milien lastet und der sich auf die Kinder über trägt. Unsere Gesellschaft wäre, mit anderen Wor ten, gut beraten, die Armut schlicht und unbürokratisch zu bewältigen. Zum Beispiel, in dem wir die Ergänzungsleistungen auf alle Haus halte ausweiten, die zu wenig Einkommen haben. Zudem gilt es, die unteren Löhne anzuheben und die Partizipation in allen Lebensbereichen aus zuweiten. Das hilft und unterstützt auch das psy chische Wohl. Aber passiert nicht oft genug das Gegenteil? Menschen werden ausgegrenzt, weil sie weniger haben als andere. Es gibt diese Idee, dass soziale Ungleichheit für eine Gesellschaft von Vorteil sei und dynamisie rend wirke. Und es gibt auch Menschen, die Un gerechtigkeiten und forcierte Konkurrenz akzep tieren, weil diese ihnen immer die Möglichkeit geben, sich über andere zu erheben. Ich stelle mir eine lebendige Gesellschaft anders vor. Aber Me chanismen der Ausgrenzung sind in hierarchi sierten Gesellschaften sehr ausgeprägt. Sie er zeugen viel Häme und Ressentiments. Auch deshalb ist es wichtig, Armut zu enttabuisieren und offen darüber zu diskutieren. So erfahren Armutsbetroffene, dass sie nicht allein sind. Das ermutigt sie, sich selbst zu äussern und zu ver treten. Was voraussetzt, dass sie überhaupt gesehen und gehört werden. Für mich ist das ein zentraler Punkt: Die Men schen müssen viel mehr teilhaben können, in ih rem Quartier, ihrem Wohnbereich, in der Schule, der Ausbildung, im Beruf. Diese soziale Teilhabe gehört zur Demokratisierung einer Gesellschaft. Sie fördert eine Praxis der Mitbestimmung und eine Kultur der Auseinandersetzung. Das spielt für mich auch bei der Bewältigung von sozialen Ungerechtigkeiten wie Armut eine wichtige Rolle. Voraussetzung dafür, dass Armutsbetroffene nicht ausgegrenzt werden und man ihnen auf Augenhöhe begegnet, ist doch, dass alle am Le ben teilhaben können und merken, dass es auf sie ankommt und ihre Meinung gefragt ist. Das gilt nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder und Jugendliche. UELI MÄDER, 69, ist Soziologe. Er arbeitete an der Universität Basel und der Hochschule für soziale Arbeit. Von ihm stammen mehrere Studien zu Armut und Reichtum. Seine Schwerpunkte sind die soziale Ungleichheit und Konfliktforschung. Zu seinen zahlreichen Werken gehört das 2015 im Rotpunktverlag erschiene Buch «macht.ch».
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Luft nach oben Kinderrechte Eine UN-Konvention verpflichtet seit 30 Jahren die Unterzeichnerstaaten zu mehr Rücksicht auf Kinder und deren Bedürfnisse. Seit 1997 ist auch die Schweiz dabei. Vor etwas mehr als dreissig Jahren haben sich die Vereinten Na tionen auf ein 54 Artikel starkes Regelwerk zum weltweiten Schutz von Kindern geeinigt. 1997 hat auch die Schweiz die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Und obwohl die Schweiz im internationalen Vergleich eher gut abschneidet, ist bei der Umsetzung noch einiges zu tun. Der komplexe Rechtstext basiert auf vier Grundprinzipien. Erstens Gleichbehandlung: «Kein Kind darf benachteiligt wer den, sei es wegen seines Geschlechts, seiner Herkunft oder Staats bürgerschaft, seiner Sprache, Religion oder Hautfarbe, wegen einer Behinderung oder wegen seiner politischen Ansichten», heisst es dazu auf der Unicef-Webseite. Zweitens die sogenannte Wahrung des Kindeswohls: «Wann immer Entscheidungen ge troffen werden, die sich auf Kinder auswirken können, hat das Wohl des Kindes Vorrang. Dies gilt in der Familie genauso wie für staatliches Handeln.» Drittens das Recht auf Leben und Ent wicklung: «Jedes Kind muss Zugang zu medizinischer Hilfe be kommen, zur Schule gehen können und vor Missbrauch und Ausbeutung geschützt werden.» Und viertens Mitbestimmung: «Alle Kinder sollen als Personen ernst genommen und respek tiert werden. Das heisst auch, dass man sie ihrem Alter gerecht informiert und sie in Entscheidungen einbezieht.» Laut Kay Biesel, Experte für Kinderschutz an der FHNW, ge schehe letzteres in der Schweiz wie auch international noch viel zu wenig. Kinder werden zu selten angehört und einbezogen. Dafür sei die Professionalisierung der Kesb ab 2013 für die Schweiz ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. WIN Mehr Infos zu den Kinderrechten (sowie die oben abgebildeten, von Kindern gestalteten Postkarten): kinderbuero-basel.ch. Weitere Materialen: unicef.ch/de/ueber-unicef/international/ kinderrechtskonvention Surprise 484/20