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Moumouni
… über Armut als Verbrechen
Meine beste Freundin in der Schule hat mir nicht erzählt, dass ihre alleinerziehende Mutter Sozialhilfe bezog. Über Sozialhilfebeziehende habe ich stattdessen im deutschen Fernsehen etwas erfahren. Die Parodie der Armut im Fernsehen – die Schmarotzer in den «Reality»-TV- Sendungen sind immer alle selber schuld, faul und asozial. So können wir uns etwas auf unsere Steuern und unseren Wohlfahrtsstaat einbilden.
Die, die angeblich dem Staat schaden, trugen in diesen Geschichten immer Anzug: Jogginganzug. Und Karl Lagerfeld lieferte seinen Spruch dazu, dass das eben diejenigen seien, welche die Kontrolle über ihr Leben verloren hätten. Ich habe schon mehr Monologe darüber gehört, «warum hier niemand auf der Strasse leben muss», als sinnvolle Analysen dazu, warum eben doch Menschen auf der Strasse leben. Die, die arm sind, dürfen keine grossen Fernseher haben, schon gar kein Auto, sie sollten am besten nicht rauchen, weil Zigaretten teuer sind. Und denen, die Münzen wollten, wird am besten noch ein Spruch reingedrückt, dass sie ihr Geld nicht für Drogen ausgeben sollen. Reiche dürfen grossbildfernsehen, autofahren und Drogen nehmen. Die, die Kinder haben, haben zu viele Kinder. Nur Reiche dürfen ihre Kinder verwahrlosen lassen. Die sogenannte Dritte Welt soll uns nicht überbevölkern – wegen des Klimas und ihres eigenen Wohls –, nur dann hätten sie ein Recht darauf, so viel Treibhausgase wie wir in die Atmosphäre zu ballern.
Die, die Geld haben, haben natürlich selbst dafür gearbeitet, mit eiserner Disziplin und Bewunderung für Elon Musk, ausserdem werden sie zweieinhalb Häuser erben – und wer Umverteilung will, ist nur neidisch.
Ich habe mich gefragt, was die wohl präsenteste Anti-Armut-Propaganda ist, der ich ausgesetzt war und bin. Natürlich sind obige Statements überspitzt – aber auch die Schere zwischen Arm und Reich ist ziemlich spitz. Und viel mehr noch: Die Konsequenzen des Armenhasses in unserer Gesellschaft sind einschneidend. Die Mutter einer Freundin von mir zum Beispiel soll ausgeschafft werden, weil sie Schulden hat und Sozialhilfe bezogen hat. Das zuständige Migrationsamt argumentiert mit einem Verstoss gegen die «öffentliche Sicherheit und Ordnung» und findet, es gäbe keine Elemente, die die Ausweisung unzumutbar machten. Die 54-jährige Mutter von hier lebenden Kindern soll alleine in ein Land abgeschoben werden, in dem sie weder Lebensmittelpunkt noch -grundlage hat, weil sie seit 26 Jahren hier lebt. Alles, was sie verbrochen hat, ist, nach einer Trennung und langer Krankheit in eine finanzielle Notlage zu kommen.
Einwohner*innen ohne Schweizerpass können ausgewiesen werden, wenn sie in eine finanziell missliche Lage kommen und ihr Recht auf Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Seit einer Änderung im Ausländer- und Integrationsgesetz von 2019 auch, wenn sie seit vielen Jahren hier leben. Eiskalt. Das geht nur in einer Demokratie, in der man das Stimmvolk glauben macht, dass Armut ein Vergehen an den Reichen ist. Wo in jedem sozialen Zugeständnis, wie zum Beispiel Sozialhilfe, der Vorwurf des Schmarotzertums mitschwingt. Wo die Scham der finanziell Schwachen grösser ist als die Scham derer, die sich selbstverständlich moralisch über sie stellen.
Aber Armut ist kein Verbrechen.
FATIMA MOUMOUNI
unterstützt die Basler Künstlerin Anouchka Gwen, die gerade gegen die Ausschaffung ihrer Mutter kämpft und alle, die gerade in einer ähnlichen Situation stecken.