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Strassenmagazin Nr. 492 22. Jan. bis 4. Feb. 2021

CHF 6.–

davon gehen CHF 3.– an die Verkäufer*innen

Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufer*innen mit offiziellem Verkaufspass

Menschenrechtsanwalt Philip Stolkin über die IV-Politik des Bundes. Seite 8

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BETEILIGTE CAFÉS

Die Corona-Krise trifft die Kleinen hart. Zeigen Sie Solidarität mit den Café Surprise.

IN BASEL Bäckerei KULT, Riehentorstrasse 18 | Bäckerei KULT «Elsi», Elsässerstrasse 43 | BackwarenOutlet, Güterstr. 120 | Café Bohemia, Dornacherstr. 255 | Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstr. 14 | Flore, Klybeckstr. 5 | Café Restaurant Haltestelle, Gempenstr. 5 | Kiosk Amann, Claragraben 101 | Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg | Quartiertreffpunkt Kleinhüningen, Kleinhüningerstr. 205 | Quartiertreffpunkt Lola, Lothringerstr. 63 | Les Gareçons to go, Badischer Bahnhof | Rest. Manger & Boire, Gerbergasse 81 | Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstr. 96 | Didi Offensiv, Erasmusplatz 12 | Radius 39, Wielandplatz 8 | Café Spalentor, Missionstrasse 1 | HausBAR Markthalle, Steinentorberg 20 | Treffpunkt Breite, Zürcherstrasse 149 IN LENZBURG feines Kleines, Rathausgasse 18 IN LUZERN Jazzkantine zum Graben, Grabenstr. 8 | Meyer Kulturbeiz, Bundesplatz 3 | Blend Teehaus, Furrengasse 7 | Quai4-Markt Baselstrasse, Baselstr. 66 | Restaurant Quai4, Alpenquai 4 | Quai4-Markt Alpenquai, Alpenquai 4 | Pastarazzi, Hirschengraben 13 | Netzwerk Neubad, Bireggstr. 36 | Sommerbad Volière, Inseli Park | Restaurant Brünig, Industriestrasse 3 | Arlecchino, Habsburgerstrasse 23 IN RAPPERSWIL Café good, Marktgasse 11 IN SCHAFFHAUSEN Kammgarn-Beiz, Baumgartenstr. 19 IN BERN Café Kairo, Dammweg 43 | Café MARTA, Kramgasse 8 | Café Tscharni, Waldmannstr. 17a | Café-Bar das Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 | LoLa Lorraineladen, Lorrainestr. 23 | Luna Llena Gelateria Rest. Bar, Scheibenstr. 39 | Rest. Genossenschaft Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17 | Rest. Löscher, Viktoriastr. 70 | Rest. Sous le Pont – Reitschule, Neubrückstr. 8 | Rösterei Kaffee und Bar, Güterstr. 6 | Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 | Zentrum 44, Scheibenstr. 44 | Café Paulus, Freiestrasse 20 | Becanto GmbH, Bethlehemstrasse 183 | Phil’s Coffee to go, Standstrasse 34 IN BIEL Treffpunkt Perron bleu, Bahnhofplatz 2d IN ZÜRICH Café Zähringer, Zähringerplatz 11 | Cevi Zürich, Sihlstr. 33 | Quartiertreff Enge, Gablerstrasse 20 | Flussbad Unterer Letten, Wasserwerkstr. 141 | Kafi Freud, Schaffhauserstrasse 118 | Kumo6, Bucheggplatz 4a | Sport Bar Cafeteria, Kanzleistrasse 76 IN STEIN AM RHEIN Raum 18, Kaltenbacherstr. 18 IN WINTERTHUR Bistro Dimensione, Neustadtgasse 25 IN OBERRIEDEN Strandbad Oberrieden, Seestrasse 47 IN ST. GALLEN S’Kafi, Langgasse 11 IN MÜNCHENBUCHSEE tuorina boutique & café, Bernstrasse 2 IN DIETIKON Mis Kaffi, Bremgartnerstrasse 3a

Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise

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Kultur Kultur

Solidaritätsgeste Solidaritätsgeste

STRASSENSTRASSENCHOR CHOR

CAFÉ CAFÉ SURPRISE SURPRISE

Lebensfreude Lebensfreude Entlastung Entlastung Sozialwerke Sozialwerke

BEGLEITUNG BEGLEITUNG UND UND BERATUNG BERATUNG

Unterstützung Unterstützung

Job Job

STRASSENSTRASSENMAGAZIN MAGAZIN Information Information

SURPRISE WIRKT SURPRISE WIRKT

ZugehörigkeitsZugehörigkeitsgefühl gefühl EntwicklungsEntwicklungsmöglichkeiten möglichkeiten

STRASSENSTRASSENFUSSBALL FUSSBALL

Erlebnis Erlebnis

Expertenrolle Expertenrolle

SOZIALE SOZIALE STADTRUNDSTADTRUNDGÄNGE GÄNGE PerspektivenPerspektivenwechsel wechsel

Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen und auf2die Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, uns ohne staatliche sind aufHinsicht Spenden Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. Gesellschaft. Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschenfinanzieren in der Schweiz. Unser Angebot Gelder wirkt inund doppelter – und auf den armutsbetroffenen Menschen surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC gewinnorientiert, 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1455 3Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht finanzieren uns ohne1255 staatliche surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

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TITELBILD: BODARA GMBH

Editorial

Post vom Bundesrat Zugegeben: Wir haben nicht damit ge­ rechnet, dass Alain Berset uns antwortet. Zwar hatten wir den offenen Brief mit ­unseren Lösungsvor­schlägen zu den Miss­ ständen bei der Invalidenversicherung nicht nur über unser Heft, sondern auch per Post an den Gesundheitsminister geschickt, doch uns erschien dies als reine Formsache. Umso mehr freute uns das Antwortschreiben, das uns kurz vor den Feiertagen erreichte. Für uns ist das ein Grund, die ­Debatte um die Invalidenversicherung noch ­einmal weiterzuführen – was angesichts der geforderten Reformen und des hohen Leidensdrucks der Betroffenen mehr als notwendig ist. Wir haben das Schreiben des Bundesrats ausgewiesenen Expert*innen vorgelegt und um eine ­Stellungnahme ge­ beten – das Ergebnis lesen Sie ab Seite 8. Nachdem wir uns in Ausgabe 488 aus­ führlich mit den Auswirkungen der Pande­ mie auf die Branche der Sexarbeiter*innen beschäftigt haben, wagen wir diesmal ­einen Blick in die andere Richtung: Wer

4 Aufgelesen 5 Was bedeutet eigentlich … ?

Working Poor

5 Vor Gericht

Mensch zerstört, Katze büsst

6 Verkäufer*innenkolumne

Schnee schaufeln

7 Die Sozialzahl

8 IV-Serie

Antwort von Bundesrat Berset

14 Homophobie

Krakau droht zu kippen

sind eigentlich die Kunden, welche die Dienstleistungen der ­Sexarbeiter*innen kau­ fen? Wie sehen sie sich selbst und wie ­diejenigen, deren Dienste sie in Anspruch nehmen? Darf man das wirklich tolerieren oder sollte man den Kauf von Sex unter Strafe stellen? Und was würde das be­ deuten hinsichtlich politischer Massnahmen zum Schutz der Sexarbeiter*innen? Aus­ führlich ab Seite 18. Auf Seite 5 finden Sie ab dieser Ausgabe eine neue kleine Rubrik: Was bedeutet eigentlich ...? Darin erklären wir kurz und knapp Begriffe aus der Sozialpolitik, die zwar oft fallen, aber nicht immer ver­ standen werden. Wir hoffen damit eine Brücke zu schlagen zwischen denen, die im Elfenbeinturm der Forschung diese Wörter prägen, und Ihnen, die wir nicht allein lassen wollen mit all den Begrifflichkeiten. SAR A

WINTER SAYILIR

Redaktorin

20 Prostitution

28 SurPlus Positive Firmen

24 Kultur

29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren

Ein Freier erzählt Florian Burkhardt

25 Buch

Grosses Kino

26 Veranstaltungen

30 Surprise-Nachruf

Barkad Umar

27 Tour de Suisse

Pörtner in Frauenfeld

Frauen an die ­Erwerbsarbeit

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Aufgelesen

News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

«Dem Tode zum Trotz» Im August verstarb unerwartet Patricia Merkin, die Gründerin der argentinischen Strassenzeitung Hecho en Bs. As. Ihr Kollege Tomás Astelarra erinnert sich.

«Mit Patricia Merkin ist eine Kämpferin, eine Kriegerin, eine Lehrerin und eine Freundin gestorben, die mir beigebracht hat, dass es nicht unmöglich ist, die Welt zu verändern. Aber auch, dass niemand dir dabei applaudieren wird, ganz im Gegenteil. Sie werden dich langsam umbringen, so wie es diese Gesellschaft des Todes und der unglaublichen Profite so gut kann. Patricia Merkin hat uns auch die freudige Rebellion gelehrt, den Eigensinn der Indigenen. Sie hat auf das Leben gesetzt, dem Tode zum Trotz.»

HECHO EN BS. AS., BUENOS AIRES

Lächeln erlaubt Ende des Jahres verstarb ebenfalls Dimitri Koutsomytis, Fotograf beim norwegischen Strassenmagazin =Oslo. Freund*innen, Kolleg*innen und Fans gedachten seiner auf Facebook, wo eine*r schrieb:

«Wenige Jahre, nachdem Dimitri aus Griechenland nach Norwegen kam, begann er ehrenamtlich bei Norwegens erstem Strassenmagazin zu arbeiten. Seine spezielle Herangehensweise war, dass er Drogenabhängige wie normale Menschen behandelte, als Personen zum Beispiel, denen es erlaubt war, auf Fotos zu lächeln. Damals war dies ein ungewohnter Anblick in den Medien, die Süchtige lieber unter einer Kapuze versteckt oder anonymisiert im Gegenlicht abbildeten.» =OSLO, OSLO

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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

Was bedeutet eigentlich ... ?

Working Poor Wer arbeitet und in einem armen Haushalt lebt, gilt als Working Poor. Betroffene werden in der Schweiz nicht spezifisch unterstützt. Geholfen wird vor allem Arbeitslosen. Eine Ausnahme sind die in Genf, Waadt und Solothurn eingeführten Ergänzungsleistungen für erwerbstätige Familien. Was tun gegen Arbeitsarmut? Die klassische Lösung ist der Mindestlohn. Einen solchen gibt es in einzelnen Kantonen sowie in manchen Branchen im Rahmen von Gesamt­ arbeitsverträgen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Einkommen schützt vor Armut. Der Nachteil: Viele Stellen können wegfallen, wenn Mindestlöhne durchgesetzt werden. Betroffen sind vor allem Geringqualifizierte. Deswegen ist ein anderer Ansatz zur Bekämpfung von Arbeitsarmut populär geworden: Sozialleistungen, die auf Personen mit tiefem Einkommen zugeschnitten sind. Ein Beispiel sind Steuergutschriften. Die Idee: Wer wenig verdient, zahlt keine Steuern und erhält ggf. sogar Geld vom Staat, so wie Betroffene in Irland, Schweden und Frankreich. In anderen Ländern (z.B. Deutschland, Holland, Belgien) profitieren Working Poor von Steuererleichterungen oder reduzierten Lohnbeiträgen. Kritisiert wird, dass ohne Mindestlohn die Gefahr besteht, dass Arbeitgeber*innen immer tiefere Löhne zahlen. Dafür finden Geringqualifizierte einen Job – und kommen dank Sozialleistungen trotz tiefem Lohn über die Runden. Auch der Gang aufs Sozialamt bleibt ihnen erspart. Sozialleistungen für Working Poor erleichtern ausserdem die Integration von Migrant*innen mit tiefem Ausbildungsniveau und begrenzten Sprachkenntnissen. EBA Quelle: Eric Crettaz: Working Poor. In: Carlo Knöpfel, Ueli Tecklenburg et al. (Hrsg.): Wörterbuch der Schweizer Sozialpolitik. Zürich, Genf 2020. Surprise 492/21

Vor Gericht

Mensch zerstört, Katze büsst Das Verhältnis des Menschen zur Umwelt – darum geht es im Kern bei diesem Fall am Bezirksgericht Andelfingen. Hintergrund der Tat ist nämlich der Frust des Beschuldigten über den Vogelschwund. Früher habe er an der Futterstelle in seinem Garten bis zu dreissig Arten beobachten können, klagt der Rentner zum Prozessauftakt, heute fast keine mehr. Sein Eindruck täuscht nicht: Gerade bei früher weit verbreiteten Kleinvogelarten ist der Schwund teils drastisch. Rebhühner sind fast ganz verschwunden. Bis zu halbiert haben sich die Bestände vieler Zugvogelarten. Ob solch dramatischer Entwicklungen könnte man schon ins Grübeln geraten: Wie der Mensch mit seiner Lebensweise Lebensraum zerstört. Und welch weitreichende Folgen das haben kann. Nicht so der Vogelfan aus dem Zürcher Weinland. Er ist nicht der Typ, der Dinge in Dimensionen jenseits des eigenen Gartenzauns denkt. Sein Unmut richtet sich nicht gegen die für das Vogelsterben hauptursächliche intensive Landwirtschaft – oder die Menschen, die in der Schweiz die Hälfte der eingekauften Lebensmittel wegschmeissen. Sondern gegen Katzen. Insbesondere gegen die rote des Nachbarn. Die hatte er im Verdacht, als sich bei der Futterstelle mal wieder ein Bild des Schreckens bot: «Überall lagen Federli!» Der würde er einen Denkzettel verpassen. Er stellte eine Kastenfalle auf, mit Schinkenwurst als Köder. Darin sass nächstentags aber nicht die rote, sondern eine ihm unbekannte getigerte Katze. Was soll’s. Der ehemalige Sportschütze griff zum nächst-

besten seiner vielen Gewehre, stellte sich hinter einen Baum und schoss mit stumpfer Bleimunition – daneben, wie er glaubte. Beim zweiten Mal verwendete er ein spitzes Geschoss, einen Federbolzen. Dann ging er zur Falle. Nochmals verfehlt, dachte er, denn noch immer bewegte sich die Katze. Er liess sie frei. Zehn Tage später holte ihn die Polizei ab: Er hatte doch getroffen, beide Male. Die Katze hat schwer verletzt überlebt. Versuchter Mord wäre es bei einem Menschen, sagt die Staatsanwältin. Das heisst, sie stuft das Handeln des Rentners als besonders skrupellos ein und die Tatausführung als besonders verwerflich. «Was gibt es Schlimmeres, als auf eine verängstigte, gefangene Katze zu schiessen?», fragt sie und verlangt eine für Tierquälerei vergleichsweise hohe Strafe von sechzehn Monaten bedingt. «Drakonisch» findet der Strafverteidiger den Antrag. Für diese, wie aus seinem Plädoyer hervorgeht, gar nicht so seltene Tat. Zum Beispiel: «Kanton Freiburg: einer Katze mit dem Karabiner in den Kopf geschossen, weil sie an die Wand uriniert hat. Trotz tierärztlicher Intervention verendet. Bedingte Geldstrafe von dreissig Tagessätzen». Minutenlang verliest er die gruselige Liste Vergleichsfälle, die zeigen soll: 90 Tagessätze à 90 Franken würden reichen. Keineswegs, sagt das Andelfinger Gericht. Das Tierschutzgesetz werde vielleicht mancherorts nicht ernst genommen, so der Vorsitzende bei der Urteilseröffnung. «Unser Gericht ist aber nicht bereit, Tierquälerei zu verharmlosen.» Und entscheidet: ­bedingte Freiheitsstrafe von dreizehn Monaten und eine Busse von 3000 Franken.

Y VONNE KUNZ  ist Gerichtsreporterin

in Zürich. 5


ILLUSTRATION: MICHAEL LEUTHOLD

Verkäufer*innenkolumne

Schnee schaufeln Ich habe bei meiner Mutter in Elm Schnee geschaufelt, im Wissen drum, dass es eine vergebliche Mühe ist. Eine Woche später wäre er sowieso wieder weg gewesen. Wenn es nicht mehr zu schneien aufhört, wenn du am Morgen aufstehst und siehst, es kommt immer mehr dazu, Stunde um Stunde, dann kann es unheimlich werden. Es könnten Staublawinen kommen. Bei einer Grundlawine hast du vielleicht noch Zeit davonzurennen. Die kommt langsamer, aber sie nimmt alles mit, mit einem Luftdruck, der dich auf den Boden wirft. Wenn es nächtelang und tagelang schneit, werden die Mauern immer höher. Du kriegst den Schnee fast nicht mehr weg. Schnee kann schön sein, aber wenn man ihn wegschaffen muss, kann man auch ­irgendwann genug haben. Trotzdem, Schnee zu schaufeln tut mir gut. Es 6

ist körperlich, es sind Massen, die man wegschaufelt. Ich kann so die Natur wahrnehmen. Seit einem Jahr bin ich pensioniert. Ich habe mich auf diesen Moment schon lange vorbereitet. Auch mit dem Holzen bei der Mutter. Als Bergbauernsohn musste ich immer holzen gehen, und mit den Jahren war es nicht mehr ein Müssen, sondern ich habe es gern gemacht. Es ist für mich mit Zufriedenheit ver­ bunden. Die Vorbereitung aufs Alter ist, Zufriedenheit zu lernen. Wenn ich nun in der Weltgeschichte herumreisen würde, oder auch nur schon, wenn ich in den Zug hocken und ins Tessin reisen würde – ich weiss nicht, ob mich das zufrieden machen würde. Ich kann auch nicht einfach in eine Beiz sitzen und Gesellschaft suchen. Die ­Gefahr, dass ich wieder in das alte Fahr-

wasser hineinkäme, ist zu gross. Meine Alkoholgeschichte zwingt mich dazu, mir meine eigene Art von Zufriedenheit zu suchen. Es ist mein eigener Weg, den ich gehen muss. Elm liegt im Sernftal, einem Föhntal. Der Föhn. Warmluft mit 190 bis 200 Stun­ denkilometern. Die letzten zehn Jahre war es etwa in acht Wintern so, dass der Schnee eine Woche später wieder weg­ geschmolzen war. Als ich in die erste Primarklasse ging, feierten wir Weihnachten bei plus 24 Grad. HANS RHYNER  (66) verkauft seit sechs Jahren Surprise in Zug und Schaffhausen und ist Surprise-Stadtführer in Zürich. Er hat im Umgang mit seiner Suchtvergangenheit gelernt, sich selbst zu beobachten. Und zu spüren, was ihm wirklich guttut.

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration. Surprise 492/21


INFOGRAFIK: BODARA ; QUELLE: BUNDESAMT FÜR STATISTIK (2020): ERWERBSBETEILIGUNG DER FRAUEN 2010-2019. NEUCHÂTEL: BFS

Die Sozialzahl

nun bei rund 76 Prozent und ist damit nach Island die höchste im europäischen Raum. Und drittens hat sich der durchschnittliche Beschäftigungsgrad in den letzten zehn Jahren kaum verändert; er liegt heute bei 68 Prozent und damit ­gerade mal ein Prozentpunkt höher als 2010.

Frauen an die Erwerbsarbeit Vor einigen Jahren hat der Bundesrat die Fachkräfte-Initiative lanciert und wenig später mit einem Katalog von «Massnahmen zur Förderung des inländischen Arbeitskräftepotentials» nachgelegt. Damit will er dem demografischen und wirt­ schaftlichen Wandel begegnen. Weil die heimische Erwerbsbevölkerung in den nächsten Jahren kaum noch wachsen wird, gilt es, die hiesigen Erwerbstätigen besser zu qualifizieren und stärker in den Arbeitsmarkt einzubinden. Bei den jungen Erwachsenen sollen künftig 95 Prozent einen qualifizierten Berufsabschluss vorweisen können. Zudem soll die ältere Erwerbsbevölkerung länger im Arbeitsmarkt bleiben. Dies wird durch eine Erhöhung des Rentenalters und materielle Vorteile für die Fortsetzung der Erwerbsarbeit über die Pensionierung hinaus angestrebt. Das grösste Potenzial wird allerdings bei den Frauen geortet. Hier geht es nicht nur um eine bessere Qualifizierung von ­jungen Frauen und um eine stärkere Erwerbsbeteiligung, sondern vor allem um einen höheren Beschäftigungsgrad. In einer neuen Publikation zeigt das Bundesamt für Statistik, wie sich die Erwerbstätigkeit der Frauen in der Schweiz zwischen 2010 und 2019 entwickelt hat. Erstens hat die Qualifizierung der jungen Frauen deutlich zugenommen. Der Anteil der Frauen mit Tertiärabschluss nähert sich jenem der Männer an; heute sind junge Frauen deutlich besser auf die Arbeitswelt vorbereitet als ihre Mütter und Grossmütter, wie der Vergleich der verschiedenen Alterskohorten zeigt. Zweitens nimmt die Erwerbsbeteiligung weiter zu. Die Erwerbstätigenquote ­aller Frauen zwischen 15 und 64 Jahren in der Schweiz liegt

Für den Bundesrat sind diese Zwischenergebnisse ambivalenter Natur. In den nächsten Jahren wird es eine wachsende Zahl sehr gut ausgebildeter Frauen geben, die auch in der Familienphase berufstätig bleiben. Diese werden immer seltener in Tief­lohnbranchen wie dem Gastgewerbe oder dem Detailhandel arbeiten, wo es besonders häufig Teilzeitjobs mit ­tiefem Beschäftigungsgrad gibt. Trotzdem zeichnet sich keine Tendenz zu einer markanten Erhöhung der Stellenprozente bei den Frauen ab. Und das wird so bleiben, bis sich die Partizipation der Männer am Arbeitsmarkt verändert und die Auf­ gabenteilung in der Familie zwischen den Paaren ausgleicht. Immerhin hat der Anteil der Männer, die Vollzeitstellen be­ kleiden, um rund vier Prozentpunkte abgenommen, während der Anteil jener, die tiefere Pensen haben, leicht angestiegen ist. Ob damit ein stärkeres Engagement der Männer im Haushalt und bei der Betreuung der Kinder sowie älterer Ange­ hörigen einhergeht, muss vorerst offenbleiben.

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL  ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Ausbildungsstufen der erwerbstätigen Frauen nach Altersgruppen 2019 (in Prozent) Sekundarstufe I

Sekundarstufe II

Tertiärstufe

100

80

60

40

20

0

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25–39

40–54

55–64

65 und älter

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DORIS BRÜHLMEIER, PSYCHIATERIN

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IV-Serie Eine harte Sparpolitik, willkürliche Entscheide, Millionen für die Gutachter: Die Invalidenversicherung sorgt für Unmut. Wir wollen wissen, was dahinter steckt –  Teil 5.

«Herzlichen Dank für die Kritik» Surprise forderte Alain Berset in einem Brief dazu auf, für eine menschlichere IV zu sorgen. Die Antwort des Bundesrats ist staatsmännisch wohlformuliert, aber inhaltlich leer. TEXT  ANDRES EBERHARDT

Alain Berset weiss, wie ein Staatsmann auf Kritik reagieren muss. Das Strassenmagazin hatte in einer vierteiligen Serie die Missstände im System der Invalidenversicherung aufgezeigt und den Bundesrat in einem offenen Brief zum Handeln aufgefordert. Mitte Dezember dann traf Bersets Antwortschreiben auf der Redaktion ein. Darin dankt er «herzlich für Ihre kritische, konstruktive Begleitung unserer Bemühungen». Mit dem freundlichen Merci macht sich Berset zum Verbündeten seiner Kritiker*innen. Er betont wiederholt, dass die Sache für ihn «höchste Priorität» habe, «von zentraler Bedeutung» sei und ihm «ein grosses Anliegen». Der rhetorische Vorteil des charmanten Umgarnens: Indem er immer wieder zustimmt, bietet er wenig Angriffsfläche. Aber meint er es auch wirklich ernst? Politiker*innen werden bekanntlich am besten an ihren Taten gemessen. Als der Druck Ende 2019 zu gross wurde, handelte Alain Berset tatsächlich. Damals wurde publik, dass einzelne IV-Gutachter*innen mit zweifelhaften Methoden fast jeden gesundgeschrieben und damit über Jahre Millionen verdient hatten. Fast gleichzeitig wurde bekannt, dass das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) den IV-Stellen Sparziele setzte und damit deren Neutralität verletzte. Als Folge des Skandals beschloss das Parlament Massnahmen gegen die «Falschgutachter». Berset selbst ordSurprise 492/21

nete eine externe Untersuchung in seinem Amt an – woraufhin die Sparziele kleinlaut abgeschafft wurden. Problem bleibt bestehen Bersets resolutes Eingreifen weckte bei Betroffenen und ihren Vertreter*innen grosse Hoffnungen. Doch diese scheinen sich nun, wo es zu konkreten Massnahmen kommt, bereits wieder zu zerschlagen. «Die ersten Schritte in der Umsetzung stimmen mich nicht gerade hoffnungsvoll», sagt die Zuger Patientenanwältin Stephanie Elms. So kündigte das BSV im ersten Rundschreiben nach der externen Untersuchung nur marginale Verbesserungen an. Auch Alex ­Fischer von der Betroffenenorganisation Procap beobachtet, dass der Gutachten­ skandal zwar einiges in Bewegung gesetzt habe. «Aber es gibt auch starke Tendenzen, möglichst viel beim Alten zu belassen.» Ein Beispiel ist die überarbeitete Verordnung der Invalidenversicherung. In seinem Entwurf sieht der Bundesrat vor, auf das von unabhängigen Expert*innen empfohlene Einigungsverfahren bei der Wahl der Gutachter*innen weitgehend zu verzichten. «Hält der Bundesrat daran fest, wird sich bei der Vergabe von mono­ disziplinären IV-Gutachten leider nichts ändern», sagt Petra Kern von Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen. Auch bei der Vergabe von grösseren Aufträgen, sogenann-

ten polydisziplinären IV-Gutachten, wünschten sich Vertreter*innen von Betroffenen starke Änderungen. EVP-Nationalrätin Lilian Studer, die mit Vorstössen auf entsprechende Probleme hingewiesen hatte, zeigt sich in Bezug darauf vorsichtig optimistisch. Erste Schritte seien rasch erfolgt. Der Bundesrat habe zudem versprochen, dass das BSV ab 2021 weitere wichtige Empfehlungen aus der externen Untersuchung umsetzen werde. «Es muss gut mitverfolgt werden, ob und wie das alles umgesetzt wird.» Im Brief an Surprise macht Alain Berset nicht unbedingt den Anschein eines Reformers. Eher scheint er nun, wo der Sturm überstanden ist, das Thema wieder seinen Beamt*innen zu überlassen. Auf die zen­ trale Forderung aus dem offenen Brief von Surprise geht er mit keinem Wort ein: dass jener Fehler im System behoben werden sollte, der Willkür erst ermöglicht. Viele private Gutachter*innen leben nämlich vom Geld der IV. Somit haben sie einen Anreiz, der Versicherung beim Sparen zu helfen, schliesslich wollen sie weitere Aufträge bekommen. Dies können sie tun, indem sie eher im Sinne ihrer Auftraggeberin und gegen die Betroffenen urteilen. Die heikle finanzielle Abhängigkeit der begutachenden Ärzt*innen von der IV sehen viele Fachleute als die Wurzel des Problems. Sie bleibt, allen geplanten Verbesserungen zum Trotz, bestehen. 9


Aus diesem Grund werden immer mehr Stimmen laut, die fordern, das System komplett umzukrempeln. Im Raum steht, bei den IV-Abklärungen von einem Marktzu einem Staatsmodell zu wechseln. Statt private, gewinnorientierte Ärzt*innen und Firmen könnten öffentliche und finanziell unabhängige Spitäler die medizinischen Gutachten durchführen. Der Bund hat versprochen, dieses Modell zu prüfen, falls die geplanten Massnahmen nicht greifen – allerdings erst in fünf Jahren. Dialog statt Gutachten Andere Expert*innen fordern, vermehrt von den derzeit allmächtigen medizinischen Gutachten wegzukommen. Studien der Universität Basel belegen nämlich, dass Gutachter*innen vor allem bei psychisch Kranken auch dann zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen, wenn sie davor gezielt geschult wurden. «Es bleibt also für die Kranken Glückssache, ob eine IV gesprochen wird oder nicht», sagt die Psychi­ aterin Doris Brühlmeier. Sie schlägt vor, dass Rentenentscheide vermehrt an einem runden Tisch gefällt werden sollten. Auf diese Weise könnten auch behandelnde

Ärzt*innen ­sowie Eingliederungsfachleute wieder stärker miteinbezogen werden – ihre Einschätzungen tauchen im heutigen Abklärungsprozess praktisch nur noch in den Akten auf. Das schwebt auch SP-Nationalrätin Yvonne Feri vor. Fast jeder Rentenentscheid werde heute im Hinblick auf einen möglichen Gerichtsentscheid durch ein Gutachten abgestützt, schreibt sie in einer Stellungnahme. «Ich bin überzeugt, dass das der falsche Weg ist. Es braucht wieder mehr Dialog zwischen den behandelnden Ärztinnen und Ärzten, den versicherten Personen, den IV-Stellen und den Regionalen Ärztlichen Diensten (RAD).» Eine noch radikalere Lösung fordert der Zürcher Menschenrechtsanwalt Philip Stolkin. Er hält das Sozialversicherungssystem an und für sich für gescheitert. «Die Unfallversicherung sowie die Pensionskassen entledigen sich ihrer Verantwortung auf Kosten der IV», sagt Stolkin. Die Invalidenversicherung sehe sich darum mit einer Flut von Fällen konfrontiert. Sie schütze sich, indem sie einen «verrechtlichten Gesundheitsbegriff» anwende sowie mithilfe der von ihr abhängigen medizinischen Gutachter*innen.

STEPHANIE ELMS, ANWÄLTIN

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MICHAEL ROMANENS, ARZ T

Stolkin glaubt nicht, dass die laufende Reform der IV die bestehenden Missstände beheben wird. Dass diese «Weiterentwicklung der IV» genannt wird, sei «ein weiterer Euphemismus in einer langen Reihe von Entrechtungen von Menschen mit Behinderung». Er höre die gleichen Lügen seit Jahren. «Der Staat spuckt den Schwächsten weiter ins Gesicht und verkauft es als soziale Errungenschaft, als Weiterentwicklung.» Stolkin plädiert dafür, das jetzige System einzustampfen und eine Allgemeinversicherung aufzubauen. Nachdem der Brief von Alain Berset kurz vor Weihnachten auf der Redaktion eingegangen war, legte Surprise das Schreiben diversen Fachleuten vor und bat diese um eine Einschätzung. Dabei zeigte sich, dass der Magistrat nicht ausschliesslich alle heiklen Themen so gekonnt umschiffte, wie es zunächst den Anschein machte. Zwei Stellen liessen aufhorchen. Erstens machte Berset eine schlecht abgestützte medizinische Aussage, als er die mangelnde Qualität der medizinischen Gutachten begründete: «Die Beschwerdebilder, die zu beurteilen sind, sind in den vergangenen Jahren komplexer geworden.» Dies sei nicht korrekt, entgegnet Michel Romanens, Arzt und Präsident des Vereins Ethik und Medizin Schweiz (VEMS). Ein Schleudertrauma, eine Depression oder eine Angststörung seien aus medizinischer Sicht nicht schwieriger zu diagnostizieren als früher. Komplexer geworden sei einzig deren Beurteilung. Und diese erfolge heute vermehrt nach ökonoSurprise 492/21


mischen Kriterien. «Mit einer solchen Prioritätenverschiebung handelt die Invalidenversicherung ihrem Auftrag zuwider», so Romanens. Heute würden die medizinischen Gutachten «verbessert», indem diese noch besser in den gesetzlichen Rahmen eingepasst werden. Vielmehr müsste aber umgekehrt das Gesetz angepasst werden, damit es für die IV nicht mehr möglich sei, aus medizinischer Sicht eindeutig Berechtigte «um die ihnen zustehenden Renten zu prellen». Sozialhilfe statt IV Die zweite Stelle im Brief, wo sich der Bundesrat in die Nesseln setzt: «Das oberste Ziel der IV ist es, den Versicherten diejenigen Leistungen zu geben, die der Gesetzgeber vorgesehen hat.» Dass das zurzeit nicht der Fall ist, darauf weist Bersets Parteikollegin Yvonne Feri hin. Die kürzlich erschienene Studie «Entwicklung der

Übertritte von der Invalidenversicherung in die Sozialhilfe» beweist nämlich erstmals, was das BSV lange angezweifelt hatte: dass zahlreiche Menschen, die von der IV abgewiesen werden oder ihre Rente verlieren, in der Sozialhilfe landen. Hauptgrund dafür ist, dass Eingliederung nicht so funktioniert wie von der IV beabsichtigt. Wenn der Bundesrat also jedem diejenige Leistung geben will, die ihm zusteht, dann muss er diese Verlagerung stoppen. «Damit Versicherte, die aus gesundheitlichen Gründen nicht oder nur teilweise arbeiten können, zukünftig wieder auf die IV zählen dürfen», so Feri. Auch wenn mit der erwähnten Studie erstmals ausgewiesen ist, dass die IV ihr oberstes Ziel verfehlt, so kratzt sie dennoch lediglich an der Oberfläche. Psychiaterin Maria Cerletti weist darauf hin, dass es viele Fälle gibt, die in keiner Statistik auftauchen: jene, die nach einem Negativent-

scheid von der IV ihren Lebensalltag privat finanzieren, über Ersparnisse, Erbschaften oder dank der Unterstützung von Angehörigen. Berufskollegin Doris Brühlmeier fordert darum eine umfassende Nachuntersuchung: «Es wäre dringend nötig, dass die Folgen aller IV-Entscheidungen wissenschaftlich begleitet werden.» Trotz aller Beteuerungen: Zwischen den Zeilen lässt Alain Berset durchblicken, dass er seine Kritiker*innen im Kern nicht versteht. Er schreibt: «Die öffentliche Diskussion lässt leider häufig den Eindruck entstehen, die Invalidenversicherung habe ein Interesse daran, möglichst wenig Leistungen zu sprechen und so wenig Geld wie möglich auszugeben.» Dies entspreche überhaupt nicht der Realität. Täglich würden die IV-Stellen 170 Eingliederungsmasssnahmen bewilligen und 80 Menschen erhielten eine Rente. Berset würde die IV also gerne in einem positiveren Licht sehen. Dafür interpretiert er die gesetzlichen Pflichten der IV (die Rentenzusprachen) kurzerhand zum Erfolgsausweis der Sozialversicherung um. Und verschweigt wohlweislich all jene, die von der IV fallengelassen werden. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht. Von den Statistiken einzelner Kantone hochgerechnet erhält nur rund jede*r Sechste, die*der sich bei der IV anmeldet, eine Rente. Zudem wurde in den letzten zwölf Jahren 40 000 Menschen ihre IV-Rente gestrichen. Auf Bersets Rechenschieber sind das 400 abgelehnte Gesuche sowie zehn aufgehobene Renten pro Tag. Brühlmeier: «Tausende Kranke wurden gesund erklärt, sind aber krank geblieben und in unseren Praxen angelangt. Sehr viele wurden noch kränker.» Sie fordert für diese Fälle eine Neubeurteilung sowie Wiedergutmachung. Online nachlesen Die vollständige Antwort von Alain Berset sowie alle bisher erschienenen Teile der Serie finden Sie unter ­ www.surprise.ngo/antwortberset

«Das System IV»

LILIAN STUDER, NATIONALR ÄTIN EVP

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Teil 1: Sparen bei den Kranken (Surprise 477/20) Teil 2: Die neuen Mediziner*innen (Surprise 482/20) Teil 3: Das Geschäft mit den Gutachten (Surprise 485/20) Teil 4: Die IV unter Druck – wie weiter? (Surprise 487/20) Teil 5: Bersets Antwort – und die Kritik daran (Surprise 492/21) 11


ÂŤWenn ich an die Stadtgrenze gehe, bekomme ich seltsame Blicke, ich werde angeschrien, auf mich wird gezeigt und ich werde verfolgt.Âť HAN, QUEER

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Zwei Gesichter einer Stadt Homophobie Lange wirkte Krakau wie ein sicherer Hafen der LGBTQ+-Community

im feindselig gestimmten Polen. Doch seit diesem Jahr mehren sich auch hier die Angriffe auf die queere Gemeinschaft. Nun regt sich Widerstand gegen den Hass. TEXT  TOBIAS ZUTTMANN FOTOS  ASTRID BENÖLKEN

POLEN

Krakau

Eigentlich wollte Han nur seinen Freund besuchen. Doch als er eine Strasse überquerte, bemerkte er, dass ein parkender Autofahrer ihn beobachtete. «Als er mich gesehen hat, hat er den Motor angelassen – und ist in mich reingefahren», erzählt Han, friemelt eine Zigarette aus der Packung und steckt sie sich zwischen die Lippen. Bevor er sie anzündet, verharrt er einen Moment und blickt in die Ferne, als sähe er dort die Situation, in die er vor ein paar Monaten am Stadtrand von Krakau geriet. «Der Typ machte das Fenster runter und starrte mich böse an. Er sagte nichts, bis ich weggerannt war.» Das Auto hatte nicht genug Geschwindigkeit, um Han ernsthaft zu verletzen. Trotzdem ging an diesem Tag etwas kaputt: Krakau ist seine Heimat, hier wurde er geboren. Und doch fühlt sich der 21-Jährige nun nicht mehr sicher. Denn Han möchte sich nicht festlegen, welchem Geschlecht er sich zugehörig und von welchem er sich Surprise 492/21

angezogen fühlt. Bisexuell, non-binär, queer – es gibt viele Labels, mit denen er sich identifiziert. Jedes einzelne ist gefährlich, wenn es die falsche Person in der falschen Ecke Krakaus zur falschen Uhrzeit erkennt – oder wenn sich jemand von seinen auffälligen rotgefärbten Haaren provoziert fühlt. Es sind die zwei Seiten einer Stadt, die damit ringt, wer sie ist und wer sie sein möchte. Im Zentrum der 800 000-Einwohner*innen-Metropole gibt es queere Clubs und Regenbogenfahnen hängen in den Fenstern. An den Stadträndern, wo die Häuserblocks abgelöst werden von Einfamilienhäusern mit Garten und Garage, ist es für Han, als sei er an einem anderen Ort. «Wenn ich an die Stadtgrenze gehe, bekomme ich seltsame Blicke, ich werde angeschrien, auf mich wird gezeigt und ich werde verfolgt», sagt Han, setzt die Zigarette an und nimmt einen tiefen Zug. 13


Auch Krakau bei Nacht ist ein anderer Ort als Krakau bei Tag. Sich bloss nicht von der Gruppe trennen, nicht alleine unterwegs sein, nicht auffallen: Han kennt die Regeln, er erinnert seine Freund*innen daran, wenn sie abends unterwegs sind. Muss Han alleine los, hat er inzwischen eine Dose Pfefferspray bei sich, «nur für den Fall». Ausserdem trainiert er seit einigen Monaten Selbstverteidigung.

«Wenn hohe Offizielle im Staat nach Aggression rufen, sie rechtfertigen, die Täter schützen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis alle anderen glauben, das sei normal.» MATEUSZ GĘDŹBA , DOM EQ

Mateusz Gędźba mit einem Bibelspruch auf einer Demonstration gegen Diskriminierung: «Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.» Matthäus 25, 40. 14

Mit Messern gejagt Seit letztem Jahr häufen sich die Angriffe auf queere Menschen, beobachtet Mateusz Gędźba. «Im Sommer hatten wir einige besorgniserregende Vorfälle, bei denen queere Menschen vor Schwulenbars mit Messern gejagt wurden», sagt er. Gędźba ist Vorstandsvorsitzender von Dom EQ, eines Zusammenschlusses verschiedener LGBTQ+-Gruppierungen. Gemeinsam versuchen sie, die Situation für queere Menschen in Krakau zu verbessern. Im vergangenen Jahr eröffneten sie ein Gemeinschaftszentrum: in einem alten Einfamilienhaus, mit Glitzer am Zaun und Regenbogenlichterkette umfunktioniert zum queeren Hauptquartier Krakaus. Hier treffen sich verschiedene Selbsthilfegruppen, ein queerer Chor probt in den Räumen und Literaturliebhaber*innen organisieren Gedichtlesungen. Für Gędźba mit am wichtigsten sind die rechtlichen und psychologischen Beratungsangebote: «Wenn jemand selbstmordgefährdet ist, lädst du ihn nicht auf ein Bier in einer Bar ein», sagt der 36-Jährige. Deshalb sei es entscheidend gewesen, einen sicheren Ort wie das Dom EQ zu erschaffen. Wie es scheint, ist der Zusammenschluss gerade zur rechten Zeit entstanden. Gędźba erschreckt, wie schnell Szenen wie die erwähnte Jagd vor der Schwulenbar Papuga zum Alltag geworden sind, wie selbstverständlich die LGBTQ+-Community zur Zielscheibe wahlloser Angriffe wurde. Für ihn ist klar, wer dafür verantwortlich ist: «Der Ton wird von oben angegeben, das ist mehr als deutlich. Wenn hohe Offizielle im Staat nach Aggression rufen, sie rechtfertigen, die Täter schützen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis alle anderen glauben, das sei normal.» «Meine Kirche hasst mich» Nicht nur die Politik ist Auslöser für die wachsende LGBTQ+-­Feindlichkeit. Auch die katholische Kirche ist eine Treiberin des Hasses. Von einer «Regenbogenpest» sprach der Erzbischof von Krakau, Marek Jedraszewski, im Sommer 2019. Regelmässig stellt er die LGBTQ+-Gemeinschaft als eine Ideologie des Westens dar, die bekämpft werden müsse. Was der Erzbischof sagt, hat Gewicht: Etwa 90 Prozent der polnischen Bevölkerung sind katholisch. «Meine Kirche hasst mich.» So fasst Karol Szymonik es für sich zusammen. Der 26-Jährige ist gläubiger Christ – und schwul. «Ich habe zu Gott gebetet, dass er das von Surprise 492/21


Wie auch gegen die Verschärfung der Ab­ treibungsgesetzgebung protestieren in Polen zahlreiche Menschen öffentlich gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten.

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mir nimmt», sagt er, wenn er an seine Schulzeit in der Kleinstadt Oświęcim zurückdenkt. Dort kannte er keinen anderen schwulen Mann. Sich zuzugestehen, homosexuell zu sein, fiel ihm schwer. «Erst als ich für mein Studium nach Krakau kam, habe ich mich freier gefühlt.» Dort hörte er das erste Mal von anderen schwulen Männern und vertraute sich nach und nach seinen Freund*innen an. Deutlich schwerer fiel es ihm, sich gegenüber seinen Eltern zu öffnen. Seine Mutter weinte nach dem Outing, seitdem wird in der streng katholischen Familie über Karols sexuelle Orientierung geschwiegen. Karol arbeitet als Tierarzt. «Während meines Studiums überlegte ich, aufs Land zu ziehen und Kühe zu behandeln. Aber dann habe ich mir gedacht: Ich bin schwul. Auf dem Land ist es viel gefährlicher für mich. So kann ich nicht leben.» In Krakau fühlt sich Karol wohl, zumindest bis zu einem gewissen Grad: «Es gibt Orte, an denen wir uns treffen können, es gibt Kirchen, in die wir gehen können, wo wir akzeptiert sind – es ist sehr viel angenehmer als in den Dörfern. Aber trotzdem gibt es überall Zeichen von Homophobie.» Es fällt Karol schwer, diese Ambivalenz in Worte zu fassen. Auf der einen Seite ist eine Freiheit, von der er in seinem Heimatdorf nicht einmal träumen konnte, auf der anderen Seite die ständige Angst, doch auf die falschen Leute zu treffen. «Wenn ich nachts mit meinen Freunden unterwegs bin, habe ich diesen Gedanken im Kopf, dass die Leute erkennen, dass wir schwul sind, und uns deswegen zusammenschlagen werden.» Ablenken vom Missbrauchsskandal Karol redet ruhig und konzentriert, nur wenn er über die Ungerechtigkeiten in seinem Land spricht, wird er merklich aufgebrachter, seine Stimme wird schneller, er fängt an zu gestikulieren. «Hier in Polen stehen sich die Kirche und die LGBTQ+-­ ­Community momentan unvereinbar gegenüber.» Um das zu ändern, engagiert sich Karol in der Initiative «Glaube und Regenbogen». «Wir als queere Christ*innen wollen zeigen, dass es möglich ist, diese beiden Identitäten miteinander zu verbinden.» Mit der aktuellen Kirchenführung aber fällt das nicht immer leicht, dennoch hat Karol einen Weg für sich gefunden: «Die Bischöfe in Polen sind eine Sache, mein Glauben ist etwas anderes. Ich höre nicht so genau hin, worüber die Priester in ihrer Predigt reden.» Dass sich die Rhetorik der katholischen Kirche in den vergangenen Monaten noch einmal verschärft hat, ist aus Karols Sicht kein Zufall. Ähnlich wie in der Schweiz erschütterte auch in Polen ein Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche die Öffentlichkeit. Die Enthüllungsdokumentation «Aber sag es nur keinem» zeigte 2019, 16

wie Kirchenoberste missbrauchende Priester schützten und sie wie vielerorts lieber in andere Gemeinden versetzten, statt sie anzuzeigen. Seitdem kämpft die katholische Kirche mit Ablenkungsmanövern gegen den Imageschaden, indem sie die Schuld an den Verfehlungen innerhalb der Kirche den Homosexuellen in die Schuhe schiebt. Weil mehr Jungen als Mädchen vergewaltigt wurden, gebe es wohl einen Zusammenhang zwischen Pädophilie und Homosexualität, so die haltlose Behauptung der Kirche. «Sie musste irgendetwas angreifen, und wir als Minderheit in Polen sind leicht zu fassen», sagt Karol. Mehr als hundert «LGBTQ+-freie» Zonen Besonders schwierig ist die Situation für queere Jugendliche im ländlichen Polen. Dort gibt es keine Clubs, keine Treffs, keine Gemeinschaft wie in Krakau. «Wenn du auf dem Land als LGBTQ+-Person keine Unterstützung deiner Familie hast, bist du ziemlich allein», sagt Han. Auch der Druck der Politik auf die LGBTQ+-Gemeinschaft ist stärker. Seit 2019 riefen sich mehr als hundert Kommunen als frei von «LGBTQ+-Ideologie» aus. Rechtlich gesehen haben die Deklarationen keine Wirkung – bislang. Aber Dom-EQ-Leiter Gędźba blickt mit Bangen nach Russland, wo zunächst ähnliche Erklärungen verabschiedet und dann in einem zweiten Schritt auch die Gesetze angepasst wurden. Heute ist dort verboten, was sie «homosexuelle Propaganda» nennen, beispielsweise Aufklärungskampagnen oder Internetforen wie gay.ru. «Wir befinden uns an einem ziemlich traurigen und empfindlichen Moment, der für ganz Europa gefährlich ist. Wenn wir zulassen, dass unsere Werte hier mit Füssen getreten werden, kann das vielleicht einen Moment lang funktionieren. Aber bald werden dieselben Probleme auch in anderen Ländern losgehen. Es ist wie Krebs. Wenn wir nicht früh genug dagegen kämpfen, wird es sich weiter ausbreiten.» Fünf der sechzehn polnischen Woiwodschaften, vergleichbar mit den Kantonen, verabschiedeten inzwischen eine entsprechende Deklaration; darunter auch Kleinpolen, wo Krakau liegt. Doch die Stadt machte bei der homophoben Kampagne nicht mit. Stadtpräsident Jacek ­Majchrowski betonte in einem offenen Brief, dass Krakau tolerant und weltoffen sei. Gędźba sieht hinter der Erklärung des Stadtpräsidenten aber vor allem politisches Kalkül: «Krakau profitiert enorm von Geldern der EU. Wenn das Geld zurückgehalten wird, steckt Krakau in grossen Schwierigkeiten.» Mit Blick auf das Ausland unterstütze man die Community, wo es aber um echte Bekenntnisse gehe, etwa finanzielle Unterstützung, halte sich die Stadt zurück. Gleichzeitig greifen rechtskonservative kirchliche Gruppen die LGBTQ+-­Gemeinschaften in den Städten immer aggressiver an. Regelmässig fahren Lastwagen mit grossen LautSurprise 492/21


sprechern durch die Strassen und rufen homophobe Propaganda aus. Damit schüren sie in den Grossstädten den Hass und verunsichern queere Menschen. Vor einigen Monaten hatte Han endgültig genug davon. Mit ein paar anderen queeren Aktivist*innen schloss er sich zur Bewegung «Der Regenbogen ist nicht tot» zusammen. Gemeinsam starteten sie eine Petition, in der sie den Stadtrat aufforderten, die Fahrten dieser Lastwagen durch Krakau zu verbieten. Dafür sammelten sie Unterschriften, organisierten Veranstaltungen und versuchten, bei der Bevölkerung ein Gegengewicht zur Homophobie von Politik, Kirche und Medien zu sein: «Das Wichtigste ist es, Aufmerksamkeit zu gewinnen, die Bevölkerung aufzuklären und ein Bewusstsein für die LGBTQ+-Community zu erzeugen», sagt Han.

«Wir als queere Christ*innen wollen zeigen, dass es möglich ist, diese beiden Identitäten miteinander zu verbinden.» K AROL SZ YMONIK

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Optimistisch trotz allem Je stärker der Gegenwind, desto selbstbewusster wird die Gemeinschaft, sagt Gędźba: «Vor ein paar Jahren waren wir einfach eine soziale Gruppe hier in Krakau. Aber wir hatten keine gemeinsame Identität. Mein Eindruck ist, dass Initiativen wie Dom EQ dabei geholfen haben, so eine gemeinsame Identität entstehen zu lassen.» Wenn Han an die Zukunft denkt, ist er vorsichtig optimistisch: «Es gibt viele junge Personen – auch solche mit fünfzehn Jahren –, die aufstehen, ihre Stimme erheben und Pride-Proteste organisieren. Ich bin so stolz, dass sie vieles in die eigene Hand nehmen und viel motivierter sind, als ich es in ihrem Alter war.» Und nicht nur die Jugend macht ihm Hoffnung für die Zukunft: «Ich sehe auch Menschen über vierzig, die sich auf einmal outen und sagen: Ich habe genug von dem Scheiss, die protestieren gehen und sich zeigen.» Auch Karol will sich nicht länger verstecken: «Wenn die Leute uns als LGBTQ+-Community nicht sehen, dann denken sie auch nicht über uns nach.» Seit letztem Jahr bietet er in Krakau Tanzkurse für gleichgeschlechtliche Paare an. «Bei heterosexuellen Paaren ist klar, der Mann führt. Aber wie ist das bei gleichgeschlechtlichen Paaren? Das bringe ich ihnen bei», sagt er. Wenn er von seinen Tanzkursen spricht, erzählt er mit einer Freude, dass man meinen könnte, als schwuler Christ Tanzkurse für gleichgeschlechtliche Paare im streng katholischen Krakau anzubieten, sei das Normalste auf der Welt. Vielleicht hat er gar nicht unrecht: Aktuell ist in Polen einiges in Bewegung. Die Menschen gehen auf die Strasse, um gegen das Abtreibungsverbot zu demonstrieren und damit auch gegen die konservativ-reaktionäre Regierung, gegen die Einmischung der Kirche in die Politik und für Menschenrechte. Karol macht eine kurze Pause, als müsse er über die nächsten Worte gut nachdenken. «In den Köpfen der Leute passiert etwas – langsam, aber es gibt eine Veränderung.» 17


Ansichten eines Freiers Prostitution Über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Anbieter*innen von

käuflichem Sex wissen wir immer mehr: Es gibt Berichte, Forschung und Organisationen, die sich für sie einsetzen. Weit weniger ist über die Kunden der Branche bekannt, deren Kriminalisierung derzeit diskutiert wird. TEXT UND FOTOS  KLAUS PETRUS  COLLAGE BODARA

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winkte ihn eine Frau herbei, um die fünfzig und Schweizerin, 100, habe sie bloss gemurmelt, da ging er hinter ihr her in dieses abgetakelte Haus, einfach so («Ich war weder betrunken noch notgeil»), er stieg die Treppe hinauf, das Zimmer war voller Parfüm, das Bett frisch bezogen, an der Wand klebte ein Poster mit wilden weissen Pferden darauf und wilden weissen Wolken, an alles könne er sich erinnern, an die Musik, die im Hintergrund lief, und wie sie da lag und er auf ihr, keuchend, an das kurze Gespräch danach, als alles vorüber war, so unkompliziert und irgendwie auch schön. In den Wochen danach ging M.B. immer wieder zu Yvonne an die Grand-Fontaine, er freundete sich ein bisschen mit ihr an, und für Momente meinte er gar, sie retten zu müssen, vielleicht wie Jack Lemmon in Billy Wilders Film «Irma la Douce» die bezaubernde Shirley MacLaine für sich retten wollte. Dann verlor er das Interesse an Yvonne, von einem Mal aufs andere. In einem der Freier-Foren im Internet, die er inzwischen rege besuchte, hiess es, ihr Service sei zwar zuverlässig, aber kühl. Ist so, dachte M.B. und: schade ums Geld. Er legte sich einen Benutzernamen zu, «Lemmy», und hinterliess auf dem Forum seinen ersten Post von bisher 474 Beiträgen mit den zustimmenden Worten: «Location so lala, Service mechanisch, Wiederholungsgefahr 3/10».

Manchmal hat M.B.*, 47, Ingenieur, eine Stunde später schon vergessen, dass er bei einer Prostituierten war. Dann steht er, ein gewöhnlicher Typ von gewöhnlichem Aussehen, zurückhaltend und gescheit, womöglich schon in der Küche seiner 4 1/2-Zimmer-Wohnung, es ist halb sieben in dieser anderen Welt, er hackt Zwiebeln, geht auf den Balkon eine rauchen, setzt sich an den Tisch und isst, er hört seiner Frau zu, die er liebt und bewundert, wie er sagt. Oder er erzählt von der Arbeit, später wird er noch in einem Buch lesen oder er schaut eine Serie oder zahlt Rechnungen – so ungefähr, sagt M.B., seien die Abende bei ihnen, dem Ehepaar B. mit Tochter Lara, 17 Jahre und voll Teenie. Und wenn es zufälligerweise ein Dienstag ist, an dem er in der Küche steht und Zwiebeln schneidet, wird er diese Woche noch zu einer anderen gehen, die vielleicht Yari heisst, Jasmin oder Mia. Dann macht er früher Schluss auf der Arbeit, schickt eine Whatsapp oder ruft an, verabredet Zeit und Ort, höchstens eine halbe Stunde soll es dauern mit allem Drum und Dran. Manche, sagt M.B. und nickt vor sich hin, schnappen mit ihren Kollegen nach der Arbeit noch ein Bier oder zwei, bevor es nach Hause geht. Nicht viel anders sei das bei ihm: Schnell eine Nutte knallen und dann ab zur Alten, so nannten wir das früher. Wie blöd, sagt M.B. heute und schüttelt den Kopf. Früher, das war 2005 und für M.B., damals Anfang dreissig und seit vier Jahren verheiratet, das erste Mal. In Fribourg, nach einem Arbeitsessen, schlenderte er durch die Altstadt, er kam an der Grand-Fontaine vorbei, da Surprise 492/21

Zuhause ist die Zeit knapp Wenn M.B. sich zu erklären beginnt, drückt er Daumen und Zeigefinger zusammen, dabei gibt es, meint er, gar nicht viel zu sagen. Natürlich sei das verwerflich, viele dieser Frauen hätten ja keine Wahl. Ein Vergnügen sei das bestimmt nicht, harte Arbeit halt. Süchtig, nein, das sei er definitiv nicht, er könne auch ohne. Während des ersten Lockdowns zum Beispiel, da habe er über Wochen keine gehabt, oder vielleicht zwei oder drei, genau weiss er es nicht mehr. Und nein, sagt M.B. und regt sich furchtbar über das Klischee auf, er suche bei Prostituierten nichts, was er nicht auch zuhause haben könnte, ihn würden weder ausgefallene Sexualpraktiken interessieren noch «Girl­ friend Sex», das Kuscheln mit anderen Frauen. Mit Tanja, seiner Ehefrau, hat er einmal die Woche Sex, manchmal möchte er öfter, sicher, aber kein Problem, sagt M.B. und lächelt. Seit sie ihr eigenes Geschäft hat, eine kleine Beratungsfirma, auf die er genauso stolz ist wie seine Frau, sei die Zeit noch knapper geworden, auch für den Sex. An den Wochenenden würden sie es sich auf dem Sofa bequem machen, miteinander reden oder einen Film anschauen, auch gut, sagt M.B., ist doch normal. Manchmal, wenn sie vom Ausgang heimkommen und beide ein bisschen angetrunken sind, da möchte sie von ihm härter angefasst werden, was ihn nicht stört, aber auch nicht besonders anmacht. Dann tut er es für sie, wie er überhaupt vieles für Tanja tut, denn sie ist die Stütze seines Lebens, sagt M.B., sie hält ihn in Schuss, und er schätzt sich glücklich, als Mann und auch als Vater. Und dann, erzählt M.B., ist da immer wieder dieser Kick, eine Unruhe, die ihn überkommt, ein Kribbeln: Wenn er die Sexportale aufruft, auf dem Display seines Handys mit dem Finger die Bilder der Frauen wegwischt oder auf 19


ein Foto draufhält, er die Liste der Dienstleistungen durchgeht mit Ausschau auf eine, die alles macht – «Sex in jeder Position, Handjob, Analsex, Blasen mit Schlucken (Aufpreis 50.--), Gesichtspritzen, Facesitting, Mehrfachspritzer willkommen»; wenn er dann ihre Nummer wählt, wenig später ins Auto steigt und vielleicht noch Tanja schreibt, dass er zum Einkauf fahre; wenn er vor der Tür steht und klingelt und diese Frau aufmacht, unbekannt und halbnackt, und er das Zimmer betritt und den Hunderter auf das Bett legt, ein wenig beschämt; wenn sie ihn flüchtig auf die Wange küsst und fast garantiert «Schatzeli» sagt und ihm eine Cola anbietet, was er mit einem Merci ablehnt; wenn er sich auszieht und dabei unnötig pressiert, während sie sich im Bad noch schminkt und auf seinen Wunsch hin Stiefel anzieht oder ein besonders neckisches Kleidchen; wenn er Hemd, Jeans und Unterhose auf den Stuhl stapelt, die Socken in die Schuhe stopft, und er sich hinlegt, die Decke anstarrt oder den Spiegel an der Wand, den rosaroten Duftbesprüher, die Dose mit Kondomen, die Dildos in verschiedenen Farben und Grös­ sen; wenn sie dann reinkommt, leichtfüssig, sich über ihn beugt und wieder «Schatzeli» haucht und «Was machen wir?»; wenn er sie in Position bringt und von hinten nimmt, bevor sie es ihm noch mit dem Mund macht, sein Standardprogramm offenbar; wenn er, zehn Minuten später, auf seine Uhr schaut, die er immer anbehält, und er in Gedanken zurück bei der Arbeit ist, beim Sport oder der Familie und sich alles normal anfühlt. Vielleicht, sagt M.B., ist am Ende das der Kick: dass es immer noch so unkompliziert ist wie damals bei Yvonne an der Grand-Fontaine und anders als daheim, wo alles passen muss, Wochentag, Gefühlslage, das Kopfkino, damit es dann endlich stimmt, wenigstens manchmal. Hier, sagt M.B., stimmt immer alles. Der Ton in den Freier-Foren Zwei- bis dreimal die Woche macht M.B. das so, seit Jahren. Diese Prostituierten, das sagt er geradeheraus, haben für ihn keine Namen, sie sind austauschbar – sein Feierabendbier sozusagen –, oft kommen sie aus dem Osten, aus Rumänien oder Bulgarien, sind jung und bleiben nur kurz, so ist immer genug «frisches Fleisch auf dem Markt», wie es unter Freiern heisst. Das hält M.B., der sich ausgesprochen höflich gibt und sein Haar scheitelt – vielleicht das Auffälligste an ihm –, übrigens für unflätiges Geschwätz. Wie er auch den Ton abstossend findet, in dem oft auf Freier-Foren Prostituierte bewertet werden. «Voll die Abzocke, diese ungarische Schlampe», liest M.B. vor und scrollt auf seinem Tablet rauf und runter, «Bläst mit den Zähnen, fickt unterirdisch», «Ihre Titten hängen bis unter den Nabel, was soll da mein Kleiner sagen?», «Ziemlich verbraucht, die Alte, bin aber aus Mitleid dann doch geblieben», «Stöhnt dumm in der Gegend rum, lässt sich aber blank durchziehen». Diese Posts, sagt M.B. und er sucht nach dem Wort, seien respektlos, sie würden die Prostituierten kaputtmachen, seelisch wie finanziell. Und dann spricht er, für einmal ohne Punkt und Komma, von Ausbeutung, raffgierigen Zuhältern («Ein widerliches Pack, wenn Sie mich fragen»), vom fehlenden Anstand 20

«Besucht sie, geniesst sie, seid nett zu ihr, sie hat es verdient, euer Lemmy.» M.B. IN EINEM FORUM ÜBER PAN, ZU DER ER REGELMÄSSIG GEHT

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der Freier, von der geringen Wertschätzung des Service der Prostituierten, denen es am Ende doch um dasselbe gehe wie allen anderen auch, ob Ingenieur, Schreiner oder Kosmetikerin, nämlich: die Arbeit, für die man sein Geld bekommt, einigermassen ordentlich zu verrichten. Thais, rühmt M.B. und presst wieder einmal Daumen und Zeigefinger zusammen, seien diesbezüglich 1A: gewissenhaft, sauber, ergeben, sympathisch. Mit ein paar Klicks holt er, wie zum Beweis seiner über die Jahre erworbenen Kennerschaft, eine seiner Bewertungen hervor, datiert auf September 2018 und, wie er betont haben will, fair und sachlich: «Zierliche Thai, Naturbusen mit grossen Nippeln, sehr hygienisch, raucht nicht, stösst beim Doggy dagegen, bläst ohne Handeinsatz, lässt sich gerne lecken. Location sauber und diskret, entlöhne meistens 150 für 30 Min. Preis-Leistungsverhältnis: 8/10, Optik: 7/10, Service: 8/10, Sympathie: 9/10, Wiederholungsgefahr: definitiv. – Besucht sie, geniesst sie, seid nett zu ihr, sie hat es verdient, euer Lemmy.» Die Rede ist von Pan, zu der M.B. alias Lemmy seit Jahren schon geht – eine von zwei Frauen, die er mit Namen nennt –, und die angeblich all seine Vorlieben kennt und er auch die ihren, die mit ihm mitunter einen «Tee danach» trinkt und die manchmal, scherzhaft und in tadellosem Deutsch, zu ihm sagt: «Wollen wir uns ein bisschen liebhaben?»

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Wenig Studien über Freier Forschungen zur Sexarbeit widmen sich meist denjenigen, die sexuelle Dienste anbieten, Untersuchungen über deren Kunden dagegen gibt es bisher nur wenige. Eine Studie der Universität Malmö in Schweden hat ergeben, dass ein grösserer Teil der Freier Sexarbeiter*innen aufsucht, um sich eine gewisse «Grundversorgung» zu sichern, was in der Regel in einer kurzen, körperlichen Entspannung besteht. Ein weiterer Teil geht offenbar aus «hedonistischen» Gründen zu Sexarbeiter*innen, sie suchen etwas «Spezielles», was sie in ihrer Partnerschaft vermissen. Ein dritter, kleinerer Teil der Freier ist auf der Suche nach «sozialer Intimität»; es handelt sich dabei oft um Stammkunden, die unter Umständen «nur reden» wollen. Auch hat die Studie ergeben, dass der Grossteil der Freier nicht an speziellen Sexualpraktiken interessiert ist. Zu den am häufigsten in Anspruch genommenen Diensten gehört der «Girlfriend Sex» (GFS, GF6), der dem Freier ein Gefühl von privatem Sex vermitteln soll und damit den Eindruck, es gehe nicht um sein Geld, sondern um ihn als Mensch. Dabei sei etwa die Hälfte der Freier in einer festen Beziehung bzw. verheiratet. Schätzungen zufolge nehmen in der Schweiz zwischen 5 und 14 Prozent der Männer regelmässig sexuelle Dienstleistungen in Anspruch, jeder fünfte Schweizer soll schon für Sex bezahlt haben. KP

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Dass M.B. zu Prostituierten geht, weiss in seinem Umfeld niemand. Der Mann geht keine Risiken ein, er löscht jeden Anruf, jeden Chat, er parkt zwei Strassen vom Ort des Geschehens entfernt oder nimmt extra den Zug, er bezahlt immer bar, benutzt, nachdem er gekommen ist, nie eines dieser parfümierten Feuchtigkeitstücher, die ihn daheim verraten könnten, und für die Dusche danach bringt er seine eigene Seife mit. Die monatlichen Auslagen für seine Besuche bei den Prostituierten kaschiert M.B. mit Autoreparaturen, Sportartikeln, Ausflügen mit Freunden, teurem Wein und so weiter, alles erfundenes Zeugs. Sein Glück sei es, sagt M.B., dass er und seine Frau nicht jeden Franken umdrehen müssten. Kommt in Gesellschaft das Thema Prostituierte auf und wer schon mal im Puff war oder wie oft, so sagt er, bestimmt und mit einem Kopfschütteln: «Könnte ich nicht, würde ich nicht, mache ich nicht.» Was M.B. stört – «ankotzt», das ist sein Wort –, ist diese Doppelmoral, die Heuchelei derer, die Freier verurteilen und zugleich ihre Freundinnen und Ehemänner hintergehen: sein bester Freund zum Beispiel, der seit Jahr und Tag mit einer Arbeitskollegin rummacht, Kumpels aus dem Sportverein, alle verheiratet und am Tindern mit eindeutigen Absichten, eine Freundin von Tanja, ebenfalls verheiratet und Mutter von drei Kindern, die – peinlich genug, wie M.B. findet – mit ihrem Chef ins Bett steigt.

Was M.B. stört, ist die Doppelmoral, die Heuchelei derer, die Freier verurteilen und zugleich ihre Freundinnen und Ehemänner hintergehen.

Kalkulierte Lügereien Bald fünfzig sei er jetzt, sagt M.B., doch eine Affäre hatte er noch nie. Überhaupt könne er sich das, emotional, gar nicht vorstellen: seine Frau so zu betrügen – mit einer Beziehung, bei der Liebe im Spiel ist, wo Hoffnungen gemacht und Versprechen gebrochen werden. Dass auch Tanja ihn schon betrogen haben könnte, nach bald zwanzig Jahren Ehe, hält M.B. für wahrscheinlich, aber es sei ihm lieber, er wisse nichts davon. Und ja, fügt er an, bestimmt würde eine Welt zusammenkrachen, würde sie von all dem erfahren, von diesen jahrelangen, vorsätzlichen, bis ins Allerletzte kalkulierten Lügereien. Und dann das viele Geld, um das er ja, irgendwie, auch seine Frau betrogen habe, seine ganze Familie: 900 pro Monat mal 12 mal fast 15 Jahre macht 162 000 Franken. Oder plusminus in Anzahl Dienstleistungen umgerechnet, die er bis dato von Prostituierten in Anspruch genommen hat: 1300. Der Ingenieur aus Bern wiegt den Kopf und lächelt, wie sein Mund immer lächelt, wenn er die Lippen zusammenpresst. Vor Jahren hat M.B. einmal ausgerechnet, wie viele Zigaretten er bisher geraucht und was ihn das gekostet hat. Als er das Total vor sich sah, habe er sein schlechtes Gewissen weggescheucht wie eine lästige Erinnerung und gedacht: «Das kann unmöglich sein.» * Alle Namen im Text wurden geändert, ebenso Alter und Beruf von M.B. In Surprise 488/20 hat Klaus Petrus ein Porträt über eine Sexarbeiterin in Biel verfasst. Hintergründe im Podcast: Radiojournalist Simon Berginz spricht mit Redaktor Klaus Petrus über die Notwendigkeit, gute Einblicke ins Obskure zu bekommen. surprise.ngo/talk 22

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Kriminalisierung als Falle Wer den Kauf von Sex unter Strafe stellt, riskiert eine weitere Stigmatisierung der Sexarbeiter*innen, zeigen Erfahrungen aus Schweden. Im September letzten Jahres reichte EVP-Nationalrätin und Parteipräsidentin Marianne Streiff im Nationalrat eine Motion zur Einführung der Kriminalisierung von Freiern ein. Der Gedanke dahinter: 80 bis 90 Prozent der Sexarbeiter*innen müssten ihre Dienste unter Zwang anbieten; wesentlich dafür verantwortlich seien die Freier, da sie die Nachfrage bestimmten und so die Sexarbeit erst lukrativ machen würden. Dieses «nordische Modell» wird seit Jahren u.a. in Schweden, Island, Kanada und Frankreich umgesetzt. Ob es funktioniert, ist indes fragwürdig. In Schweden z.B. ist die Sexarbeit nicht zurückgegangen, hingegen hat die Stigmatisierung der Sexarbeiter*innen zugenommen. Dass eine Freierkriminalisierung letztlich den Sexarbeiter*innen schadet, betonen auch die Schweizer Fachstellen für Sexarbeit. Das Bestrafen der Freier führe zu der «absurden Situation», dass die Sexarbeiter*innen zwar ihr Gewerbe betreiben dürfen, ihre Kunden sich aber strafbar machen, heisst es in einer Stellungnahme zum Vorstoss von Streiff. Weil viele Sexarbeiter*innen keine andere Arbeit ausüben könnten und Freier auch weiterhin ihre Dienste in Anspruch nehmen würden, drohe das Sexge-

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werbe mit einer Freierkriminalisierung in die Illegalität abgedrängt zu werden, wo die Gefahr von Ausbeutung und Gewalt noch grösser sei. Auch der Bundesrat kam in einem Bericht von 2015 zum Schluss, das «nordische Modell» führe zu einer zusätzlichen Gefährdung der Sexarbeiter*innen – eine Haltung, die Gesundheitsminister und Bundesrat Alain Berset im vergangenen Juni bekräftigt hat. Auch andere Modelle zur «Regulierung der Sexarbeit» werden von Expert*innen kritisch gesehen. Dazu gehört die in vielen Ländern gesetzlich verankerte vollständige Kriminalisierung, bei der sich alle Beteiligten strafbar machen – Sexarbeiter*innen, Kunden und Zuhälter –, oder die partielle Kriminalisierung, bei der Kauf und Verkauf von Sex zwar legal ist, nicht aber das Betreiben von Bordells. Hier wie dort werden letztlich die Umstände verschlechtert, unter denen Sexarbeiter*innen ihre Dienste anbieten müssen. Deshalb sehen Fachstellen für Sexarbeit die einzige Lösung darin, die Arbeitsbedingungen sowie rechtliche Lage der Betroffenen zu verbessern, sie vor Stigmatisierung zu schützen sowie die Umstände zu bekämpfen, welche Sexarbeiter*innen überhaupt erst zur Sexarbeit zwingen. KP

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Mit leisen Tönen gegen den Perfektionismus Singer-Songwriter Ab den 90er-Jahren war Florian Burkhardt vieles:

Model, Partyveranstalter, Musiker, Internetpionier und Autor. Mit dem Album «Backstage» findet er nun zu sich selbst zurück. TEXT  MONIKA BETTSCHEN

«Was besch denn no, wenn alles wäg esch?», fragt Florian Burkhardt in seinem Album «Backstage», in Mundart und zum ersten Mal unter eigenem Namen – nicht mehr als Electroboy, wie er sich früher nannte. Begleitet von einer akustischen Gitarre und äusserst zurückhaltend eingesetzten Arrangements wirft Burkhardts sanfte Stimme in dreizehn Songs existenzielle Fragen auf. Würde ein anderer solche Zeilen singen, sie würden wohl im gewaltigen Chor all jener untergehen, die 2020 ebenfalls ganz auf ihr Sein zurückgeworfen wurden. Weil die Zeilen aber von Florian Burkhardt stammen, spannen sie den Bogen ein Stück weiter. Als Electroboy wurde Burkhardt einem breiteren Publikum bekannt. Der gleichnamige Dokumentarfilm von Marcel Gisler von 2014 und zwei autobiografische Bücher wenige Jahre später 24

katapultierten ihn in eine Öffentlichkeit, die die Stationen seines Werdegangs mit glitzernden Labels versah: König der Zürcher Partyszene, Internetvisionär, Snowboard-Pionier, Fotomodell, Bestsellerautor. Im krassen Kontrast dazu standen seine Kindheit in einem streng religiösen, konservativen Elternhaus sowie die Suche nach Anerkennung, die Burkhardt auf Laufstege, ins pulsierende Nachtleben und schliesslich in die Psychiatrie führte. Nach einem Zusammenbruch 2001 fühlte er sich mehrere Monate ausserstande, seine Wohnung zu verlassen und wies sich schliesslich selber in die Klinik Burghölzli ein. Seither sind Angstpsychosen, unter anderem eine Soziophobie, ständige Begleiter, die er aber dank Medikamenten gut kontrollieren kann. Um sein Leben zu beschreiben, zieht Burkhardt gern die Geschichte von Ikarus heran, der der Sonne zu nahe kam. «Ich bin Surprise 492/21


Grosses Kino

FOTO: ELENI KOUGIONIS

zu schnell zu hoch aufgestiegen und konnte all die Eindrücke irgendwann kaum noch verarbeiten. Die totale Reizüberflutung. Irgendwann dämmerte mir, dass ich mich in meinem Image, das ich selbst, die Medien und die Öffentlichkeit für mich kreiert hatten, nicht mehr wiederfinden konnte», erinnert sich Burkhardt. «Dieses Image hatte sich verselbständigt. Electroboy führte ein Eigenleben. Er war mein Avatar und gab einen immer schnelleren Takt vor. Der mediale Rummel war zu einer Freakshow geworden, mit mir selbst als deren Protagonist.»

Buch Bram Stokers «Der Zorn des Meeres»

wird dank eines ungewöhnlichen Hauptdarstellers zur literarischen Entdeckung. 1888 entdeckt der Theatermanager, Journalist und Schriftsteller Bram Stoker im Nordosten Schottlands das kleine Fischerdorf Cruden Bay. Die von der Burg Slains Castle überragte urtümliche Landschaft mit ihren schroffen Felsen, steilen Klippen und Meereshöhlen hinterlässt bei ihm einen bleibenden Eindruck. Fünf Jahre später kehrt er zurück und verbringt von da an fast jeden Sommer dort. Hier an der rauen schottischen Küste entstehen grosse Teile des Horrorklassikers «Dracula», des Romans, dem Bram Stoker, der den Erfolg seines Meisterwerks nicht mehr erlebt hat, seinen Nachruhm zu verdanken hat. Viele andere seiner Romane, Abenteuergeschichten und Schauermärchen sind in Vergessenheit geraten. Nun ist eine Erzählung Bram Stokers erstmals auf Deutsch erschienen, deren Wiederentdeckung sich lohnt. Nicht wegen der Geschichte, die sie erzählt. Bei dieser handelt es sich um ein klassisches Melodram, dessen etwas steife und hölzerne Figurendarstellung und klischeehafter Plot ganz der viktorianischen Epoche verpflichtet sind. Sailor Willy, ein pflichtbewusster Offizier der Küstenwache, erfährt von einer grossen Schmuggelaktion. Seine Verlobte Maggie bittet ihn, ein Auge zuzudrücken, da ihr verschuldeter Vater gezwungen wurde, daran teilzunehmen. Als sie ihren Zukünftigen nicht erweichen kann, wagt sie sich in einem kleinen Boot hinaus aufs stürmische Meer, um ihren Vater zu warnen. Die Sache endet tragisch, die Liebenden finden nur im Tod zueinander. Dieser antiquierte Stoff ist vielleicht unfreiwillig amüsant, das allein aber kann die Lektüre nicht rechtfertigen. Wäre da nicht ein ganz besonderer Protagonist, der es an Schönheit und Schrecken mit einem Dracula aufnimmt: das Meer. Es ist kein Zufall, dass die Erzählung mit den Worten «Es drohte eine stürmische Nacht zu werden» beginnt. Denn es ist das Meer, das schäumende, brodelnde, tosende Element, das selber zum Hauptdarsteller wird. Die Qualität der Schilderung dieser Naturgewalt macht deutlich, wie sehr Bram Stoker dem Meer verbunden war. Und ist, neben der zweiten grossen Heldin, der stolzen, unbeugsamen Maggie, die es wagt, diesen Gewalten zu trotzen, die eigentliche literarische Entdeckung. Eine Entdeckung, die durch das lesenswerte Nachwort des Übersetzers Alexander Pechmann noch zusätzlich Gehalt gewinnt. Die schöne Gestaltung des Büchleins macht daraus ein Kleinod, in dem wie in «Dracula» grosses Kino geboten wird. CHRISTOPHER ZIMMER FOTO: ZVG

DER ZORN DES MEERES

Florian Burkhardt: «Backstage» www.florianburkhardt.ch

BRAM STOKER

FOTO: ZVG

In der Abgeschiedenheit der unterirdischen Nische 2019 zog Florian Burkhardt die Reissleine. Er löste sich von seiner Kunstfigur Electroboy und nutzte das Jahr 2020, um an eine alte Leidenschaft aus seiner Jugendzeit anzuknüpfen: das Liedermachen, ganz bei sich selbst. Im Lehrerseminar, das er auf Drängen seiner Eltern in den 90er-Jahren besuchen musste, gab es im Keller Musikkojen. In der Abgeschiedenheit dieser unterirdischen Nischen konnte er zum ersten Mal aus dem Alltag ausbrechen und Songs komponieren. «Während des Lockdowns und danach fand ich in meiner kleinen Berner Wohnung, ähnlich wie damals vor 25 Jahren in den Kojen, zu dieser inneren Ruhe zurück. Ein schützender Raum, in dem ich meinen Gedanken nachspüren und mein erstes Album komplett in Eigenregie erschaffen konnte. Ablenkungen von aussen liessen sich im Corona-Jahr ja sehr gut ausblenden.» Florian Burkhardts Songs lassen, wie bereits seine Bücher, tief in seine Seele blicken. Doch während er als Autor noch stark in Ängsten und Selbstzweifeln verhaftet schien, sind seine nachdenklich-melancholischen Songs nun durchdrungen von einer Selbstakzeptanz, die heller strahlt, als es jeder erste Platz in einer Hitparade je könnte. Ein gewaltiger Gewinn für einen Menschen, der beinahe daran zerbrochen wäre, dass er sich von aller Welt auf Äusserlichkeiten reduzieren liess. Das Albumcover zeigt Burkhardt, der mit einem wohlwollend versöhnlichen Blick in einen Spiegel schaut. Seine dreizehn Songs enthalten zahlreiche Denkanstösse, um den in der Gesellschaft allgegenwärtigen Perfektionismus zu hinterfragen. Wie zum Beispiel «Verlür di ned», in dem es darum geht, bewusst den Lärm von draussen auszusperren, sich selbst wiederzufinden und zu erkennen «es get kei Tüfel, nor de Mensch»: Wir sind selbst für unser Tun verantwortlich, denn es gibt keine höhere Macht, die als Sündenbock herhalten könnte. «‹Backstage› ist kein populäres Album, das unterhalten will», sagt Burkhardt. «Ich habe den Faktor Publikum beim Komponieren ausgeklammert. Es ging mir darum, dieses erfüllende Gefühl von damals wiederzufinden. Die Kunst des Liedermachens, wie sie ein Konstantin Wecker oder ein Rainhard Fendrich pflegten, stand bei der Entstehung meines Albums Pate.» «Backstage» ist ein Album, auf das man sich einlassen muss wie auf ein gutes, tiefgründiges Gespräch: Es liefert keine Antworten auf die grossen Fragen unserer Zeit, aber es ebnet einem den Weg, sich diese zu stellen.

Bram Stoker: «Der Zorn des Meeres» Mare 2020 CHF 31.90

Übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann

mare

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BILD(1): ZOÉ AUBRY, BILD(2): ZVG, BILD(3): SEMI ESCHMAMP BILD (4): KAREN AMANDA MOSER

Veranstaltungen Online «Streamy Thursday – Theater zu Haus», Livestreamings, «Früchte des Zorns», Do, 28. Januar, 20 Uhr, «Im Bett», Fr, 29. Januar; Eintritt nach eigener Wahl 5 Franken (Budget), 15 Franken (Standard) oder 30 Franken (Support), Tickets ab Montagabend vor der Vorstellung online erhältlich. www.schauspielhaus.ch

Das Schauspielhaus Zürich überträgt eine Auswahl seiner Vorstellungen per Livestreaming. Das Ganze ist eine Art künstlerisches Experiment, indem die Vorstellungen mit mehreren Kameras übertragen werden, persönlich gesteuert durch die Regisseur*innen der jeweiligen Inszenierung. Da ist zum Beispiel John Steinbecks Roman «Früchte des Zorns», für die Bühne adaptiert von Regisseur Christopher Rüping – einer der Ersten, wenn es darum geht, Ungewohntes auszutesten. Steinbecks Familie Joad glaubt an den amerikanischen Traum: Alle können es schaffen. Nur anstrengen muss man sich, arbeiten und fleissig sein. Dann können einen weder Armut noch Naturkatastrophen und schon gar nicht andere Menschen aufhalten. Die Joads ziehen also los in den goldenen Westen, wo überall Orangen wachsen und es Arbeit für jeden gibt. Nur eben, wir wissen es, die Wirklichkeit sieht anders aus als erträumt. Am Streamy Thursday werden auch ausgewählte freie Künstler*innen auf die digitale Schauspielhaus-Bühne kommen und den Erlös der Tickets erhalten. Zum Beispiel mit der Inszenierung «Im Bett», einem Kammerspiel des chilenischen Autors Matias Bizet. DIF

Online «We=Link: Sideways», Online-Ausstellung, bis So, 23. Mai we-link.chronusartcenter.org We=Link wurde vom Haus der elektronischen Künste Basel HeK zusammen mit internationalen Partnern aufgebaut und ist eine Plattform für die Online-Präsentation von netzbasierter Kunst. Die Ausstellung möchte die vielfältigen Entwicklungen und Strategien, die ästhetischen Experimente in der Netzkunst entdecken. Auch kritisch angewandte Technologien gehören dazu, die darauf abzielen, das Unternehmensmonopol der Netzwerkinfrastruktur zu stören. Sie entlarven die inhärente Logik der Netzwerksicherheit und -überwachung in provokanten und spielerischen Ansätzen, sie spüren

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kommerzielle Strategien auf oder eignen sie sich kurzerhand selbst neu an. DIF

Autor*in oder eine*n Musiker*in aus und gibt an, wer da schenkt («Bist du Geliebte*r? Verwandtschaft? Einfach ein Name?») – und mit welchen Wünschen. Von einer Moderatorin werden die Beiträge zu einem rund fünfminütigen persönlichen Kulturpaket geschnürt, der Download-Link wird der beschenkten Person dann per Post zugestellt. Bei jeder Buchung bekommt die*der jeweilige Autor*in oder die*der Musiker*in 60 Franken, ein weiterer kleiner Betrag geht in den Topf für alle. «DIE Kulturschachtel» hatten die Luzerner Kulturschaffenden Catherine Huth und Christine Weber als Angebot für die etwas einsameren Weihnachtsfeiertage auf die Beine gestellt und führen es nun weiter. Im gleichen Zug unterstützen sie damit professionelle (Bühnen-)Künstler*innen, die derzeit kaum Auftritte haben – das Angebot wird laufend erweitert. DIF

Am Telefon «sogar am Telefon», ­persönliche Lesungen mit Autor*innen des sogar theater Zürich; Klaus Henner Russius, Mi, 27. Jan, 17 bis 19 Uhr; Catalin Dorian Florescu, Do, 28. Jan, 15 bis 17 Uhr; Dagny Gioulami, Mi, 3. Februar, 17 bis 19 Uhr; Klaus Händl, Do, 4. Februar, 15 bis 17 Uhr. Reservation per Mail an info@sogar.ch mit dem gewählten Datum und Angabe der eigenen Telefonnummer. Man erhält eine Bestätigung mit dem Zeitpunkt des Anrufs. sogar.ch

Online «DIE Kulturschachtel», Kultur verschenken www.diekulturschachtel.ch

Um rund fünf Minuten persönlich gewidmete Kultur (Musik, Literatur, Wortakrobatik) zu verschenken, sucht man sich auf der Website der Kulturschachtel eine*n

Das sogar theater macht literarischen Genuss und Begegnungen mit Künstler*innen auch ohne Bühne möglich. Stamm-Autoren und -Künstlerinnen des Theaters lesen uns Texte am Telefon vor. Exklusiv, persönlich. Zum vereinbarten Zeitpunkt bekommt man einen Anruf, eine Geschichte vorgelesen und ein kurzes Gespräch danach. Das Ganze dauert etwa 15 Minuten. Klaus Henner Russius, Schauspieler, Regisseur und Grün-

dungsmitglied des sogar theaters, liest eine Kurzgeschichte von ­Anton Tschechow, Catalin Dorian Florescu Auszüge aus seinen Romanen und Erzählungen, Dagny Gioulami Textstellen aus ihrem Manuskript «Neue Seidenstrasse» und Klaus Händl einen kurzen Text aus seiner Schublade. Die Autor*innen erhalten so oder so ein Honorar, nach der Lesung bekommt man zusätzlich Kontoangaben per Mail zugeschickt und kann einen frei wählbaren Betrag zur Unterstützung des Theaters einzahlen. Empfohlen wird etwas im Rahmen von 20 Franken aufwärts. DIF

Thun «Eine Vorstellung», Aus­ stellung, bis Do, 11. März, Kunstraum Satellit, Scheiben­strasse 2, keine Öffnungs­ zeiten: Satellit ist ein Schauraum, das grosse Schau­ fenster gibt Einblick. www.satellit.space

Mit dem Januar beginnt auch ein neuer Jahreszyklus. Die Thuner Künstlerin Karen Amanda Moser geht vom Namen des Ausstellungsortes – Satellit – und von seinem Standort beim Verkehrskreisel am Thuner Guisanplatz aus. Vom Ankommen und Abfahren der Buslinien an der dortigen Haltestelle. Von der Aare gleich dahinter und dem stetigen Kreislauf des Wassers. «Zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter, Tag für Tag, von morgens früh bis spät in die Nacht», so bewerben die Thuner Verkehrsbetriebe ihre Verlässlichkeit. Karen Amanda Moser entwickelt aus diesen Taktgebern ihre Arbeit. Um Kreisläufe und Zyklen geht es nämlich. Die Ausstellung wirft einen Blick hinaus ins Weltall und verknüpft das Ungreifbare mit sich wiederholenden irdischen Handlungen und Ritualen. «Irgendwo steigt man ein, anderswo wieder aus, weil es weder einen bestimmten Anfang noch ein bestimmtes Ende gibt», sagt die Künstlerin. In ihrer Arbeit formieren sich dann Siebdrucke zu Mantras – und wer bis zum Eindunkeln bleibt, erlebt, wie Brandlöcher zu Sternen werden. DIF

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Tour de Suisse

Pörtner in Frauenfeld Surprise-Standorte: Bahnhof Einwohner*innen: 25 734 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 23,9 Sozialhilfequote in Prozent: 2,5 Wähler*innen-stärkste Partei in Prozent: SVP 21,5

Am Ende des Bahnhofplatzes wehen nicht weniger als 14 bunte Fahnen, von denen lachende Frauen und Kinder, ein Reitpferd und ein Trompete-spielender Bub grüssen. «Heissa, hier ist etwas los!», verkünden sie auf mehr oder weniger subtile Weise. Nicht so dynamisch wirkt die alte Kaserne, die einen unbenutzten Eindruck macht. An einer bahnhofsnahen Prime-Location einen so tristen und offenbar nicht mehr viel zur lokalen Wirtschaft beitragenden Gebäudekomplex zu halten, das kann wahrscheinlich nur die Armee. Doch hat es auch etwas Behäbiges und Beruhi­ gendes. Die moderne Variante der Bahnhofsüberbauung mit Wohnen und ­Shoppen steht etwas weiter vorne, am anderen Ende des langen Platzes, der mit einer Art Stadionbeleuchtung ausgestattet ist, weitläufig und grosszügig. Möglich, dass ihn eines Tages freche Surprise 492/21

Stadtmarketer «Platz zum Versauen» taufen. Platz zum Verweilen wäre nämlich kein treffender Name. Wie es sich für einen kleinstädtischen «Hub» gehört, fahren von hier aus eine Menge Post­ autos und Busse sowie ein Bähnchen, das als Schienenbus durchgehen könnte. Ein Bus fährt nach Huben, doch keiner nach Druben. Das Bahnhofbuffet, von der Selbstverständlichkeit zur Rarität geworden, ist gut besucht an diesem kalten, neb­ ligen Tag. Zwei Grossbildschirme zeigen Randsportarten, das Skirennen ist schon vorbei. Zur Auswahl stehen ­Biathlon und Billard. Niemand schaut hin. Die Stimmung ist ungezwungen, das Bier wird schon mal aus der Dose getrunken. An der Bar unterhält sich eine Gruppe Männer und Frauen beim Weisswein. Sogar geraucht werden darf in

e­ inem Teil des Lokals. Am Zweiertisch gibt es Kafi fertig. Aus der Zeit gefallen fühlt man sich, Hektik herrscht keine, aus den Boxen säuselt diskret Tanzmusik des letzten Jahrhunderts. Das Mobiliar ist zeitlos angejahrt. Was aber am meisten an alte Zeiten erinnert: Die Leute ­reden miteinander, hin und wieder wird gelacht, mitunter laut, die Bedienung lacht mit, man kennt sich. Hereinkommende werden begrüsst, verabschiedet jene, die das Lokal verlassen und direkt in das vor der Tür haltende Postauto steigen. Niemand schaut ins Handy. Rauchen, trinken, reden. Mehr braucht es nicht, nicht hier, nicht jetzt. Kein Rhythmus der Grossstadt pulsiert. So verbrachte man in meiner Jugend die Zeit, gewiss auch mangels Alternativen, doch ist diese Art der Freizeitgestaltung zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Junge bis sehr alte Menschen sitzen ­beisammen, und wer nichts sagen will, muss nichts sagen, auch das geht. Leute setzen sich dazu, nur wer seine Ruhe will, bleibt allein. Was in aufwendig gestalteten Begegnungszonen und an ­animierten Treffpunkten nur harzig wenn überhaupt funktioniert, geht hier ganz von selber: Begegnung, Austausch, Generationendialog. Gut für das Gemüt, schlecht für die Gesundheit. Das Buffet ist nicht der einzige Verpflegungsbetrieb am Bahnhof. Es gibt einen Burgerbrater, der zu keiner Kette gehört, den obligaten Brezelkönig und einen ­Kebab-Pizza-Stand. Die Starbucks-­Filiale ist auf einen Automaten am Kiosk reduziert. Nirgends ist Kundschaft zu sehen. Der junge Mann, der aus dem Buffet tritt, rülpst herzlich, als wäre es sein Kommentar zum gastronomischen Restangebot. Die Biathlet*innen spurten unbeachtet um den Sieg.

STEPHAN PÖRTNER  Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.

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IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D

Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist.

SURPLUS – DAS NOTWENDIGE EXTRA Das Programm

Wie viele Surprise-Hefte müssten Sie verkaufen, um davon in Würde leben zu können? Hätten Sie die Kraft?

Wussten Sie, dass einige unserer Verkäufer*innen fast ausschliesslich vom Heftverkauf leben und keine Sozialleistungen vom Staat beziehen? Das fordert sehr viel Kraft, Selbstvertrauen sowie konstantes Engagement. Und es verdient besondere Förderung. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkäufer*innen zusätzliche Unterstützung. Sie sind mit Krankentaggeld und Ferien sozial abgesichert und erhalten ein Nahverkehrsabonnement. Bei Problemen im Alltag begleiten wir sie intensiv.

Eine von vielen Geschichten 01 Büro Dudler, Raum- und Verkehrsplanung, Biel 02 Yogaloft GmbH, Rapperswil SG 03 unterwegs GmbH, Aarau 04 Infopower GmbH, Zürich 05 Hedi Hauswirth, Privatpflege, Oetwil am See 06 Gemeinschaftspraxis Morillon, Bern 07 Sublevaris GmbH, Brigitte Sacchi, Birsfelden 08 sinnovec GmbH, Strategie & Energie, Zürich 09 Barth Real AG, Zürich 10 Simplution Software GmbH 11

Ueli Mosimann, ehemals Abt. Ausbildung Coop

12 Fontarocca Natursteine, Liestal 13 Christine Meier, raum-landschaft, Zürich 14 www.deinlohn.ch 15 TopPharm Apotheke Paradeplatz 16 Arbeitssicherheit Zehnder, Zürich 17 Paul + Peter Fritz AG, Zürich 18 SHI, Haus der Homöopathie, Zug

Lange bemühte sich Haimanot Mesfin um eine feste Arbeitsstelle in der Schweiz, doch mit einem F-Ausweis sind die Chancen klein. Sozialhilfe kam für sie nie in Frage – sie wollte stets selbstständig im Leben auskommen. Aus diesem Grund verkauft Haimanot Mesfin seit über zehn Jahren das Surprise Strassenmagazin am Bahnhof Bern. Dort steht sie bereits früh morgens und verkauft ihre Magazine. Das Begleitprogramm SurPlus unterstützt sie dabei mit einem ÖV-Abo sowie Ferienund Krankentaggelder. Dank der Begleitung auf dem Berner Surprise-Büro hat sie eine neue Wohnung gefunden. Nach langer Zeit in einer 1-Zimmer-Wohnung haben sie und ihr Sohn nun endlich etwas mehr Platz zu Hause.

Weitere SurPlus-Geschichten lesen sie unter: surprise.ngo/surplus

19 Madlen Blösch, Geld & so, Basel 20 onlineKarma, Online-Marketing mit Wirkung 21 Gemeinnützige Frauen Aarau 22 Shinsen AG, Japanese Food Culture, Zürich 23 Halde 14, Baden 24 Markus Böhmer, Bildhauer, Birsfelden/Basel 25 AnyWeb AG, Zürich Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Nicole Huwyler Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 50 I marketing@surprise.ngo

Unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 16 Verkäufer*innen des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlus-Programm teilzunehmen.

Unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 | Vermerk: SurPlus Oder Einzahlungsschein bestellen: T +41 61 564 90 90 info@surprise.ngo | surprise.ngo/spenden Herzlichen Dank!


Wir alle sind Surprise #489: Wir warten alle

#490: Der Impfstoff allein löst das Problem nicht

«Bravo»

«Impfung als Erlösung propagiert»

Die aktuelle Weihnachts­ nummer gefällt mir von den Illustrationen her ex­trem gut – bravo! S. PR ASSE,  Rapperswil

«Danke»

Ganz herzlichen Dank für Ihren Text im Surprise, der mich – Vater und Grossvater – sehr berührt hat.

Ein neuer One-Shot-­ Kurzfilm zeigt vier Men­ schen, die nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens standen: Elmi, der auf der Flucht in die Schweiz seinen besten Freund verlor. Tatyana, die nur mit zahlreichen Teilzeitstellen über die Runden kommt. Zaynab, die als Kind beschnitten wurde. Und Ändu, den ein Burnout in die Alkohol­ sucht trieb. Alle vier verkaufen das Surprise Stras­senmagazin. Und alle vier nehmen ihr Schicksal, ihr Heft, in die Hand.

J. ACHTERBERG,  Schinznach-Dorf

www.surprise.ngo/oneshot

Erlösung ist in Sicht! Hilfe, ruf ich, wenn ich diese Zeilen im Editorial lese. Unkritisch wird hier die Impfung als Erlösung propagiert! Hat hier die Pharma-Lobby womöglich Surprise finanziell unterstützt? Mit der Frage von Sara Winter Sayilir im Interview an Kai Kupferschmidt: «Viele Leute verweigern sich aber einer konstruktiven Diskussion …» positioniert sich die Autorin ja ganz klar. Ich nehme die Autorin beim Wort und freue mich jetzt schon auf ein spannendes Interview im Surprise mit Dr. Sucharit Bhakdi oder Dr. Wolfgang Wodarg oder unzähligen anderen, die ständig von der «konstruktiven» Diskussion ausgeschlossen werden! P. MEDER,  Münchenstein

Für Ihren Beitrag für eine bessere Gesellschaft möchten wir uns ganz herzlich bedanken! Besonders gut hat mir die diesjährige Weih­ nachtsausgabe mit dem Advents­ kalender gefallen. Ein grosses Lob an eure Grafiker. N. TAEBI,  Wollishofen

Unterwegs ins Leben, auf dem Weg hinaus

«Sehr berührt»

Impressum Herausgeber Surprise, Münzgasse 16 CH-4051 Basel Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T  +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12

Ständige Mitarbeit
 Simon Berginz, Monika Bettschen, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Astrid Benölken, Michael Leuthold, Hans

Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Bern: T +41 31 558 53 91 rundgangbe@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo

abgelehnt.

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25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten Strassen­verkäufer*innen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.– Geschenkabonnement für: Vorname, Name

Rhyner, Tobias Zuttmann Wiedergabe von Artikeln und Bildern,

Redaktion
 Verantwortlich für diese Ausgabe: Sara Winter Sayilir (win) Diana Frei (dif), Klaus Petrus (kp), Reporter: Andres Eberhard (eba), Simon Jäggi (sim) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99
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FOTO: KLAUS PETRUS

Surprise-Nachruf

Barkad Umar

*2. Januar 1982 bis †Ende Dezember 2020 «Ich wusste nicht, ob ich überlebe», sagte Barkad Umar letztes Jahr noch über die Vergangenheit, seine überstandene Leber- und Nierentransplantation. Das Leben des damals 37-jährigen Somaliers war von gesundheitlichen Problemen geprägt. Er litt an der ­ Erbkrankheit Morbus Wilson, einer seiner Brüder und seine Mutter waren daran gestorben. Die Krankheit war nebst dem Bürgerkrieg der Grund, weshalb er vor zehn Jahren in die Schweiz gekommen war: In Somalia gab es keine Möglichkeit, Morbus Wilson zu behandeln. Barkad erlitt 2008 eine Leberzirrhose. Er brauchte eine neue Leber – und eine neue Niere. Im Gespräch erzählte er letztes Jahr, wie er mit dem Helikopter vom Kantonsspital Liestal nach Genf geflogen wurde. Zwei Tage ­später konnten beide Organe transplantiert werden, aber er hatte danach gefährliche innere Blutungen. Er rief seine Schwester in Somalia an, um sich von ihr zu verabschieden, falls er es nicht schaffen würde. Barkad hatte engen Kontakt zu seinen Schwestern. Wohl auch gerade deshalb, weil er wegen der Erbkrankheit andere Familienmitglieder verloren hatte. Dass er fern der Heimat lebte, machte ihn einsamer, als es seinem Naturell entsprach. Das Familienleben fehlte ihm sehr. Eine eigene Familie zu gründen, kam für ihn aber nie infrage, weil er seine Krankheit nicht weiter­geben wollte. Barkad war ein freundlicher und fröhlicher, aber auch ein stiller und dankbarer Mensch. Der Surprise-Verkauf war für ihn nicht nur dazu da, ein kleines Einkommen zu generieren. Die Kontakte waren ihm wichtig, die kurzen Gespräche auf der Strasse. Er grüsste die Menschen, auch wenn sie keine Hefte bei ihm kauften. Er grüsste seine Kunden, auch wenn er sie woanders antraf. Für den Familienmenschen ohne Familie waren die Begeg­ nungen zentral, er knüpfte Kontakte, sprach gut Deutsch und holte sich Unterstützung, wenn er sie brauchte. Er war ein Mensch, für den man sich einsetzen wollte. So freuten sich die Mitarbeiter*innen des Soup’n’Chill, einer sozialen Institution in Basel, wenn er jeweils bei ihnen Mittag essen kam, sie sprachen mit ihm über seine Träume und Wünsche. Und darüber, was davon umsetzbar sein könnte. Auch mit Claudia C ­ hristen von der römisch-katholischen Kirche Frenkendorf-Füllinsdorf stand er in gutem Kontakt, und sie ­organisierte ihm während des Lockdowns denn auch einen Einkaufsdienst. Wegen der Transplantationen musste er Medikamente nehmen, damit das Immunsystem die Spenderorgane nicht abstiess. Seine Immunabwehr war eingeschränkt, er blieb in der Pandemie oft alleine zuhause, kam auch nicht mehr im Vertriebsbüro von Surprise vorbei30

Barkad Umar verkaufte Surprise in Frenkendorf (BL). Er litt an einer Erbkrankheit, nun ist er 38-jährig verstorben.

und verkaufte keine Hefte mehr. Er suchte und fand aber weiterhin den Kontakt. Per Telefon und Textnachrichten blieb Anette Metzner, Leiterin Vertrieb und B ­ eratung bei Surprise, mit ihm in Verbindung und brachte ihm Filme und Bücher vorbei. Barkad meldete sich auch dann noch aus eigenem Antrieb, als er merkte, dass ihn seine Depressionen wieder einholten, für die er in Zusammenhang mit seiner Krankheit und seinem jahrelang unsicheren Status als Asylbewerber mit F-Ausweis anfällig war. Vor fast genau einem Jahr hatten wir ein Verkäufer­ porträt über Barkad bei uns im Heft, und es schien aufwärts zu gehen. «Seit ich die B-Bewilligung habe, bin ich etwas ruhiger», sagt er damals. Und fast schien es, als ob auch sein sehnlichster Wunsch doch noch in Erfüllung gehen könnte – eine Reise nach Somalia, um nach achtzehn Jahren der Trennung seine Schwestern ­wiederzusehen. Doch dann kam Corona, und alles wurde anders. Im November erkrankte er an Covid-19, Ende Dezember starb er im Alter von 38 Jahren. Wir werden ihn sehr vermissen.

Von DIANA FREI Surprise 492/21


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Aktuelle Infos zu den Sozialen Stadtrundgängen von Surprise unter: www.surprise.ngo/stadtrundgang

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So schützen wir uns gemeinsam beim Magazinkauf! Liebe Kund*innen Wir sind froh, dass Sie auch in dieser schwierigen Zeit das Strassenmagazin kaufen. Damit dies so bleibt, bitten wir Sie, unsere Verkaufsregeln und die Bestimmungen des BAG einzuhalten. Vielen lieben Dank! Wo nötig tragen wir Masken.

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Merci für Ihre Solidarität und danke, dass Sie uns treu bleiben. Bis zum nächsten Mal auf der Strasse. Die Surprise Verkäufer*innen.

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