Kiosk, Kaffee holen, mit dem geht er in seine Wohnung, die ist leer, ausser einem prächtigen Tisch ist sie leer die Wohnung, da sitzt er mit dem Kaffee an seinem Tisch und der Schnee fällt und er schaut aus dem Fenster und mag sich denken: Irgendwo da draussen wartet einer. Mit ihm werde ich ein wildes und verrücktes Leben führen, er wird mich aus diesem Alltag wegbringen, ich werde nie mehr allein in meiner Küche sitzen, mit diesem Scheisskaffee, und den Weg zur U-Bahn, den muss ich dann auch nie mehr gehen, weil ich dann endlich nicht mehr alleine bin. Dann, später, schläft er ein, der Mensch, mit kalten Füssen, den Aschenbecher zu dicht, und es zieht doch immer in dieser furchtbaren Wohnung, und warum er am nächsten Tag aufstehen soll, das mag ihm nicht einfallen. Du schnarchst nicht mehr, du machst die Augen auf und siehst mich und die Welt ist komplett, weil ich da bin, nicht ertrunken in der Nacht, nicht weggelaufen mit einem der keine Geräusche macht, und du wirst mich zudecken, ich werde dich zudecken, in Weiss geht die Welt unter, ich habe geträumt, dass du ein Tisch bist und ich ein neues Leben anfangen muss, jetzt bist du munter und ich danke dir für dich. ■ SURPRISE 290/12
Sibylle Berg geboren 1962 in Weimar, lebt heute in Zü rich. Sie hat bislang zehn Bü cher verö ffentlicht: «Ein paar Leute suchen das Glü ck und lachen sich tot» (1997), «Sex II» (1998), «Amerika» (1999), «Gold» (2000), «Das Unerfreuliche zuerst – Herrengeschichten» (2001), «Ende gut» (2004), «Und ich dachte, es sei Liebe – Abschiedsbriefe von Frauen», «Habe ich dir eigentlich schon erzä hlt … Ein Mä rchen fü r alle» (2006), «Die Fahrt» (2007), «Das war’s dann wohl – Abschiedsbriefe von Mä nnern» (2008), «Der Mann schläft» (2009) und «Vielen Dank für das Leben» (2012). Ihre Theaterstü cke («Helges Leben», «Wü nsch dir was!» etc.) werden an zahlreichen Bü hnen im Inund Ausland gespielt.
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BILD: KATHARINA LU ̈ TSCHER
VON SIBYLLE BERG
Weisch wie!? VON MAX RÜDLINGER
Weisch – i glaub ich hadrs scho emol verzellt – am Tag, woni gebore worde bi, am 3. April 1949, amene Suntig, händ d’Schwizer vo de Öschtricher 2:1 ufe Sack übercho. Chum gebore und scho Ärger mit dr Fuessballnazionalmannschaft! Das gseht memer hüt no a. Scho bim Aschpiel hät dr Eggima äs Ökofaul gmacht – är hät i Bode gschtupft – und äso isches dänn ebe usecho, wies usecho isch. Und äso häts au müesse cho, wil dr Träner vo de Rotjagge – äso hätme üserne damals gseit – Rotjagge – drwill händ die gar kei Jagge agha, sondern gwöhnlichi Liebli, aber das sind ebe anderi Zite gsi – ebe, will dr Träner, dr Rappan – än Öschtricher notabene – will sich dä nöd verblödet hät, üsers Schtürmerschenie, dr Fredi Bickel, erscht zwänzg Minute vor Schluss z’bringe. Dr Fredi, das isch eine gsi wie dr Türkilmaz, dä hät gschpillt wiene Parkuhr, dä isch umegschtande und dr Club – GC – hät Gäld inen ine gschtopft. Und das ischem Rappan nöd rächt gsi. Aber was wotsch wännz Gol mached!?
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Zwänzg Minute vor Schluss ischs aber vill z’schpot gsi, und dr Fredi hät nur no z’Ehregol chönne schüsse. Und am gliche Sunntig isch d’Algerierundfahrt z’Änd gänge, wo dr Zürcher Max Bosshard vom erschte bis zum letschte Tag letschte gsi isch. Das isch ä Sunntig gsi, läck mier am Tschöpli! Immerhin sind im 49i au wältpolitischi Weiche gschtellt worde. Do hät dr Fidel Caschtro nämli ä Baseball-Profivertrag vo de Neujork Giants usgschlage … Dr Fuessball hät mi aber au zu religiöser Inbrunscht gfüehrt. I bi nämli nöd wahnsinnig religiös gsi … I hamer zwar immer ä Hufe Nachtgebät ufglade, bi aber regelmässig scho ir Helfti igschlafe und ha dänn äs schlächts Gwüsse gha. Aber be de Ufschtiegsschpiel vom FC Flums vor dritte i die zweiti Liga do hani immer äs Papschtbildli im Sagg gha und zum Liebgott bättet: «Liebe, liebe Gott, bitte, bitte, mach dass dr FC Flums gwünnt und eine von dene Holzhacker vom FC Sevele vum Platz gschtellt würt.» SURPRISE 290/12
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lerlos, wie chame nur äso heisse?! Dänn scho no lieber Hölzenbein oder Also damals bini sicher ä Schlüsselschpiller bim FC Flums gsi … Wie Beenhacker … d’Medizinmänner bi de Brasilianer oder de Kameruner … Schpöter haUnd dr Linierichter, än Schpaniöggel, hat voräne absits azeigt gha, ni dänn bim Schportclub Zug als Schpiller versuecht Karriere z’mache. und d’Schwizer sind wäge dem au nümme gseggled – be dere Hitz! – Zerscht als Goli bi de B-Juniore: I bi ä Glanz gsi – aber nur bi halbhöche aber wo dr Faultless zur Mitti zeigt hät, hät dr Schpaniöggel nüt me wölBäll i rächte Egge. Ich ha amigs Ränzler grisse – Plonschons – und bi le vo Absits wüsse und isch wiene kläpfte Daggel zur Mitti gwaggled. waagrächt ir Luft gläge … Das isch gsi wie dr Liebgott, wo übers WasDas vereinigti Mittelmeer, d’Schpaniöggele, d’Öschterricher und d’ ser lauft … Gäll, dr Berti Vogts hätt jo ämoll gseit, wänn är übers WasSunne händ öis dr WM-Titel gschtohle! Drum söttme no hüt nid det abe ser laufe würdi, dann würts nochäne heisse, är chönni nöd schwümme. i d’Ferie! Nöd schlächt, hä? Im ganze aber hani grunne wienes Sieb, willi im Wobis also au äm Goli vo de Özis, äm Kurti Schmied, dr GhirnappaGrund gno Angscht vor scharfe Schüss gha ha … Jo meinsch, i liessmer rat gröschtet gha hät. Dr Kurti Schmied hät nöd emoll me gwüsst, wösone Siech i d’Magegrueb schüsse!? Weisch wie das tuet? vel dasses isch, wo dr Seppe Hügi no uf 6:5 ufgholt hätt. Do hät sich dr Und drum hani ebe immer d’Tändänz gha, äs bitz absits vom Gscheh Happel, än Verteidiger, no eine gleischtet. Das isch dänn äso idr Zitig z’schtah und dänn ä Ränzler z’riesse, als mich azschüsse z’lah. Das hät gschtande … Jetz muesch lose: «Happel stoppte einen weiten Abschlag guet usgseh, isch aber nöd grad effiziänt gsi. der Schweizer mit dem Gesäss, ferselte, als er angegangen wurde, den Drum bini dänn a lingg Flügel versetzt worde. Das isch z’AbschtellBall schlecht zurück zum halb ohnmächtigen Schmied Kurti und rettegleis gsi für söttig, wome nöd hät chönne bruche. I bi affeschnell gsi, äso te dann in Corner. Der österreichischen Kolonie am Spielfeldrand drohschnäll, dass dr Bölle gar nöd noche hät möge. Und willi so gschnell gsi te ein Massenherzschlag. Freilich, der gleiche Happel sprang in unbebi, hänz mier ‹Garrincha› gseit! Weisch no dr Garrincha!? schreiblichem Stil seinem Tormann bei. Die Schweizer hatten die Das isch eine vo dä schenialschte Tschütteler gsi, ä Brasilianer. WoSchwäche von Schmied bald erkannt und schossen aus allen Lagen und ner agfange hätt, do händ sich d’Ärzt bekrüzigt und gseit, us so eim wärdi nie öppis. Dä chönni jo nöd füf Meter gradus laufe ohni zweimol ufe Sack z’gheie. «Dr Schiedsrichter, die Pfife, hät wahrschinli au ä Sunneschtich Dä Garrincha, das muess ä armseligs Hüfeli gsi gha und weisch, wie dä gheisse hät? Edward Faultless.» si, ä hinkende Zwärgesel mit dr Intelligänz vomene Häfelischüeler und äre Wirbelsüle wieDistanzen. Happel aber war immer neben seinem Torhüter in Bereitnes S und Bei, wo uf die glich Site useboge gsi sind. Und drum hät ihm schaft und schrie: Geh weg, Kurti! Und köpfelte und vollierte solche eine vo sine Brüedere dr Name ‹Garrincha› gä, will das sone nütige, chliBombenschüsse von der Torlinie weg, dass man meinte, sein Kopf oder ne Vogel gsi isch. die Beine müssten Schaden nehmen.» Nöd schlächt, hä? Mini erschti Aber sone Flügel wie dr Garrincha häts voräne und nachäne niemeh Wältmeischterschaft isch 1950 gsi, do bini eis gsi. Do isch d’WM ume gä. Ar Wältmeischterschaft 1958 dr bescht Schpiller uf siner Posizion. Cup Jules Rimet i Brasilie ustreit worde. D’Schwizer händ gäge d’BrasiUnd im 62gi dr bescht Schpiller vom ganze Turnier! lianer 2:2 gschpillt und hettid sogar chönne gwünne … Weisch wie!? Und äso hättme m i e r gseit! Do isch dr Garrincha no nöd drbi gsi. Wänn dr Garrincha gschpillt I bi nöd ganz so schenial gsi: Bim Kickers Summerturnier z’Luzärn hät, dänn isch Zirkus gsi. D’Zueschauer händ sich vor Lache boge und isches ä Affehitz gsi und mier händ gäge d’Luzärner kei Schtich gha. uf d’Schänkel ghaue. Dr Garrincha isch übere Ball gschprunge, dr Ball Nach dr Pause hani bim Aschpiel dr Ball linksusse übercho und bi – isch über ihn gschprunge, dr Garrincha hät linggs atüscht und isch wies mini Art gsi isch – ab wie Poscht schtracks ufs Gol zue. I ha mi no rächts verbi, underwägs sind d’Gägner inenand ine gschosse, händ sich gwunderet, dasses für eimol so eifach goht. Füf Meter vorem Gol hani mit de Bei verwigglet, händ Schwindelafäll übercho oder sind uf z’Füdli abdruggt und dr Bölle unhaltbar versänkt. gheit … Erscht due hani gmerkt, dass i jo ufs eigeti Goal los bi. I ha ä SunDr Garrincha hät sini Kapriole immer am Rand triebe, am rächte Flüneschtich gha! Wie d’Schwizer adr Wältmeisterschaft dähei im 54i, idr gel, wiler inere Vorschtadt ufgwachse isch und bi ‹Botafogo› gschpillt Hitzeschlacht vo Losann, wos vo de Öschtricher 5:7 ufe Sack übercho hät. Das heisst ‹Brandschtifter›. Und genau das isch dr Garrincha gsi, ä händ. Nachdem mier i vier Minute 3:0 gfüehrt gha händ – zwei dr HüBrandschtifter. Dä hät Stadie azündt, hät gsoffe wines Loch, isch aber gi und eis dr Ballaman – händ d’Özis i nün Minute füf – füf! – Gol vor de ville Lüt gflohe, wilen irgendwo ä Ball grüeft hat, ä Musig, ä schögschosse und am Schluss hänz 5:7 gwunne! ni Frau … Do häts uf dr Pontaise z’Losann am Abig am füfi, wo z’Schpiel apfifUnd äso hätme mier gseit: Garrincha! Weisch wie!? fe worde isch, 40 Grad gha! Weisch wie, do häsch äs Ei im Hosesack Ä Sieger? Jo chasch tänke, ä Verlürer, wo Glügg gha hät. Aber z’Glügg chönne choche! häts so a sich, dasses nie lang duret. Und drum isch dr Garrincha im Suff Du, do isch d’Schwiz im Viertelfinal gsi – äs Riesedrama! Dr Schwigstorbe, verarmt und ällei. Weisch wie!? zer Riegel, wo d’Italiener nachäne nachegmacht händ, dr Catenatscho, Jetz muesch luege, dr Shaqiri … isch wienes Schoggolädli a dr Sunne verloffe. Dr Bocquet hät ebe au ä ■ Sunneschtich gha, und dr Parlier hät siebe Mol müesse hindere griffe. Aber dr Bocquet hät nöd nur ä Sunneschtich gha, sondern au no ä Ghirntumor, wies nach dr WM feschtgschtellt händ, und dä hänzem dänn nochäne usegno, und dänn isches dänn wieder gange. Dr Casali, än Ybler ufem linke Flügel, äber hät überhaupt keis ProMax Rüdlinger geboren am 3. April 1949, anblem gha: Är hät gseit, är heg vorane no Bluet- und Läberwürscht mit sässig in Zürich, Schauspieler und Autor, spielRöschti gässe und d’Bei mit Schnaps igriebe, do sigme nochäne vill wäte in Filmen wie ‹«Achtung fertig, Charlie» und niger empfindlich. «Hugo Koblet – Pedaleur de Charme». Ds Toupe aber isch gsi, dass z’6:4 vo de Öschtricher us Absitsposizion 2007 erschien «Das Recht auf Memoiren» und gschosse worde isch! Nöd absitisverdächtiger Posizion, A b s i t s ! Das im vergangenen Herbst im Bilgerverlag «Verhänds sälber müesse zuegä! Dr Schiedsrichter, die Pfife, hät wahrschinreist». li au ä Sunneschtich gha und weisch, wie dä gheisse hät? Faultless, Edward Faultless, dr Edi Fählerlos, än Schott, das isch doch än Witz! Fäh-
Fällt dieses Jahr aus VON MILENA MOSER
te sich etwas hinter dem Kassentisch. Klara trat einen Schritt zurück, für Es war noch dunkel, als Klara die steile Gasse zur Altstadt-Buchden Fall, dass es doch ein Einbrecher war, der sich dort versteckt hatte. handlung hinaufging. Sie wollte die letzten Bestellungen erledigen, beDoch die Hand, die blind über die Theke nach dem Telefonapparat tasvor der Ansturm der Kunden begann. Es war der 24. Dezember. Klara tete, war manikürt und beringt. Sie gehörte keinem Einbrecher. Sie gewürde durcharbeiten bis vier, dann noch eine Stunde aufräumen oder hörte Frau Gambino, die sich jetzt mühselig hochrappelte. Ihr gelbes zwei, dann – nichts. Haar, das Klara immer an das einer Puppe erinnerte, war zerzaust, die Weihnachten fand dieses Jahr nicht statt. Jedenfalls nicht mit ihr. Schminke in ihrem Gesicht verrutscht wie eine Maske. Klara wartete geDabei war der Heilige Abend immer ihr Fest gewesen. Lange, bevor duldig, bis ihre Chefin den Telefonhörer gefunden und abgehoben hatte. sie Kinder bekommen hatte. Schon in der WG hatte sie auf einem Baum «Nathalie», sagte sie. «Frau Gambino, hallo, ich bin’s. Klara!» bestanden, auf glitzerndem Schmuck und Kerzen, auf einem schönen «Klara?» Essen, auf kitschiger Musik. Die keine Familie hatten oder mit ihr «Ich steh vor der Tür. Lassen sie mich herein.» zerstritten waren, die sich auf Durchreise oder weit weg von Zuhause Verwirrt schaute die Frau sich um. Dann entdeckte sie Klara im befanden, sassen am 24. Dezember mit Klara um den langen Tisch, beSchaufenster und winkte erfreut. Dabei fiel ihr der Telefonhörer aus der wunderten den Baum, der mit glitzernden Barbiepuppenschuhen geHand. Sie muss betrunken sein, dachte Klara und seufzte. Ihre Chefin schmückt war, und sangen «Jingle Bells». kam ihr öfter etwas beeinträchtigt vor. Trotzdem hatte Klara ihre Chefin Dann hatte sie geheiratet und Kinder bekommen, die Puppenschuhe in den letzten Jahren fast gegen ihren Willen ins Herz geschlossen. Sie durch selbst gebastelte Strohsterne ersetzt, eine Krippe mit Knetfiguren hatte eine sture Unbeirrbarkeit, die Klara beeindruckte. Und auch jetzt bevölkert, den Tannenbaum auf der Gitarre begleitet. Nach der Scheidung war Klaras Tisch wieder grösser geworden, die Splitterfamilien erholten sich bei ihr, man koch«Ich glaube, Sie machen sich lustig über mich. Aber ich te miteinander das, was man früher für die Familie gekocht hatte, die es nicht mehr gab. kann es nicht mit Sicherheit sagen, weil ich nicht nüchtern Doch dieses Jahr war alles anders. Gleich bin. Ich bin seit Jahren nicht mehr nüchtern.» drei ihrer Freundinnen hatten sich neu verliebt. Ihre Tochter flog mit ihrem Vater nach gab sie nicht auf. Sie tauchte nach dem Telefonhörer und hielt ihn dann Las Vegas. Ihr Sohn feierte mit der Familie seines Partners. Klaras Muttriumphierend hoch, wie eine Trophäe. Klara musste lachen. Sie klopfter war letztes Jahr gestorben. Niemand hatte gefragt, ob er am 24. wie te noch einmal an die Scheibe. Und schliesslich verstand Frau Gambino immer zu ihr kommen könne. Die Vorstellung, Weihnachten allein zu und schloss die Tür auf. verbringen, hätte Klara früher nicht ertragen. Heute fühlte sie sich wie «Klara!», rief sie erfreut. «Schön, dass Sie da sind. Wir müssen mitein Kind, das die Schule schwänzt. einander reden. Sie werden es nicht glauben! Wissen Sie, was das Als sie versuchte, die Ladentür aufzuschliessen, klemmte ihr SchlüsSchwein gemacht hat? Ja, Sie wussten es wahrscheinlich schon die gansel. Sie schaute durch die Fensterscheibe. Hinter der Kasse brannte ein ze Zeit. Sie sind nicht dumm!» Licht. Waren sie überfallen worden? Aber wer würde ausgerechnet eine «Setzen Sie sich doch erst mal, ich mache Kaffee.» Klara führte Frau Buchhandlung ausrauben? Gambino zu dem blauen Sofa, das in der Ecke mit den Kinderbüchern Klara trat etwas zur Seite und versuchte, die Innenseite der Ladentür für müde Mütter bereitstand. Schwer liess sich die sonst so elegante zu sehen. Frau Gambino, die Besitzerin, war die Einzige, die einen Frau hineinplumpsen. Sie streckte ihre Füsse aus, ihre Beine waren geSchlüssel hatte. Doch diese verbrachte die Feiertage normalerweise in spreizt, ihr Rock verrutscht. Klara wollte ihn zurechtzupfen, ihre Knie der Karibik. Oder war es die Südsee? Nathalie Gambino hatte die Buchzusammenschieben, sie wollte nicht, dass Frau Gambino so dasass. Obhandlung von ihrem Mann zum fünfzigsten Geburtstag geschenkt bewohl sie ja niemand sah. Sie schaute auf die Uhr. Die Bestellungen kommen. Das war zehn Jahre her. Nathalie Gambino behandelte ihre konnte sie vergessen. Sie hoffte nur, dass die Lieferungen heute nicht Kunden wie Personal und ihr Personal wie kleine Kinder. Niemand hielt verspätet kamen. Und die Aushilfe, die sie für die Geschenkverpackunes länger als drei Monate mit ihr aus, ausser Klara. Es war ein Wunder, gen angefordert hatte, etwas taugte. dachte Klara, dass die Buchhandlung Frau Gambinos Willkür überlebt Sie ging in die Küche, die gleichzeitig als Lager und Packraum dienhatte. Sie änderte das Sortiment nach ihren Launen und Interessen. te, und schaltete die Kaffeemaschine an. Kaum hatten sie sich als Spezialisten für moderne Kunst einen Namen «Sorry!» gemacht, füllte osteuropäische Literatur die Regale, nur um bald von LeKlara drehte sich um. Ein unrasierter Mann mit sehr blauen Augen benshilferatgebern abgelöst zu werden. Eine Zeitlang hatten sie sogar kam aus der Toilette. Er zog seinen ebenfalls blauen Pullover zurecht, DVDs verkauft. Im letzten Jahr hatte Frau Gambino sich auf Engel konverbeugte sich knapp und verschwand dann zur Hintertür hinaus. Klazentriert, auf Bücher über Engel oder von Engeln. Schutzengel, biblira meinte ihn «bis dann» sagen zu hören. Aber damit war sie wohl nicht sche Engel, literarische Engel. Das hatte sich vor allem in den letzten gemeint. Wochen bezahlt gemacht. Die Buchhandlung lief so gut wie noch nie. Als sie mit einem starken Espresso zum Sofa trat, hatte ihre Chefin An manchen Tagen verzeichneten sie sogar Gewinn. sich aufgerichtet. Klara entschied sich, den Mann in der Küche nicht zu Klara zog ihr Handy aus der Tasche und wählte die Geschäftsnumerwähnen. Was ging er sie an? mer. Sie hörte es im Laden klingeln. Zwei, drei, zehn Mal. Dann beweg-
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Milena Moser 1963 in Zürich geboren, veröffentlichte 1990 ihre erste Kurzgeschichtensammlung «Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord». Mit «Die Putzfraueninsel» landete sie 1991 ihren ersten Bestseller. Es folgten weitere erfolgreiche Romane und Erzählungen sowie Sachbücher. Milena Moser lebt mit ihrer Familie, nachdem sie acht Jahre in San Francisco gewohnt hat, wieder in der Schweiz. Ihr aktueller Roman heisst «Montagsmenschen», erschienen im Februar 2012 beim Verlag Nagel & Kimche. Milena Moser schreibt regelmässig Kolumnen und hat zusammen mit der Autorin Sibylle Berg und der Agentin Anne Wieser eine Schreibschule gegründet: www.die-schreibschule.com
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BILD: KATHARINA LU ̈ TSCHER
«Danke.» Nathalie trank einen Schluck Kaffee, dann sagte sie: «Was meinen Sie, warum mein Mann jahrelang so viel Geld in diesen Laden gebuttert hat?» Das hatte sich Klara auch schon gefragt. Sie vermutete Geldwäscherei. Gambino war schliesslich ein klassischer Mafianame, nicht? Doch sie entschied sich, nicht zu sagen, was sie dachte, sondern: «Weil er sie liebt. Weil er weiss, wie sehr Ihnen der Laden am Herzen liegt.» Frau Gambino schaute Klara scharf an. Dann setzte sie sich etwas aufrechter hin. «Ich glaube, Sie machen sich lustig über mich. Aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, weil ich nicht nüchtern bin. Ich bin seit Jahren nicht mehr nüchtern. Selber schuld. Aber, auch wenn sie mich jetzt auslachen: Genau das habe ich auch geglaubt. Er liebt mich, er sieht, wie viel Freude mir der Laden bereitet, auch wenn er keinen Gewinn abwirft. Und das Geld hat er ja, hab ich gedacht. Andere Gattinnen bekommen jedes Jahr ein neues Auto oder eine Operation, oder eine Einrichtung. Und ich halt ein weiteres Geschäftsjahr. Aber wissen Sie, warum er es wirklich tut?» «Wegen der Steuer?» «Pah! Die Steuer. Nein, Sie! Er bereitet die Scheidung vor. Er schafft sein Vermögen ab! Die Beträge, die er offiziell ins Geschäft steckt, sind dreimal so hoch wie die, die der Laden real erhält. Mein Laden! Er benutzt meinen eigenen Laden, um mich zu hintergehen! Diese Hinterlist! Na, der wird sich wundern. Warten Sie nur!» «M-hm», machte Klara. Sie schaute über den gelben Kopf hinweg und aus dem Fenster. Draussen warteten schon die ersten Kunden. Der letzte Einkaufstag begann, so grau und kalt wie alle anderen vor ihm. Klara schloss den Laden auf. Um zwanzig nach vier hatte sie das letzte Exemplar von Katharina Fabers «Fremde Signale» verkauft und eigenhändig in goldfarbenes Papier gewickelt. Die Aushilfe war pünktlich um vier gegangen. «Hier bitte, und frohe Festtage!» Sie blickte zu Frau Gambino hinüber, die an der Tür stand. Im Laufe des Tages hatte sie sich erholt und sogar recht kräftig mit angepackt. Jetzt versuchte sie gerade, einem Kunden zu erklären, dass der Laden schon geschlossen sei. Doch der schubste sie grob zur Seite und stürmte in den Laden. Dann zog er die Skimütze über seine sehr blauen Augen, eine echt aussehende Pistole aus der Tasche und rief: «Geld her oder ich schiesse!» Klara musste lachen. Wer sagte denn so etwas! Doch Frau Gambino begann panisch zu schreien, der Kunde liess sein Buch fallen, der Mützenmann räumte nicht nur die Kasse aus, sondern auch das Gemüsefach im Kühlschrank, das ihm Frau Gambino zuvorkommend öffnete und in dem sie offenbar die gesamten Einnahmen der letzten Woche versteckt hatte. Der Mann schoss ein paar Mal in die Luft und verschwand dann durch die Hintertür. Die Polizei kam, sie wurden befragt, einzeln und zusammen, zum Posten gefahren, Protokolle wurden erstellt und unterschrieben. So verging der Heilige Abend. Mitternacht war vorbei, als sie wieder auf der Strasse standen. «Und jetzt?», fragte Klara. Sie hatte die blauen Augen des Räubers nicht erwähnt. «Jetzt warten wir ab.» Nathalie Gambino wirkte sehr zufrieden. «Die Versicherung wird die Konten jetzt überprüfen müssen – die Steuerbehörde muss natürlich auch benachrichtigt werden …» «Ich meinte, jetzt, in diesem Moment!» «Ach so! Jetzt gehen wir zurück in den Laden und feiern!» Klara schaute den Kunden an, der mit den Schultern zuckte und nickte. «Ich hab jetzt auch nichts mehr vor», sagte er. Klara hängte sich bei ihm ein. Frau Gambino ging voraus. Sie lief immer schneller, sie hüpfte auf und ab wie ein Kind, das es nicht erwarten kann.Vor dem Laden wartete der Mann mit den sehr blauen Augen auf sie. Er hatte eine Tasche voller Geld und zwei Flaschen Champagner dabei. Weihnachten, dachte Klara. Findet also doch statt. ■
Zwei Komma acht Volt VON RALF SCHLATTER
zugeschlossen, und ich habe mich nie getraut, an die Tür zu klopfen. «Monsieur hunderttausend Volt», war der letzte Satz meines Vaters, Nur einmal. Als Maman bewegungslos in der Badewanne lag. Und «Monsieur hunderttausend Volt müsste man sein.» Dann lachte er sein mein Vater hat erst nach dem dritten Klopfen seine Bürozimmertür aufhustendes Lachen und fing an, «Nathalie» zu summen. Nach zwei Takgemacht, missmutig, hat dann aber offenbar in meinem Gesicht geleten brach er das Summen ab und war ein Weilchen still. Dann hörte sein sen, dass etwas nicht ist, wie es sein soll, ich habe nur stumm und Herz auf zu schlagen. Das war am ersten Advent. Ich sass neben ihm, wahrscheinlich kreidebleich zum Badezimmer gezeigt, und es war das in seinem Wohnzimmer. Ich hatte gerade Tee gemacht. einzige Mal in meinem Leben, dass ich meinen Vater rennen sah, die Heute ist Weihnachten, und ich gehe durch die Strasse, in der ich auffünf Meter den Gang entlang, und es war das einzige Mal, dass ich ihn gewachsen bin, und verfluche all die Lichtergirlanden und diese ganzen schreien hörte, minutenlang hat er geschrien, und in dem gekachelten Hirsche aus gebogenen Plastikschläuchen voller kleiner Glühbirnen in Badezimmer haben seine Schreie geklungen wie in einer Höhle. Seine den Vorgärten und denke mir, kein Wunder hat sein Herz aufgehört zu kleine Französin war tot, und ich sitze in diesem schweren, lederbezoschlagen, bei all dem Strom, der hier versaut wird. genen Chefsessel im Bürozimmer meines Vaters, breite sein Leben vor Was mein Vater und ich dabei natürlich ausblenden: Gilbert Bécaud mir aus und sehe das seifentrübe Wasser, darin meine tote Maman und reichten selbst hunderttausend Volt nicht. Der hatte den gleichen Jahrneben ihr der Fön. Zwölf Volt. gang wie mein Vater, 1927, und starb mit 74, an Lungenkrebs. Kurz dar«Mit der Firma um die Welt» steht auf dem Hängeregister auf meinen auf kriegte mein Vater seinen ersten Schrittmacher. Ihm gefiel dieses Knien, einzelne Blätter, darauf vergilbte Farbfotos, mein Vater im AnWort. Er verbrachte früher ganze Tage auf der offenen Rennbahn Oerlizug, in Grüppchen von anderen Männern im Anzug, mit breiten, kakon und schaute den Schrittmachern zu, wie sie auf ihren Töffs standen, hinter sich die Rennfahrer, ein ohrenbetäubender Lärm im Stadion, und ich frage mich, ob die Es war das einzige Mal, dass ich ihn schreien hörte, minunicht auch alle inzwischen an Lungenkrebs getenlang hat er geschrien, und in dem gekachelten Badezimstorben sind, stundenlang quasi dem Auspuff mer haben seine Schreie geklungen wie in einer Höhle. hinterherfahren, «jetzt habe ich auch einen Schrittmacher», pflegte mein Vater zu sagen, rierten Krawatten und dicken Koteletten an den Gesichtern, grinsend, «mal sehen, ob ich ihm nachkomme!» und lachte sein hustendes Lachen. weit weg von Frauen und Kindern, das Weltgeschehen und die GeEr nannte Nathalie nur «meine kleine Französin». Er lernte sie an eischäfte noch fest in Männerhand, «Schanghai 1974» steht unter den Fonem Kongress kennen, ich glaube, in Lyon, es muss um Energieversortos, «Las Vegas 1977» und «Wien 1978». gung gegangen sein, und das ist ja das Absurde, ein Leben lang arbeiteIch war acht, als die zwölf Volt meine Mutter umbrachten. «Wien te mein Vater, damit alle Menschen genug Strom haben, und am Ende 1978». Mein Vater an einem Tisch in einem Biergarten, den linken Arm starb er an einer Unterversorgung von läppischen zwei Komma acht erhoben, als hätte er einem Passanten die Kamera in die Hand gedrückt Volt. Nathalie war zwei Köpfe kleiner als mein Vater. Wenn er nicht zu und ihm dann noch zeigen wollen, wo man drücken muss, den rechten Hause war, redete sie französisch mit mir und ich sagte nicht Mami zu Arm um eine Frau gelegt, orange Bluse, braune, lange Haare und eine ihr, sondern Maman. Sobald er zur Tür hereinkam, und als fühlte sie riesige Sonnenbrille, sie sieht damit aus wie ein Insekt, der Blick meines sich ertappt, wechselte sie in ihr charmantes Hochdeutsch. Ich liebte Vaters geht geradewegs in die Kamera und ist eine Mischung aus Siesie, mon dieu, wie ich sie liebte. gesgewissheit und Lausbubenstreich, Wien 1978 also, ein Sommerabend Und merde alors, wie ich mich ärgere. Dass ich meinen Vater nicht offensichtlich, «c’est en septembre, que je m’endors sous l’olivier» sang über sein Leben ausgefragt habe, als er noch da war und hätte reden Gilbert Bécaud damals, und Ende September legte sich Maman in die Bakönnen. Ob er geredet hätte, ist natürlich eine andere Frage. Vielleicht dewanne. hätte mir sein Schweigen etwas gesagt. Jetzt sitze ich in seinem BüroUnd ich sitze hier und meine Augen kommen nicht von diesem verzimmer und ziehe sein Leben aus den Hängeregistern in den Schubladen gilbten Bild los und draussen schneit es und aus meinem Vater wird ein seines grossen schweren Schreibtisches. Das Bürozimmer war immer
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halb ausgelaufen, die Kontakte voller Grünspan. Vier Komma fünf Volt. Ich schaue auf, der Bus kommt. Ich bleibe sitzen. Der Bus fährt an und davon. Die Schneefallstille kehrt zurück. Ich wickle alle Figuren ein und packe sie in meine Tasche, nehme die Krippe unter den Arm und gehe los. Am Ende des Dorfes hat ein Tankstellenladen offen. Ich gehe zum Gestell mit den Batterien. Es fährt kein Bus mehr in die Stadt. Ich marschiere zwei Stunden lang, in den Armen die Krippe. Es schneit noch immer. Meine Finger werden klamm, die Füsse nass. Zwei Komma acht Volt haben meinem Vater gefehlt. Hat er gewusst, dass die Batterie in seinem Herzschrittmacher nach acht Jahren zu Ende geht? Er muss es gewusst haben. Er muss es gefühlt haben. So etwas fühlt man doch. Er muss sich geweigert haben, sie ersetzen zu lassen. Irgendetwas in ihm muss sich geweigert haben. Er hat es mir nicht gesagt. Er hat nur «Nathalie» gesummt. Ich komme nach Hause. Ich trage die Krippe ins Wohnzimmer und stelle sie auf den Tisch. Ich wickle die Krippenfiguren aus dem Seidenpapier. Als Letztes lege ich das Jesuskind in die Rindenkrippe. Links von ihm steht Maria, rechts Josef. Ein kleines, wehrloses Kind und daneben zwei fremde Menschen, mit einem Leben, von dem ich keine Ahnung habe. Meine Hände zittern, als ich die Batterie aus der Verpackung reisse und die Drähtchen anschliesse. Das rote Lämpchen glüht auf. Minutenlang sitze ich, noch immer in Jacke und Schuhen, vor diesem Bild, dieser scheinbaren Geborgenheit, in schwaches, warmes, rotes Licht getaucht. Dann erst, endlich, fange ich an zu weinen. ■
Ralf Schlatter geboren 1971 in Schaffhausen, lebt als freier Autor und Kabarettist in Zürich. Für seinen Debütroman «Federseel» (2002) und die Erzählung «Maliaño stelle ich mir auf einem Hügel vor» (2003) erhielt er diverse Auszeichnungen. Zuletzt erschien 2012 der Lyrikband «König der Welt». Fürs Schweizer Radio DRS schreibt er Hörspiele und schreibt und liest seit 2009 «Morgengeschichten» für DRS 1. Zusammen mit Anna-Katharina Rickert tritt er im Duo schön&gut auf, mit poetischem und politischem Kabarett. 2004 erhielten sie den «Salzburger Stier». Im Januar 2013 sind sie zu sehen im satirischen Jahresrückblick «Bundesordner», Ende Februar hat in Basel ihr viertes Bühnenstück «Schönmatt» Premiere.
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fremder Mensch, ein Mensch mit einem Leben, von dem ich keine Ahnung hatte, ein Mensch mit dem Arm um eine Frau, von der ich keine Ahnung habe, wer sie ist, nur dass es nicht Maman ist, und ich bekomme eine Wut auf diesen fremden Vater und ich bekomme ein Mitleid mit meiner Mutter, die mit mir zu Hause sass und mir auf französisch Gutenachtgeschichten vorlas und «Frère Jacques» sang, während mein Vater einem Passanten seine Kamera in die Hand drückte, um sich und diese Frau zu verewigen, und ich schüttle den Kopf und frage mich, warum ich Mitleid habe mit meiner Mutter, vielleicht nur, um sie nicht auch noch zu verlieren, aber noch während ich das denke, fängt auch sie an, zu verschwinden, immer kleiner wird sie und verliert sich im Schneetreiben vor dem Fenster, ein fremder Mensch, mit einem Leben, von dem ich keine Ahnung habe, nur dass sie in diesem Haus keinen Schreibtisch hatte, aus dem man es ziehen könnte, lediglich ein gerahmtes Foto im Büchergestell und in einer kleinen, silbernen Dose ein Häufchen ihrer Asche. Es ist dunkel geworden, es schneit weiter, ich lasse meines Vaters Leben liegen, stehe auf und gehe durchs Haus, und auch das Haus ist mir fremd geworden, auch wenn ich immer noch blindlings weiss, wo die Lichtschalter sind, und ich steige in den Dachstock, es stinkt nach Taubendreck, ich ziehe einen dicken Plastik weg, er ist voller Staub und toten Insekten, darunter Schachteln und Koffer und Kleidersäcke, wenn sie noch da ist, dann muss sie dort in der Ecke sein, wo sie immer stand und wo ich sie immer holen musste am vierundzwanzigsten und mich gefürchtet habe, alleine auf dem Dachstock, der Staub macht mich husten, ich schiebe eine Bananenschachtel zur Seite, ich kann kaum etwas sehen, ich taste mit der Hand nach vorne und fühle ein Stück Rinde. Mein Vater war nicht der Handwerker, hat selten mit uns gebastelt, aber die Krippe hat er sich nicht nehmen lassen. Während er aus Sperrholzplatten drei Wände ausgesägt und mit Winkeleisen in ein Bodenbrett geschraubt hat, ging ich mit Maman in den Wald, um Rindenstücke und Moos zu holen fürs Dach. Maman hatte die Figuren gekauft, sie liegen noch immer im Stall, in Seidenpapier gewickelt, ich sitze an der Bushaltestelle und warte auf den Bus, der mich nach Hause bringt, ich wickle die Figuren aus, die Maria, den Josef, ein Hirte mit einem Stab, vier Schäfchen, einen Esel, einen Ochsen und das kleine Jesuskind, und etwas hat sich mein Vater als Energieversorger auch nicht nehmen lassen, nämlich das Lämpchen, das kleine, rote Lämpchen, das von der Rindendecke hängt, mit zwei Drähtchen dran, die auf die Rückseite des Stalles führen, dort steht noch immer eine Batterie, festgeklebt am Bodenbrett,
VON DIETER MEIER
Seit Kindsbeinen ist das Bellevue für Meier ein Tatort, an den es ihn bis dato zurückzieht, immer wieder. Siebenjährig mit dem Trottinett in die Hohe Promenade, wo der Knirps unter den Gräbern des Friedhofs im immer düsteren Korridor an der Sandsteinmauer direkt neben den Toten ein erstes Memento mori erlebt. Über das Kopfsteinpflaster der Eisenbahnbrücke zum Bahnhof Stadelhofen, den Grossvater besuchen, der sich im Arbeitsmantel der Chauffeure neben dem Chrysler von Winterhalter aufgestellt hatte, auf Kunden wartete und dem Dieterchen zwanzig Rappen gab, damit er sich am Automaten neben dem Kiosk eine weisse Schokolade aus der kleinen Eisenschublade ziehen konnte. Ein paar Jahre später der gleiche Ausflug, aber jetzt am Grossvater vorbei, an die Schaukästen des Cabaret Odéon, zu denen er sich magisch angezogen vorwagte, mit der Selbstlüge, das Limmatquai hinunter, über das Central zurück an den Hottingerplatz zu fahren, tatsächlich aber dreimal um den Odéonblock kreiste, um nach jeder Runde hastig einen verbotenen Blick zu werfen auf die Photos der Nackttänzerinnen in ihren klitzekleinen Flitterhöschen und den Silbersternchen auf dem Busen, fasziniert, dass die Damen sich auszogen, hier gleich im ersten Stock und jeden Abend. So oft streifte der kleine Kerl am Kasten vorbei, dass die Künstlerin Laura Kenn, die immer wieder in Zürich im Engagement war, seine erste Geliebte wurde: blonde Sehnsucht aus Hamburg, weit weg und verboten. Zu Ostern der Schaukasten mit einem zerschlissenen rosa Tuch verhangen, nichts für den kleinen Jungen, den die Idee einer nackten Frau so verrückt machte, dass er sie nicht aus dem Hirn brachte, bis an den Esstisch zu Hause, wo die Eltern französisch sprachen, wenn sie sich über die geistige Absenz des Sohnes wunderten. Mit siebzehn Jahr, blondem Haar, die Rämistrasse runter zum Café Maroc und ans Bellevue in der Hoffnung, die Gymnasiastin Fräulein S. zu treffen. Nach der Matura dann zu den Bieren im Odéon, das dem Tau-
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Dieter Meier 1945 in Zürich geboren, begann seine berufliche Laufbahn als PerformanceKünstler und experimenteller Filmemacher. 1979 gründete er zusammen mit Boris Blank die Musikgruppe YELLO, die als Pionier der elektronischen Popmusik gilt. Er veröffentlichte zahlreiche literarische Arbeiten, 2006 erschien «Hermes Baby» im Ammann-Verlag, 2011 das Kinderbuch «Oskar Tiger» bei Kein & Aber, 2011 «Out of chaos – ein autobiographisches Bilderbuch» im Edel Verlag und die Monografie «Works 1968 – 2011 and the Yello years» im Verlag der Buchhandlung Walther König. Dieter Meier lebt in Kalifornien und Argentinien, wo er biologischen Landbau, Rinder- und Schafzucht sowie Weinbau («Ojo de Agua», «Puro») betreibt. SURPRISE 290/12
BILD: ZVG
Bellevue retour
genichts für gute fünf Jahre zum Kosmos wurde, in dem er sich vor der Welt verschanzte am Spieltisch, einer Sucht verfallen, die keine Zeit lässt für die Frage nach dem Sinn des Herumkrebsens auf diesem Planeten. 1968 Agitation und Blockade des ganzen Platzes. Meier-endlich-Sinn auf der Brücke eines Kleinlasters, von dem aus das Obergericht mit Farbeiern beschmissen wurde zur Eröffnung des ersten Bordells der Stadt Zürich im sauberen Gerichtspalast mit Justizia, der grossen Hure der Klassenjustiz. Krächzend verzogen das Politgeschrei aus dem Megaphon, grosses Hupkonzert am Bellevue, bis die Polizei die unbewilligte Demonstration auflöste und die Akteure nach dem Stress der Tat im Hinteren Sternen den wohlverdienten Schnaps ins System rollen liessen und wichtig auf die Verhaftung warteten, die dann doch nicht erfolgte. Später im Jahr noch einmal Strassentheater und Sperren der Einfahrt Limmatquai zum Bellevue mit dem Heuwagen eines ultralinken Bauern, auf dem für drei Stunden en suite das Trauerspiel eines Frauenlebens gegeben wurde, mit Versteigerung der Kostüme der Unterwerfung, bis hin zum Brautkleid. Meier als Auktionator am Mikrophon, das kleinzynische Spiel kommentierend, und diesmal endlich die ersehnte Verhaftung, aber nur zur Einvernahme. Nachher nie mehr was gehört von Gendarmen und Untersuchungsrichtern, die er sehnlichst gerne im Gerichtssaal zur Weissglut gebracht hätte. Nach dem Ringen um Bedeutung als Anarchiste de salon dann endlich der erste bewusste Leerlauf auf dem Bellevue, der nichts mehr vorgab als eben Leer-Laufen, hin und her in schwarzen Klamotten über eine vorher vermessene Strecke von zwanzig Metern, direkt vor dem Tramhaus und gewichtig angekündigt im Tagesanzeiger mit dem Bild des ernsten Protagonisten. Zu dieser Zeit auch Flaschenbiere im Morgengrauen, mit dem grossen Poeten Stefan Sadkowsky, der aus dem ungeschriebenen Roman «Schwamm und Narbe» rezitierte, bis das Bahnhofbuffet um 05:00 die ersten Stangen ausschenkte, die Meier-Saudurst in sich hineinsog wie die Kühe das Wasser am Brunnen. Und jetzt ein Zeitschnitt von ein paar Dutzend Jahren im Leben von Meier-Zufall, bis er am Bellevue wieder auftaucht, das ihm Heimat ist wie dem Bergbauern die Berge. Rasiert und ausgeschlafen erscheint er im gleichen Morgengrauen in der Cafeteria, wo früher die runden, hellbraunen Bänke des Warteraums standen, um einen Café zu bestellen und mit einem alten Zockerkollegen Bruchstücke der Erinnerung an den Platz zusammenzusetzen. Meier-taufrisch kommt sich vor wie eine Gemeinheit gegenüber den Damen und Herren, die eine Freinacht auf dem Zähler haben und nach reiflicher Überlegung dann doch keinen Cappuccino bestellen, sondern die geniale Stange Hell, die durch den Gaumen zischt als gäbe es den späten Morgen nicht, an dem die Zecher ihren Hangover pflegen, der sie wie damals den Schreiber mit dem Tanz der glühenden Ameisen im Hinterkopf stundenlang und gründlich verhöhnt. Jetzt ist das Bellevue umgebaut und der kleine Meier, über Nacht auch schon im Seniorenalter, wird den «Zentral-Platz» seiner Jugend immer wieder aufsuchen, bis sein Gastspiel auf dem Planeten zu Ende geht. ■
Strahlende Nacht VON TIM KROHN
«Mit dem Kind kann ich das Theater vergessen», sagte Jlien. «Und ich Jlien Meinhard hatte schon immer schnell gefroren, doch seit sie bin viel zu jung für ein Kind.» wusste, dass sie schwanger war, hörte es gar nicht mehr auf. Sie hatte «Ich war auch vierundzwanzig, als ich mit dir schwanger wurde», erim Jahr davor in Zürich die Schauspielschule abgeschlossen, hatte ein innerte sie Doris, nachdem sie Maschen nachgezählt hatte. Debütantinnen-Jahr am Essener Schauspiel hinter sich (ihr Vertrag war «Und was ist aus dir geworden?» nicht verlängert worden) und in jenem Jahr viel Liebeskummer erlitten. Darauf sagte ihre Mutter nichts. Sie war fein von Gestalt, hatte grosse, kindliche Augen und trug einen Bu«Ich kann kein Kind allein grossziehen», erklärte Jlien, «ich brauche bikopf. Sie war an der Schauspielschule die Frau gewesen, die alle haben einen Mann.» konnte und die keinen wollte, weil sie sich selbst noch nicht als Frau sah. «Ich helfe dir», antwortete Doris. «Und bei deinem Aussehen findest Erst im letzten Jahr hatte sie eine komplizierte Beziehung zu einem du auch mit Kind einen guten Mann.» ihrer Sprecherzieher angefangen, der mehr als doppelt so alt wie sie «Du hast auch keinen gefunden.» war, ein brachialer, unreifer Mensch, doch er war auch doppelt so «Ich habe keinen gesucht.» schwer, und sie liebte es, von ihm im Arm gehalten zu werden. Er war Etwas später gingen sie in die Hotelhalle, Jlien bestellte einen Latte allerdings auch bekannt für seine Affären mit Studentinnen, und kaum macchiato mit doppeltem Espresso. «Vielleicht kurbelt das den Kreislauf war sie nach Essen abgereist, schlief er mit einer Studentin aus dem eran», sagte sie. «Sieh mich nicht so an, ich muss keine Rücksicht nehsten Jahr. Trotzdem stellte er Jlien eifersüchtig nach, phasenweise rief er men. Ich werde dieses Kind nicht kriegen.» sie alle paar Stunden an, vor allem nachts (dabei erschöpfte sie das Engagement so sehr). Doch auch Jlien fiel es schwer, ihn hinter sich zu lassen. Als sie nach Nach heftigem Streit trennten sie sich Mitte Dezember, zehn Zürich zurückkehrte, zwängte sich eine EntTage später stellte sie fest, dass sie schwanger war. scheidung auf: Sie wollte bei ihm einziehen (vorübergehend schlief sie in ihrer alten WG «Teilen wir uns ein Stück Kuchen?», fragte Doris. Sie fragte jeden auf dem Sofa), er fürchtete ihre Kontrolle. Nach heftigem Streit trennten Nachmittag, doch sie bestellten nie Kuchen. sie sich Mitte Dezember, zehn Tage später stellte sie fest, dass sie Die Nächte waren lang (deshalb standen sie auch sehr früh auf), Doschwanger war. Seither fror sie. ris träumte stets heftig, Jlien lag auf dem Rücken, musterte die matten Im Thurgau, in dem sie aufgewachsen war, lebte noch ihre Mutter, Schatten an der Decke und fühlte, wie etwas Fremdes in ihr nistete und Doris Meinhard, sie arbeitete als Bürofachfrau in einer Möbelfabrik. ihr alle Wärme raubte. In der dritten Nacht, nachdem Doris mehrmals Über die Feiertage fuhr Jlien zu ihr, sie feierten wie stets ein stilles im Schlaf geschrien hatte (sie träumte oft von jenem Unglücksfall), zog Weihnachtsfest zu zweit. Jliens Vater, ein deutschstämmiger SüdafrikaJlien sich wieder an – der Kälte wegen hatte sie sich nur halb ausgezoner, war nach Kapstadt zurückgekehrt, als sie sechs Jahre alt war, und gen –, nahm den Lift hinab und machte sich auf den Weg ins Dorf. sie hatte keine Geschwister (sie hatte einen kleineren Bruder gehabt, Sie musste vorsichtig gehen, die Strasse war zwar geräumt, doch nur doch der war als Dreijähriger mit dem Dreirad tödlich verunglückt). Dovom Neuschnee, darunter lag eine glatte, harte Schneeschicht, auf der ris Meinhard war eine schweigsame Frau, und obwohl sie sicherlich geman leicht ausglitt. Jlien versuchte, mit Anlauf zu rutschen, doch dafür merkt hatte, dass ihre Tochter in keinem normalen Zustand war, wartehatten ihre Schuhe zu viel Profil, also warf sie Schneebälle, bis der te sie, bis Jlien von sich aus erzählte. Danach sagte sie nur: «Fahren wir Schnee in dicken Klumpen an den Strickhandschuhen klebte. nach Vals, in der Therme wird dir wieder warm.» Es war eine ausgesprochen schöne Nacht. Tagsüber hatte es Flocken Sie buchte das nächste freie Zimmer, Anfang Januar fuhren sie, doch geschneit, so fein wie Glitter, inzwischen hatte der Himmel aufgetan. Jlien fröstelte selbst im warmen Bad. Sie teilten sich ein Zimmer im Haus Hinter den elektrischen Weihnachtssternen an den Masten der StrasSelva, zweimal täglich gingen sie in die Therme, zweimal täglich assen senlaternen erahnte sie echte Sterne. Als sie über die Brücke ging und sie – das Mittagessen liessen sie aus, dafür tranken sie in der Hotelhalle emporsah, glitt sie aus, doch es gelang ihr noch, sich aufzufangen. «GeKaffee. Die übrige Zeit sass Jlien mit angezogenen Beinen auf dem Bett, lernt ist gelernt», sagte sie sich, dachte an den Akkrobatikunterricht und sah in die dick verschneiten Lärchen vor dem Fenster, Doris sass am sehnte sich danach, wieder auf der Bühne zu stehen. Gleich verstärkte Tisch und strickte, beide schwiegen. Erst am Nachmittag des dritten Tasich das mulmige Gefühl im Unterleib. ges fragte Jlien in die Stille: «Was muss ich tun, um abzutreiben?» Sie fragte sich, wie schmerzhaft die Abtreibung sein würde, sie hatte «Ich weiss es nicht», antwortete Doris, «und ich will es auch nicht Angst davor und begann nach Zeichen zu suchen, die ihren Entschluss wissen.» SURPRISE 290/12
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BILD: YVONNE BÖHLER
fort wusste sie, das war ihr Zeichen, das war das Sternlein ihres ungestützten. In einem Schaufenster sah sie eine Weihnachtskrippe, das war, borenen Kindes, das in ihrem Bauch nicht anders flackerte und mit dem entschied sie, kein Zeichen, daneben lagen Taschenmesser, das sah Leben kämpfte. Und schon begriff sie gar nicht mehr, warum sie sich die schon mehr nach einem Zeichen aus. Als sie zum Dorfbrunnen trat und letzten Tage so verrannt hatte, schon konnte sie nichts anderes mehr aus der hohlen Hand trank (das Wasser war schneidend kalt), stellte sie denken, als dass das Kind ganz dringend ihre Wärme brauchte, dass sie fest, dass eine Marienstatue mit Kind die Brunnensäule schmückte. War das ein Zeichen? Nein, eher, dass der Schnee so dick lag, dass er auch das Jesuskind fast «Gib mir ein Zeichen», befahl sie in Gedanken dem Himmel. verschwinden liess (nur ein fettes UnterärmDer Mond stand als scharfe Sichel über dem Grat des Piz Tomül. chen und das Kinn schauten noch heraus). Als Jlien weiterging, hörte sie ein Bimmeln es in ihrem Bauch beschützen, hegen musste, dass das und nichts sonst ganz wie das Weihnachtsglöckchen ihrer Kindheit, es kam aus einem ihre Aufgabe war. Ziegenstall. «Hallo, Ziegen», sagte sie in die Finsternis und sorgte im Und plötzlich war alles ganz einfach. Auf dem Rückweg zum Hotel Stall für Aufregung. Es rumpelte, sie hörte ein sonores Meckern und versuchte sie wieder zu rutschen und sah sich schon mit ihrem Kind um dann ein dünnes, herzerweichend helles Mäh. die Wette rutschen. Als sie den Ofen einer Bäckerei roch, dachte sie mit «Ein Frühchen», dachte sie, «das überlebt die Kälte nicht.» Dann fiel klopfendem Herzen, wie bald sie mit ihrem Kind Pfefferkuchen backen ihr ein, dass es zu Ostern sowieso geschlachtet würde, auch Doris briet würde. jedes Jahr ein Osterzicklein. Im Speisesaal sass sie lange, bevor das erste Personal kam, und hatAber all das waren keine klaren Zeichen. «Gib mir ein Zeichen», bete vieles zu denken. Auch Doris kam früh (das Buffet wurde eben auffahl sie in Gedanken dem Himmel. Der Mond stand als scharfe Sichel gebaut), sie zeigte auf Jliens Latte macchiato und sagte zum Kellner: über dem Grat des Piz Tomül. Sie verliess die Dorfstrasse, setzte sich ab«Bringen Sie mir bitte dasselbe.» seits auf einen Schneehaufen, musterte die Sichel und stellte sich vor, «Für Sie auch ohne Coffein?», fragte der Kellner und wartete vergebwie ihr damit der Fötus aus dem Leib geschnitten und sie wieder zu dem lich auf Antwort, denn Doris presste erst nur die Lippen aufeinander, sie unschuldigen Kind würde, das sie bis vor ein paar Wochen gewesen brauche lange, bis sie nicken konnte, und als er in die Küche verwar, ein Kind, das Wärme verdiente, Geborgenheit, Schutz. schwunden war, brach sie in Tränen aus. Doch nach und nach verblasste der Mond (vielleicht lag es am Wind, «Ich wusste gar nicht, dass es dich so hernimmt», sagte Jlien, wähder am Berggrat den Schnee zu Schwaden aufblies), sie staunte, wie tief rend sie leicht befremdet zusah, wie Doris ihre Hände fasste, sie gegen schwarz sich der Himmel wölbte und welche Flut von Sternen darin die Lippen drückte und jeden Fingerknöchel einzeln küsste. Doris lachstand – Sterne von einer Pracht und einer Klarheit, die sie so nicht kannte nur und schüttelte den Kopf, dann betrachteten sie einander, als te. Allein die schiere Menge war unfassbar, dann waren die Sterne nicht müssten sie sich neu kennenlernen. einfach gelb, wie man sich Sterne eben vorstellt. Es gab goldene, weis«Du hast richtig Farbe im Gesicht», stellte Doris endlich fest. se und grüne, stahlgraue, blaue, sogar rötliche. Es gab die fetten und die Jlien nickte. «Mir ist auch heiss, und hungrig bin ich.» Sie stand auf ganz feinen, zittrigen, die vielleicht eben erst erglommen oder schon und ging zum Buffet, Doris ging mit, weil sie ihre Hand nicht loslassen wieder erloschen. Und dann entdeckte sie, dass die Masse der Sterne wollte. sich verdichtete, zu einer Brücke oder einem Pfad, der sich vom Piz To«Wenn es da ist», fragte Jlien, nachdem sie an den Tisch zurückgemül hinüber zum Dachberg spannte, sie begriff, dass sie die Milchstraskehrt waren, «glaubst du, Papa kommt dann mal vorbei?» se sah, von der sie nie erwartet hatte, dass man sie sehen konnte, die sie «Ich weiss es nicht», sagte Doris nur, «ich weiss es wirklich nicht.» nur aus einem Kinderbuch kannte, «Peterchens Mondfahrt», aus dem ihr Dann schwiegen sie, und jede hing ihren Gedanken nach. Vater ihr vor sehr langem vorgelesen hatte. ■ Und gleich war alles wieder da, die Sternchenwiese mit den tausend Stühlchen, auf denen die Sterne sassen, während jedes sich seiner Aufgabe widmete, ein Menschenkind sein Leben lang zu beschützen und ihm Glück zu schenken. Die Weihnachtswiese mit den Pfefferkuchenbäumen, mit Wegen aus Krachmandelkies und einer MarzipanschweiTim Krohn geboren 1965 in Nordrhein-Westnezüchterei. Am meisten geliebt aber hatte sie die lange Kette winziger falen, wuchs in Glarus auf und lebt heute als Sternenkinder, die noch kein Menschenkind beschützen durften, weil freier Schriftsteller in Zürich. Er schrieb unsie selbst erst wachsen mussten, und die doch schon heimlich zur Erde ter anderem die Romane «Quatemberkinder», hinab schielten, weil – wer weiss? – dort vielleicht gerade ein Kind ge«Vrenelis Gärtli» und «Ans Meer» (alle bei boren wurde, das ganz dringend einen Glücksstern brauchte … Diogenes). Zudem schreibt Tim Krohn immer Und eben da sah Jlien ein ganz scheues Sternlein in einer abgelegewieder für die Bühne. Für sein Schaffen wurnen Himmelsecke, in der kaum Sterne standen. Es zwinkerte und flade er unter anderem mit dem Conrad-Ferdickerte und war so winzig, dass es immer wieder ganz verschwand. Sonand-Meyer-Preis ausgezeichnet.
BILD: ZVG
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Kulturtipps
Ein neuer Mensch. Dank intensiver Lektüre.
Was würden diese Leute bloss ohne Buchclub tun?
Buch Königliches Vergnügen
DVD Freunde für’s Lesen
Alan Bennetts Erzählung «Die souveräne Leserin» ist eine Liebeserklärung an die Literatur und an die Queen – und typisch britisch.
Bücher zu verfilmen ist allgegenwärtig. Doch das Lesen eines Buches ist kaum Stoff für Filme. «The Jane Austen Book Club» ist da eine Ausnahme.
VON CHRISTOPHER ZIMMER VON NILS KELLER
Schuld sind die Hunde. Ausgerechnet ihren kläffenden Corgis hat es die Queen zu verdanken, dass sie in einem abgelegenen Teil von Schloss Windsor über den Bücherbus der Bezirksbibliothek stolpert. Pflichtbewusst, wie sie ist, entleiht sie ein Buch – und liest es zu Ende, wie man einen Teller leer isst. Eins führt zum andern, die Rückgabe des Buches zum nächsten, wobei die Queen auch gleich noch Norman, den lesefreudigen Küchenjungen und neben ihr einzigen Benutzer des Bücherbusses, zu ihrem literarischen Assistenten befördert. So nimmt das Schicksal seinen Lauf. Unaufhaltsam und sehr zum Unbehagen des königlichen Hofes wird die Queen zur leidenschaftlichen Leserin. Bald schon sieht man sie kaum noch ohne ein Buch in der Hand. Aber die Freuden des Lesens bleiben nicht ohne Nebenwirkungen: Ihren Verpflichtungen geht die sonst so Vorbildliche nur noch mit zunehmendem Unwillen nach, und ihr plötzliches Interesse an den Lesegewohnheiten von Staatsoberhäuptern und Untertanen sprengt das höfische Protokoll zwangloser Konversation. Doch obwohl ihr die Verwirrung und Ablehnung ihrer Umgebung nicht entgehen, bleibt die Queen ihrer späten Passion treu. Mit derselben Beharrlichkeit, die sie als langjährige Regentin auszeichnet, wird sie zur «souveränen Leserin», ebenso kritisch und unnachsichtig gegenüber den Büchern und ihren Autoren wie gegen sich selbst. Schliesslich findet sie (nun schon zum wachsenden Entsetzen ihrer Entourage) über das notierende Kommentieren des Gelesenen ihren persönlichen Stil, ihre Sprache, ihre ganz eigene Stimme – und das hat Konsequenzen … Alan Bennett hat mit seiner Erzählung nicht nur eine Liebeserklärung an die Literatur, sondern auch an die Queen geschrieben. Mit dem Wunschbild, das er seiner Landesherrin mit sanfter Respektlosigkeit andichtet, führt er uns exemplarisch vor Augen, wie sehr das Lesen einen Menschen verändern kann. Die Lektüre dieses mit typisch britischem Humor gewürzten Buches weckt nicht nur die Lust, sich von dieser Leidenschaft anstecken zu lassen, sondern zeigt auch eines ganz gewiss: Dass Lesen ein königliches Vergnügen ist.
Der Titel ist programmatisch zu verstehen: Wir folgen über einige Monate hinweg einer frisch gegründeten Lesegruppe, die sich allen sechs Romanen Austens widmet. Der Plan lautet: Jeden Monat ein Buch, pro Buch eine Diskussionsleiterin. Angezettelt wird all das durch die matriarchale Bernadette (Kathy Baker), die den Kummer ihrer besten Freundin Sylvia (Amy Brenneman), die verlassen worden ist, zerstreuen möchte. Hinzu kommen die unglücklich verheiratete Lehrerin Prudie, Sylvias lesbische Tochter Allegra und die Hundezüchterin Jocelyn. Ganz der glückliche Single, lädt Jocelyn eine frische Männerbekanntschaft als Ablenkung für Sylvia ein: Grigg (Hugh Dancy), radfahrender IT-Supporter und totale Jane-Austen-Jungfer, sagt zu, in der Annahme, Jocelyn wolle ihn kennenlernen. «The Jane Austen Book Club» kann schnell wie ein simpler «Chick Flick» klingen: Jane Austen verschlingen und via Lesestoff über das Leben zu schnattern, klingt etwas gar stereotyp weiblich. Dass der einzige Mann in der Runde sich primär für Science-Fiction interessiert, scheint da ins Klischee zu passen. Doch Karen Joy Fowler, die Autorin der Romanvorlage, lässt via Grigg die Gendergrenze aufweichen, als er Jocelyn erklärt, dass bekannte SciFi-Autorinnen ihre Werke unter männlichen Pseudonymen veröffentlicht haben. Ein netter Seitenhieb gegen das Schubladendenken, denn genau wie Griggs Lieblingsautorin Ursula K. Le Guin schrieb Fowler ebenfalls Science-Fiction. So weitet sich dann auch im Film der Kreis der Lesenden auf die kernigsten Männer aus. Regisseurin Robin Swicords charmante Verfilmung profitiert vom spielfreudigen Ensemble und dem Ausgangsmaterial des Bestsellers. Jede der sechs Hauptfiguren folgt einer bestimmten Jane-Austen-Heldin und sieht in den Büchern ihr Schicksal gespiegelt. Ein Buchklub als emotionale Allmend, in dem sich alle Beteiligten ausdrücken und einander näherkommen können. Nicht Gruppentherapie, sondern lesende Selbstfindung. Falls Sie noch ein Geschenk für Lesemuffel brauchen: So teilen Sie die Lesensfreude auch ohne Umblättern.
Alan Bennett: Die souveräne Leserin. Wagenbach Salto 2012.
Robin Swicord: «The Jane Austen Book Club», USA 2007, 101 Min., mit Maria Bello,
Limitierte Sonderausgabe zum 60-jährigen Thronjubiläum in blauer Seide.
Emily Blunt, Kathy Baker; Englisch, Deutsch, u. a. deutsche Untertitel, Extras:
21.90 CHF.
Audiokommentare; entfallene Szenen; Filmdokumentationen.
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SURPRISE 290/12
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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
Grosskünstler der Trauer und des Trostes: Tindersticks.
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Girod Gründisch & Partner, Visuelle Kommu-
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Paul & Peter Fritz AG, Literary Agency, Zürich
03
TYDAC AG, Web-Mapping-Software, Bern
04
Kaiser Software GmbH, Bern
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Balcart AG, Carton, Ideen, Lösungen, Therwil
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Lions Club Zürich-Seefeld
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Klimaneutrale Druckerei Hürzeler AG,
nikation, Baden
Musik Die schönsten Songs des Jahres Grossmeister der Melancholie waren die Tindersticks schon immer. Doch mit «The Something Rain» gelang ihnen 2012 ein Liederreigen von unerwarteter Leichtigkeit und zeitloser Grösse. VON RETO ASCHWANDEN
Das Drama der Tindersticks bestand lange Zeit darin, dass 1993 gleich ihr Debüt zum Meisterwerk geriet. Darauf spielten sie schummrigen Kammerpop zwischen Samt und Schimmel. Neben dem üblichen RockInstrumentarium übernahmen Hammondorgeln und Rhodes Pianos, Geigen und Bläser tragende Rollen. Englische Indieband trifft verkatert auf ein Zirkusorchester, etwa so klang das damals, dazu erzählte Sänger Stuart A. Staples mit nuschelndem Bariton Geschichten von den Verheerungen der Liebe. Damit wurden die Tindersticks zur neben Pulp besten britischen Band der Neunziger. Drei Alben hielt die Herrlichkeit an, dann war das Kammerpop-Konzept ausgeschöpft. Die Tindersticks entdeckten anschliessend den Soul, liessen Licht und Luft in ihre Stücke. Die hatten ihre Momente, verströmten aber keine Magie mehr. Und jetzt das: «The Something Rain» beginnt mit einer langen Erzählung und endet mit einem kurzen Instrumental. Dazwischen spielen die Tindersticks die schönsten Songs des Jahres. «Show Me Everything» singt Staples barmend, und ein Frauen-Chor à la Leonard Cohen erwidert aufmunternd «Show me». «This Fire of Autumn» zieht das Tempo an, Gitarrist Neil Fraser funkt mit dem Wah-Wah-Pedal dazwischen, der Drummer verteilt freundliche Klapse. Session-Schlagzeuger Earl Harvin, der seit einigen Jahren für die Tindersticks trommelt, entpuppt sich als Geheimwaffe, die Stücken wie «Slippin’ Shoes» und dem fiebrigen «Frozen» im Verbund mit Blechbläser Terry Edwards ein federndes Jazz-Feeling verpasst. Davon profitieren auch bandtypisch melancholische Stücke wie «Medicine» und das von Glockenspiel hübsch verbimmelte «Come Inside», die bei aller Traurigkeit leichtfüssig einherschreiten, statt in Schwermut zu ertrinken. Die Tindersticks spielen immer noch Rotwein-Musik, doch muss man heute nicht mehr die ganze Flasche austrinken, um sich gegen die Unbill der Zeit zu wattieren. «The Something Rain» rührt zu Tränen und spendet Trost, und wenn niemand hinschaut, lässt sich sogar dazu tanzen.
Regensdorf 08
Scherrer & Partner GmbH, Basel
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Balcart AG, Carton Ideen Lösungen, Therwil
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Psychiatrische Dienste Aargau AG (PDAG)
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Locher, Schwittay Gebäudetechnik GmbH, BS
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fast4meter, storytelling, Bern
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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen
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Schweiz. Tropen- und Public Health-Institut, BS
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seminarhaus-basel.ch ‹›
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Supercomputing Systems AG, Zürich
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AnyWeb AG, Zürich
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VXL gestaltung und werbung ag, Binningen
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Cilag AG, Schaffhausen
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Coop
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Zürcher Kantonalbank
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Kibag Management AG
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Knackeboul Entertainment
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Brother (Schweiz) AG
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Musikschule archemusia, Basel
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
Tindersticks: The Something Rain (Lucky Dog/TBA). Derzeit ist auch eine empfehlenswerte Edition erhältlich, die neben dem Studioalbum auf einer zweiten CD Liveaufnahmen der neuen Lieder aus San Sebastian enthält. Und für Freunde des analogen Wohlklangs gibt es beide Alben auch auf Vinyl. SURPRISE 290/12
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Kreuzworträtsel 1. Preis: 100 Franken Bücherbon 2. Preis: 50 Franken Bücherbon 3. Preis: 30 Franken Bücherbon
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© CONCEPTIS PUZZLES
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Sudoku
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Teuflisch schwer
Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und jedem der neun 3 x 3-Blöcke nur ein Mal vorkommen. Die Lösungen finden Sie in der nächsten Surprise-Ausgabe.
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Offenes Advents-Singen mit Georg Hausammann
Unter der Leitung von Georg Hausammann singen wir Advents- und Weihnachtslieder. Alle sind herzlich willkommen!
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Der Eintritt ist frei. Die Kollekte geht an den Surprise Strassenchor.
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21. Dezember 2012, 20 Uhr Peterskirche, Basel
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verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, U-Abonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.
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Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.
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