Surprise Nr. 445

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Strassenmagazin Nr. 445 1. bis 14. März 2019

CHF 6.–

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Housing First

Schöner wohnen

Anderswo bekommen Obdachlose bedingungslos eine Wohnung. Warum nicht in der Schweiz? Seite 8

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BETEILIGTE CAFÉS

Café Surprise – eine Tasse Solidarität Zwei bezahlen, eine spendieren.

IN BASEL Bäckerei KULT, Riehentorstrasse 18 | Bäckerei KULT «Elsi», Elsässerstrasse 43 | BackwarenOutlet, Güterstr. 120 | Café Bohemia, Dornacherstr. 255 | Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstr. 14 | Flore, Klybeckstr. 5 | Café Restaurant Haltestelle, Gempenstr. 5 | Kiosk Amann, Claragraben 101 | Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg | Quartiertreffpunkt Kleinhüningen, Kleinhüningerstr. 205 | Quartiertreffpunkt Lola, Lothringerstr. 63 | Les Gareçons to go, Badischer Bahnhof | Rest. Manger & Boire, Gerbergasse 81 | Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstr. 96 | Didi Offensiv, Erasmusplatz 12 | Radius 39, Wielandplatz 8 | Café Spalentor, Missionstrasse 1 | HausBAR Markthalle, Steinentorberg 20 | Treffpunkt Breite, Zürcherstrasse 149 IN LENZBURG feines Kleines, Rathausgasse 18 IN LUZERN Jazzkantine zum Graben, Grabenstr. 8 | Meyer Kulturbeiz, Bundesplatz 3 | Blend Teehaus, Furrengasse 7 | Quai4-Markt Baselstrasse, Baselstr. 66 | Restaurant Quai4, Alpenquai 4 | Quai4-Markt Alpenquai, Alpenquai 4 | Pastarazzi, Hirschengraben 13 | Netzwerk Neubad, Bireggstr. 36 | Sommerbad Volière, Inseli Park | Restaurant Brünig, Industriestrasse 3 | Arlecchino, Habsburgerstrasse 23 IN RAPPERSWIL Café good, Marktgasse 11 IN SCHAFFHAUSEN Kammgarn-Beiz, Baumgartenstr. 19 IN BERN Café Kairo, Dammweg 43 | Café MARTA, Kramgasse 8 | Café Tscharni, Waldmannstr. 17a | Café-Bar das Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 | LoLa Lorraineladen, Lorrainestr. 23 | Luna Llena Gelateria Rest. Bar, Scheibenstr. 39 | Rest. Genossenschaft Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17 | Rest. Löscher, Viktoriastr. 70 | Rest. Sous le Pont – Reitschule, Neubrückstr. 8 | Rösterei Kaffee und Bar, Güterstr. 6 | Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 | Zentrum 44, Scheibenstr. 44 | Café Paulus, Freiestrasse 20 | Becanto GmbH, Bethlehemstrasse 183 | Phil’s Coffee to go, Standstrasse 34 IN BIEL Treffpunkt Perron bleu, Bahnhofplatz 2d IN ZÜRICH Café Zähringer, Zähringerplatz 11 | Cevi Zürich, Sihlstr. 33 | Quartiertreff Enge, Gablerstrasse 20 | Flussbad Unterer Letten, Wasserwerkstr. 141 | Kafi Freud, Schaffhauserstrasse 118 | Kumo6, Bucheggplatz 4a | Sport Bar Cafeteria, Kanzleistrasse 76 IN STEIN AM RHEIN Raum 18, Kaltenbacherstr. 18 IN WINTERTHUR Bistro Dimensione, Neustadtgasse 25 IN OBERRIEDEN Strandbad Oberrieden, Seestrasse 47 IN ST. GALLEN S’Kafi, Langgasse 11 IN MÜNCHENBUCHSEE tuorina boutique & café, Bernstrasse 2 IN DIETIKON Mis Kaffi, Bremgartnerstrasse 3a

Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise

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Kultur Kultur

Solidaritätsgeste Solidaritätsgeste

STRASSENSTRASSENCHOR CHOR

CAFÉ CAFÉ SURPRISE SURPRISE

Lebensfreude Lebensfreude Entlastung Entlastung Sozialwerke Sozialwerke

BEGLEITUNG BEGLEITUNG UND UND BERATUNG BERATUNG

Unterstützung Unterstützung

Job Job

STRASSENSTRASSENMAGAZIN MAGAZIN Information Information

SURPRISE WIRKT SURPRISE WIRKT

ZugehörigkeitsZugehörigkeitsgefühl gefühl EntwicklungsEntwicklungsmöglichkeiten möglichkeiten

STRASSENSTRASSENFUSSBALL FUSSBALL

Erlebnis Erlebnis

Expertenrolle Expertenrolle

SOZIALE SOZIALE STADTRUNDSTADTRUNDGÄNGE GÄNGE PerspektivenPerspektivenwechsel wechsel

Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen und auf2die Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, uns ohne staatliche sind aufHinsicht Spenden Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. Gesellschaft. Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschenfinanzieren in der Schweiz. Unser Angebot Gelder wirkt inund doppelter – und auf den armutsbetroffenen Menschen surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC gewinnorientiert, 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1455 3Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht finanzieren uns ohne1255 staatliche surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

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TITELBILD: LUCIA LUCA HUNZIKER

Editorial

Zeit für mehr Vertrauen Bisher wird Menschen auf der Strasse in der Schweiz nur dann eine längerfristige Unterbringung angeboten, wenn sie sich zur Einhaltung gewisser Bedingungen verpflichten. Sie müssen Abstand von ­Alkohol und Drogen nehmen oder in eine Therapie einwilligen. Wer sich dem nicht unterordnen möchte, wer psychisch dazu nicht in der Lage ist oder seine Sucht nicht in den Griff kriegt, fällt durch die ­Maschen – und landet auf der Strasse oder dauerhaft in der Notschlafstelle.

­ it dem steigenden Druck auf dem WohM nungsmarkt wird das Problem nicht kleiner. Deswegen diskutieren wir über «Housing First»: Das Konzept, bei dem man Bedürftigen bedingungslos Wohnraum zur Ver­ fügung stellt, verspricht mehr Selbstbestimmung und ist auch erfolg­reicher dabei, die Menschen dauerhaft von der Strasse zu holen. Das zumindest sagen Untersuchungen aus Nordamerika und aus den Ländern Europas, wo Housing First bereits praktiziert wird.

Offensichtlich reicht das existierende An­ gebot nicht aus, um alle aufzufangen. Gleichzeitig weiss man unter Fachpersonen schon lange, wie wichtig die Wahrung von Selbstbestimmung und Würde für die betroffenen Wohnungslosen ist. Und dass nur dem geholfen werden kann, der das auch möchte. Solange das Schweizer Hilfssystem aber über Belohnung und Sanktionen funktioniert, besteht da ein ­gewisser Widerspruch.

Was Housing First für die Betroffenen in der Schweiz ändern würde, lesen Sie ab Seite 8. Und Autorin Franziska Jäger hat zwei ehemals Obdachlose zuhause besucht: einen in Belgien, der von einem Housing-First-Programm profitiert, und einen in Deutschland, der in einer klassischen Wohneinrichtung lebt (ab Seite 14). SAR A

4 Aufgelesen 5 Vor Gericht

Im freien Fall

6 Challenge League

In Frieden

7 All Inclusive

Hunger Games

8 Housing First

Bedingungslose Hilfe

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14 Housing First

Wohnen lernen

WINTER SAYILIR

Redaktorin

20 Ausstellung

Feminismus im Internet

24 Film

Francis Reussers Spuren

25 Buch

Augenweiden

26 Veranstaltungen 27 Agglo-Blues

Feindliche Übernahme

28 SurPlus Positive Firmen 29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren 30 Surprise-Porträt

«Ich sass nur zuhause»

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Aufgelesen

News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 34 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Vernachlässigte Alte Einer von sechs Senioren weltweit wird vernachlässigt, ausgenutzt oder ist Opfer von psychischer oder physischer Gewalt. So lauten Schätzungen der Weltgesundheits­ organisation WHO. In Griechenland, wo die meisten Fälle im Privaten passieren und die Familienbande traditionell eng sind, ist das Thema bisher ein Tabu. Oft fehlt es schlicht an Wissen, wie die Angehörigen zu pflegen sind. Besonders häufig betroffen sind gemäss Experten Demente. «Wir sehen Fälle von Unterernährung», sagt Sozial­arbeiterin Ioanna Tsokanari. «Bei Menschen mit

Alz­heimer reicht es nicht, wenn man ihnen einen Teller hinstellt. Man muss ihnen sagen, dass sie essen sollen.» Nun versuchen NGOs in Griechenland und Zypern, auf den Missstand aufmerksam zu machen, und bieten Hausbesuche sowie 24-Stunden-Hotlines an. Zudem soll auch das Personal in Spitälern und Pflegeheimen besser auf den Um­gang mit Demenz geschult werden.

SHEDIA, ATHEN/THESSALONIKI

Flüchtlinge auf dem Land In Deutschland leben auffällig viele Flüchtlinge auf dem Land. Nun haben Geografen aus Erlangen unter­ sucht, warum das so ist. Einer der Hauptgründe ist, dass Asylbewerber bereits bei ihrer Ankunft gemäss ei­ nem Schlüssel innerhalb der Bundesländer verteilt werden – viele werden also auch in kleinen Orten un­ tergebracht. Danach bleiben manche wegen Familie, Verwandten oder Freunden, weil sie eine Stelle in Aus­ sicht haben oder den Sprachkurs im Ort fortsetzen möchten. Andere dürfen wegen einer Wohnsitzauflage nicht wegziehen. Auch günstiger Wohnraum spricht fürs Bleiben.

STRASSENKREUZER, NÜRNBERG

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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

Wohnungen, die krankmachen

In Grossbritannien nimmt die Zahl der Wohnungslosen seit Jahren stark zu. Nur die wenigsten der schätzungsweise 300 000 Betroffe­ nen schlafen auf der Strasse. Viele schlagen sich auf Couches, in Zelten oder Autos durch. Steigend ist auch die Zahl jener, die in privaten Bed and Breakfasts, Hostels oder Wohn­ gemeinschaften unterkommen. Schätzungen zufolge leben heute rund 75 000 Menschen in solchen Unterkünften. Die Zimmer sind klein, dreckig und schlecht isoliert, oft fehlen Heizung und warmes Wasser, selbst Ratten und Bettwan­ zen sind keine Seltenheit. Die Zei­ tung The Guardian bezeichnete diese Wohnungen als «die schreck­ lichsten Ecken des englischen Woh­ nungsmarktes». Wie Interviews mit Betroffenen durch die NGO Justlife ergaben, leiden viele psychisch und physisch unter den Bedingungen. Obwohl die Behörden die Zimmer eigentlich nur als temporäre Notlö­ sung vorsehen, müssen die Betrof­ fenen mangels Alternativen oft viele Jahre bleiben.

BIG ISSUE NORTH, MANCHESTER

Kältebus für Obdachlose in Not Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) warnt vor mehr Kältetoten unter Obdach­ losen. Bis Ende 2018 seien bereits neun Menschen nachweislich ohne Fremdverschulden nachts gestor­ ben. In Hamburg, wo innerhalb ­eines Monats vier Menschen auf der Strasse erfroren sind, hat man re­ agiert. Seit Jahresanfang ist e­ rstmals ein Kältebus für Obdachlose unter­ wegs. Das Gefährt der ­katholischen Tagesaufenthaltsstätte «Alimaus» kreuzt jeden Abend von 19 bis 24 Uhr durch die Stadt, um Obdachlosen in Not zu helfen. Das Team der Fah­ rer ist ehren­amtlich im Einsatz, der Wagen wurde von einem Auto­ haus günstig gemietet.

HEMPELS, KIEL

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Vor Gericht

Im freien Fall Für einmal begibt sich diese kleine Ko­ lumne auf die Weltbühne. Denn derzeit gibt ein Freispruch international zu reden: Vor einem Monat liess der Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) Laurent Gbagbo laufen, den ehemaligen Präsidenten der Elfenbein­ küste, und zwar noch vor Abschluss des Prozesses. Mit ihm kam auch Charles Blé Goudé frei, Gbagbos einstiger Jugendmi­ nister und Mann fürs Grobe. Der Grund: Mangel an Beweisen. Ein neuerliches ­Fi­asko für das Weltgericht. Denn es bestehen kaum Zweifel, dass Gbagbos Armee und Milizen nach dessen Abwahl 2010 Hunderte von Demonstrie­ renden töteten und vergewaltigten, die für den rechtmässigen Wahlsieger und heuti­ gen Präsidenten Alassane Ouattara auf die Strasse gingen. Monatelang klammerte sich Gbagbo an die Macht, bis er im April 2011 aus einem Bunker gezerrt und an den ICC überstellt wurde. Seither sass er in Haft, erst 2016 begann der Prozess, nun lebt er in Bel­ gien. Und die halbe Welt fragt einmal mehr: Wie ist das nur möglich? Dass Gbagbo nun ein freier Mann ist, ist eine Ohrfeige für die Opfer. Aber auch ein Schlag für ICC-Chefanklägerin Fatou Bensouda. Denn es ist nur der letzte von vielen gescheiterten Versuchen, gegen mächtige Urheber grösster Grässlichkeiten Verurteilungen zu erwirken. 2014 musste das Gericht die Anklage gegen den kenia­ nischen Präsidenten Uhuru Kenyatta fal­ lenlassen. 2016 wurde Jean-Pierre Bemba, einst Vizepräsident von Kongo-Kinshasa, zwar wegen schwerer Kriegsverbrechen in der Zentralafrikanischen Republik verur­ teilt. Im Berufungsverfahren 2018 wurde

aber auch er freigelassen – wegen schwerer Verfahrensmängel. Statt für die grosse Ge­ rechtigkeit kämpft der ICC inzwischen um die eigene Daseinsberechtigung. Besonders die Anklagebehörden ma­ chen in vielen Fällen keine gute Figur. In Gbagbos Prozess präsentierten sie Belas­ tungszeugen, die den Angeklagten am Ende entlasteten, statt die erhofften Beweise zu liefern. Zuvor wurde die Klage 2013 zu­ nächst gar nicht zugelassen – weil sie sich zur Hauptsache auf NGO- und Zeitungsbe­ richte stützte. Diese seien kein Ersatz für konkrete Ermittlungsresultate, mahnte das Gericht. Mit Zeitungsschnipseln gegen Völ­ kermord also. Und das ausgerechnet am ICC, wo die Beweisführung besonders an­ spruchsvoll ist. Für eine Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Völkerstrafrecht ist der Nachweis eines sys­ tematisch angeordneten Angriffs auf die Zivilbevölkerung seitens des Staates oder einer staatsähnlichen Organisation zwin­ gend. Der Nachweis der Schuld in einzelnen Fällen ist nicht ausreichend. Es muss einen Plan gegeben haben, und dieser muss nach­ gewiesen werden. Angesichts des weltweit schwindenden Willens zur internationalen Kooperation hat es das Gericht auch ohne eigene Ver­ säumnisse schwer. Derzeit hat das Gericht noch Altlasten abzutragen aus der Ära des ersten Chefanklägers Luis Moreno Ocampo, bis 2012 im Amt, der sich gerne mit klin­ genden Namen wie Gaddafi schmückte und mit Gbagbo den ersten ehemaligen Staat­ schef anklagte. Doch die kriminalistische und juristische Detailarbeit folgte der Tak­ tik: «Erst verhaften, dann ermitteln.» Und immer nur so weit, wie die Verfahrensstufe verlangt. Das rächt sich nun in Serie. Y VONNE KUNZ  ist Gerichtsreporterin

in Zürich. 5


In Frieden Geboren und aufgewachsen in einer Gesellschaft, in der man vor allem fĂźr die Gemeinschaft lebt, ist es fĂźr mich Ăźblich, das GlĂźck und die Trauer der Menschen in meiner Umgebung zu teilen. Besonders wenn jemand stirbt, sind Nachbarn und AngehĂśrige moralisch dazu verpflichtet, die Familie zu un­ terstĂźtzen. Als Trauerzeit gelten die ersten zwĂślf Tage nach dem Tod. In dieser Zeit trauert die Gemeinschaft Tag und Nacht mit den Hinterbliebenen und bietet finanzielle und soziale Hilfe, damit die Familie nicht alleine unter dem Verlust l­ eidet. Nach den zwĂślf Tagen wird im Namen der verstorbenen Person eine Messe in einer nahegelegenen Kirche abgehalten, und alle wĂźnschen der Seele des Toten, in Frieden zu ruhen. Damit ist die Trauerzeit offiziell beendet. FĂźr Christen, die an ein ­Leben nach dem Tod glauben, ist der Wunsch ÂŤRuhe in FriedenÂť das beste Geschenk, das die gestorbene Person ­bekommen kann. Seit ich ein Smartphone mit Internetzugang habe, surfe ich ­Üfter in den Sozialen Medien. Sie vernetzen mich mit meinen ­Geschwistern, Freunden und Bekannten, die weit entfernt von mir leben. Einmal fiel mir auf Facebook ein Ausdruck auf, den ich schon Ăśfter gesehen hatte. Ich fragte meinen Bruder, der gerade bei mir war: ÂŤWas bedeutet Rip?Âť Ich las es als ein Wort. Sein Gesichtsausdruck sagte mir, dass dies eine uner­ wartete Frage war fĂźr eine, die einen Bachelor in Englischer Linguistik hat. Er sagte, dass dies kein Wort sei, sondern die AbkĂźrzung fĂźr ÂŤRest In PeaceÂť, Ruhe in Frieden. ÂŤZeigt man so sein Beileid?Âť, fragte ich enttäuscht weiter. Inzwischen ist RIP zu einem der meistgebrauchten Kom­ mentare meiner eritreischen Facebook-Freunde geworden. ­Manche, die im Ausland leben, posten ein Foto von Fami­ lienangehĂśrigen, die in Eritrea verstorben sind, andere posten ein Foto von sich selbst mit einem Freund, den sie im Mittel­ meer verloren haben, andere verdunkeln ihr Facebook-Profil als Zeichen der Trauer. Ihre Facebook-Kontakte sprechen ­daraufhin ihr Beileid aus, indem sie RIP darunter schreiben oder den traurigen Emoji verwenden. Auf diese Weise lese ich viele schockierende Nachrichten Ăźber Verstorbene, Ange­ hÜ­rige von Menschen, die ich kenne. Mir selbst widerstrebt es, mein Beileid mit diesem Ausdruck Ăźber die Sozialen Medien zu teilen. Warum das so ist, fiel mir lange schwer auszudrĂźcken. Der Grund ist der 3. Oktober – ein trauriges Datum fĂźr viele eritreische Familien. Vor fĂźnf ­Jahren am 3. Oktober sank vor der italienischen Insel Lampe­ dusa ein Boot mit FlĂźchtlingen, die von Libyen nach Italien Ăźbersetzen wollten. Dabei starben mehr als 360 Menschen, die Mehrheit von ihnen aus Eritrea. Wer durch die Facebook-­ Einträge und Fotos zu diesem Datum scrollt, stĂśsst unwei­ger­ lich auf ein Gedicht und die Zeichnung einer 26-jährigen ­eritreischen Frau, die an Bord dieses Bootes war und dort bei der Geburt eines Kindes ihr Leben verlor. So wie alle anderen hatte diese Frau das Risiko auf sich genommen, um ein besseres 6

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R N M S

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  Rest in peace! đ&#x;‡ˇ đ&#x;‡ˇ Gefällt mir ¡ Antworten ¡ 17 Std.   R.I.P. Gefällt mir ¡ Antworten ¡ 23 Std.

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Gefällt mir ¡ Antworten ¡ 2 W   Rip

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Gefällt mir ¡ Antworten ¡ 5 W

Eine Flut trauriger Emojis in den Sozialen Medien ist nicht dasselbe wie zusammenzukommen und gemeinsam zu trauern.

Leben fĂźr sich und ihr Kind zu haben. Leider hat sie doppelt UnglĂźck gehabt: Weder konnte sie ihr erstes Kind u ­ nter wĂźrdi­ gen Umständen bekommen, noch hat sie ein besse­res Leben gefunden. Mich hat das UnglĂźck damals sehr mitgenommen, die Erin­ nerung stimmt mich immer noch traurig. Auch hier finden sich viele RIPs in den Kommentaren. Und das ärgert mich. Nicht nur, weil ich es zu wenig finde, Beileid in drei Buchstaben zu äussern, sondern auch weil dies die Normalität und Akzeptanz symbo­lisiert, mit denen wir TragĂśdien wie diese hinnehmen. Wie lange noch mĂźssen wir einem nach dem anderen wĂźnschen, in Frieden zu ruhen, wie lange noch weinen? Ich sehne mich nach einer Zeit, wo wir nicht nur RIP haben, sondern auch LIP â€“ ÂŤLive In PeaceÂť, Lebe in Frieden.

SEMHAR NEGASH  wßnscht sich ein friedliches Leben fßr die eritreische Gemeinschaft inner- und ausserhalb von Eritrea und vermisst die Trauerrituale in der Gemeinschaft.

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BILD: BODARA

Challenge League


ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING

s­ taatlichen Aufgaben wie der Entwick­ lungshilfe überhaupt nichts zu tun. Das Geld erhält auch nicht die Patientin, ­sondern die Pharmafirma, die das exorbi­ tant teure Medikament verkauft. Der ­Politiker hätte versprechen können, dass er sich künftig gegen zu hohe Medika­ mentenpreise einsetzen wird. Denn ­darauf kann der Staat, oder genauer ge­ sagt das Bundesamt für Gesundheit, ­tatsächlich einen gewissen Einfluss neh­ men. Das hat der Nationalrat aber nicht getan.

All Inclusive

Hunger Games In anderen Ländern gehören Crowd­ funding-Aktionen von schwerkranken Menschen zum Alltag. Betroffene – oder deren Angehörige – müssen für eine teure medizinische Behandlung Spenden sammeln, weil sie keine Krankenver­ sicherung haben. Das Prinzip beim Crowdfunding ist so einfach wie brutal: Wer zu wenig Mitleid erregt, bekommt nicht genügend Geld und stirbt. Die ­jungen sympathischen Eltern, die Fotos ihres herzkranken Babys in den sozia­len Medien teilen, haben gute Chancen. Der ältere alleinstehende Mann mit einer Krebserkrankung, aber ohne Internet­ kenntnisse hingegen hat weniger gute Karten. Da in der Schweiz die Krankenversiche­ rung obligatorisch ist, sind solche ­Crowdfunding-Aktionen hierzulande eher selten. Umso mehr bewegte kürzlich die Spendenaktion für eine junge Frau das ganze Land. Die 31-jährige Dokto­ randin leidet seit ihrer Geburt an einer ­fortschreitenden Muskelerkrankung. Sie kann mittlerweile nur noch den linken Zeigefinger bewegen und das Sprechen fällt ihr schwer. Ein neu entwickeltes Surprise 445/19

­ edikament könnte das Fortschreiten M der Krankheit stoppen und im besten Fall ein wenig der verlorenen Muskelkraft ­zurückbringen. Ohne Behandlung schrei­ tet die Muskellähmung weiter voran, und die Frau stirbt. Da das entsprechende Medikament noch nicht zugelassen ist und zudem 600 000 Franken kostet, lehnte die Versicherung die Kostenüber­ nahme ab. Das Schicksal der jungen Frau berührte viele Menschen. Innert kurzer Zeit war das benötigte Geld zusammen. Nicht zuletzt auch wegen eines Politikers, der 100 000 Franken spendete. Er tat das nicht anonym und liess dazu im Inter­ view mit der Aargauer Zeitung verlauten: «Es kann nicht sein, dass die Schweiz jährlich mehrere Milliarden Franken für Entwicklungshilfe und für die Asylindus­ trie ausgibt und dann Menschen im ­eigenen Land im Stich lässt.» Der betreffende Nationalrat weiss natür­ lich ganz genau, dass eine Krankenkasse keine staatliche Institution, sondern ein nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen geführtes Unternehmen ist. Als solches ist eine Krankenkasse zum einen gewinn­ orientiert und hat zum zweiten mit

Er hat die Gelegenheit stattdessen ge­ nutzt, um eine ganz andere Message zu verbreiten. Der Politiker stellte es so dar, als ob die Hilfe für eine bestimmte Gruppe von Menschen – eine anonyme «Masse» von Ausländern – der direkte Grund dafür sei, dass eine konkrete ­Person – eine Schweizerin – keine Unter­ stützung erhält. Und er impliziert damit, dass man ihr helfen sollte, aber ande­ren Menschen nicht. Man wagt sich kaum vorzustellen, wie die Spendensammlung ausgegangen wäre, wenn die Frau keinen typischen Schweizer Namen tragen würde oder ihre Haut nicht weiss wäre. Oder wenn sie kein persönliches Umfeld gehabt hätte, das sowohl einen profes­ sionellen Webauftritt erstellen als auch die ganze Pressearbeit hatte leisten ­können. Die Partei, welcher der grosszügige ­Spender angehört, hat übrigens in ihrem kürzlich vorgestellten Parteiprogamm skizziert, dass der Professionalisierung im sozialen Bereich energisch entgegenzu­ treten sei. Stattdessen sollten Hilfebe­ dürftige vermehrt auf die Unterstützung der Familie oder von Vereinen, Kirchen und Unternehmen zurückgreifen. Konkret: Hilfe soll nicht mehr ­bekommen, wer sie benötigt, sondern wer – private – Spender am besten davon überzeugen kann, dass er der Hilfe würdig ist. Willkommen bei den Hunger Games.

MARIE BAUMANN  schreibt seit 2009 unter ivinfo.wordpress.com über sozialpolitische Themen.

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Wie man Menschen von der Strasse holt Housing First Erst die Wohnung, dann die Therapie – nach diesem Grundsatz bekämpft man andernorts erfolgreich ­Wohnungslosigkeit. Soll die Schweiz darauf einsteigen? TEXT  SARA WINTER SAYILIR FOTOS  LUCIA LUCA HUNZIKER

Über ein halbes Jahr lebte die Zürcherin Sandra Brühlmann auf der Strasse. «Hätte man mich damals, als ich aus meiner Wohnung geflogen war, vor die Wahl gestellt: eine neue Wohnung oder betreutes Wohnen in einer Einrichtung – ich hätte mich wahrscheinlich für die Wohnung entschieden», erzählt sie. «Aber das wäre nicht gut gewesen, wegen der Psychose.» Allein wohnend war sie verwahrlost, am Ende fand die Polizei sie zwischen Müllsäcken, kaum noch fähig, sich zu bewegen. Die heute 36-Jährige hatte eine schwere Geschichte hinter sich: Gewalt in der Familie, eine schlecht behandelte psychische Erkrankung, gewalttätige Partner, eine Vergewaltigung, Alkohol, die Psychose. Sie brauchte Hilfe. Die zugeteilte Beiständin konnte nicht verhindern, dass Brühlmann die Wohnung verlor und auch noch die Kosten für die Sanierung tragen musste. Bald stand sie vor einem Schuldenberg im fünfstelligen Bereich. Eine vorübergehende Unterbringung in einem Hotel scheiterte an Brühlmanns Zustand – sie landete auf der Strasse. Sich in einer betreuten Wohneinrichtung um ein Zimmer zu bewerben, kam für sie jedoch lange nicht infrage. Schliesslich landete sie doch im Suneboge des Sozialwerks Pfarrer Sieber. «Ich hatte anfangs Angst vorm Suneboge, weil es dort so männerlastig ist und die mich immer so angeschaut haben. Ich dachte auch: Was sind das für Leute, ich gehöre doch gar nicht dorthin.» Als es kälter wurde, fragte sie schliesslich doch nach einem Zimmer. Der Übergang vom harten, aber selbstbestimmten Leben auf der Strasse ins betreute Wohnen mit festen Regeln fiel ihr nicht leicht. «Ich hatte lange Probleme, weil ich das Zimmer nicht geputzt habe, und dann habe ich mein Geld nicht bekommen. Das waren die Auflagen. Manche mussten auch duschen, bevor sie ihr Geld bekamen.» Surprise 445/19

Keine Gewalt, keine Drogen, keine Drohungen – verstösst einer der 36 Bewohner des Suneboge gegen die Hausregeln, wird sanktioniert. So funktioniert das sogenannte Stufensystem, mit dem die meisten Schweizer Einrichtungen arbeiten und das «Menschen in komplexen Lebenslagen» – wie die Bewohnerinnen und Bewohner in der Behördensprache auch genannt werden – über verschiedene Schritte wieder an das selbständige Leben in einer eigenen Wohnung heranführen soll. Erst anständiges Verhalten lernen, geordnetes Leben – dann gibt’s den Rahmen dazu, die Wohnung. «Bei der zweiten Verwarnung zum selben Thema fliegt man für drei Tage raus», erklärt Brühlmann und ergänzt: «Irgendwie widersinnig, dass sie einen als Strafe auf die Strasse schicken, von dort kommt man ja.» Sich nichts sagen lassen Brühlmann erinnert sich, wie oft sie sich entmündigt gefühlt habe in der ersten Zeit, die sie im Suneboge verbrachte. «Anfangs wollte ich gar nichts einsehen. Da bin ich auch oft ausgerastet.» Selbstbestimmung ist ein wichtiges Thema in der Betreuung von hilfsbedürftigen Erwachsenen. «Vor allem die älteren Leute im Suneboge haben Mühe, sich etwas sagen zu lassen von den jungen Betreuern», erinnert sich Brühlmann. Das Personal habe «die Theorie nur aus den Büchern und gar keine Lebenserfahrung», so das Empfinden. Und nicht nur zwischen Bewohnern und Betreuern ist das Zusammenleben schwierig: all die Schicksale und ihre mitgebrachten Abhängigkeiten um sich zu haben, ist keine i­ deale Ausgangslage für den Neustart. Im Suneboge beispielsweise sind Drogen ein grosses Thema, wie die damals schwer alko­ holabhängige Sandra Brühlmann erzählt: «Ich hätte alles Mögliche haben können.» Dementsprechend stolz ist sie heute, dass sie gelernt hat, Nein zu sagen. «Zu sehen, 9


Wer Sandra Brühlmann heute trifft, kann sich kaum vorstellen, dass die 36-Jährige einmal in ihrer Wohnung verwahrloste.

Zweiter Wohnungsmarkt

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INFOGRAFIK: BODARA ; QUELLE: DR. VOLKER BUSCH-GEERTSEMA, VORTRAG «HOUSING FIRST – EIN VIELVERSPRECHENDER ANSATZ ZUR ÜBERWINDUNG VON WOHNUNGSLOSIGKEIT», HAMBURG, 2012

Nach einem Unfall arbeitsunfähig geworden, lebte Rolf Mauti lieber vier Jahre auf der Strasse, als vom Sozialamt abhängig zu sein.

Erster Wohnungsmarkt

irst F g sin

Trainingswohnung, betreute Wohngemeinschaft Kleinwohnung in Einrichtungsnähe, Gemeinschaftsbereiche, Aufenthaltsdauer befristet

Normale Wohnung mit Mietvertrag Volle Mietsicherheit, begleitende flexible persönliche Hilfe Normale Wohnung mit speziellem (Nutzungs-)Vertrag Befristeter Aufenthalt, keine Mietsicherheit

Eingangsstufe Gemeinschaftsunterkunft, Einrichtung Obdachlosigkeit Notschlafstelle, Strasse

Stufensystem

Können sich auch ergänzen: Housing First und das Stufenmodell. 10

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wie kaputt viele Leute dort sind, hat mir gezeigt: So will ich nicht enden.» Weiter nach «oben» kommt im Stufensystem, wer der Sucht abschwört. Und Brühlmann ist stark: Sie hat selbständig aufgehört zu trinken und nach einem Weg gesucht, ihre Psychose in den Griff zu kriegen. Eine Therapie kam für sie nicht infrage, zu schlecht waren die Erfahrungen, die sie als Kind und Jugendliche mit Psychiatern gemacht hat. Auch ein Klinikaufenthalt, zu dem sie nach Empfehlung des Suneboge-Personals einwilligt, geriet zum Horror-Erlebnis. Lieber probierte Brühlmann selbständig Medikamente von Freunden aus. Bis sie etwas fand, das ihr half, und eine Psychiaterin davon überzeugte, ihr ein Rezept auszustellen. Bald ging es aufwärts und man bot ihr an, in eine betreute Wohngemeinschaft zu wechseln. Kleine Schritte in die Selbständigkeit: selbst kochen, selbst waschen. Inzwischen lebt Sandra Brühlmann wieder allein in einer kleinen Wohnung. Einmal die Woche kommt die Psychiatrie-Spitex für anderthalb Stunden vorbei. «Ich bin froh, dass ich diese Chance bekommen habe. Ich denke, ich mache das auch gut – und der Mann von der Spitex sagt das auch», erzählt sie stolz. Einfach aber sei das Alleinleben nicht. «In der WG kam hin und wieder ein Betreuer vorbei oder ich bin mit jemandem spazieren gegangen. Ich hatte einfach mehr Aufgaben. Ich liebe diese Wohnung, aber auf eine Art ist es auch schwierig. Ich muss etwas finden, damit da keine Leere entsteht.» Fokus Selbstbestimmung Dass Sandra Brühlmann es so weit geschafft hat, zeigt, wie gut sie sich im Griff hat. Andere stürzen wieder ab, noch bevor sie eine eigene Wohnung beziehen können, oder sie bleiben dauerhaft auf irgendeiner der vielen Stufen des Systems stecken. Auch das ständige Umziehen von einer Wohnform in die andere führt dazu, dass die Betroffenen nirgendwo ankommen. Und jene, denen jede Form der Bevormundung ein Graus ist, wählen von vornherein lieber die Strasse. Zum Stufenmodell, das in der Schweiz Standard ist, gibt es eine Alternative: Beim Ansatz des Housing First bekommen Langzeitwohnungslose statt eines Platzes im Wohnheim mit vielen Auflagen einfach eine eigene Wohnung – ganz ohne Bedingungen, wie Therapiebereitschaft oder Abstinenz. Entwickelt in den 1990er-Jahren Surprise 445/19

in den USA, wird diese Strategie zur Beendigung von Langzeitwohnungslosigkeit mittlerweile neben Nordamerika auch in grossen Teilen Europas praktiziert. Die ­Regierungen von Dänemark, Finnland, Frankreich und Spanien integrierten Housing First bereits fest in ihre Strategie zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit. Auf europäischer Ebene empfahl die europäische Konsensus-­ Konferenz zu Wohnungs­ losigkeit schon in ihrem ­Bericht 2010, den Fokus auf Housing First zu legen – eine Haltung, die auch die Europäische Kommission unterstützt. Seitdem ent­ SANDR A BRÜHLMANN stehen und laufen weitere ­Projekte in Belgien, den Niederlanden, Schweden, Norwegen, Italien, Portugal, ­Österreich, Irland, Deutschland und Grossbritannien. Housing First kann als Gegenteil des Stufenmodells bezeichnet werden. Die beiden Modelle unterscheiden sich nicht nur im Prozess, der abläuft – sondern im Menschenbild, das dahintersteht. Hier die Belohnung für kleine Schritte in eine vorgegebene Richtung, dort ein bedingungsloser Vertrauensvorschuss. «Ein solches Angebot hätte ich mit Hand­kuss angenommen», sagt Rolf Mauti, der die Idee aus Deutschland kennt, wo einzelne Projekte von gemeinnützigen Organisationen wie Fiftyfifty in Düsseldorf ­damit arbeiten. Der 66-jährige Mauti hat vier Jahre seines Lebens auf der Strasse verbracht. Sich sagen lassen, was er zu tun habe, das wollte er nie. Nach einem Unfall hatte der Basler seine Arbeit verloren, und noch bevor die Abklärungen für seine spätere kleine Suva-Rente durch waren, stand er bereits auf der Strasse. «Ich hab mich damals noch selbständig gemacht, dachte, dadurch könnte ich mir wenigstens die Wohnung erhalten – aber das ging alles in die Hose.» Zum Sozialamt wollte er nicht, wollte die Rente nicht riskieren und scheute die Abhängigkeit und das Stigma der Behörde. Als Surprise-Stadtführer verdiente er schliesslich so viel Geld dazu, dass er sich ein Zimmer in der Basler Wohneinrichtung Elim nehmen konnte. Er betont, dass er dort in keinem Programm war. Auch, dass er nie süchtig war, weder Alkohol noch Drogen, und auch kein psychisches Leiden mit sich herumträgt. «Auf der Strasse kannst

«Zu sehen, wie kaputt viele Leute dort sind, hat mir gezeigt: So will ich nicht enden.»

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du Menschen wie mich an einer Hand abzählen.» Deshalb sieht er sich auch nicht als rückfallgefährdet: «Für mich war der Einzug ins Elim ein Schritt zurück ins normale Leben. Endlich wieder Privatsphäre.» Housing First hätte Rolf Mauti – der heute mit seiner Freundin in einem kleinen Häuschen in Griechenland lebt und seit seiner Zeit im Elim nicht mehr obdachlos war – die Jahre auf der Strasse ersparen können. Eine systematische Eva­ luation des europäischen Dachverbandes der Organisationen, die mit Wohnungslosen arbeiten (FEANTSA), von 2012 bescheinigt Hou­ sing First hohe Erfolgsquoten: Nach einem Jahr waren in Housing-­First-Projekten in Amsterdam, ­Kopenhagen, Glasgow und Lissabon zwischen 80 bis über 90 Prozent der Teilnehmenden noch in ihren Wohnungen. Auch frühere Studien aus den USA zeigen eine hohe Wohnstabilität auf. Das Neunerhaus in Wien, entstanden 2012, kann laut Zahlen von 2017 gar eine Wohnstabilität von 96,6 Prozent nachweisen. Ein Allheilmittel sei Housing First natürlich nicht, sagt Juha Kaakinen, Leiter der finnischen Nichtregierungsorganisation Y-Foundation, der Vordenker-Organisation von Housing First im Norden. Vor allem bei mehrfach belasteten Personen sei ein gutes Begleitprogramm entscheidend, wo sie Hilfe bekämen, wenn sie welche in Anspruch nehmen wollten. Schon bevor die finnische Regierung 2008 ein nationales Housing-First-Programm startete, stellte die Y-Foundation Obdachlosen Wohnungen zur Verfügung. Mittlerweile ist sie der viertgrösste Vermieter Finnlands und der wichtigste Träger von Housing First. Die Ressourcen, die Wohnungslose in den Überlebenskampf auf der Strasse stecken, auf andere Bereiche ihres Lebens umzulenken, zahle sich aus, so Kaakinen in einem Interview mit Zeit Online. «Im Vergleich kommt es den Staat nun billiger als früher, wir sparen etwa 15 000 Euro pro früherem Obdachlosen im Jahr. Es gibt viel weniger Notfälle, die versorgt und zu einem Arzt gebracht werden müssen, zum Beispiel bei Alkoholmissbrauch. Auch die Zahl der Polizeieinsätze und die Kosten im Justizsystem, die Obdachlose verursacht haben, sind gesunken.»

«Für mich war der Einzug ins Haus Elim ein Schritt zurück ins normale Leben. Endlich wieder Privatsphäre.» ROLF MAUTI

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Damit es funktioniert, erfordert Housing First Mut zur Investition durch den Staat. «Insgesamt hat es Finnland bis jetzt etwa 270 Millionen Euro gekostet – inklusive der Häuser, Renovierungen und der Löhne für die Sozialarbeiter», rechnet Kaakinen vor. Wohnraum musste akquiriert, Häuser gebaut, Begleitangebote entwickelt werden. Am Ende aber lohnt es sich: Finnland ist das einzige europäische Land, in dem die Zahl der Wohnungslosen tatsächlich sinkt. In der Schweiz gibt es bisher kein Projekt, das Housing First anbietet. Das ändert sich gerade, nicht zuletzt wegen der Umsetzung der Basler Initiative «Recht auf Wohnen», die im Juni 2018 angenommen wurde. Jede in Basel-Stadt gemeldete Person hat laut Initiativtext das Recht auf einen ihrem Bedarf entsprechenden Wohnraum, dessen Miete und Kosten ihre Leistungsfähigkeit nicht übersteigt. Jetzt denkt man auf offizieller Seite über Housing First nach, wie Jacqueline Lätsch bestätigt, die stellvertretende Leiterin der Sozialhilfe Basel-Stadt. Da sich die einzelnen Konzepte der Housing-First-Projekte in den verschiedenen europäischen Ländern jedoch sehr voneinander unterscheiden, könne nicht einfach kopiert werden. «Es muss zur Situation hier passen», so Lätsch. Spruchreif sei da noch nichts. Wohnen als Menschenrecht An der Basis ist man vor allem daran interessiert, dass ein Politikwandel in die­sem Bereich nicht allein aus einer Kosten-­ Nutzen-Rechnung erwächst. «Das ist auch eine Haltungsfrage. Am Stufensystem missfällt uns, dass sich Betroffene das selbständige Wohnen durch gutes Benehmen erst verdienen müssen», sagt Michel Steiner vom Gassenarbeitsverein Schwarzer Peter in Basel. Er und seine Kolleginnen hatten die Wohnraum-Initiative mitgetragen und beharren auf der Umsetzung des Rechts auf Wohnen, das als Menschenrecht der zweiten Generation in einem internationalen Vertrag verbrieft ist, den auch die Schweiz unterschrieben hat. Wohnen solle keine Belohnung für Abstinenz und Einwilligung in psychiatrische Behandlung, keine Erziehungsmassnahme sein. Ähnlich sieht man es auch beim Sozial­ werk Pfarrer Sieber (SWS) in Zürich: Natürlich sei man aufgeschlossen gegenüber Housing First. «So neu ist der Ansatz ja nicht, aber er hat einfach lang geschlummert. Es wäre toll, wenn das nun auch in Surprise 445/19


die Schweiz käme», so der Gesamtleiter des SWS, Christoph Zingg. Bei der Stadt Zürich, die ja auch selbst niederschwellige Einrichtungen betreibe, und den anderen grösseren Gemeinden sieht Zingg da auch Dialogbereitschaft, man arbeite sehr gut zusammen. Schwierig sei es hingegen eher mit den Geldgebern beim Kanton, der keine eigenen Einrichtungen habe, da die Gesetzgebung und damit die Kostengutsprachen den Bedürfnissen der Praxis hinterherhinkten. Sandra Brühlmann steht nun noch der Langzeittest im Alleinwohnen bevor. Die erste grosse Herausforderung zeichnet sich bereits am Horizont ab. Das Haus, in dem sie lebt, ist sanierungsbedürftig. Momentan sieht es so aus, als müsste Brühlmann sich in anderthalb Jahren eine neue Bleibe suchen. Ob sie dabei noch einmal so viel Glück hat wie mit ihrer jetzigen Vermieterin, die mit einem grossen Herz und fast nach Housing-First-Manier keinerlei Qualifikationen abgefragt hatte, steht in den Sternen.

Fachtagung zu Housing First Gemeinsam mit Pro Mente Sana und der Schweizerischen Gesellschaft für Sozial­ psychiatrie organisiert der Basler Verein für Gassenarbeit Schwarzer Peter im April eine Fachtagung: Mit Vorträgen zu sieben Jahre Housing First in Wien sowie dem Zusammenhang von psychischer Gesundheit und Wohnungslosigkeit, Workshops zu Housing First, Home Treatment und der ersten Studie zu Wohnungs- und Obdach­ losigkeit in der Region Basel sowie einem Abschlusspodium mit Walter Gekle (Schweiz. Gesellschaft für Sozialpsychiatrie), Heiko Schmitz (Soziale Stadtrundgänge Surprise), Michel Steiner (Schwarzer Peter), Elfie Walter (Frauenoase) und Claudia Halbartschlager (Neunerhaus Wien), Moderation: Martina Rutschmann. Tagung für Betroffene und Fachpersonen 11. April, ab 9 Uhr, Hotel Bildungszentrum 21, Missionstrasse 21, Basel. Weil er weder süchtig war noch psychisch instabil, empfand Rolf Mauti sich auf der Gasse eher als Ausnahmeerscheinung.

Teilnahmegebühr 250 CHF, AHV/IV/arbeitslos 50 CHF, Sozialhilfe­ bezüger und Wohnungslose gratis. Anmeldung bis 22. März: Schwarzer Peter, Verein für Gassenarbeit, Elsässerstrasse 22, 4056 Basel, team@schwarzerpeter.ch. WIN

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Trocken ist Michel Dewulf nicht. Seit er aber in einer eigenen Wohnung lebt, trinkt er deutlich weniger.

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FOTO: ÉRIC VAZZOLER

Zwei, die auszogen, das Wohnen zu lernen Housing First Der Deutsche Harry Neumann und der Belgier Michel Dewulf waren beide obdachlos und wollen zurück in ein geordnetes Leben. Die Voraussetzungen könnten unterschiedlicher nicht sein. TEXT  FRANZISKA JÄGER

Brüssel BELGIEN

DEUTSCHLAND

Esslingen

Den Rucksack geschultert, die grauen Haare nach hinten gegelt und eine Sonnenbrille auf der aufgedunsenen Nase, verlässt Harry Neumann, 51 Jahre, um zehn Uhr morgens sein Berberdorf. Die Siedlung aus Blockhütten und ­Containern liegt am Stadtrand von Esslingen in Baden-­ Württemberg. «Nicht in die Gegend pissen oder scheis­ sen», steht auf einem Schild am Ausgang. Harry humpelt Richtung Supermarkt, manchmal schlägt sein Bein zur Seite aus oder der Oberkörper zuckt. «Die Nerven», sagt Harry. «Vom Saufen.» Trotz der Schwierigkeiten beim Gehen kauft er jeden Tag ein: «Wenn ich nur mit den ande­ ren Wohnungslosen rumhänge, werde ich bekloppt.» Vor dem Aufzug eines Appartement-Blocks in ­Brüssel, Belgien. Eine Frau mit Dauerwelle schiebt ihren karierten Einkaufstrolley in den Fahrstuhl und drückt den Knopf fürs Erdgeschoss, als ein hagerer Mann mit Flipflops und einer Bierdose in der Hand zu ihr in den Aufzug springt. «Bonjour Michel, spielen Sie heute gar nicht Boule mit den anderen?», fragt sie und lässt ihre Dauerwelle in Richtung des kleinen Sandplatzes vor dem Hochhaus wippen. «Puh, non, impossible» – unmöglich – erwidert Michel Dewulf, 47 Jahre, und wedelt sich Luft zu. «Ich habe gehört, dass wir seit 1905 nicht mehr so eine Hitze hatten.» Surprise 445/19

Zwei lange, spitze Zähne sind von seiner unteren Zahnreihe übriggeblieben, von der oberen nur Zahnstümpfe. Seine Arme sind gezeichnet von tiefen, wulstigen Narben. Im Erdgeschoss angekommen, öffnet er das Türchen seines Briefkastens: «Nichts», sagt Michel und lächelt zufrieden. Keine Mahngebühren, keine Aufforderung, die Wohnung wieder zu verlassen. Es ist die erste Wohnung in seinem Leben. Michel drückt die 4 und fährt zurück nach oben. Vertrauensvorschuss für Michel Harry und Michel – zwei Obdachlose in der Warteschleife für ein geordnetes Leben. In Deutschland gilt für Harry: Zuerst den Alkohol besiegen, dann eine richtige Wohnung bekommen. In Belgien gilt für Michel: Zuerst die Wohnung beziehen, dann die Sucht besiegen. «Stufenmodell» heisst der in Deutschland vorherrschende Weg und gilt für über eine Million Menschen ohne festen Wohnsitz. Sie müssen in einem komplexen System aus Notunterkünften und Übergangsheimen ihre Eignung und Zuverlässigkeit beweisen. «Housing first» heisst der belgische Weg. Er stattet Obdachlose mit einem grossen Vertrauensvorschuss aus. Welcher Weg funktioniert besser? 15


FOTOS(1 – 3): FRANZISKA JÄGER, FOTO(4): CAROLIN ALBERS

Um 11 Uhr morgens ist es noch ruhig in Harry Neumanns Berberdorf. Es gehört mit seinen 25 Bewohnern zu einem «Aufnahmehaus mit sozialer Betreuung». Zwölf Holzhütten mit Heizung und Strom. Toiletten, Duschen und Waschmaschinen sind in Containern untergebracht. Ein Übergangsheim auf dem Weg in die Sesshaftigkeit, aufgehübscht von seinen Bewohnern mit Beeten und Gartenzwergen, Lampions, Holztischen und Bänken. Die meisten schlafen noch, nur Harry ist von seinem Einkauf zurück und dreht sich eine Zigarette am Holztisch vor seiner Hütte. Ein Bootsruder hängt über der Tür, darunter ein aufgeblasener Ball, bedruckt mit einer Weltkarte. Harrys Garten: rissige Erde, aus der nichts wächst. Harry kommt aus Nordfriesland, unweit der dänischen Grenze. Das hört man, wenn er «dat» sagt oder das «nee» ganz lang zieht. Als er sich mit 24 Jahren von seiner Frau trennte, wollte er nur noch weg, sagt er. Er zog auf die Strasse, das Freiheitsgefühl lockte. Harry betont, dass er noch ein richtiger Landstreicher war. Einer, der mit Rucksack von einem Ort zum nächsten wanderte, unter Brücken und freiem Himmel übernachtete. Harry kam bis nach Dänemark, Norwegen, Frankreich und Italien. «Die meisten Obdachlosen heutzutage sind doch nur Stadtratten», sagt Harry. «Ich hatte das grösste Schlafzimmer und Bad, das man sich vorstellen kann.» HARRY NEUMANN Eigentlich wollte er sein Landstreicherleben nur ein Jahr durch­ziehen. Aber dann sei er auf den Geschmack gekommen. «So bin ich OFW geworden», sagt Harry. Ohne festen Wohnsitz. 20 Jahre «auf der Platte» liegen hinter ihm. Eigentlich sollen die Leute spätestens nach drei Monaten wieder raus aus dem Berberdorf und rein in eine Existenz mit Wohnung, Job und sozialen Kontakten. So sieht es das Konzept vor. Harry steckt nach sieben Jahren noch immer im Provisorium fest. Es misst 16 Quadratmeter, vorne am Eingang ein Kühlschrank und eine kleine Kochstelle, hinten ein Doppelbett mit Ventilator und Fernseher davor, an der Wand hängen zwei Hüte, fünf Basecaps, vier Sonnenbrillen, ein Schränkchen mit Medizin, auf einem Regal DVDs, Taschenlampen, Fotos von Harrys Neffen und Eltern. So lange wie er hat niemand im Berberdorf gelebt. Er ist gleichzeitig Vergangenheit und Zukunft seiner Nachbarn. Als Harry auf der Strasse lebte, sei Alkohol kein grosses Problem gewesen. Vor allem Bier habe er getrunken. «Der Absturz kam erst hier», sagt Harry. Hier, im Berberdorf, weg von der Strasse, aber auch noch weit davon entfernt, ein normales Leben in den eigenen vier Wänden zu führen. «Ich weiss gar nicht genau, warum ich das Saufen angefangen habe.» Harry überlegt. «Alle hier saufen.» Eigentlich sind harter Alkohol und Drogen im Berberdorf verboten. Aber das können Betreuer, die um 10 Uhr

«Ich weiss gar nicht genau, warum ich das Saufen angefangen habe. Alle hier saufen.»

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kommen und um 16 Uhr wieder gehen, nicht kontrollieren. Eine Wohnung unter diesen Umständen zu finden, ist nicht leicht. Überall, in jedem Supermarkt, in jeder Bank, an jedem Pfahl, hat Harry Steckbriefe verteilt, mit einem Foto drauf: Harry mit Lederhut und seinem schwarzen Hund Gero. Angerufen habe kaum jemand. Wenn, dann waren die Wohnungen zu teuer. Einmal hätte er eine Dachgeschosswohnung haben können. «Wie hätte ich denn da hochkommen sollen mit meinen Gehproblemen?» Vier Entgiftungen hat Harry in sieben Jahren Berberdorf hinter sich. «Gehen werden Sie nie mehr können», hatte der Arzt gesagt. Und ein anderer: «Das nächste Weihnachten werden Sie nicht mehr erleben.» Zwei Jahre ist das her. Suchtvergangenheit schreckt Vermieter ab Er hat es tatsächlich geschafft, Harry ist trocken – und findet dennoch keine Wohnung. «Wenn ich irgendwo anrufe und gefragt werde, wo ich aktuell wohne, heisst es immer, nee, die Wohnung ist schon vergeben. Oder, ich hatte schon mal jemanden aus dem Berberdorf, der hat mir die ganze Wohnung verhunzt.» Harry sagt dann, nein, ich bin sauber, meine Hütte ist immer aufgeräumt, Sie Surprise 445/19


Endlich trocken und trotzdem immer noch im Berberdorf: Harry Neumann und seine Hütte.

können kommen und gucken, jederzeit. Gekommen ist nie jemand. Vor ein paar Monaten hat sich Harry im Internet auf einer Immobilienseite registriert. Er holt sein Handy aus der Brusttasche und fährt mit den Fingern über das Display. Harry hat das Nötigste eingetragen: Wohnung bis zu zwei Zimmern, Kaltmiete maximal 425 Euro, Nebenkosten 150 Euro, plus minus fünf Kilometer. «Keine aktuellen Angebote», liest Harry vor und steckt das Handy zurück. Die Zahl an Sozialwohnungen in Deutschland ist massiv zurückgegangen. 2017 gab es nur noch 1,2 Millionen Wohnungen mit Mietpreisbindung. Eine Wohnung zu Marktpreisen kann sich Harry nicht leisten. Auch in Deutschland steigen die Mieten kontinuierlich, seit 2013 um durchschnittlich drei Prozent pro Jahr. «Wir bekommen immer mehr Menschen aus der Mittelschicht, solche, die gar nicht lange obdachlos waren und die ein grösseres Bündel an Problemen mitbringen, wie Sucht und Überschuldung», sagt Anja Wessels, die Leiterin des Berberdorfes. Eigentlich sollte sie Harry helfen, eine Wohnung zu finden. «Eine Suchtvergangenheit schreckt Vermieter ab.» Sie geht raus vor ihren Container und zündet sich eine Zigarette an. «Ich halte nicht viel vom Stufensystem», Surprise 445/19

schimpft sie und schildert den Ablauf: Erst landeten ­Obdachlose in der Notunterkunft, dann geht’s ins Aufnahmehaus, dann komme vielleicht irgendwann die Übergangswohnung oder das Wohnheim, dann die Trai­ ningswohnung. Der Wohnungslose soll langsam an das normale Wohnen herangeführt werden, «mitwirken», wie es im Amtsdeutsch heisst, indem er eine Therapie macht, um von der Alkohol- oder Drogensucht wegzukommen. «Viele schaffen das nicht», sagt Wessels. «Sie erleben in dem Prozess Stress und Frust, weil so wenig vorangeht, und verfallen dann erst recht der Sucht. Ich würde mir in Deutschland ein Housing-First-Konzept wie in Finnland oder Belgien wünschen.» Brüssel im August, das Thermometer zeigt 31 Grad Celsius. Michel Dewulf schaut fragend auf das Gerät vor seiner Wohnungstür, das ihm jemand hingestellt hat. Ein schmaler Korpus mit einem Stecker dran und ein paar «Plus»- und «Minus»-Knöpfen. «Eine Klimaanlage», vermutet Michel, trägt das Ding in seine Wohnung und will es wegräumen, was nicht einfach ist, weil alles zugestellt ist: Tüten und Kisten unter dem Tisch, Klappstühle an der Wand, ein riesiger Eisbär aus Plüsch bewacht den schmalen Flur. «Ich bin noch nicht so gut im Aufräumen», sagt 17


Noch nicht gut im Aufräumen, dafür kreativ an der Staffelei: Michel Dewulf schätzt das Leben in einer eigenen Wohnung.

Michel. «Das muss ich noch lernen.» 30 Quadratmeter, ein grosses Bett unter dem Fenster, daneben eine durchgesessene speckige Couch, gegenüber ein Kleiderschrank, aus dem kaputte Schubladen hängen, eine Küchenzeile, die lange nicht mehr geputzt wurde, und ein Bad, das gerade verstopft ist, weshalb Michel zum Pinkeln bei den Nachbarn klingeln muss. «Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt», sagt Michel. «Ich werde alles tun, um diese Wohnung behalten zu können.» In Michels Kleiderschrank hängt nur eine rote Steppjacke. Elf Jahre trug Michel sie auf Brüssels Strassen, sie ist die einzige Erinnerung an damals. Und die kleine Plastikdose, die Michel aus der Innentasche hervorholt. «Das war meine Klimperdose.» Fünf bis zehn Bier und ein paar Kekse Wenn Michel von seiner Vergangenheit erzählt, verformt sich sein zappeliger Körper zu einem buckeligen Rücken, der über den verglasten Couchtisch gebeugt ist. Bier neben einem Tabakbeutel. Früher trank Michel bis zu 40 Dosen am Tag. Starkbier, Alkoholgehalt bis zu 14 Prozent. Heute sind es fünf bis zehn Dosen vom leichten Jupiler-­Pils. Zwischen den Aschekrümeln liegt eine Packung Kekse. Wenn 18

Michel isst, dann höchstens in Form einer kleinen Portion Zucker. Mehr als 20 Kilo hat er seit Anfang des Jahres verloren. Obwohl er es immer wieder versucht, will keine Mahlzeit im Magen bleiben. An seinem 18. Geburtstag steht die Mutter mit gepacktem Koffer in der Tür. Doch nicht etwa sie will die Familie verlassen, ihr Sohn soll gehen. «Ich war ein ungewolltes Kind», sagt Michel lapidar. Die Brüssler Börse wurde Michels neues Zuhause, dort, wo die meisten Touristen herumlaufen: Fotos machen auf dem Grossen Markt, feinste belgische Schokolade kaufen, frische Waffeln mit Maronencreme. Dazwischen Michel im Kampf um Essen und Alkohol, der in bewaffneten Raubüberfällen und zwei versuchten Morden endet. 2015 kommt Michel mit zwei Plastiktüten aus dem Gefängnis. Elf Jahre draussen und 15 Jahre drinnen liegen hinter ihm. «Viel Glück», hatte ihm der Pförtner mit einem Händedruck gewünscht. Michel geht zum nächsten Super­ arkt und kauft sich eine Flasche Whiskey. Wenige Monate später wacht er im Krankenhaus auf. Er hatte am Strassenrand gelegen, blutüberströmt, das lange Messer noch in der Hand. Die Arme aufgeschlitzt. Der Bauch auch. Als Michel wieder zu Kräften kommt, Surprise 445/19


FOTOS: ÉRIC VAZZOLER

Der Fussboden ist mit Farbklecksen übersät. Michel hat angefangen zu malen, unter der roten Jacke im Schrank stehen ein Dutzend Leinwände. Michel holt ein Bild hervor, ein Farbenmeer aus violetten, blauen und grünen, dicken Pinselstrichen, darüber hat er Glitzer gestreut. «Das ist ein Hund, erkennt man, oder?» Michel dreht das Bild um. «Nun kann man einen Menschen erkennen, hier die Nase.» Immer wieder holt er neue Bilder aus seinem Schrank. Neulich habe ihm jemand 200 Euro für ein Bild gezahlt. «Ja», sagt er, «ich habe wieder Lust zu leben.» Die ersten Tropfen sind für die Verstorbenen Auf dem Weg zur Metrostation läuft Michel an einem jungen Mann vorbei, der auf einem Schlafsack vor einem Elektroladen kauert. «Salut, Christophe, alles klar, hast du Hunger?» – «Ich will ein Bier», ist die Antwort. «Ah, nein, damit kann ich nicht dienen, mein Freund.» Michel geht weiter: «Ruh dich aus, such dir ein Plätzchen im Schatten.» Im Brüssler Stadtkern thront König Leopold II. vor dem königlichen Palast auf einem Sockel, ein paar Meter weiter steht Michel vor dem «Baum zum Gedenken an die Toten auf der Strasse» und liest die Namen auf den Papierschnipseln, die am Baumstamm angebracht sind. «Letzte Nacht ist Brigitte gestorben», ruft ein Mann Michel zu. «Die Blonde?», fragt Michel. «Ja, die hing hier immer rum.» «Warum ist sie denn gestorben?» «Was glaubst du denn?» «Ah, ja, die Drogen.» «Die wollen einen zweiten Baum in der Stadt aufstellen», sagt der Mann. Michel lässt seine Bierbüchse aufploppen und schüttet ein paar Tropfen an den Baum. «Die ersten Tropfen sind immer für die, die auf der Strasse gestorben sind», sagt Michel. Ein paar Tage später trifft er eine Entscheidung: «Ich hör auf mit dem Trinken. Ich will meine Medikamente nehmen.» Die Schlafmittel und Antidepressiva liegen unangebrochen in Michels Badezimmer. «Und eigentlich müsste ich auch zum Arzt. Ich muss essen.» Im Berberdorf in Esslingen sitzt Harry mit einem Nachbarn vor seiner Hütte. Stumm trinkt der andere seine Dose Bier. Harry legt Tabak aufs Blättchen, hält die Zunge dran, rollt das Papier zu einer Zigarette. Kein Filter. «Bis heute Morgen um sieben hatte ich keine Ruhe, ständig klopfte einer und wollte Bier», sagt der Nachbar und wischt sich über die trockenen Augen. «Wenigstens musste ich nicht wieder die Bullen rufen», kontert Harry. Bis zu viermal im Monat meldet sich Harry bei der Polizei, weil jemand ausgetickt ist. Seine Nummer kennen sie schon. «Herr Neumann, was ist jetzt schon wieder los im Berberdorf?»

«Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Ich werde alles tun, um diese Wohnung behalten zu können.» MICHEL DEWULF

packt er den Arzt am Arm und sieht ihn vorwurfsvoll an: «Warum haben Sie mich nicht sterben lassen?» Eines Tages steht eine Sozialarbeiterin an seinem Spital­bett. Sie kennen sich schon lange. War Michel nicht an seinem Stammplatz an der Börse anzutreffen, erkundigte sie sich bei anderen Obdachlosen nach ihm. Zwischen Atmungsgeräten und weissen Kitteln sehen sie sich nun wieder. Sie gibt ihm, Michel, einem Ex-Knasti, Säufer und Obdachlosen, der sich eben noch gewünscht hatte, tot zu sein, einen Schlüssel zu seiner ersten Wohnung. Das war vor neun Monaten. «Als ich die Tür aufgeschlossen habe, habe ich geweint.» Hier kann er schlafen ohne Angst zu haben, dass ihm jemand etwas klaut. Hier kann er sich waschen, ohne dafür anstehen zu müssen. Hier kann er sich Essen zubereiten, das er oft mit Gästen teilt. Und er ist in seinem Wohnblock umgeben von Durchschnittsbürgern, für die ein geregeltes Leben normal ist, von Angestellten, von Rentnern. Eine soziale Immobilienagentur hat ihm die Wohnung beschafft. Er bezahlt 30 Prozent weniger als auf dem normalen Wohnungsmarkt, 500 Euro, die er durch seine Invalidenrente abdeckt. Ausserdem bekommt er vom Staat jede Woche 80 Euro zum Leben. Surprise 445/19

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FOTO: CÉCILE B. EVANS

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Falsche Hoffnung, neue Hoffnung Ausstellung Feministinnen proklamierten in den 1990er-Jahren das Internet

als Raum für Ermächtigung. Das Versprechen wurde nicht eingelöst. Im Migros Museum für Gegenwartskunst entwerfen Künstlerinnen neue Visionen. TEXT  MIRIAM SUTER

«Ich hatte immer den Eindruck, mir geht es als Frau gut in unserer Gesellschaft, ich werde nicht diskriminiert», sagt Elsa ­Himmer. Feministinnen, das waren für die 26-Jährige lange Zeit wütende ältere Frauen wie Alice Schwarzer, mit deren Forderungen sich die junge Frau nicht identi­ fizieren konnte: «Sie kamen mir immer sehr radikal vor. Ich hatte häufig den Eindruck, dass sie Männer pauschal ablehnten, womit ich wenig anfangen konnte.» Erst mit Anfang 20 realisierte Himmer, dass sie falschlag. «Ich merkte, dass ich mich an die alltäglichen Sexismen schlichtweg schon gewöhnt hatte.» Während des Studiums etwa fiel ihr auf, dass männliche Studierende weniger unterbrochen und ihre Beiträge ernster genommen werden: «Ich hatte den Eindruck, viel mehr beweisen zu müssen, und einen sehr hohen Anspruch an mich selbst.» Die feministische 20

Bewegung habe es geschafft, sagt Himmer, dass sich heute gerade auch junge Frauen wieder politisierten. Ermächtigung und Diskriminierung Keine Frage: Feminismus ist zu einem Schlag­wort der Popkultur geworden. Und Feminismus findet heute auch stark im Internet statt: Mit Hashtags wie #MeToo, #TimesUp und dem #SchweizerAufschrei holen sich Frauen im Netz den Raum für Diskussionen, der ihnen lange verwehrt blieb. Die digitale Welt hat dem Feminismus also Chancen eröffnet. Bei aller Euphorie darf aber nicht vergessen werden, dass dieser sogenannte Cyberfeminismus gleichzeitig zur Verstärkung von bestehenden Machtstrukturen und Diskriminierung beigetragen hat. Die Ausstellung «Producing Futures – An Exhibition on Post-Cyber-Feminisms»,

die derzeit im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich zu sehen ist, beleuchtet beide Seiten. Elsa Himmer ist die Assistenzkuratorin. Es gehe darum zu zeigen, wie Frauen die Welt wahrnehmen, in der sie Kunst schaffen, und welche Zukunftsvisionen sie davon ausgehend entwerfen. «Uns interessiert das Verhältnis von digitaler Verknüpfung, Diskriminierung, aber auch Ermächtigung», sagt sie und erklärt: «Wir sind das Kommunizieren mit digitalen Medien schon derart gewöhnt, dass wir uns fast keine Zeit mehr zum Hinterfragen nehmen.» Gezeigt werden Werke von 16 Künstlerinnen, wobei es Himmer und Haupt­ kuratorin Heike Munder wichtig war, dass darunter auch solche von Transfrauen sind. Der Begriff Cyberfeminismus geht auf die US-amerikanische Professorin Donna Haraway und ihr 1985 veröffentlichtes «A Cyborg Manifesto» zurück. Das Essay ist Surprise 445/19


FOTO: MARY MAGGIC

«Wir sind das Kommunizieren mit digitalen Medien schon derart gewöhnt, dass wir uns fast keine Zeit mehr zum Hinterfragen nehmen.» ELSA HIMMER, ­A SSISTENZKUR ATORIN

FOTO: WU TSANG

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3 1 Cécile B. Evans: «Hyperlinks or it didn’t happen», 2014, Videostill. 2 Mary Maggic: «Housewives Making Drugs», 2017, Videostill. 3 Wu Tsang: «A Day in the Life of Bliss», 2014, Videostill.

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eine kritische Analyse der Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine und eine Aufforderung, die digitale Veränderbarkeit von Klasse, Geschlecht und Ethnie einerseits als Chance zu sehen – aber auch als neue Formen der Unterdrückung durch Menschen, die andere Privilegien geniessen, konkret etwa weisse Männer. Das Manifest wurde zum feministischen Klassiker. Gegen Anfang der 1990er-Jahre bildeten sich neben Riot-Girl-Bands wie Bikini Kill auch feministische Kollektive, die verstärkt im Internet arbeiteten und aktiv waren. Das bekannteste dieser Kollektive ist «VNS Matrix», 1991 in Australien gegründet und mit einigen Werken auch in der Ausstellung in Zürich vertreten. In ihren Arbeiten konzentrierten sich die vier Künstlerinnen von «VNS Matrix» vor allem auf die Rolle der Frau in der Technologie und der Kunst. Sie veröffentlichten nach ihrer Gründung das «Cyberfeminist Manifesto for the 21st Century». Zu ihren ersten Arbeiten gehörte ein Poster im grösstmöglichen Format, auf dem steht: «The clitoris is a direct line to the matrix». Der Satz spielt bewusst mit der Zweideutigkeit des Begriffes Matrix: Dieser bedeutet auf Lateinisch «Gebärmutter», beschreibt aber auch die Kommunikationsprotokolle, die zum Chatten im Internet erfunden wurden. Nicht nur #MeToo Wie das Internet nicht nur als Kanal zur Veröffentlichung von Kunst, sondern als Raum für Ermächtigung genutzt werden kann, zeigte #MeToo eindrücklich. Initiiert wurde der Hashtag 2006 von der schwarzen Bürgerrechtsaktivistin Tarana Burke, um das gesellschaftliche Bewusstsein für Alltagssexismus und sexualisierten Missbrauch zu schärfen. Populär wurde #MeToo aber erst elf Jahre später durch Schauspielerinnen wie Alyssa Milano, die auf Social Media von ihren Erfahrungen mit sexualisiertem Missbrauch durch den Filmmogul Harvey Weinstein berichteten. Das hatte Schlagkraft: Weinstein wurde im Mai 2018 wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung verhaftet, nachdem er sich selbst der Polizei gestellt hatte. Aktuell lebt er wieder in Freiheit, allerdings mit elektronischer Fussfessel. #MeToo ist nicht die einzige Social-­ Media-Bewegung, die Einfluss auf das echte Leben nahm. So formierte sich etwa im ­Januar 2018 auch die #TimesUp-Bewegung mit eigener Stiftung, die gezielt Frauen, nichtweisse Menschen und Mitglieder der 22

4 Annicka Yi: «We Are Water», 2015. 5 Wu Tsang: «A Day in the Life of Bliss», 2014, Videostill. 6 VNS Matrix: «DNA Sluts», 1993, ­Videostill aus «All new Gen».

LGBTQ-Community (also alle Menschen, die nicht heterosexuell sind) unterstützen will, damit diese auf öffentlichen Plattformen über ihre Missbrauchserfahrungen sprechen können. #TimesUp geht zurück auf eine Initiative der Allianz für lateinamerikanische Farmarbeiterinnen, die in den USA Belästigung und Missbrauch erleben. Auch #TimesUp blieb nicht nur ein Phänomen der Sozialen Medien. So trugen an der Grammy-Verleihung 2018 Stars wie Lady Gaga, Kesha und Cyndi Lauper einen schwarzen «Time’s Up»-Pin. Beinahe 30 Jahre nach Donna Haraways «A Cyborg Manifesto» zeigt sich jedoch auch: nicht nur Ermächtigung, sondern auch Diskriminierung war eine Folge des Cyberfeminismus. So schlägt Frauen auch im Internet mehr Hass entgegen als Männern. Die britische Zeitung The Guardian untersuchte 2016 über 70 Millionen Kom-

Auf Twitter wird durchschnittlich alle 30 Sekunden ein problematischer, beleidigender oder sexistischer Tweet an eine Frau veröffentlicht.

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FOTO: VNSMATRIX

FOTO: JASON MANDELLA

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mentare, die in den zehn Jahren zuvor in den Onlinekommentarspalten abgesetzt worden waren. Unter den Top 10 der Autorinnen und Autoren mit den meisten Hasskommentaren waren acht Frauen und zwei Männer – beide Männer waren schwarz. Eine Ende 2018 von Amnesty ­International veröffentlichte Studie zeigt zudem, dass auf dem Kurznachrichtendienst Twitter durchschnittlich alle 30 Sekunden ein problematischer, beleidigender oder sexistischer Tweet an eine Frau veröffentlicht wird. Besonders betroffen sind schwarze Frauen: Sie wurden zu 84 Prozent häufiger beleidigt als weisse Frauen. Auch das «Gamer Gate» machte deutlich, dass Frauen in männlich geprägten Bereichen auch im Internet diskriminiert werden. Im August 2014 starteten fast ausschliesslich männliche User eine Hasskampagne gegen erfolgreiche amerikanische Surprise 445/19

Spielentwicklerinnen sowie gegen die feministische Bloggerin Anita Sarkeesian. Auf ihrem Youtube-Account hatte Sarkeesian stereotype Geschlechterverhältnisse in Videogames kritisiert – was anscheinend zu viel war für die männerdominierte Gamerwelt. Die User organisierten sich anonym in Internetforen wie Reddit oder 4chan sowie auf Twitter und überfluteten die Accounts der Frauen mit Vergewaltigungs- und Morddrohungen. Sarkeesian erhielt sogar terroristische Drohungen, worauf sie aus ihrem Haus auszog und den Fall dem FBI übergab, da sie dem psychischen Druck nicht mehr standhalten wollte. Auch die Studie von Amnesty International stellt fest, dass sich viele Frauen wegen der Hassnachrichten aus den Sozialen Medien zurückziehen würden. Selbstzensur als Reaktion auf Onlinehass – so haben sich die Cyberfeministinnen die

­ ukunft in der Post-Internet-Ära wohl Z nicht vorgestellt. Auch aus Sicht von Elsa Himmer hat das Internet sein Versprechen, Ort von mehr Sichtbarkeit und liberaler Raum zu sein, nur bedingt eingelöst. Ob und inwiefern Cyberfeminismus einen nachhaltigen Effekt auf das gesellschaftliche Leben haben kann, stehe nach wie vor infrage. Aber Elsa Himmer ist aufgrund von Hashtags wie #MeToo hoffnungsvoller als zuvor: «Es liegt nun an uns allen – Frauen, Männern und allen anderen –, für die Nachhaltigkeit zu sorgen. «Producing Futures – An Exhibition on Post-Cyber-Feminisms», bis 12. Mai, Di, Mi, Fr 11 bis 18 Uhr, Do 11 bis 20 Uhr, Sa, So 10 bis 17 Uhr, Migros Museum für Gegenwartskunst, Limmatstrasse 270, 8005 Zürich. migrosmuseum.ch 23


FOTOS: ZVG

Biografische Spurensuche: Regisseur Francis Reusser inszeniert ein Roadmovie seines Lebens, indem er Filmausschnitte und Archivmaterial von 1947 bis in die Gegenwart verarbeitet.

Wie wir uns erinnern Film Der Schweizer Fotograf und Regisseur Francis Reusser zeichnet die Spuren seines

Lebens nach – und damit auch jene der Schweizer Kino- und Fernsehgeschichte. TEXT  MONIKA BETTSCHEN

Francis Reusser findet schon in den ersten Filmminuten versöhnliche Worte für sein Leben: «Mir würde es gut gehen, wenn es hier fertig wäre», sagt er, während er in Heiligenschwendi in einem Bergrestaurant den Löffel in einer Glacé-Coupe versenkt und über jenen Ort hinwegblickt, in dem sein Vater und sein Grossvater lebten. Der heute 77-Jährige inszeniert mit «Spuren und Geschichten» ein Roadmovie, das dokumentarisch den Spuren seines Lebens entlang verläuft. Dass sein Leben auch eine andere Wendung hätte nehmen können als jene, ein erfolgreicher Filmemacher und Fotograf zu werden, wird klar, als Reussers Stimme aus 24

dem Off sich an missglückte Selbstmordversuche seines Vaters erinnert, an das schwierige Erwachsenwerden in Erziehungsheimen, oder wenn er von seiner Mutter erzählt, die er nicht gekannt hat. «Ein, zwei Fotos in einem Schuhkarton sind alles, was ich von ihr habe.» Ein vergilbtes Bild zeigt sie als junge Frau, die mit energischem Blick einen Berg hochklettert. Dieses eine Foto führte dazu, dass Francis Reusser sich oft ebenfalls der Aufgabe stellte, die Alpen zu bezwingen – wenn auch nur in seinen Werken. Wie zum Beispiel in seinem Spielfilm «Derborence» aus dem Jahr 1985, für den er den «César» für den besten französischen Film erhielt. Er erzählt vom Surprise 445/19


Augenweiden Buch Lorena Paterlinis wunderschön

illustriertes Alp-Tagebuch macht Lust auf Sommer und Berge. Es gibt Sätze, die hängenbleiben. Sätze, die sich für kurze oder längere Zeit einen Platz in unserer persönlichen Liste der Lieblingssätze erobern. Sätze, die so beginnen: «Der Regen macht mir nichts aus, aber». Das steht genauso im Buch, samt Streichung. Damit erzählt er eine kleine Geschichte für sich, die witzig ist und ehrlich zugleich. Dieser Satz findet sich in «Nehmen Sie gefälligst Ihren Hund an die Leine!» von Lorena Paterlini, einer jungen Illu­ stratorin, die im Sommer das Stadtleben gegen den Alltag auf einer Alp im Prättigau eintauscht. Dort, wo die Weiden auf einer Höhe von 1700 bis 2300 Metern über dem Meer liegen und sie ihre Tage mit 160 Kühen, 13 Pferden, 2 Schafen, 2 Katzen, 4 Hühnern und dem halb tauben und halb blinden Hund Milo teilt, der eher ein Stuben­hocker als ein Hütehund ist. So fehl am Platz wie ihr Hund scheint auf den ersten Blick auch sie selber zu sein. Sie sähe nicht wie eine Älplerin aus, schreibt Paterlini, sei zu jung und zu weiblich. Älpler stelle man sich doch mehr wie Schwinger oder Holzfäller vor. Der Tierarzt lässt sie das spüren. Er spricht kein Wort mit ihr. Dabei meistert sie ihre Arbeit wie jeder andere Älpler, mit denen sie in spielerischer Konkurrenz steht. Auch wenn sie sich anfangs im Dunkeln fürchtet, wenn das Holz in der einsamen Hütte knarzt. Doch das geht vorbei. Bald schon schliesst sie nicht einmal mehr die Tür ab. Das Leben auf der Alp ist nicht leicht, die Arbeit schwer und mitunter gefährlich. Mit Mutterkühen ist nicht zu spassen, die Begegnungen mit diesen schwanken zwischen Vertrautheit und Lebensgefahr. Und raus muss sie bei jedem Wetter, ob bei Regen, Sonne oder Schnee, trotz Kälte, Grippe oder Einsamkeit. Sie führt Buch über Wetter, Zäune, Tiere, Sorgen und Widrigkeiten. Und über Besucher: Freunde, Wanderer, Bauern und Biker, einmal auch über den Kadavermann, der eine tote Kuh holt. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt auf der Alp. Die Arbeit verliert den negativen Beigeschmack, aber dafür kann das Freihaben auch manchmal nerven. Die Illustrationen werden begleitet von schlichten und humorvollen Texten. Die Bilder, von zarten Strichen bis hin zu satten Farben, überwiegen. Sie machen Lust auf Sommer und Berge. Und machen nachvollziehbar, warum Paterlini, als sie im Nachthemd den Sonnenaufgang beobachtet, schreibt und wieder streicht: «Schon schön» und die Notiz durch «Verdammt schön» ersetzt. So wie es auch für dieses Buch gilt, das sich bestens zum Schmökern, Schwärmen und Schenken eignet. CHRISTOPHER ZIMMER

Digital Festgehaltenes bleibt scharf Ein weiterer innerer Zusammenhalt – und damit auch die weitreichende Dimension dieser betörenden Abfolge aus Filmausschnitten und Archivmaterial von 1947 bis in die Gegenwart – ergibt sich aus dem Wandel vom Schwarz-Weiss-Bild zur digitalen Aufzeichnung. «Spuren und Geschichten» liefert ein eindrückliches Zeugnis, wie sich diese Veränderungen in der Schweizer Kino- und Fernsehlandschaft vollzogen haben. Heiter und nachdenklich zugleich offenbart diese Dokumentation, wie sich unsere Art, visuelle Eindrücke zu konservieren, einschneidend verändert hat und damit vielleicht sogar die Art, wie wir uns erinnern. Denn während analoge Bilder, ähnlich wie Erinnerungen, mit der Zeit ihre harten Konturen verlieren und verblassen, bleibt digital Festgehaltenes zeitlich praktisch unbegrenzt scharf.

«Spuren und Geschichten» von Francis Reusser, Dokumentarfilm, Schweiz 2018, 75 Minuten, jetzt im Kino Surprise 445/19

FOTO: ZVG

jungen Bergbauern Antoine, der einen Bergsturz überlebt. Und ähnlich, wie sich sein Protagonist aus dem Geröll befreit, scheint auch Francis Reusser sich unter seinem Berg aus Erinnerungen systematisch aus der Vergangenheit in das Hier und Jetzt emporzuarbeiten.

Lorena Paterlini: «Nehmen Sie gefälligst Ihren Hund an die Leine! Ein Sommer auf der Alp.» Applaus Verlag 2018. CHF 34.90

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Luzern «Innerschweizer Filmpreis», Filmvorführungen, Sa, 9. März und So, 10. März, diverse Uhrzeiten, Stattkino/Bourbaki, Löwenplatz 11. innerschweizerfilmpreis.ch

von Lorenz Sutter. Gute Frage: ­Warum fühlen wir uns einsam? Und das nicht nur, wenn wir alleine sind, sondern auch in Gesellschaft. Was löst bei uns das Gefühl der Einsamkeit aus? Und wie fühlt sie sich an, die Einsamkeit? Das Tanztheaterstück «Show me the meaning of being lonely» des Vereins Landholz nimmt mit auf eine assoziative Reise, in der mit Bewegung, Sprache und elektronischer Live-Musik das Phänomen Einsamkeit erzählt, erforscht, erfahren, ausgehalten, verflucht, gesucht, begrüsst, empfangen, gehört und besungen wird. In Kooperation mit dem Philosophicum Basel gibt’s zudem ein Podiumsgespräch zum Thema «Einsamkeit», u.a. mit Stefan Brotbeck, Sebastian Gisin und Nadine Reinert. EBA

Zum zweiten Mal nach 2017 wird dieses Jahr der «Innerschweizer Filmpreis» verliehen. Eine Fachjury wählte aus 33 Eingaben 15 preiswürdige Filme von Filmschaffenden oder Produktionsfirmen aus der Innerschweiz aus (im Bild eine Szene aus dem Film «Die göttliche Ordnung»). An diesem Wochenende werden alle ausgezeichneten Werke in den Kinos Stattkino und Bourbaki je zweimal öffentlich aufgeführt. Die Filmschaffenden sind für anschliessende Gespräche anwesend. Am Samstag, 9. März wird das Bourbaki zudem zum Filmcafé. Talks, Präsentationen und ein Podiumsgespräch bieten die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und die Perspektiven der regionalen Filmförderung zu diskutieren. Das Tagesticket für 10 Franken berechtigt zum uneingeschränkten Zugang zum Film-Programm des entsprechenden Tages. EBA

Basel/Bern/Zürich «Nachhaltigkeitswoche», Mo, 4. bis Sa, 9. März, diverse Termine und Veran­ staltungsorte. sustainabilityweek.ch

Wer dem Konzept der Nachhaltigkeit gerecht werden will, muss bereit sein, dessen Konsequenzen für unzählige Bereiche des täglichen Lebens und Handelns zu erkennen. Dies fällt nicht nur uns als Individuen schwer, sondern auch Institutionen, Unternehmen und nicht zuletzt unseren Hochschulen. Diesen kommt zudem als Bildungsinstitutionen eine herausragende Verantwortung zu. Aus diesem Grund findet jährlich an verschiedenen Hochschulen des Landes die

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«Swiss Sustainability Week» statt. Dieses Jahr sind 13 Schweizer Städte dabei. Das Programm ist lehr- und abwechslungsreich. In Basel beispielsweise gibt es einen Vortrag über das ökologische und ethische Dilemma des Fleischkonsums, eine Podiumsdiskussion zur Schweizer Klimapolitik, aber auch lockerere Formate wie etwa «Kleidertausch & Science Slam». Ebenso vielfältig ist das Programm in Bern und Zürich. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Veranstaltungen öffentlich und kostenlos. EBA

Basel «Show me the meaning of being lonely», Tanztheater, Do, 7. März (Premiere) bis Sa, 9. März, jeweils 20 Uhr; Podiumsgespräch zum Thema Einsamkeit, Fr, 8. März, 18 Uhr, Druckerei­ halle im Ackermannshof, St. Johanns-Vorstadt 19/21. druckereihalle.ch «Warum sollte ich mich einsam fühlen, wenn ich alleine bin?», heisst es im Film «Strangers» (2017)

St. Gallen «Manifest zum Frauenstreik 2019», Vortrag, Di, 5. März, 20:15 Uhr, Palace, ­Blumenbergplatz. palace.sg In der Pflege machen Frauen den Grossteil der Erwerbstätigen aus. Keine Frage, dass auch hier vieles zum Stillstand kommen wird, wenn im Juni die Frauen ihre Arbeit niederlegen. Für die Philosophin Tove Soiland ist klar: Der Care-Sektor ist zum Schlachtfeld neoliberaler Restrukturierungen geworden, was Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen hunderttausender Beschäftigter hat. An diesem Abend stellt sie im Rahmen der Reihe «Erfreuliche Universität» ein Manifest zum Frauenstreik 2019 vor, das als Gemeinschaftswerk vieler im Care-Bereich tätiger Frauen aus dem Feministischen Leseseminar der Gewerkschaft

VPOD in Zürich entstanden ist. Darin formulieren sie ihre Kritik an der Ökonomisierung ihres Berufsfelds unter dem Vorschein einer Professionalisierung. EBA

Thun «14. Thuner Literaturfestival», Lesungen und Ge­ spräche, Fr, 1. März bis So, 3. März, diverse Uhrzeiten und Orte. literaare.ch Das 2004 ins Leben gerufene Projekt «literaare» präsentiert am dreitägigen Thuner Literaturfestival aktuelles literarisches Schaffen. Eingeladen sind nebst renommierten SchriftstellerInnen auch jüngere, noch weniger bekannte Talente. Klassische Lesungen werden ergänzt mit Poetry Slams, Konzerten, Vorträgen, literarischen Taxioder Zugfahrten und Stadtrundgängen. Die 14. Austragung findet erstmals dezentral statt – unter anderem in der Rathaushalle, der Halle 6, dem Kino Rex und der Stadtbibliothek. Als Festivalzentrum dient die Cafébar Alte Oele. Mit dabei sind dieses Jahr unter anderen Michael Köhlmeier (Eröffnung), die Truppe von «Thun ist nirgends» sowie die Literaturzeitschrift Narr. EBA

Zürich «Festival du Film Vert – Deutschschweiz», Sa, 2. März, ab 14 Uhr, Rote Fabrik, Seestrasse 395. rotefabrik.ch Im März und April 2019 findet in der ganzen Westschweiz sowie in Zürich das 14. Festival du Film Vert statt. In gemütlicher Atmosphäre können Dokumentarfilme über Ökologie und nachhaltige Entwicklung angeschaut werden, zudem gibt es spannende Diskussionen. Anlässlich der Eröffnungsgala in der Roten Fabrik werden die Filme «Mittelmeer in Gefahr» (14 Uhr), «L’homme et la forêt» (16 Uhr) sowie «Die grüne Lüge» (18 Uhr) gezeigt. Um 20 Uhr findet die Preisverleihung in Anwesenheit von Henrik Norborg (Klimastadt Zürich), Georg Klingler (Gletscherinitiative) sowie Nicolas Guignard (Festivaldirektor) statt. Der Eintritt kostet 10 Franken pro Film oder 20 Franken für den ganzen Tag, die Preisverleihung ist gratis. Asylbewerber mit Ausweis «N» oder «F» sowie Sans-Papiers haben freien Eintritt. EBA

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BILD(1+2): ZVG, BILD(3): LAURIDS JENSEN

Veranstaltungen


ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT

Agglo-Blues

Folge 28

Feindliche Übernahme Was bisher geschah: Vera Brandstetter versucht herauszufinden, was sich in der Firma des Mordopfers geändert hat, seit diese Teil eines internationalen Konzerns wurde. Am nächsten Tag fuhr Brandstetter zur Comartec und liess sich bei Albert Kauer melden. Sie wollte sich mit ihm über Schwanders radikale Ansichten unterhalten. Er holte sie am Empfang ab und brachte sie in sein Büro. Auf dem Schreibtisch stand ein Foto, auf dem er ein ausgeleiertes, grünblau gestreiftes Poloshirt trug und 20 Jahre jünger aussah: das Haar war voller, dunkelblond, zer­ zaust. Auf seinem Arm ein Mädchen von etwa sechs Jahren mit langen braunen Haaren, sie strahlte und umschlang seinen Hals. Vorne rechts ein elfjähriger Bub im Leibchen des lokalen Fuss­ ballvereins, ungeduldig grinsend, weil er lieber tschutten wollte, anstatt für das Bild zu posieren. Links neben Kauer eine dezent geschminkte Frau mit goldblonden, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren. Ihre gepflegten, beringten Hände ruhten auf den Schultern eines schelmisch dreinschauenden Dreizehnjährigen, dessen blonde Locken ein wenig zu lang wa­ ren, als hätte er den Coiffeurbesuch erfolgreich Woche um Woche verschoben. Im Hintergrund ein saftig grüner Rasen, ein über­ dachter Sitzplatz, eine Hausmauer. «Ein schönes Bild», sagte Brandstetter, die es ein wenig zu lange angeschaut hatte. Kauer nahm es behutsam in die Hand, als sei es ein Wertge­ genstand. «Es wurde vor zehn Jahren aufgenommen, aber es kommt mir vor, als stamme es aus einer anderen Zeit. Ein paar Wochen spä­ ter ist der Patron gestorben. Das war ein guter Mensch, wissen Sie. Ganz bescheiden. Er ass immer in der Kantine. Wie alle an­ deren stand er an, ging zu irgendeinem Tisch und fragte: Isch da na frei? Mal setzte er sich zu den Ingenieuren, mal zu den Drehern, mal zu den Buchhaltern, mal zu den Hilfsarbeitern vom Balkan. Jedes Jahr gab es draussen vor dem Haupteingang ein Foto mit allen Mitarbeitern, und der Patron war immer stolz, wenn es mehr geworden waren. Das alles änderte mit dem Junior. Der liess sich nie in der Kantine blicken. Er liess sich überhaupt kaum blicken, nur am Lamborghini auf dem Parkplatz sah man, dass er da war. Er kam und ging so, dass man ihn nicht zu Gesicht bekam, ein Surprise 445/19

Phantom war das. Kaum hatte er übernommen, brach die ­Finanzkrise aus, das war eine schwierige Situation, da hätte ich auch nicht in seiner Haut stecken wollen.» Kauer stellte das Bild wieder auf den Tisch. «Nun hoffen wir einfach alle, dass es mit dem neuen CEO wieder bergauf geht.» «Wie ist Schwander mit den Veränderungen umgegangen?» «Sie haben ihm nicht gepasst. Er hat sie als Ausverkauf der Heimat bezeichnet.» «Wussten Sie, dass er ein glühender Antisemit war?» Kauer wiegte den Kopf. «Nein, nicht so richtig.» «Was soll das heissen?» «Er hat mir erzählt, dass der Verkauf unseres Unternehmens von einem Hedge-Fonds orchestriert worden sei. Sechs der neun Partner hätten jüdische Namen. Er hat eine Dokumentation dazu erstellt. Wenn Sie wollen, leite ich sie Ihnen weiter.» Brandstetter reichte ihm ihre Visitenkarte mit der Mailadresse. «Damit wollte er beweisen, dass die Juden unsere Industrie aufkaufen und kaputtmachen würden», erklärte Kauer. «Glauben Sie das auch?» «Es lässt sich nicht bestreiten, dass viele Schweizer Indus­ trieperlen inzwischen ausländische Besitzer haben. Die ameri­ kanischen Methoden setzen sich auch bei uns durch, die sind knallhart. Aber warum sollten die Juden eine florierende Indus­ trie in ihren Besitz bringen und sie dann zugrunde richten? Das ergibt keinen Sinn. In unserem Fall war es eindeutig der Junior, der das Unternehmen kaputtgemacht hat.» «Hat Schwander die Präsentation im Betrieb verbreitet und versucht, Stimmung gegen die neuen Besitzer zu machen?» «Davon weiss ich nichts, und es würde auch nicht zu ihm pas­ sen. Wie gesagt, Reto war ein stiller Einzelgänger. Es hat mich schon gewundert, dass er sie mir gezeigt hat. Irgendwie hat es ihn wohl gejuckt, er musste sein Wissen loswerden, um mir zu zeigen, dass ich ein Schaf sei, das keine Ahnung habe, wie die Welt funktioniert.» «Wie würden Sie die Stimmung im Betrieb beschreiben?» «Besch …, äh, bedrückt, alle wären froh, wenn wieder etwas Ruhe einkehren würde.» Brandstetter bedankte sich und verliess die Comartec.

STEPHAN PÖRTNER  schreibt und lebt in Zürich. Alle bisher

erschienenen Folgen des Fortsetzungskrimis gibt es zum Nachlesen und -hören unter surprise.ngo/krimi 27


IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D

Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist. 01

Cantienica AG, Zürich

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Madlen Blösch, Geld & so, Basel

03

Schluep & Degen, Rechtsanwälte, Bern

04

Ozean Brokerage & Shipping AG, Muttenz

05

Beat Vogel, Fundraising-Datenbanken, Zürich

06

InhouseControl AG, Ettingen

07

Infopower GmbH, Zürich

08

Büro Dudler, Raum- und Verkehrsplanung, Biel

09

Hedi Hauswirth Psychiatrie-Spitex, Oetwil a. S.

10

SISA Studio Informatica SA, Aesch

11

Stellenwerk AG, Zürich

12

grafikZUMGLUECK.CH, Steinmaur

13

Waldburger Bauführungen, Brugg

14

Volonté Ofenbau, Schwarzbubenland

15

CISIS GmbH, Oberwil

16

RLC Architekten AG, Winterthur

17

Sternenhof, Leben und Wohnen im Alter, Basel

18

Praxis für die Frau, Spiez

19

Fontarocca Brunnen + Naturstein, Liestal

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OpenTrack Railway Technology GmbH, Zürich

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Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Zürich

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Brother (Schweiz) AG, Dättwil

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Proitera, Betriebliche Sozialberatung, Basel

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Freunde der PH Zürich

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Osteopathie Martin Lieb, Bern

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Nicole Huwyler Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 50 I marketing@surprise.ngo

SURPLUS – DAS NOTWENDIGE EXTRA Das Programm

Wie viele Surprise-Hefte müssten Sie verkaufen, um davon in Würde leben zu können? Hätten Sie die Kraft?

Wussten Sie, dass einige unserer Verkaufenden fast ausschliesslich vom Heftverkauf leben und keine Sozialleistungen vom Staat beziehen? Das fordert sehr viel Kraft, Selbstvertrauen sowie konstantes Engagement. Und es verdient besondere Förderung. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkaufenden zusätzliche Unterstützung. Sie sind mit Krankentaggeld und Ferien sozial abgesichert und erhalten ein Nahverkehrsabonnement. Bei Problemen im Alltag begleiten wir sie intensiv.

Eine von vielen Geschichten Der Weg in die Armut führte für Daniel Stutz über die Sucht. Als Jugendlicher rutschte der heute 44-Jährige in die Spielsucht und später in den Konsum harter Drogen. Dank einer Therapie schaffte er vor 7 Jahren den Ausstieg. Geblieben ist dem Zürcher Surprise-Verkäufer und -Stadtführer ein Schuldenberg. «Den Weg aus der Sucht habe ich hinter mir, der Weg aus der Armut liegt noch vor mir», beschreibt Daniel seine Situation. SurPlus gibt ihm dabei Rückenwind: «Es ermöglicht mir hin und wieder Ferien. Ausserdem bedeutet es, auch einmal krank sein zu dürfen – ohne gleich Angst haben zu müssen, die Miete oder Krankenkasse nicht zahlen zu können.»

Die ganze Geschichte lesen Sie unter: surprise.ngo/surplus

Unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 14 Verkaufende des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlusProgramm teilzunehmen.

Unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 | Vermerk: SurPlus Oder Einzahlungsschein bestellen: T +41 61 564 90 90 info@surprise.ngo | surprise.ngo/spenden Herzlichen Dank!


Wir alle sind Surprise Strassenverkaufende

#442: Veganerin trifft Schweinezüchter

«Ein guter Grund aufzustehen»

«Irreführend»

Ich möchte mich hiermit einfach mal bedanken, dass Ihr benachteiligten Menschen helft und dass sich die Menschen wertgeschätzt und umsorgt fühlen. Ich habe vor zwei Wochen das erste Mal ein Heft gekauft von einem liebevollen Herrn in Basel. Ich war zutiefst gerührt von dem Mann. Mir bedeutet es sehr viel zu sehen, dass er einen würdevollen Beruf ausüben kann, auch wenn er eventuell nicht den Job hat, den er sich wünscht. Doch Ihr bietet diesen Menschen einen guten Grund, jeden Tag aufzustehen und etwas aus sich zu machen. Und die Zeitung ist die beste, die ich je gelesen habe. Deswegen: vielen Dank, Surprise, dass Ihr da seid!

Die Aufstellung auf Seite 14 ist vom WWF über­nommen und ist aus meiner Sicht nicht kor­rekt und irreführend. Sie sind sich hoffentlich bewusst, dass bei den empfehlenswerten Labels aus integrierter Produktion synthetische Pestizide zur Anwendung kommen – im Gegensatz zu den drei (gemäss WWF) bedingt empfehlens­ werten Bio-Labels? Mir ist das ein Dorn im Auge, bio ist immer besser als IP aus vorgängig ­genanntem Grund.

A . TOMAS, ohne Ort

M. SALGADO, Zürich

Strassenmagazin

«Begeisternd»

Anmerkung der Redaktion

Das Surprise-Magazin, das ich möglichst regelmässig kaufe, begeistert mich immer wieder. Es ist die einzige Zeitschrift, bei der mich alle Artikelüberschriften ansprechen und die ich von vorne bis hinten ganz genau durchlese. Die Zeitschrift deckt genau die Themen ab, die mich interessieren, und die anderswo nicht die nötige Aufmerksam­ keit erhalten. Mich begeistert die Authentizität des Magazins und natürlich die Art, mit der Menschen nachhaltig unterstützt werden.

Tatsächlich haben wir unter der Aufstellung die Quel­ lenangabe vergessen. Das holen wir hiermit nach: Das Label-Ranking basiert auf einer Untersuchung der Stiftung Pusch in Zusammenarbeit mit dem WWF Schweiz, Helvetas und der Stiftung für Konsumentenschutz SKS aus dem Jahr 2015. Weitere Informationen zum Kriterienkatalog: wwf.ch/sites/default/files/doc-201710/2015-11-Bericht-­Lebensmittellabel-de.pdf

M. LEUENBERGER, Escholzmatt

Impressum Herausgeber Surprise, Münzgasse 16 CH-4051 Basel Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T  +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12 Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T  +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02 Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Bern: T +41 31 558 53 91 rundgangbe@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T  +41 61 564 90 90 M+41 76 325 10 60 anzeigen@surprise.ngo Redaktion
 Verantwortlich für diese Ausgabe: Sara Winter Sayilir (win) Amir Ali (ami), Andres Eberhard (eba) Reporter: Simon Jäggi (sim) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99
 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch

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Ständige Mitarbeit
 Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Marie Baumann, Florian Burkhardt, Rahel Nicole Eisenring, Georg Gindely, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Monika Bettschen, Lucia Luca Hunziker, Franziska Jäger, Susanne Keller, Miriam Suter

Ich möchte Surprise abonnieren 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten Strassen­verkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.– Geschenkabonnement für: Vorname, Name Strasse

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh­ migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

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Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik

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FOTO: SUSANNE KELLER

Surprise-Porträt

«Ich sass nur zuhause» «Bis im Sommer 2014 habe ich mit meinen drei Kindern im Westen von Eritrea gelebt, unweit der Grenze zum Sudan. Mein Mann ist im Militärdienst gestorben. Gelebt haben die Kinder und ich von unserem kleinen Bauern­ betrieb, wir hielten Tiere und haben Getreide wie bei­ spielsweise Mais angebaut. Eines Tages kamen Verwandte von meinem Mann zu uns, die auf der Flucht in Richtung Sudan waren. Ich liess sie bei uns im Haus übernachten. Das war ein Fehler. Am nächsten Tag, als ich nicht zuhause war, kam die Po­ lizei und verhaftete die Verwandten. Bei meiner Rück­ kehr berichtete mir meine Nachbarin, was geschehen war. Aus Angst vor der Polizei und der Gefängnisstrafe, die mir drohte, weil ich Flüchtige in unserem Haus unter­ gebracht hatte, ergriff ich selbst ebenfalls sofort die Flucht. Meine Kinder, die heute 11, 15 und 28 Jahre alt sind, liess ich bei der Nachbarin zurück. Mit der Unterstützung meiner zwei Geschwister, die schon länger in der Schweiz leben, ist mir die Flucht hier­ her gelungen. Nun lebe ich seit mehr als vier Jahren in Bern. Im Lorraine-Quartier habe ich eine kleine Wohnung an der Bahnlinie. Als ehemalige Bäuerin hätte ich gerne einen Garten oder zumindest einen Balkon, aber das hat es dort nicht. Doch sehr viel mehr als den Garten ver­ misse ich meine Kinder. Gerne hätte ich wenigstens die beiden jüngeren Kinder im Familiennachzug in die Schweiz geholt, aber mit meiner Aufenthaltsbewilligung F ist das nicht erlaubt. Ein- bis zweimal pro Monat rufe ich sie an, mehr kann ich mir nicht leisten. Meistens spre­ che ich dann vor allem mit der Nachbarin – die Kinder sagen, es mache sie zu traurig, mit mir zu telefo­nieren. Es ist mein grösster Wunsch, eines Tages wieder mit meinen Kindern zusammenzuleben, dafür bete ich jeden Tag und besuche an den Wochenenden die eritreisch-­orthodoxen Gottesdienste in der Kirche St. Peter und Paul in der Berner Altstadt. Daraus schöpfe ich Kraft und Hoffnung. Ich bin froh, dass ich mich vor einem halben Jahr mit dem Heftverkauf angefangen habe. Nach mehreren Deutschkursen und einem sechsmonatigen Praktikum in einer Heils­armee-Brockenstube in Einigen am ­Thunersee fand ich keine weitere Arbeit. Ich sass nur ­zuhause und dachte nach. Das ist jetzt anders: Ich ver­ kaufe fast täglich ein paar Stunden Surprise vor der ­provisorischen Migros-­Filiale im Breitenrain-Quartier. Auch wenn es sehr kalt ist, gehe ich zur Arbeit. Ich ziehe einfach warme Schuhe an und sechs bis sieben Schich­ ten Kleider, also fast meinen ganzen Kleiderschrank! 30

Zewdi Kuflu (54) ist froh, dass sie eine Arbeit gefunden hat, die sie für ein paar Stunden von ihren Sorgen ablenkt.

Letzte Woche, als ich gerade einer Kundin ein Heft ver­ kaufte, stahl mir jemand meine Tasche. Darin befand sich zwar kein Bargeld, dafür aber 15 Surprise-Hefte und, für mich viel wichtiger, meine ganzen Patienteninfor­ mationen und Rezepte für meine Epilepsie- und Diabetes­ medikamente. Der Schock über den Verlust löste bei mir sogleich einen Epilepsie-Anfall aus, und ich musste von der Ambulanz ins Spital gebracht werden. Zuckerkrank wurde ich erst hier in der Schweiz, an ­Epilepsie leide ich schon mehr als 30 Jahre. Ausgelöst wurde die Krankheit sehr wahrscheinlich durch die jahrelange Belastung sowie Verletzungen während des Befreiungskampfes. Bereits als Jugendliche und bis zur Staatsgründung 1993 hatte ich für Eritreas Unab­ hängigkeit von Äthiopien gekämpft. Nun geht es wieder aufwärts: Gesundheitlich geht es mir besser, und auch meine Tasche habe ich zurückbe­ kommen – sie wurde im Laden neben der Migros ge­ funden. Es war noch alles drin, und so habe ich meine wichtigen Patientendokumente wieder beisammen.»

Aufgezeichnet von ISABEL MOSIMANN Surprise 445/19


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SURPRISE-RUCKSACK CHF 99.– (exkl. Versandkosten) Modell Ortlieb-Velocity, 24l, wasserfest. Hergestellt in Deutschland. Erhältlich in ultramarin, silber und rot (schwarz ist ausverkauft).

SURPRISE-GYMBAG CHF 20.– (exkl. Versandkosten) 100% Baumwolle, hergestellt in Handarbeit in Griechenland. Erhältlich in rot und schwarz.

SURPRISE-ETUI CHF 27.– (exkl. Versandkosten) Hergestellt von JLTbag in Altdorf, Uri. JLTbag beschäftigt in der Produktion anerkannte Flüchtlinge und fördert damit deren Ausbildung und Integration. Erhältlich in rot und schwarz.

SURPRISE-MÜTZE CHF 35.– (exkl. Versandkosten) 100% Merinowolle, hergestellt in der Schweiz von Urs Landis Strickwaren in fünf unterschiedlichen Farben und in zwei Modellen. Links: Modell Knitwear / Rechts: Modell Klappkapp

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SURPRISE-GYMBAG rot

SURPRISE-ETUI

schwarz

rot

schwarz

SURPRISE-MÜTZE SURPRISE-RUCKSACK rot

ultramarin

Modell: silber

(schwarz ist ausverkauft)

Knitwear

Klappkapp

schwarz

petrolblau

rot

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Sonntag, 7. April Zentrale Pratteln, Gallenweg 8 11 – 17 Uhr

SURPRISE STRASSENFUSSBALL-LIGA TURNIER ZUM SAISONAUFTAKT 2019 Offizieller Partner:

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