Ausgedruckt, abgedrückt Bald kommt alles aus dem 3D-Drucker Feindbild Fan: Warum die Hetze die Falschen trifft
So ein Theater – die Schauspieltruppe von Surprise
Nr. 299 | 3. bis 16. Mai 2013 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
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Surprise fördert seit 1997 die Selbsthilfe von Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Das Magazin erscheint 14-täglich und wird auf den Strassen der deutschen Schweiz von über 200 Verkaufenden angepriesen. Surprise geniesst eine breite öffentliche Unterstützung.
Unser neues Projekt: Soziale Stadtrundgänge Seit Anfang April bietet der Verein Surprise erfolgreich die ersten «Sozialen Stadtrundgänge» in der Schweiz an. Surprise-Stadtführer erzählen aus ihrem Alltag und zeigen die Stadt aus der Perspektive von Armutsbetroffenen, Obdachlosen und Ausgesteuerten.
Wir suchen per 1. November 2013 oder nach Vereinbarung einen Hätten Sie Freude, die Stadtführer zu begleiten und unser neues Projekt zu unterstützen? Wir suchen per sofort oder nach Vereinbarung eine/n
Zivildienstleistenden Wir bieten: • Spannende, vielseitige und sinnvolle Tätigkeit • Angenehme Arbeitsatmosphäre in einem motivierten Team Aufgaben: • Betreuung und Begleitung der Verkaufenden • Allgemeine administrative Arbeiten • Unterstützung in weiteren Surprise-Bereichen, wie Strassenchor, Strassensport, Stadtrundgang und Redaktion Voraussetzungen: • Abgeschlossene Ausbildung vorzugsweise im sozialen Bereich • Kaufmännische Kenntnisse • Interesse und Erfahrung im Umgang mit Menschen in schwierigen Lebenslagen • Hohe Sozialkompetenz, selbständige Arbeitsweise Rahmenbedingungen: • Einsatzdauer 6 bis 12 Monate • Arbeitspensum 100 % Nähere Auskünfte erteilt Ihnen gerne Frau Nicole Füllemann, +41 61 564 90 90 Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung per Email an: n.fuellemann@vereinsurprise.ch www.vereinsurprise.ch
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Freiwilligen-Koordinator/in (10 %) Wir bieten Ihnen: • eine spannende, vielseitige und sinnvolle Tätigkeit • eine angenehme Arbeitsatmosphäre in einem motivierten Team Aufgaben: • Begleitung und Unterstützung der Stadtführer • Koordination der Termine • Koordination Projektleitung/Institutionen Voraussetzungen: • Erfahrung im Umgang mit Menschen in schwierigen Lebenslagen • Hohe Sozialkompetenz, selbständige Arbeitsweise • Ausbildung vorzugsweise im sozialen Bereich • Kaufmännische Kenntnisse Rahmenbedingungen: • Arbeitspensum 10 % Nähere Auskünfte erteilt Ihnen gerne: Sybille Roter, Projektleitung Sozialer Stadtrundgang, +41 61 564 90 63 Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung per Email an: s.roter@vereinsurprise.ch Weitere Informationen finden Sie unter: www.vereinsurprise.ch SURPRISE 299/13
Titelbild: iStockphoto
3D-Druck ist zurzeit ein Hype. Man kann damit tolle Sachen produzieren, seien es iPhone-Hüllen, Schmuckstücke oder Flaschen. Selbst Objekte mit beweglichen Teilen wie Ketten lassen sich in einem einzigen Durchgang vollständig ausdrucken. Bedeutender als ein paar neue Designteile ist aber die Tatsache, dass die Dinge jeder selber herstellen kann. Im Internet findet man Baupläne für Dinge vom Haushaltsgegenstand bis zum Spielzeug zum Herunterladen. Theoretisch ist vorstellbar, dass sich jemand in einer Hütte fern der Zivilisation die Dinge für den Hausgebrauch solarbetrieben selber ausdruckt. Noch sind das Visionen, aber eine neue Art von Unabhängigkeit scheint greifbar. Sie kann dazu führen, dass mit 3D-DruckMinifabriken auch Entwicklungsländer einen Wirtschaftsaufschwung erleben. Aber auch dazu, dass wirklich alles ausgedruckt wird. Es gibt im Internet auch Baupläne für Waffen zum Download für jedermann. Der Journalist Stefan Michel hat sich für uns in der Welt der unbeschränkten Möglichkeiten umgesehen.
BILD: ZVG
Editorial Visionär und reaktionär
DIANA FREI REDAKTORIN
Die Bilder, die wir anlässlich des Muttertags zeigen, haben redaktionsintern zu Diskussionen geführt. Die einen sahen in den Fotos aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt das Universelle der Mutter-Kind-Beziehung, die absolute Vertrautheit, und fanden, das soll man ruhig auch mal zeigen dürfen. Die anderen suchten die tiefere Botschaft, die politische Aussage in den Motiven. Es waren die Frauen, die sich schnell in Grundsatzdiskussionen wiederfanden: Es ging um die Stellung der Frau, um Gleichberechtigung, um die gesellschaftliche Ebene. «Muttertag» wurde zum Reizwort und die ganze Diskussion etwas verkrampft. Interessant ist, dass die Herren auf der Redaktion offenbar den entspannteren Zugang zum Thema Mama haben, erstaunlicherweise stehen bei ihnen die Emotionen im Vordergrund. Sie sind Söhne, die keine Väter sind, und sie haben den Frauen auf der Redaktion, die Mütter sind, klargemacht: Familie hat auch mit Gefühlen zu tun, nicht nur mit Gesellschaftspolitik. Tatsächlich vergisst man das manchmal fast, wenn man so mittendrin steckt, in einer Familie. Wir sind uns zwar noch keineswegs einig, wie reaktionär der Muttertag wirklich ist. Aber die Mutter-Kind-Beziehung soll trotzdem gefeiert werden dürfen. Wir wünschen Ihnen einen schönen 12. Mai. Mit oder ohne Familie. Diana Frei
In letzter Zeit haben wir verschiedene Meldungen erhalten über Betrüger, die sich als Surprise-Verkäufer ausgeben und teilweise aggressiv Strassenmagazine anbieten. Bitte achten Sie beim Kauf darauf, dass die Verkäuferin oder der Verkäufer den Verkaufspass von Surprise trägt, der sicherstellt, dass Sie Ihr Heft von autorisierten Verkaufenden beziehen.
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@vereinsurprise.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 299/13
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10 3D-Print Revolution aus dem Drucker BILD: DAVIDE CAENARO
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Inhalt Editorial Waffen und Mütter Basteln für eine bessere Welt Stricken fürs Kicken Brief aus … … Nador Zugerichtet Im Haifischbecken Leserbriefe Wahrheit ohne Zeigefinger Starverkäufer Urs Habegger Porträt Im Wohnmobil daheim Muttertag Mamas aus aller Welt Wörter von Pörtner Männer von gestern Moderne Märchen 200 Jahre Grimm Kultur Erstmals das Meer gesehen Ausgehtipps Gratiscomics Verkäuferporträt Parteifunktionär aus Angst Projekt SurPlus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP
Eine Technologie erlebt einen Boom. Vordergründig schafft der 3D-Druck neue Möglichkeiten des Designs; Waffen können genauso gedruckt werden wie Architekturmodelle. Der 3D-Druck bedeutet eine neue industrielle Revolution. Der Konsument wird zum Produzent: Er kann seine Idee am Computerbildschirm selber aufzeichnen und via USB-Stick in den 3D-Printer laden. Und sie gleich selber ausdrucken.
14 Theater Spiel mit dem echten Leben BILD: LUCIAN HUNZIKER
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Emsuda, Domi und Sokha stehen bald zum ersten Mal auf einer Bühne und spielen – sich selbst. Die Laien, die in ihrem echten Leben das Strassenmagazin verkaufen oder im Surprise-Chor singen, treten am Wildwuchs Festival in Basel auf. Regisseur Luzius Heydrich gräbt dafür in ihrem Alltag, ihren Geschichten, ihren Erfahrungen. Und bringt die muntere Truppe dazu, genau das zu zeigen, was gemeinhin als Schattenseiten des Lebens bezeichnet wird: Armut, Randständigkeit, Ausgrenzung. Ihr Stück wird eine lustvolle Sache, wie ein Probenbesuch zeigt.
20 Fankultur Keine Fans, keine Stimmung
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BILD: REUTERS/ARND WIEGMANN
Politik und Medien sind alarmiert: «Kurvenidioten» und «Petarden-Trottel» drohen Fussballstadien und deren Umgebung ins Chaos zu stürzen. Das «Fan-Konkordat» soll dem wilden Treiben ein Ende machen. Ist die Lage wirklich so dramatisch? Wer ins Stadion geht, dem bietet sich ein anderes Bild: Nicht die unbeteiligten Zuschauer, sondern der Fan und seine Kultur sind heute bedroht. Höchste Zeit für eine Rehabilitation.
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ILLUSTRATION: SOPHIE AMMANN | WOMM
1. Man nehme Nadel und (Baum-)Wolle in Rot und Weiss und stricke einen Schal, 16 cm breit, 140 cm lang, und nähe zum Schluss auf beiden Seiten Franseln dran. Das Design bestimmen Sie: Ob mit SUISSE oder HOPP SCHWIIZ ein- oder aufgenäht, ob gestreift, kariert oder mit Kreuzen – einfach rot-weiss muss es sein. Und das Wappen unserer Nati muss an einem Ende Platz haben, wir werden dieses dann aufbügeln (siehe Bild).
2. Bringen Sie den Schal bei uns vorbei oder schicken Sie ihn an: Surprise Strassensport, Lavinia Biert, Spalentorweg 20, 4051 Basel, bis spätestens 2. August 2013. Wir brauchen 64 Schals für 64 Nationen! Unsere so unabhängige wie unbestechliche Strassenfussball-Jury wird den schönsten Schal küren und mit einem Fussball mit Originalunterschrift von Kult-Fussballexperte Gilbert Gress honorieren.
Basteln für eine bessere Welt Der Frühling ist da, der Sommer kommt näher und damit auch der Homeless World Cup in Polen. Unsere Strassenfussball-Nati möchte dabei bereits vor dem Anpfiff brillieren und zum Handshake dem Gegner einen Fanschal überreichen. Natürlich handgemacht! Deshalb der Aufruf: Machen Sie mit bei der Aktion «Stricken für die Nati!» Es gibt sogar etwas zu gewinnen. SURPRISE 299/13
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Brief aus Nador Berg der Hoffnung VON AMIR ALI
Ich war wandern. Es war eine Reise zu Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, ausser der Hoffnung. Sie leben oben auf dem Berg im Wald. Zu Hunderten. Das Wertvollste, was sie besitzen: ein paar Mobiltelefone, verrusste Blechtöpfe und die Plastikfetzen, mit denen sie die Steinverschläge und Höhlen abdecken, in denen sie schlafen. Sie alle haben weite Strecken zurückgelegt, um auf diesen Berg zu kommen. Ganz Westund Zentralafrika ist hier versammelt. Sie alle sind auf dem Weg ins gelobte Land. Auf dem Weg nach Europa. Der Berg ist ihre letzte Station. Von hier haben sie Aussicht auf Melilla, dieses kleine Stück Spanien am Nordende Afrikas. Ein eingezäuntes Stück Paradies. Manche sind seit Jahren hier. Haben es immer wieder versucht. Und sind immer wieder gescheitert an Stacheldraht und Bewegungsmeldern, an Guardia Civil und der marokkanischen Polizei. Dutzende Kameraden haben sie sterben gesehen, die verendet sind wie Beifang in dem stählernen Netz, das den Beginn der Festung Europa auf ihrem Kontinent markiert. Yousuf war schon viermal unten. Er trägt nicht nur seine eigene Hoffnung, sondern auch jene seiner Eltern, Brüder und Schwestern. Es gibt für ihn kein Zurück. Er warte hier, sagt er. Warte auf «le jour de Dieu». Den Tag, den Gott für ihn ausgesucht hat. Den Tag, an dem er es auf die andere Seite schaffen wird. «Und dann?», frage ich vorsichtig. «Dann wird alles gut», sagt er. «Dann bin ich drüben. In Europa gelten die Menschenrechte.» Ich denke: Wirtschaftsflüchtling. Nichteintretensentscheid. Kügelidealer. Im schlimmsten Fall werden sie dich zusammenschnüren und knebeln, und dann ab ins Flugzeug. Und sie müssen dazu nicht einmal das Gesetz verletzen. Das ist das Gesetz. Yousuf hat keine Ahnung. Jene, die noch zu Hause sind, wissen nichts über den Berg in Marokko oder den Zaun unten im Tal. Und Yousuf auf dem Berg weiss nichts über das gelobte Land. Ich sollte es ihm sagen. Er wird es mir nicht glauben. Die Illusion von einer besseren, einer gerechteren Welt auf der anderen Seite: Nur sie hält ihn am Leben. Ich schweige.
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Zugerichtet Auf Schatzsuche im Kreis 4 Es sind im Drogenbusiness meist die kleinen Fische, die auf der Anklagebank landen. Gleich fünf Stück stehen an diesem Tag auf der Liste der Verhandlungen, die im 90-Minuten-Takt abgespult werden. Gestrandete, Verzweifelte, Willenlose, die lieber weiterhin ihr Leben ruinieren, als clean zu werden, weil in ihrem Leben nicht viel ist, wofür es lohnt, aber viel, was weggefixt werden muss. Die tägliche Portion Glück oder Gleichgültigkeit erkaufen sie sich mit Dealerei oder Diebstahl für Drogenkauf, sie werden erwischt, bekommen ihre Strafe und Aufwiedersehen, bis zum nächsten Mal. Fabian F.* konnten 13 Deals nachgewiesen werden. Ein paar Tage lang täglich 20 Gramm Marihuana, einmal 50 Gramm Haschisch und zwei Dutzend Kügeli Kokain. In seinem Zimmer fand man zudem Marihuana in nicht geringer Menge, wie es heisst. Exakt waren das 140,54 Gramm. Das ist ganz schön viel Stoff. «Das war aber für den Eigengebrauch, nicht zum Dealen», sagt Fabian. «Ich rauchte viele Joints täglich, das ist, wie wenn man Zigaretten an der Kette raucht, da kauft man sich auch ’ne Stange.» Von wem er die Drogen denn bezogen habe, will der Richter wissen. «Von den Nigerianern an der Langstrasse, bei denen hatte ich Schulden», gesteht er. «Mein kleiner Hund hat nämlich unter einem Busch sein Geschäft verrichtet, und da hat er was gefunden, was die dort versteckt haben.» Kein Goldschatz, aber trotzdem etwas, was man zu Geld machen kann. «Gewinn habe ich aber keinen gemacht.» Der Richter hüstelt, um sich das Lachen über die Hundestory zu verkneifen, und winkt ab. Auch die traurige Kindheit kennt er schon, er fragt nicht
nach, nur die notwendigen Daten. «Ausbildung?» – «Abgebrochen.» Dann machte Fabian gar nichts mehr, flog aus der Wohnung. «Wovon haben Sie gelebt?» – «Betteln, Musik machen.» Wie viele solche jungen Männer hat der Richter schon gesehen? Wie viel Glauben hat er noch an die verändernde Kraft der Strafe? Fabian hat einen Monat in Untersuchungshaft gesessen, er ist geständig, er will sich um Aufnahme in ein betreutes Wohnprojekt bemühen. Das klingt plausibel und lässt hoffen. Eine günstige Sozialprognose ist wichtig. Fabian wird zu zwölf Monaten verurteilt, mit zwei Jahren Bewährung, plus 1000 Franken Busse. Die kann er auch abarbeiten. Bisschen Busse muss sein, belehrt ihn der Richter. «Man sagt immer, lasst doch die Kleinen laufen, schnappt die Grossen. Bin ich nicht der Meinung. Auf allen Ebenen muss das bekämpft werden. Deshalb werden Sie verurteilt. Diesmal mit Nachsicht.» Der Richter prophezeit ihm, er werde weiter abrutschen, wenn er weiter konsumiert: «Aber was Sie mit Ihrem Leben machen, steht nicht unter Strafe.» Das Marihuana, das man bei Fabian fand, wird eingezogen. Fabian erklärt sich einverstanden, notgedrungen. Der nächste Fall wird aufgerufen. Ike, 39 Jahre alt, geboren in Nigeria, wegen Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz: Er hat mit einem halben Kilo Kokain gedealt. Der Fall wiegt schwerer, wie auch der Mann, ein wuchtiger, derber Typ. Aber selbst wenn er sich für seinen Gang vor Gericht wie ein Gangsta rausgeputzt hat mit Sonnenbrille und Goldketten, so ist doch auch er nur ein kleiner Fisch im Haifischbecken. * persönliche Angaben geändert ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 299/13
Leserbriefe «Wie sollen Schüler eine Identität aufbauen?» Nr. 296: Zielscheibe Lehrer Lehrer unter Druck
Nr. 294 Ausgesetzt Auf den Spuren verschleppter Tierarten
Die Gesellschaft bewertet uns nach Geld, Macht, Leistung Ich bin Klassenlehrerin an einer 2. Sek in Zürich-Altstetten. Ich finde meine Schülerinnen und Schüler toll, die Zusammenarbeit mit den Eltern funktioniert gut, meine Arbeit macht mir Spass. Ich denke, die Ursachen vieler Probleme in der Schule wurzeln in unserer Gesellschaft, die uns primär nach Geld, Macht, Leistung und Äusserem bewertet; wie sollen die Schülerinnen und Schüler da eine tragfähige Identität aufbauen können? Für die Schüler – vor allem in der Sek B – ist ausserdem die Angst vor der beruflichen Zukunft (Hunderte von Stellenbewerbungen und Absagen) sehr belastend, das wirkt sich auch auf ihr Verhalten aus. Weiter wären da noch: Arbeitslosigkeit der Eltern, Leben an der Armutsgrenze, Gewalt, Verschärfung der Einbürgerung und so weiter. Ich wünschte, meine Schülerinnen und Schüler hätten so einfache Startbedingungen wie ich als Schweizerin in den Siebzigerjahren. Margrit Stoll, Zürich
Schweizer schämen sich oft, aufs Sozialamt zu gehen Erst in diesen Tagen kam ich dazu, den Artikel «Sozialhilfe – Beine machen per Brief» zu lesen. Der Artikel ist sicher gut geschrieben, aber mich stört dabei, dass es immer wieder um Ausländer, Migranten geht. Auf mich machen solche Artikel immer den Eindruck, als würden Schweizer auf den Sozialämtern gut behandelt. Vielleicht wissen auch Sie, dass dem nicht so ist. Sicher gibt es auch unter den Surprise-Verkaufenden Menschen, die auf einem Sozialamt negative Erfahrungen gemacht haben. Aber dass es einfacher ist, über Ausländer zu schreiben als über uns Schweizer, ist mir klar. Denn man hört immer wieder: Den Schweizern geht’s so gut. Ich hatte selber schon ein sehr unangenehmes Erlebnis auf dem Sozialamt in Zürich. Da es mich irgendwie erschüttert hat, habe ich es auf meinem Blog verarbeitet. Und wie wir wissen, gehen sehr viele Schweizer, die sozialhilfeberechtigt wären, nicht auf die Sozialämter, weil sie diese Demütigungen nicht ertragen können, weil sie sich auch schämen. Darüber zu schreiben würde einem Surprise auch nicht schlecht anstehen. Urs Rösli, per E-Mail
Economiesuisse – Am Grab des achten Bundesrats
Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 (0)61 564 90 99, redaktion@vereinsurprise.ch
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BILD: ZVG
Economiesuisse – Am Grab des achten Bundesrats Der Artikel von Christof Moser über unsere Economiesuisse ist interessant. Mir gefällt besonders der Ton. Die Wahrheit zu sagen, ohne den Zeigefinger (es kann auch ein anderer sein) hochzuhalten, das können nicht mehr alle Journalisten. Die meisten meinen wohl, der Leser könne nicht selber denken. Nun, soweit kommen wir vielleicht einmal … Hans Johner, Täuffelen
Starverkäufer Urs Habegger Anna Schindler aus Herisau nominiert Urs Habegger als Starverkäufer: «Urs Habegger nennt die kalte Unterführung im Bahnhof Rapperswil sein verlängertes Wohnzimmer und steht immer mit seiner Sonnenblume da, wenn ich vorbeikomme. Urs strahlt Zufriedenheit aus und sein zurückhaltendes Dasein an diesem ungemütlichen Ort hat etwas Tröstliches. Wenn ich bei ihm Surprise kaufe, hat er auch immer Zeit für ein kurzes Schwätzchen.»
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Porträt Nomadin mit Plan Olivia Notaro wohnt in der Nähe von Bern und in London. Klingt nach Jetset? Weit gefehlt. Die preisgekrönte Künstlerin pendelt im Wohnmobil und logiert vornehmlich auf Campingplätzen. VON FRANZISKA ZAUGG (TEXT) UND KARIN SCHEIDEGGER (BILD)
züge dieser Campinganlagen möchte sie derzeit jedoch nicht missen. «Gerade wenn es kalt ist, ist es einfach ein Luxus, geheizte Toiletten und Duschen benützen zu können sowie Strom zum Kochen oder für die Heizung zu beziehen.» Das gebe dem Nomadenleben die nötige Geborgenheit. Und die Möglichkeit, immer wieder die Akkus von MacBook und iPhone zu laden, schaffe ihr die Verbindung zur Aussenwelt. Für immer am selben Ort zu leben, kann sie sich jetzt nicht vorstellen. «Wurzeln zu schlagen brauche ich nicht. Die habe ich immer bei mir.» Das passt zu ihrer Herkunft. Die Mutter ist gebürtige Deutsche und lebt in der Schweiz. Der Vater ist Italiener. Zudem hat sie sich einen Freundeskreis aufgebaut, mit dem sie verbunden bleibt, ohne dass man sich täglich sieht oder hört. Und manchmal reist auch jemand mit ihr mit. Langweilig werde es ihr nie. Sie habe ständig etwas zu tun. Als Künstlerin habe sie viel Schreibarbeit zu erledigen. Und wenn sie mal Zeit hat zum Nichtstun, dann liest sie in ihrer Kajüte über der Fahrerkabine ein Buch. Die stundenlangen Fahrten durch Frankreich haben für sie etwas Meditatives. Sie geniesst die Ruhe oder hört Musik. Wer im Wohnmobil lebt und reist, ist die meiste Zeit auf sich allein gestellt. «Nach diesen ersten Monaten erfüllte es mich mit Genugtuung, zu sehen, dass ich das kann.» Der Raum zum Leben ist eng im Wohnmobil. Viel mitnehmen kann man nicht. Ein Dilemma für die Künstlerin. «Ich frage mich manchmal, ob ich es wohl schaffen könnte, auch die beiden Ateliers im Wohnmobil zu integrieren. Doch ich bin eine Sammlerin, mag schöne Dinge und bin froh um den Raum in Häutligen und London.» Nebst den notwendigen Dingen zum Leben reist bei Olivia Notaro auch ein ausgestopfter Fuchs mit – eine Trouvaille aus einer Brocken-
«Willkommen in meinem Wohnmobil», die Begrüssung von Olivia Notaro ist herzlich. Ebenso einladend und warm das Innere des Wagens. Und überraschend: Von der Decke hängt ein Kristallleuchter, Tücher, mit bunten Blumen bedruckt, bedecken die Sitzpolster, und den Kaffee serviert die Gastgeberin in einer Porzellantasse. Die 38-Jährige ist Künstlerin und lebt seit einem halben Jahr in einem komfortablen Wohnmobil. Dass sie ihren festen Wohnsitz gegen einen mobilen eingetauscht hat, liegt zum einen daran, wie sie arbeitet. Die Künstlerin hat in Häutligen bei Bern und London je ein Atelier. Sie kann sich nicht zwei Wohnungen leisten, und in WGs zu leben hat sie momentan satt. «Ich brauche Raum für mich alleine und die Möglichkeit des Rückzugs», betont sie. Gleichzeitig will sie in England und in der Schweiz arbeiten. «London ist eine pulsierende Stadt und bietet mir ein breites kulturelles Angebot. In Häutligen lebe ich zurückgezogen, geniesse die Natur und die Nähe zu meiner Familie.» Beide Orte inspirieren sie, haben Einfluss auf ihr Schaffen und Leben. Ein weiterer Grund für ihre Wahl: Sie setzt sich künstlerisch mit Projekten auseinander, die nie abgeschlossen und somit unendlich sind. Ihre Arbeiten werden dabei immer wieder in einen anderen Kontext gesetzt. Da passt das Wohnmobil, dessen Standort sich immer wieder ändert, bestens ins Konzept. Das Leben im Wohnmobil, die wechselnden Aufenthaltsorte, die langen Fahrten zwischen Bern und London, die sie alle paar Wochen unternimmt, all das verleiht ihr ein Gefühl von Freiheit und ist zugleich auch Motor ihrer Kreativität. Jedoch setzt diese Freiheit eine gute Planung voraus. «Die Arbeit ist mein tägliches Brot. Ich lebe davon und habe Projekte, bei denen ich «Mein Leben gleicht vielleicht dem einer Nomadin, doch es Termine einhalten muss.» 2012 wurde Olivia ist geregelt und oft über Monate hinaus geplant.» Notaro mit dem Berner Frauenkunstpreis 2012 ausgezeichnet, im selben Jahr erhielt sie auch den von der Bernischen Kunstgesellschaft verliehenen Preis der stube. Und an den Wänden hängen Bilder von Künstlerfreunden. Auch Aeschlimann-Corti-Stiftung – ein Preis, mit dem sich auch schon Bernimmer im Gepäck hat sie das Gemälde eines namenlosen Mannes. Es ist hard Luginbühl oder Franz Gertsch schmücken durften. eines ihrer Kunstprojekte und trägt den Titel «Moment #...». Das GeMeistens geben ihr Ausstellungs- und Projekttermine die Route für mälde hat sie auf einem Flohmarkt erstanden. Sie passt den Hintergrund ihre Aufenthaltsorte vor. So ist es nie zufällig, wann sie mit ihrem Wohnder jeweiligen Wand an, an der es hängt. Immer wieder ist das Bild an mobil einen Ort verlässt und an einem anderen ankommt. «Mein Leben ihren Ausstellungen zu sehen. In der Schweiz als Nächstes im Atelier gleicht vielleicht dem einer Nomadin, doch es ist geregelt und oft über Gepard 14 in Bern, von Anfang Mai bis Ende Juni. Olivia Notaro kann Monate hinaus geplant.» Es ist ja nicht so, dass man nur als Aussteigesich hier während dieser Zeit ein Kunstlaboratorium einrichten. Mit darin ganzjährig in einem Wohnmobil leben kann. So traf sie auf einem bei sind Künstlerfreunde aus der ganzen Welt, die vor Ort an ihren ProCampingplatz einen deutschen Bauarbeiter, der in der Schweiz einer gejekten arbeiten. regelten Arbeit nachgeht und während dieser Zeit im Wohnmobil lebt, Ob sie gleich den ganzen Sommer in der Schweiz verbringen wird, aber in Deutschland Familie hat und ein Eigenheim besitzt. Oft begegist für Olivia Notaro noch offen, das hängt von weiteren Ausstellungsnet sie auch Rentnern, die sich für ein ganzjähriges Leben im Wohnwaterminen ab. Dass diese noch nicht fix sind, stört die Künstlerin aber gen entschieden haben. Entsprechend ausgerüstet sind die Campingnicht. Ihre Art des Nomadenlebens verlangt zwar nach Planung – das plätze, und das Leben hier gleicht jenem in einer Wohnsiedlung. Regeln mobile Heim gibt ihr aber auch die Möglichkeit, ihren Aufenthaltsort müssen beachtet werden, beim Parkieren des Wagens etwa gilt es, Abganz spontan zu wählen. ■ stände genau einzuhalten. «Ja, das Leben auf einem Campingplatz hat durchaus auch etwas Bünzliges», sagt die Künstlerin und lacht. Die Vorwww.gepard14.ch
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iPhone-Hülle ab USB-Stick: Der Cube 3D-Drucker formt eine Schnur aus biologisch abbaubarem PLA – polylactic acid – zu einem Objekt.
3D-Print Do it yourself digital 3D-Drucker stellen aufgrund von Computerdaten dreidimensionale Gegenstände her. Bereits rufen Beobachter eine neue industrielle Revolution aus. In Forschungslabors wird derweil mit Fleisch und Organen aus dem Drucker experimentiert. VON STEFAN MICHEL (TEXT) UND DAVIDE CAENARO (BILDER)
«Wer hat’s erfunden? Professor Bienlein!», erklärt Philipp Binkert listig. Die Rede ist vom 3D-Drucker, dem Wundergerät, das aufgrund von Computerdaten Gegenstände herstellen kann. Der zerstreute Professor aus den Tim-und-Struppi-Büchern arbeitete schon 1972 an einer Maschine, die dreidimensionale Objekte kopiert. Im Workshop «Copy yourself!» im Frühling 2013 erfasst eine Fotokamera das Original: Die Teilnehmer drehen sich vor ihr langsam um ihre Achse. Danach baut ein 3D-Drucker die Oberfläche des Kopfes Schicht für Schicht auf. Von einer Kopie zu sprechen, ist übertrieben. Die Gesichter sind erst auf den zweiten Blick wieder zu erkennen. Ähnlich oberflächlich scheint es, wenn den 3D-Druckern die Fähigkeit zugeschrieben wird,
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eine neue industrielle Revolution auszulösen. Dies tut etwa der amerikanische Journalist Chris Anderson in seinem neuesten Buch «Makers: The New Industrial Revolution». Anderson war bis 2012 Chefredaktor des Technologie-Magazins Wired, dem Leitmedium der digitalen Generation. Kaum eine Zeitung, ein TV- oder Radiokanal kam in den letzten Monaten ohne Bericht über das Phänomen 3D-Druck aus. Bis Anfang Mai war im Zürcher Museum für Gestaltung eine Ausstellung über die neue Herstellungsweise zu sehen. Wieder einmal soll eine – nicht einmal sonderlich neue – Technologie unser Leben umkrempeln. In der Industrie, speziell im Industriedesign, werden 3D-Drucker schon lange eingesetzt, um rasch Modelle eines neuen Autos, Flugzeugs oder Maschinenteils anfertigen zu können. Vom digitalen Plan SURPRISE 299/13
Wir brauchen also nicht mehr endlos nach genau dem Ding zu suchen, bis zum fertigen Objekt dauert es ein paar Minuten bis ein paar Stundas wir brauchen, oder es für teures Geld vom Spezialisten extra anfertiden, je nachdem, wie gross es ist und wie kompliziert seine Form. Seit gen lassen. Die Produktion kommt nach Hause – so die Vision –, auf die Kurzem gibt es 3D-Drucker für den Hausgebrauch, das heisst für weniindividuellen Bedürfnisse abgestimmt. Es braucht keine kritische Masse ger als 2000 Franken. Innert kurzer Zeit haben sich auf dem Internet an Kunden, die am gleichen Produkt interessiert sind, bis es in Serie geht. Gemeinschaften gebildet, in denen Baupläne für Gegenstände aller Art Jeder stellt sich das her, was er oder sie selber braucht. Kein Transport, hoch- und heruntergeladen werden können. «Open Source» heisst das Prinzip, das aus der Software-Entwicklung bekannt ist. Auf Webseiten wie thingiverse.com «Neu ist nicht die Technologie, sondern der gibt es von Schmuck über Geschirr bis zu Do-it-yourself-Gedanke dahinter.» Autoersatzteilen und Werkzeugen Zehntausende von Objekten, die man bei sich zuhause ausdrucken kann. Philipp Binkert, Mitinhaber 3D-Model.ch «Neu ist nicht die Technologie», erklärt Philipp Binkert, Mit-Inhaber der Zürcher Firma keine Warenlager, keine Vermarktung sind nötig, um ein Produkt zu jenen 3D-Model.ch, «sondern der Do-it-yourself-Gedanke dahinter.» Ein spezu bringen, die es brauchen, sondern einzig ein Computer-Bauplan. zieller Ohrring, eine Kabel-Halterung, die genau in die Wandnische in Es dauert, bis das Ding bei 3D-Model Realität geworden ist. Das Ausder heimischen Küche passt, oder ein Blinkerhebel für das 30-jährige drucken eines zehn Zentimeter hohen Männchens dauert gut und gerne Auto – all das kann man jetzt selber herstellen. Vorausgesetzt, man hat eine halbe Stunde. Die Revolution geschieht in Zeitlupe. Schwer vorstelldie nötigen Computer-Kenntnisse und Zugang zu einem 3D-Drucker. bar, dass sie die Massenproduktion ablösen soll, in der der grösste Teil der Güter hergestellt wird, die wir benützen. Tausende solcher MännRevolution in Zeitlupe chen hätte eine dafür gebaute Maschine in derselben Zeit ausgespuckt. Bei 3D-Model kommen täglich Leute vorbei, die ihre Kreationen ausKritische Stimmen weisen genau darauf hin, etwa Professor Hartmut drucken lassen wollen. Laut Binkert sind es Tüftler, Künstler, ArchitekSchwandt gegenüber dem IT-News-Portal golem.de. «Wir sind meilenten, aber auch Entwickler, beispielsweise aus der Helikopterindustrie. weit davon entfernt, mit beliebigen Materialien beliebige Dinge zu druWie in einem Copyshop nehmen Binkert und seine Mitarbeiter den Dacken», sagt der Mathematiker, der das 3D-Labor an der Technischen tenträger entgegen, sehen sich den Bauplan an und schicken ihn auf der Universität Berlin leitet. Die günstigen Drucker für den Hausgebrauch passenden Maschine in Produktion. Schicht um Schicht legt der Druckstellen Plastikgegenstände her. Damit lässt sich mehr machen, als man kopf aufeinander, langsam wächst das Objekt in die Höhe, bis es seine denkt, sogar bewegliche Teile sind möglich. Gestalt erreicht hat. SURPRISE 299/13
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Innerhalb von eineinhalb Stunden wird aus dem Bauplan greifbare Realität.
wehr zu realisieren. Seinen Angaben zufolge haben schon HunderttauTrotzdem klingt die Querflöte aus dem Drucker nicht sonderlich sende seine Baupläne heruntergeladen. Möge sich die Prophezeiung schön. Es hat seinen Grund, weshalb Blasinstrumente aus Metall oder nicht erfüllen, dass noch in diesem Jahrzehnt der erste Mensch mit der Holz gefertigt werden. Teurere Maschinen arbeiten auch mit verschiedenen Metallen, Keramik oder Gips. Da sind Ausgangsmaterial und Maschine einiges teurer. «Wir sind noch nicht auf dem All-you-can-eat-Level», räumte Dennoch ruft sogar der englische Econoder Mediziner Gabor Forgacs ein, während er das daumenmist – nicht bekannt dafür, vorschnell auf grosse Fleischstück salzte und pfefferte. Markttrends aufzuspringen – ein neues Zeitalter der Fabrikation aus. Allerdings nicht für Wiki Weapon erschossen wird! (Der Zyniker wendet ein: «Spielt es eine Massengüter, sondern für Prototypen und Kleinserien. Bereits werden Rolle, womit jemand umgebracht wird?») spezielle Auto- und Flugzeugteile ausgedruckt – die F/A-18 fliegt mit solchen Stücken. In Zukunft könnten Service-Mechaniker mit einem 3DHamburger und Organe drucken Printer im Auto zum Kunden fahren und das defekte Teil selber herstelAndere Menschen wollen mithilfe des 3D-Druckverfahrens Leben retlen, statt mit einem Arsenal an Ersatzteilen anzureisen oder das pasten, statt sie zu gefährden. Sie sehen Möglichkeiten, natürliche sende bestellen zu müssen. Interessant ist die Technologie auch in abRessourcen zu schonen, Tiere zu schützen oder die Knappheit an Spengelegenen Gebieten, wo eine Materiallieferung Wochen dauert. derorganen zu lindern. In Kalifornien arbeitet die Biotech-Firma Modern 3D-Druck macht auch Gegenstände freier verfügbar, für die gewisse Meadows an Fleisch, das aus Stammzellen wächst. «Das ist kein synHürden gelten. Der Texaner Cody Wilson hat das Wiki Weapon Project thetisches Fleisch», betont der Mediziner Gabor Forgacs, der zusammen initiiert: eine Online-Gemeinschaft, die in Open-Source-Manier ein mit seinem Sohn Andras Forgacs das Unternehmen leitet. «Es ist echtes Sturmgewehr entwickelt, das vom 3D-Drucker hergestellt werden kann. Fleisch, das aus den genau gleichen Teilen besteht wie das herkömmliWilson will damit einem möglichen Verbot von Schnellfeuergewehren che.» Bis jetzt lässt Modern Meadows das Labor-Fleisch in der Petriin den USA zuvorkommen und zeigen, dass jede Einschränkung des Zuschale wachsen. Erklärte Absicht ist es, mit dem 3D-Drucker die Grundgangs zu Waffen zum Scheitern verurteilt ist. Bislang drucken er und substanz in Form zu bringen. seine Mitstreiter nur jene Bauteile aus, die nicht frei verfügbar sind. 600 Wie überzeugt er von seinem Produkt ist, demonstrierte Forgacs an Schuss gibt sein Plastikgewehr ab, bis es auseinanderfällt, und die Enteiner Fachtagung, wo er sich vor versammelter Wissenschafterschar eiwicklung steht erst am Anfang. Thingiverse.com hat seine Baupläne von nen Hamburger briet und verspeiste (verewigt auf Youtube). «Wir sind der Website entfernt. «Ein klarer Fall von Zensur», findet der Waffenförnoch nicht auf dem All-you-can-eat-Level», räumte er ein, während er derer gegenüber dem Web-TV-Kanal Vice. Er reagierte, indem er eine eidas daumengrosse Fleischstück salzte und pfefferte. Der Hamburger mit gene Netz-Gemeinschaft initiierte mit dem Ziel, sein Open-Source-Ge-
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seiner einfachen Form ist ein ideales Werkstück für den 3D-Drucker. Aber auch Steaks sollen bald schon geprintet werden können. Bereits meldete die Tierschutzorganisation PETA, sie habe mit dem Fleischverzehr kein Problem, wenn dafür kein Tier sterben müsse. Sollte künstliches Fleisch einmal in grossen Mengen hergestellt werden können, würde das ganz besonders dem Klima nützen. Denn weder braucht seine Herstellung die enormen Mengen Wasser, Getreide und Boden, die für die Viehzucht nötig sind, noch muss es weit transportiert werden. Im Idealfall druckt man es sich zuhause aus. Die Grundsubstanz – das Gewebe – müsste allerdings immer noch aus einem Herstellungsbetrieb zu den Endkunden gebracht werden. Weiter fortgeschritten ist die Entwicklung von Leder aus dem Drucker – ebenfalls bei Modern Meadows. Da Umfragen ergeben haben, dass die Mehrheit der Menschen keinen Appetit auf Laborfleisch hat und ausserdem dessen Zulassung Jahre dauern wird, konzentriert sich das Unternehmen nun auf Leder, das tatsächlich aus Haut besteht, diese aber keinem Tier abgezogen werden musste. Vom Drucker in den Brutkasten Eine andere brisante Maschine steht in einem Forschungslabor in Wädenswil am Zürichsee: ein Hautdrucker. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat ihn zusammen mit einem IngenieurUnternehmen entwickelt, um Hautstücke herzustellen, an denen Kosmetika getestet werden können. Dies, weil Tierversuche in der Kosmetik-Herstellung seit einigen Jahren verboten sind. Der Hautdrucker legt abwechselnd Schichten von Biotinte und menschlichen Bindegewebezellen übereinander und baut so die Haut auf. Biotinte ist ein Gel aus verschiedenen tierischen Zellen. Die menschliche Zellmasse wird aus Operationsresten gewonnen. SURPRISE 299/13
Eine amerikanische Universität hat vor Kurzem ein Ohr aus künstlichem Knorpel gedruckt, das sich mit dem Organismus verbände, würde man es einem Menschen implantieren. Andere Forschungsinstitute arbeiten an ganzen Organen aus dem 3D-Drucker. All diesen printbaren Gewebearten, vom Hamburger über die Haut bis zum Ohr, ist gemeinsam, dass sie nach dem Druckprozess Tage bis Monate in einer Nährlösung oder einem Brutkasten reifen müssen, bis sie ihre endgültige Struktur erlangt haben. Nennen wir diese lebenden Druckerzeugnisse extreme und wissenschaftlichen Labors vorbehaltene Ausprägungen des 3D-Drucks. Die neue industrielle Revolution, so sie denn tatsächlich stattfindet, betrifft eher den Bereich der Gegenstände aus Kunststoff oder Metall. Autor Chris Anderson relativiert die eigene These von der neuen industriellen Revolution am Ende seines Buches gleich selber: Nicht das Ende der Kassenschlager stehe bevor, sondern das Ende des Monopols der Kassenschlager. Soll heissen: Die Massenproduktion wird nicht abgelöst, sondern es kommt eine neue Herstellungsweise dazu. Individuell, zeitlich und räumlich flexibel. Die Revolution ist eher Evolution. Zugegeben: Auch die Ausbreitung des Internets basierte auf Freiwilligkeit, bis es so dominant wurde, dass man schlicht nicht mehr darum herumkam. Möglich, dass es dereinst gewisse Produkte nicht mehr im Laden zu kaufen gibt, sondern man sie sich ausdrucken muss. Doch weil nicht alle zu ihrem eigenen Produkte-Designer werden wollen, wird es Dienstleister geben, die diese Güter auf Bestellung drucken werden. Interessant sind 3D-Drucker und die entsprechenden InternetForen für jene verkannten Erfinder und Gestalter, die ihre Würfe endlich realisieren und der Öffentlichkeit präsentieren können. Auf die Gefahr hin, dass sie sich als nicht so revolutionär erweisen, wie ihre Schöpfer glauben. ■
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Theater Im Salon des wahren Lebens Am Wildwuchs Festival stehen die Menschen im Zentrum, die vom Rand her auf die «normale» Gesellschaft sehen. Auch eine Gruppe von Surprislern lässt das Publikum an ihrer reichen Lebenswelt teilhaben.
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VON MICHÈLE FALLER (TEXT) UND LUCIAN HUNZIKER (BILDER)
«Mogu ja, mogu ja ...» Emsuda beginnt zu singen, und alle anderen setzen ein. Es sei ein kroatisch-bosnisches Volkslied, sagt sie und erklärt strahlend, dass da ein Mädchen mit schwarzen Haaren und schwarzen Augen besungen werde. Der Schmerz vom Beginn des Abends ist für den Moment vergessen. Doris sitzt warm eingepackt auf einem Stuhl. Da auch sie erst gerade krank war, schaut sie beim bewegungsintensiven Teil lieber zu. «Ich habe vorher noch nie Theater gespielt. Es ist mit fast 60 eine völlig neue Herausforderung in meinem Leben», freut sie sich. Schwierig sei es schon, auf der Bühne etwas von sich preiszugeben. Dann lächelt sie. «Ich habe keine Ahnung, wie es wird, aber ich bin überzeugt, es wird gut.» Das mit dem Preisgeben ist schon bei den Profis so eine Sache. Und beim «Salon Surprise» kommt hinzu, dass die Akteure ja spielend aus ihrem eigenen Leben erzählen. Für Luzius Heydrich war mit dem Angebot des Wildwuchs Festivals, ein Theaterprojekt mit einer Gruppe von
In der Surprise-Lounge herrscht Stimmengewirr. Domi war als Erster da und begrüsst gut gelaunt die Ankommenden. Da sind die schüchtern lächelnde Nadine und Rolf, der mit grossen Schritten und wehendem Haar direkt auf seinen Kollegen Wolfgang zugeht. Kritisch wird das neue Strassenmagazin begutachtet. In der Zwischenzeit sind auch Sokha, Doris und Emsuda angekommen. Emsuda geht es nicht gut, am Anfang möchte sie gar nicht mitspielen. «Wir müssen noch am Bühnenbild arbeiten», sagt Regisseur Luzius Heydrich, als endlich alle sitzen. Er wendet sich an Brocki-Expertin Doris: «Zehn bis 14 Bistrotischchen?», fragt er vorsichtig lächelnd. «Das ist dann so Cabaret-artig und passt gut zum ‹Salon Surprise›. Es darf aber nichts kosten.» Auch schicke Kleider und vor allem schöne Schuhe seien wichtig. «Was habt ihr selber, was müssen wir noch ausleihen?» Wolfgang freut sich: «Da kommt mein Zylinder wieder mal zum Einsatz!» Sokha schaut auf seine «In dieser Gruppe erlebe ich eine Direktheit, nicht mehr ganz neuen Turnschuhe hinunter, die ich sonst nur bei Kindern gesehen habe.» und als er die amüsierten Blicke der anderen bemerkt, muss er selber laut lachen. Das Stück, das erarbeitet wird, entsteht für das Luzius Heydrich, Regisseur Basler Wildwuchs Festival, das heuer unter dem Motto «Wir stören!» stattfindet. Das passt Menschen zu realisieren, die ausserhalb der gesellschaftlichen Norm gut zum experimentellen Konzept des Festivals, das internationale Gaststehen, der Fall klar: «Es hat mich schon immer interessiert, wie die Lespiele von Künstlerinnen und Künstlern mit und ohne Behinderung sobensrealität der Surprise-Verkäufer aussieht. Jetzt sehe ich, dass Surpriwie lokale Projekte zeigt. se keineswegs eine Endstation ist, sondern echte Perspektiven bietet. Ob Die Schauspieltruppe, die sich hier eingefunden hat, besteht aus Laidiese jemand annehmen will oder kann – das ist wieder sehr indivien. Sie verkaufen bei Surprise das Heft, singen im Chor des Sozialproduell.» jektes oder beides. Sie stehen also per definitionem am Rand unserer Gesellschaft – aus verschiedenen Gründen. Bemerkenswert dabei ist, Auch Doris hätte eine Nacht im Hotel verdient dass in dieser Gruppe eine soziale Stimmung und gegenseitige Fürsorge «Salon Surprise» findet im Rahmen der «Störmobile» statt, insgesamt herrschen, die ihresgleichen suchen. sechs Gruppen, die mit einem Fahrzeug beim «Motel Kasernenplatz» Beim Aufwärmen klopft und massiert man sich gegenseitig den Rüvorfahren, das gleichzeitig als Festivalzentrum und Theaterkulisse funcken. Regieassistentin Annette quietscht, worauf sich Emsuda übergiert. «Wir fahren mit einem richtigen Schlitten vor», sagt Luzius Heyschwänglich entschuldigt, Annette die Haare richtet und sie auf die drich. Mit dem gediegenen Rahmen von «Salon Surprise» solle ein Wange küsst. Mittlerweile ist auch Manuela eingetroffen, und die Probe Reichtum behauptet werden, den die Leute nicht erwarten. Und der beginnt. Das heisst – eigentlich sind die Übergänge fliessend, denn gleichzeitig auf den Reichtum an Erfahrungen und Erlebnissen anspielt, schon als der Regisseur die Choreografie und das Lied ankündigt und der auf der anderen Seite der materiellen Armut steht. «Wir machen das bisher Erarbeitete zusammenfasst, beginnt Sokha zu singen und kein Opferlamento, sondern zeigen das kreative Potenzial, das auf allen Manuela zu tanzen. Die Begeisterung und die Energie, die hier freigeEbenen vorhanden ist.» setzt wird, lässt einen staunen und die Welt um sich herum vergessen. Die Pause ist vorbei und der Regisseur erklärt etwas nervös – denn es folgt eine schwere Aufgabe – die Ausgangslage einer Improvisation: Kusshände und Feldarbeit Rolf, der obdachlos ist, hat ein Zimmer in diesem Wildwuchs-Motel be«Jetzt brauchen wir Konzentration. Viel Konzentration», sagt der junkommen, aber nur für eine Nacht. Die anderen kommen zu Besuch und ge Regisseur, der im sympathischen, aber dennoch beträchtlichen Chabefragen ihn dazu. So interessant die Ausgangslage – Rolf ist im wirkos eine bewundernswerte Ruhe bewahrt und charmant bleibt. Nun werlichen Leben tatsächlich obdachlos – so spannend das Ergebnis: Doris den die Gesichter ernster, ein Anflug von Nervosität ist zu entdecken. findet, auch sie hätte eine Nacht im Hotel verdient, bei ihrem kleinen Mit der Musik beginnen alle zu tanzen. «Nein, nicht irgendwie tanzen, verschissenen Mansardenzimmer mit nur kaltem Wasser. Wolfgang jetzt kommen die getanzten Geschichten aus dem Leben!» Nach kurzem meint, das sei immer noch besser, als am Flughafen zu übernachten. Gekicher der zweite Versuch. Da fährt eine im Auto vorbei und wirft Domi scherzt, ob Rolf eine Nacht auf den Malediven und eine in Paris Kusshände, der andere verrichtet Feldarbeit, jemand gewinnt eine Mesei, Doris schlägt das freie Mansardenzimmer nebenan vor und Nadine daille, es wird getanzt, geschwommen und gesungen. Auch wenn nicht gibt das viele Treppensteigen zu bedenken. Und interessanterweise erimmer klar ist, welche Tätigkeit gemeint ist – es berührt. Und zwar nicht fahren so auch die Beteiligten während der Improvisation Neues über etwa, weil hier Laien am Werk sind. Es sind die offengelegten Szenen die anderen. «Das Experiment ist gelungen», sagt der Spielleiter eraus dem durchaus nicht immer erfreulichen Leben dieser Frauen und schöpft, aber zufrieden. Männer, die begeistern und ergreifen. SURPRISE 299/13
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Rolf, konzentriert mit wehendem Haar.
Manuela übt sich im Vertrauen auf ihre Kollegen.
Trotz fortgeschrittener Stunde hält der Elan an. «Ich liebe die Choreografie, das Theater, die Komik», sagt Sokha. Schon als Junge in Kambodscha habe er in den Schulpausen immer getanzt und gesungen. Dort ersetze das Tanzen manchmal das Sprechen, erklärt er und gibt mit weit geöffneten Augen sogleich eine Kostprobe. «Es ist schön, mit anderen Menschen zusammen zu singen und kommunizieren.» Nadine hört lächelnd zu und nickt an dieser Stelle bekräftigend. Man vergesse Frustrationen, fährt Sokha fort. «Das ist wichtig, wenn man keine Familie hat und alleine lebt.» Nach dem Schwierigkeitsgrad von Improvisation und Pantomime befragt, wenn diese das eigene Leben darstellen müssen, hält der Regisseur fest: «Es ist wahnsinnig schwierig, vor allem auch schauspielerisch.» Sogar für Schauspielstudenten seien diese Übungen schwierig. «Aber die Surprise-Leute gehen unverkrampft an die Sache», grinst er. «Dann ist es viel besser!» Überhaupt ist er des Lobes voll für die ansteckende eigenwillige Lebensenergie seiner Truppe. Als etwas vom Schönsten an dieser Theatererfahrung nennt Luzius Heydrich die unverstellte Übermittlung von Gefühlen. «Da ist eine Direktheit, die ich sonst noch nie, oder nur bei Kindern, gesehen habe.» Dazu komme eine grosse Offenheit, etwas von sich preiszugeben und über alles reden zu können. «Aus dieser Kraft und Freiheit ergibt sich ein Reichtum, der vielen Nicht-Armutsbetroffenen abgeht.» ■
«Salon Surprise», Do, 30. Mai, 18.30 Uhr, Motel Kasernenplatz (Kaserne Basel). Der Surprise Strassenchor tritt ebenfalls am Wildwuchs Festival auf: Di, 28. Mai, 18 Uhr, Motel Kasernenplatz, Eintritt für beide Veranstaltungen gratis. Das Festival dauert vom 24. Mai bis 2. Juni. www.wildwuchs.ch
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Theater ist Körperarbeit: Wolfgang kippt. SURPRISE 299/13
BILD: REUTERS/LUCY NICHOLSON
Afghanistan: In den Strassen Kabuls.
Muttertag Die st채rkste Beziehung der Welt Der zweite Sonntag im Mai ist den M체ttern gewidmet. Gefeiert wird der Muttertag vor allem im Westen, etwas Besonderes ist die Bindung zwischen Kind und Mama aber 체berall auf der Welt, wie die Bilder auf den folgenden Seiten zeigen. www.street-papers.org/Reuters
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BILD: REUTERS/STRINGER BILD: REUTERS/CARLOS BARRIA
Tibet: In der Nähe des Salzsees Namtsho auf über 4700 Metern Höhe.
Japan: Unterwegs zum ersten Schultag in Fukushima.
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BILD: REUTERS/YANNIS BEHRAKIS BILD: REUTERS/NAYEF HASHLAMOUN
Irak: Durch den Sandsturm in der Nähe der Stadt Kerbala.
Palästina: Daheim in einer Höhle in der Wüste Negev, unweit der Westbank. SURPRISE 299/13
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BILD: REUTERS/ARND WIEGMANN
Klare Ansage: Die Zürcher Polizei empfängt die Fans des FC Basel in Kampfmontur.
Fankultur Wer hat Angst vorm 12. Mann? Politik und Medien bekämpfen ein Feindbild, das längst nicht mehr der Realität entspricht: Gewalt und Rassismus in den Stadien haben abgenommen. Repression und Kommerz drohen die Fankultur zu ersticken. Nun beginnen sich die Fans zu wehren.
VON OLIVIER JOLIAT
Die Schweizer Fussball-Saison 2012/13 verläuft prächtig. Die Entscheidung in der Meisterschaft ist spannend wie lange nicht mehr, der FC Basel hat europäisch abgehoben und die Schweizer Nati noch immer beste Chancen, sich für die WM zu qualifizieren. Dennoch hat der Fan momentan wenig Grund zu Freude. Denn für die Fans aller Vereine findet das entscheidende Drama neben dem Feld statt. Hier treibt der Fussball Menschen zu emotionalen Ausbrüchen, die nichts mit dem Spiel zu tun haben – und meist auch wenig Ahnung davon.
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Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) hat zur Rückrunde das überarbeitete «Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen», kurz das neue Hooligan-Konkordat, vorgestellt. Das verschärfte Regelwerk ist der Stolz des KKJPD-Präsidenten Hans-Jürg Käser. Scharf auch seine Worte zur Präsentation des Werks im Februar: «So verleidet’s denen!» Sollte er mit «denen» die in den Medien als «unverbesserliche Kurvenidioten» titulierten gewalttätigen Fussballfans meinen, dann wendet er sich an ein immer kleiner werdendes Zuschauersegment. Eine schwere Gewalttat auf 750 000 Besucher zählte man 2010. Tendenz sinkend, bei steigenden SURPRISE 299/13
tänze aus seiner Heimat aufführen und vergraulte dabei alle, die mit Zuschauerzahlen. «Der klassische Hooligan zieht sich aus dem Fussball Herz am Klub hingen. zurück», sagte Christoph Voegeli, Leiter der Hooliganismus-ZentralstelSo weit geht die aktuelle Fanpolitik zwar nicht, von einer Vergraule der Stadtpolizei Zürich, in der Sendung «Kontext» auf SRF 2. Voegeli lungstaktik lässt sich aber durchaus sprechen. Der ursprüngliche Prolebefasst sich seit 20 Jahren mit gewalttätigen Sportfans. tariersport Fussball soll propper werden, keine unschönen Bilder sollen Die Fankurven haben sich gewandelt. Die gewaltgeilen Hooligans der Vermarktung im Wege stehen. Die renommierte deutsche Wochenwurden von singfreudigen Ultras abgelöst. Waren rassistische Sprechzeitung Die Zeit äusserte die Vermutung, die «Blick»-Gruppe feuere nur chöre in den Achtzigern an der Tagesordnung, sind sie heute fast verdeshalb so vehement gegen den «Petarden-Trottel», weil Ringiers Agenschwunden. Politisch ist die Kurve, wenn überhaupt, mittlerweile als tur «Infront» auch die Super League vermarktet. Doch wer glaubt wirkeher gemässigt links einzuordnen. Dieser Wandel kam nicht durch verlich daran, dass die Stadien mit hübsch in die Kameras lächelnden junschärfte Gesetze oder Repression zustande, sondern wurde von den gen Frauen gefüllt werden können, wie die TV-Bilder der letzten EuroFans selbst eingeleitet. Initiativen wie etwa die Fanvereinigung «Halbpameisterschaften suggerierten? zeit» in Bern, wo YB-Fans seit 1996 breit gegen Rassismus im Fussball Geblendet von Leuchtpetarden sind anscheinend selbst Klubpräsimobilisieren, zeigten Erfolg. denten. So forderte Luzerns Walter Stierli seine Kurve zum Machtkampf Wer die Spiele der Schweizer Profiligen in den Stadien besucht, heraus, indem er wegen gezündeten Pyros ein Fahnenverbot einführte. weiss, dass die Fans längst besser sind als der von Medien und Politik Er verlor den Kampf, die Sympathien vieler Fans und letztlich seinen verbreitete Ruf. 99 Prozent von 3000 befragten YB-Fans fühlen sich gemäss einer Anfang dieses Jahres von der Fanarbeit Bern durchgeführten Befragung sicher «Behandelt man Fans wie Tiere, dann benehmen sie sich im Stadion. Ähnliche Befragungen in Basel auch wie solche.» und Luzern kamen auf ähnliche Werte. Jahr für Jahr steigende Zuschauerzahlen (letzte SaiPosten. Ähnliches spielte sich bei den Grasshoppers in Zürich und in son eine Rekordzahl von fünf Millionen Stadionbesuchern) unterstreiSt. Gallen ab. chen dieses Bild. Interessant an den Befragungen auch die Ergebnisse Dass es auch anders geht, zeigt der FC Basel. Als 2006 in den letzten über die wahren Sorgen der Fans: Es sind die stetig zunehmende KomMinuten des letzten Spiels der Titel verloren ging, stürmten Hunderte merzialisierung des Fussballs und unbezahlbare Tickets. frustrierter Fans das Feld und und griffen die gegnerischen Spieler an. Bernhard Heusler, damals noch Vize-, heute Präsident des Clubs, such50 000 Fans in der vierten Liga te daraufhin den Dialog mit der Kurve. Ein Novum im Denken und im Im Fussball-Mutterland England leiden die Fans schon länger daran. Umgang mit den Fans, auch für die Ultras der Muttenzer Kurve. Und ein Das einstige Spiel der Proletarier kann sich der einfache Arbeiter heute Rezept, das sich bewährte. Daniela Wurbs von der europäischen Fanvernicht mehr leisten. 54 Franken kostet das günstigste Ticket für ein Ligaeinigung FSE brachte es beim ersten Fan-Symposium in Basel letztes spiel beim Europa-League-Halbfinalgegner des FC Basel, dem FC ChelJahr auf den Punkt: «Behandelt man Fans wie Tiere, dann benehmen sie sea. Der Traditionsverein gehört seit 2003 dem Multimilliardär Roman sich auch wie solche.» Abramowitsch. Eine geschätzte Milliarde hat der russische Oligarch seither in den Verein gepumpt, um Titel zu holen. Drei Meisterschaften und Müllsammler auf Höllenfahrt die letztjährige Champions League konnte er damit gewinnen, nicht Doch: Wer sind sie eigentlich, die Fans aus der Kurve? Weil die meisaber die Herzen der Fans. ten Medien lieber alte Hooligan-Klischees bedienen, haben diese geDie Premier League stösst zwar weltweit auf das grösste Interesse, merkt: Aufklärung ist nötig. Sie müssen zeigen, wer und was sie sind – und die Stadien sind weiterhin voll. Die berühmten englischen FangeSubkultur und Autonomie hin oder her. In ihrer Film-Doku «Lutstargg» sänge verstummen jedoch mit dem Fehlen der einfachen Fans. Die Fanlernt man die Ultras von Inferno Basel als wilden und lauten Haufen vereinigung Football Supporters Federation klagt: «Die Seele des Spiels kennen, der sich mit grosser Energie und Kreativität für seinen Verein wurde verkauft.» Dabei sind es längst nicht mehr nur strauchelnde Vereinsetzt, aber auch durchaus selbstkritisch mit dem eigenen Gewaltpoeine, die sich fürs schnelle Geld verkaufen. Manchester United, sportlich tenzial auseinandersetzt. YB-Fans sieht man in ihrer Kurz-Doku «Kurze wie wirtschaftlich der erfolgreichste Verein Englands, gehört der FamiLeinen – Fanatische Fanpolitik», wie sie im Fanzug selbständig Müll lie des amerikanischen Investors Malcolm Glazer. Fans rebellieren dawegräumen und dafür gratis ans Auswärtsspiel dürfen. Dies und die Bilgegen, indem sie in Gold-Grün statt Rot-Weiss ans Spiel kommen – in der von friedlich mitreisenden Familien und in Ruhe ihrer Arbeit nachden Farben von Newton Heath, dem Verein, aus dem ManU 1902 hergehenden Kondukteuren widersprechen dem von der Politik und den vorging. Sie sorgen sich darum, dass ihr Verein im Schuldenstrudel SBB verbreiteten Bild von «Höllenfahrten», die jedes Jahr Reinigungsuntergeht. Denn Glazer kaufte den Verein mit geliehenem Geld, das nun und Reparaturkosten von drei Millionen Franken zur Folge haben. als Schulden auf dem Verein lastet. Auch Glazers Supermarkt-Imperium Mittlerweile hat sich zwar herausgestellt, dass diese Zahlen um das in den Staaten ist hoch verschuldet. Zehnfache zu hoch sind. Doch dies wurde von den Medien kaum aufWie schnell ein international erfolgreicher Traditionsverein untergegenommen. hen kann, führten letzte Saison die Glasgow Rangers aus Schottland vor Der Fan ist längst besser als sein Ruf. Und er begreift langsam, dass Augen. Als das Betreiberkonsortium pleiteging, half auch der Weltreer sich auch über das Stadion hinaus bemerkbar machen muss, um kord von 54 Landesmeistertiteln nicht weiter: Die Rangers wurden in die nicht zerrieben zu werden. Wem Fussball am Herzen liegt und wer Freuvierte Liga zwangsrelegiert. Die Investoren sind weg, die Liebe der Fans de an den farbenfrohen Choreografien und den Fangesängen hat, der zum Verein hingegen ist geblieben: An die 50 000 pilgern weiterhin an wäre gut beraten, den Fans auch ausserhalb des Stadions zuzuhören. die Heimspiele der Rangers, eben feierten sie den Aufstieg in die dritte Denn ohne sie macht Fussball nicht nur keinen Spass mehr – er lässt Liga. auch nicht mehr vermarkten. Investoren-Infernos gibt es auch in der Schweiz. Erst erwischte es ■ Servette Genf, dann Neuchâtel Xamax. Investor Bulat Tschagajew trieb den Traditionsverein letzte Saison, pünktlich zum 100-Jahr-Jubiläum, innerhalb eines halben Jahres in den Konkurs. Davor schmückte er das Wappen mit tschetschenischen Gebirgszügen, liess in der Pause VolksSURPRISE 299/13
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BILD: GUIDO SÜESS
Wörter von Pörtner Haudegen Am 9. April wurde Jean-Paul Belmondo 80. Es geht ihm gut. Er ist noch immer Solariumund Côte-d’Azur-gebräunt, trägt eine Menge Goldschmuck, das Hemd steht bis zum Bauchnabel offen. Filme macht er nur noch selten, sein Vorsatz fürs Alter ist, nichts zu tun. Wie prägend Belmondo war, merkte ich letzten Sommer, als ich in einem französischen Hotel einen alten Belmondo-Streifen im Fernsehen schaute. Belmondo hat unzählige Filme gemacht, von anspruchsvollen Klassikern mit legendären Regisseuren bis zu Action-Meterware. Der Film, den ich sah, war ein früher Actionfilm aus den Siebzigern. Amerikaner, Briten und Franzosen wetteiferten damals um die Vorherrschaft in diesem sich etablierenden Genre. Die Welt, in der sie gegeneinander antraten, wirkt heute geradezu surreal antiquiert, und damit auch die Figur des Haudegens, den Bel-
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mondo verkörperte. Wer wie er nicht zum Schönling taugte, also nicht Alain Delon war, der eiferte diesem Rollenmodell nach. Es schimmert heute noch bei in die Jahre gekommenen Partylöwen, Milieugrössen und Bauunternehmern durch. Es vertritt eine Weltsicht. Der Einfluss der französischen Filmindustrie war damals gross, und gross zeigt sich auch Frankreich in diesen Filmen. Die Concorde-Szene durfte ebenso wenig fehlen wie die zum Verständnis der Handlung wenig beitragenden Aufnahmen modernster Pariser Bauwerke. Ganze Strassenzüge wurden tagelang gesperrt, damit sich die neuesten Erzeugnisse der einheimischen Fahrzeugindustrie halsbrecherische Verfolgungsjagden liefern konnten. Der Haudegen war ein kerniger, unangepasster, aber aufrichtiger Mann. Die in Uniformen und Anzügen auftretenden Bürokraten, oft seine Vorgesetzten, waren ihm zuwider. Sein einziger Tribut an sie war die Krawatte, die er zu Lederjacke und Polyesterhemd trug. Probleme besprach er mit einer Flasche Hochprozentigem und rauchte dazu eine Packung Zigaretten. Dann war wieder gut. Natürlich beeinträchtigte das weder seine Schlagkraft noch seine Ausdauer bei den Fussverfolgungen, die irgendwie immer auf Dächer führten. Das Herumklettern auf Dächern war die Königsdisziplin des Haudegens, dessen Frisur dabei niemals verrutschte. Ausserdem mündeten
Dach- unweigerlich in Helikopterszenen. Der Helikopter war das männlichste aller Fortbewegungsmittel, abgesehen vielleicht von der Mondrakete. Frauen erlagen dem ruppigen Charme reihenweise, sie sahen gut aus, waren entweder Verführerinnen, deren wahre Motive der Haudegen natürlich sofort durchschaute, oder sie flehten ihn um Hilfe an. Dann wurden sie hysterisch, was der Haudegen mit einer kräftigen Ohrfeige zur allseitigen Zufriedenheit beendete. Am Schluss gewann er, bodigte die Bösen, demütigte die Bürokraten und gönnte sich einen kräftigen Drink. So also stellte sich unsereiner als Bub das Mannsein vor, zumal Belmondo auch im richtigen Leben genau so war. Wie man weiss, ist es anders gekommen, die Concorde fliegt nicht mehr, Frankreich hat nichts als Probleme, der Haudegen ist anachronistisch geworden und ausgestorben. Bis auf einen.
STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: MILENA SCHÄRER (MILENA.SCHAERER@GMX.CH) SURPRISE 299/13
Moderne Märchen «Katharsis ist wichtiger als ein Happy-End» Auch der Märchenfilm ist nicht mehr der alte. Längst haben auch hier Ironie und Psychologisierung Einzug gehalten. So sehr, dass der Berliner Filmwissenschaftler Matthias Hurst im Jubiläumsjahr der Gebrüder Grimm die Frage aufwirft, ob der moderne Märchenfilm überhaupt noch für Kinder geeignet ist. BILD: REUTERS/PDI/DREAMWORKS PICTURES
INTERVIEW VON MICHAEL GASSER
Herr Hurst, der Psychoanalytiker Bruno Bettelheim propagierte 1976, dass Kinder Märchen brauchen. Würden Sie sagen, dass heute Kinder stattdessen Märchenfilme brauchen? Matthias Hurst: Kinder brauchen tatsächlich Märchen, und diese werden heute fast nur noch filmisch rezipiert. Das Problem: Die Filme fallen total unterschiedlich aus. Während Texte in Märchenbüchern stärker einer gewissen Tradition verpflichtet sind, stehen in Filmen wie «Zeit der Wölfe» von 1984 das Psychologische und Horrorelemente und bei «Shrek» aus dem Jahre 2001 vor allem die Ironie im Vordergrund. Womit man nicht zuletzt jugendliche, aber auch erwachsene Rezipienten ansprechen möchte. Wie sehr orientierte sich ein Märchenfilm wie Disneys «Schneewittchen» aus dem Jahre 1937 denn am Original der Gebrüder Grimm? Heute weiss man, dass die Gebrüder Grimm viele Stoffe übernommen und weiter bearbeitet haben. Von Original zu sprechen, ist da schwierig. «Schneewittchen und die sieben Zwerge» von Disney war einer der ersten abendfüllenden Animationsfilme und sehr erfolgreich. Die in der Vorlage namenlosen Zwerge wurden dabei zu den heimlichen Hauptdarstellern. Um den Stoff interessanter zu gestalten, wurde dieser erheblich verändert. Denn Märchencharaktere sind häufig stereotyp und die Geschichten voller Leerstellen. Und um diese aufzufüllen, musste jedes Kind seine eigenen Bilder entwickeln. Hardliner behaupten, jede Märchenverfilmung sei schlecht, weil fertige Bilder vorgesetzt werden. Die Gebrüder Grimm entsexualisierten die Märchen und schälten die Ideale des Biedermeiers wie Fleiss oder Demut heraus. Ist es verwegen zu behaupten, die heutige Psychologisierung und Ironisierung von Märchenfilmen sei eine Art Rückkehr zu den Quellen? Überhaupt nicht. Tatsache ist, dass die ursprünglich häufig zotigen Märchen entschärft wurden. Nur in einer frühen Fassung von Rapunzel bekommt diese, nachdem sie ihr Haar heruntergelassen und sich mit dem Prinzen vergnügt hat, bald ein Kind. Man kann also durchaus sagen, dass der heutige Märchenfilm ein bisschen zu den Ursprüngen zurückführt, indem er mit Ironie oder psychoanalytischer Vertiefung auch wieder ein erwachsenes Publikum anspricht. Die Marxisten sahen in Märchen Kritik an den herrschenden Zuständen, die Anthroposophen so etwas wie den Zugang zur geistigen Welt. Was sieht Hollywood denn in den Märchen? Ein Abbild der eigenen Funktion. Wie das Märchen aktualisiert der Film die Archetypen immer wieder aufs Neue und ist Zugang zu unserer Traumwelt. Nicht von ungefähr wird Hollywood ja auch als Traumfabrik bezeichnet. SURPRISE 299/13
Archetypen aus der Traumfabrik: Prinzessin Fiona und Shrek.
Unterscheidet sich der europäische Märchenfilm heute überhaupt noch vom US-amerikanischen? Wer die breite Masse ansprechen will, verlässt sich auf populäre Mechanismen. Mit anderen Worten: Auch im Märchenfilm hat eine gewisse Globalisierung stattgefunden. Wer sich diesem Diktat widersetzt, muss damit rechnen, dass der Erfolg ausbleibt. Terry Gilliams «Brothers Grimm» von 2005 versuchte sich über amerikanische Sehgewohnheiten hinwegzusetzen und wurde zum Flop. In letzter Zeit wird in den Medien verkündet, das Zeitalter der Ironie sei vorüber und eine neue Ernsthaftigkeit komme auf. Sehen Sie beim Märchenfilm irgendwelche Anzeichen für diese These? Schon. Aber ich sehe auch weiterhin Anzeichen für das Ironische. Dass beide Strömungen existieren, lässt sich anhand von zwei Verfilmungen desselben Stoffes aus dem vergangenen Jahr illustrieren. Während «Schneewittchen und der Jäger» eine gewisse Ernsthaftigkeit an den Tag legte, zeigte sich «Spieglein, Spieglein» ironisch. Und: Beide Filme haben funktioniert. Wie wichtig ist eigentlich das Happy End im Märchenfilm? Wir sind ja postmodern – da ist die Katharsis wichtiger als ein verlogenes Happy End. ■ «Für Kinder ungeeignet? Tendenzen des modernen Märchenfilms» – ein Vortrag von Prof. Dr. Matthias Hurst, Berlin. Do, 30. Mai, 18.30 Uhr, Schweizerisches Institut für Kinder- und Jugendmedien, Georgengasse 6, Zürich. Der Vortrag findet im Rahmen der Ausstellung «So leben sie noch heute – 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm» statt: Museum Strauhof, Zürich, noch bis So, 9. Juni. www.strauhof.ch
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An einem ganz gewöhnlichen, besonderen Tag.
BILD: ZVG
BILD: ZVG
Kultur
Elise: Liebe und Leidenschaft, so ungezähmt wie ein Mustang im wilden Galopp.
Buch Flügge werden
Kino Glitzernder Tränenfilm
«Wie die Vögel» erzählt in leuchtenden Bildern von der wundersamen Begegnung eines Mannes und eines Vogels. Einer Begegnung mit Folgen.
Taschentuchalarm! Und das ist gut so. Der diesjährige Gewinner des Publikumspreises der Berlinale hat keine falsche Scheu vor grossen Gefühlen.
VON CHRISTOPHER ZIMMER
VON YVONNE KUNZ
Ein roter Lieferwagen fährt durch eine Landschaft, weit, leer und gelb wie eine Wüste. An einem Abhang hält der Wagen, ein Mann steigt aus, öffnet die Tür zum Laderaum – und ganz unerwartet schwingt sich ein Vogel nach dem anderen aus dem Wageninneren, eine vielgestaltige bunte Schar, die davonfliegt, in den weiten, leeren blauen Himmel. Zufrieden blickt der Mann den Vögeln hinterher. Doch als er den Wagen schliessen will, entdeckt er im Dunkel der Ladefläche zwei Augenlichter. Ein letzter, kleiner schwarzer Vogel ist zurückgeblieben. Verdutzt schauen sie einander an. Bald zeigt es sich, dass der Kleine nicht fliegen kann. Nachdenklich teilt der Mann sein Brötchen mit dem Nestling und tut dann sein Möglichstes, um dem Vogel das Fliegen beizubringen. Dass er selber dabei auf der Nase landet, scheint nicht von Bedeutung zu sein. Und tatsächlich: Der Vogel lernt die Lektion und fliegt davon. Und während er die bunte Vogelschar einholt, kehrt der Mann durch die weite Landschaft heim. Doch das ist nur die halbe Geschichte. Wie es aber weitergeht, und wie schliesslich auch der Mann im wahrsten Sinne des Wortes flügge wird, sei hier nicht verraten. Durch diese schöne Welt der Träume, die wirklich werden, blättert man sich am besten selber. Die wenigen Zeilen, die diesen Bildern vorangehen, hat Germano Zullo geschrieben. Davon, dass kleine Dinge dazu da sind, entdeckt zu werden wie ein Schatz. Dass sie imstande sind, aus ganz gewöhnlichen Tagen etwas Besonderes zu machen. Dass kleine Dinge die Welt verändern können. Diese Gedanken hat die Schweizer Illustratorin Albertine in schlichte, leuchtende Bilder umgesetzt, mit einer Geschichte, die viel erzählt, aber so, dass noch viel Raum für Fragen und Neugier bleibt. Für ihre Kunst wurde sie nun für den Hans-Christian-Andersen-Preis 2014 nominiert, der als der heimliche Literaturnobelpreis für Kinder- und Jugendliteratur gilt. Bisherige Schweizer Preisträger waren Alois Carigiet (1966), Jörg Müller (1994) und Jürg Schubiger (2008).
Sie hat einen Tattoo-Shop in einer belgischen Kleinstadt, er ein verfallenes Landhaus. Es ist Liebe und Leidenschaft so ungezähmt wie ein Mustang im wilden Galopp durch die Appalachen: Elise und Didier siegen selbst dann über die Konventionen, wenn sie heiraten. Als Brautschleier dient ein Vorhang, als Altar ein abgegriffener Pool-Tisch, und die Banjo-Band des Bräutigams gibt das Trauzeugenensemble aus bleichen Punk-Hillbillies so authentisch, dass man sie zu riechen meint. Der Gitarrist amtet als Reverend, stilvoll im Ausdruck, sonor in der Stimme, er vermählt die beiden «in sickness», Hustenanfall, «and health», und bis der Tod euch scheidet. Und das tut er hier gleich zweimal. Bald eröffnet Elise Didier, sie sei im dritten Monat schwanger. Es wird ein Mädchen, es heisst Maybelle, und für eine Weile ist das Glück auf unperfekte Weise perfekt. Fahrtwind auf der Pneuschaukel, glückliche Gesichter im Schein des Nachtfeuers und bittersüss leidende BluegrassLieder. Selbst als Maybelle an Leukämie erkrankt, geht das Leben voll ehrlicher Menschlichkeit weiter. Als die Kleine das Spital verlässt und nach Hause kommt, interpretiert Papas Band als Willkommensständchen etwas aus dem Disney-Repertoire. Die Message: «Hey, auch wenn’s scheisse ist, ist’s gut.» Ist es auch. Bis Maybelle stirbt. Auf einen Schlag ist nichts mehr, wie es war – oder genau, wie es immer war, nur tritt jetzt eine weitere Realität aus dem Schatten des Glanzes des Glücks. Freak oder nicht, jetzt wird abgerechnet. Wer hat mehr geputzt, mehr gekocht, weniger gesoffen, weniger geraucht? Wer trauert besser, wer glaubt das Richtige, wer hat recht? Die nicht chronologische Erzählung ist gescheit und komplex umgesetzt, und selten schien der Umgang mit Rhythmus und Rhythmuswechseln so virtuos, so symphonisch. Die Cleverness ist das eine, das andere ist die fehlende Scheu vor grossen Gefühlen. Und wie besser lassen sich diese transportieren als mit Musik? Nebenher ist der Film auch eine Ode an den Bluegrass, «the real country music». Die Darsteller singen und spielen selbstkomponierte Lieder, aber nicht sich selbst. Beim Singen haben sie stets einen glitzernden Tränenfilm über den Pupillen. Wie schätzungsweise 80 Prozent der Leute im Saal auch.
Germano Zullo (Text), Albertine (Illustrationen): Wie die Vögel. Aladin Verlag 2012. 18.90 CHF.
Felix van Groeningen: «The Broken Circle», Belgien 2012, 112 Min. Mit Johan Heldenbergh, Veerle Baetens, Nell Cattrysse u.a. Der Film läuft ab 23. Mai in den Deutschschweizer Kinos.
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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
Stochert im Leben der anderen: Mats Staub.
Kunst Was wirklich wichtig ist Was hat mich zu dem Menschen geformt, der ich heute bin? Ein Langzeitprojekt des Künstlers Mats Staub zeigt und sammelt Meilensteine und Zäsuren in anderer Leute Leben. VON MONIKA BETTSCHEN
«August 1961: Ich sehe mit fünf Jahren in Holland zum ersten Mal das Meer» oder «Dezember 2009: Meine Firma steht vor dem Konkurs und ich vor einem Schuldenberg». Es ist nicht schwierig, sich in den an Lebensläufe erinnernden Biografien zu verlieren, die seit Anfang Jahr beim Künstler Mats Staub eintreffen. Bereits an die 200 Menschen sind seinem Aufruf gefolgt, zehn wichtigste Ereignisse ihres Lebens online aufzulisten – Staub spricht absichtlich nicht von «den zehn wichtigsten Ereignissen», um nicht einen Eindruck von Vollständigkeit schaffen. Es scheint, als habe er in einem Alltag, in dem jede Werbebotschaft den Anspruch erhebt, die wichtigste zu sein, einen Nerv der Zeit getroffen. «Man zeigt sich, muss sich aber nicht im besten Licht präsentieren, wie etwa in einem Facebook-Profil», so Staub, der die Listen mit seinem Team behutsam redigiert. Die Rückblenden sind in einer einfachen, authentischen Sprache gehalten. Die Teilnehmenden scheinen das Prinzip, dass es hier eben nicht um Best-of-Momente, sondern um einschneidende Erlebnisse und Zäsuren geht, verstanden zu haben. Sie erzählen vom Bangen am Scheideweg, von Vorfreude, von Ahnungen. «Ich bin überrascht und beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit der Teilnehmenden. Ich befürchtete anfangs, dass die Beschreibungen eher schwammig ausfallen, doch das Gegenteil ist der Fall», freut sich Mats Staub. Zwischen den Ereignissen können Monate, manchmal auch Jahre liegen. Es ist reizvoll, die Zwischenzeiten mit der eigenen Fantasie zu füllen. Wenn da zu lesen ist: «August 2012: Das ist es also, wenn die Seele nicht mehr da ist, denke ich beim Anblick meines aufgebahrten Vaters» oder «September 2012: Er will Kinder, ich will keine. Es ist aus», kommt man nicht umhin, sich Szenarien auszumalen, die zu einem solchen Satz geführt haben, oder auch den eigenen Lebensentwurf zu reflektieren. Das Projekt «Zehn wichtigste Ereignisse meines Lebens» lädt noch das ganze Jahr dazu ein, eine eigene Liste hinzuzufügen. Die web-basierte Sammlung wird ergänzt durch eine Kunstaktion, die an wichtigen Orten des freien Theaters stattfindet.
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Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar
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Coop Genossenschaft, Basel
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Cilag AG, Schaffhausen
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Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Ottenbach
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Novartis International AG, Basel
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Solvias AG, Basel
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Ernst Schweizer AG, Metallbau, Hedingen
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confidas Treuhand AG, Zürich
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ratatat – freies Kreativteam, Zürich
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G.A.T.E.S., Hôteliers & Restaurateurs SA, Basel
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Claude Schluep & Patrick Degen, Rechtsanwälte, Bern
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homegate AG, Adliswil
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Sprenger & Partner Bauingenieure SIA USIC, Arlesheim
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Oechslin Architektur GmbH, Zollikerberg
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Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen
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IBP – Institut für Integrative Körperpsychotherapie, Winterthur
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Knackeboul Entertainment
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Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich
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Girod Gründisch & Partner, Visuelle Kommu-
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Paul & Peter Fritz AG, Literary Agency, Zürich
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TYDAC AG, Web-Mapping-Software, Bern
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Kaiser Software GmbH, Bern
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Balcart AG, Carton, Ideen, Lösungen, Therwil
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Lions Club Zürich-Seefeld
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Klimaneutrale Druckerei Hürzeler AG,
nikation, Baden
Regensdorf
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
Anschauen oder mitmachen unter: www.zehn-wichtigste-ereignisse-meines-lebens.net Termine Kunstaktion: Festival «Aua wir leben», Bern, noch bis So, 5. Mai. Ab September im Theater Tuchlaube, Aarau, und ab Oktober im TheaterChur. SURPRISE 299/13
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Ausgehtipps
So klein mit Hut – Jules Stauber zum Dauerbrenner Beziehungen.
Basel Hintersinnig Der Schweizer Cartoonist Jules Stauber (1920 – 2008) war ein grosser Meister der kleinformatigen Metaphern: Ob Philosophie, Gesellschaft, Arbeit oder Beziehungen – so gross wie die Vielfalt seiner Themen ist die fast schon wissenschaftliche Akribie, mit der er diese in unzähligen Variationen untersucht hat. Die Ausstellung «Zeichnen hilft» präsentiert den Zeichner mit den europäischen Zeitgenossen Bosc, Chaval, Flora und Sempé sowie Künstlern der Satirezeitschrift Nebelspalter. Allen gemeinsam sind die Merkmale des heute als klassisch angesehenen Cartoons: ein reduzierter, stilisierter Strich, zurückhaltend mit der Tuschfeder gesetzte Linien, der Verzicht auf Farben und Effekte – und der feine, hintersinnige Humor. (mek)
Machen alles andere als Begräbnismusik: The Heavy.
Elegant und gefährlich: Christine Owman.
Bern In die Hüften
Zürich Sägendes Gruseln
Eigentlich erstaunlich, dass The Heavy hierzulande noch immer in Klubs auftreten. Daheim in England spielt das Quartett heuer bei den renommierten Festivals Glastonbury und T in the Park, und auch in den USA läuft die Karriere prächtig. Dafür verantwortlich ist nicht zuletzt ein legendärer Auftritt in David Lettermans «Late Show», bei dem der Moderator spontan eine Zugabe forderte. «How You Like Me Now» heisst dieses Stück, das die Band auch für eine Bierwerbung freigab. Dafür liess sie sich offenbar ordentlich bezahlen, denn für das aktuelle Album «The Glorious Dead» leistete man sich einen Chor, sodass der Stilmix aus Psychedelik, Punk, Funk, R&B und Rock weniger nach Garage und mehr nach Gospel klingt. Da und dort mussten sich The Heavy Ausverkaufsvorwürfe anhören, doch wer das Konzert auslässt, schneidet sich ins eigene Ohr. Denn eine Livetruppe, die derart in die Hüften fährt wie die Band um Kelvin Swaby, den Charmebolzen mit der grossen Soulstimme, gibt es selten zu erleben. (ash)
Das Cover von Christine Owmans aktuellem Album «Little Beast» zeigt eine Frauenhand im Netzhandschuh, die an eine Säge fasst, als wärs eine Gitarre. Das passt nicht nur, weil die singende Säge tatsächlich zu den Instrumenten gehört, derer sich die schwedische Songwriterin bedient. Es steht auch für Pole, zwischen denen sie sich bewegt: hier die elegante Betörung, da die gefährlichen Zacken. «Little Beast» erschien Anfang dieses Jahres bei Glitterhouse. Die Labelwahl macht insofern Sinn, als Owmans Musik im Folk wurzelt. Trotzdem ist sie weit weg von tendenziell traditionalistisch musizierenden Labelkollegen wie den Walkabouts. Selbst in ihren eingängigsten Liedern bleibt Christine Owman rätselhaft bis unheimlich, und manchmal können einen die Arrangements aus Säge, Cello und verfremdetem Gesang ganz schön gruseln. Live projiziert Owman, die auch Theatermusik verfasst, gern Videoprojektionen an die Rückwand der Bühne, um dann vor obskurem Bildmaterial headbangend die Säge zu schwingen. Seltsam und selten schön. (ash)
So, 12. Mai, 20 Uhr, Dachstock, Bern.
Mo, 6. Mai, 20.20 Uhr, El Lokal, Zürich.
Anzeigen:
«Zeichnen hilft. Cartoons von Jules Stauber», noch bis So, 26. Mai zu sehen im Cartoonmuseum Basel. www.cartoonmuseum.ch
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Waschechte Mongolen: Das Theaterkollektiv Monster Truck zeigt «Dschingis Khan».
Zürich Nur nicht perfekt OKKUPATION! So nennt sich das Zürcher Theaterfestival, an dem behinderte wie nicht behinderte Theaterschaffende seit vier Jahren ihre Arbeiten zeigen, die eines sicher immer können: ungewohnte Blicke auf die Welt werfen. Die aktuelle Ausgabe widmet sich «dem zum Glück immer noch imperfekten Menschen». Zu sehen gibt es Tanz, Theater, Performance und vieles mehr in der Roten Fabrik, der Gessnerallee und im Schauspielhaus Schiffbau. (dif) «OKKUPATION!», Internationales Theaterfestival, Mi, 22. Mai bis Sa, 1. Juni. www.hora-okkupation.ch
Das haut die stärkste Schnecke um: Comics, geschenkt.
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Im Comicladen Gratishelden Das Roxy in Basel ist tot, schon seit Jahren, aufgefressen von Mediamarkt und Internet, es ruhe in Frieden. Auch Chop Records in Bern hätte es fast erwischt. Es überlebte, vertrieben von seiner zentralen Lage am Waisenhausplatz, indem es sich in einem kleinen Kellerlokal versteckt. Umso tröstlicher, dass die Comic-Shops das grosse Fressen von Thalia und Amazon bis jetzt offenbar fast unbeschadet überstanden haben! Denn auch sie bieten noch ein wahrhaftiges «Einkaufserlebnis» fern jeglicher Shopping-Mall-Atmosphäre. Es sind Institutionen von Freaks für Freaks – und solche, die mal einen Blick in die bunte, vielfältige Welt der gezeichneten Geschichten riskieren wollen. Kompetente Begleitung ist dabei garantiert, ob im Comix Shop in Basel, im DracheNäscht in Bern oder im Analph in Zürich. Besonders lohnt sich dies am 11. Mai, dann ist im ganzen deutschsprachigen Raum Gratiscomictag. Das heisst: Wer einen Comicladen besucht, darf Hefte mitnehmen, eigens zur Verfügung gestellt von verschiedenen Verlagen, von Mangas über Superhelden zu Disney und den Simpsons, gratis und franko, geschenkt, einfach so. Gibt es das im Internet und dort, wo sich die Konzern-CEOs «Geiz ist geil» als Motto auf die Fahnen geschrieben haben? Eben. (fer) Gratiscomictag, Sa, 11. Mai, in Comicshops in der ganzen Deutschschweiz, Deutschland und Österreich, siehe www.gratiscomictag.de.
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Verkäuferporträt «Ich fürchtete mich vor dem Gefängnis» BILD: MWF
Der Surprise-Verkäufer im Bahnhof Luzern heisst Hadush Abayu (54). In Äthiopien gehörte er einst zur Elite. Doch dann geriet er zwischen die politischen Fronten und musste seine Heimat verlassen. Heute wohnt er mit seiner Familie im Luzerner Hinterland. AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN
«Ich bin im Norden von Äthiopien in der Region Tigray geboren und aufgewachsen. Als Kaiser Haile Selassie 1974 gestürzt wurde, war ich 16 Jahre alt. Meine Freunde und ich diskutierten damals sehr viel über politische Systeme und waren der Meinung, Sozialismus sei die beste Form von Demokratie. In dieser Zeit habe ich übrigens auch ein Buch über die Schweiz und ihre Staatsform gelesen; ich wusste deshalb schon ziemlich viel über dieses Land, als ich 2007 hier ankam. Äthiopien entwickelte sich nach dem Umsturz unter dem Einfluss der Sowjetunion leider zu einer Militärdiktatur. So kam es, dass ich nach ein paar Jahren als Lehrer für Biologie und Geschichte und später als Schulleiter von der Partei ‹ausgewählt› wurde, um einen Chefposten in der ideologischen Abteilung zu übernehmen. Hätte ich diese Arbeit abgelehnt, wäre ich ziemlich sicher ins Gefängnis gekommen: Ist man nicht für die Partei, ist man gegen sie. Ich machte also meinen Job und versuchte dabei, das Bestmögliche für die Menschen zu tun. Während ich im Parteibüro arbeitete, bereiteten verschiedene Gruppen im Untergrund den Kampf gegen die Militärdiktatur vor. Ich wusste davon und hätte die Seite wechseln können, aber ich fürchtete mich vor dem Gefängnis. Als der Aufstand und die Absetzung der Regierung 1991 schliesslich gelangen, kam ich trotzdem ins Gefängnis – die neue Regierung liess Parteifunktionäre wie mich verhaften. Zu meinem grossen Glück waren die Verhältnisse in den Gefängnissen kurz nach der Revolution ziemlich chaotisch, deshalb konnte ich fliehen. Um mich in Sicherheit zu bringen, gab es nur eine Möglichkeit: Ich musste das Land verlassen. Nach 13 Tagen Fussmarsch gelangte ich nach Khartoum, der Hauptstadt des Sudan. Meine Frau und unseren Sohn – sowie zwei Söhne aus früheren Beziehungen – liess ich zurück. Ich fing neu an und eröffnete einen Barbershop, einen Coiffeursalon für Männer; dazu betrieb ich eine Art Telefon- und Internetcenter. Ein Jahr nach meiner Ankunft folgten mir meine Frau und der kleine Sohn. Wir lebten insgesamt zehn Jahre in Khartoum, dann hielten wir es nicht mehr aus – Geld kann man dort zwar verdienen, aber in Frieden leben ist nicht möglich. Als nichtmuslimischer Migrant hat man doppelten Ärger: Viele Kunden kamen nie mehr, nachdem sie wussten, dass ich Christ bin. Zudem galten für uns Ausländer nicht die gleichen Regeln und Gesetze wie für Sudanesen. 2003 verliessen meine Frau und ich mit mittlerweile drei Kindern Khartoum, mit dem Ziel, nach Europa zu gehen. Unsere weitere Reise führte uns durch die Sahara nach Libyen. Von dort aus wollte ich alleine weitergehen, weil wir unsere Kinder nicht in Gefahr bringen wollten. Doch das war nicht einfach: Drei Mal haben wir den Schleppern Geld gegeben für einen Platz auf einem Schiff, drei Mal sind sie mit dem Geld verschwunden. Schliesslich blieb ich drei Jahre in Libyen. Um die Familie zu ernähren, habe ich als Tigrinya-Lehrer für Flüchtlingskinder gearbeitet. Beim vierten Mal hat die Überfahrt geklappt, und ich bin heil in Italien angekommen. Nicht zuletzt das Buch, das ich 30 Jahre zuvor gelesen hatte, bewegte mich zur Weiterreise in
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die Schweiz, wo ich im April vor genau sechs Jahren angekommen bin. Meine Frau sollte eigentlich mit den vier Kindern – unsere dritte Tochter kam in Libyen zur Welt – warten, bis ich sie als Familie in die Schweiz holen durfte. Doch eines Tages, Anfang 2009, rief sie mich an und sagte: ‹Ich bin in Genf›. Sie hatte einen günstigen Moment ausgenutzt und war mit anderen Leuten übers Mittelmeer gefahren. Ich bin so dankbar, dass wir jetzt alle zusammen in Frieden im luzernischen Ruswil leben können. Die Mädchen gehen in die Schule, der Junge macht eine Lehre als Autolackierer. Sie haben hier Freunde und möchten nie mehr weg. Mit dem Verkauf von Surprise habe ich angefangen, weil ich bis jetzt keine andere Arbeit gefunden habe. In meinem Alter ist das schwierig, und um als Lehrer oder Coiffeur zu arbeiten, braucht es eine Ausbildung, die hier anerkannt ist. Durch den Heftverkauf kann ich nun wenigstens einen kleinen Teil zu unserem Lebensunterhalt beitragen, und am Abend bin ich müde und habe das zufriedene Gefühl, gearbeitet zu haben, wie andere Menschen auch.» ■ SURPRISE 299/13
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.
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Herausgeber Verein Surprise, Postfach, 4003 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Reto Aschwanden, Florian Blumer, Diana Frei (Nummernverantwortliche), Mena Kost redaktion@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Amir Ali, Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Monika Bettschen, Davide Caenaro, Michèle Faller, Michael Gasser, Lucian Hunziker, Olivier Joliat, Yvonne Kunz, Stefan Michel, Isabel Mosimann, Karin Scheidegger, Franziska Zaugg Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 15000, Abonnemente CHF 189, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Christian von Allmen
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Surprise Da läuft was Strassenfussball-Liga Fulminanter Auftakt
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Schön ist es, zum Saisonstart vertraute Gesichter zu sehen. Noch mehr freut es, wenn zudem viele neue Spieler zu begrüssen sind! Gleich vier neue Teams bereichern die Strassenfussball-Liga in der «15 Jahre Verein Surprise»-Saison. Die Mannschaften von CSATeamplayers und Team Dreispitz mussten am Auftaktturnier in der Sporthalle Bäumlihof in Basel zwar noch Lehrgeld zahlen, meinten aber, sie wollten unbedingt wieder kommen. Mit den AFG Boys Basel im A sowie dem amtierenden Schweizermeister Street Dogs Liestal im B gewannen die jeweiligen Topfavoriten ihre Kategorie. Überflieger waren jedoch die Barracuda-Spieler, welche im B nicht nur den 2. Platz holten, sondern auch gleich noch die FairplayTrophäe! Die vielen zufriedenen Gesichter, die zum Saisonstart zu sehen waren, hatten viel mit dem Einsatz der 14 Teams am Benefizturnier am Abend vorher zu tun: Dank deren Einsatz floss nicht nur Schweiss in die Trikots, sondern auch Geld in die Kassen von Surprise Strassensport. Allen Beteiligten inklusive freiwilligen Helfern und Sponsoren sei Dank: Die Jubiläumssaison ist erfolgreich gestartet! (ojo)
Strassenchor «Atme durch deine Beine!» Körperarbeit gehört zum Einstieg in jede Chorprobe, doch für einmal bekam sie besonderes Gewicht: Mitte April kam unser Chor in den Genuss einer Stimmwerkstatt mit der Sängerin und Körpertherapeutin Susanne Moldovanyi. Die neun Frauen und sechs Männer machten dabei ganz neue Erfahrungen, etwa als sie dazu aufgefordert wurden, durch ihre Beine zu atmen. Für viele der Chormitglieder war die bewusste Körperwahrnehmung eine neue und bereichernde Erfahrung, da nicht alle ein gutes Verhältnis zu ihrem Körper haben. Susanne Moldovanyi brachte bei der Einzelarbeit im Kreis jede einzelne Stimme zum Klingen und zeigte mit gezielten Übungen, wie man sie verbessert. Und sie zeigte auf, was alles mit der Stimme möglich ist, wenn man sich öffnet. Der Erfolg stellte sich sofort ein: Das Lied «Dame un beso» tönte zum Abschluss schon deutlich besser als noch zum Einstieg. (pas)
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