Surprise 484/20

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655 Inhaftierte pro 100 000 Menschen verzeichnen die USA und sind damit das Land mit den meisten inhaftierten Leuten weltweit. Unter ihnen sind Schwarze und People of Color ĂŒberproportional vertreten. Diese UnverhĂ€ltnismĂ€ssigkeit ist u.a. auf eine rassistische Drogenpolitik zurĂŒckzufĂŒhren. Billiges Crack, welches als Droge der Schwarzen Be­ völkerung und der Armutsklasse gilt, wird weit hĂ€rter bestraft als teures Kokain, das vor allem von der (weissen) Elite konsumiert wird. Der «Kampf gegen Drogen» wird daher oft zum Kampf gegen Arme – auch ausserhalb der USA.

MEGAPHON, GRAZ

Überproportional ausgeliefert

Mitte August lag die Infektionsrate fĂŒr Covid-19 – das ist die Wahrscheinlichkeit, mit der sich Menschen mit der Pandemie infizieren – bei Schwarzen Amerikaner*in­nen und Hispanics bei 51 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben, betrug fĂŒr dieselbe Bevölkerungsgruppe 39,2 Prozent. Betrachtet man nur den Teil der Bevölkerungsgruppe, der im arbeitsfĂ€higen Alter ist, liegt die Infek­tionsrate bei hohen 54,1 Prozent und die Sterblichkeitsrate sogar bei 66,96 Prozent. Mögliche Ursachen fĂŒr das ĂŒberproportional hohe Risiko von Afroamerikaner*innen und Hispanics – ihr Anteil an der Bevölkerung betrĂ€gt 31,9 Prozent – sind unter anderem Armut, eine schlechte Gesundheitsversorgung und keinerlei Möglichkeit fĂŒr Homeoffice in den sogenannten systemrele­ vanten Jobs, die sie ausĂŒben (z.B. Pflegeberufe).

REAL CHANGE, SEAT TLE

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Fokus Surprise

Sich um die Zukunft sorgen Wie geht es Ihnen? Ein halbes Jahr nach dem Lockdown gewöhne ich mich langsam an diese «neue NormalitĂ€t». Doch bin ich immer wieder ĂŒberrascht, wie einschneidend die VerĂ€nderungen in unserem Alltag sind – zum Guten wie zum Schlechten. Auch bei unseren VerkĂ€ufer*innen. Sie sind nach dem Lockdown fast alle zurĂŒckgekehrt und dankbar, wieder verkaufen zu können. Die grosse SolidaritĂ€t, die sich wĂ€hrend des Lockdowns durch Ihre Spenden zeigte, setzt sich nun auf der Strasse fort. Die HeftverkĂ€ufe sind, entgegen unseren BefĂŒrchtungen, nicht eingebrochen. Trotzdem haben die Sorgen der VerkĂ€ufer*innen zugenommen, das verdeutlichen die massiv gestiegenen Beratungsstunden unserer Sozialarbeiter*innen. Auch auf der Strasse ist der Stresspegel höher als zuvor. Die Ungewissheit, wie es weitergeht, und die sehr emotional gefĂŒhrten Diskussionen ĂŒber Sinn oder Unsinn der Massnahmen hinterlassen ihre Spuren. Unsere VerkĂ€ufer*innen spĂŒren das, diskutieren mit und sind ebenfalls mit ihren eigenen Ängsten und Sorgen konfrontiert. Und die finanziellen Probleme haben sich nicht in Luft aufgelöst. «Ich habe Angst vor dem Briefkasten», hörte ich kĂŒrzlich eine VerkĂ€uferin sagen, die dort eine hohe Rechnung vermutete. VerkĂ€ufer*innen, die neben dem Heftverkauf noch anderen (Teilzeit-)Stellen nachgehen, haben zum Teil mit Jobverlust oder Einkommenseinbussen zu kĂ€mpfen. Von der Krise besonders stark betroffen sind die Familien. Viele ausserhĂ€usliche UnterstĂŒtzungsangebote wurden wĂ€hrend des Lockdowns heruntergefahren und teilweise eingestellt. Homeschooling unter prekĂ€ren Bedingungen ist besonders schwierig. Die Familien verfĂŒgen oft nicht ĂŒber die notwendige technische Ausstattung zuhause, etwa einen internetfĂ€higen PC fĂŒr die Kinder oder WLAN, und haben wenig RĂŒckzugsrĂ€ume fĂŒr ungestörtes Lernen. Noch hĂ€rter trifft es Alleinerziehende und Familien mit drei oder mehr Kindern. So fragte uns eine VerkĂ€uferin mit vier Kindern um Hilfe, da sie eine zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage notwendige Weiterbildung angehen wollte, sich aber die dazu nötige Kinderbetreuung nicht leisten konnte. In Zeiten von Quaran-

FOTO: RUBEN HOLLINGER

Rassistische Drogenpolitik

«Der Stresspegel auf der Strasse ist gestiegen»: Jannice Vierkötter.

tĂ€nemassnahmen ist es fĂŒr Familien aus­ serdem noch schwieriger geworden, auch mal zu entspannen: Ferien in der Schweiz sind fĂŒr kinderreiche Familien schlicht zu teuer, andere Orte schwer zu erreichen. Unsere Redaktion hat das Sonderheft ĂŒber Kinderarmut, das Sie in den HĂ€nden halten, zwar schon lange geplant – das Thema hat aber wie alle Armutsthemen durch die Pandemie noch an Dringlichkeit gewonnen. Surprise hilft den Kindern unserer Verkaufenden, indem wir versuchen, die Eltern zu entlasten. Dies tun wir auf vielen Ebenen: Wir beraten sie, verweisen sie an geeignete Anlaufstellen weiter oder helfen bei akuten Finanzproblemen. KĂŒrzlich bezogen wir die Kinder auch selbst mit ein: In Basel richteten wir vor ein paar Wochen ein Spielfest fĂŒr Kinder aus – natĂŒrlich unter BerĂŒcksichtigung aller Hygienevorschriften. Sich gegen Kinderarmut einzusetzen, ist fĂŒr Surprise selbstverstĂ€ndlich. Es ist eine Binsenwahrheit, dass die Kinder unsere Zukunft sind. Und doch handeln wir als Gesellschaft immer noch viel zu wenig danach.

JANNICE VIERKÖT TER,  GeschĂ€ftsleiterin Surprise

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