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Auf dem Weg zur Lesbe
Wie lebt es sich als junge homosexuelle Frau in der Schweiz? Für Hanna Janssen ist klar: Heiraten sollten alle können – auch die, die eigentlich gar nicht wollen.
TEXT MIRIAM SUTER FOTO KLAUS PETRUS
Dass sie lesbisch sein könnte, darauf kam Hanna Janssen nicht einmal dann, als sie im Gymnasium ihre beste Freundin schon nach drei Stunden unsäglich vermisste. Nervös wurde, wenn sie ihr nicht sofort zurückschrieb. Gedanklich fast schon besessen – Hanna sagt dazu «obsessed» – von ihr war. «Fuck», dachte sie dann doch irgendwann, «das kann ich nie jemandem sagen.» Aufgewachsen ist Hanna in einem eher bürgerlichen Umfeld, derart heteronormativ, wie sie heute erzählt, dass Nicht-heterosexuell-Sein gar nicht erst als möglicher Lebensentwurf vorgesehen war. Irgendwann vertraute sie sich aber doch ihrer Mutter an. Die sagte: «Hanna, in dem Fall stehst du also einfach auf Frauen?» Und Hanna dachte sich: Hm, guter Punkt. Ich glaube, ja! Das ist jetzt fünf Jahre her. Heute bezeichnet sich Hanna als ButchLesbe – als Frau, die auf Frauen steht und selber nach heterosexuellen Stereotypen eher maskulin auftritt – und lebt in einer queeren WG in Zürich. Hinter Hanna liegt gefühlt schon jetzt, mit 25 Jahren, ein langer Weg der Selbstentdeckung.
Nach dem Gespräch mit ihrer Mutter schrieb Hanna einem Klassenkameraden: «Gehst du auch zur Pride?» Er ging, und Hanna mit ihm. An ihrem ersten Pride-Festival, einem der grössten Anlässe der LGBT-Community, stand Hanna unangenehm berührt am Rande, vertrat sich die Füsse und ging dann wieder heim. Seit ihrem Outing wurden die Dinge nicht einfacher, im Gegenteil, die Fragen in ihrem Kopf waren so vielfältig wie ein grosser Regenbogen: Wo sind denn die ganzen anderen Gays? Wo ist diese Community zuhause, von der alle sprechen? Wer bin ich nun, wie will ich sein?
Wie für viele junge Queers führte auch für Hanna der Weg zu möglichen Antworten über eine Party, wo sich Gleichgesinnte finden. Nach ihrem wenig mitreissenden Pride-Erlebnis besuchte sie eine «Molke»-Party, die jeweils von der Milchjugend organisiert wird. Der Verein richtet sich an junge Queers in der Schweiz – also an alle, die sich nicht als heterosexuell verstehen. «Du bist gut so, wie du bist», steht auf der Webseite, «mit Dir stimmt alles, denn Du bist ein wundervoller queerer Mensch! Richtig schön falschsexuell!» Hanna war damals 20, «aber eine Party löst ja deine Probleme nicht», erzählt sie heute. Wenn man einmal erlebt hat, wie vielfältig die Community ist, fragt man sich: Wie vielfältig bin eigentlich ich? «Vorher überlegt man sich das ja gar nicht, was man alles sein könnte», sagt Hanna. Labels findet sie deshalb gerade für junge Queers wichtig. Damit sind Bezeichnungen für die sexuelle Orientierung oder Identität gemeint: zum Beispiel bisexuell, asexuell oder homosexuell. Cis bedeutet, sich dem biologischen Geschlecht zugehörig zu fühlen, trans Menschen verspüren das Gegenteil.
Instagram fürs Flirten
Jedoch: Zwei Menschen, die für sich das gleiche Label benutzen, können komplett unterschiedlich sein. Und man braucht die Labels vor allem noch dafür, um die Abweichung von der Norm darzustellen. Hanna absolviert einen Masterstudiengang in Politikwissenschaften und Gender Studies an der Uni Zürich und denkt manchmal über Kosmetikprodukte nach: «Normalerweise ist ja der heterosexuelle Mann die Norm, wenn es um gesellschaftliche Standards geht. Ausser in der Kosmetik: Wenn nicht fett ‹for men› draufsteht, ist ein Produkt für Frauen gedacht. Ähnlich ist es bei LGBT-Labels: Du brauchst eins, um dich von der Heterosexualität abzugrenzen.»
Als Lesbe bezeichnete sie sich aber nicht von Anfang an. Das Wort wurde lange verschmäht, hatte einen schmuddeligen Nachklang, auch in der Community selbst. Für Hanna war aber irgendwann klar, dass sie sich so bezeichnen möchte – allen Vorurteilen zum Trotz. «Das Wort finde ich schön, weil es auch nonbinäre Menschen einschliessen kann und eben nicht nur Frauen», sagt sie. Die Zeit nach ihrem Outing war für sie wie eine zweite Pubertät; die eigenen Lebenszyklen können sich anders anfühlen für Menschen, die von der Gesellschaft nicht als Norm angesehen werden. «Wenn ich erzähle, dass ich als lesbische Frau gesellschaftlich diskriminiert werde, werde ich manchmal gefragt, ob ich denn schon einmal auf der Strasse abgeschlagen wurde. Nein, wurde ich nicht, entschuldige, dass ich dazu keine geile Story liefern kann», sagt Hanna.
Heute ist Hanna im Vorstand der Milchjugend und im Kommunikationsteam des «lila. queer festivals», das der Verein seit 2017 einmal im Jahr organisiert. Die erste Ausgabe fand ausgerechnet im eher konservativen Dörfchen Wittnau im Aargau statt, die Milchjugend verwandelte einen kleinen Fleck des Fricktals in ein glitzerndes Stück Sternenhimmel. Vor fünf Jahren gestand Hanna ihrer damaligen besten Freundin übrigens ihre Liebe – sie blieb unerwidert, die Freundin zog fürs Studium nach St. Gallen, Hanna nach Zürich. Dass daraus nichts wurde, war für Hanna aber nicht schlimm, der Kontakt plätscherte so natürlich auseinander, dass es keinen Grund gab für Herzschmerz. Heute ist Hanna nach einer dreijährigen Beziehung wieder Single. Daten als Lesbe habe so seine Tücken, findet sie. Frauen seien generell etwas schüchterner, und bis eine mal den ersten Schritt mache, könne es ewig dauern. Dating-Apps spezifisch für Frauen nutzt sie nicht, die beste App, um andere Queers kennenzulernen und zu flirten sei sowieso Instagram, erzählt sie lachend.
Es hat sich einiges getan in den letzten zehn Jahren, queer ist für viele Menschen kein Fremdwort mehr, «oder immerhin wissen sicher die meisten Menschen in der Schweiz, dass es nicht nur Heteros gibt. Ob sie es gut finden oder nicht, ist dann nochmal eine andere Frage», führt Hanna aus. Sie sagt aber auch: «Trotzdem, die meisten Leute haben wirklich keine Ahnung.» Gerade wenn es um trans Menschen geht – also alle, die sich ihrem biologischen Geschlecht nicht zugehörig fühlen –, hinke die Schweiz fünfzig Jahre hinterher. Dass diese zuerst mittels aufwendiger und lang-
wieriger Abklärungen beweisen müssen, dass sie trans sind, um eine Hormontherapie zu beginnen, empfindet Hanna als rückständig und diskriminierend.
Gleichzeitig scheint ein Schub durch die Gesellschaft zu gehen: Gerade junge queere Menschen rund um den Globus leben sich auf sozialen Medien wie Instagram oder TikTok viel offener aus als noch vor wenigen Jahren. Queerness ist hip und wird sogar von Konzernriesen wie VW während den EM-Fussballspielen als Werbestrategie eingesetzt. Als pseudopolitisches Statement, nachdem die UEFA LGBT-Flaggen in den Stadien verboten hatte, wie viele kritisieren. Solche Aktionen kommen nicht bei allen gut an, das «pinkwashing» wird von LGBT-Vereinigungen stark kritisiert: Es reicht nicht, sich einmal im Jahr queerfreundlich zu zeigen, nur damit das Unternehmen dadurch fortschrittlich und tolerant wirkt. Denn einer kuscheligen Regenbogen-Anzeige im Fussballstadion steht noch immer die brutale Realität gegenüber: Nicht-heterosexuelle Menschen werden auch in der Schweiz häufiger Opfer von Gewaltangriffen, sie dürfen nicht heiraten oder Kinder adoptieren. Diese Diskussionen flammen wieder neu auf, nachdem von konservativen Parteien das Referendum gegen die «Ehe für alle» ergriffen wurde und das Anliegen nun am 26. September nochmal vors Stimmvolk kommt.
«Es gibt sicher ein Ja»
Der Abstimmung schaut Hanna aber gelassen entgegen: «Das gibt sicher ein Ja, ich kann mir nichts anderes vorstellen. Alles unter 65 Prozent fände ich ein krasses Armutszeugnis für die Schweiz.» Auch, wenn sie selber niemals heiraten will, zumindest nicht aus romantischen Gründen. Was bedeutet die Ehe denn für Hanna? Wie aus der Pistole geschossen antwortet sie: «Die Institution einer bürgerlichen Kleinfamilie, die die Frau zuhause einsperrt», und lacht laut. Durch die Ehe wird die Frau vom Vater an einen anderen Mann übergeben, sehr bürgerlich und antifeministisch findet Hanna das: «Und vor allem nicht zeitgemäss. Aber dass alle heiraten können, wenn sie wollen, ist mega, mega wichtig.» Die Institution Ehe werde noch sicher dreissig Jahre – «oder vielleicht hundert!» – vorherrschen, auch als finanzielle Absicherung für beide involvierten Personen. Sie müsse deshalb für alle Menschen offen sein, nicht bloss für Heterosexuelle.
Doch wenn Hanna träumen dürfte, dann so: «Wir sollten uns als Gesellschaft endlich fragen, wie wir das Zusammenleben anders gestalten könnten, wie wir Verantwortungen aufteilen und was Romantik eigentlich bedeutet.» Romantik und Liebe spielen auch in der aktuellen «Ehe für alle»-Kampagne eine grosse Rolle, hunderte Menschen halten an Demonstrationen Händchen, schmusen und «heiraten» symbolisch in der ganzen Schweiz, um für die Initiative zu werben. Aber Liebe, findet Hanna, habe im Gesetz eigentlich nichts zu suchen: «Es geht nicht darum, ob sich zwei Leute in einer Ehe lieben – sondern es sollen endlich alle Menschen in diesem Land vor dem Gesetz gleichgestellt werden.»