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«Wir wollen als Bewegung spürbar werden»

Musik Der ehemalige Clubbetreiber Florian Eichenberger hatte die Idee des Ghost Festivals. Der Ertrag aus dem CD-Verkauf geht an Surprise. Eichenberger sagt, wieso.

INTERVIEW DIANA FREI

Herr Eichenberger, Sie haben das Ghost Festival initiiert: ein Musikfestival, das nicht stattfindet. Wie kommt man auf so eine Idee?

Die Kultur- und Musikszene liegt mir sehr am Herzen, ich habe in Bern selbst Clubs geleitet und Events organisiert. Irgendwann während der Pandemie häufte es sich, dass mich Leute anriefen und fragten: Hast du eine Idee, was man tun könnte? Ich habe diese Gespräche mit viel Empathie entgegengenommen, aber auch gemerkt, dass viele Leute wie das Kaninchen vor der Schlange standen, weil sie so direkt betroffen waren. Dann hatte einer meiner Jungs Geburtstag und bekam einen YB-Ball geschenkt. Als wir draussen spielten, dachte ich, es ist doch absurd – all die Millionäre, die auf dem Rasen herumrennen, sind offenbar systemrelevant. Die sind Geistermeister und spielen Geisterspiele. Da wurde mir klar: Wenn die Geisterspiele machen können, können wir auch ein Geisterfestival machen.

Heute sind Sie Geschäftsleiter von Equipe Volo, einer Stiftung, die sich für berufliche und soziale Integration einsetzt. Das Ghost Festival war eine private Idee. Haben die Gedanken darüber, wer in der Gesellschaft übersehen wird, trotzdem etwas mit Ihrer Tätigkeit zu tun?

Ich glaube grundsätzlich an Inklusion und Augenhöhe. Und an die Tatsache, dass man nicht in Scham versinken muss, wenn man selbst privilegiert ist – aber dass man mit Demut und der Energie, die man geschenkt bekommen hat, der Gesellschaft etwas zurückgeben sollte. Dass man diejenigen mit einem schwierigeren Stand und grösseren Schwierigkeiten unterstützen muss.

Das fanden 187 Schweizer Bands auch: Sie haben eine CD herausgebracht, deren Verkaufserlös sie Surprise spenden. Das Werk ist ungewöhnlich: Beiträge von je zehn Sekunden, je zwei pro Track. Von wem was ist, wird nicht aufgelöst.

Das soll ein Geheimnis bleiben. Es gibt zwei, drei, die unverkennbar sind. Ansonsten: Vielleicht kann man beim Hören zusammensitzen, ein Glas Rotwein trinken und gemeinsam raten, wer könnte das nun gewesen sein? So in einen Dialog zu kommen, fände ich eine spannende Geschichte.

Florian Eichenberger

Florian Eichenberger, 43, war Betreiber des Sous Soul, Club und Bar in Bern. Heute ist er CEO der Stiftung Equipe Volo.

Wir hören Operngesang und Dosenöffnen, Kaffeemaschine und Rock/Pop. Was ist die Geschichte dahinter?

Es ist aus mehreren Gründen ein Zeitdokument: Es haben sich noch nie so viele Musikschaffende aus der Schweiz auf einer CD zusammengefunden – und damit zeitgleich auch noch Platz 1 gemacht. Und das andere ist die Situation, Lockdown, Social Distancing, physische Berührungen, die wegfallen. Ich höre das aus dieser CD heraus. Ich hatte das Bild von jemandem, der in einem geschlossenen Raum sitzt und am Radio eine Verbindung nach aussen sucht. Alle zehn Sekunden kommt ein anderes Signal.

Geistersound kann vieles sein. Es kann «Wir sind alle tot» heissen und eine Kritik an dem Corona-Massnahmen sein. Es kann aber auch eine kindliche Vorstellung vom Tod drinstecken, eine lustige Geistergeschichte, die sagt: Es geht sogar dann noch weiter, wenn fertig ist. Was trifft die Stimmung der Schweizer Musikszene eher?

Ich glaube, sie ist bei allen sehr unterschiedlich. Mich fasziniert genau das: Ein Geist kann alles sein. Der Name deckt die ganze Palette von Gefühlen und Eindrücken ab. Und er hat ein Narrativ drin.

Ein Narrativ?

Wir haben uns gesagt, wir entwickeln den Begriff weiter, und es werden weitere Projekte folgen. Das könnte auch ein Bio-Fairtrade-Kaffee-Projekt sein, auch da könnte ich einen Zugang mit dem Begriff Ghost finden. Er schreibt keine Richtung vor. Er ist interpretierbar, und das fasziniert mich.

Was werden das für weitere Projekte sein? Wird «Ghost» zu einer Art Label?

Wir haben uns als Kollektiv neu gefunden und dabei wahnsinnig viel Seelennahrung erhalten. Wir sind viele Frauen und Männer, die spinnen, die Träume haben, die aber auch eine Professionalität haben in je ihrem eigenen Tätigkeitsfeld. Da sind wir nun regelmässig im Austausch. Die Ideen und Themen sind extrem breit, aber wir wollen die Wertefrage weiterziehen. Für uns ist Solidarität ein Thema, Umverteilung, Inklusion. Auch Fragen wie: Wie kann man die Zukunft antizipieren, auch ökonomisch? Aber mit Werten, mit Anstand. Mit neuen Modellen. Wie kann man die Menschen wirklich einbinden? Das ist der rote Faden. Ein Teil des Ghost Festivals war, als Bewegung spürbar zu werden.

ZVG

FOTO:

«The Ghost Orchestra»,

CD (Erlös zugunsten Surprise), Verkaufsstellen: www.cede.ch und www.biderundtanner.ch. Streaming: www.Ink.site/the-ghost-orchestra

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