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Die Sozialzahl
Privatsache Familie
Wo steht die Schweiz in Sachen Kinderbetreuung? Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF hat eine Studie zur Frage publiziert, welche «reichen» Länder eine familienfreundliche Gesellschaftspolitik verfolgen und wo Familie noch immer eher Privatsache ist. Dazu wurden vier Indikatoren entwickelt, die messen, wie stark Eltern in der Kinderbetreuung im familiären und im familienergänzenden Kontext von der öffentlichen Hand unterstützt werden.
Der erste Indikator erfasst die Zeit, die den Eltern nach der Niederkunft gewährt wird, ohne dass sie einer Erwerbsarbeit nachgehen müssen; es geht um den Mutterschafts-, Vaterschafts- und Elternurlaub. Der zweite Indikator zeigt auf, wie gut Kinder Zugang zu Angeboten der frühen Förderung finden. Ein hoher Quotient wird positiv gewertet. Der dritte Indikator ist der Qualität dieser Angebote gewidmet. Dabei geht es zum einen um das Verhältnis zwischen der Anzahl Betreuungspersonen und der Grösse der Gruppe, für die sie verantwortlich sind; zum anderen um das Ausbildungsniveau, das diese Betreuungspersonen erreichen müssen, um diese anspruchsvolle Aufgabe erfüllen zu können. Der vierte Indikator fragt nach der wirtschaftlichen Tragbarkeit dieser Angebote. Gemessen wird der Anteil der Kosten, welche die Familien selbst tragen müssen, im Verhältnis zu ihrem Haushaltseinkommen.
Die familienfreundlichsten Länder sind Luxemburg, Island und Schweden. Die Schweiz schneidet in diesem internationalen Vergleich nicht gut ab. Der Mutterschaftsurlaub ist kürzer als in vielen Ländern, einen Elternurlaub gibt es nicht. Der neu geschaffene, zweiwöchige Vaterschaftsurlaub wurde in der Studie noch nicht erfasst. Auch bei der Qualität der Angebote hat die Schweiz grosses Verbesserungspotenzial, insbesondere was den Betreuungsquotienten anbelangt. Hinzu kommt, dass die familienergänzenden Angebote noch immer nicht allerorts in genügender Zahl vorhanden sind. Zudem sind die selbst zu tragenden Kosten in vielen Kantonen vor allem für Mittelschichtshaushalte zu hoch.
Die Studie erfasst nur die gesetzlichen Vorgaben auf nationaler Ebene. Damit werden die markanten Unterschiede zwischen den Kantonen ausgeblendet. Diese Relativierung vermag aber den Gesamteindruck nicht grundsätzlich infrage zu stellen.
Die Ausgestaltung des familienergänzenden Angebots in der Schweiz führt dazu, dass der Anteil von Kita-Kindern im Vorschulalter im internationalen Vergleich tief ist. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen dominiert noch immer die politische Haltung, dass sich der Staat nicht in Familienfragen einmischen dürfe. Zum anderen werden Kitas eher als Orte angesehen, wo es mehr ums Hüten denn ums Fördern geht. Wichtig sind deshalb flexible Öffnungszeiten. Zum Dritten zeigt der internationale Vergleich, dass die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nach wie vor zurückhaltend beantwortet wird, ungeachtet der demografischen Entwicklung, die nach einer stärkeren Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen verlangt. Dabei wäre eine gute Balance zwischen Familie und Beruf ist für Kinder, Frauen – und auch Männer – wohl besser, als sich voll dem Job zu verschreiben. Doch das muss man sich leisten können und wollen.
PROF. DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Durchschnittliche Rangpunkte pro Land
Luxemburg Island Schweden Norwegen Deutschland Portugal Lettland Dänemark Südkorea Estland Finnland Litauen Österreich Malta Italien Griechenland Slowenien Belgien Frankreich Spanien Japan Kanada Kroatien Ungarn Chile Bulgarien Polen Niederlande Rumänien Mexiko Israel Tschechien Neuseeland Türkei Grossbritannien Irland Australien Schweiz Zypern USA Slowakei