Surprise 558 / 23

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Strassenmagazin Nr. 558 8. bis 21. September 2023

CHF 8.–

davon gehen CHF 4.– an die Verkäufer*innen

Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufer*innen mit offiziellem Verkaufspass

n h o L r h e M is e r = Neuer P

Migration

Aus Barmherzigkeit Eugenia Radkiewicz und ihr Dorf im Osten Polens Pollens kümmern sich seit zwei Jahren um verstorbene Geflüchtete. Seite 12


JEDEN FRANKEN WERT. Das Strassenmagazin Surprise für CHF 8.– Menschen in prekären Verhältnissen leiden gerade besonders unter steigenden Preisen. Surprise reagiert und erhöht am 8. September erstmals seit 14 Jahren den Heftpreis um zwei Franken. Die Verkäufer*innen erhalten so einen Franken mehr Lohn pro Heft, um ihre gestiegenen Lebenskosten zu decken. Auch Surprise erhält einen Franken mehr, um höhere Produktionspreise und nötige Investitionen zu finanzieren. Haben Sie Fragen?

Lesen Sie mehr auf surprise.ngo/heftpreis oder kontaktieren Sie uns unter info@surprise.ngo | 061 564 90 90 Surprise | Münzgasse 16 | 4051 Basel | www.surprise.ngo


TITELBILD: MACIEJ MOSKWA

Editorial

Wir wollen was bewegen Immer wieder sprechen uns Menschen auf den Namen unseres Strassenmagazins an: «Surprise!» Tatsächlich wollen wir Sie, liebe Leser*innen, mit unserer Berichterstattung überraschen: mit Geschichten nah an den Menschen. Und mit einem Schwerpunkt auf Themen, die anderswo eher als Randnotizen vorkommen. Dabei richten wir uns daran aus, was die Welt derer prägt, die Surprise verkaufen. Das sind sehr unterschiedliche Menschen, die nicht viel zu einer Gruppe eint, ausser dass sie angewiesen sind auf einen Zuverdienst, auf Tagesstruktur, eine Anlaufstelle, Zugehörigkeit und einen Ort, an dem man sie annimmt, wie sie sind, und ihnen weiterhilft. Wir orientieren uns an diesen vielfältigen Lebenswelten und berichten darüber. Nicht immer direkt: Manchmal steht eine Reportage über das Thema Flucht, wie die von der Migrationsroute im Osten Polens ab Seite 12, für uns als Hinweis darauf, wie viele unserer Verkaufenden ähnlich bedrohliche Situationen durchgestanden haben. Ein Einblick in die Gewalt,

der viele ausgesetzt waren. Und Gewalt in unserer Gesellschaft nimmt ganz verschiedene Formen an, das können rassistische Beleidigungen oder Bemerkungen sein wie in der Pflegebranche, ab Seite 8, oder auch physische Übergriffe wie bei der Sexarbeit, ab Seite 20. Je prekärer die Menschen leben, desto abhängiger sind sie von anderen, von Menschen oder Institutionen, und haben häufig auch weniger Chancen, sich zur Wehr zu setzen. Da wir Redaktor*innen und Mitarbeitende an diesem Magazin davon überzeugt sind, dass es ganz grundsätzlich nicht ok ist, wenn Menschen derart benachteiligt, ausgeschlossen oder ausgeliefert werden, weisen wir mit unserer Berichterstattung auf die Strukturen hin, die wir ändern könnten – als Gesellschaft –, damit eine Einrichtung wie ein Strassenmagazin im Idealfall irgendwann überflüssig wird, weil es allen gut genug geht. Machen Sie mit! SAR A WINTER SAYILIR

Redaktorin

4 Aufgelesen 4 Recherchefonds

Nächste Runde: Jetzt bewerben!

7 Die Sozialzahl

Bargeldlose Gesellschaft

12 Migration

Drama an der polnisch-belarussischen Grenze

8 Rassismus 20 Sexarbeit

5 Fokus Surprise

Fairer Preis für alle 6 Verkäufer*innenkolumne

Abschied von Ruedi Kälin

Surprise 558/23

Wenn Patient*innen schimpfen

27 Tour de Suisse

Pörtner am Europaplatz, Bern 28 SurPlus Positive Firmen

Gewaltsame Übergriffe 24 Theater

Menschenrechte als Bühnenprozess

29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren 30 Surprise-Nachruf

26 Veranstaltungen

Ruedi Kälin

3


Aufgelesen

FOTO: MARIJA ARIJA KANIŽAJ

News aus den über 90 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Recherchefonds

Nächste Runde: Jetzt bewerben! Unabhängig, kritisch und mit unverkennbarer Stimme – so berichtet Surprise seit Jahrzehnten über Armut, Ausgrenzung, Obdachlosigkeit und Migration. Die Themen sind von hoher gesellschaftlicher Relevanz in Zeiten sozialer Umbrüche, Krisen und Kriege, und sie werden zunehmend komplexer. Vieles liegt im Dunkeln, manches wird vertuscht oder totgeschwiegen. Mit dem von uns im letzten Herbst lancierten Recherchefonds möchten wir die grossen Geschichten zu diesen relevanten Themen in unserem Magazin fördern – vorzugsweise mit Bezug zur Schweiz, in jedem Fall aber nahe an und mit den Betroffenen. Er unterstützt Journalist*innen mit finanziellen Beiträgen bis maximal CHF 3000. Dabei obliegt es den Bewerber*innen, welches Format angestrebt wird: Serien, grosse Artikel, Fotoessays, Reportagen, Mischformen – wir sind für alles offen, solange uns das Thema und die Herangehensweise überzeugt. Modisches Plastik Es ist ein Versuch, Plastikmüll wieder in etwas Sinnvolles umzuwandeln: Einen Monat lang haben die Designer*innen Bettina Reichl, Irma Denk, Xiane Kangela und Steffen Pirkl zusammen mit rund 40 Auszubildenden der Schneiderwerkstatt der One World Foundation auf Sri Lanka Laufstegmode aus Abfall entworfen. Das Projekt soll auf die Auswirkungen von Fast Fashion und Wegwerf-Mentalität hinweisen. Dokumentiert hat es die Fotografin Marija Kanižaj.

Neue Anträge können bis zum 15. Oktober 2023 eingereicht werden Weitere Informationen zum Surprise Recherchefonds finden sich unter surprise.ngo/recherchefonds

MEGAPHON, GRAZ

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r Lo h

Fokus Surprise p

Fairer Preis für alle Endlich bekommen unsere Verkäufer*innen eine Lohnerhöhung. Diese ist längst überfällig: 14 Jahre lang gab es unser Magazin für 6 Franken. Ab sofort ist ein neuer Preis gültig, Sie werden es beim Kauf bereits gemerkt haben: Surprise kostet neu 2 Franken mehr. Der Verkaufspreis wird – wie bisher – hälftig zwischen Verkäufer*innen und Surprise aufgeteilt. Wir sind überzeugt: Surprise ist jeden Franken wert. Warum, das möchten wir Ihnen hier gern erläutern. Der Verein Surprise ist kein gewöhnlicher Zeitschriftenverlag; Surprise ist ein Unternehmen mit einem sozialem Zweck. Unsere Verkäufer*innen haben sehr unterschiedliche Gründe, warum sie das Strassenmagazin anbieten, sie alle aber vereint, dass sie von Armut betroffen sind. Die Teuerung ist für sie ein grosses Problem: Sie müssen sowieso schon jeden Franken zweimal umdrehen, und wenn nun wie in den letzten zwei Jahren Inflation sowie steigende Miet- und Krankenkassenkosten zusammenkommen, spitzt sich die Geldnot noch weiter zu und stellt viele vor existenzielle Probleme. Auch unser gemeinnütziger Verein Surprise verzeichnet einen Anstieg der Betriebskosten, und auch diese müssen kompensiert werden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Bei einer halben Million verkauften «Surprise»-Hefte pro Jahr sind die gestiegenen Papier- und Transportkosten schnell spürbar. In der Folge kommen wir nicht umhin, den Preis für unser Produkt zu erhöhen, um den Teuerungsausgleich zu leisten sowie die höheren Produktionskosten zu decken. Ein Produkt im Übrigen, das wir über die Jahre hinweg qualitativ stetig verbessert haben. So haben wir mit der für Editorial Design renommierten Grafikagentur Bodara das Magazin komplett neu aufgesetzt und redaktionelle Prozesse überarbeitet. Auch haben wir einen monatlichen Podcast mit Radiomacher Simon Berginz initiiert, der hinter die Kulissen der journalistischen Arbeit schaut. Schliesslich sind neue Formate wie Serien und investigative Recherchen nun fester Teil unseres Surprise 558/23

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FOTO: RUBEN HOLLINGER

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Ein gutes Produkt verdient einen fairen Preis: Co-Geschäftsleiterinnen Nicole Amacher und Jannice Vierkötter stehen hinter dem Surprise für 8 Franken.

Magazins, dafür haben wir einen Recherchefonds zur Finanzierung gebildet – um nur einige Weiterentwicklungen zu nennen. Surprise möchte damit sozial engagierten, kritischen Journalismus in der Schweiz vorantreiben. Und das ist 2 Franken mehr wert, davon sind wir überzeugt. Aber auch anderweitig stellen die steigenden Betriebskosten für Surprise eine grosse Herausforderung dar. Neben dem Heftverkauf unterstützen wir viele Verkäufer*innen auch mit persönlicher Beratung und Begleitung. Dies ist für sie eine wichtige Ergänzung zur Möglichkeit, sich mit dem Magazinverkauf ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften, und schafft zusätzlich Entlastung in schwierigen Lebenssituationen. Um diese niederschwellige Sozialarbeit mit den Verkäufer*innen leisten zu können, brauchen wir weitere finanzielle Mittel. Dabei geht es auch um künftige Investitionen; schliesslich werden aktuell durch die Teuerung noch mehr Menschen an oder unter die Armutsgrenze gedrängt, sodass unsere Sozialarbeiter*innen so ausgelastet sind wie noch nie. Natürlich, und dessen sind wir uns bewusst: Eine Preisänderung des Strassenmagazins bedeutet für die Verkäufer*innen auch Unsicherheit. Sie fragen sich: Wie reagieren meine Kund*innen darauf? Verkaufe ich weniger an Gelegenheitskäufer*innen? Verstehen die Stammkund*innen,

dass das Heft nun teurer ist? Bleibt der Absatz gleich und erhöht sich mein Lohn wirklich spürbar? Wir können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht alle diese Fragen beantworten. Wir glauben aber, dass wir das Richtige tun. Und wir sind voller Zuversicht, dass Sie, liebe Leser*innen, unsere Entscheidung mittragen, die Gründe einsehen und Ihre Surprise-Verkäufer*innen auch weiterhin unterstützen werden. Für Ihre Treue bedanken wir uns ganz herzlich und wünschen Ihnen weiterhin tolle Begegnungen mit unseren Verkäufer*innen auf der Strasse, viel Spass und eine spannende Lektüre. JANNICE VIERKÖT TER UND NICOLE AMACHER,

Co-Geschäftsleiterinnen Surprise

Neuer Heftpreis: Podcaster Simon Berginz spricht im SurpriseTalk mit Co-Geschäftsleiterin Jannice Vierkötter über den Teuerungsausgleich auf: surprise.ngo/talk

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ILLUSTRATION: EVELIINA MARTY

Verkäufer*innenkolumne

Abschied von Ruedi Kälin Ich wusste schon lange, dass es Ruedi gesundheitlich sehr schlecht ging. Ich sprach ihn immer wieder am Donnerstag bei der Heftausgabe darauf an: «Ruedi», sagte ich, «schau zu dir, du solltest noch mindestens 25 Jahre unter uns bleiben.» An einem dieser Donnerstage sagte mir Christian vom Vertrieb in Zürich, dass Ruedi nicht ins SurpriseBüro gekommen sei und sich auch nicht melde am Telefon. Ich bot an, zusammen mit Heini Hassler – auch er SurpriseVerkäufer und Ruedis engster Freund – an seinen Wohnort nach Chur zu fahren, um zu sehen, was los sei. Wir kamen um 15 Uhr dort an, die Wohnungstür war nicht abgeschlossen. Wir fanden Ruedi auf dem Sofa liegend, er sah gar nicht gut aus. «Komm Ruedi, wir bringen dich ins Kantonsspital. Ist es die Hitze, die du nicht verträgst?», fragte ich. Das sei so, es werde dann schon wieder besser, ant6

wortete er. Ins Spital wollte er partout nicht. Wir gingen dann noch für ihn einkaufen. Darum hatte er uns gebeten. Wir fragten, was mit seinem Telefon los sei, warum er nicht rangehe, und Ruedi sagte, er habe den Code vergessen, um es wieder freizuschalten, eine gute Freundin habe den Code. Ich machte ihre Nummer ausfindig und schrieb ihr, ob sie mir nicht seinen Handy-Code schicken könne, was sie auch tat. Am nächsten Tag, am Freitag, fuhr Heini erneut zu Ruedi. Er fand die Wohnungstür verschlossen, Heini rief nach Ruedi, bekam aber keine Antwort. Er rief mich an. Ich sagte, er solle am Montag wieder vorbeigehen. Er ging aber schon am Sonntag, und tatsächlich konnte er da mit Ruedi zum Kaffee abmachen. Auf Mittwoch, 19. Juli, im Zentrum von Chur. Ruedi erschien allerdings nicht mehr. Auch sein Handy blieb unerreichbar. Kurze Zeit später rief Heini mich an und sagte, Ruedi liege tot in der Wohnung. Heini war verzweifelt und ging dann zur Polizei. Er sagt, das Bild gehe ihm heute noch nach.

Am 20. September wäre Ruedi 65 geworden, 22 Jahre war er bei Surprise. Wir haben oft zusammen das Magazin verkauft, und er hat anderen Verkäufer*innen immer Tipps gegeben, welche Plätze zu welchen Zeiten gut laufen. Ruedis letzter Wunsch war, dass seine Asche rund um den Stein am Davoser See verstreut werde, auf dem er so gerne sass, wenn er zu sich finden wollte. Ich denke viel an ihn. Ruedi war ein wichtiger Mensch. Für mich und für Surprise. HANS RHYNER, verkauft Surprise in Zug und Schaffhausen und macht soziale Stadtrundgänge in Zürich. Er kannte Ruedi Kälin seit etwa 20 Jahren. Über seinen Tod zu schreiben, war ihm ein Bedürfnis. Aber es fiel ihm nicht leicht.

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration. Einen weiteren Nachruf auf Ruedi Kälin finden Sie auf Seite 30.

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INFOGRAFIK: BODARA ; QUELLE: DER BUNDESRAT (2022): DIE AKZEPTANZ VON BARGELD IN DER SCHWEIZ. BERN. SCHWEIZERISCHE NATIONALBANK (2020 UND 2022): ZAHLUNGSMITTELUMFRAGE BEI PRIVATPERSONEN IN DER SCHWEIZ. ZÜRICH.

Die Sozialzahl

etwa für Geldwäscherei genutzt wird, darf hier nicht verschwiegen werden. Nicht zuletzt ermöglicht Bargeld auch die finanzielle Teilhabe am Sozial- und Wirtschaftsleben von Personen ohne Bankkonto oder Zugang zu bargeldlosen Zahlungsmitteln. Dies trifft nicht nur auf Kinder und Jugendliche zu, sondern auch auf viele Menschen in prekären Lebenslagen.

Bargeldlose Gesellscha Der Gebrauch von Bargeld geht in der Schweiz kontinuierlich zurück. Zwar zeigt eine Befragung im Auftrag der Schweizerischen Nationalbank, dass im Jahr 2022 noch bei 36 Prozent aller finanziellen Transaktionen zu Münzen und Noten gegriffen wird. Damit bleibt Bargeld das am häufigsten benutzte Zahlungsmittel, wenn es um alltägliche Zahlungen im Detailhandel, in der Gastronomie oder bei Freizeitanlässen geht. 2020 lag der Anteil der mit Bargeld beglichenen Transaktionen bei 43 Prozent und 2017 sogar noch bei 70 Prozent. Hingegen blieben die Anteile bei der Nutzung von Debit- und Kreditkarten in den letzten Jahren stabil bei rund 33 bzw. 13 Prozent. Eine neue Entwicklung bei den Zahlungsmitteln stellen allerdings Bezahl-Apps wie Twint dar. Diese werden von der Bevölkerung in rasch wachsendem Ausmass genutzt. Lag deren Anteil 2020 noch bei 5 Prozent, ist er heute mit 11 Prozent mehr als doppelt so hoch. Auch in der Schweiz gibt es also einen Trend hin zur bargeldlosen Gesellschaft. Trotzdem möchte fast die ganze Bevölkerung weiterhin die Möglichkeit haben, zwischen Bargeld und bargeldlosen Zahlungsmitteln wählen zu können. Und das aus guten Gründen. Bargeld hat nicht nur einen individuellen Nutzen, weil es einfach zu gebrauchen ist und die Unabhängigkeit von digitalen Zahlungsmitteln gewährleistet. Bargeld stiftet auch einen gesellschaftlichen Nutzen. Es übt eine Überbrückungsfunktion aus, wenn es zu Ausfällen im elektronischen Zahlungsverkehr kommt. Bargeld schützt auch die finanzielle Privatsphäre, weil Zahlungen mit Bargeld (fast) nirgends erfasst werden. Dass dies auch für kriminelle Machenschaften,

Ob der Weg zu einer bargeldlosen Gesellschaft auch dazu führt, dass das individuelle Überschuldungsrisiko zunimmt, ist umstritten. Dafür spricht, dass bargeldloses Zahlen inzwischen mit der Kontaktlosfunktion (Zahlung ohne Angabe des PIN) sehr leicht gemacht wird und man dabei rasch den Überblick verliert. Dagegen spricht, dass bargeldlose Zahlungen regelmässig dokumentiert werden, was bei Transaktionen mit Bargeld nicht der Fall ist. Zudem erlauben Debitkarten wie zum Beispiel die PostFinance Card, bei denen es durch die sofortige Verbuchung kaum zu Überzügen kommt, eine Art von Selbstbeschränkung, die für eine gewisse Budgetdisziplin sorgt. Ein vom Parlament überwiesenes Postulat der Nationalrätin Priska Birrer-Heimo verlangte die Prüfung einer zwingenden Bargeldannahmepflicht. In seiner Antwort lehnte der Bundesrat im Herbst 2022 eine solche Einschränkung der Vertragsfreiheit ab, will aber das Geschehen in der Finanzwirtschaft im Auge behalten. Er hat das Finanzdepartement beauftragt, regelmässig über das Zahlungsverhalten der Bevölkerung Bericht zu erstatten.

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Anteil der Zahlungsmittel an allen Transaktionen (in %) Bargeld

Debitkarten

Kreditkarten

Bezahl-App

Andere Zahlungsmittel

2017

70 %

22 %

5% 3%

2020

43 %

33 %

13 %

5% 6%

2022

36 % Surprise 558/23

33 %

13 %

11 %

7%

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Die eine kämp , die andere nicht. Rassismus Drei Pflegefachpersonen erzählen, wie sie mit Diskriminierung am Arbeitsplatz

umgehen. Eine zeigte eine Patientin an, zwei wehrten sich und wurden entlassen. TEXT LEA STUBER


In diesem Text werden rassistische Beleidigungen teils wörtlich beschrieben, um das Erlebte adäquat abbilden zu können. Fünf Monate hatte Charlotte Ngusa, die den überwiegenden Teil ihres Lebens in der Schweiz lebt und den Schweizer Pass hat, bei einem ambulanten Pflegedienst gearbeitet, dann erhielt sie Ende November 2022 die Kündigung. In der Begründung, die Surprise vorliegt, schreibt der Mitarbeiter von den Human-Resources (HR): «Wir sind der Ansicht, dass es für dich und uns besser ist, wenn wir uns trennen, denn deine fehlende Bereitschaft zum offenen Dialog und zur gemeinsamen Lösungsfindung verunmöglicht uns, das Arbeits- und Vertrauensverhältnis mit dir weiterzuführen.» Ngusa hatte sich dagegen gewehrt, bei zwei Patienten eingeteilt zu werden, von denen der ambulante Pflegedienst wusste, dass sie sich rassistisch äusserten. Das führte zum Konflikt mit dem Arbeitgeber. Auch Isabel Deavila und Tanuja Selvanathan arbeiten in der Pflege, die drei Frauen kennen sich nicht, haben aber alle an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen Rassismus erlebt – mit Bezug auf ihre Hautfarbe, ihr Aussehen, die Sprache oder ihren Namen. Isabel Deavila spricht Standarddeutsch, die anderen sprechen Schweizer Dialekte. Alle möchten anonym bleiben, um bei der Arbeit keine Probleme zu bekommen. Ihre Erlebnisse haben sie uns selbst erzählt, unabhängige Zeug*innen gibt es nur in einem Fall. Eine Verifizierung des Vorgefallenen ist deshalb schwer – auch weil Pflegende häufig allein mit ihren Patient*innen sind. Die Ähnlichkeit der Erzählungen der drei Frauen ist auffällig, auch wenn sich der Umgang mit dem Erlebten sowohl vonseiten der Institutionen als auch der Individuen unterscheidet. Grundsätzlich gilt: Selbst wenn eine Aussage «nicht böse gemeint» ist, kann sie verletzend und rassistisch sein. In der Grundlagenstudie zu strukturellem Rassismus in der Schweiz, herausgegeben von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung, heisst es: Rassistische Diskriminierung setzt keine explizit rassistische Ideologie oder Absicht einer Person oder Institution voraus, im Fokus stehen die Wahrnehmung und die Folgen für die Betroffenen.

Über die Jahre eine dicke Haut bekommen Charlotte Ngusa, 27, ist Berufsbildnerin und arbeitet in der Pflege. Sie sagt: «Neulich sagte ich zu einem Patienten, dass ich es nicht nett finde, wenn er mich anschreit. Er meinte daraufhin: Er sei nie ‹nicht nett› gewesen; wenn ich die Definition von ‹nett› nicht verstünde und offensichtlich kein Deutsch beherrsche, dann könne er mir ein Wörterbuch holen.»

Im Folgenden erzählt Ngusa von Erfahrungen aus einem ehemaligen Arbeitsverhältnis, möchte aber keine weitere Konfrontation mit dem Arbeitgeber riskieren, weshalb wir es zu ihrem Schutz bei ihrer Sicht der Dinge belassen. Als Ngusa damals ihre Stelle beim ambulanten PflegeSurprise 558/23

dienst antrat, erfuhr sie von einer Kollegin, dass zwei Kunden (wie die Patient*innen genannt werden) gewisse Pflegende rassistisch beleidigen würden. Eines Tages war Ngusa am Vormittag bei dem einen und am Nachmittag beim anderen eingeteilt. Sie bat die Leiterin, abtauschen zu dürfen. Die Leiterin liess sie trotzdem hingehen. Falls die Kunden Schwierigkeiten machen, könne sie den Einsatz ja abbrechen. Zu allen Kund*innen werden Falldossiers geführt, in die sich die Pflegenden vor ihrem Einsatz einlesen, damit sie wissen, was sie tun müssen. Wenn Ngusa in komplizierten Fällen offene Fragen hatte, bat sie die Kund*innen um Mithilfe. Das tat sie auch an diesem Tag. Daraufhin beschimpfte der erste Kunde sie mit dem N-Wort und warf ihr vor, wegen ihrer Hautfarbe inkompetent zu sein. Sie brach den Einsatz aber nicht ab, sondern erledigte Aufgabe um Aufgabe. «Wer lässt jemanden, der chronisch krank ist, einfach liegen? Ich versuche, sie zu verstehen, und drücke ein Auge zu. Über die Jahre habe ich eine dicke Haut bekommen.» Am Nachmittag dann brachte Ngusa dem zweiten, bereits als ausfällig bekannten Kunden nicht genau das vom Einkaufen mit, was er sich gewünscht hatte. Dieser schrie sie an, beleidigte sie mit rassistischen Tiervergleichen und negativ konnotierten Herkunftszuschreibungen und sagte, dass sie nichts wert sei. Es ist nur schwer nachvollziehbar, warum Ngusa den Einsatz auch hier nicht abbrach. Sie selbst begründet dies mit ihrem Verantwortungsgefühl gegenüber den Pflegebedürftigen. Beim Essen später im Büro mit dem Team wurde Ngusa von der Einsatzplanerin gefragt, ob dieser Kunde auch zu ihr – wie schon bei anderen Pflegenden – rassistisch gewesen sei. Hier nun traute sich Ngusa ihrer Erzählung nach, offen Kritik vorzubringen: Sie verstehe nicht, warum ausgerechnet Schwarze Pflegende bei ihm eingeplant würden, wenn man doch wisse, dass er diese rassistisch beschimpfe. Die Planung sei kein Wunschkonzert, entgegnete die Einsatzplanerin. Einige Zeit später sprach Ngusa das Thema noch einmal bei einem Gespräch mit ihrer Vorgesetzten und einem HR-Mitarbeiter an und wünschte sich, dass die Mitarbeitenden bezüglich Rassismus sensibilisiert würden. Ngusa sagt, man habe ihr vorgeschlagen, sich doch selbst um die Sensibilisierung der Mitarbeitenden zu kümmern. «Schliesslich warfen sie mir vor, dass es mit mir anstrengend sei, dass ich mühsam und kompliziert sei – ein Standardvorwurf gegenüber Schwarzen Menschen, die sich für ihre Rechte einsetzen.» Weil das Gespräch nicht protokolliert wurde, verfasste Ngusa selber ein Protokoll und bat ihre Gesprächspartner*innen, es zu unterschreiben. Daraufhin luden diese Ngusa zu einem weiteren Gespräch ein und entliessen sie. Gesetzt den Fall, es ist so abgelaufen, wie Ngusa schildert, wäre dies eine erstaunliche Art, mit Mitarbeitenden umzugehen. Wie alle Arbeitgeber ist der ambulante Pflegedienst nämlich verpflichtet, die Mitarbeitenden vor Diskriminierung zu schützen; das gibt die Fürsorgepflicht vor (Art. 328 Obligationenrecht OR, Art. 6 Arbeitsgesetz). Auch gehört es zu den üblichen Aufgaben des HR, die Mitarbeitenden zu sensibilisieren. Zu beweisen, dass Ngusas Kündigung darauf zurückgeht, dass sie sich für ihre 9


Rechte eingesetzt hat, und dass die Kündigung damit missbräuchlich ist (Art. 336 OR), ist schwierig (siehe Surprise 550/23). Der ambulante Pflegedienst begründet die Kündigung mit «dem sachlich zureichenden Grund des unbefriedigenden Verhaltens». Eine lokale Anlaufstelle für Rassismus empfahl Ngusa, bei der Schlichtungsbehörde Klage einzureichen. Tatsächlich haben Ngusa und der ambulante Pflegedienst mittlerweile eine Einigung erreicht.

Sich mit Unterstützung einer Anwältin wehren Isabel Deavila, 57, Fachfrau Betreuung, sagt: «Ich fühle mich schuldig, nicht die Kraft gehabt zu haben, bis zum Schluss zu kämpfen. Wenn ich vor Gericht gegangen wäre, hätte das auch anderen geholfen.»

Nach ihrer Entlassung von einem Arbeitsplatz in einem Wohnheim im Juni 2019 fand Deavila eine neue Stelle in einem Altersheim. Die Kisten mit den Unterlagen von damals aus dem Keller zu holen habe sie Energie gekostet, sagt Deavila. Die Aktennotizen von Gesprächen mit ihren Vorgesetzten, der Brief ihrer Rechtsschutzversicherung, der Bericht der Krankenkasse, die Kündigung. «Als ich nicht mehr in der Reinigung arbeitete, dachte ich, dass es als Fachfrau einfacher würde. Doch dann hatte ich das Gefühl, immer besonders zeigen zu müssen, dass ich meine Arbeit gut mache, und das Doppelte geben zu müssen.» Ihr ist es wichtig zu betonen, dass sie als Erwachsene noch die Ausbildung zur Fachfrau Betreuung gemacht hat. Als Deavila bereits bald zwei Jahre in dem Wohnheim für Menschen mit einer geistigen Behinderung arbeitete, beschrieb ihre Vorgesetzte in einer Standortbestimmung ihre Arbeitsweise erstmals und für Deavila überraschend als «chaotisch, hektisch und unübersichtlich». Aus den Dokumenten ist nicht ersichtlich, was die Gründe dafür waren. Sie erkundigte sich, was an ihrer Arbeit chaotisch sei und was sie verbessern könne, bekam jedoch keine Antwort. «Meine Vorgesetzten zweifelten daran, dass ich sprachlich verstünde, worum es geht, und dass ich mir Überlegungen dazu machen kann. Ich war machtlos. Wer kein Schweizerdeutsch beherrscht, scheint mir besonders angreifbar.» Die Bewohner*innen, behaupteten ihre Vorgesetzten, würden Deavila manchmal nicht verstehen. Deavila erinnert sich an eine Bewohnerin, bei der sie dies auch sagten. Bei einem Abendessen fragte sie die Bewohnerin, ob das stimme. Sie fände ihre Betonung seltsam, doch die Worte verstehe sie, sagte die Bewohnerin. Deavila bot ihr an, dass sie auch einer anderen Mitarbeiterin zugewiesen werden könne. Doch sie wollte bei Deavila bleiben. Bei ihrer Arbeit vergewisserte sich Deavila jeweils, ob die Bewohner*innen sie verstanden haben. Wenn nicht, versuchte sie es nochmals zu erklären. Nach einer Abendschicht schrieb die Vorgesetzte Deavila eine E-Mail, die Küche sei nicht sauber hinterlassen worden. «Die Nachricht richtete sie nur an mich, obwohl 10

ich mit einer Kollegin zu zweit Schicht gehabt hatte. Das Misstrauen frustrierte und verunsicherte mich zunehmend.» Weil sich solche Beschwerden häuften und Deavila sich mittlerweile gemobbt fühlte – ihre Vorgesetzten kontrollierten beispielsweise nur bei ihr, ob sie den Bewohner*innen die Zähne richtig putzte –, wandte sie sich an ihre Rechtsschutzversicherung. Wenig später wurde sie teilweise krankgeschrieben. Sie hatte Schlafstörungen, Bauchschmerzen, Schwindel, Motivationsmangel, Angst, Konzentrationsschwierigkeiten und ein leidendes Selbstwertgefühl, notierte ihre Krankenkasse. Ab da besuchte sie alle zwei Wochen eine Psychotherapeutin, zu der sie bis heute geht. Als Deavila auf Vorschlag ihrer Vorgesetzten auf eine andere Wohngruppe wechselte, fürchtete sie, das Mobbing würde weitergehen. In einem Brief an das HR hielt Deavilas Rechtsschutzversicherung fest, mit dem pauschalen Vorwurf von Leistungs- und Verhaltensmängeln nicht einverstanden zu sein, und erinnerte das HR an die Fürsorgepflicht. Bei einem weiteren Gespräch war auch Deavilas Case Managerin von der Krankenkasse dabei – die Anwältin von der Rechtsschutzversicherung hatte ihr empfohlen, nur noch in Begleitung an Mitarbeiterinnengespräche zu gehen. Beim nächsten Termin war die Case Managerin jedoch verhindert. «Ich war so müde von der Situation und ging schliesslich alleine hin, obwohl ich wusste: Ohne Zeugin würden sie sich nicht zurückhalten. Die Abteilungsleiterin schikanierte mich, sie fragte, warum ich keine Notizen dabeihabe, und sprach mir ab, eine Fachfrau zu sein.» Zwei Tage später erhielt Deavila die Kündigung. Mit der Anwältin überlegte sie, rechtlich dagegen vorzugehen, doch für einen langen Prozess fehlte ihr die Energie. Stattdessen entschied sie sich dazu, ein Schlichtungsangebot mit Schweigeklausel anzunehmen.

Anzeige gegen eine Patientin einreichen Tanuja Selvanathan, 52, Fachfrau Gesundheit und Berufsbildnerin, sagt: «Als ich einem Patienten in seinem Spitalzimmer half, ein Joghurt zu essen, fragte er mich, ob ich zum Küchenpersonal gehöre – obwohl auf der Station nur Leute aus der Pflege und Ärzt*innen arbeiten. Das tut weh. Ich werde auch gefragt: ‹Wissen Sie das überhaupt?›, ‹Können Sie bitte eine diplomierte Pflegefachperson rufen?› Nach zwei, drei Tagen, wenn sie gemerkt haben, dass ich professionell arbeite, sind sie aber meistens wie ausgewechselt.»

Mit einer Kollegin zusammen wollte Selvanathan im Herbst 2022 einer Patientin helfen, sich anzuziehen. Kurz verliess die Kollegin das Zimmer. Als sie zurückkam, beschwerte sich die Patientin wütend mit einem rassistischen Begriff über Selvanathan, diese habe ihr nicht geholfen. Solche Aussagen toleriere sie nicht, erwiderte die Surprise 558/23


Kollegin. Selvanathan sagt: «Ich arbeite in einem richtig guten Team. Meine hauptsächlich jungen Kolleg*innen sind mit Menschen aus aller Welt aufgewachsen, haben zusammen die Schule besucht und Geburtstage gefeiert. Ihr Bewusstsein, dass es für mich nicht einfach ist, und ihr Verständnis bedeuten mir viel.» Prompt wurden die Tagesverantwortliche und die Abteilungsleiterin ins Zimmer gerufen, Selvanathan durfte sich in die Küche des Stationsbüros zurückziehen. Unterstützt von ihrer Vorgesetzten und der Rechtsabteilung des Spitals reichte Selvanathan schliesslich eine Strafanzeige ein. Im Juli einigten sich Selvanathan und die Patientin in einem Schlichtungsgespräch auf eine schriftliche Entschuldigung der Patientin. «Ich möchte, dass sie das Wort nie mehr benutzt.» Nur weil ihre Kollegin im Spitalzimmer Zeugin und die Äusserung der Patientin damit öffentlich wurde, fällt diese unter die Rassismusstrafnorm (siehe Surprise 550/23). Wenn Pflegende hingegen in Wohnungen von Kund*innen rassistisch beleidigt werden, gibt es kaum je Zeug*innen. Das macht es schwer, sich zu wehren.

Und die Institutionen? Stichprobenartig haben wir fünf Spitäler und Heime aus der Deutschschweiz zu ihren Richtlinien und ihrem Umgang mit rassistischen Vorfällen befragt: das Universitätsspital Basel, das Kantonsspital St. Gallen, die Spitex Stadt Luzern, die privatwirtschaftliche Hirslanden-Gruppe und die Alterszentren von Domicil Bern. Alle betonen, Rassismus nicht zu tolerieren. Der Schutz der persönlichen Integrität am Arbeitsplatz sei überall in Dokumenten wie Leitfäden, Merkblättern, Hausordnungen, Verhaltens- und Ethik-Kodexes oder in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen festgehalten. Trotzdem sehen fast alle Institutionen einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. So schreibt Caroline Johnson vom Unispital Basel: «Die Patient*innen repräsentieren den Durchschnitt unserer Gesellschaft. Deshalb gehört auch Rassismus leider zum Alltag unseres Betriebs.» Keine der fünf Institutionen hat ein institutionalisiertes Vorgehen für Vorgesetzte, wenn Pflegende rassistische Übergriffen melden, schriftlich festgehalten. Das Kantonsspital St. Gallen, Domicil Bern sowie die Spitex Stadt Luzern betonen: Die Mitarbeitenden würden ermuntert, im Team und mit den Vorgesetzten über übergriffige oder diskriminierende Situationen zu sprechen. Die Spitex Stadt Luzern ermutigt die Pflegenden zudem, Einsätze im Falle unangenehmer Situationen abzubrechen. Eine Pflegeexpertin der Spitex ist auf Rassismus spezialisiert. Bei Domicil Bern heisst es: Wird ein Fall gemeldet, hätten Vorgesetzte die Möglichkeit, für eine Fallbesprechung eine Pflegeexpertin beizuziehen und etwa den Einsatzplan zu ändern. Und der oder die betreffende Bewohner*in werde auf die Meldung angesprochen. Die Spitex Stadt Luzern kündigt etwa einmal im Jahr ein Kund*innenverhältnis. Und zwar dann, wenn Kund*innen ihr rassistisches Verhalten trotz Gesprächen und einer Surprise 558/23

schriftlichen Verwarnung nicht ändern. Dass Kund*innen auf Wunsch nur von Pflegenden ohne Migrationsgeschichte gepflegt werden, ist nicht möglich. Im Kantonsspital St. Gallen werde im Fall von Mitarbeitenden, die sich rassistisch äussern oder verhalten, das HR eingeschaltet und die Person müsse mit personalrechtlichen Konsequenzen rechnen. Ansprechpartner*innen für Rassismusvorfälle sind in den Institutionen Anlaufstellen im HR oder externe Beratungsfirmen, Ombudsstellen, Personalkommissionen oder eine Ethik-Hotline. Eine Meldestelle explizit für Rassismusvorfälle gibt es nicht, ebenso wenig interne Antirassismus-Weiterbildungen. Bei der Hirslanden-Gruppe besuchen neue Mitarbeitende und Führungskräfte Lehrgänge, bei denen Diversität und Inklusion sowie unbewusste Vorurteile (unconscious bias) Thema sind. Bei der Spitex Stadt Luzern können Mitarbeiter*innen Deeskalationstrainings machen. Im Unispital Basel sensibilisiert die Unternehmenskommunikation die Mitarbeiter*innen regelmässig zum Thema Diskriminierungen. Und das Ethik-Forum von Domicil Bern wird das Thema Rassismus in nächster Zeit vertiefen. Die Betroffenen haben unterschiedliche Strategien, rassistische Erlebnisse für sich zu verarbeiten. Isabel Deavila sagt: «Zu beweisen, dass ich meine Arbeit gut mache, bleibt mein täglicher Kampf.» Charlotte Ngusa sagt: «Die Konsequenz dieser Geschichte ist: Ich habe einen coolen Job verloren. Doch ich würde mich wieder wehren.» Und Tanuja Selvanathan sagt: «Ich bin ein humorvoller Mensch. Manchmal antworte ich auf rassistische Aussagen: ‹Ihr Niveau ist im Keller, ich werde nicht zu Ihnen herunterkommen.›»

Wurden Sie rassistisch diskriminiert? Unterstützung finden Sie hier: Beratungsnetz für Rassismusopfer: network-racism.ch, Eidgenössische Kommission gegen Rassismus: ekr.admin.ch/dienstleistungen/d508.html, Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus: gra.ch/ vorfall-melden, Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund: swissjews.ch/de/services/praevention/melden, Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz: fids.ch/index.php/anlaufstelle. Der erwähnte Artikel «Blutdruck messen in feindlicher Umgebung» (Surprise 550/23) lieferte eine Anleitung für Betroffene, Teamkolleg*innen und Vorgesetzte, wie auf institutioneller Ebene auf Rassismus reagiert werden kann und welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen. Online ist er hier zu finden: surprise.ngo/strassenmagazin/ blutdruck-messen-und-gegen-rassismuskaempfen. Via info@surprise.ngo kann die Ausgabe nachbestellt werden.

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Tod auf dem Weg nach Europa Migration An der polnischen Grenze zu Belarus versuchen Geflüchtete

in die EU zu gelangen. Wer dabei stirbt, wird von einer lokalen muslimischen Gemeinschaft zur letzten Ruhe gebettet. Das gefällt nicht allen. TEXT EMILIA SULEK

FOTOS MACIEJ MOSKWA

Der Boden des Birkenwäldchens ist von einem blauen Teppich aus Vergissmeinnicht bedeckt. Darunter sieht man steinerne Grabtafeln mit arabischen, russischen und polnischen Inschriften, Halbmond und Stern. Hier, im Dorf Bohoniki in Ostpolen, neun Kilometer von der Grenze zu Belarus entfernt, liegt der Mizar, ein tatarischer Friedhof. An seinem Rand heben sich sieben einfache Gräber von den älteren Grabsteinen ab. Kleine Erdhügel, umgeben von einem Kreis aus Feldsteinen. Holzpfosten mit Schildern darauf. Wenig Informationen. Vorname, Nachname, das Sterbejahr oder das Alter. Manchmal nur zwei Buchstaben, NN: Name unbekannt. Hier liegen Migrant*innen begraben, die beim Versuch ums Leben gekommen sind, sogenannt illegal in die EU einzureisen – sie stammen aus Syrien, Sudan, dem Irak und dem Jemen. Die Ersten kamen im August vor zwei Jahren an der belarussisch-polnischen Grenze an. Seitdem haben Tausende ihr Glück versucht. Die Statistiken ergeben kein einheitliches Bild. Der polnische Grenzschutz rühmt sich, monatlich bis zum 3000 Menschen am Grenzübertritt zu hindern. Die deutschen Grenzbehörden hingegen registrierten allein von Januar bis April 2023 über 6000 illegale Einreisen aus Polen und pochen auf zusätzliche Grenzkontrollen. Belarus nutzt die Flüchtenden als Mittel, um politischen Druck auf die EU auszuüben, als Reaktion auf die EU-Sanktionen gegen das Regime von Aljaksandr Lukaschenka. Minsk vereinfacht Visa-Prozeduren, baut Flugverbindungen mit Krisengebieten aus und lockt Migrant*innen mit der angeblichen Perspektive, auf einfachem Weg nach Europa zu kommen. In Wahrheit wurden jedoch auf der polnischen Seite des Grenzstreifens bereits 49 Migrant*innen tot aufgefunden, 208 Personen gelten als vermisst. Manche der Verstorbenen werden von Angehörigen aus dem Ausland in die Heimat überführt. Andere bleiben für immer in Polen. Bis 2021 zog diese Region, Podlachien genannt, eher Liebhaber*innen unberührter Natur und kultureller Vielfalt an. Hier leben Leute aus Polen und Belarus sowie polnische Tatar*innen, eine weitgehend unbekannte muslimische Minderheit von rund zweitausend Personen. «Als die Geflüchteten begannen, die Grenze zu überqueren, war mir klar, dass es Tote geben würde. Das hier ist kein Park hier, sondern ein Urwald, einer der letzten in Europa», sagt Maciej Szczęsnowicz auf der Terrasse eines Restaurants in der Nähe der Moschee. Er ist Vorsitzender Surprise 558/23

der muslimischen Religionsgemeinde in Bohoniki, ein Unternehmer und Aktivist. Als Szczęsnowicz 2021 auf einer Gemeindeversammlung vorschlug, den Friedhof für die Bestattung von verstorbenen Geflüchteten zur Verfügung zu stellen, unterstützte ihn das ganze Dorf. «Die Zeit ist von entscheidender Bedeutung», erklärt der 52-jährige Szczęsnowicz und betont, dass im Islam Beerdigungen im Idealfall innerhalb eines Tages stattfinden sollten. Der Körper wird gewaschen, in ein Leichentuch gehüllt und ins Grab gelegt. «Es ist nicht immer möglich, das Bestattungsritual exakt durchzuführen», so Szczęsnowicz, denn die Leichen der Geflüchteten werden teilweise erst spät entdeckt. Manche wurden erst Wochen nach dem Tod aus dem Grenzfluss Swislatsch geborgen. Dann wird aus hygienischen Gründen auf die Waschung oder eine Bestattung ohne Sarg verzichtet. Ein Imam aus der nahe gelegenen Stadt Bialystok leitet die Zeremonie. Die Kosten der Beerdigungen teilen sich die muslimische Religionsgemeinde und die lokale Verwaltung. Die Särge werden von einem Bestattungsunternehmen frei zur Verfügung gestellt. Allein im Wald Die Dorfbewohner*innen begleiten die Verstorbenen auf ihrer letzten Reise. Legen Fichtenzweige auf das frische Grab, denn Grün soll der Seele Frieden bringen. Niemand von ihnen kannte die Verstorbenen, deren Herkunftsland bleibt für viele abstrakt. Im Grenzgebiet arbeiten Hilfsorganisationen, aber auch Privatpersonen, die ihre Freizeit mit Rettungsaktionen im Wald verbringen. Sie helfen denjenigen, die in den Sümpfen festsitzen und nicht die Kraft haben, weiterzugehen. Ihre Regeln sind klar: Lebensmittel, medizinische Hilfe und Rechtsbeistand bereitstellen. Alles andere würde den Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Migration nach sich ziehen. Einen Pin mit dem Standort, wo sie nach Menschen suchen sollen, bekommen sie über eine Notrufnummer: entweder von der Person selbst oder von denen, die aus dem Wald herausgefunden haben. Wenn es schlecht läuft, finden sie dann eine Leiche im Wald. «Es ist schrecklich, dass jemand allein dort stirbt.» Eugenia Radkiewicz aus Bohoniki schaudert bei dem Gedanken. «Diese Menschen haben sich für ein besseres Leben entschieden und den Tod gefunden», sagt die 75-Jährige, die sich um die Gräber kümmert. «In ihrer Heimat wartet jemand auf Neuigkeiten. Mutter, Ehefrau 13


oder Vater. Wenn sie erfahren, dass ihr geliebter Mann oder Sohn in muslimischer Erde ewige Ruhe gefunden hat, ist es für sie einfacher zu trauern», fügt sie hinzu. Radkiewicz kümmert sich ehrenamtlich auch um die Moschee. Das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert ist ihr zweites Zuhause. Sie wohnt direkt nebenan. Hühner und Enten laufen durch ihren Garten, Stockrosen blühen. Sobald einheimische, auch mal deutsche Tourist*innen vor der Moschee stehenbleiben, eilt sie herbei, um das Gebäude zu öffnen. Die Holzmoschee mit dem kleinen Minarett ist ein einzigartiges Bauwerk, ein Denkmal. Im Inneren ist es angenehm kühl, Teppiche auf dem Boden, mit Kalligrafie verzierte Wände. «Wir Tatar*innen sind auch einst als Migrant*innen hierhergekommen», erzählt Radkiewicz, deren Familie von der Halbinsel Krim stammt und sich im 17. Jahrhundert in Polen niederliess. Die Männer leisteten Militärdienst für den polnischen König. Im Gegenzug erhielten sie Land. Sie integrierten sich, schlugen Wurzeln. «Ich bin Tatarin, aber auch polnische Staatsbürgerin», sagt Radkiewicz. Polnisch ist ihre Muttersprache. «Der Mizar in Bohoniki ist nicht der einzige muslimische Friedhof in Podlachien», sagt Bronisław Talkowski, Vorsitzender der muslimischen Religionsgemeinde im Nachbardorf Kruszyniany, das noch näher an die Grenze liegt. Auch seine Gemeinde war bereit, ihren Friedhof zur Verfügung zu stellen. Das winzige Dorf, in dem kaum hundert Personen leben, wurde jedoch von der Welt abANZEIGE

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geschnitten. Angesichts der zunehmenden illegalen Grenzübertritte verhängte das polnische Parlament im September 2021 den Ausnahmezustand in der Region. Vierhundert Kilometer Grenzlinie – darunter auch Kruszyniany – wurden mit einem weitreichenden Zutrittsverbot belegt. Nur Anwohner*innen und die Sicherheitsdienste wussten, was in der militarisierten Zone vor sich ging. «Hätten die Beerdigungen bei uns stattgefunden, wären weder die Medien noch die Angehörigen in der Lage gewesen, daran teilzunehmen», sagt Talkowski. «Es war wichtig, sie öffentlich zu machen, sodass die Welt mitbekommt, was hier abläuft.» Zehn Monate dauerte der Ausnahmezustand. Selbst Hilfsorganisationen hatten keinen Zutritt. Talkowski sieht sich als polnischer Patriot. Er spricht gerne über die Kavallerietradition in seiner Familie, deren Wurzeln bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen. «Während des Zweiten Weltkriegs gab es sogar ein tatarisches Regiment in der polnischen Armee», sagt der 71-Jährige und betont, dass die Tatar*innen eine gut integrierte Vorzeigeminderheit sind, dass sie an Wahlen teilnehmen und sich aktiv am politischen Leben beteiligen. Talkowski ist Mitglied der EU-freundlichen und wirtschaftspolitisch liberalen Bürgerplattform, der Hauptkonkurrentin der rechtspopulistischen Regierungspartei PiS. «Die Staatsgrenzen müssen geschützt werden», sagt Talkowski entschieden. «Aber sobald jemand die Grenze überquert und internationalen Schutz fordert, muss man ihm doch helfen. Dafür gibt es ja Asylverfahren.» Laut Gesetz kann man einen Asylantrag stellen, auch wenn man illegal eingereist ist. Im Oktober 2021 verabschiedete das polnische Parlament jedoch eine neue Regelung, welche den polnischen Grenzschutz berechtigt, Asylanträge sofort abzulehnen. Dies wiederspricht nicht nur der Genfer Konvention für Menschenrechte, sondern auch der polnischen Verfassung. Regierung mit Doppelmoral Am schwersten wiegt für Talkowski jedoch der Gedanke, dass die Regierung sich weigert, den Geflüchteten zu helfen, weil es sich überwiegend um Muslime handelt. «Was soll ich als Pole, als polnischer Tatar und als Muslim darüber denken?», fragt er. Polens Regierung spricht von einem «hybriden Angriff» auf die EU, der gemeinsam von Moskau und Minsk koordiniert werde. Die PiS lehnt auch den Solidaritätsmechanismus zur verpflichtenden Aufnahme von Geflüchteten in die EU ab. Die kulturellen Unterschiede seien zu gross, der Islam sei zu weit von den christlichen Werten Polens entfernt. Talkowski schüttelt den Kopf. «Die PiS glaubt, dass wir, sobald wir ein paar Geflüchtete aufnehmen, von Millionen anderen überschwemmt würden», sagt er. «Polen ist aber das neuntgrösste Land Europas, uns fehlt es nicht an Platz. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine haben wir drei Millionen Menschen von dort willkommen geheissen. Nur den Muslim*innen will der Staat nicht helfen. Das ist eine Doppelmoral, die mir als muslimischen Bürger weh tut.» «Heldenhafte Grenzschützer verteidigen das Land, das ist die Propagandabotschaft der PiS», sagt Jan Konopacki, ein Dorfbewohner, der viel Zeit im Wald verbringt und Surprise 558/23


«Als die Geflüchteten begannen, die Grenze zu überqueren, war mir klar, dass es Tote geben würde.» MACIEJ SZCZĘSNOWICZ

vor der Moschee in Bohoniki nahe der polnischbelarussischen Grenze.

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«Wenn die Hinterbliebenen erfahren, dass ihr Mann oder Sohn in muslimischer Erde bestattet wurde, ist es einfacher zu trauern.» EUGENIA R ADKIEWICZ

Tote im Wald, Bestattungen durch die lokale muslimische Bevölkerung: In Kruszyniany erweckten die Beerdigungen 2021 die Aufmerksamkeit vieler Medien.


«Sobald jemand die Grenze überquert und Schutz fordert, muss man ihm doch helfen.» BRONIS Ł AW TALKOWSKI


KALININGRAD (RUSSLAND)

LITAUEN

Minsk

Bohoniki POLEN

BELARUS

Kruszyniany Grenzzaun

Warschau

UKRAINE

Mauern, Zäune und Stacheldrähte entlang der Grenze zwischen Polen und Belarus: 3000 Geflüchtete werden pro Monat daran gehindert, sie zu überqueren, sagt der polnische Grenzschutz.

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unter anderem Namen auftreten möchte. «Nur das staatliche Fernsehen, das von der Regierungspartei PiS kontrolliert ist, durfte deshalb aus der Sperrzone an der Grenze berichten.» Tatsächlich drängen polnische Uniformierte Geflüchtete auf die andere Seite der Grenze zurück. Szenen, wie man sie auch von der sogenannten Balkanroute kennt. «Erstens sind die Pushbacks illegal, und zweitens lösen sie kein Problem», meint Konopacki. Belarus nimmt diese Menschen nicht zurück, sondern behauptet, sie seien illegal eingereist. Der belarussische Grenzschutz zwingt sie, erneut nach Polen zu gehen. «Wer sich widersetzt, wird geschlagen, man hetzt Hunde auf sie. Ihre Telefone, die einzige Navigationsmöglichkeit, werden ihnen weggenommen. Manche Menschen, denen ich im Wald begegnet bin, waren barfuss. Selbst die Schuhe hat man ihnen weggenommen.» Konopacki erinnert sich an sein erstes Erlebnis mit Geflüchteten im August 2021. «Eine Gruppe Männer schlich hinter meine Scheune. Als sie mich sahen, hoben sie die Hände, als wollten sie sagen: Nicht schiessen!» Zwei Jahre später wäre diese Szene bei Tage unmöglich, Geflüchtete bewegen sich nur noch im Dunklen. Die Gewalt der Grenzpolizei nimmt nicht ab. Als «Schutz» hat Polen im Juni 2022 einen Grenzzaun fertiggestellt, der sich über 186 km durch den Wald zieht. Das Bauwerk aus fünf Meter hohen, stacheldrahtbewehrten Stahlstangen verhindert illegale Übertritte kaum, es macht den Weg in die EU nur gefährlicher. «Der belarussische Grenzschutz zwingt Menschen, den Zaun zu erklimmen und herüberzuspringen», sagt Konopacki. «Dabei schneiden sie sich, brechen sich die Beine. Frauen verlieren ihre Ungeborenen.» Der 58-jährige Syrer Mohammad Al-Habrat erlitt so schwere Verletzungen, dass er, obwohl die Ärzte drei Wochen um sein Leben kämpften, verstarb, ohne das Bewusstsein wieder zu erlangen. Polnische NGOs wollten es seiner Frau ermöglichen, ihren Mann im Krankenhaus zu besuchen. Die Botschaft jedoch verweigerte ihr das Visum. «Wir müssen auf unsere Worte achten» «Die Regierung sagt, die Geflüchteten seien eine Bedrohung für die christliche Zivilisation und die staatliche Sicherheit. Ich aber sehe verängstigte Menschen, ausgehungert und erschöpft vom Fussmarsch», sagt Konopacki. «Niemand wird mich je davon überzeugen können, dass es ein Verbrechen ist, diesen Menschen Wasser oder eine Scheibe Brot zu geben. Klar, die PiS behauptet, es sei quasi kriminell, diesen Menschen zu helfen. Ich glaube, es ist kriminell, was unsere Regierung tut.» Viele Tatar*innen sprechen lieber nicht über Politik. Die Region, in der viele ihren Lebensunterhalt mit Agrotourismus verdienten, leidet nun unter den wirtschaftlichen Einbussen. Die Regierung versprach eine Entschädigung für die durch den Ausnahmezustand verursachten Verluste, doch nur wenig davon ist bis jetzt nach Podlachien gelangen. «Erst herrschte Ausnahmezustand und es war unmöglich, uns zu besuchen. Dann wurde der Ausnahmezustand aufgehoben, und doch haben die Tourist*innen Angst, herzukommen», beklagt sich Dżenneta Surprise 558/23

Bogdanowicz, die das beliebteste Restaurant in Kruszyniany betreibt. Es kommt vor, dass ihre Gäste auf einem Spaziergang auf eine Grenzschutzpatrouille stossen. Dann fangen lästige Befragungen an. Gehören Sie zu denen, die im Wald helfen gehen? Jedes Auto mit fremden Kennzeichen wird kontrolliert: Sind darin Geflüchtete versteckt? «Manchmal frage ich mich, ob der Ausnahmezustand tatsächlich zu Ende ist», sagt Bogdanowicz. Früher stand man für einen Tisch im «Tatarska jurta» Schlange. Für Birma, eine mit Fleisch gefüllte Pastete, musste man sich voranmelden. Heute ist das Restaurant fast leer. Die 64-Jährige versucht mit kulinarischen Workshops Gäste anzulocken, organisiert Kulturveranstaltungen, sprudelt vor Energie. Auf die Grenze angesprochen, verfinstert sich ihr Gesicht. «Statt mit Natur und Erholung wird der Wald heute mit Tod und Flucht in Verbindung gebracht», sagt sie. Über die PiS-Regierung möchte sie nicht reden. «Wir sind eine ethnische Minderheit und müssen auf unsere Worte achten. Sonst werden wir zum Problem.» «Wir sind Bürger*innen Europas. Auch für uns sind einige Bräuche, die es in vielen muslimischen Ländern gibt, fremd», sagt der Gemeindevorsitzende Szczęsnowicz. «Diese Geflüchteten sind aber unsere Glaubensgeschwister», fügt er hinzu. «Es ist unsere Pflicht, ihnen zu helfen.» Szczęsnowicz sieht die Tatar*innen in einer Zwickmühle. Er selbst versucht, gute Beziehungen zu allen zu unterhalten, und betont, dass sein Dorf auch Mahlzeiten für die Grenzsoldaten koche. Gleichzeitig sammeln die Menschen Lebensmittel und Kleidung für Geflüchtete. «Die Leute wollen helfen. Sie machen es aber lieber im Stillen, um nicht die Aufmerksamkeit des Militärs zu erregen.» Im Oktober finden in Polen Parlamentswahlen statt. Die PiS möchte sie erneut gewinnen. Um die Menschen an die Urne zu locken, kündigte die Regierungspartei ein Referendum an, am gleichen Tag. Zwei der vier Referendumsfragen drehen sich um die Einwanderung: «Unterstützen Sie die Aufnahme Tausender illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Mechanismus der verpflichtenden Aufnahme? Unterstützen Sie die Beseitigung der Barriere an der Grenze zwischen Polen und Belarus?» Der Vorsitzende der Religionsgemeinde in Bohoniki ist müde. Die Organisation der Beerdigungen erfordert viel Bürokratie und eine zeitaufwendige Zusammenarbeit mit der Polizei und der Verwaltung, mit den jeweiligen Botschaften. «Wir müssen an alles Mögliche denken, auch daran, dass eines Tages die Familien der Verstorbenen ihre Toten vielleicht exhumieren und mit nach Hause nehmen wollen», sagt Szczęsnowicz. «Wir sind hier eine Handvoll tatarischer Familien und leisten eine enorme Arbeit für diesen Staat. Freiwillig und ehrenamtlich. Man würde sich wünschen, dass die Regierung endlich aufhört, der Öffentlichkeit mit dem Islam Angst zu machen.»

Dieser Beitrag wurde finanziell durch den Medienfonds «real21 – die Welt verstehen» unterstützt.

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Der Willkür ausgesetzt Sexarbeit Viele gewaltbetroffene Sexarbeitende fürchten den Gang zur Polizei.

Also warnen sie sich gegenseitig vor Tätern. Expert*innen fordern derweil eine schärfere Trennung von Justiz und Migrationsbehörden. TEXT NATALIA WIDLA

ILLUSTRATION KLUB GALOPP

«Aggressiver Typ null Anstand, null Manieren & droht mit Gewalt. Finger weg» (24. Juli 2023, Bern Stadt). Daneben der vermeintliche Name des Mannes und dessen Telefonnummer, wenige Zeilen weiter unten: «Er wird aggressiv während dem Sex!» (20. Juli 2023, Stadt Zürich), gefolgt von «Er hat […] probiert das Kondom mehrfach während des Sex unbemerkt zu entfernen» (19. Juli Basel und Umgebung). Nicht alle Beiträge auf der nur für angemeldete Mitglieder zugänglichen Freier-Blacklist des Erotikportals and6.com enthalten eine Ortsangabe, dafür sind bei manchen der Beruf, die Email-Adresse oder Einzelheiten zum Aussehen des Kunden angeführt. Viele der Einträge sind auf Englisch verfasst, manche auf Spanisch, noch mehr in brüchigem Deutsch, wie ein Eintrag vom 23. März 2023 ohne Ortsangabe: «macht Termine und versucht sex ohne Kondom zu bekommen. Wenn mann nein sagt beschimpft er einen und will das der Polizei melden damit mann angst bekommt und doch zu sagt. Ist nur ein kleiner wixxen der ausfällig und brudal wird.» Bei der überwiegenden Mehrheit der Einträge geht es um Männer, die Termine buchen, aber nicht erscheinen, um Stalking oder um sogenannte «Adressensammler», für die der Reiz darin liegt, sich an der angeblichen Wohnadresse einer Frau zu verbreden und dann den Kontakt abzubrechen. Dazwischen finden sich aber auch Berichte von physischer Gewalt, erzwungener analer Penetration, Stealthing (das unbemerkte Entfernen des Kondoms), verbalen und physischen Ausfälligkeiten oder stark alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss stehenden Männern. Die Berichte stammen aus der ganzen Schweiz. Je nach Studie erfahren weltweit zwischen 40 bis 60 Prozent aller Sexarbeitenden, zumeist Cis- und Transfrauen, regelmässig Gewalt im Beruf, wobei das Wort «regelmässig» je nach Erfassung von einmal pro Woche bis zu mehrmals pro Jahr unterschiedlich ausgelegt wird. «Diese Gewalt reicht von psychologischem Druck und Drohungen bis hin zu physischer Gewalt und finanzieller Ausbeutung», sagt Rebecca Angelini, Leiterin von ProCoRe, der Schweizer Interessensvertretung für Sexarbeitende mit Sitz in Genf. Zuletzt sei während der Coronapandemie eine Zunahme der Gewalt und Aggressionen gegen Sexarbeitende verzeichnet worden, die sich seither nicht überall wieder beruhigt habe. «Ein Teil der Freier hat sich daran gewöhnt, die Not der Sexarbeitenden während der Pandemie auszunutzen, indem sie etwa die Preise drückten oder das Kondom wegliessen, und jetzt wollen sie diesen Standard nicht wieder anpassen», sagt Angelini. Wie Angelini weiter ausführt, habe die persönliche, finanzielle und rechtliche Situation einen enormen Einfluss auf die Unsicherheit, in der sich Sexarbeitende befinden. Dies mache sie wiederum besonders verletzlich gegenüber Gewalt und Ausbeu20

tung. «Jetzt, während die Inflation in vielen Herkunftsländern hoch ist und die Anbieter*innen teilweise aus Ländern kommen, wo Sexarbeit verboten ist, nutzen einige Freier und Salonbetreibende die Not der Sexarbeitenden gezielt aus.» Diese Aussage bestätigt auch Lelia Hunziker von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) in Zürich: «Je ärmer die Sexarbeiterin ist und je unsicherer ihr Aufenthaltsstatus, desto weniger kann sie sich gegen Gewalt zur Wehr setzen.» Auch hierfür bietet die eingangs erwähnte Blacklist auf der Kontaktseite and6.com einen Ansatzpunkt, denn die vielen Tausend Forumseinträge lassen eine hohe Dunkelziffer all jener Personen erahnen, welche in der Sexarbeit zwar Gewalt erfahren, jedoch nicht über die Infrastruktur oder die Sprachkenntnisse verfügen, um die entsprechende Webseite zu navigieren. Abhängigkeit, Rassimus und Diskriminierung Amanda Roth, die in Wirklichkeit anders heisst, arbeitet seit bald vier Jahren als Escort in der Zentralschweiz und bietet einen «Full Service» an, also auch sexuelle Dienstleistungen. Sie nutzt die Blacklist auf and6.com regelmässig, um sich vor Terminen über einen potenziellen Kunden zu informieren oder eigene Warnungen mitzuteilen. Physische Gewalt habe sie bisher nicht erlebt. «Aber es gibt zahlreiche Grenzüberschreitungen, die ich toleriert habe», sagt Roth. Dazu gehören Nachverhandlungen über einen vorgängig festgelegten Lohn, nicht enden wollende Anrufe und Nachrichten oder erniedrigende Kommentare. «Auch Stealthing ist etwas, das immer wieder passiert. Aber in so einem Moment sage ich nichts und lege ein neues Kondom auf» – aus Angst, die Situation könnte eskalieren. Von ähnlichen Erfahrungen berichtet auch Daria da Silva, die ebenfalls Anfang dreissig ist, in Wahrheit anders heisst und als «Full Service»-Escort arbeitet. Die bisher negativste Erfahrung hatte sie mit einem Mann, der ihr privat nachstellte. Der Kunde hatte nach dem Termin da Silvas echten Vor- und Nachnamen ermittelt und in der Datenbank ihrer Versicherung, für die der Mann damals arbeitete, ihre Wohn-, Emailadresse und private Telefonnummer ausfindig gemacht. Daraufhin schrieb er ihr immer wieder persönliche Nachrichten und gratulierte ihr etwa zum Geburtstag. Da Silva sagt, sie habe in den letzten Jahren viel dazugelernt. Heute trifft sie zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen: «Ich gebe den Männern immer eine andere Hausnummer an, dann sehe ich sie aus dem Fenster und kann beurteilen, ob sie allein kommen oder in Begleitung, ob sie alkoholisiert sind, ob sie sympathisch aussehen.» Sie biete ausserdem keine unsicheren Sexpraktiken wie etwa Würgespiele an, da sie nicht darauf vertrauen könne, dass sich alle Kunden an die im Vorhinein abgemachten Surprise 558/23


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Regeln halten. Und: «Wenn ich bei einem Kunden zuhause angekommen bin, schicke ich einer Freundin jeweils meinen Standort und bestätige per SMS mit einem Safeword, das nur wir kennen, dass alles in Ordnung ist.» So wolle sie verhindern, dass sich ein Kunde an ihrem Telefon zu schaffen macht und etwas Erwartbares auf eine Frage wie «Alles okay?» erwidern kann. Sowohl Amanda Roth als auch Daria da Silva sind auch anderweitig arbeitstätig. «Ich bin zwar auf das Einkommen aus der Sexarbeit angewiesen, kann es mir aber durch meinen Zusatzverdienst leisten, auch mal einen Kunden abzulehnen», sagt Roth, denn: «Je mehr Druck man hat, desto eher nimmt man auch Termine an, bei denen man sich nicht sicher fühlt.» Da Silva meint: «Es ist sicher ein Vorteil, dass ich Schweizerin bin und über eine Arbeitsbewilligung verfüge. Niemand kann mich damit erpressen.» Bereits mehrfach habe sie von Kolleg*innen von Männern gehört, die sich als Polizisten oder Beamte ausgeben, um von verunsicherten Sexarbeitenden gratis Dienstleistungen zu erpressen oder diese zu bestimmten Praktiken zu zwingen. «Natürlich kann man schnell durchschauen, dass das ein Fake ist, aber eine Restunsicherheit bleibt», sagt da Silva. Gewalt gegen Sexarbeitende trifft gemäss NGOs wie Amnesty International häufiger jene Personen, die aufgrund von Herkunft und Sprachkenntnissen weniger alternative Erwerbsmöglichkeiten haben, in stärkerer Abhängigkeit leben und zudem von Rassismus oder Diskriminierung betroffen sind. Eine Studie der Europäischen Allianz für die Rechte von Sexarbeitenden (ESWA) von 2020, die ihren Fokus auf die Gruppe der migrantischen, oft undokumentierten Sexarbeitenden legte, stellte fest, dass fast 50 Prozent der interviewten Personen körperliche Gewalt erfahren hatten. Staatliche Statistiken zu Gewalt und Drohungen gegen Sexarbeitende gebe es in der Schweiz allerdings nicht, sagt das Bundesamt für Statistik gegenüber Surprise. Doch selbst wenn es eine polizeiliche Statistik gäbe, wäre gemäss FIZ-Leiterin Lelia Hunziker nicht davon auszugehen, dass diese das Problem gänzlich ausleuchten könnte. Denn Sexarbeitende würden sich häufig nicht trauen, Übergriffe zu melden. «Viele haben absolut kein Vertrauen gegenüber der Polizei, da sie sich von dieser nur Re-

Sexarbeit vs. Menschenhandel In der Diskussion um Gewalt in der Sexarbeit ist es wichtig, zwischen Sexarbeit und Menschenhandel zu unterscheiden. Menschenhandel ist eine Straftat sowie eine Menschenrechtsverletzung mit den Kennzeichen, dass eine Person durch Gewalt, Täuschung, Drohung oder Nötigung angeworben, vermittelt und ausgebeutet wird. Sexarbeit hingegen ist in erster Linie Arbeit. Im Rahmen dieser Arbeit können Personen Gewalt erfahren, welche eine Grenzüberschreitung und somit eine Straftat darstellt; das kann auch Sexarbeitende betreffen, die der Sexarbeit als Beruf weitgehend aus freien Stücken, also ohne Zwang durch Drittpersonen oder kriminelle Organisationen, nachgehen. Der Begriff der Freiwilligkeit bedeutet jedoch nicht, dass eine Sexarbeiter*in frei von ökonomischen Zwängen ist— ebenso wenig wie Arbeitende in anderen Formen von prekärer Arbeit. Zudem ist Sexarbeit, obschon in der Schweiz gesetzlich erlaubt, nach wie vor hochgradig diskriminiert und stigmatisiert. NATALIA WIDL A

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pression und Verfolgung gewohnt sind. Sie begegnen den Beamten mit Misstrauen und Angst», sagt Hunziker. «Das ist kein Klima, in dem man einen Übergriff zur Anzeige bringt, erst recht nicht, wenn man illegalisiert ist oder keine Arbeitsbewilligung hat.» Rebecca Angelini nennt dies eine «geschwächte Verhandlungsposition», in der sich Sexarbeitende aufgrund der Rechtsunsicherheit oft befinden. Die Mittdreissigerin Wanda Radeva kam Ende 2022 aus Osteuropa in die Schweiz und arbeitet seither zusammen mit drei anderen Frauen in einem Zimmer, das auf den Namen einer vierten Frau angemietet ist. Auch sie heisst in echt anders. Davor schaffte sie in einem anderen Kanton in einem grösseren Salon. Radeva spricht gebrochen Deutsch und kaum Englisch. Am Anfang arbeitete sie auf dem Strassenstrich, heute bietet sie ihre Dienste über Inserate im Internet an oder lässt sich Kunden über Bekannte vermitteln. Da Wanda keine Steuern zahlt und eigentlich gar nicht im Land sein dürfte, ist sie darauf angewiesen, den Kontakt mit der Polizei zu meiden – was auch bedeutet, allfällige Übergriffe nicht zu melden. Sie sei bisher «nur etwas geschlagen» worden, erzählt sie, und mehrfach hätten Kunden den vereinbarten Preis nicht bezahlen wollen. Einmal habe ein Mann sie gewürgt und auch nicht damit aufgehört, als Radeva angefangen habe zu weinen, aber am Ende habe er gezahlt und sei gegangen. Verbot als Lösung des Problems? Die Polizei stehe oft nicht auf der Seite von Frauen wie Radeva, sagt Angelini von ProCoRe: «Die Sexarbeit ist einer jener Bereiche, in denen die repressive Migrationspolitik am offensichtlichsten umgesetzt wird. Was für die staatlichen Institutionen hier zuerst zählt, ist das Ausländerrecht, nicht die Arbeitsbedingungen der Sexarbeitenden, oder ob Gewalt vorgefallen ist.» Für Angelini geht es bei der Repression gegen Sexarbeitende in erster Linie darum, undokumentierte und inoffiziell arbeitende Migrant*innen aus dem Land «rauszubekommen». Diese Repressionspolitik ist in der Schweiz dort besonders ausgeprägt, wo es ein Milieu gibt und wo auch die Polizei entsprechend eine Spezialtruppe oder Sonderabteilung unterhält. In ländlichen Regionen bildeten dagegen primär Stigmatisierung und Abwertung ein Hindernis auf dem Weg zu einer Anzeige durch Sexarbeitende, sagt Lelia Hunziker von FIZ. «Es gibt immer noch die Annahme, man sei selbst schuld, der Übergriff wird nicht als Gewalt im Beruf, sondern als Kollateralschaden im Berufsleben wie der Bandscheibenvorfall beim Bauarbeiter behandelt.» In diesem Zusammenhang reden Expert*innen etwa vom International Committee for Sex Workers in Europe (ICRSE) davon, dass Sexarbeitende als «deserving victims» wahrgenommen würden, das heisst als Opfer, die Gewalt verdient hätten. Bei öffentlichen Debatten über Gewalt an Sexarbeitenden kommt häufig das Argument auf, ein Verbot von Sexarbeit würde dieses Problem lösen. Am verbreitetsten ist in Europa dabei das «Schwedenmodell». Es wurde, wie der Name sagt, zuerst in Schweden implementiert und stellt den Kauf sexueller Dienstleistungen und damit die Freier unter Strafe. Es verbietet jedoch nicht explizit, sexuelle Diensteleistungen anzubieten. Dadurch soll der Fokus der Kriminalisierung weg von den Sexarbeitenden und hin zur Kundschaft gelenkt werden. Zu den im deutschsprachigen Raum prominentesten Vertreter*innen dieses Umgangs gehört die deutsche Publizistin Alice Schwarzer. Sie argumentiert, dass es in der «Prostitution» keine Freiwilligkeit aufseiten der Surprise 558/23


Anbietenden geben könne, da immer ein patriarchales Machtgefälle zwischen Männern und Frauen bestünde. (Sie spricht explizit nur von Frauen und von Prostitution statt Sexarbeit.) Dementsprechend sei ein Verbot der einzige Weg, diese Gewalt zu beenden. In der Schweiz setzt sich unter anderen die Frauenzentrale Zürich prominent für ein Sexkaufverbot ein. Kritiker*innen, zu welchen ProCoRe und die FIZ gehören, bringen dagegen an, dass ein Sexkaufverbot gerade Sans-Papiers vermehrt Gefahren aussetze, weil diese so noch mehr ins Verborgene gedrängt würden. Anschauungsbeispiel hierfür sei Frankreich, wo seit 2016 das Schwedenmodell gilt. Seither sei die Mordrate an Sexarbeitenden auf ein alarmierendes Niveau angestiegen, wie ProCoRe in einem Sonderheft zum Thema schreibt. Gestützt werden diese Beobachtungen von mehreren Medienberichten über die Auswirkungen der neuen Gesetzgebung in Frankreich. Auch in Ländern wie Norwegen oder Schweden habe die Gewalt gegen Sexarbeitende durch das Verbot tendenziell eher zugenommen, warnt ProCoRe. Dagegen zeigen Beispiele aus Ländern wie etwa Neuseeland, in denen Sexarbeit in den letzten Jahren entkriminalisiert wurde, dass der Zugang zu Unterstützungsdiensten, den Behörden und struktureller Hilfe für Sexarbeitende erleichtert wurde. Das Asia Pacific Network of Sex Workers beispielsweise konnte zudem beweisen, dass durch Entkriminalisierung und Entstigmatisierung auch der Zugang zu sexuellen Gesundheitsdiensten steigt, was wiederum die Sicherheitsstandards in der Branche erhöht. Das ist besonders darum wichtig, weil Sexarbeiterinnen sich weltweit 13,5-mal wahrscheinlicher mit HIV infizieren als andere Surprise 558/23

Frauen. Ein Zusammenhang zwischen HIV-Risiko und Gewalt gegenüber Sexarbeitenden wurde schon 2014 durch die medizinische Fachzeitschrift The Lancet nachgewiesen. Darin heisst es: «Das Ende der Gewalt gegen Sexarbeitende ist der Schlüssel zum Ende von HIV.» Auch The Lancet empfiehlt daher, Sexarbeit beispielsweise als gleichwertige Arbeit anzuerkennen, damit sich Sexarbeitende offiziell in Berufsverbänden und Gewerkschaften organisieren können. Rebecca Angelini von ProCoRe in Genf fordert in erster Linie rechtliche Sicherheit: «Das bedeutet aber nicht nur rechtliche Sicherheit in Bezug auf die Arbeit, sondern auch migrationsrechtliche Sicherheit, also für Gewaltbetroffene einen sicheren Zugang zur Justiz, ohne dass sie ausländerrechtliche Konsequenzen zu befürchten haben.» Angelini ergänzt: «Entkriminalisierung allein reicht nicht» und verweist wiederum auf Neuseeland, wo Sexarbeit zwar legalisiert wurde, aber nur für Personen mit Papieren. Sans-Papiers würden dagegen mehr in die Enge getrieben und verstärkt Repression, Willkür und Preisdruck ausgesetzt. Lelia Hunziker von FIZ fordert zudem in der Diskussion um Massnahmen zum Schutz von Sexarbeiter*innen eine klare Trennung von selbstbestimmter Sexarbeit und Menschenhandel sowie Zwangsprostitution. Als Frau aus der Branche wünscht sich Daria da Silva «mehr Akzeptanz und mehr Verständnis, ausserdem eine Auseinandersetzung mit den Arbeitsrealitäten in der Sexarbeit.» Und ihre Kollegin Wanda Radeva sagt, sie wolle einfach ihrem Job nachgehen, ohne Angst zu haben – weder vor Freiern noch vor den Behörden. 23


Menschenrechte als Bühnenprozess Theater Vor 75 Jahren wurde in Paris die Allgemeine Erklärung

der Menschenrechte verkündet. Das sogar theater in Zürich bringt sie auf der Bühne zum Klingen. Und stärker ins Bewusstsein.

BILD: AYŞE YAVAŞ

TEXT JULIA RÜEGGER

Einen «naturgemäss untheatralischen» und dennoch immens wichtigen Text so auf die Bühne zu bringen, dass er fühlbar wird – 24 das ist das Ziel des Ensembles.

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Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. Artikel 3

Jeder Mensch hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. Artikel 15

Jeder Mensch, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Artikel 23

Jeder Mensch hat das Recht auf Erholung und Freizeit. Artikel 24

Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Artikel 26

Viele dieser fundamentalen Prinzipien aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte scheinen Menschen in demokratischen Ländern heutzutage auf den ersten Blick selbstverständlich – zumindest so lange, wie sie nicht zu tief ins Asylwesen ihrer Länder schauen. Und doch wurden die Menschenrechte erst vor 75 Jahren, nach den Verbrechen des Holocaust und als Ergebnis langwieriger Debatten, formuliert und offiziell verkündet. Ort der Verhandlungen war die 1947 gegründete UNO-Menschenrechtskommission. Hier sollte ein international anerkannter Menschenrechtskodex entstehen. Über die konkrete Ausgestaltung der Erklärung gab es intensive Meinungsverschiedenheiten, die unter anderem vom damals akuten Ost-West-Konflikt befeuert wurden. Dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in am 10. Dezember 1948 in Paris dennoch verabschiedet und von allen damaligen 58 UNO-Mitgliedstaaten unterschrieben wurde, ist das Resultat hartnäckigen Ringens und eine bahnbrechende Errungenschaft in der Friedenssicherung nach dem Holocaust. Heute gelten die in 30 Artikeln festgehaltenen Rechte nach wie vor als zentraler Bezugspunkt, um weltweit für gleiche Rechte, die Verringerung von Unterdrückung sowie den Schutz der Menschenwürde einzustehen – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht und anderen Ungleichheiten. Die Regisseurin und künstlerische Leiterin des sogar theaters in Zürich ist zurzeit daran, aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit ihrem Ensemble ein Theaterstück zu erarbeiten. Zusammen mit der musikalischen Leiterin Anna Surprise 558/23

Trauffer und neun Schauspieler*innen und Musiker*innen verbindet Ursina Greuel die Menschenrechte auf assoziative Weise mit Klängen und Gesang und bringt damit den naturgemäss untheatralischen Text auf die Bühne. Aber auch das Ringen darum, das Aushandeln von gemeinsamen Grundlagen oder die Frage, was Menschenwürde heisst. Konkret werden hier die Verhandlungen von 1948 mit heutigem Blick nachgespielt, mit musikalischen Elementen, modernen Requisiten – und Fragen, die so nie gestellt worden sind, aber den Finger auf heikle Haltungsfragen legen. So heisst es an einer Stelle, durchaus provokant: «Stellen Sie sich vor, alle Menschen würden eine Würde haben. Würden Sie das wollen?» Musikalischer Klang und Wortspiele (etwa, wenn «Würde» ins «Würden Sie» hinüberfliesst), vermischen sich auf die Art langsam mit Gewissensfragen. Denn die Frage, die hier gestellt wird, könnte auch heissen: «Sind nicht vielleicht etliche Menschen auch ganz froh darum, dass sie selber privilegiert sind?» Neues Grundrecht auf Wasser Aus einem Trümmerhaufen wird ein karges Bühnenbild mit Tischen und den für solche Konferenzen typischen PET-Flaschen errichtet, bevor es Stück für Stück selbst zum Klangmaterial wird. «Es geht mir vor allem um die leisen Töne», sagt Greuel, «denn sie sind eine wichtige Voraussetzung für das Zusammenleben – zwischen Individuen ebenso wie zwischen Staaten.» Auch das Element Wasser wird im Stück eine Rolle spielen und auf den 31. Artikel der Erklärung der Menschenrechte hinweisen: das Grundrecht auf Wasser. Dieser Artikel wurde dem Gesamttext erst im Jahr 2010 hinzugefügt und macht deutlich, dass die Menschenrechte keine abgeschlossene Sache sind, sondern ein anhaltender Prozess. Die Inszenierung folgt genau diesem Gedanken. Auslöser für eine intensivere Auseinandersetzung mit den Menschenrechten sei die Masseneinwanderungsinitiative im Jahr 2014 gewesen, die Greuel und ihre Kolleg*innen dazu bewegte, nicht nur als Privatpersonen, sondern auch beruflich eindeutig Position zu beziehen. Der Weg führte zuerst zu Greuels Stück «Nach Lampedusa – Wandererfantasien», das sich dem Schweizer Asylsystem widmete: «Bei diesem und anderen Stücken bin ich immer wieder auf dieses eine Dokument

gestossen – die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.» Jetzt bekommen die Menschenrechte ihren eigenen theatralen Raum. Das Ensemble begann sich in einem Workshop von Amnesty International unter anderem intensiv damit zu beschäftigen, in welchen Bereichen durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte konkrete Fortschritte angestossen werden konnten – bei der Kindersterblichkeit etwa, bei den Bildungsmöglichkeiten für Mädchen, in der Ernährungssicherheit. «Das muss man sich immer vor Augen halten, bei all der Verzweiflung über die täglichen Menschenrechtsverletzungen weltweit», sagt sie. «Mensch, du hast Recht!» folgt dem Gedanken, wie essenziell es ist, sich an einen Tisch zu setzen, Wertvorstellungen zu formulieren und ihnen eine verbindliche Form zu geben. Das Stück entwickelt Ursina Greuel gemeinsam mit ihrem Ensemble. Von der anfänglichen Idee aber, alle Artikel auch auf der Bühne darzustellen, sind sie inzwischen abgekommen: Schliesslich lassen sich diese in gedruckten Broschüren nachlesen, die allen Zuschauer*innen ausgehändigt werden. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte findet man anderweitig sogar für Chöre zum Mitsingen. Wenn aber Greuel sagt: «Ich möchte die Menschenrechte zum Klingen bringen», so ist es dagegen eher eine Suche nach einem möglichen Klang der Menschenrechte. Eine Suche nach einem Kern, der assoziativ mit einem Thema verknüpft ist und – sei es als Rap oder als Prozession – sinnlich erfahrbar gemacht wird. «Ich versuche, Menschen zu berühren, ihre Wahrnehmung zu schärfen», sagt die Regisseurin, «und das ist aktuell sehr notwendig, in Zeiten, in denen der Wahlkampf wieder einmal mittels Hetze gegen einzelne Menschengruppen angefeuert wird.» Und sie fügt an: «Das ist alles. Und das ist nicht wenig.»

«Mensch, du hast Recht! – Ein Konzert in 30 Artikeln», Sa, 23. Sept., Do, 28. Sept., So, 1. Okt., Do, 5. Okt., Mi, 15. Nov., Do, 16. Nov., Sa und So 17 Uhr, sonst jeweils 19 Uhr, sogar theater, Josefstrasse 106 (im Innenhof), 8005 Zürich. sogar.ch

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BILD(1): HANS PETER GUTJAHR, BILD(2): ZVG, BILD(3): AYŞE YAVAŞ

Veranstaltungen

Emmenbrücke «ohne Haut – ohne Haus», Ausstellung, Sa, 26. Aug. bis So, 29. Okt., Fr und Sa, 14 bis 17 Uhr, So, 10 bis 16 Uhr, Akku Kunstplattform, Gerliswilstrasse 23. akku-emmen.ch

Die dreiteilige Ausstellungsreihe «Hauthaus» geht in die letzte Phase. Die erste Ausstellung «Haut» startete, logisch, ganz nah bei uns selber. Die folgende mit dem Titel «Haus» beschäftigte sich mit dem Raum um uns herum. Nun widmet sich «ohne Haut – ohne Haus» den Menschen, die ohne Heimat sind. Und den Räumen, die ohne Menschen sind. Es geht dabei um persönliche Schutzräume und um die Verortung des Individuums in der Welt. So treffen hier Grenzen und ihre Auflösungen und Heimat wie Heimatlosigkeit aufeinander – und eine immerwährende Sehnsucht nach dem Anderswo. In einer Installation von Eva Borner zum Beispiel steht ein alter Koffer, voll von Spuren der Reisen, auf denen er seine Besitzer*innen begleitet hat. Im Näherkommen hört man das feine Zirpen von Grillen, und plötzlich klingt damit die Vorstellung eines unendlich langen Sommers an und weckt unsere Sehnsucht. Nach der Ferne vielleicht oder auch nach einer Heimat. DIF

St. Gallen / Ostschweiz «Grenzenlos», Tanztheater, Fr, 8. September, bis Sa, 23. Sept., verschiedene Spielorte. Details online. bewegtekoerper.ch

schiedliche Wertvorstellungen mit sich bringen. Ein vertrautes Thema für die Teilnehmenden mit je eigenen Grenzerfahrungen, sei es aufgrund von Beeinträchtigungen, Fluchtgeschichten, aber auch dem Alter. Nun ist eine Tanzproduktion daraus entstanden, die der Todesfurcht nachspürt und in der das Paradies gesucht wird. Ein Stück, das von Leid und Flucht handelt, an die Grenzen geht und sie durchbricht und dabei letzten Endes das Menschsein zu ergründen sucht. DIF

Neugierig, aber auch ein wenig skeptisch seien sie im September 2022 in der Turnhalle der Heilpädagogischen Schule in St. Gallen gestanden, erzählen zwei der Teilnehmer*innen – 20 Menschen im Alter zwischen 5 und 84 Jahren. Sie folgten damals den Gedanken zum Thema Grenzen der Kunsttherapeutin Susanna Benenati und gingen in den Folgemonaten den Fragen nach, was Menschen zum Streiten bringt, oder welche Spannung Andersartigkeit und unter-

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Zürich «Wild Card 17», queere Literatur, Mo, 11. bis So, 17. September; Mi, 13. Sept., 19. Uhr, «Zürcher Werkstattgespräche – Queer Edition», Fr, 15. Sept., 19 Uhr, «Launch qlitlex.org» und 20 Uhr AI-Slam, Strauhof, Augustinergasse 9. strauhof.ch «Glitter – die Gala der Literaturzeitschriften» will das erste queere Literaturarchiv der Zukunft schaf-

fen: Es soll der Anfang eines digitalen Vernetzungsprojekts werden, das dem Umstand entgegenwirkt, dass queere Autor*innen (aber auch Leser*innen von Queerem) derzeit im deutschsprachigen Raum immer wieder bei Null anfangen müssen, weil es keinerlei Sammelbecken gibt, in denen historisches, literaturwissenschaftliches und gegenwartsliterarisches Know-how zusammenfliessen. So gibt es beispielsweise bisher noch keine literaturwissenschaftliche Abhandlung zu queerer Literatur auf Deutsch und die meisten queeren Klassiker sind entweder vergriffen oder nicht als solche archiviert. Glitter lädt Autor*innen, Literatur-Journalist*innen, Veranstalter*innen und Literaturwissenschaftler*innen ein, vor Ort im Strauhof und im Netz gleich selber Inhalte zu kreieren und auf der neu entstehenden Seite qlitlex.org zu publizieren. Unter anderem mit Marshall Maihofer Demirovic, Selma Matter, Kris Schneeberger und Simon Froehling. DIF

St. Gallen / Deutschschweiz «Laura Vogt – Lesetour», Buchpremière Do, 14. September, 19.30 Uhr, Raum für Literatur St. Gallen, Davidstrasse 42, Anmeldung erwünscht: literaturhaus@wyborada.ch, weitere Lesungstermine online. lauravogt.ch Laura Vogt hat uns für unsere letztjährigen Literaturnummern eine wunderbar witzig-abgründige Kurzgeschichte in Form eines E-Mail-Verkehrs zwischen zwei sich unbekannten Frauen geschrieben. Jetzt erscheint ihr neuester Roman, «Die liegende Frau». Es geht darin um Romi, Szibilla

und Nora, drei Frauen um die dreissig, und ihre Lebensentwürfe. Romi erwartet ihr zweites Kind, und seit kurzem gibt es da auch einen zweiten Mann. Szibilla findet es grundsätzlich unverantwortlich, Kinder in die Welt zu setzen, und Romis Polyamorie ist für sie nichts anderes als eine Möglichkeit, sich noch mehr von Männern abhängig zu machen. Was sie verbindet, ist ihre beste Freundin Nora. Doch Nora flieht mit ihrer kleinen Tochter zu ihrer Mutter ins Schweizer Rheintal, legt sich ins Bett ihres Jugendzimmers – und schweigt. In diesem Geflecht der drei Frauen brechen Fragen auf: Was bedeutet

Freiheit, was Verantwortung? Was prägt junge Frauen heute? Als was sehen sie sich, was wollen sie weitergeben? Laura Vogt zeigt sie uns mit all ihren Schwächen und Stärken, Enttäuschungen und Hoffnungen. Ein lebensbejahender Roman, der deutlich macht, wie Individualismus, Mutterschaft und Selbstbestimmung ständig neu verhandelt werden müssen. DIF

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häusern, die so gar nicht städtisch und schon gar nicht europäisch wirken. Wer bei der Niederlassung eines HardDiscounters die Strasse und danach die Autobahn überquert, landet unverhofft im Wald, im Könizbergwald, wo es schön kühl ist. Wie der namensgebende Kontinent ist dieser Platz ein Platz der Gegensätze. Nicht nur das Deza erweitert ihn über die europäischen Grenzen hinaus, es gibt auch einen asiatischen Lebensmittelmarkt.

Tour de Suisse

Pörtner am Europaplatz, Bern Surprise-Standorte: Coop Einwohner*innen (Stadt Bern): 142 493 Sozialhilfequote in Prozent: 5,0 Anteil Ausländer*innen in Prozent: 24,1 Fläche und Kosten des Europaplatzes: 4563 m2, CHF 3.25 Millionen

Der Europaplatz ist ein wuchtiger Platz, brutalistisch fast, überdeckt von einer vielspurigen Autobahnbrücke, ein Betonmonster geradezu epischen Ausmasses. Immerhin spendet die Brücke Schatten, und der ist gefragt an diesem heissen Sommernachmittag. Auf den kreisförmig um die Autobahnpfeiler angebrachten Stufenbänken sind, von einer Person abgesehen, die offenbar noch nicht genug hat von der Sonne und der Hitze, nur die Schattenplätze belegt. Um sie herum sind am Boden Kreise mit Mustern aufgemalt, die vermutlich eine Bedeutung haben. An einer der Säulen hängen rote Herzen. Zwei Bahnhöfe, jene der Bundesbahnen und der BLS, befinden sich hier, mit lautem Quietschen halten die Züge. Unter die Brücke duckt sich das Häuschen des Berner Modell-Eisenbahn-Clubs. Zu den Surprise 558/23

Geleisen hin gibt es ein wenig Grün am Zaun mit Bänken davor und Hindernissen, die einen Skaterpark darstellen. Bestimmt machen die Skateboarder*innen hier schönen Krach unter all dem Beton. Die breiten Velowege werden kaum befahren. Das Tram trägt das Werbebanner des Bastelzentrums Bern. Flankiert wird der Platz vom Deza, dem gewichtigen Departement für Entwicklung und Zusammenarbeit. Unter den Gleisen hindurch gelangt man auf das Gelände des lokalen Energieversorgers, auf dem sich auch ein runder, ummauerter Platz mit ein paar dürren Bäumen findet. Daneben eine weitreichend bepflanzte Schrebergartensiedlung, in der verschiedene Fahnen südeuropäischer Länder im Wind flattern. Etwas weiter hinten geht man durch eine stille Strasse mit Holz- und Schindel-

Auf der anderen Seite der Geleise befindet sich ein Freibad, in dem mit grösster Wahrscheinlichkeit ein weit höheres Publikumsaufkommen herrscht als auf dem Europaplatz. Die Gäste an den Tischen der Bäckerei bleiben lange vor ihren Getränken sitzen, sodass bald einmal die heissen wie die kalten lauwarm sind. Ein Lüftchen kommt auf, das den Aufenthalt angenehm werden lässt. Jugendliche sausen auf diesen elektrisch betriebenen Rollern herum, für die es keinen Führerschein und keinen Helm braucht und auf denen sogar zu zweit gefahren werden kann. Ein Spass für die Jugendlichen, doch irgendwo im Bundesamt für Unfallverhütung wird sich vermutlich eine Person die Haare raufen, weil es gemeinhin nicht die beste Idee ist, Menschen in einem Alter, in dem sie kaum Risikobewusstsein haben, motorisiert und ungeschützt in den Verkehr zu schicken. Immerhin befindet sich in der Nähe das Berner Bildungszentrum Pflege (BZ Pflege), in dem die Menschen ausgebildet werden, die den Verunfallten helfen können. Auch das Inselspital ist nicht weit, aber noch kommen alle aneinander vorbei auf diesem wuchtigen Platz.

STEPHAN PÖRTNER

Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.

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Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit.

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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

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Farner’s Agrarhandel, Oberstammheim

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Negasi Garahlassie gehört unterdessen schon fast zum Winterthurer Stadtbild. Seit rund 15 Jahren ist Negasi Garahlassie als Surprise-Verkäufer tätig. Entweder verkauft der gebürtige Eritreer seine Magazine auf dem Wochenmarkt oder am Bahnhof Winterthur. Der Arbeitstag des 65-Jährigen beginnt frühmorgens und dauert meist so lange, bis der abendliche Pendelverkehr wieder abgenommen hat. Zusammen mit seiner Frau und seinen zwei erwachsenen Söhnen ist er auf das Einkommen des Strassenmagazinverkaufs angewiesen, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Das SurPlus-Programm unterstützt ihn dabei: Mit Krankentaggelder, bezahlten Ferientagen und einem Abonnement für den öffentlichen Nahverkehr.

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Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Caroline Walpen Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 53 I marketing@surprise.ngo

Einige unserer Verkäufer*innen leben fast ausschliesslich vom Heftverkauf und verzichten auf Sozialhilfe. Surprise bestärkt sie in ihrer Unabhängigkeit. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkäufer*innen zusätzliche Unterstützung. Sie erhalten ein Abonnement für den Nahverkehr, Ferienzuschlag und eine Grundausstattung an Verkaufskleidung. Zudem können bei finanziellen Notlagen aber auch für Gesundheits- oder Weiterbildungskosten weitere Unterstützungsbeiträge ausgerichtet werden. Die Programmteilnehmer*innen werden von den Sozialarbeiter*innen bei Surprise eng begleitet.

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Unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 29 Verkäufer*innen des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlus-Programm teilzunehmen.

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Wir alle sind Surprise #Strassenmagazin: Gedenken an Ruedi Kälin

«Rest in Peace»

«Berührt»

Ruedi und ich vor der Migros Schaffhausen: Immer ein Aufsteller. RIP. Ich werde dich vermissen.

In der Bahnhofsunterführung Chur entdeckt – hat mich berührt. THOMAS HENSEL, Chur

REINHARD NOWAK, Schaffhausen

«Für Ruedi» steht auf der Gedenkfigur.

«Er gab mir Hoffnung» Ich habe selbst 20 Jahre in Zürich gelebt. Dort begann ich mit 20 Jahren zu fotografieren. Mich interessierten damals die Menschen meiner Strassen, doch ich hatte das Gefühl, ich komme nicht näher an sie ran, weil mir einfach der Mut gefehlt hat, sie anzusprechen. Besonders Herr Kälin war ein besonderes Erlebnis. Ich lief hundertfach zwischen Central und damals, glaube ich, dem Pizza Hut hin und her. Bis ich 2014 den Mut hatte, Herrn Kälin anzusprechen. Ich war so erlöst und glücklich, dass er einwilligte, ihn zu porträtieren. Ich kaufte mir auch das Magazin und wir plauderten etwas. Dieser Moment eröffnete mir, wie und wo ich fotografieren will. Herr Kälin offenbarte mir eine ernsthafte, melancholische Freude an einer einfachen, ehrlichen Arbeit. Das Bild, das ich von ihm gemacht habe, gibt mir heute, fast zehn Jahre später, immer noch Hoffnung. Ich stecke selbst in einem Burnout fest und hatte 2010 Krebs, aber wenn ich das Bild von Ruedi Kälin sehe, hilft es. Die Nachricht von seinem Tod macht mich sehr traurig. PATRICK SORRILHA, ohne Ort

Impressum Herausgeber Surprise, Münzgasse 16 CH-4051 Basel Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12 Regionalstelle Bern Beundenfeldstrasse 57, 3013 Bern T +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02 Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Bern: T +41 31 558 53 91 rundgangbe@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T +41 43 321 28 78 M+41 79 797 94 10 anzeigen@surprise.ngo Redaktion Verantwortlich für diese Ausgabe: Sara Winter Sayilir (win) Diana Frei (dif), Klaus Petrus (kp) Reporterin: Lea Stuber (lea) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99

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redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Simon Berginz, Monika Bettschen, Christina Baeriswyl, Carlo Knöpfel, Yvonne, Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Klup Galopp, Eveliina Marty, Maciej Moskwa, Hans Rhyner, Julia Rüegger, Emilia Sulek, Natalia Widla

Ich möchte Surprise abonnieren Das Abonnement ist für jene Personen gedacht, die keinen Zugang zum Heftverkauf auf der Strasse haben. Alle Preise inklusive Versandkosten.

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FOTO: BODARA

Surprise-Nachruf

Ruedi Kälin *20. September 1958 bis †17. Juli 2023

Eigentlich möchte man Ruedi jetzt anrufen und nachfragen, ob das alles wahr sei. Aber man könne ihn zur Zeit nicht erreichen, er habe wohl das Handy verloren, sagte Heini kürzlich, der auch Surprise verkauft und einer seiner besten Freunde ist «z Chur obe». Heini gehörte sozusagen zu Ruedis Team. In seine Mannschaft. Denn im Grunde ging Ruedi das Leben und den SurpriseVerkauf an wie ein Eishockey-Trainer. In Absprache mit dem Heftvertrieb in Zürich organisierte er seine Kollegen, als seien sie seine besten Spieler, er platzierte sie gemäss erwartetem Publikumsaufkommen und stellte Ersatz hin, wenn mal einer fehlte oder ausfiel. Es war ihm ein Anliegen, Surprise präsent zu halten, und so bewirtschaftete er etliche Standplätze von Chur über Davos und Klosters bis nach Zürich und Schaffhausen. Als Surprise-Stadtführer zeigte er dem Publikum Zürich sieben Jahre lang aus der Sicht des ehemals Obdachlosen, informierte über die Ursachen und Auswirkungen von Armut. Seine Eishockey-Begeisterung hatte Ruedi nicht vom Sofa aus entdeckt. Mit 14 Jahren begann er zu spielen, mit 16 wurde er Hockeygoalie in der Nationalliga B, danach zweiter Goalie in der Nationalliga A beim HC Davos. An einem internationalen Turnier in Bern gelangte er auf den Radar der «Montreal Canadians» und bekam eine Einladung nach Kanada. Die sorgenvolleren Seiten von sich gab er nicht so leicht preis. Am Tag nach der Einladung nach Kanada und dem möglichen Start einer Eishockey-Karriere nahm sich sein Vater das Leben. Ruedi kehrte zurück ins Bündnerland, stand der Mutter bei, passte auf die kleinen Geschwister auf und half die Familie durchzubringen. Es war nicht nur das Ende einer potenziellen Profikarriere – es sei etwas in ihm zerbrochen mit dem Tod des Vaters, sagen die, die Ruedi gut kannten. Er fand unterschiedliche Anstellungen, als Stapler- und Magazinfahrer etwa, er betreute Ferienwohnungen und baute sich mit Mitte 20 eine eigene Reinigungsfirma auf. Das sei eine schöne Zeit gewesen, sagte er selbst. Der Zusammenbruch kam nach einer schwierigen Trennung von seiner Partnerin, er landete in Zürich und auf der Strasse. Ruedi war ein Geschichtenerzähler, ein Unterhalter, und er bewahrte sich trotz allen Widrigkeiten einen Optimismus, den er manchmal fast ein bisschen ausstellte. Was durchaus auch etwas provokativ wirkte, denn wer, wenn nicht er, der sieben Jahre lang obdachlos gewesen war, hätte Grund zu klagen gehabt? Ruedi tat es nie. Und er tat den Menschen gut: Leute aus Chur und aus Zürich schrieben uns auf allen Kanälen und erzählten, was Ruedi für sie bedeutete. Sie schickten Bilder von dem kleinen Altar, der in Chur für ihn aufgestellt wurde. 30

Ruedi Kälin, langjähriger Surprise-Verkäufer und -Stadtführer, 1958-2023.

Ganz überraschend kam sein Tod nicht. Er trifft uns trotzdem und er ist schwer zu fassen – vielleicht gerade weil sich in letzter Zeit eine Veränderung abzeichnete. Ruedi litt seit Jahren an Diabetes und hatte deswegen im Spital schon einmal um sein Leben gekämpft. Er hatte es damals geschafft. Und er war auch froh darum, stolz irgendwie. Trotzdem war für ihn ab da klar, dass er nie mehr in ärztliche Behandlung wollte. Weil er wisse, dass er sonst nie mehr aus dem Spital rauskäme, sagte er zu Heini. Ruedi hat sich nie etwas vorschreiben lassen. Und auch nicht anraten. In den letzten Monaten machte ihm sein Diabetes-Fuss erneut zu schaffen. Die Geschichten wurden etwas weniger. Weniger blumig, weniger wild. Der Geschichtenerzähler wurde stiller. Müder. Ruedi hatte seit seiner Kindheit einen Rückzugsort, von dem er noch in einer Verkäuferkolumne vor ein paar Monaten erzählt hatte, einen Stein, auf den er sich setzte und auf den Davoser See hinausblicke, um Energie zu tanken. Das SurpriseTeam organisiert zusammen mit seinen Verwandten nun an diesem Ort ein Abschiedsritual für Ruedi. So, wie er es sich immer gewünscht hatte. Unvorstellbar, dass Ruedi nicht mehr sein soll. Noch immer will man ihn anrufen und nachfragen, ob das wirklich wahr sei.

Text von DIANA FREI

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Rätsel aus #555

Rätsel aus #556

Lösungswort: ERINNERUNGSVERMOEGEN Die Gewinner*innen werden benachrichtigt.

Lösungswort: INAUGENSCHEINNAHME Die Gewinner*innen werden benachrichtigt.

Kultur

Solidaritätsgeste

STRASSENCHOR

CAFÉ SURPRISE

Lebensfreude

Entlastung Sozialwerke

BEGLEITUNG UND BERATUNG

Unterstützung

Job

STRASSENMAGAZIN Information

Zugehörigkeitsgefühl Entwicklungsmöglichkeiten

STRASSENFUSSBALL

Erlebnis

Expertenrolle

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SURPRISE WIRKT Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise 558/23

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LIGA 2023

So 21. Mai, 11–17 Uhr Schützi, Olten So 11. Juni, 11–17 Uhr Helvetiaplatz, Zürich Sa 9. September, 11–17 Uhr Kaserne, Basel So 15. Oktober, 11–17 Uhr Reitschule, Bern Alle Infos auf surprise.ngo/strassenfussballl Unterstützt durch:

Surprise ist Partner von:

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