Generation Handy Immer auf Empfang Sicher durch Basel: Unterwegs mit einem Rheinlotsen
Willkommen im Waschküchenland – so empfangen wir Einwanderer
Nr. 293 | 1. bis 14. Februar 2013 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
Macht stark.
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Titelbild: Lucian Hunziker
Editorial hdml. lol? wtf! BILD: ZVG
Die Jugend hängt am Handy: 95 Prozent der 12- bis 19-Jährigen in der Schweiz besitzen heute eines, die meisten nutzen es täglich. Die dauernde Erreichbarkeit gehört so selbstverständlich zum Alltag wie essen, trinken und schlafen. Die meisten der heutigen Teenager werden sich kaum vorstellen können, dass es einmal eine Zeit gab, als man mit einer Hampfel 20-Räpplern ausgerüstet in eine verrauchte Telefonkabine musste, wenn man ungestört mit seiner Angebeteten telefonieren wollte. Ist das ein Problem? Für die Eltern ist es zumindest ein Deal: Die Kids erfreuen sich mehr Freiheit beim Telefonieren, SMSen und Surfen, dafür sind sie für die Erwachsenen auch permanent erreichbar – sie hängen an der digitalen Leine, wie es meine Kollegin Diana Frei nennt. Unsere Redaktorin wollte wissen, was das Handy für die FLORIAN BLUMER Jugendlichen von heute bedeutet und hat dafür Jugendliche in einer Schule getrof- REDAKTOR fen. Eines sei vorweggenommen: Auch unter den Jungen gibt es solche, die die dauernde Erreichbarkeit stresst. Auch unter ihnen ist allerdings das Argument zu hören, dass es halt notwendig sei, «für Notfälle». Lesen Sie in unserer Titelgeschichte, was das Handy sonst noch für die Schülerinnen bedeutet und warum ihr Rektor das Ganze recht gelassen sieht. Sollten Sie übrigens Mühe haben, den Titel dieses Editorials zu entziffern: Fragen Sie Ihre Tochter oder Ihren Göttibueb, oder geben Sie sich ganz einfach mit dieser Erklärung zufrieden: Es sind unter den Schülerinnen gebräuchliche Abkürzungen für den SMS-Verkehr – ein Beispiel für Kreativität und Anpassungsfähigkeit in Bezug auf neue Kommunikationsformen, schnell, effektiv, spielerisch und eigen: Sie sind Teil einer Sprache, die sich nicht an die grammatikalischen und orthografischen Gesetze der Erwachsenen hält, und die auch nicht jeder Erwachsene gleich zu verstehen braucht. Dass damit die Beherrschung der deutschen Sprache in Gefahr gerät, ist auch nicht zu befürchten – dies sei noch bei keiner Jugendsprache so gewesen, sagt Sprachforscher Heinrich Löffler. Also: Schalten Sie das Handy aus – sollten Sie nicht gerade in einem Lawinenhang sitzen, ist die Gefahr eines Notfalls in der nächsten halben Stunde wahrscheinlich gering – und stürzen Sie sich gelöst in die Lektüre. Sie werden dabei nicht nur einen Einblick in die Lebenswelt von Jugendlichen erhalten, sondern unter anderem auch miterleben, wie ein Rheinlotse durch eine der heikelsten Fluss-Stellen Europas schifft – das Rheinknie bei Basel. Sie werden Erstaunliches über die Nebenwirkungen der Pharmaindustrie erfahren, deren Firmengebäude der eben erwähnte Lotse bei seiner Fahrt passiert, und Sie werden hören, welches Bild potenziellen Zuwanderern über uns Schweizer vermittelt wird (ja, die Waschküche ist ein Thema). Wir wünschen eine entspannte Lektüre, Florian Blumer
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@vereinsurprise.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 293/13
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10 Handys Nicht ohne mein Natel BILD: DOMINIK PLÜSS
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Inhalt Editorial Was zur Hölle! Basteln für eine bessere Welt Kommunikation ohne Strom Brief aus Thessaloniki Heimweh Zugerichtet Ausgerastet Mit scharf! Minder verschleppt Starverkäufer Ghiramai Tesfai Porträt Ötzis Schmied Einwanderung Helvetia für Anfänger Wörter von Pörtner Chinesen überall Musik Les Reines Prochaines Kultur Falsche Nachrichten Ausgehtipps Mord, Freaks und Träume Verkäuferporträt Valipuram Kandiah Projekt SurPlus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP
Alison, Rahel und Meret sind 16 und haben seit fünf Jahren ein Handy. Alison ist der Meinung, ein Handy sei unverzichtbar, Rahel dagegen kann gut eine Woche ohne leben, und Meret hält damit einen täglichen Kontakt zu ihrer Freundin im Austauschjahr aufrecht. Allen gemeinsam ist, dass sie es normal finden, immer erreichbar zu sein. Die einen stresst’s, andere sind froh drum, für den Notfall. Eindrücke aus einem nervösen System namens Teenieleben.
14 Rheinlotsen Kapitän auf Abruf BILD: LUCIAN HUNZIKER
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Wenn François Gibello anheuert, hat der Kapitän Pause: Der 62-jährige ist einer der letzten Rheinlotsen der Schweiz. Auf Anfrage steuert er Tank- und Containerschiffe durchs Basler Rheinknie. Nach fast 50 Jahren auf dem Fluss kennt der ehemalige Kapitän jeden Felsen und jede Sandbank des heiklen Streckenabschnitts auswendig. Das ist auch gut so: Für Manövrierfehler hat’s im Basler Rheinknie keinen Platz.
BILD: REUTERS/JESSICA RINALDI
18 Pharma Bittere Medizin Medikamente sind ein Millionengeschäft und Pharmaunternehmen nicht zimperlich in ihren Praktiken. Ein englischer Autor und Mediziner zeigt erstmals detailliert, mit welchen Methoden die Pharmalobby ihr Geschäft betreibt. Studien, die nicht die gewünschten Ergebnisse liefern, landen in der Schublade, Aufsichtsbehörden und Patientenverbände werden unterwandert. Am Pranger steht auch die Basler Firma Roche.
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ILLUSTRATION: SOPHIE AMMANN | WOMM
1. Waschen Sie zwei geleerte Konservendosen und befreien Sie sie von der Papieretikette. Bohren Sie jeweils mit einer Ale ein kleines Loch in die Mitte des Bodens.
2. Nehmen Sie einen langen, dünnen Kupferdraht und befestigen Sie ihn am Boden der einen Dose, indem Sie den Draht innen verknoten.
3. Verlegen Sie den Draht von Ihrem Büro/Zimmer zu dem Ihres bevorzugten Gesprächspartners (Distanzen von mehreren Dutzend Metern möglich). Meistern Sie Ecken, indem Sie jeweils einen Nagel in die Wand hauen und den Draht ein paar Mal drum herumwickeln. Er darf mit nichts sonst in Berührung kommen und muss sehr straff gespannt sein.
4. Benutzen Sie Ihre Büchse abwechselnd als Mikrofon oder Hörer – und erleben Sie Kommunikation, ganz ohne Strom.
Basteln für eine bessere Welt Ob zu Hause oder im Büro, das Dosentelefon ist dem Handy in fast allen Belangen überlegen: Es ist bruch- und stossfest, bietet endlos Gratisminuten, kennt keine Empfangslöcher, schützt vor Anrufen von Telekomanbietern, die einem auch noch ein Fernsehabo verkaufen wollen und, zu guter Letzt, vor einem schlechten Gewissen, weil die Eigenproduktion garantiert, dass sich bei der Herstellung keine Chinesen aus Verzweiflung über die Arbeitsbedingungen vom Dach stürzten. SURPRISE 293/13
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Brief aus Thessaloniki Wie zu Hause VON AMIR ALI
Ich reise, weil ich rauswill. Weil die Wände um mich herum in der Heimat zu dick geworden sind. Die Augen blind, die Ohren taub geworden sind. Nichts mehr durchdringt. Weil mich nichts so fertigmacht wie das, was mich hervorgebracht hat. Weil das Sein nie so leicht so reich ist wie an einem fremden Ort. Reisen heisst viele Dinge – aber Reisen heisst immer Essen. Viel Essen. Verschiedenes Essen. Manchmal aus Langeweile, oft aus Neugier. Ich ziehe von Ort zu Ort und ziehe mir die Welt rein. Brot wird weisser und flacher und löst je länger, je mehr Gabel und Messer ab. Saucen werden weniger rahmig, dafür schärfer und schärfer. Hummus, Pilaw, Kebab, Feta, Burek, Oktopustentakel, Kabeljaurogen: Orte sind, wie sie schmecken. Das Unausweichliche geschah: Ich wurde satt. War vollgefressen. Hatte mir eine Überdosis Abenteuer in den Magen gehauen. Es keimte leise eine Sehnsucht nach dicken Wänden, tauben Ohren, blinden Augen. Heimat ist kein Ort, dachte ich. Heimat ist ein Zustand: Dasein ohne jede Aufregung. Heimat ist Gruyère auf Ruchbrot. Ovomaltine. Spaghetti mit M-Budget-Reibkäse. Meinetwegen auch das Menü für zwölf Stutz beim Inder ums Eck. Das alles hätte sich arrangieren lassen. (Nur Ovo sah ich nirgends.) Aber: Gruyère in Griechenland ist kein Gruyère. Ruchbrot gibts nicht östlich von St. Gallen. Und der Inder in Istanbul ist nicht der Inder ums Eck. Ich schlenderte, die ungestillte Sehnsucht noch immer im Magen. Plötzlich stand ich vor dem Klotz aus Glas und Stahl und Beton. Er funkelte und glitzerte. Es hätte «Glatt» darauf stehen können, oder «Sihlcity» oder «Westside». Im Klotz hatte es viele Menschen und Rolltreppen und es roch unangenehm seelenlos. Das gelbe M fand ich auf Anhieb. Ich sass an dem speckigen und wackligen Tischchen, das rote Plastiktablett vor mir. Der Cheeseburger schmeckte enttäuschend, wie er es immer tut. Nach hyperaktiver Essiggurke zwischen Pappkarton – wie zu Hause. Ich kaute und wusste: Das würde ich heute Abend mit einer ordentlichen Portion scharfer Sosse und jeder Menge Brotfladen wieder in Ordnung bringen.
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Zugerichtet Ich doch nicht! Man mochte dem Angeklagten ja von ganzem Herzen zustimmen: Behördengänge können wahrlich nervenaufreibend sein. Wenn Beamte und Beamtinnen mit amtlichem Starrsinn auf bürokratischem Unsinn beharren, immer auf Reglemente und Paragrafen verweisend, ist das zum Verzweifeln. Nicht nur, aber im Speziellen, wenn ein Bürger etwas will vom Staat, Sozialhilfe etwa. Genau das wollte der Angeklagte. Ein Leben lang hatte er geschuftet, 17 Jahre als Handwerker selbständig erwerbend. Dann blieben die Aufträge aus, und er musste einen Antrag auf wirtschaftliche Hilfe stellen. Wie sich herausstellte, hatte er sich das weit einfacher vorgestellt beziehungsweise gingen die Vorstellungen darüber, wie ihm zu helfen sei, weit auseinander. Dass man ihm die Frühpensionierung nahelegte, empfand er als Frechheit. Dass man «immer noch mehr Papier» verlangte ebenso. So deckte er die Gemeinde schliesslich mit Einsprachen ein, und man lud ihn zu einer Aussprache vor. Auch die zahlreichen Kollegen des Angeklagten waren empört über die Vorgehensweise der Frau Sozialarbeiterin. Einer machte seiner Wut brieflich Luft: «Wenn Sie so mit den Bürgern umspringen, müssen Sie sich nicht wundern, wenn unbescholtene Männer plötzlich Amok laufen.» Eine Briefbombe sozusagen, und sie detonierte ein zweites Mal, als die Sozialarbeiterin den Angeklagten umgehend kontaktierte, um den Termin zur Aussprache abzusagen. «Gut, wenn das so ist, werde ich ALLES abfackeln, ich habe im Militär nämlich gelernt, wie man sich wehrt», sagte er in ruhigem Ton. Und weiter: «Ich habe es satt, es ist genug, ich mache jetzt Schluss.»
Der Beamtin ging es nach dem Gespräch nicht gut. Nachdem sie sich übergeben hatte, stand sie bleich und zitternd im Büro ihrer Vorgesetzten und berichtete vom verstörenden Telefonat, das sie eben geführt hatte. Diese verständigte sofort die Polizei, die wiederum fackelte nicht lange, machte das Sozialzentrum dicht und verhaftete den Angeklagten. Ein Bezirksgericht verurteilte ihn zu einer milden Geldstrafe auf Bewährung wegen Drohung und Gewalt gegen Beamte. Vor zweiter Instanz bestritt der Mann weiterhin, die inkriminierenden Aussagen gemacht zu haben, und forderte einen Freispruch. Er vermutete sich als Opfer einer Verschwörung der beiden Frauen vom Sozialamt. Diese seien wohl nach seinen Einsprachen kritisiert worden und wollten ihm «eins auswischen». Er sei ein ruhiger und anständiger Mensch, sagte er zum Prozessauftakt. Zustimmendes Raunen in den Zuschauerrängen; seine Kollegen waren auch da. Der erstinstanzliche Schuldspruch: Behörden-Klüngelei, ganz klar. Nun hoffte er auf eine unabhängige Beurteilung des Obergerichtes. «Herr …», versuchte sich der Vorsitzende dazwischenzuschalten. Vergeblich, denn eines musste der Angeklagte schon sagen: Er habe dem Obergericht all diese Akten geschickt. Beweise! Und nie etwas gehört! Er erwarte von einem Gericht schon, dass es die Leute ernst nehme! «Wir nehmen Sie ernst», knurrte der Vorsitzende, «ist das alles?» War es noch lange nicht. Das Urteil fiel dann – vielleicht hätten Sie’s erraten – nicht zu seinen Gunsten aus.
YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 293/13
Abzockerinitiative Ein Trauerspiel Seit Wochen tobt der Abstimmungskampf um die Abzockerinitiative. Konsequenzen wird aber nicht das Abstimmungsergebnis haben, sondern der unwürdige Umgang der Politik mit der Volksinitiative.
Eingereicht hat Initiant Thomas Minder sein Volksbegehren vor ziemlich genau fünf Jahren, am 26. Februar 2008. Die Initiative ist in ihren Forderungen klar, Konflikte mit Grundrecht und internationalen Vereinbarungen sind bei der Umsetzung keine zu erwarten. Es sprach also nichts dagegen, die Vorlage zügig im Parlament zu beraten und dem Volk vorzulegen. Denkste. Die Damen und Herren Volksvertreter verschleppten die Abstimmung mit einer Penetranz, die an Schamlosigkeit grenzt. Immer neue Gegenvorschläge wurden präsentiert, die dann zwischen National- und Ständerat hin und her geschoben wurden. Die Taktik war offensichtlich: Die Abstimmung über die je nach Lesart populäre bis populistische Vorlage sollte erst stattfinden, wenn sich der Volkszorn gegen selbstherrliche Manager abgekühlt hat. Doch die wirtschaftlichen Eliten zeigten sich selbst nach der Finanzkrise lernresistent und blieben dadurch in ihrer Rolle als Buhmänner. Weil auch das Parlament eine Volksinitiative nicht ewig verschleppen kann, kommt es nun doch noch zur Abstimmung. Also lässt man die Propagandamaschine anlaufen, befeuert von Economiesuisse. Die Reklamewände sind zugepflastert mit Plakaten, die dem Stimmbürger auf die psychologische Tour kommen. Wohl wissend um die Popularität der Initiative, propagiert der grösste Dachverband der Schweizer Wirtschaft, «das Kleingedruckte» zu lesen. Als wäre die Initiative ein Lockvogelangebot auf einer Kaffeefahrt. Den Vogel schiesst aber jenes Plakat ab, auf dem behauptet wird, der Gegenvorschlag wirke schneller. Ob und wie schnell der wirklich wirken würde, weiss niemand, denn er unterliegt dem fakultativen Referendum, was bedeutet, dass wir vielleicht in mehr oder weniger absehbarer Zeit noch einmal über das Thema abstimmen müssten. Zudem steht der indirekte Gegenvorschlag der Idee einer direkten Demokratie entgegen: Ich möchte Ja oder Nein stimmen können und nicht die Katze im Sack kaufen.
Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 (0)61 564 90 99, redaktion@vereinsurprise.ch
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Fast vergessen geht, dass am 3. März noch zwei weitere Vorlagen anstehen: Der Bundesbeschluss über die Familienpolitik sowie die Änderung des Bundesbeschlusses über die Raumplanung. Beide Vorlagen sind von grösserer Tragweite als die Abzockerinitiative, bei der es letztlich nur darum geht, wer über die Löhne von Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten bestimmt. Doch über Raumplanung und Familienpolitik wird nur am Rande diskutiert, weil die Debatte um Minders Initiative fast alle Aufmerksamkeit absorbiert. Das ist ein Armutszeugnis für Politik und Medien. Und gefährlich: Es gibt Kreise, die das Vertrauen in die Institutionen systematisch untergraben wollen. Wenn sich das nationale Parlament bei der Minder-Initiative aufführt wie ein Kindergarten voller Trotzköpfe, hat das deshalb Konsequenzen über die konkrete Vorlage hinaus. Das Volk fühlt sich verarscht und verliert das Vertrauen in seine Vertreter. Und damit wird es noch schwieriger, Mehrheiten für wirklich wichtige Vorlagen zu finden. Ob die Abzockerinitiative angenommen oder abgelehnt wird, ist für die Zukunft unseres Landes nicht entscheidend. Gefahr entsteht der Schweiz aus den Ränkespielen und Schlaumeiereien der Politiker, die nicht merken (wollen), dass sie in der Debatte um eine eher marginale Frage ihre Glaubwürdigkeit verspielen. ■
BILD: ZVG
VON RETO ASCHWANDEN
Starverkäufer Ghiramai Tesfai Katharina Ciabuschi aus Thun nominiert Ghiramai Tefai als Starverkäufer: «Mein Surprise kaufe ich beim Coop Strättligen in Thun. Dabei ist mir Herr Ghiramai Tesfai aufgefallen, weil er stets freundlich und zuvorkommend seine Zeitschriften verkauft und sich so richtig gentlemanlike mit Verbeugung und einem Lächeln bedankt; und das bei jedem Wetter! Er grüsst auch freundlich, wenn man nichts kauft. Aus all diesen Gründen möchte ich ihn als Starverkäufer nominieren.»
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Porträt Wie vor 4000 Jahren Mit den Methoden von damals schmiedet der Berner Markus Binggeli Ötzis Beil oder keltische Ringe. Seine Nachbildungen sind international gefragt, leben kann er davon trotzdem nicht. VON MARTINA HUBER (TEXT UND BILD)
messer, oder auch römische Statuetten und Speerklingen. Einfach um zu sehen, ob er es so hinkriegt wie die Handwerker vor über 1000 Jahren. Und zwar lediglich mit den Werkzeugen, die schon diesen zur Verfügung standen. Fundbeschreibungen und Museumskataloge inspirieren seine Arbeit, «Das Gold der Helvetier» und «Das keltische Schatzkästlein» liegen stets griffbereit in der Schublade seines Holztischs. Aber auch Texte aus Mittelalter und Antike sowie die Bibel liest Binggeli, um Hinweise auf die Kunst der Metallarbeiter früherer Zeiten zu erhalten. Unterdessen haben sich die 300 Gramm Bronze verflüssigt. Das Gefäss glüht gelb, als er es aus dem Feuer hebt. Die Bronze, die er in einem dünnen Strahl ausgiesst, gleicht flüssig gewordenem Licht. In der Fachwelt ist er heute ein gefragter Experte – weit über die Schweiz hinaus. Archäologen ziehen ihn bei. Museen verkaufen seine Rekonstruktionen. Manchmal lassen sie ihn Fundstücke nachbilden, oder sie stellen ihn ein, um sein Handwerk dem Museumspublikum vorzuführen. Seine bisher aufwendigste Auftragsarbeit – die Nachbildung des Bronzesofas eines keltischen Fürsten – tourt derzeit durch die Mu-
Kräftig pustet Markus Binggeli auf den Sandsteinblock, der auf seiner Handfläche liegt: Staub auf der Oberfläche könnte dazu führen, dass sich Blasen bilden im Beil, das er heute giessen will. Ein Beil aus 300 Gramm Bronze nach dem Vorbild eines fast 4000 Jahre alten Fundstücks – das hat ein italienisches Freilichtmuseum beim Experimental-Archäologen in Auftrag gegeben. Auch einen Dolch, ein Schwert, eine Nadel und ein Löcherbecken aus der Bronzezeit soll er bis Ende 2013 nachbilden. Mit dem Zeigefinger fährt Binggeli der Vertiefung im Sandstein entlang: Das fehlende Material hat er mit einer Feile weggekratzt, Schicht für Schicht, bis das Relief im Stein exakt die gewünschte Form hatte. Mehrere Stunden hat er dazu am Holztisch in seiner Werkstatt gesessen – denn von der Gussform hängt ab, ob die Replik gelingt: «Wenn schon die Form ein Geschwür ist, giesst du auch ein Geschwür.» Nun steht Markus Binggeli in der Schmiede, die er vor zehn Jahren in Köniz bei Bern übernommen hat. Eine Wand mit Polycarbonatscheiben und eine Tür trennen sie auf in Schmiede Während sich die Archäologen auf die Objekte an sich konzentrierund Goldschmiedeatelier. Unter dem Rauchabzug flackert ein Holzkohlefeuer, daneben liegt ten, frage er sich: Wie haben das die Menschen damals gemacht? ein unbearbeitetes Stück Sandstein. Binggeli ergreift es und pustet kräftig darauf. Es passt exakt auf den bearbeiteten seen Europas. Das Original ist nämlich so zerbrechlich, dass es nicht Stein auf seiner Handfläche. Mit einem Lederband schnürt er die beiden über weite Strecken transportiert werden kann. Steine zur fertigen Gussform zusammen und stellt sie auf die ArbeitsLeben kann Markus Binggeli von seinem Handwerk allerdings bis fläche neben dem Feuer. heute nicht. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit einer 50-ProzentWäre Markus Binggeli in der Schule weniger gut gewesen, hätte er Stelle an der Pädagogischen Hochschule Bern, wo er angehende Lehrer vermutlich ein Handwerk erlernt, wie sein Vater. Nur der guten Noten unterrichtet. Die Pädagogische Hochschule war es auch, die ihn bewegen ging der Schüler aus dem Emmental nach Burgdorf aufs Gymnazahlte, als er im Rahmen eines Forschungsprojekts im Garten des Hisium und machte die Matur. Studieren wollte er nicht – zu kopflastig. storischen Museums Bern das Sofa des Keltenfürsten nachbildete. MuNach einer Berufsberatung bewarb er sich bei der Kunstgewerbeschule seen seien meist nicht bereit, ihn für seine Arbeit dem Aufwand entund bewältigte mühelos das Aufnahmeverfahren. «Dass sich da ganz sprechend zu entschädigen: «Wenn ein Handwerker für eine Ausstelviele bewerben und nur wenige es schaffen, habe ich erst viel später gelung die Vitrinen macht, kann er seine Stunden aufschreiben. Wenn ich merkt», sagt er heute. Zugutegekommen sei ihm wohl, dass er ohne das bei meinen Rekonstruktionen mache, heisst es, ich sei zu teuer.» Fernseher und Computer aufgewachsen sei. So habe er schon als Junge Er kippt die Gussform zur Seite, löst den Knoten im Lederband, hebt ganze Abende damit zugebracht, Vögel aus Vaters Buch abzuzeichnen. den oberen Sandstein ab. Mit der Pinzette entnimmt er das Bronzebeil. Als Jugendlicher frisierte Markus Binggeli Töffli. Metall zu giessen Es glüht rot, bevor er es ins Wasser taucht. Danach lässt er das Stück in und nach seinen Wünschen zu formen begann er dann bei einem Goldseine Handfläche fallen und streicht mit dem Zeigfinger über die Oberschmied im Handwerkspraktikum, das er im Rahmen der Kunstgewerfläche, die nun rau und rostbraun ist. Um ihm die endgültige Gestalt zu beschule absolvierte. Die Arbeit gefiel ihm so gut, dass er noch Jahre dageben, muss er es noch schleifen und schmieden: Die Klinge muss breinach im Atelier des Goldschmieds ein und aus ging, um in seiner freien ter und schärfer werden, die Seiten schmaler. Und durch das Polieren Zeit Ohrringe, Armreifen und andere Schmuckstücke aus Gold, Silber und Hämmern wird das Beil den charakteristischen Glanz von Bronze und weiteren Materialien zu fertigen. erhalten. Dass er von seinem Handwerk nicht leben kann, bedeutet für Als er beim Archäologischen Dienst Bern die Arbeit als Zeichner beMarkus Binggeli auch Freiheit. Freiheit, nur die Aufträge anzunehmen, kam, merkte er, dass er insbesondere Metallobjekte mit anderen Augen die ihm Spass machen. Freiheit, auf eigene Faust die Objekte anzufertisah als die studierten Archäologen. Während sich jene auf Beschreibung gen, auf die er gerade Lust hat. und zeitliche Einordnung der Fundstücke konzentrierten, sah Markus So weiss er nun auch noch nicht, wann er das begonnene Beil fertigBinggeli bei jedem Objekt gleich auch die Arbeit, die dahintersteckte. stellen wird. Vielleicht morgen, vielleicht in einer Woche, vielleicht Immer fragte er sich sofort: Wie genau haben die Menschen das damals auch später. Heute will er mit derselben Gussform noch weitere Beile gemacht? Wie ging das ohne die technischen Hilfsmittel, die wir heute giessen. Er nimmt die beiden Sandsteine, pustet kräftig darauf und fihaben? Diese Fragen beschäftigen ihn bis heute. So fertigt er in seiner xiert sie mit dem Lederband. Und geht hinüber in die Werkstatt, um Werkstatt Objekte wie Ötzis Beil, keltische Ringe, Armreife und Bronzeexakt 300 Gramm Bronze abzuwägen. ■
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BILD: DOMINIK PLĂœSS
Handys An der digitalen Leine Das erste Handy erhalten Jugendliche im Alter von zehn oder elf Jahren. Es erleichtert den Alltag und sĂźchtig macht es selten. Aber langsam stresst es. Das sagen sogar die Teenies selber.
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VON DIANA FREI (TEXT), LUCIAN HUNZIKER UND DOMINIK PLÜSS (BILDER)
ZHAW hat gezeigt, dass etwa 95 Prozent der Jugendlichen ein Handy haben, 80 Prozent davon sind Smartphones. Die Teenies müssen nicht mehr auf den Knien unter dem Pult Zetteli schreiben oder zu Hause warten, bis die Schwester mit Telefonieren fertig ist. Sie sind mobil vernetzt. Und zwar nicht nur per Telefon, sondern – mit dem Smartphone – per Internet, man trägt ja ständig einen kleinen Computer mit sich herum. Die Schweizer sind im europäischen Vergleich besonders gut ausgestattet, in Deutschland etwa haben erst 50 Prozent der Jugendlichen ein Smartphone. Und auch die Erwachsenen in der Schweiz haben überdurchschnittlich oft eins, es ist eine Frage des Wohlstands. Rahel ist in der Pfadi, und wenn sie im Lager ist, darf sie das Handy nicht dabeihaben: «Für mich ist das kein Problem.» Ganz anders klingt es bei Alison: «Ich muss ein Natel haben. Meine Eltern wollen, dass ich erreichbar bin. Für den Notfall. Deshalb habe ich es auch immer dabei.» Bei Alison bezahlt der Götti die Rechnung, 25 bis 30 Franken sind normal, und wenn es mal 50 oder 60 Franken sind, liegt das auch noch drin. Meret hat ein Abo für 25 Franken, das übernehmen die Eltern. Was obendrauf kommt, steuert sie selber bei, das sind vielleicht fünf Fran-
«Also man fängt mit ‹Hey› an», sagt Alison. «Und dann kommt ein ‹Hey› zurück. Und dann: ‹Gg?›, ‹Gohts guet›? – ‹Wms?›, ‹Was machsch so?› – ‹Ich mach Uffzgi. Was machsch du?› – Dann schreibt der andere, was er macht, und dann ist es eigentlich vorbei.» «Ich bezahle für jede SMS 10 Rappen», sagt Rahel.* «Ich schreibe niemandem einfach so, weil mir langweilig ist. Zehn SMS kosten mich einen Franken. Letzten Monat habe ich 60 Franken ausgegeben für die SMS!» Alison, Meret und Rahel, 16 Jahre alt, sitzen in der Mensa des Basler Gymnasiums Kirschgarten, und Rahel ist der einzige «Dumb-Phone-Mensch» am Tisch, wie sie selber sagt. Dumb-Phone, dummes Telefon, im Gegensatz zum Smartphone, dem schlauen Telefon. Von Meret bekommt sie immer SMS im Stil von «Hallo?», dann die nächste: «Wie gohts?» Und wenn sie dann auf eine zurückschreiben will, kommt nochmals eine. «Dann muss ich die zuerst öffnen und lesen und kann wieder von vorn beginnen mit der Antwort. Das ist bei meinem Natel speziell blöd.» Es gibt Leute, die andere regelrecht zuspammen mit ihren Ein«Am Morgen im Tram hocken alle mit ihren Natels rum Wort-SMS, die technischen Möglichkeiten haund chatten. Das habe ich nicht nötig. So will ich nicht ben die Gewohnheiten geprägt. Fast alle haben werden.» Rahel unterdessen ein Smartphone, das den gesamten Gesprächsverlauf anzeigt, und Rahel ist ken pro Monat. Rahel bezahlt das meiste selber, aber kürzlich, da gab nun ein bisschen ausgegrenzt mit ihrem alten Feature Phone, wie das ihr die Mutter die 15 Franken, weil sie es gut fand, dass sie kein Abo ma«Dumb-Phone» eigentlich heisst. Aber das stört sie nicht weiter, chen liess. schliesslich ist es auch ein Statement: «Am Morgen im Tram hocken alle mit ihren Natels rum und chatten, sind im Internet, auf Facebook. Das Hohes Tempo, keine Geduld habe ich nicht nötig. So will ich nicht werden.» Sie ist auch praktisch Daniel Süss, Professor für Medienpsychologie an der ZHAW, nennt der einzige «Prepaid-Mensch» in ihrem Freundeskreis. Vor ein paar Wodas Handy «Medium der Autonomie»: «Man bekommt als Jugendlicher chen wollte sie sich ein Abo machen lassen und liess es doch bleiben. mehr Spielraum, darf vielleicht auch länger in den Ausgang. Und das RiIhr Handy passt eher zur älteren Generation, die es für den nüchtersiko des Festnetzanschlusses, dass jemand anderer abnimmt als man einen Informationsaustausch nutzt. Klare Frage, klare Antwort. Wie bei gentlich erreichen wollte, ist nicht mehr da.» Aber das Handy ist auch den SMS an die Eltern halt. Da muss auch die Gross- und Kleinschreiein Medium der Halbfreiheit, eine digitale Leine: Man muss den Eltern bung stimmen, und getextet wird Hochdeutsch: «Wenn ein Fehler drin Bescheid geben, wenn man später dran ist. Man muss erreichbar sein. ist, schreiben sie nicht zurück. Mein Vater hat gesagt: ‹Ich habe keine Das ist mitunter auch für den Rektor des Gymnasium Kirschgarten, wo Lust, dein Zeug zu entziffern.›», meint Rahel. Bei Freunden hat es einen Alison, Meret und Rahel zur Schule gehen, praktisch: «Wenn ich den Schreibfehler nach dem anderen. Und viele Abkürzungen. «Hdml», Verdacht habe, dass jemand schwänzt, rufe ich aufs Handy an. Und «wtf», «glg»: Man ist unter sich. zwar bewusst von der Schulnummer aus. Das nützt, auch wenn niemand abnimmt», sagt Jürg Bauer. Smartphone-Land Schweiz In den Hausordnungen vieler Schulhäuser liest man zwar Sätze wie: Alle nennen ihre Handys «Natel», auch die Smartphones, Alisons «Handys, MP3-Player und andere elektronische Geräte werden von Samsung Galaxy S II, Merets Sony Ericsson Xperia. Natel, so nannte die Schülerinnen und Schülern im Schulhaus und während der Pausen auch damalige PTT ihr Gerät der ersten Stunde. Ein Helvetismus par excelauf den Aussenanlagen nicht benützt. Die Geräte sind ausgeschaltet und lence, «NAtionales AutoTELefon» bedeutete es früher, als die PTT in der nicht sichtbar versorgt.» Im Gymnasium Kirschgarten gibt es keine solTelekommunikation noch ein rechtliches Monopol hatte und der einzichen Regeln. Rektor Jürg Bauer setzt auf den gesunden Menschenverge Mobilfunkanbieter war. Jetzt reden Meret, Alison und Rahel über ihstand, und ab und zu bietet es sich sogar an, dass man die Benutzung re «Natels», und es will so gar nicht zusammenpassen mit den Möglichin den Unterricht einbaut, etwa wenn die Geschichtslehrerin spontan im keiten des Geräts, ständig online in einer globalisierten Welt. Internet nach einem Bild suchen lässt, vom dem gerade die Rede ist. Die JAMES-Studie 2012 (Jugend-Aktivitäten-Medien-Erhebung «Der Handygebrauch ist nicht zwingend ein brennendes Thema. Man Schweiz) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften SURPRISE 293/13
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BILD: DOMINIK PLÜSS
Alison, Rahel, Meret: Egal, wer anwesend ist – übers Handy ist man immer auch mit den anderen Freunden verbunden.
«Ich kann Multitasking. Ich bin nicht so schlimm. Es liegt daran, dass darf das Handy nicht verteufeln, es ist Teil des Lebens», sagt der Rektor, eine Kollegin von mir gerade im Ausland ist.» und die Schüler seien während des Unterrichts «für einmal vernünftiger «Es gibt Gründe», sagt auch Alison, «wieso man intensiver mit dem als die Erwachsenen», die in Sitzungen nicht selten E-Mails checken, Handy beschäftigt ist, wenn man gerade einen Geliebten hat, da muss während der Kollege referiert. Das Handy sei ein gesellschaftliches Phäman halt zurückschreiben, das ist normal.» nomen, kein rein schulisches, und den Alltag der Jugendlichen habe es Medienpsychologe Daniel Süss hat in der JAMES-Studie vier Handynicht stark verändert. Nicht augenscheinlich verändert. Nutzertypen definiert: Nicht-Nutzer, zurückhaltender Nutzer, engagierVerändert hat sich aber auf jeden Fall das Tempo. Es hat sich erhöht, ter Nutzer und Verhaltenssüchtiger. Die Hälfte aller Jugendlichen in der dafür ist die Geduld gesunken. Bauer, der auch Englisch und Geschichte Deutschschweiz kann man als zurückhaltend bezeichnen, etwa 40 Prounterrichtet, meint dazu: «Man sagt heute viel schneller: Dieser Text interessiert mich nicht. Oder: Ich verstehe ihn nicht. Das ganze System ist viel nervöser ge«Wenn ich den Verdacht habe, dass jemand schwänzt, rufe worden. Vor 15 Jahren hatten Teenies tatsächich von der Schulnummer aufs Handy an.» Jürg Bauer lich vielleicht eine Stunde mehr Zeit. Der ganze Mailverkehr, die ganzen SMS gab es einfach zent sind engagierte Nutzer. Sie sind intensiv dran, aber noch nicht nicht, das kommt nun alles zusätzlich hinzu.» Manche Lehrer neigen besüchtig. Vier Prozent haben Anzeichen einer Handysucht: Man fühlt reits zum Infotainment, damit die Schüler noch dranbleiben. Aber Jürg sich sehr gestresst, wenn man das Handy nicht dabeihat, wenn der AkBauer findet, die Schule muss auch den Mut haben, zu sagen: «Lernen ku leer ist, das Netzteil vergessen. Man hat ständig das Gefühl, man ist nicht immer spannend. Diese Aufgabe fordern wir aber trotzdem ein.» müsse auf eine Nachricht sehr schnell reagieren. Man ist gestresst, wenn man nicht kann. Süss hat bei den Handysüchtigen ein spezifiStress mit leerem Akku sches Persönlichkeitsmerkmal erkannt: Sie sind impulsiv, haben eine Wenn Jugendliche Hausaufgaben machen, haben sie verschiedene geringe Selbstkontrolle. Bildschirme offen. Second Screen Generation nennt man sie, sie sitzen SMS unbeantwortet lassen zu können, heisst, Erwartungen auszuvor dem Fernseher und haben dazu das Handy und den Laptop oder beihalten. Und nichts zu überinterpretieren, obwohl die Schnelligkeit der des in Betrieb, man chattet, während man sich eine Serie ansieht. «Ich Reaktion etwas über die Beziehung aussagen könnte. Wenn lange keine finde das schlimm, wenn ich all diese Jugendlichen sehe, immer am Reaktion von der neuen Flirtbekanntschaft kommt, kann es DesinteresHandy», sagt Rahel, «ich meine auch dich, Meret –» se sein. Aber auch einfach die Tatsache, dass man im Französisch«Ich bin nicht so schlimm, wie du sagst.» unterricht sitzt. «Du schreibst SMS, während du mit mir redest.»
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BILD: LUCIAN HUNZIKER
Der Schulrektor sagt, das Handy verändere den Alltag nicht in frappantem Ausmass. Die Veränderung ist kaum sichtbar. Dafür fühlt man sie. Das Handy bedeutet ständige Verbundenheit mit Freunden, mit Fremden, mit der Welt. Chatten per Whatsapp, Bilder posten per Instagram. Bei der Internetplattform Instagram sind die Bilder mit Tags markiert, und wenn man zum Beispiel auf «beautiful» klickt, sagt Alison, «dann geht eine Seite auf mit den Fotos von allen Menschen auf der ganzen Welt, die dieses Wort auch markiert haben. Sie können dir folgen, dann werden ihnen alle deine Bilder gezeigt. Das macht auf eine Art megasüchtig.» Meret: «Eine Freundin fand mal, mir folgen nun schon so viele Leute! Und ich sagte nur: Du kennst sie nicht! Ich will eigentlich nur mit Leuten zu tun haben, die ich ab und zu sehe, mit denen ich reden kann.» Per Handy hat man auch die beste Freundin immer dabei. Es kreiert eine Art von Verbundenheit, wie sie auch die Orange-Werbung immer wieder beschwört. Meret fragt ihre Kollegin im Austauschjahr in den USA natürlich nicht nur «wms?». Hier werden Lebenswelten abgeglichen. Erlebnisse, Gedanken und Gefühle tauscht man nicht mehr tags darauf aus, sondern man teilt sie im Moment selber – wie man auch auf Facebook alles «teilt». Es ist das Teilen eines Lebensgefühls: «Ab und zu, wenn ich komisch drauf bin oder was megatoll finde, muss ich das jemandem mitteilen», sagt Rahel. «Wichtig ist, dass der andere auch zurückschreibt und die SMS nicht einfach stehen lässt. Meret hat gestern nicht zurückgeschrieben.» Meret: «Das war so eine typische SMS: ‹Mein Gott, ich lieb das Lied.› Ich war auf dem Weg zum Training und habs dann vergessen.» «Wenn ich ihr schreibe, ‹Hey, das Lied isch megatoll›, erwarte ich schon eine SMS ‹Was für e Lied?›, damit man erzählen kann.» Daniel Süss hat in Interviews Jugendliche befragt, wie sie es erleben, wenn sie in den Ferien oder in Schullagern das Handy nicht dabeihaben dürfen: «Manche Jugendliche erleben es als sehr unangenehm, wenn sie sich nur noch mit der Zwangsgemeinschaft austauschen können, die aktuell präsent ist. Und nicht mehr mit ihrer Wahlgemeinschaft, ihrem Freundeskreis, den sie selber definiert haben.»
Das Handy ist für Rahel auch Musikarchiv.
Das Handy als Teddybär liche, die es erholsam finden, in den Ferien auf das Handy zu verzichDer Forschungsbericht zum Handygebrauch der Schweizer Jugend ten», sagt Süss. aus dem April 2012 bezeichnet das Handy als Übergangsobjekt: «Über«Immer erreichbar zu sein, nervt tödlich», finden Rahel und Meret, gangsobjekte – zum Beispiel Teddybären – sind für Kleinkinder wichtig. und sie schalten wenigstens nachts ab. Rahel muss ihr Handy zu HauSie gehen damit eine Beziehung ein, um den mütterlichen Trennungsse aus dem Zimmer rauslegen, wenn sie ins Bett geht, Meret schreibt schmerz zu reduzieren. Das Handy als Kuscheltier und Fetisch für seiihrer Freundin in den USA noch «Ich geh jetzt schlafen», dann schaltet nen Besitzer, um die Trennung vom sozialen Umfeld erträglich zu gestalten?», fragt die Studie. Daniel Süss, der sie mitverfasst hat, meint: «Diese Bedeutung kann «Wenn eine Person nicht da ist, hat man vielleicht ein Foto man daran messen, wie schlimm man es finoder eine Nachricht von ihr. Das Handy hat eine Ersatzobdet, wenn ein Handy verloren geht oder gejekt-Funktion, wie ein Teddy.» Daniel Süss stohlen wird. Das hat einen ähnlichen Charakter, wie wenn etwas sehr Persönliches wie ein sie aus. Alisons Smartphone ist eh immer auf Vibrafunktion, und «weil Tagebuch verloren geht. Das Handy ist eine Art Stellvertreter. Wenn eidas Natel auch der Wecker ist», lässt sie es an. «Es ist unglaublich, wie ne Person, an der man hängt, nicht da ist, hat man vielleicht ein Foto laut das Teil ist. Der ganze Tisch wackelt mit», sagt sie, aber sie könoder eine Nachricht von ihr. Und so hat das Handy eine Ersatzobjektne es überhören. Manchmal wacht sie trotzdem auf, und manchmal, Funktion. Wie ein Teddy. Er vermittelt Sicherheit, weil er für eine geda ruft ein Kollege nachts um 3 Uhr an, «um lustig zu sein», oder ein borgene und sichere Beziehung steht.» Das Handy ist auch Tagebuch. anderer, weil er voll besoffen ist. Dann hängt sie einfach wieder auf. Und der Gesprächsverlauf ist auch Protokoll einer Freundschaft. «Wenn «Aber ich habe immer Angst, dass es mal einen Notfall gibt. Es kam man mal eine Beziehung hatte und später drüber nachdenkt», sagt Aliauch schon vor, dass meine grosse Schwester, die nicht mehr daheim son, «dann liest man die ganzen SMS durch, vielleicht 300 Nachrichten, wohnt, um 2 Uhr morgens angerufen hat, weil sie aus dem Bett gefalund am Schluss sitzt man halb heulend vor dem Natel, weil man wielen ist und sich wehgetan hat. Das mag ich nicht, wenn ich dann nicht der dran erinnert wird.» erreichbar bin.» Das Handy kann auch Stress bedeuten, «auf jeden Fall», sagt Daniel ■ Süss, das haben ihm Jugendliche in Interviews schon von sich aus gesagt. Man muss immer reagieren, schnell reagieren, man kann sich nicht einfach mal zurückziehen und für sich sein. Da draussen sind immer eine Menge Freunde, die auf Antwort warten und sich zurückgestossen fühlen, wenn nichts kommt. «Und es gibt auch bereits Jugend* Name geändert SURPRISE 293/13
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Rheinlotsen «Auf dem Wasser geht die Zeit anders» François Gibello ist einer von fünf Flusslotsen in der Schweiz. Der 62-Jährige steuert die grossen Frachtschiffe durchs enge Basler Rheinknie: einer der gefährlichsten Streckenabschnitte des 1324 Kilometer langen Stroms – und ganz Europas.
VON MENA KOST (TEXT) UND LUCIAN HUNZIKER (BILDER)
Frau», sagt der 62-Jährige, «sie hat das ganze Leben lang mitgemacht, 48 Jahre bin ich jetzt auf dem Wasser. So eine muss man erst einmal finden.»
Zähflüssig schiebt sich der Rhein durch die Stadt. Graugrüne Wassermassen ziehen am Basler Münster vorbei und fliessen zwischen den Main, Mosel, Neckar, Rhein Pfeilern der Mittleren Brücke hindurch Richtung Hafen. Dort, am «Port Gibello lebt mit seiner Frau in einem kleinen Dorf in den Vogesen, of Switzerland», über den gelben Kranen, den Silos und Tankschiffen wenige Meter von seinem Elternhaus entfernt. «Hier habe ich mein ganam Quai, ziehen Möwen ihre Kreise. zes Landleben verbracht», sagt er. Seine Mutter habe eigentlich gewollt, «Ich kann Möwen nicht ausstehen. Die machen nur Dreck», sagt dass er studiere und Lehrer werde. «Wir waren eine grosse Familie ohFrançois Gibello. Er sitzt am Küchentisch in seiner kleinen Dienstwohne Geld, sieben Kinder. Den Lehrerberuf fand sie vielversprechend.» nung in Kleinhüningen, zwei Velominuten vom Basler Rheinhafen entZwei von Gibellos älteren Brüdern waren bereits an der Schifferschule fernt. Vor ihm liegt sein Mobiltelefon. Der Rheinlotse wartet aufs nächin Strassburg, und wenn sie in den Ferien zu Hause vom Leben auf dem ste Schiff, das seine Dienste anfordert. Schiff schwärmten, hörte Gibello staunend zu. Mit 14 gab es auch für Während der Rhein in Rotterdam, wo die Schiffe ihre Fahrt beginnen, ihn kein Halten mehr, er packte seine Sachen und ging ebenfalls nach 800 Meter misst, so ist er in Basel gerade noch ein Fünftel so breit. Dies macht die Navigation zu einer kniffeligen Angelegenheit. «Eine der gefährlichsten Strecken «Damals war es normal, dass man mit 14 Jahren seine auf dem ganzen Rhein», erklärt Gibello. ObFamilie verlässt, um zu arbeiten.» wohl das Patent für diesen Rheinabschnitt relativ einfach zu erwerben wäre, übergeben Strassburg. «Damals war es normal, dass man mit 14 Jahren seine Faneun von zehn Kapitänen das Kommando lieber einem profunden Kenmilie verlässt, um zu arbeiten», sagt Gibello. Er trägt ein kariertes Hemd ner der Strecke. Fähren, Felsen, Sandbänke, Schwimmer und die fünf und schwarze Hosen aus robustem Outdoor-Stoff. Seine grau-schwarBrücken sind eine Herausforderung. Gibello: «Die Mittlere Brücke ist ein zen Haare sind sorgfältig frisiert, eine eckige Brille gleitet ihm beim ReNadelöhr. Und die Schleuse in Birsfelden ist nur gerade zwölf Meter den langsam über den Nasenrücken. breit. Die grossen Frachter sind bis zu 125 Meter lang und 11 Meter 45 «Zuerst wurde ich Matrose, dann Steuermann und mit 26 Jahren war Zentimeter breit. Da bleibt kein Platz für Fehler.» ich bereits Kapitän», erzählt Gibello, der auf der Mosel, dem Main, dem Gibello teilt sich das Lotsen-Geschäft mit vier Kollegen. Alle arbeiten Neckar und dem Rhein fuhr. Während er auf dem Schiff war, hat Martiselbständig erwerbend, koordinieren sich aber und erarbeiten gemeinne zu Hause die Stellung gehalten. «Wir haben drei Kinder. Als sie klein same Einsatzpläne. Je nach Verkehrsdichte lenken sie bis zu zehn Schifwaren, habe ich versucht, so oft wie möglich bei der Familie zu sein fe pro Tag durch ihr Revier; von der Dreirosenbrücke bis zur Schleuse in oder sie mit aufs Schiff zu nehmen. Trotzdem, ich war oft weg.» GibelBirsfelden. Wer Dienst hat, ist von fünf Uhr morgens bis zehn Uhr lo schiebt seine Brille hoch. 18 Stunden pro Tag habe man auf dem Wasabends auf Pikett. ser gearbeitet, von fünf Uhr morgens bis 23 Uhr abends. «Die Tage verHeute ist nicht viel los. Hin und wieder drückt Gibello auf eine Tagingen trotzdem wie im Flug. Auf dem Wasser geht die Zeit irgendwie ste seines Telefons. Dann leuchtet das Display auf, und das Hinteranders.» grundfoto mit seiner Frau Martine drauf erscheint. «Eine ganz liebe
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Das Velo ist François Gibellos wichtigstes Arbeitsinstrument: «Ob bei Sonne oder Schnee: So bin ich am schnellsten auf dem Schiff.»
Wieder drückt Gibello aufs Handy, Martine leuchtet auf. Durch die Nachdem Gibello 30 Jahre auf dem Fluss gearbeitet hatte, nahm er mit Zitronen bedruckten Küchenvorhänge ist der graue Himmel zu seeine Stelle als Personalchef bei einer Schiffstransportfirma an. Drei Jahhen. Es ist viel zu warm für diese Jahreszeit, ein leichter Regen fällt. Die re lang arbeitete er im Büro. «Es hat mir gefallen, meine ehemaligen KolKüchenuhr zeigt 10 Uhr 30. Dann klingelt das Telefon. legen zu betreuen und zu unterstützen. Aber dann wollte ich wieder aufs Schiff.» Da er keine Lust mehr hatte, tagelang von Martine getrennt Rheinschwimmer im Winter zu sein, hat er die ausgeschriebene Stelle als Lotse in Basel angenomKeine volle Minute später sitzt Gibello auf seinem Velo und radelt men. «So kann Martine jederzeit in meine Dienstwohnung nach Basel durch die Langen Erlen Richtung Birsfelden. Zehn Minuten später kommen. Und nach Feierabend können wir noch etwas flanieren.» stemmt er sein Velo auf Deck des holländischen Tankschiffs, das in der In den Schweizerischen Rheinhäfen in Basel, Birsfelden und Muttenz Schleuse liegt, springt selber auf und macht sich auf die Suche nach der wird jährlich ein Gütervolumen von fast sechs Millionen Tonnen und Besatzung. Die «Sol» hat 2045 Tonnen Diesel von Antwerpen in die 100 000 Containern umgeschlagen. Für den Import spielt der Hafen eine wichtige Rolle: Rund zwölf Prozent aller in die Schweiz eingeführten Güter erreichen das «Wir Kapitäne manövrieren mit einem enormen toten WinLand über den Wasserweg. «Ölprodukte, Makel. Vom Kapitänsstuhl aus sieht man die Wasseroberfläschinenteile, Kohle, Getreide, Kies, Düngermitche erst 300 Meter vor dem Bug.» tel, in dieser Reihenfolge», zählt Gibello jene Güter auf, die er am häufigsten durch Basel Schweiz transportiert und ihre Ladung in Birsfelden gelöscht. Jetzt warsteuert. Trotzdem: Das Geschäft der Lotsen läuft schlecht. Früher seien tet sie auf die Talfahrt. Ein tschechischer Matrose im blauen Übergedie Schiffe kleiner gewesen, konnten weniger laden und mussten deswand ist daran, die Taue loszumachen. Während Gibello die Treppe halb häufiger fahren, erklärt Gibello. Heute seien sie bis zu 125 Meter zum Steuerhaus hinaufgeht, wird das Wasser aus der Schleuse gelaslang und hätten oft ganze 2600 Tonnen Öl an Bord. Dazu komme das sen, und algenbewachsene Betonmauern wachsen links und rechts des häufige Hochwasser, das die Rheinschifffahrt lahmlegt. «Weil wir auf Schiffes in die Höhe. Abruf arbeiten, wissen wir nie, wie viel wir Ende Monat auf dem Kon«Heihei», sagt Gibello und nickt dem Kapitän zu, der im wuchtigen to haben.» Pro Fahrt erhält der Lotse 68 Euro, bezahlt wird er direkt vom Ledersessel im Steuerhaus sitzt. Dieser lächelt. «Wir kennen uns, gell», Schiffer. Gibello seufzt. Für dieses Geld ist er innert 15 Minuten auf dem sagt er und Gibello nickt: «Ist aber schon ein paar Jahre her.» Dann Schiff, ob es nun unterhalb der Dreirosenbrücke oder oben bei der übergibt ihm der Kapitän seinen Platz. Gibello setzt sich ans Steuer: diSchleuse Birsfelden auf ihn wartet, übernimmt das Steuer und fährt los.
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«Ein Lotse muss mit jedem Schiffstyp klarkommen» – Gibello auf Deck und am Steuer der ‹Sol›.
Beim Hafen angekommen, übernimmt der Kapitän wieder das Steuverse Knöpfe, Schalthebel, Anzeigenmonitore, ein Radar. «Jedes Schiff er. Er wendet die «Sol». Für einen Moment liegt das Schiff wie ein Rieist anders», erklärt Gibello. «Die ‹Sol› ist ein älteres Schiff mit wenig gel im Strom und nimmt fast seine gesamte Breite ein. Dann legt sie bei Schikanen. 110 Meter lang, neun Meter breit. Wir müssen mit jedem Schiff klarkommen.» Das Schleusentor öffnet sich. Langsam steuert er die «Sol» aus dem Der Radarbildschirm, der die Rheinlandschaft abzeichnet, stillen Wasser vor der Schleuse in den Strom. wirkt für Laien nicht wie eine Navigationshilfe, sondern Der Rhein hat leichtes Hochwasser, 22 Stunwie ein Rorschachtest. denkilometer sind bald erreicht. «Wo ist die Flöte?», fragt Gibello. Tief ertönt die Schiffsder Liegestelle für Gefahrengutschiffe an. Gibello schüttelt dem Kapihupe. Gibello nickt. «In Basel muss man auch im Winter mit Schwimtän die Hand: «Bis dann», verabschiedet er sich, holt sein Velo und lässt mern rechnen.» Wenn sich diese an die Regeln hielten, sei alles gut. es hinunter auf den Quai. Noch zwei Jahre will Gibello weitermachen, Aber wenn sie in die Schiffsstrasse schwimmen, wird es gefährlich: dann geht er in Pension. «50 Jahre war ich dann auf dem Wasser. Ich «Wir Kapitäne manövrieren mit einem enormen toten Winkel. Vom Kabereue es nicht. Das ist mein Leben.» pitänsstuhl aus sieht man die Wasseroberfläche erst 300 Meter vor dem Gibello radelt in seine Dienstwohnung zurück, um aufs nächste Bug.» Schiff zu warten. Die «Sol» fährt weiter. Möwen begleiten sie ein Stück. Wie ein Riegel im Strom ■ Der Radarbildschirm, der die Rheinlandschaft abzeichnet, wirkt für Laien nicht wie eine Navigationshilfe, sondern wie ein Rorschachtest. Rasch kommt die Mittlere Brücke in Sicht, das Kapitänshaus wird abgesenkt. Erst im letzten Moment lenkt Gibello die «Sol» in die Fahrrinne unter der Brücke, sonst würde sie von der Strömung weggedrückt. Der Kapitän, der bisher konzentriert aufs Wasser geblickt hat, widmet seine Aufmerksamkeit jetzt dem Rheinufer. «Aufs Meer hat es mich nie gezogen», sagt Gibello. «Auf offener See tagelang mit Autopilot zu fahren, das wäre nichts für mich. Auf den Flüssen hat man Aussicht; Städte und Dörfer, Wiesen und Wälder.» SURPRISE 293/13
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BILD: REUTERS/CHRISTIAN HARTMANN
Daten zur (Un-)Wirksamkeit von Tamiflu bleiben unter Verschluss: Severin Schwan, CEO des Basler Pharmakonzerns Roche.
Pharma Geschäft mit Nebenwirkungen Medikamente, die mehr nützen als schaden und verheimlichte Studien – ein neues Buch zeigt auf: Die Pharmaindustrie kann Ihre Gesundheit gefährden. VON KEVIN GOPAL
«Es gibt kein Problem», sagte Grossbritanniens Gesundheitsminister Lord Howe eines Morgens in einem Radiointerview auf die Vorwürfe, Pharmakonzerne würden missliebige Studienergebnisse unter Verschluss halten. Forschungsdaten würden keine verloren gehen, erklärte der Minister, die Medikamentenhersteller seien ja gesetzlich dazu verpflichtet, die Ergebnisse freizugeben. Einige Stunden später im Parlament klang es bereits etwas anders, als sein Ministerkollege Norman Lamb eingestand: «Es muss mehr getan werden, um die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse zu garantieren.»
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Herzinfarktpatienten, die tödliche Herzmedikamente erhielten, Antidepressiva, die bei jungen Leute Selbstmordgedanken auslösten und eine Rechnung von rund 500 Millionen Pfund (etwa 740 Millionen Franken) für die britischen Steuerzahler, damit die Bevölkerung mit einem Medikament gegen Grippe eingedeckt wurde, das offenbar kaum wirksamer ist als ein simples Schmerzmittel: All diese Vorwürfe sind nicht neu. Doch der Arzt, Autor und selbst ernannte «Nerd» Ben Goldacre hat sie erstmals in einem Buch akribisch dokumentiert. «Der wahre Umfang dieser mörderischen Katastrophe enthüllt sich erst, wenn alle Einzelheiten klar sind», schreibt er in «Bad Pharma». Und kommt zum Schluss: «Die Wissenschaft ist in einem industriellen AusSURPRISE 293/13
dikamente MHRA. Diese wiederum teilte mit, sie hätte sämtliche Damass pervertiert und missbraucht worden.» Nun regt sich Widerstand: ten geschreddert. Im britischen Parlament werden Fragen gestellt, das «British Medical Das EU-Parlament kritisierte die EMA scharf dafür, dass sie ihren GeJournal» bearbeitet die Schweizer Firma Roche energisch, ihre Daten schäftsführern erlaubt, kurz nach Verlassen der Agentur hochbezahlte zum Grippemedikament Tamiflu freizugeben, und der britische PharPosten in der Industrie anzunehmen. Die EMA habe die daraus entstemariese GlaxoSmithKline hat versprochen, die Rohdaten hinter ihren henden Interessenkonflikte nicht ernst nehmen wollen. Ebenfalls korVersuchen zu veröffentlichen. rumpiert sind laut Goldacre Medizinverbände, die sich weigern, wisWarum hat es so lange gedauert, bis dieser Skandal wahrgenommen senschaftliches Fehlverhalten zu verurteilen, und deren Mitglieder Mewurde? «Wie soll man die Öffentlichkeit sensibilisieren, wenn alle, auf dikamente von Firmen verschreiben, die ihnen Bewirtung oder gespondie wir angewiesen sind, versagt haben?», fragt Goldacre zurück. «Die Aufsichtsbehörden und die Medizinverbände haben nichts getan. Wir haben es mit einem Medikamentenversuche mit positiven Ergebnissen haben verschachtelten Ökosystem von Versagern zu eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, veröffentlicht zu tun, die sich gegenseitig schützen.» Tatsächwerden, als solche mit negativen. lich zeigt Goldacre in seinem Buch auf, dass die Vertuschungen System haben. Er zitiert serte Ausbildungen angeboten haben. Mitverantwortung tragen auch Studien, wonach mehr als die Hälfte aller abgeschlossenen MedikaPatientenverbände, die sich als unabhängig ausgeben – aber weitgehend mentenversuche nicht veröffentlicht werden und Versuche mit positiven von Big Pharma finanziert sind. «Die Silberrücken der Branche haben Ergebnissen eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit haben, veröffentdie Bevölkerung im Stich gelassen», sagt Goldacre, der betont, dass die licht zu werden, als solche mit negativen. Industrie auch wertvolle Medikamente herstelle, die «in einem epischen Ausmass» Leben retten, und dass es viele Leute mit guten Absichten in Placebo mit Nebenwirkungen den Firmen und Regulationsbehörden gebe. Er meint jedoch: «Manche Dies hat Folgen. Goldacre beschreibt den Fall Reboxetin, ein AntideLeute gehören ins Gefängnis. Die Öffentlichkeit muss das Problem pressivum, das er selbst seinen Patienten verschrieb, bis zuvor unveröfwahrnehmen und den Verantwortlichen die Hölle heiss machen.» fenlichte Daten aufzeigten, dass es kaum effektiver ist als ein Placebo, dafür aber schlimmere Nebenwirkungen hat als andere Antidepressiva. Hoffnung auf Insider mit Rückgrat Der Hersteller Pfizer hatte bis dahin bloss eine Studie publiziert, die Goldacres Buch brachte die Pharmaindustrie – einen der führenden zum Schluss kam, dass Reboxetin wirksamer sei als ein Placebo – und Exporteure und Investoren in die Forschung und wirtschaftliche Entsechs Studien in der Schublade verschwinden lassen, die zum gegenteiwicklung Grossbritanniens – auf die Hinterbeine. Der Verband der britiligen Schluss kamen. schen Pharmaindustrie (ABPI) nahm wie folgt Stellung: «Die Beispiele, Goldacre erzählt auch die Geschichte, wie im Jahr 2006 in London an auf die er sich bezieht, sind längst dokumentiert und veraltet, und die sechs Freiwilligen das neue Medikament TGN 1412 zum ersten Mal am betreffenden Firmen sind schon längst auf diese Fragen eingegangen.» Menschen getestet wurde. Innerhalb eines Tages hatten alle schreckliGoldacre jedoch insistiert, dass diese Stellungnahme die anhaltende che Symptome entwickelt, darunter Flüssigkeit in den Lungen, NierenWeigerung der Firma Roche, Informationen über Tamiflu freizugeben, versagen und unkontrollierbare Blutgerinnung. Alle brauchten Intensivausser Acht lasse: «Die Behauptung, all das gehöre der Vergangenheit pflege. Diese Freiwilligen kamen gerade noch mit dem Leben davon, an, ist nachweislich falsch. In dieser Stellungnahme der ABPI spiegelt aber ihre Qual hätte sich vermeiden lassen, wenn die Versuchsergebsich das ganze Problem.» nisse eines ähnlichen Medikaments ein Jahrzehnt vorher veröffentlicht Gegenüber unserem Schwester-Strassenmagazin «Big Issue in the worden wären. North» teilte ein Sprecher der ABPI mit, es sei im Prinzip empfohlene Der weltweite Verkauf von Produkten der Pharmaindustrie belief sich Praxis, dass ihre Mitglieder alle Daten, ob positiv oder negativ, veröfim Jahr 2011 auf beinahe eine Billion US-Dollar. Der Bestseller unter den fentlichen. Die ABPI anerkenne jedoch, dass alle Beteiligten noch viel Medikamenten, das Magen- und Darmmittel Nexium, setzt pro Jahr zu tun hätten, um eine grössere Transparenz sicherzustellen, und verrund 1,3 Milliarden Franken um. Für die Industrie ist die Neulancierung spreche, «mit allen Akteuren des Gesundheitssektors zusammenarbeivon Medikamenten im Vergleich zu den goldenen Jahren der Branche ten, um dies zu erreichen». Der Sprecher nannte ausserdem diverse Beschwieriger geworden. Es erstaunt darum nicht, dass sie potenzielle mühungen der Industrie in Bezug auf die Erstellung von zentralen Reneue Umsatzträger möglichst schnell zugelassen haben möchte. gistern für Medikamenten-Studien und betonte die Zusammenarbeit mit Goldacres Zorn richtet sich jedoch nicht allein gegen die Industrie, der Wissenschaft im Bereich Ethik. Er gab jedoch keine direkte Antwort sondern ebenso gegen akademische Institute, die es Kunden aus der auf die Frage, ob die ABPI eine Pflicht zur Bekanntgabe aller VersuchsPharmaindustrie erlauben, ihre Forschung mithilfe von Vertraulichkeitsdaten unterstützen würde. vereinbarungen zu verschleiern. Und er zielt auf Aufsichtsbehörden, die Goldacre misstraut den Versprechungen und dem, was er Scheinlösich eher den Herstellern als den Patienten verpflichtet fühlen und dasungen nennt, zeigt sich aber dennoch ermutigt von den jüngsten Enther nur äusserst widerwillig Informationen herausgeben. wicklungen in Richtung mehr Offenheit. Er drängt darauf, grösser anEine erstaunliche Passage in «Bad Pharma» erzählt von einer viergelegte, qualitativ bessere und transparentere Versuche durchzuführen, jährigen Blockade durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), verlangt, dass Ärzte ihre Verbindungen zur Industrie offenlegen, und erals Forscher des hochangesehenen Nordic Cochrane Centre versuchmutigt Patienten, mehr Informationen über die Mechanismen der Induten, Daten über zwei Diätpillen zu erhalten. Die EMA, verantwortlich strie einzufordern. «Ich habe grosse Hoffnung, dass Mediziner wie Akafür die Genehmigung der Arzneimittel in der EU, weigerte sich, die Dademiker nun aktiv werden und etwas gegen diese ernsthafte Gefährten herauszugeben – sie habe die kommerziellen Interessen des Herdung der Patientensicherheit unternehmen», sagt Goldacre, und: «Ich stellers zu wahren. Die Forscher beschwerten sich beim EU-Ombudshoffe, dass nun Leute mit Rückgrat in der Pharmaindustrie Stellung bemann, der der EMA befahl, die Daten freizugeben. Die Behörde weiziehen. Es gibt zu viele in ihrer Gemeinschaft, die diese Probleme eingerte sich weiter – während eines der Medikamente, Rimonabant von fach ignorieren. Und dieses Schweigen schadet den Patienten.» Sanofi-Aventis, wegen psychischen Risiken wie Selbstmord vom Markt ■ genommen wurde. Als die EMA endlich nachgab, sagte sie den Forwww.street-papers.org/INSP schern, die Daten seien bei der britischen Regulierungsbehörde für MeÜbersetzung: INSP, Bearbeitung: Florian Blumer SURPRISE 293/13
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Einwanderung Alles Käse Wie sind die denn so, diese Schweizer? Bund, Firmen und Private informieren per Broschüren und im Netz Einreisewillige darüber, was sie hier erwartet. Sie lernen: Pünktlichkeit geht uns über alles, Bier zum Fondue geht gar nicht – und am besten geht der zahlungskräftige Einwanderer als Erstes zur Bank. VON MANUELA DONATI (TEXT) UND IRÈNE MEIER (BILD)
Berge, Schoggi und Käse, das sind die drei wichtigsten Aushängeschilder der Schweiz. Dass die Tourismusindustrie sie für ihre Kampagnen nutzt, ist verständlich. Doch nicht nur Touristen kommen in die Schweiz. Der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung ist in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen. Darunter sind auch immer mehr hoch qualifizierte und karrierebewusste Ausländer. Diese Expatriates, kurz Expats, bleiben meistens drei bis fünf Jahre an einem Ort und bewegen
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sich in einem internationalen Umfeld. Aus wirtschaftlichen Gründen liegt es im Interesse der Schweizer Arbeitgeber, sie ins Land zu holen. Dass dies mit anderen Argumenten als mit Bildern von pittoresken Berglandschaften geschehen muss, ist klar. Doch wie informiert die Schweiz ihre Neo-Bewohner über den Alltag, die Sitten und die Bräuche im Land? Erste Anlaufstelle für Antworten auf diese Frage ist das Bundesamt für Migration. «Willkommen in der Schweiz», heisst es entsprechend zuoberst auf der Seite. Damit hat es sich dann aber auch mit der (BenutSURPRISE 293/13
kommt die berühmt-berüchtigte Schweizer Pünktlichkeit da vor. Auch zer-)Freundlichkeit. Die Seite, in nüchternem Blau-Grau gehalten und dem Fondue wird grosse Wichtigkeit beigemessen: «Zum Thema Fonvom Aufbau her eher schlicht, wirkt wenig einladend. Immerhin, sofern due gibt es bestimmte Regeln, die unbedingt beachtet werden müssen», man den Link dazu findet, lässt sich in diversen Sprachen eine 20-seitischreibt McLean. Man dürfe nicht überrascht sein, wenn das Servicege Broschüre herunterladen. Dieses «Begrüssungsinstrument» soll laut personal sich weigere, Bier zum Fondue zu servieren. «Die Schweizer der Homepage «gesamtschweizerisch geltende Grundwerte, Rechte und wollen dann nicht schwierig tun. Sie sind einfach der Meinung, dass es Pflichten, integrationsrelevante Botschaften gemäss der geltenden GeGetränke gibt, die dazu beitragen, das Fondue besser zu vertragen.» Die setzgebung sowie praktische Informationen zu Lebens- und ArbeitsbeQuintessenz von McLeans «Gebrauchsanweisung» ist eigentlich diese: dingungen in den verschiedenen zentralen Lebensbereichen vermitIn der Schweiz muss man sich strikt an formelle und informelle Regeln teln». Die Broschüre gehört zu den Bergen an Informationsmaterial, das halten, will man mit den Bewohnern auf gutem Fuss stehen. Natürlich Kantone, Städte und Gemeinden allen abgeben, die sich neu in der Schweiz anmelden. Und so werden die direkte Demokratie, die Vielfalt des Schweizer SchulLockt man Top-Kaderpersonal wirklich mit der Info, dass systems und die Wichtigkeit von WaschküFrauen in der Arbeitswelt eigentlich noch gar keinen chenplänen erklärt. Immer wieder fallen die Begriffe «gegenseitiger Respekt», «RücksichtPlatz haben? nahme von allen» und «offene Diskussion» – habe sie ihren Artikel mit einem Augenzwinkern geschrieben, wiegelt im Kopf bildet sich automatisch das Bild des mahnenden Zeigefingers. Catherine McLean ab, die einst für einen universitären Austausch aus Lebensläufe von Menschen in der Schweiz – Secondos, junge PowerKanada in die Schweiz kam, hier ihren zukünftigen Gatten kennenlernfrauen und Patchwork-Familien – sollen zeigen, dass hier ein jeder sein te und deshalb blieb. «Die Aufzählungen im Artikel basieren aber alle Plätzchen findet. auf meinen eigenen Erfahrungen oder den Erlebnissen von Freunden. Punkte wie korrektes Grüssen bis zum Einhalten des Waschplans sollEine männliche Welt ten beachtet werden, wenn man sich in der Schweiz zu Hause fühlen Weniger auf multikulti macht «swissinfo», die öffentlich-rechtliche will.» Nachrichten- und Informationsplattform der Schweiz. In einem «How To»-Guide werden Fakten und Infos zu den Themen Arbeit, Politik, Als Erstes zur Bank Ausbildung, Tourismus und «Daily life» geliefert. Ob dabei unbedingt Neben den offiziellen Internet-Auftritten des Bundes und den unterherausgehoben werden muss, dass erst 1990 alle Frauen der Schweiz schiedlichsten Erfahrungsberichten wenden sich auch private Unternehabstimmen durften? Auch der Satz «Die Arbeitswelt in der Schweiz ist men an Expats. So informieren zum Beispiel Comparis und die Credit eine männliche Welt» zeugt nicht gerade von der Schweiz als modernem Suisse auf ihren Homepages über das Leben in der Schweiz. Sie gehören Land – und der Beisatz «das ändert sich langsam» macht das Ganze zu den Toptreffern, wenn man bei Google den Begriff «neu in der nicht besser. Schweiz» eingibt. Während die Vergleichsplattform schnell zu den altBei einem Umzug in die Schweiz geht es um mehr als um direkte Debekannten Klischees greift – ein Info-Video gleicht einer Werbekampagmokratie und Schulsysteme. Viele Fragen kommen erst, wenn man dann ne, die Schweiz Tourismus nicht besser machen könnte –, will die Creim Land ist und feststellt, dass die Schweiz doch nicht nur aus Bergen dit Suisse die Neo-Schweizer gleich an sich binden, am besten noch vor besteht. Deshalb verlassen sich viele Expats gerne auf Erfahrungsbedem Umzug in die Schweiz. Die Bank verspricht, beim Start in der richte von Gleichgesinnten – und diese gibt es zahlreich im Internet. Schweiz zu helfen – mit einer «individuellen Banking-Lösung» versteht Zum Beispiel das Online-Magazin «Newly Swissed». Dessen Gründer Disich. Zur Rubrik «optimal einleben» gehört für die Bank an erster Stelle mitri Burkhard studierte und arbeitete während einem Jahrzehnt in den ein Besuch in einer Filiale sowie eine Beratung in Sachen Hypothek und Vereinigten Staaten und kam 2009 mit seiner japanischen Frau Mamiko Anlagen. Kein Wunder, wird die Schweiz von aussen als Bankenrepuin die Schweiz zurück. «Nach einem langjährigen Auslandaufenthalt blik wahrgenommen. erschien Altbekanntes plötzlich wieder wie neu und jede Ecke schien eiEines haben offizielle Schweizer Infokanäle, Expat-Blogs und «How ne neue Überraschung zu verbergen», erinnert er sich. Aus dieser StimTo»-Guides von privaten Unternehmen gemeinsam: Alle betonen, wie mung heraus gründete er «Newly Swissed» vor drei Jahren. Zusammen wichtig korrektes Verhalten für die Schweizer ist – ob es nun die pünktmit einem multinationalen Team von Reportern hält Dimitri Burkhard liche Einhaltung von Terminen oder den ordnungsgemässen Ablauf in die Expat-Community über Aktuelles aus der Schweiz auf dem Laufender Waschküche betrifft. Doch wollen die Schweizer im Rest der Welt den und gibt Alltagstipps. Wenn das Team Probleme mit der Waschküwirklich als das Volk wahrgenommen werden, dessen grösste Sorge es chenordnung thematisiert oder erklärt, wie man Skischuhe so anzieht, ist, dass der Nachbar zur falschen Zeit waschen könnte? Und lockt man dass sie perfekt passen und was alles zu den Pflichten einer Gotte geTop-Kaderpersonal wirklich mit der Info, dass Frauen in der Arbeitswelt hört, dann gibt das einen viel persönlicheren und echteren Einblick in eigentlich noch gar keinen Platz haben? das Leben in der Schweiz, als gutgemeinte Info-Broschüren das je verDie Sache mit der Landespräsentation ist eine schwierige. Verschiemögen. denste Interessen spielen mit und müssen berücksichtigt werden: ÖfDennoch sind auch Expats vor Klischees nicht gefeit. Dimitri Burkfentliche Stellen wollen sich von der besten Seite zeigen und die neuen hard ist sich dessen bewusst, entgegnet aber: «Unser Team deckt von Bewohner von den Vorteilen der neuen Heimat überzeugen. Arbeitgeber Spanien über Nordamerika und Japan verschiedene Blickwinkel ab. Aus buhlen um internationales Kader-Personal. Und die Expats bleiben oft diesem Grund entsteht auf ‹Newly Swissed› ein stetig wachsendes, fazu wenig lang im Land, um stereotype Vorstellungen abzulegen. Ein biscettenreiches Gesamtbild der Schweiz – wie es ja auch in der Realität so schen weniger Klischees und dafür mehr Ehrlichkeit würde der schweiist.» Zudem helfe ihm der neue Blick und die Neugier des erst kürzlich zerischen Selbstdarstellung gut tun. Doch dafür sind die Schweizer Zurückgekehrten dabei, «den eingefahrenen Klischees fernzubleiben.» wahrscheinlich zu höflich. Ein weiteres Klischee – mit einem Fünkchen Catherine McLean spielt bewusst mit den stereotypen Bildern, die Wahrheit. Ausländer von der Schweiz haben. Für das englischsprachige Schweizer ■ Newsportal «The Local» hat sie mit dem Artikel «Etiquette in Switzerland: tips and pitfalls» (Etikette in der Schweiz: Tipps und Fallen) eine Art Gebrauchsanweisung für die Schweiz geschrieben – und natürlich SURPRISE 293/13
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BILD: GUIDO SÜESS
Wörter von Pörtner Die Chinesen Ich war noch nie in China. Ich kenne keine Chinesen. Trotzdem gehen sie mir auf den Geist. Weil sie sich in jedes Gespräch, in jede Diskussion einschleichen. Nichts geht mehr ohne Chinesen. Bemüht man sich, beispielsweise, seinen C02-Ausstoss zu verringern, indem man weniger Auto fährt und kein Fleisch isst, kommt bestimmt einer, der einen auslacht: Die Chinesen lassen jeden Tag ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Da kannst du sparen, bis du schwarz wirst, dagegen kommst du nie an. Argumentiert man dafür, dass es an der Zeit wäre, die Früchte der Mechanisierung und Computerisierung zu ernten und die Arbeitszeiten ein wenig zu verkürzen, weil das Leben ja auch so schon schnell genug vorbeigeht, folgt unweigerlich der Hinweis auf die Chinesen, die sieben Tage in der Woche arbeiten,
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mindestens 16 Stunden pro Tag. Wenn wir da nicht mithalten, sind wir weg vom Fenster. Selbst die Kinder, denen man ein bisschen Kindheit gönnen möchte, ihnen erlauben, ihre Zeit mit komplett unproduktiven und pädagogisch wertlosen, allein des Pläsiers wegen unternommenen Beschäftigungen zu verbringen, werden nicht verschont. Die Chinesen nämlich halten ihre Kinder dazu an, den ganzen Tag für die Schule zu büffeln, und zwar wichtige Fächer wie Mathematik und Chemie, nicht Sackhüpfen und Heuen wie bei uns, und darum, will das arme Kind nicht dereinst als volkswirtschaftlicher Sondermüll auf einem ungern gewährten Existenzminimum dahinvegetieren, sollte es gescheiter etwas lernen. Chinesisch zum Beispiel. Mitleidiges Gelächter auch für jene, die befinden, in der Schweiz werde es langsam eng. Die Chinesen leben noch viel enger, mehr oder weniger klaglos, ihr Quadratmeterbedarf pro Person im Gegensatz zu uns ist geradezu lächerlich. Die Chinesen würden glauben, sie seien in der ersten Klasse, wenn sie morgens um sieben im Zuggang von Zürich nach Bern führen. Dieser Platz, dieser Luxus! Sogar jene, die im Stau stehen, sollten nicht klagen: Die Chinesen hatten kürzlich einen Stau, der sich erst nach fünf Tagen auflöste. Nimm das, zweite Gotthardröhre. Doch sie sind nicht nur bedrohlich, diese Chinesen. Unsere dahindümpelnden Touris-
musregionen, die partout nicht gewillt sind, die Servicequalität zu steigern oder die Preise zu senken? Die Chinesen werden es richten. Denn die kommen jetzt zu uns in die Ferien, bäumig ist das, weil sie ja auf Höflichkeit grad gar keinen Wert legen und sich Mehrbettzimmer gewohnt sind. Noch besser, sie kaufen grad die ganzen Hotels und Anlagen. Denn die Chinesen sind jetzt auch Investoren. Denn ihre Banken hatten keine Krise und mussten nicht gerettet werden vom Staat, weil sie ja schon dem Staat gehören, weil die Chinesen Kommunisten sind. Kommunisten mit Geld, noch so etwas Seltsames, das eigentlich gar nicht sein dürfte, liegt doch der Kommunismus auf dem Müllhaufen der Geschichte. Typisch Chinesen. Chinesen gibt es unglaublich viele und sie machen alles richtig, was wir falsch machen, und darum kann man über nichts mehr reden, ohne dass jemand sagt: also die Chinesen ... Das ist anstrengend und macht Hunger und darum höre ich jetzt auf und gehe etwas essen. Beim Chinesen.
STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: MILENA SCHÄRER (MILENA.SCHAERER@GMX.CH) SURPRISE 293/13
Les Reines Prochaines Voll im Saft Les Reines Prochaines machen seit 25 Jahren Musik und Performance der radikalen Art. In ihrem neuen Programm besingen sie den Sirup des Lebens und ein Dokfilm blickt zurück auf ihre aussergewöhnliche Karriere.
Sie nennen sich die nächsten Königinnen. Und das seit einem Vierteljahrhundert. Dabei ist längst klar, dass Les Reines Prochaines, die in diesen Tagen die CD «Blut» veröffentlichen und mit ihrem neuen Bühnenprogramm «Syrup of Life» auf Tournee gehen, bereits die ungekrönten Häupter des … ja, welchen Königreichs eigentlich sind? Diese Frage gab bereits 1998 Rätsel auf, als die Frauen in einer Fernsehsendung aufgefordert wurden, sich selber zu beschreiben. Die Antworten kreisten um Tierliebe ohne Vegetarismus, Gemüsesuppe, Staubsaugen auf der Bühne, aber auch um Musik. Zu sehen ist die köstliche Szene im parallel zum Album veröffentlichten Dokfilm von Claudia Wilke, die das Frauenkollektiv die letzten drei Jahre begleitet hat und aufs 25-jährige Schaffen zurückblickt. Les Reines Prochaines machen Musik, Poesie und performative Kunst – verwoben zu einmaligen Bühnenprogrammen. Dabei geht es auch um Selbstermächtigung, denn eine Frontfrau gibt es nicht: Jede Künstlerin trägt ihre eigenen Songs und Performances vor und wird dabei von der restlichen Band unterstützt. Entstanden ist die Band 1987 im Umfeld des Autonomen Jugendzentrums AJZ in Basel. «Ich hätte nie gedacht, dass es uns so lange geben würde», sagt Fränzi Madörin, die wenige Monate nach der Gründung gemeinsam mit Pipilotti Rist zur Gruppe stiess. «Wir haben die Sache immer als Projekt betrieben und uns jeweils nach einem abgeschlossenen Programm neu orientiert und formiert», erklärt Madörin. Die aktuelle Besetzung bilden neben Madörin Gründungsmitglied Muda Mathis sowie Sus Zwick (seit 1991) und Michèle Fuchs, die 1998 zur Gruppe stiess. «Vielleicht hat die Beständigkeit und Kontinuität gerade mit dem Wissen zu tun, dass man nicht ewig dabeibleiben muss», überlegt Madörin. Muda Mathis führt einen weiteren Punkt ins Feld: «Wir haben so lange überlebt, weil wir alles ignorieren», sagt sie an einer Stelle im Film grinsend. «Und weil wir bei dem bleiben, was uns interessiert.» Was Mathis nicht interessiert, ist das reine Nacherzählen der Welt: «Kunst muss ein Wagnis sein, sonst ist es nichts.» Und gewagt ist das, was Les Reines Prochaines auf der Bühne machen, bis heute. Sie singen zuweilen durchaus unmelodiös und mit ausgeprägtem Schweizerakzent in verschiedenen Sprachen. Ohne Angst vor der Blamage bringen sie mit programmatischem Dilettantismus und grosser Ernsthaftigkeit Urkomisches und Poetisches dar. Sie verkörpern auf der Bühne ein Mammut, sinnieren über Menstruationsblut als persönliches Rothko-Rot oder betrauern singend eine Leiche; die Gliedmassen derselben zur Illustration in der Hand schwenkend. Sie sind sexy und verführerisch, und das weitab von überkommenen Frauenbildern. All diese Unbekümmertheit, das Kurzentschlossene, das in umwerfende Songs von schräger Schönheit, kruder Komik und wilder Poesie mündet, ist kunstvoll verarbeitet. Auf der neuen CD «Blut» erfahren wir vom gesundheitsfördernden Aspekt des Kreisels im Gegensatz zur Ampel, von einem Alter Ego, das sich selbständig macht, und einem Mädchen aus den Bündner Bergen, das wegen der mütterlichen CannabisPlantage ein tragisches Ende nimmt. In «Please Take My Heart» ist das SURPRISE 293/13
BILD: IRIS BEATRICE BAUMANN
VON MICHÈLE FALLER
Ignoranz als Überlebenskonzept: Les Reines Prochaines.
Organ gemeint, in «Ach was würd ich gerne» schwärmen die Königinnen vom Metzgerberuf, wegen den Hackebeilgeräuschen, und in «Von Fenchel und Wurst» ist die Bigotterie der Hygiene Thema. Gesungen werden die hochoriginellen Texte auf Deutsch, Rumantsch, Spanisch und Englisch, und die Musik klingt mal nach Volkslied, mal nach sanftem Tom Waits oder moderner Klassik, immer wieder nach Kurt Weill und Bert Brecht, angereichert mit einem guten Schuss Elektropop und Rock mit Soulanleihen. Vorgetragen mit der Nonchalance und Grösse von echten Königinnen. Oder von kommenden, die ihrem Publikum als fortwährendes Versprechen hoffentlich noch lange erhalten bleiben. ■ Les Reines Prochaines: «Blut» (Unrecords) Album Release: Sa, 2. Februar, Kaserne Basel. Anschliessend Tour mit dem Live-Programm «Syrup of Life». Daten: www.reinesprochaines.ch «Les Reines Prochaines», Film von Claudia Wilke. Premiere: So, 3. Februar, 12 Uhr, Kino Riffraff Zürich (mit Minikonzert); 18 Uhr, Kino Bourbaki Luzern (mit Minikonzert); Fr, 15. und Mo, 18. Februar, 19 Uhr, Kino Metropolis, Hamburg. So, 3. Februar, 11.55 Uhr, TV SRF Sternstunde Kunst.
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Kultur
Meerjungfraugarnelen, Wasserbischöfe, Meertrolle: irgendwo da drin, ganz fest versprochen.
Friedhof mit Aussicht: Die Totengräberin von Wädenswil bei der Arbeit.
Buch Meertraumwelten
Film Das war’s
Nikolaus Heidelbach erzählt eine traurig-schöne Geschichte, in der die Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit so fliessend ist wie das Meer.
Der Tod als täglicher Begleiter: Krimiautorin Mitra Devi hat einen Dokumentarfilm gedreht, der unter die Haut geht. VON FLORIAN BLUMER
VON CHRISTOPHER ZIMMER
«Schwimmen habe ich nie gelernt, ich konnte es schon immer.» Mit diesem Satz beginnt Nikolaus Heidelbachs Buch über einen rothaarigen Jungen, der stets eine Badehose und eine Schwimmbrille trägt. Und man ahnt gleich, dass etwas anders ist in der scheinbar heilen Welt, in der der Junge lebt. Die liegt am Meer, in einem Haus abseits vom Dorf. Der Vater ist Fischer und oft lange fort, die Mutter, die nie ins Wasser geht, arbeitet in Haus und Garten, und der Junge schwimmt und taucht jeden Tag. Abends erzählt die Mutter von all dem, was es unter Wasser gibt, und man fragt sich, woher sie das weiss: von Meerjungfrauen, Neunaugen, Tintenprinzen, Wasserbischöfen, Meertrollen, Perlbootsmännern, Küsserschlangen, Walen mit ganzen Dörfern auf dem Rücken und noch vielem mehr. Während sie erzählt, werden die Gestalten ihrer Geschichten lebendig und erobern das Buch für sich. Über sieben Seiten ziehen sie durch die Unterwasser- und Traumwelt, ein Fabelwesen nach dem anderen, beginnend mit einer kleinen Meerjungfraugarnele und endend in der Bettdecke mit einem Plumeauktopoden und einem Seepferdchen, das den schlafenden Jungen auf die Nase küsst – jedes Fabelwesen eine Geschichte für sich, die nachklingt und die weitere Erzählung des Buches auf vielsagende Weise färbt: Der Junge findet ein Seehundfell, das sein Vater versteckt hat, und glaubt nun, sein Vater sei einer jener Seehunde, die an Land gehen und zu Menschen werden, so wie in den Geschichten seiner Mutter. Doch als er ihr seine Entdeckung verrät, ist seine Mutter am nächsten Morgen verschwunden. Und ohne, dass es ausgesprochen wird, ist klar, dass sie nicht zurückkommen wird. Nikolaus Heidelbach erzählt in seinem wunderbar illustrierten und preisgekrönten Bilderbuch, dessen knappe Sätze weite Fantasieräume öffnen, eine traurig-schöne Geschichte. Eine, die die Trauer über einen grossen Verlust behutsam in der Schwebe hält – zwischen wirklichem Schmerz und märchenhafter Prüfung. Vater und Sohn kommen zurecht, ab und zu liegen zwei frische Makrelen am Strand, und so rätselhaft wie das Buch beginnt, so tröstlich endet es mit «Wenn ich gross bin, werde ich Seehund.»
Nahaufnahme: zwei blasse Füsse, die unter einem Leichentuch hervorlugen, am linken grossen Zeh ein weisser Zettel. In Szenen wie dieser schimmert die Krimiautorin kurz durch. Dennoch hat Mitra Devis Filmerstling mit ihren erfolgreichen blutigen Geschichten um die Zürcher Privatdetektivin Nora Tabani herzlich wenig zu tun: Begleitet von einer düster-melancholischen Klaviermelodie fliesst der Film ruhig dahin. Zwar fehlen auch die – offenbar – unvermeidlichen Bilder von dunklen Ästen und Seerosen nicht. Doch die Stimmung kippt nie ins «Tötelige». Im Gegenteil: Der Film ist äusserst lebhaft und packt einen von Beginn weg. Weil die vier porträtierten Frauen, die alle beruflich mit dem Tod zu tun haben, den Zuschauer sehr nahe an sich heranlassen; weil ihre offenen Ausführungen berühren; und weil auch die Kamera nicht vor dem Tod zurückschreckt. Sie bleibt eisern dran, wenn die Pathologin mit dem Metzgermesser die Innereien eines Verstorbenen filetiert, die Totengräberin endgültig den Sargdeckel über einer Verstorbenen schliesst, die Sterbebegleiterin den wundenübersäten Körper einer todgeweihten Patientin massiert oder das Medium einer zu Tränen gerührten Klientin Botschaften der verstorbenen Grossmutter überbringt. So verschieden die vier Frauen und ihr Zugang zum Tod, so unterschiedlich sind auch ihre Vorstellungen davon. Sie reichen von einem schlichten «Wenn man gestorben ist – das war’s» bis zur todsicheren Überzeugung, dass es danach weitergeht. Die vier Todesexpertinnen offenbaren sehr differenzierte, persönliche und teils überraschende Ansichten. Dies macht den Film nicht nur zu einer berührenden Erfahrung, sondern ermöglicht dem Zuschauer auch eine aufschlussreiche Auseinandersetzung mit einem Thema, das, wie wir von den vier Frauen lernen, viel mehr mit dem Leben zu tun hat, als man meint. Mitra Devi: «Vier Frauen und der Tod», Dokumentarfilm, Schweiz 2012, 63 Min. (Schweizerdeutsch, keine Untertitel). Mo, 4. Februar, 19 Uhr im Spuren-Salon Winterthur, So, 7. Februar, 20.30 Uhr im Kino Cinématte, Bern, So, 24. Februar, 11 Uhr im Schlosskino Wädenswil. Weitere Aufführungen im Mai im Rahmen des Pink-Apple-Festivals in Zürich und Frauenfeld. Weitere Vorführdaten in Planung, siehe www.mitradevi.ch/termine
Nikolaus Heidelbach: Wenn ich gross bin, werde ich Seehund. Beltz & Gelberg 2012. 21.90 CHF.
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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
Der Postillon: Ehrliche Online-Nachrichten, seit 1845.
Web Gute Nachrichten Erfundene News sind die besseren News. Dies beweist die OnlineZeitung «Der Postillon» jeden Tag aufs Neue. VON FLORIAN BLUMER
Es wäre eigentlich zum Heulen. Die renommierte deutsche Tageszeitung «Frankfurter Rundschau» ist eingegangen, das spanische Traditionsblatt «El Pais» kämpft ums Überleben und die hiesigen Gratiszeitungen decken uns tagtäglich mit Meldungen über das Liebesleben von Missen und Models ein. Mitten in dieses Elend platzte kürzlich eine erfreuliche Nachricht: «Axel-Springer-Verlag gibt zu, dass es sich bei ‹Bild› um Satirezeitung handelt.» Wie das? Die Online-Zeitung «Der Postillon» weiter: «Jahrzehntelang hatte sich das Blatt unter Zuhilfenahme aller Stilmittel der Satire – etwa Übertreibungen, albernen Wortspielen oder dreisten Lügen – über politische und gesellschaftliche Fehlentwicklungen lustig gemacht und diese so mit spitzer Feder karikiert.» Nun sei der Schwindel offensichtlich geworden und «Bild» hätte sich deshalb dazu entschlossen, «die Katze aus dem Sack zu lassen». Nun, die traurige Wahrheit ist natürlich, dass die deutsche Bild-Zeitung, quasi die grosse böse Schwester des «Blicks», zwar all die beschriebenen Mittel anwendet, jedoch weiter so tut, als wäre es ihr damit ernst. Nicht sie, sondern «Der Postillon» ist die Satirezeitung – betrieben von dem 31-jährigen Altphilologen und Anglisten Stefan Sichermann. Die gute Nachricht ist hingegen: Das Lesen der von hinten bis vorne erstunkenen und erlogenen Meldungen macht dermassen viel Spass, dass einem im Lachrausch der Endorphine glatt der Niedergang der seriösen Presse egal werden könnte. Beispiele gefällig? «Ärzte drohen mit Streik bis zum Ende der Golfsaison», «Umfrage: Mehrheit würde verheerenden Godzilla-Angriff langweiliger Eurokrise vorziehen» oder «Gelungene Integration: kleiner Timmy von deutschen und türkischen Schülern gemobbt». Und weil – zugegeben – auch wir mit negativen Meldungen oft schlechte Stimmung verbreiten, zum Schluss noch zwei Schlagzeilen von der Strasse: «Stoffwechselprobleme: Junkie verträgt Umstieg von Crack auf Speed nicht». Und: «Erster Punk akzeptiert auch EC- und Kreditkarte». Unsere Empfehlung gegen den täglichen Zeitungsblues: Browser öffnen, «Einstellungen …» anklicken und unter «Startseite:» www.der-postillon.com eingeben. Es wirkt.
01
ratatat – freies Kreativteam, Zürich
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G.A.T.E.S., Hôteliers & Restaurateurs SA, Basel
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Claude Schluep & Patrick Degen, Rechtsanwälte, Bern
04
homegate AG, Adliswil
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Sprenger & Partner Bauingenieure SIA USIC, Arlesheim
06
Oechslin Architektur GmbH, Zollikerberg
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Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen
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IBP – Institut für Integrative Körperpsychotherapie, Winterthur
09
Knackeboul Entertainment
10
Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich
11
Girod Gründisch & Partner, Visuelle Kommunikation, Baden
12
Paul & Peter Fritz AG, Literary Agency, Zürich
13
TYDAC AG, Web-Mapping-Software, Bern
14
Kaiser Software GmbH, Bern
15
Balcart AG, Carton, Ideen, Lösungen, Therwil
16
Lions Club Zürich-Seefeld
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Klimaneutrale Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf
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Scherrer & Partner GmbH, Basel
19
Balcart AG, Carton Ideen Lösungen, Therwil
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Psychiatrische Dienste Aargau AG (PDAG)
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Locher, Schwittay Gebäudetechnik GmbH, BS
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fast4meter, storytelling, Bern
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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen
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Schweiz. Tropen- und Public Health-Institut, BS
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seminarhaus-basel.ch
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
www.der-postillon.com. Eine Sammlung der besten Nachrichten ist auch als Buch erhältlich: Stefan Sichermann: Der Postillon. Ehrliche Nachrichten – unabhängig, schnell, seit 1845. Riva Verlag, 15.90 CHF. 293/13 SURPRISE 293/13
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Frisch ausgedruckt und ziemlich trendy.
Zürich Stuhl aus dem Drucker Der 3D-Drucker macht’s möglich: Objekte, die bis anhin mehrere Produktionsschritte und Fachkräfte in Anspruch nahmen, bis sie Form annehmen konnten, sind nun – flutsch – einfach ausdruckbar. Hat man einen 3D-Drucker zu Hause, kann man sich an einem einsamen Abend einen schönen Fingerring für die Liebste ausdenken und ihn am Vorabend ihres Geburtstages einfach kurz ausdrucken. Okay, die meisten haben kein solches Gerät in der Küche stehen. Trotzdem ist die Technologie am Kommen, man printet bereits Möbel, Zahnprothesen aus Kunststoff oder Flugzeugbauteile aus Metall. In Experimenten wurden schon Nahrungsmittel und menschliches Gewebe ausgedruckt. Indem geeignete Materialien beim Druck Schicht um Schicht bis zur gewünschten Form aufgeschichtet werden, sind der Freiheit der Form kaum Grenzen gesetzt. In nicht allzu ferner Zukunft soll der 3D-Druck die bestimmende Produktionsweise überhaupt werden, raunen Experten auf der ganzen Welt bereits. Die Zürcher Ausstellung präsentiert neben Druckmaschinen in Funktion auch die Arbeit von Designern, Architekten, Ingenieuren, Medizinern und Biologen. (dif)
BILD: ZVG
BILD: FREI_RAUM
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BILD: SOFIA LAGERKVIST/CHARLOTTE VON DER LANCKEN/ANNA LINDGREN/KATJA SÄVSTRÖM, SE, 2005, (HERSTELLER: FRONT DESIGN) FRIEDMAN BENDA, NY UND KÜNSTLERINNEN
Ausgehtipps
Oppenheim bringt Mensch und Tier zum Träumen.
Die Heartless Bastards kennen auch zarte Momente.
Bern Träumen mit Meret
Aarau Gäriges Gerüttel
Die Wiesen sind gefroren, Nebelschwaden ziehen über die Aare, die Flusstemperatur schwankt zwischen 5 und 6 Grad – Säbeli Bum, das grosse integrative Festival im Lorrainebad, scheint ewig weit weg. Und doch: Frei_Raum lebt! Das Veranstalter-Kollektiv hat unter Mitwirkung von behinderten wie nichtbehinderten Musikern und Schauspielerinnen ein integratives Hörspiel produziert, das uns zum Träumen bringen will. Anlass ist der 100. Geburtstag der Künstlerin Meret Oppenheim. Diese mass dem Träumen grosse Bedeutung zu, sah ein Stück weit gar ihre Aufgabe darin: «Der Künstler träumt für die Gesellschaft», lautet ein Zitat von ihr. Nun träumt Frei_Raum für uns. Also: Beim Kunstmuseum Kopfhörer mit Hörspiel holen, zum winterlich-vereisten Meret-Oppenheim-Brunnen rüberspazieren und losträumen. (fer)
des Kunstmuseums Bern, Di, 10 bis 21 Uhr,
Heartless Bastards klingt als Bandname ziemlich grob. Tatsächlich gründet die Musik der US-Gruppe um Erika Wennerstrom im Garagenrock, doch gibt es zwischen den saftigen Riffs immer wieder auch zärtliche Momente. Über vier Alben änderten sich Besetzung und Stil verschiedentlich, aber ob nun Blues, Soul oder Country einfloss, die Bastards blieben im Herzen doch immer eine Rock’n’Roll-Band, die in Wennerstrom über eine Frontfrau mit Charakterstimme verfügt, die Klangfarben vom Klageweib bis zur Kratzbürste kultiviert. In Europa ist das Quartett bis heute ein Geheimtipp. In den USA hingegen erschienen ihre Platten auf dem Bescheidwisser-Label Fat Possum und ihr aktuelles Album «Arrow» wurde produziert vom Jim Eno, Drummer von Spoon (noch so eine grossartige Ami-Band, die hierzulande ignoriert wird). Also: Wer seinen Rock gern gärig und gut gerüttelt gespielt hat, nimmt die Reise nach Aarau zum einzigen Schweizer Gastspiel der Heartless Bastards bereitwillig in Angriff. (ash)
Mi bis So 10 bis17 Uhr.
Heartless Bastards, Fr, 15. Februar, 21 Uhr, Kiff, Aarau.
«Wir träumen Meret», integratives szenisches Hörspiel des Kollektivs Frei_Raum, noch bis 10. Februar, Kopfhörer mit Hörspiel zu beziehen an der Kasse
Anzeigen:
«3D – Dreidimensionale Dinge drucken»: Museum für Gestaltung Zürich, 6. Februar bis 5. Mai. www.museum-gestaltung.ch
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BILD: MONIKA CHMIELARZ
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Beklemmend: Bei «Morning» lässt nur der Titel Raum für Hoffnung.
Basel Mord aus Langeweile Cat und Stephanie sind beste Freundinnen. Sie leben gut erzogen und gut versorgt in einer gutbürgerlichen Kleinstadt. Nur dass Stephanies krebskranke Mutter im Sterben liegt. Und dass Cat demnächst wegzieht, um zu studieren, und Stephanie allein zurücklässt. Um der Enge in der Provinz zu entkommen, begehen die beiden einen Mord: Sie bringen Cats sanftmütigen Freund Stephen um. Doch auch diese extreme Tat, geboren aus dem Überdruss, bleibt für die Jugendlichen ohne Konsequenzen. Bereits zum dritten Mal inszeniert Sebastian Nübling am jungen theater basel ein Stück des britischen Autors Simon Stephens. Wie bei «Reiher» und «Punk Rock» ist es auch bei «Morning» kaum möglich, sich der Begegnung mit den bedrohlichen Seiten des Lebens zu entziehen. Denn das Stück zeigt die Welt nicht so, wie wir sie uns gerne vorstellen, sondern so, wie sie ist. (mek) «Morning», Fr, 2. Februar, 20 Uhr, weitere Aufführungen im März. junges theater basel, Kasernenstrasse 23, Basel. www.jungestheaterbasel.ch
Graue Enten und bunte Vögel: Pink Mama Theater und der Wunsch, anders zu sein.
Bern Freak-Show Es ist wieder an der Zeit für ein «Heimspiel»: Zum achten Mal widmet sich die Dampfzentrale einen Monat lang dem Berner Tanzschaffen und bietet ausgewählten Choreografinnen und Choreografen eine Plattform. So darf man sich etwa auf die Uraufführung von Emma Murrays «made to order» freuen: Die in Bern lebende Neuseeländerin macht sich darin Gedanken über die Unordnung. Denn nach mehr als einem Jahrzehnt in der Schweiz ist ihr klar, dass es an der Zeit ist, aufzuräumen. Auch die neueste Produktion der europäischen Theater- und Tanz-Company Pink Mama Theater, zum ersten Mal in der Dampfzentrale zu sehen, tönt vielversprechend: In «Freaks» konzipiert die schrille Truppe («homo, hetero, sexy, pink») eine Freak-Show mit Märchencharakter, untersucht den Wunsch, anders zu sein und stellt ihm das Bedürfnis nach Integration gegenüber. (mek) HEIMSPIEL – Tanzfestival, noch bis zum 26. Februar in der Dampfzentrale Bern. Programm: www.dampfzentrale.ch
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Verkäuferporträt «Ich freue mich über den Besuch meiner Frau» BILD: ISM
Valipuram Kandiah (57) aus Sri Lanka verkauft Surprise in Konolfingen und Thun, während seine drei Enkelkinder in der Schule und im Kindergarten sind. Er möchte gerne besser Deutsch lernen, doch dazu benötigt er erst einmal ein Hörgerät. AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN
«Ich stamme ursprünglich aus Jaffna, das liegt ganz im Norden von Sri Lanka. Durch meine Arbeit bin ich jedoch an viele verschiedene Orte auf der Insel gekommen. Ich war Zeichner und habe Pläne für Häuser angefertigt. Als im Sommer 2006 in Sri Lanka einmal mehr der Bürgerkrieg eskalierte, verliess ich wie hunderttausende Tamilen vor und nach mir meine Heimat. Weil wir nicht genug Geld zusammenbringen konnten, blieben meine Frau und mein Sohn zurück. Unsere vier Töchter sind schon vor mir ins Ausland gegangen, deshalb lebt unsere Familie jetzt verstreut über Asien und Europa. Meine Töchter sind alle verheiratet und wohnen mit ihren Familien in Indien, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz. Als ich im September 2006 in der Schweiz ankam und Asyl beantragte, wurde ich dem Kanton Schaffhausen zugeteilt, obwohl meine Tochter Nirainsana mit ihrem Mann und den drei Kindern im Kanton Bern wohnte. Drei Jahre lebte ich in Schaffhausen und arbeitete unter der Woche ein paar Stunden pro Tag als Reinigungsmitarbeiter. Dann passierte etwas ganz Schlimmes: Der Mann meiner Tochter starb, und sie stand alleine da mit ihren drei Kindern im Alter von drei, sechs und sieben Jahren. Zum Glück wurde unser Gesuch um Familienzusammenführung bewilligt, und ich konnte zu Nirainsana und meinen Enkelkindern nach Konolfingen ziehen. Seither helfe ich ihr im Haushalt, bringe die mittlerweile Sechsjährige in den Kindergarten und schaue zu allen drei Kindern, wenn meine Tochter abends und am Samstag arbeiten geht. Den Tipp, Surprise zu verkaufen, habe ich von meinem Landsmann Kumar bekommen, der das Magazin schon jahrelang im Berner Hauptbahnhof verkauft. Jetzt, wo alle drei Enkel in der Schule und im Kindergarten sind, geht das gut. Während sie am Morgen weg sind, stehe ich vor der Migros in Konolfingen und verkaufe zwei bis drei Stunden Hefte. Wenn es mir zu kalt ist, bleibe ich nur etwa eine Stunde dort, dann gehe ich kurz nach Hause – wir wohnen nur zehn Minuten von meinem Verkaufsort entfernt –, trinke einen Tee und verkaufe anschliessend wieder eine Stunde lang. Immer am Dienstag fahre ich nach Thun und verkaufe beim Aarezentrum. Dort hat es viele verschiedene Geschäfte und darum viele Leute. Der Kontakt zu den Kunden gefällt mir sehr. Eine Lehrerin der Kinder kommt zum Beispiel regelmässig bei mir vorbei. Aber leider kann ich mich mit ihr und all den anderen Leuten nicht gut unterhalten. Ich spreche nur sehr wenig Deutsch und Englisch. Seit ich in der Schweiz bin, habe ich schon ein paar Deutschkurse besucht, aber letztes Jahr musste ich aufhören, weil ich die Lehrerin nicht mehr verstand. Die
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Untersuchungen beim Arzt haben dann ergeben, dass meine Ohren nicht in Ordnung sind und ich einen Hörapparat brauche. Wenn ich den habe, kann ich wieder in den Deutschkurs gehen, darauf freue ich mich. Noch mehr freue ich mich aber über den Besuch meiner Frau. Sie besucht uns für drei Monate. Für immer hierbleiben darf sie nicht, weil ich nur ein sogenannt vorläufig aufgenommener Flüchtling bin, mit Ausweis F. Dieser Status erschwert das Familienleben sehr. Letzten Sommer zum Beispiel waren Nirainsana und die Kinder drei Wochen in den Ferien bei meiner Tochter in den Niederlanden, und ich durfte aufgrund meines Status nicht mitgehen. Manchmal ist es schwierig, die Gesetze zu akzeptieren.» ■ SURPRISE 293/13
SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin
verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, U-Abonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!
Andreas Ammann Bern
Jela Veraguth Zürich
René Senn Zürich
Marlis Dietiker Olten
Kurt Brügger Basel
Fatima Keranovic Basel
Josiane Graner Basel
Wolfgang Kreibich Basel
Tatjana Georgievska Basel
Bob Ekoevi Koulekpato, Basel
Marika Jonuzi Basel
Peter Gamma Basel
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Jovanka Rogger Zürich
Ralf Rohr Zürich
Anja Uehlinger Aargau
Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken
1/2 Jahr: 3000 Franken
1/4 Jahr: 1500 Franken
Vorname, Name
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Strasse
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1 Monat: 500 Franken
293/13 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 293/13
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.
Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–
Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.
Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden vom Verein Surprise geführt. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.
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Datum, Unterschrift 293/13 Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch
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Herausgeber Verein Surprise, Postfach, 4003 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Reto Aschwanden, Florian Blumer (Nummernverantwortlicher), Diana Frei, Mena Kost redaktion@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Amir Ali, Manuela Donati, Kevin Gopal, Martina Huber, Lucian Hunziker, Irène Meier, Dominik Plüss Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 15000, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Christian von Allmen
Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83, M +41 79 428 97 27 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Alfred Maurer, Bruno Schäfer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99 Paloma Selma, p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10, F +41 61 564 90 99 Lavinia Biert (Leitung), Olivier Joliat, David Möller o.joliat@vereinsurprise.ch, www.strassensport.ch Vereinspräsident Peter Aebersold
Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. SURPRISE 293/13
Schön und gut. Die Surprise-Mütze mit eleganter Kopfwerbung ist ab sofort wieder erhältlich: In Einheitsgrösse, in den Farben Rot und Schwarz. Heizt das Hirn, gibt warme Ohren. Grosses Badetuch 100 x 180 cm aus sehr langlebigem Zwirngarn, 100% handgepflückte Baumwolle. Mit Surprise-Logo eingewebt und von A bis Z in der Schweiz hergestellt. Vorder- und Rückseite verschiedenfarbig: vorne kühles Aquablau, hinten heisses Rot.
Surprise-Mütze CHF 30.– rot
Strandtuch (100 x 180 cm) CHF 65.–
schwarz
50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute.
Alle Preise exkl. Versandkosten.
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*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch
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Ist gut. Kaufen! Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit – gute Sache. Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute. Alle Preise exkl. Versandkosten.
Surprise Zeitungs-Taschen (34 x 36 cm); CHF 37.50 neon-orange schwarz
Surprise City-Taschen (24,5 x 35,5 cm); CHF 40.– rot schwarz
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Macht stark.
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