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Film
Die Chemie des Friedens
Kino Der Dokumentarfilm «Die Pazifistin» begibt sich auf Spurensuche nach der Chemieprofessorin und Friedensaktivistin Gertrud Woker.
TEXT MONIKA BETTSCHEN
Animierte Tauben steigen über dem Thunersee auf und verwandeln sich in ein Geschwader Kampfflugzeuge. Dazu hört man den Inhalt eines Briefes, den die 1878 im Berner Oberland geborene Chemieprofessorin Gertrud Woker an John F.Kennedy schrieb, mit der dringenden Bitte, die nuklearen Testversuche zu verbieten. Derart symbolgeladen beginnt der zum Grossteil in Collagen erzählte Dokumentarfilm «Die Pazifistin» über eine der ersten Professorinnen Europas. Ab 1911 leitete Woker das Institut für physikalisch-chemische Biologie an der Universität Bern. Sie hinterfragte immer wieder den Drang zur Spezialisierung in den Naturwissenschaften. Sie, die der Natur sowohl als Forscherin als auch als Bewunderin gegenübertrat, plädierte für eine ganzheitliche Herangehensweise. Für ihre Pionierarbeit in der Biochemie erhielt sie internationale Anerkennung. Aber für ihr unermüdliches Engagement für den Weltfrieden und die Gleichstellung der Frau wurde sie zunehmend diffamiert – und schliesslich nach ihrem Tod 1968 von der Öffentlichkeit fast vergessen. Immer ihrer tiefen Überzeugung folgend, dass Wissenschaftler*innen Verantwortung tragen für ihre Erkenntnisse, warnte Woker schon früh vor den Gefahren einer Kriegsführung mit chemischen und nuklearen Kampfstoffen und stellte lautstark politische Forderungen. Während des Ersten Weltkriegs schloss sie sich der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit IFFF an. In der Überzeugung, dass die Welt eine friedlichere wäre, wenn Frauen die gleichen Rechte wie Männer besässen, kämpfte sie an vorderster Front für das Frauenstimmrecht. Die Stimmbürger in ihrem Heimatkanton Bern stimmten ihm allerdings erst kurz vor ihrem Lebensende 1968 zu – vorerst auf Gemeindeebene.
Doch die Zeichen standen auf Krieg. Die Naturwissenschaften beugten sich den militärischen und materiellen Interessen. Die Schützengräben füllten sich mit Giftgas. Und im Kalten Krieg hing die Atombombe wie ein Damoklesschwert über der Menschheit.
Tante Trudis geistiges Erbe
Die Welt spielte verrückt und das Archivmaterial, das die beiden Regisseure Fabian Chiquet und Matthias Affolter in einer klug durchdachten Abfolge zeigen, deutet an, dass Woker davon wohl nicht unberührt blieb. Die enormen Anstrengungen, die sie zeitlebens auf sich nehmen musste, um als Frau und Feministin ihren Platz in der Gesellschaft zu behaupten, forderten ihren Tribut, wie Briefe und Tagebucheinträge aus jener Zeit nahelegen. In Wokers Umfeld wurde immer wieder die Vermutung ge-