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Verkäufer*innenkolumne
Verkäufer*innenkolumne
Reise nach Somalia
Im August 2021 musste ich nach Mogadischu reisen. Meine Mutter war krank, sie hatte Herzprobleme und es war niemand da, der sich um sie kümmern konnte. Ihr wurde 2019 bei einem Bombenanschlag der linke Arm zerfetzt. Im Spital wurde er oberhalb des Ellbogens amputiert. Ohne Narkose. Sie hat sich aber davon relativ gut erholt. Seit dieser Zeit wohnte mein Sohn bei ihr und half ihr im Haushalt. Doch vor ein paar Monaten wurde er in der Wohnung überfallen. Ihm wurde eine Waffe an den Kopf gehalten und er musste alles hergeben, was er hatte, sogar die Kleider, die er am Leib trug. Sie liessen ihm nur die Unterhosen. Dieses Erlebnis war natürlich schlimm für ihn und er wollte weg. Ich habe ihm Geld geschickt und dafür gesorgt, dass er zu einer Verwandten in die Türkei reisen kann. Seither lebt er dort, meine Mutter ist alleine.
Was blieb mir anderes übrig, als selber nach ihr zu schauen? Ich reiste hin und brachte sie ins Krankenhaus. Früher waren die Krankenhäuser in Somalia nicht schlecht, es herrschten dieselben Hygienebedingungen wie hier in der Schweiz. Diesmal war alles anders. Meiner Mutter wurde der Arm mit ei- nem Stück Schnur abgebunden, die Watte zum Desinfizieren war bereits gebraucht. Ich war schockiert. Zum Glück hat sie sich dort nicht infiziert.
Ein paar Tage später war ich mit einer Motor-Rikscha unterwegs, ich wollte Medikamente holen. Auf dem Heimweg gerieten wir auf einer Kreuzung in eine Strassensperre. Es hatte Bombenalarm gegeben, auf einer Seite stand die Polizei, auf der anderen das Militär und dazwischen die Menschen, die Angst hatten und wegwollten. Plötzlich krachte ein Schuss und der Fahrer meiner Rikscha fiel zu Boden. Ich stieg aus, um nach ihm zu sehen. Ich weiss nicht, ob er getroffen, tot oder verletzt war. In der aufkommenden Panik in der Menge fiel ich ebenfalls hin und die Leute trampelten über mich hinweg. Ich habe gedacht, ich werde totgetreten. Irgendwann konnte ich mich aufrappeln, mit einer Menge schmerzhafter Prellungen, aber ohne gebrochene Knochen.
Inzwischen kümmert sich eine Frau um meine Mutter, hilft ihr im Haushalt. Ich zahle ihren Lohn. Weil ich selber eine behinderte Tochter habe, um die ich mich kümmern muss, kann ich nicht selbst nach Somalia ziehen. Natürlich mache ich mir grosse Sorgen und versuche, meiner Mutter ebenfalls ein Visum für die Türkei zu beschaffen, aber das ist nicht einfach. Am liebsten würde ich sie zu mir in die Schweiz holen. Sie ist 78 Jahre alt und wer weiss, wie lange sie noch lebt. Doch das ist sehr schwierig, weil ich nicht viel verdiene und schon für meine Kinder sorgen muss. Manchmal denke ich, wenn ich meine Arbeit nicht hätte und aus dem Haus käme, würde ich den Verstand verlieren.
Anm. d. Red.: Ausnahmsweise veröffentlichen wir diese Verkäufer*innenkolumne in Absprache mit der Autorin anonym, um die Verfasserin zu schützen.
Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustra tion zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.