Hau ruck! Ein Selbstversuch im Sägemehl
Lebenslanger Rausch: Im Altersheim für Drogensüchtige
Die Entscheidung ihres Lebens – eine Transsexuelle erzählt
Nr. 202 | 5. bis 18. Juni 2009 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
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BILD: ESTHER MICHEL
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10 Sucht Pflegebedarf und Drogenkonsum Die Menschen werden immer älter. Auch diejenigen mit einer jahrelangen Suchtgeschichte. Doch konventionelle Betreuungseinrichtungen decken die Bedürfnisse von pflegebedürftigen Drogensüchtigen nicht ab. Das «Bewo City» in Zürich richtet sich ganz nach seiner speziellen Klientel. Zu Besuch in einem Altersheim der etwas anderen Art.
14 INSP-Konferenz Viele Wege, ein Ziel Vom 12. bis zum 17. Mai trafen sich Vertreter von Strassenmagazinen aus der ganzen Welt im norwegischen Bergen. Es wurde fleissig «genetzwerkt», diskutiert und Erfahrungsaustausch betrieben. Trotz komplett unterschiedlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten ist das Hauptanliegen in Afrika, Amerika, Europa, Asien und Australien dasselbe: die Bekämpfung der Armut mithilfe der Strassenzeitungen.
16 Volkssport Frauen im Sägemehl Mit den Augen einer Frau betrachtet, sind Schwinger Grobiane, die sich gegenseitig mit reiner Kraft ins Sägemehl wuchten. Doch im Selbstversuch wird offenbar: Schwingen braucht Technik, und Schwinger sind mehr als gleichgeschaltete Muskelpakete. Beim Anblick der schwingenden Journalistinnen konnten sich die starken Männer das Lachen dann aber doch nicht verkneifen.
Titelbild: Hannes Hübner SURPRISE 202/09
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BILD: HANNES HÜBNER
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Inhalt Editorial Vernetzt Leserbriefe Falsch gestellt Basteln für eine bessere Welt Die Bank Ihres Vertrauens Aufgelesen Knausrige Luxushotels Zugerichtet Zwanghafte Diebin Mit scharf Fichierte Hooligans Erwin Der Surprise-Comic Porträt Kunstpionier im Reich der Mitte Selbstbestimmung Endlich im richtigen Körper Wörter von Pörtner Nur das Beste Kultur Unterhaltung trotz Existenzminimum Kulturtipps Lebendige Musikgeschichte Ausgehtipps Altmetall Verkäuferporträt «Das geschäftige Treiben gefällt mir» Projekt Surplus Chance für alle! Starverkäufer In eigener Sache Impressum INSP
BILD: MEGAFON
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BILD: DOMINIK PLÜSS
FRED LAUENER,
Leserbriefe «Die Standorte Wädenswil und Richterswil fehlen – grundsätzlich aber: Kompliment für das Magazin!»
GESCHÄFTSFÜHRER
Editorial Vernetzt Wir sind nicht die Einzigen. Rund um den Erdball gibt es Strassenzeitungen, die sich gegen Armut und Ausgrenzung einsetzen. Mehr als 100 dieser Projekte aus 40 Ländern sind im weltweiten Netzwerk der Strassenzeitungen (International Network of Streetpapers, INSP) zusammengeschlossen. Mitte Mai trafen sich die Delegierten der INSP-Mitgliedsorganisationen in Bergen, Norwegen, zur jährlichen Konferenz. Neben vielen Workshops und Präsentationen bot die Veranstaltung Gelegenheit neue Kontakte zu knüpfen, bestehende zu vertiefen, und von den Erfahrungen der anderen zu profitieren. Denn die Budgets der meisten Strassenzeitungen lassen Reisen unter dem Jahr zu Kollegen im Ausland nur selten zu. Es war eine Jubiläumskonferenz, denn das INSP gibt es seit exakt 15 Jahren. Surprise gehört zu den grösseren Projekten und nimmt als offizielles «Anniversary Member» zusammen mit vier Partnern in Australien, Deutschland, England und Kanada eine führende Rolle bei der Weiterentwicklung und Förderung der Steetpaper-Idee ein; insbesondere auch in den ärmsten Ländern des Südens. Eindrücke von der Konferenz in Bergen auf Seite 14.
Surprise 200 Schachmatt Entweder ist das Bild auf Seite 22 seitenverkehrt gedruckt worden oder die Schachfiguren bzw. das Brett sind tatsächlich falsch aufgestellt worden. Hans R. Burri, per E-Mail Äxgüsi Wädenswil, Äxgüsi Richterswil! Heute habe ich das 200. Magazin gekauft und war erstaunt, zu lesen: «Wir sind auch in ihrer Nähe». Seit Längerem kaufe ich mein Surprise entweder in Wädenswil vor dem Coop oder in Richterswil vor der Migros. Warum sind diese Standorte wohl nicht angegeben? Grundsätzlich aber: Kompliment für Ihr Magazin. Machen Sie weiter so! Beatrice Schweda, Bäch Wädenswil und Richterswil sind der Redaktion beim Zusammentragen der Verkäufer-Standorte durch die Lappen gegangen. Wir bitten um Entschuldigung. Die Redaktion
Fremdenhass? Ich lese Ihre Zeitung immer mit grossem Interesse. Dieses Mal hat mich ein Detail im Fotoroman «Ein Fall für Kurt» gestört. Muss der Dieb in Ihrer Geschichte unbedingt ein Schwarzer sein? Schürt diese Annahme nicht den Fremdenhass? Ist die Geschichte eine wahre? Ich danke Ihnen für eine Auskunft. Ursula Guyer, per E-Mail Bitte schauen Sie sich das Bild des Diebes nochmals genau an: Er trägt zwar eine schwarze Strumpfkappe und eine schwarze Sonnenbrille – die Haut aber, die über den Augen hervorlugt, ist weiss … Das wissen wir ganz sicher, denn der fluchende Schurke ist kein anderer als unser Redaktor Reto Aschwanden, ein bleicher (Inner-)Schweizer, der in Wirklichkeit mit eher wenig krimineller Energie ausgestattet ist. Die Handlung des Fotoromans war frei erfunden. Ihre Redaktion
Schwingen ist der Schweizer Volkssport Nummer eins. Merkwürdig bloss, dass trotz Aufklärung und Emanzipation unser Volkssport das halbe Volk noch immer ausschliesst. Schwingen ist bist heute fast reine Männersache geblieben. Schwingende Frauen gibt es nur ganz wenige. Ivana Leiseder wagte sich als Frau nicht nur zu den «Bösen» in den Schwingkeller, sondern stieg dort auch gleich selber in die Hose. Ihr Bericht ab Seite 16. Drogensüchtige sind jung, ständig unter Strom und auf der Jagd nach dem nächsten Schuss. Falsch! Auch Drogenabhängige altern, kriegen Falten und mögen nicht mehr pausenlos dem Stoff nachrennen. Manche von ihnen sind schon mit 50 Jahren pflegebedürftig und landen in Altersheimen, obschon sie da nicht hingehören. Passende Institutionen gibt es nur wenige. Amir Ali berichtet ab Seite 10.
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung!
Ich wünsche Ihnen gute Lektüre.
Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt,
F.LAUENER@STRASSENMAGAZIN.CH
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die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 202/09
ILLUSTRATION: WOMM
Mein Geheimnis
Basteln für eine bessere Welt Das Bankgeheimnis ist tot – es lebe die Geheimnisbank. Spüren sie es auch? Irgendetwas fehlt. Ist anders, nicht wie früher. Das elektrisierende Gefühl, etwas versteckt zu haben. Wie damals, als wir als Kinder Schätze vergraben haben. Doch keine Sorge, Hilfe naht: Schneiden Sie aus einem Stück Papier ein Quadrat aus und falten Sie es entlang der gepunkteten Linien. Schreiben Sie Ihr Geheimnis in die Mitte, schliessen Sie das Couvert und kleben Sie es mit Klebeband unter die Parkbank Ihres Vertrauens. Voilà: Ihr ganz persönliches Bankgeheimnis. SURPRISE 202/09
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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Erschwerte Traumatherapie Graz. «Es leben immer mehr Menschen unter uns, die Unsägliches erlebt haben», weiss Trauma-Expertin Uta Wedam vom Grazer Rehab-Zentrum Zebra. Rund 200 Flüchtlinge suchen dort jährlich Hilfe. Die meisten leiden unter Angststörungen und schwersten Depressionen. «Je brutaler das Geschehene, desto schwieriger, das Vertrauen in die Menschen zurückzuerlangen», so Wedam. Besonders kontraproduktiv für den Heilungsprozess sei übrigens der Fremdenhass, dem ihre Patienten im Alltag ständig ausgesetzt seien.
Dumpinglöhne in Luxushotels Hamburg. Zum ersten Mal werden deutsche Hoteliers im Kampf gegen Dumpinglöhne in die Verantwortung genommen: Weil sie ihre Zimmer von Frauen putzen liessen, die dafür mieseste Löhne erhielten, werden mehrere Vier- und Fünf-Sterne-Hotels zur Kasse gebeten: Zwischen 10 000 und 30 000 Euro Strafgeld müssen die Verantwortlichen bezahlen, die bei der Razzia Anfang Jahr aufgeflogen waren. Ausserdem müssen sie mehrere hunderttausend Euro an Sozialversicherungsbeiträgen nachzahlen, und weiter steht ihnen ein Strafverfahren bevor.
Im Namen der Mutter München. Das Münchner Strassenmagazin fragte nach, was Kinder an ihren Mamas lieben: Moritz, 9: «Wenn ich herumtolle, droht mein Vater, dass mich das Jugendamt bald holen komme. Aber dann sagt Mama, dass das Jugendamt bei uns nichts zu suchen hat.» Simona, 10: «Gut finde ich, dass mir Mama Dinge wie Playstation spielen erlaubt – und meinen kleinen Brüdern nicht.» Dilara, 8: «Wenn ich nicht weiss, was ich auswählen soll, zum Beispiel im Restaurant, dann wählt Mama für mich aus. Genau das, was ich auch genommen hätte!»
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Zugerichtet Ich stehle, also bin ich Als Brigitte F.* nicht mehr wusste, wie sie ihrem Chef das Verschwinden einer 2000fränkigen Digitalkamera erklären sollte, ging sie zur Polizei. Jemand habe das Gerät aus ihrem Büroschrank gestohlen, sagte sie. Am nächsten Tag kam sie wieder und gab an, dieser jemand sei sie gewesen. Das war aber noch nicht alles: Sie gestand, fast drei Jahre lang allerlei Utensilien für die Firma bestellt und für sich selbst verwendet zu haben. 67 Fälle von Veruntreuung und Unterschlagung sind in der Anklageschrift aufgelistet. Hinzu kommen noch eine Unterschriftsfälschung und der vorgetäuschte Diebstahl. Mit gesenktem Kopf steht die elegant gekleidete Chefsekretärin vor den Schranken des Gerichts, ihr rundes, hübsches Gesicht ist gerötet, ab und zu schnäuzt sie in ein Taschentuch. Dann sagt sie schonungslos: «Es ist gut, dass endlich alles ans Licht gekommen ist.» Ihre beste Freundin, der sie die Diebstähle anvertraute, riet ihr zur Selbstanzeige und zu einer Psychotherapie. Warum sie so handelte, wisse sie nicht. «Es geschah wie unter Zwang». Viele der bestellten Dinge wie den Ventilator, einen Kunstdruck, die Kaffeemaschine und den Laptop habe sie nicht einmal gebraucht. «Ich war erschrocken, dass ich zu so etwas fähig bin», sagt sie zum Richter. Sie schäme sich vor ihrem elfjährigen Sohn und ihrem Mann. «Aber für meine Straftaten muss ich geradestehen. Ich brauche dringend Hilfe.» Am Tag ihrer Selbstanzeige schätzte Brigitte F. den Schaden auf etwa 20 000 Franken. Die Firma macht allerdings rund 40 000 Franken geltend. Knapp 15 000 Franken hat die Angeklagte mit Hilfe ihrer Familie bereits zurückbezahlt.
Dann hat Brigittes Verteidigerin ihren Auftritt. Sie schildert im Gerichtssaal die Seelenlage ihrer Mandantin. Diese habe damals an Selbsthass gelitten: «Sie erinnert mich an Mädchen, die sich die Haut ritzen. Die aus behütetem Elternhaus kommen und Drogen nehmen. Die erbrechen, obwohl sie schon dünn genug sind.» Dieses Phänomen sei typisch für junge, unreife Frauen. Brigitte F. ist 43 Jahre alt. Ursache für ihren Selbsthass sei das Elternhaus der Angeklagten, in dem «alles in Watte gepackt» war, psycho-analysiert die Verteidigerin. Es sei ein unbewusster Konflikt, in dem ein Mensch nicht selbst agiert, sondern durch den Konflikt agiert würde. Kriminelle Energie sehe sie bei Frau F. nicht, auch nicht die Gefahr eines Rückfalls. Der bizarre Hilferuf habe sogar etwas bewirkt: Der Vater nahm sich seines Alkoholproblems an, die Mutter lebt inzwischen mit einer Frau zusammen. «Das hat es gebraucht», sagt die Verteidigerin beschwörend und schlägt dem Richter vor, von einer Strafe abzusehen. Brigitte ist geständig, reuig, nicht vorbestraft, und hat dank Kind, Mann und neuem Job eine gute Sozialprognose – solche Angeklagten sind selten. In seiner Urteilsbegründung sagt der Richter, das Urteil von einem Jahr bedingt würde lediglich der Verteidigung der Rechtsordnung dienen, denn «die Angeklagte macht bereits alles, um aus dem Teufelskreis herauszukommen.» Auf der Treppe zum Gericht wartet Herr F. auf seine Frau Brigitte. Er nimmt sie in den Arm und gibt ihr einen Kuss. * alle Namen geändert ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 202/09
Gewaltdebatte Hooligans und Bürgerrechte Die Fussball-Meisterschaft ist entschieden, der Kampf gegen Gewalt bei Sportanlässen geht erst richtig los. Doch mit den Massnahmen gegen Chaoten werden fundamentale Prinzipien des Rechtsstaates ausgehebelt. VON RETO ASCHWANDEN
Die Fussballsaison ist vorbei, Schweizermeister und Cupsieger gekürt. Was aber länger in Erinnerung bleibt als tolle Tore, sind die Ausschreitungen rund um die Stadien. Mitte Mai kam es nach dem Match des FC Zürich gegen den FC Basel am Bahnhof Altstetten zu Krawallen. Nach dem Cupfinal am 20. Mai flogen in Bern Fäuste und Flaschen. Ausschreitungen bei Fussballspielen gehören auch in der Schweiz seit Jahren zur Tagesordnung. Und kaum ist das Tränengas verzogen, folgt in Medien und Politik der Ruf nach hartem Durchgreifen. Dabei wird öfter übers Ziel hinaus geschossen. «Die Aufmerksamkeit der Medien führt dazu, dass man das Gefühl hat, die Gewalt steige. Tatsächlich nimmt sie nicht zu», sagte Christoph Vögeli, Leiter der Zentralstelle Hooliganismus in Zürich, vor wenigen Wochen im Tages-Anzeiger. Wieso wird also derart vehement gegen Chaoten und Hooligans mobilisiert? Mitverantwortlich sind die Medien, insbesondere die Sportjournalisten. Berichten sie statt von Abseitsentscheidungen über Krawalle, unterscheiden sich ihre Kommentare zuweilen nicht von jenen am Stammtisch. Was damit zusammenhängt, dass viele Fussballreporter aus dem Gedächtnis sagen können, wer in der Saison 89/90 Torschützenkönig war (Iván Zamorano), aber nicht wissen, wie der Präsident der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) hiess, die zur selben Zeit aktiv war (Moritz Leuenberger). Die PUK deckte damals den so genannten Fichenskandal auf. Während Jahren hatten Bund und Kantone über 700 000 Personen und Organisationen ausspioniert und in geheimen Datenbanken archiviert. Es folgte landesweite Empörung über den «Schnüffelstaat», die bis heute fortwirkt. Dass am 17. Mai dieses Jahres nahezu die Hälfte des Stimmvolks den biometrischen Pass ablehnte, zeigt: Viele Schweizer Bürger stehen staatlicher Datensammlerei nach wie vor misstrauisch gegenüber.
ERWIN
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auf dem Arbeitsamt
Datenschutz spielt im Kampf gegen Chaoten höchstens noch als Schimpfwort eine Rolle. Wer im Umfeld von Sportanlässen randaliert, wird in Datenbanken von Bund und Kantonen erfasst und bleibt bis zu zehn Jahre gespeichert. Bloss: Neben verurteilten Tätern landen auch immer wieder Verdächtige auf diesen Listen. Bundesrat Ueli Maurer will nun noch einen Schritt weiter gehen: Bilder von mutmasslichen Chaoten sollen im Internet publiziert werden, die Täter anschliessend im «Schnellverfahren» der «härtest möglichen Bestrafung» zugeführt werden. Das erinnert nicht nur an den mittelalterlichen Pranger, auch die Unschuldsvermutung wird ausser Kraft gesetzt. Der Kampf gegen Gewalt und Gewalttäter ist notwendig und legitim. Und doch entsteht der Eindruck, dass diejenigen, die am lautesten nach Recht und Ordnung schreien, die Gunst der Stunde nutzen. Denn der Umgang mit Hooligans ist im Rahmen des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der innern Sicherheit geregelt (BWIS). Dieses dient dem Kampf gegen «Gefährdungen durch Terrorismus, verbotenen Nachrichtendienst, gewalttätigen Extremismus und Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen». Wer vor diesem Hintergrund argwöhnt, dass bei der Bekämpfung der Hooligans Methoden ausprobiert und eingeführt werden, die später auch auf anderen Gebieten zum Einsatz kommen könnten, muss nicht unbedingt ein Verschwörungstheoretiker sein. Naiv verhält sich hingegen, wer die unkontrollierte Datensammlerei und öffentliches Anprangern von Verdächtigen gutheisst mit dem Argument: «Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.» ■
VON THEISS
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Porträt Der Kulturvermittler Urs Meile hat eine gute Nase, wenn es um chinesische Gegenwartskunst geht. An seinem Zweitwohnsitz in Peking sucht und findet er seit über zehn Jahren Künstler aus dem Reich der Mitte – und macht sie auch in der Schweiz bekannt. VON OLIVER ZWAHLEN (TEXT) UND LU YOUSEN (FOTO)
Über die dunkle Hose hängt locker ein weisses Hemd, die obersten beiden Knöpfe sind offen. Die sorgsam zurückgekämmten, angegrauten Haare geben den Blick frei auf ein paar tiefe Furchen auf der Stirn: Wenn der 55-jährige Urs Meile an dem etwas antiquierten Holztisch im Innern seiner Galerie in Peking sitzt, dann sieht er aus wie ein Mann, der zu leben weiss. Eine einladende Handbewegung: «Nehmen Sie doch Platz.» Wir befinden uns in Caoshangdi, einem Distrikt im Nordosten Pekings. Die Gegend war früher einmal ein eigenes Dorf, heute ist sie Teil des Stadtgebiets und vielleicht bald das neue Kunstzentrum Chinas. Angefangen hatte alles in einer stillgelegten Waffenfabrik im benachbarten Bezirk Dashanzi, die vor über einem halben Jahrhundert Ingenieure aus der DDR gebaut hatten. Vor etwa zehn Jahren haben Künstler begonnen, die leeren Hallen günstig als Ateliers anzumieten. Irgendwann kamen die Galeristen, irgendwann kam der Boom – und aus der ehemaligen Kunstfabrik wurde eine staatlich sanktionierte «KulturindustrieZone». Weil früher alles geheim war, hatte auch diese Fabrik keinen Namen, sondern bloss eine Nummer: 798. Diese drei Zahlen standen lange für das Aufblühen der chinesischen Gegenwartskunst, die an den Märkten Höchstpreise erzielte. Doch inzwischen sind die Mieten auf dem Gelände so teuer, dass sich bereits erste Künstler und Galeristen einen neuen Platz suchen. Nach jüngsten Angaben mussten von den 200 Galerien bereits etwa 60 schliessen oder umziehen. Manche von ihnen gingen nach Caoshangdi, wo Meile schon seit über drei Jahren seine eigene Galerie be«Ich kann in treibt. Er kam vor der Krise hierher. «798» habe ihm nie gefallen, erklärt er. Das sei zu hektisch, zu laut, zu touristisch. Tatsächlich ist die Galerie Urs Meile eine Oase der Ruhe mitten im hektischen Treiben Pekings. Hier hat Meile seine Zweitwohnung, sonst lebt er in der Schweiz. Meile sieht nachdenklich aus. Auch er spürt die Krise. «In wirtschaftlich schweren Zeiten leidet immer die Kunst als Erstes», meint er. Es wird weniger gekauft und die Preise sind teilweise stark gefallen: «Dies ist allerdings eine längst überfällige Korrektur, nachdem sie in den letzten Jahren derart explodiert waren.» Damals hatten vor allem Spekulanten für hohe Marktwerte in den Auktionshäusern gesorgt. Um seine eigenen Künstler, die Urs Meile an der diesjährigen Kunstmesse Art in Basel präsentiert, macht er sich allerdings wenig Sorgen. «Hoch qualitative Kunst wird sich immer verkaufen», sagt er überzeugt, und man fragt sich, ob dies das Selbstbewusstsein eines sehr erfolgreichen Galeristen ist oder ob Meile sich die Krise selber schönreden will. Lange war nicht klar, dass Urs Meile einmal in die Fussstapfen seines Vater treten würde, der ebenfalls Kunstsammler und Galerist war. SURPRISE 202/09
Zunächst wollte der Luzerner eigentlich Architekt werden, doch habe ihn dort die Ästhetik mehr interessiert als die technischen Aspekte. Bald darauf arbeitete er für ein paar Jahre im Basler Kunstmuseum, wo er Werke restaurierte. Mit dieser Arbeit machte er sich ab 1982 selbstständig. Zehn Jahre später eröffnete er seine eigene Galerie in Luzern. Vor rund drei Jahren kam die Galerie in China dazu. Tatsächlich steht Meile trotz der Krise nicht schlecht da, denn er hat einen wesentlichen Vorteil: Er war einer der ersten westlichen Galeristen, die sich für die zeitgenössische chinesische Kunst interessierten. Lange bevor der Boom ausbrach. Dabei sei es eigentlich fast schon Zufall gewesen, wie er dazu fand: Mitte der 90er-Jahre war sein langjähriger Freund Uli Sigg als Schweizer Botschafter nach Peking entsandt worden. Sigg hatte sich schon damals für die einheimische Gegenwartskunst interessiert und wollte zusammen mit Meile schauen, was es so gibt. «Zusammen haben wir auf mehreren Reisen Hunderte von Galerien abgeklappert», erzählt Meile. Und sie haben erkannt: In China gibt es ein grosses Potenzial. Dies war zu einem Zeitpunkt, als es noch keine derart konzentrierte Kunstszene gab wie heute. Obwohl sich am Anfang kaum jemand in Europa für chinesische Gegenwartskunst interessiert hatte, begann Meile, sie in seiner Galerie in Luzern auszustellen. Es sollte noch ein paar Jahre gehen, bis die chinesische Kunst zu boomen begann. Wohl auch weil er früh angefangen hatte, konnte Urs Meile sehr renommierte Künstler unter Vertrag nehmen. Der Bekannteste von ihnen dürfte etwa Ai Weiwei sein, der dem Basler Architekturbüro Herzog & de
meinen Ausstellungen zeigen, was ich will.» Meuron als Berater beim Entwurf des Olympiastadions zur Seite stand. Immer wieder haben ältere chinesische Künster bemängelt, dass die chinesische Kunst umso apolitischer wurde, je mehr Erfolg sie hatte. Meile sieht dies allerdings nicht so. Es gebe noch immer viele Künstler, die sich stark engagieren. «Aber man darf dabei auch nicht vergessen, dass es damals Dinge zu kritisieren gab, die sich zwischenzeitlich verbessert haben.» Auch kann er nicht bestätigen, dass er Probleme mit der chinesischen Zensur habe: «Ich kann in meinen Ausstellungen zeigen, was ich will.» Bloss einmal musste er ein Bild abhängen. Doch so ganz ohne Probleme und Behördenwillkür scheint es trotzdem nicht zu gehen. Das merken alle, die mit dem Taxi zur Galerie von Urs Meile fahren wollen. Zwar ist der Kunsttempel schon früh mit eigenen Strassenschildern ausgeschildert, doch die führen irgendwann ins Leere. Die lokale Regierung hat sie im vergangenen Sommer wegen der Olympischen Spiele an der entscheidenden Abzweigung entfernen lassen: Angeblich hatten dort bereits zu viele Schilder gestanden. ■
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Sucht Folien rauchen im Altersheim Die Menschen werden immer älter. Auch jene, die ihrem Körper mit Drogen und Alkohol zugesetzt haben. Langzeitsüchtige sind mit 50 oft so krank, dass sie Pflege brauchen, und führen gleichzeitig ein Leben, das sich nicht mit dem Alltag eines Altersheimbetriebs vereinbaren lässt. Diese gesellschaftliche Entwicklung verlangt nach neuen Betreuungskonzepten. VON AMIR ALI (TEXT) UND ESTHER MICHEL (FOTOS)
Herr K. stösst vor dem Lift zu uns. Schon nach wenigen Worten wird klar, dass er keine gute Laune hat. Marianne Spieler versucht es freundlich: «Nass draussen, was?» Herr K. mag nicht freundlich sein und brummt: «Wenn es regnet, ist es immer nass. Immer diese Förmlichkeit.» Während der Fahrt in den vierten Stock hat er sich bereits in Rage geredet, ist seine Stimme eine Spur lauter geworden. «Mich interessiert jetzt mal die Kohle», stellt er klar. «Die nehmen mir mein Geld weg, meine sauer verdiente AHV!» Ausserdem sei der Fernseher manipuliert worden. Herr K. ist um die 70, mager, wirkt zerbrechlich. Sein Blick ist fest und stark, doch sein Gesicht ist gezeichnet vom Alkohol. Mittlerweile steht er in der Tür seines Zimmers im «Bewo City» (Betreutes Wohnen Zürich), einem Wohnheim für Langzeitsüchtige. Herr K. stützt sich auf seinen Spazierstock und will nicht mehr aufhören zu schimpfen. «Das machen sie alles nur, damit ich durchdrehe!», ist er überzeugt. Als das Bewo City vor gut zwei Jahren den Betrieb aufnahm, geriet es als «Junkie-Altersheim» in die Medien. Marianne Spieler leitet die städtische Einrichtung seit einem Jahr. «Unsere Bewohner schimpfen viel», sagt sie mit Blick auf Herrn K. Das liege an der Enttäuschung: «Die Leute hatten auch mal Vorstellungen, wie sie ihr Leben führen wollten.» Das Bewo City liegt mitten in der Stadt Zürich, unweit der Börse. Gerechtigkeitsgasse, die Adresse klingt schon fast etwas schwülstig. Auf der anderen Strassenseite haben zahlreiche Anwaltskanzleien ihre Büros. Das gelb verputzte Gebäude mit dem einsamen Balkon im
zweiten Stock stammt wohl aus der Zeit anfangs des 20. Jahrhunderts. Erbaut als Kinderheim, wurde es später zur Bürgerstube, zur Anlaufstelle für Randständige und schliesslich zum ersten städtischen Altersheim für Süchtige. Ein sandsteinerner Zeuge der gesellschaftlichen Wirklichkeit, gestern und heute. Das Bewo City richtet sich laut Konzeptpapier an «sozial beeinträchtigte Personen», die unter anderem «nicht in der Lage sind, sich in
«Bei Konsumenten harter Drogen rechne ich immer 20 Jahre dazu.»
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einen Heimbetrieb einzufügen». Die eine Fraktion der Bewohnerinnen und Bewohner repräsentiert Herr K: Alkoholiker im AHV-Alter. Den anderen Teil machen langjährige Konsumenten harter Drogen aus. Die jüngste Bewohnerin ist 35, der älteste Mitte 50. «Bei Konsumenten harter Drogen rechne ich immer 20 Jahre dazu», stellt Marianne Spieler nüchtern fest. Das Gift, die Sucht und der entsprechende Lebenswandel haben eine nachhaltige Wirkung. Zerstörte Lebern führen zu Stoffwechselkrankheiten. Hoher Blutdruck und Herzkrankheiten sind die Folge von Medikamenten und ihren Nebenwirkungen. Drogensüchtige altern schnell und haben mit 40 Abszesse und Osteoporose, an der normalerweise Hochbetagte leiden. Unbehandelte Hepatitis-Infektionen entfalten nach rund 20 Jahren ihre volle Wirkung. Und dennoch: Dank medizinischer und sozialer Begleitung werden auch Suchtkranke immer älter. Die erste Generation von Heroinabhängigen kommt in die Jahre. 2005 erhob das Bundesamt für Gesundheit SURPRISE 202/09
Im «Bewo City» ist das Tagesprogramm ein anderes als in einem herkömmlichen Altersheim. SURPRISE 202/09
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(BAG) bei Abhängigen von harten Drogen einen Altersdurchschnitt von 37 Jahren. 1994 hatte er noch bei 29 Jahren gelegen. Knapp 260 Heroin- oder Methadonkonsumenten über 45 Jahre traten 2007 in ein Suchthilfeprogramm ein, sei es Heroinabgabe oder Entzugsstation. Rund zwölf Prozent der so erfassten Süchtigen sind für ihre Verhältnisse im Rentenalter. Der älteste Fall in der Kategorie «Opiate» könnte mittlerweile 70 sein. «Konstant lebensbedrohlicher Zustand» Diese Entwicklung bedeutet für die Gesellschaft eine neue Herausforderung. Menschen, die ihre Karrieren auf dem Platzspitz und am Letten gemacht haben, brauchen Pflege. Die wöchentlich ein oder zwei Besuche der Sozialarbeiterinnen im herkömmlichen begleiteten Wohnen reichen nicht mehr aus. Und gleichzeitig haben die Betroffenen einen Lebensstil, der in Altersresidenzen zum Rausschmiss führt. Folien rauchen und Alkohol vertragen sich nicht mit dem Betrieb eines regulären Altersheims. Deshalb nahm die Stadt Zürich Ende 2006 das Bewo City in Betrieb, 19 Zimmer auf vier Stockwerken. 16 Menschen leben hier, gerade steht ein Neueintritt an. Etwa drei Anfragen erhält Marianne Spieler jede Woche. Im Bewo City müssen sich die Bewohner an keinen geregelten Tagesablauf halten, sie dürfen auf den Zimmern rauchen, trinken, Drogen konsumieren. Mit einigen versuchen die Betreuer, einen strukturierten Wochenplan umzusetzen; montags Aschenbecher leeren, dienstags Bettwäsche wechseln und so weiter. Die Bewohner sollen so viel wie möglich selbst machen. So wird im Bewo City auch nicht für die Bewohner gekocht, dafür gibt es auf jeder Etage eine Kochnische. Der eine oder die andere macht zudem Gebrauch von den Gutscheinen für den städtischen Mittagstisch gleich nebenan. Die Drogen müssen sie sich nach wie vor selbst beschaffen, sei es auf der Gasse oder in der Ab-
gabestelle. Viele schlafen tagsüber und kommen erst am Abend aus ihren Zimmern, andere kommen um die Mittagszeit betrunken nach Hause. Manchmal rastet jemand aus, für eine Stunde oder einen halben Tag, wird gewalttätig. Dann muss der Psychiater kommen, Medikamente geben, allenfalls den fürsorgerischen Freiheitsentzug anordnen. Im Bewo City verbringen tragische Lebenskünstler von gestern ihren Lebensabend. «Starke Charaktere mit Ecken und Kanten», beschreibt Marianne Spieler ihre Klienten. «Freiheitsliebende Menschen, die es nicht mögen, wenn man ihnen dreinredet.» Für die meisten Bewohner ist das Bewo City die letzte Station vor dem Totenbett. Und dennoch ist der Tod unter den Bewohnern kein Thema. Nicht nur, weil der Rausch die Schmerzen länger erträglich macht. Die meisten warten lange, bis
Im BeWo City verbringen tragische Lebenskünstler von gestern ihren Lebensabend. sie um die Verlegung ins Spital bitten. «Unsere Klienten befinden sich eigentlich in einem konstant lebensbedrohlichen Zustand», sagt Angela Gindrat mit ernster Miene. Die Pflegefachfrau arbeitet seit einem knappen Jahr im Bewo City. Während sie die Medikamenten-Cocktails für die Woche zusammenstellt, klopft es an der Tür. Vor dem Büro steht Frau T. Sie ist gezeichnet vom langjährigen Heroinkonsum, die Arme geschwollen, das Gesicht eine Maske aus Wachs, die Stimme gepresst. Sie hat eine Stehlampe gefunden, die sie sich ins Zimmer stellen möchte. Aufgeregt bittet sie um Rat und eine Glühbirne. Ruhig, aber bestimmt fragt Angela Gindrat, ob sie denn im Zimmer überhaupt einen guten Platz habe für die Lampe. «Ich bin doch nicht blöd», regt sich Frau T. auf. Schliesslich wird die Leuchte mit Desinfektionstüchern etwas gereinigt und Frau T. kann ihren Fund mit nach oben nehmen.
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Leiterin Marianne Spieler hat beim Suchtverhalten der Langzeitsüchtigen keine Erwartungen, bei deren Alltagsbewältigung aber schon.
Marianne Spieler lächelt. «Unsere Leute hier haben überhaupt keine Geduld. Alles muss immer sofort geschehen», stellt sie fest. Das Leben auf der Gasse und in der Drogenszene präge den Charakter: Die Süchtigen seien immer im Beschaffungsstress. Nach den Jahren im Stadtdschungel müssten sie sich daran gewöhnen, wieder ein sicheres Rückzugsgebiet zu haben. Die einen blühten nach einiger Zeit im Bewo City richtiggehend auf. Andere zögen sich zurück, täten sich schwer mit den neuen Bedingungen. Und sie seien oft sehr verletzlich, weil sie in ihrem Leben kaum Zuwendung erfahren hätten. Auch in scheinbar belanglosen Dingen fühlten sie sich schnell abgelehnt und reagierten beleidigt. Für die Betreuer bedeutet das eine permanente Gratwanderung: «Wo gibt man nach, wo bleibt man hart?» «Ich bin hier zu 80 Prozent Sozialarbeiterin», scherzt Pflegefachfrau Angela Gindrat. Als langjährige Mitarbeiterin in einer Heroinabgabestelle kennt sie die Drogenszene und ihre Eigenheiten. Über die Chancen der Bewohner macht sich Gindrat keine Illusionen: «Abstinenz ist hier kein Ziel. Ich bin schon zufrieden, wenn die Leute den Heimweg jedes Mal finden. Wer trinkt, seit er zwölf ist, wird sich wahrscheinlich nicht mehr ändern.» Es gehe bei ihrer Arbeit vielmehr darum, den Menschen eine würdige zweite Lebenshälfte neben der Sucht zu ermöglichen. Dafür zu sorgen, dass neben Alkohol oder Heroin auch Nahrungsmittel und Kleider auf den Einkaufszettel der Klienten kommen. «Wir betreiben Schadensminderung und leisten Überlebenshilfe», fasst Angela Gindrat zusammen.
Abmachungen halten.» So sollen sie etwa ihre Budgets einhalten. Im Haus nicht mit Drogen handeln. Kleidergeld auch wirklich für Kleider ausgeben. Oder das Ladenverbot im Denner des Quartiers respektieren. Die grösste Herausforderung sei es, die Lebensweise der Süchtigen zu akzeptieren. «Ich versuche ihnen Stabilität zu geben, ihnen mögliche Wege durch den Alltag zu zeigen. Dass sie es dennoch anders machen, ist oft vorprogrammiert.» Das auszuhalten, sei nicht einfach. Aber Marianne Spieler konzentriert sich auf das, was gut funktioniert: «Ich versuche immer zu schauen, was dieser oder jener Person gut gelingt. Wo sie vielleicht sogar Fortschritte macht.» Kontinuierlich mit den Klienten Lösungen suchen und finden, das halte sie an der Arbeit. Die leuchtend gelben Blumen in Marianne Spielers Büro scheinen ihre Worte zu unterstreichen. Manchmal, erzählt sie, nehme ein Leben im Bewo City sogar eine unerwartete Wendung, blühe ein Mensch auf in der ungekannten Geborgenheit. Die Endstation kann zum Zwischenhalt werden. «Diese Hoffnung», sagt Marianne Spieler, «habe ich nicht verloren.» ■
Gelb blüht die Hoffnung Marianne Spieler ist sich bewusst, dass sie in Sachen Suchtverhalten an ihre Klienten keine Erwartungen stellen kann. Was aber die Bewältigung des Alltags angeht, hat die Leiterin des Bewo City durchaus Ansprüche an die Bewohnerinnen und Bewohner. «Die Leute haben sich entschieden, hierher zu kommen. Dazu gehört, dass sie sich an die SURPRISE 202/09
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Strassenmagazine global Die ganze Welt der Strassenmagazine Strassenmagazine gibt es auf der ganzen Welt. Einmal jährlich treffen sich ihre Vertreter bei der Konferenz des «International Network of Street Papers» (INSP). Zum 15-jährigen INSP-Jubiläum reisten die Delegierten nach Bergen in Norwegen. Einige von ihnen kamen nach fünf Tagen ziemlich geschlaucht zurück. Neben einer Vielzahl von Workshops, Vorträgen und Gruppendiskussionen hatte auch die Sonne, die im hohen Norden bis weit in die Nacht einfach nicht untergehen wollte, ihren Tribut gefordert.
BILD: GEIL DILLAN
BILDER: JULIA KONSTANTINIDIS, FRED LAUENER, MEGAFON; TEXTE: RETO ASCHWANDEN
Gemeinsam gegen soziale Ausgrenzung: Insgesamt trafen sich in Bergen über 90 Delegierte von fünf Kontinenten.
Bergen ist die zweitgrösste Stadt Norwegens. Dank des Golfstroms ist das Klima relativ mild, dafür regnet es an bis zu 300 Tagen pro Jahr. Die INSP-Delegierten hatten aber Glück: Fünf Tage Sonnenschein, der die Stadt und die umliegenden Fjorde in magisches Licht tauchte.
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Alles andere als Hinterbänkler: Redaktorin Julia Konstantinidis präsentierte dem Plenum die Resultate einer Gruppendiskussion. Geschäftsführer Fred Lauener ver-
Nicht nur die Schweiz hat eine Strassenfussball-Liga, auch in Bergen wurde fleis-
trat Surprise in der Gruppe der «Anniversary Members» und sprach über kommen-
sig gekickt. Gegen die barfüssigen Junioren aus Brasilien ging das INSP-Team
de Herausforderungen der Strassenmagazine.
sang- und klanglos unter. Normalerweise gut unterrichtete Quellen munkelten, das könnte mit einer Feier am Vorabend zusammenhängen, die angeblich bis in die Morgenstunden dauerte.
Zum 15-jährigen Jubiläum von INSP gab es eine zuckersüsse Torte. Auch sonst wurden die Teilnehmer vorzüglich verpflegt. So weiss die Surprise-Delegation nun
Speed-Networking zum Auftakt einer Reihe von Workshops: Alle fünf Minuten
unter anderem auch, wie Rentier schmeckt (trocken und ein wenig zäh).
wechselten die Delegierten den Gesprächspartner. Redaktor Reto Aschwanden
BILD: FELIPE CASTELBLANCO
BILD: RUNE ULVIK
(links) war beim Gespräch mit Shea Davis von Street-Speech Ohio ganz Ohr.
Bei einer grossen Gala im Logen Theater wurden die besten Beiträge des Jahres ausgezeichnet. Wer nichts gewann, genoss trotzdem die festliche Atmosphäre und wunderte sich, wie manche der ansonsten meist leger gekleideten Mitarbeitenden der Strassenmagazine in Anzug und Abendkleid aussahen.
Surprise im Kreise seiner Kollegen. Die Bandbreite der Strassenmagazine ist enorm und reicht von einfachen Zeitungen über grob geheftete Zeitschriften bis zu aufwendig produzierten Magazinen. SURPRISE 202/09
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Volkssport Friedlicher Hosenlupf
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Aller Anfang ist schwer: Die Journalistinnen im Ring.
Schwingen liegt im Trend. Landauf, landab messen sich immer mehr starke Männer im Ring. Was fasziniert die moderne Schweiz am urchigen Sport? Unsere Autorin wagte den Selbstversuch im Sägemehl. VON IVANA LEISEDER (TEXT) UND HANNES HÜBNER (BILD)
«Ihr müsst mit dem linken Arm über die Schulter der Gegnerin greifen.» Daniel Reichlin ist technischer Leiter des Schwingklubs Zürich und erklärt uns wie der «Brienzer» geht. Wir stehen in der Trainingshalle des Klubs und geben unser Bestes, um den berühmten Schwung möglichst elegant auszuführen. «Nicht so verkrampft», sagt der aktive Schwinger seelenruhig, während wir Bäche schwitzen. Dann hängt Kollegin Magdalena mit dem rechten Bein in meinem linken ein, und schneller als mir lieb ist, liege ich am Boden. Mein Rücken schmerzt und die anfänglich über die Hüfte gezogenen Jutehosen baumeln um meine Knie. Ich sehe aus wie ein schottisches Hochlandrind, das sich eindeutig zu lange im Sägemehl gewälzt hat. Eines ist jetzt schon klar: Schwingen ist schwieriger, als ich gedacht hatte. Viel schwieriger. «Am meisten liebe ich am Schwingen, dass es ein Zweikampfsport ist», sagt Reichlin. Der 29-jährige Zimmermann ist durch seinen Vater zum Schwingen gekommen: «Ich habe ihm einmal als Bub beim Trai-
ning zugeschaut. Es hat mich sofort gepackt», erzählt er. Nun kämpft er seit über 20 Jahren im Ring und ist an diesem Samstagnachmittag unser persönlicher Schwinginstruktor. Auf seinem T-Shirt steht eine klare Ansage: «Stark – stärker – Schwinger.» Mit von der Partie ist auch Reichlins Kollege Christoph Thalmann, der in Zürich die Jungschwinger leitet. Der 30-Jährige schwingt nach zehnjähriger Pause seit über einem Jahr wieder aktiv: «Fussball ist nichts für mich», so der selbstständige
«Beim Schwingen kannst du dich nicht in einem Team verstecken.»
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Handwerker. «Das ist doch kein Sport. Da schwinge ich lieber. Beim Schwingen kann man sich nämlich nicht hinter jemand anderem verstecken», sagt er stolz. Das Schwingen ist heute längst nicht mehr nur ein Sport für Bauern: «Wir haben Männer aus allen Berufen bei uns im Klub – vom ETH-Studenten bis hin zum Banker», sagt Reichlin. Tatsächlich liegt Schwingen im Trend, nicht zuletzt dank der hohen Medienpräsenz von Szenegrös-
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«Nicht so verkrampft!» Instruktor Daniel Reichlin beim Training der schwingenden Frauen.
sen wie dem amtierenden Schwingerkönig Jörg Abderhalden. «In der Schweiz gibt es zurzeit etwa 2500 aktive Schwinger. Und die Feste werden immer grösser – das letztjährige Eidgenössische besuchten über 50 000 Leute. Das Fernsehen übertrug während 15 Stunden live. Das schafft kaum eine andere Sportart in der Schweiz», erzählt Reichlin. «Vielleicht besinnen sich die Menschen auch auf ihre Wurzeln. Schwingen ist einfach friedlich. Geh mal an ein Schwingfest. Dort läuft jeder mit seinem Rucksäckchen herum. Es braucht keine Securitas. Bei einem Fussballmatch wäre dies undenkbar.» «Die Kollegen lachen mich aus» Nicht nur die Erwachsenen verfallen vermehrt der Faszination des traditionellen Kräftemessens, auch immer mehr Buben tauschen die Karategürtel gegen Schwinghosen ein. Etwa die Halbwüchsigen, die sich unterdessen zum Training in der Halle eingefunden haben. Im Gespräch vernimmt man Erstaunliches: Viele der Buben haben einen Migrationshintergrund. Bei Leonardo zum Beispiel wird zu Hause nicht Schwiizerdüütsch gesprochen, denn sein Vater ist Italiener. Seit über vier Jahren schwingt Leonardo jetzt schon, dazu gekommen sei er durch einen Zeitungsartikel: «Es ist ganz anders als andere Sportarten, bei denen man als Team spielt. Hier muss ich alleine kämpfen. Schwingen ist einfach irgendwie lustig», sagt der 15-Jährige mit leuchtenden Augen. Weniger lustig seien die Reaktionen seiner Schulkameraden: «Die finden Schwingen nicht besonders cool und lachen mich manchmal aus», erzählt er. Kann er als Schwinger solche Rotzlöffel denn nicht mit einem beherzten Hosenlupf in den Senkel stellen? «Doch schon. Aber dann schlagen sie mich zusammen», sagt er und streicht mit dem Fuss durch das Sägemehl.
Schwingen hat ein klares Ziel: Den anderen auf den Boden bringen – egal wie. «Dabei müssen beide Schulterblätter den Boden berühren. Wichtig ist, dass der überlegene Schwinger den unterlegenen mit mindestens einer Hand noch an der Schwinghose festhält. Dann zählt der Wurf», erklärt Reichlin. Die Schwinger wenden beim Zweikampf verschiedenste traditionelle Griffe an, die allesamt sprechende Namen tragen, wie etwa der Übersprung oder der Hüfter. «Es gibt Hunderte von Schwüngen», lacht Reichlin. «Beim Training beginnt man mit den Einfachsten, zum Beispiel mit dem Kurzen.» Genau diesen sollen auch Magdalena und ich ausprobieren. «Ihr müsst einander mit leicht nach rechts gedrehtem Körper übers Knie werfen», erklärt Reichlin. «Komm Chrigl, wir zeigen es ihnen.» Die beiden Schwinger drücken sich gegenseitig die Köpfe an die Brust, ringen ein paar Sekunden schnaubend miteinander, bevor Reichlin seinen Kollegen flink auf den Boden schleudert. «Und jetzt ihr.» Magdalena und ich greifen uns an die Schwingho-
«Ich respektiere jeden Gegner. Ein Schwinger ist ein Schwinger.»
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sen, tänzeln unsicher mit den Beinen hin und her. Dann ziehe ich mit aller Kraft und bringe Magdalena mit einem Ruck zu Boden. «Ja, genau so! Das war super!», applaudiert Reichlin. Unerwünschtes «Wyberschwinget» Tatsächlich machen wir keine schlechte Gattung – obwohl sich selbst der «einfachste» Schwung für uns Anfängerinnen als grosse Herausforderung erweist. Aber wie ist das denn mit den Frauen – dürfen die überhaupt schwingen? «Oh Gott», lacht Thalmann, beinahe hämisch. «Das SURPRISE 202/09
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ist doch absolut unspannend. Ausserdem mÜchte ich meinen Kopf nicht zwischen zwei Brßste stecken mßssen. Nein, danke. Tatsächlich ist der Frauenschwingverband eine vom eidgenÜssischen Schwingverband getrennte Organisation, denn die EidgenÜssischen tolerieren das sogenannte Wyberschwinget nicht. In der Chefetage sei man da vielleicht schon ein wenig konservativ, so Reichlin. Aber die Jungen haben damit weniger Mßhe. Er selbst akzeptiere schwingende Frauen. Nur sollten sie sich vielleicht eine eigene Schwingtechnik aneignen: Männer arbeiten viel mit Kraft und Explosivität. Das fehlt den Frauen halt einfach, sagt der Schwinger und blickt dabei schßchtern zu Boden. Thalmann und Reichlin demonstrieren uns den letzten Schwung fßr heute, den Bodelätz, bei dem man sich offensichtlich sehr nahe kommt – vielleicht zu nahe? Daran denke ich nicht. Mein einziges Ziel ist es, den anderen flachzulegen, sagt Thalmann. Im gleichen Atemzug räumt der stämmige Schwinger ein: Gut, mit einem Schwulen kÜnnte ich nicht schwingen. Ich hätte Angst, dass er mich angrapschen wßrde. Reichlin siehts weniger eng: Mir ist egal wer mein Gegner ist. Ich respektiere alle. Ein Schwinger ist ein Schwinger. Wir ßben noch ein wenig weiter, bis Magdalena mir bei einer Bodenßbung den Hals verrenkt. An diesem Punkt gebe ich mich geschlagen. Fßr heute habe ich die Nase voll – nicht nur vom Sägemehl. Thalmann und Reichlin lachen. Irgendwie ist das schon noch lustig, wenn zwei Weiber schwingen, schmunzelt Thalmann – nicht ohne Schadenfreude. Gehen wir jetzt wenigstens einen Kafischnaps trinken zur Feier des Tages? Gerne, sagt Reichlin, derweil ein verstohlenes Lächeln ßber seine roten Wangen huscht. ZÜgerlich fßgt der gross gewachsene Schwinger hinzu: Wenn ihr Lust habt: Kommt doch einmal vorbei im Training – wir wßrden uns freuen. Er greift zum Schlauch und spritzt geduldig das Sägemehl von der Treppe, das bei unserem Kampf ßber den Ring hinaus gestiebt ist. ■www.esv.ch
Hier treffen sich die BÜsen Der wichtigste Wettkampf ist das EidgenÜssische Schwing- und Älplerfest, das alle drei Jahre stattfindet – zum letzten Mal 2007 in Aarau. Der Sieger dieses Turniers wird zum SchwingerkÜnig ausgerufen und erhält als Preis einen Muni. Weitere BÜse, wie die Spitzenschwinger umgangssprachlich heissen, werden mit einem Kranz ausgezeichnet. Während des Sommerhalbjahres finden Dutzende von kantonalen und regionalen Schwingfesten statt, die grÜssten ziehen Tausende von Zuschauern an. Starke Männer, Ländlermusik und JodelchÜre gibt es auch in Ihrer Nähe. Juni 2009 07. Aargauer Kantonalschwingfest, Aarburg AG 14. Schwing- und Älplerfest auf dem Stoos, Stoos SZ 20. Abendschwingen Lungern, Lungern OW 28. Nordostschweizerisches Schwingfest, Wilchingen SH Juli 2009 05. Innerschweizerisches Schwingfest, Baar ZG 12. Schwing- und Älplerfest Rigi, Staffel SZ 19. Freiburger Kantonal-Schwingfest, Riaz FR 26. Brßnigschwinget, Brßnig PasshÜhe OW August 2009 02. Schwing- und Älplerfest Ricken, Ricken SG 09. Bernisch-kantonales Schwingfest, Laupen BE 16. Schwägalp-Schwinget, Schwägalp AR 29. Bachtelschwinget, Hinwil ZH 30. Nordwestschweizerisches Schwingfest, Buchs AG SURPRISE 202/09
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Sandra Infanger hat das Beste aus ihrem Leben gemacht.
Selbstbestimmung Lieber Gott, bitte lass mich ein Mädchen sein Erst als sie erwachsen war, teilte die Transsexuelle Sandra Infanger ihrem Vater mit, dass er fortan keinen Sohn mehr, sondern eine Tochter habe. Heute lebt sie als Frau. Doch der Weg dahin war ein harter Kampf – für sie selber wie auch für ihre Familie. VON MARCEL FRIEDLI (TEXT) UND RUBEN HOLLINGER (BILD)
Es fällt kaum auf, das weisse Mehrfamilienhaus im Grünen, in Bellach, einem Ort bei Solothurn am Jurasüdfuss. Hier im Parterre wohnt die Transsexuelle Sandra Infanger, hier hat die 28-Jährige endlich ihr Zuhause gefunden. Seit der Operation vor drei Jahren, die sichtbar macht, wie sie sich fühlt: als Frau. Drei Jahre am selben Ort zu leben, ist an sich nicht spektakulär. Wären vorher nicht sieben Jahre Unruhe gewesen. In diesen sieben Jahren hat sie mindestens 15 Mal die Wohnung gewechselt. Diese Unruhe hat zwar auch mit ihrer angeborenen Hyperaktivität zu tun, aber nicht nur:
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«Ich war nirgendwo daheim, das war für mich die Hölle auf Erden. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich an einem Ort wirklich zu Hause, ohne mich von Umzugsgedanken umtreiben zu lassen. Vor allem fühle ich mich auch in meinem Körper zu Hause: in meinem weiblichen Körper, in meinem Frauenkörper.» Zum Gefühl, angekommen zu sein, trägt zudem bei, dass sie im Sommer ihren Mann Chris geheiratet hat. Rückblende: Vor drei Jahren erfüllt sich Sandra Infangers grösster Wunsch, den sie als Junge jeden Abend vor dem Einschlafen als Stossgebet nach oben geschickt hatte: ein Mädchen zu sein. Sie nimmt eine sieben Stunden dauernde Operation auf sich, um ihren Penis loszuwerden, den sie als lästig empfindet, und dafür eine Vagina zu erhalSURPRISE 202/09
ten. «Ich fühlte mich erleichtert und war voller Euphorie.» Von nun an öffnet sie keine Post mehr, die an Adrian Infanger gerichtet ist. Den Entscheid, die amtliche Identität als Adrian abzulegen, hat sie an ihrem 22. Geburtstag gefällt. Sie wollte endlich den Männerkörper abstreifen, in dem sie sich nie wohlgefühlt hatte. «Ich hatte das Gefühl, nicht ich selber zu sein. Denn schon mit drei Jahren verkündete ich, dass ich ein Mädchen bin. Doch ich wurde nicht ernst genommen.» Sie habe ihr Kind davor schützen wollen, ausgelacht zu werden, erinnert sich Infangers Mutter. Denn zunächst habe sie gedacht, das sei bloss ein Spleen. Später toleriert sie, dass Adrian zu Hause Frauenkleider trägt. «Sobald Besuch kam, zog er sich um.» Adrians Vater ahnt nichts. Vom Kampf seines Kindes um die eigene Identität erfährt er erst, als ihm Sandra als Erwachsene per E-Mail mitteilt, er habe nun keinen Sohn mehr, sondern eine Tochter. «Ich fühlte mich vollkommen überrollt. Mittlerweile habe ich das aber verdaut. Ich wünsche mir für sie, dass sie glücklich ist.» Adrian versucht in seiner Kindheit, in die Rolle zu schlüpfen, die ihm sein Körper vorgibt. Seine Schwester, mit der er sich gut versteht, kommt bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Dieser Verlust setzt ihm zu, er zieht sich in seine eigene Welt zurück, hat kaum Freunde. Zappelig, voller Impulse, direkt und gradlinig sucht Adrian Aufmerksamkeit, fällt den Lehrpersonen vor allem negativ auf und rangiert in der Beliebtheitsskala seiner Klassenkameradinnen und -kameraden ganz unten. Er wird, so erzählt Sandra heute, zu Hause geschlagen, gegenüber dem Bruder benachteiligt. «Schläge waren nicht an der Tagesordnung, vielleicht gab es mal einen Klaps auf den Hintern», widerspricht ihr Vater. «Mir scheint, sie schätzt die Zuwendung, die sie erfahren hat, geringer ein als jene ihres Bruders.» Zwischen ihr und ihrem Bruder, der an einer Nahrungsmittelallergie leidet, habe es immer Rivalitäten gegeben. «Wir haben uns bemüht», verteidigt sich die Mutter, «beide gleich zu behandeln.»
nach, wird süchtig nach Computerspielen und investiert einen Teil seiner IV-Rente in Glückslose. «Ich stand auf der Kippe: entweder abstürzen oder das Beste aus meinem Leben machen.» Energie für fünf Sie entscheidet sich für Variante zwei, ist als freischaffende Fotografin tätig, zieht einen Blog auf, arbeitet eine zeitlang in einem Gastronomiekonzern. Sie versucht sich als Jungpolitikerin im linken Spektrum, verkracht sich dort aber mehrmals und sorgt bei einem Bundesgerichtsent-
«Ich fühle mich in meinem Körper zu Hause, in meinem Frauenkörper.»
Abgeschoben zur IV Aufgrund von Problemen zu Hause und in der Schule kommt Adrian in ein Kinderheim, macht dort einen Sekundarschulabschluss. Einzelne Mädchen, darunter eines, das Sandra heisst, wissen, dass er ab und zu Frauenkleider anzieht. Ebenso Karl Diethelm, der Psychologe, der ihn begleitet: «Es war damals für mich schwierig, einzuschätzen, ob dies Ausdruck seines Wunsches war, etwas Besonderes zu sein, oder ob er sich wirklich im falschen Körper wähnte.» Der Stimmbruch verstärkt Adrians seelische Not, und er ist froh, dass sein Bart nicht so heftig spriesst wie bei anderen Jünglingen. «Wenn ich zurück könnte, würde ich mir wünschen, ich hätte vor der Pubertät Hormone genommen, bevor die Entwicklung zum Mann eingesetzt hat. Das hätte mir einiges Leid erspart.» In die Zeit des Kinderheim-Aufenthalts fällt die Scheidung der Eltern. Adrian fühlt sich zwischen seiner Mutter und seinem Vater hinund hergerissen. Dazu kommt die Frage der Berufswahl. Er schreibt zahlreiche Bewerbungen für Lehrstellen und erhält eine Absage nach der anderen. Mit 18 wird Adrian zum IV-Rentner. Dies wird offiziell mit der zerebralen Störung begründet, die sich manchmal als Zittern der Hand oder auch am ganzen Körper zeigt. «Das», empört sich Karl Diethelm, «war ein katastrophaler Entscheid für eine Person, die fähig ist, einen Beruf zu erlernen und deren Selbstwertgefühl nicht das beste ist. Auch wenn der Umgang mit ihr nicht immer leicht ist, weil sie ihre Meinung meist lauthals verkündet.» Der Vater setzt sein Kind mit 18 vor die Tür. So erzählt es Sandra. Der Vater widerspricht: «Sie wohnte offiziell gar nicht bei mir. Zudem blieb mir aufgrund ihres Benehmens nichts anderes übrig.» Adrian stürzt in eine Krise. «Ich fühlte mich als Taugenichts und fragte mich, ob ich schwul oder ein Transvestit bin.» Er ist oft allein, denkt viel SURPRISE 202/09
scheid national für Aufsehen: Ihre Kandidatur als Frau für die Solothurner Kantonsratswahlen wird nicht anerkannt, weil sie offiziell noch als Adrian geführt wird. Letztes Jahr hat sie ihre eigene Ein-Frau-Partei gegründet – die Alternative Schweizer Partei (ASP) – und will damit mindestens die lokale Politszene aufmischen. Bei der Neuwahl des Solothurner Kantonsparlaments im März 2009 blieb sie allerdings chancenlos. Sie hat gelernt, ihre Energien, «die für fünf Personen reichen», zu kanalisieren. Oft unternimmt sie ausgedehnte Wanderungen: «Die Natur gibt mir alles, was ich brauche. Sie liebt mich so, wie ich bin.» Dort, den Finger auf dem Auslöser ihrer Kamera, wird sie, die sonst viel Kraft in energieraubende Kämpfe investiert, ruhig und zufrieden. Seit sechs Jahren kleidet sie sich wie eine Frau, hat sich die Haare wachsen lassen, nimmt jeden Tag zwei blaue, bittersüsse Tabletten: Hormone. Sie haben ihr Brüste wachsen und ihre Hüften rund werden lassen, haben den einst starken Trieb nach Sex gedämpft. Sie kann den Orgasmus einer Frau empfinden, hat jedoch keine Menstruation. Auf die Stimme haben die Hormone allerdings keinen Einfluss: Sandra klingt noch immer wie Adrian. Zwar ist sie auf der Warteliste für eine entsprechende Operation, aber noch fehlt das Geld dafür. Doch das stört sie weniger als der Bart, dessen Spuren sie jeden Tag überschminkt. Nur eine definitive Haarentfernung würde Abhilfe schaffen. Doch die werde nicht bezahlt. Mit ihrer tiefen Stimme, ihrer Statur von eins achtzig und ihrer direkten Art verwirrt sie ihre Umgebung. Das stört sie nicht. «Sicher bin ich keine gewöhnliche Frau. Doch das wäre ich auch nicht, wenn ich als Mädchen geboren worden wäre.» ■ Anzeige:
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BILD: GUIDO SÜESS
Wörter von Pörtner Superlativisten Der Superlativ ist des Schaumschlägers liebstes Haustier. Er ist mit der schönsten Frau der Welt zusammen. Sie liebt den gescheitesten und bestaussehenden Mann des Universums. Zusammen haben sie den orgiastischsten und hirnvernebelndsten Sex, den man sich überhaupt vorstellen kann. Weil es gar nicht besser kommen könnte, beschliessen sie, zu heiraten und schwören sich ewige und tiefste Liebe. Sie feiern das ultimative Hochzeitsfest, auf dem herrlichsten Flecken Erde, mit den allerbesten Freunden, die es überhaupt gibt. Später bekommen sie die hübschesten, begabtesten und speziellsten Kinder. Darunter geht gar nichts. Vorbildlich in diesem Verhalten ist die Prominenz, die sich unter Herbeiziehen von Superlativen zu paaren und alsbald unter Getöse zu vermählen pflegt und dabei nicht müde wird, die Dimension ihrer Emotion und Zu-
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neigung gigantisch, ja allumfassend zu reden, um sich wenige Jahre später schon wieder verleidet zu sein. Wer halbwegs kochen kann oder einen Gastwirt kennt, der schmackhafte Speisen zuzubereiten weiss, deklariert gleich, den leckersten Hackbraten der Welt herstellen zu können oder zu wissen, wo das saftigste Schnitzel aller Zeiten feilgeboten wird. Als könnte man ausschliessen, dass es nicht in einem mazedonischen Bergdorf eine alte Bauersfrau gibt, deren Hackbraten noch viel besser schmeckt. Als wäre das nicht eine simple Frage des Geschmacks. Das geschickte Hantieren mit Superlativen soll eine reiche Erfahrung, hohe Gelehrigkeit und allgemein ein pralles und erfülltes Leben suggerieren. Sogar Kleinkindern werden Nuggis ins Gesicht gedrückt, auf denen «Papa is the best» oder ähnlicher Unfug steht. Als ob der Balg über die dazu nötige Beurteilungsgrundlage verfügen würde. Als fürchte man, dass so ein Kind zu gegebener Zeit das Urteil über seinen Erzeuger etwas weniger euphorisch formuliert. Irgendwann nach der Pubertät schärft sich die Wahrnehmung dergestalt, dass man sich selber, seinen Wirkungskreis, sein Umfeld und sein Land in einen historischen und globalen Zusammenhang stellt und aufhört, deren Bedeutung zu überschätzen. Bürger riesiger Länder sowie herrschender, aufstrebender und
ehemaliger Weltmächte tun sich damit allgemein schwerer, aber auch die Bewohner von kleinen Ländern wie dem unseren nehmen sich gern wichtiger als sie sind. Geht in der Welt der Gernegrossen einmal etwas schief, dann ist dies im mindesten Falle eine Katastrophe. Je weniger die Leute mit realen Katastrophen (wie Kriegen, Seuchen, Feuersbrünsten) konfrontiert sind, desto eher sind sie bereit, noch das kleinste Ungemach als solche zu betiteln. Leserbriefschreiber und Politiker sind besonders eifrig, jede drohende Veränderung, die in ihrem Weltbildchen nicht vorgesehen ist, als Katastrophe zu beklagen. Das Leben im ständig Überhöhten ist anstrengend. Es bleibt kein Platz für Steigerung und neue Erfahrungen. Der Superlativ ist in Wirklichkeit ein Diminutiv, eine Verkleinerungsform. Menschen, welche die besten Freunde der Welt haben, haben keine tieferen Beziehungen als jene, die bloss gute Freunde haben. Ihre Welt ist nur kleiner und sie haben mehr Luft zwischen den Ohren. Die beste Luft der Welt allerdings.
STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: MILENA SCHÄRER (MILENA.SCHAERER@GMX.CH) SURPRISE 202/09
Lebensart Kultur für das schmale Portemonnaie Essen, Miete, Krankenkasse – für viel mehr reicht das Geld nicht, wenn man am Existenzminimum lebt. Doch dank der KulturLegi können auch Armutsbetroffene Kunst und Unterhaltung geniessen.
Ein Eintritt ins Kunsthaus Zürich kostet 14 Franken, ein Konzert mindestens 20 Franken und ein Zeitungsabonnement monatlich etwa 30 Franken. Die meisten Leute leisten sich diese Dinge ganz selbstverständlich. Menschen allerdings, die am Existenzminimum leben – allein in Zürich 120 000 –, haben keine Chance, ihrem ohnehin schon knappen Budget diese Beträge abzutrotzen. Mit der KulturLegi versucht die Caritas, diesen Menschen aus der sozialen Isolation herauszuhelfen. Die KulturLegi ist ein persönlicher Ausweis mit Foto, für Erwachsene, Jugendliche und Kinder ab fünf Jahren, der (ausser in Luzern) im ersten Jahr gratis ist und pro Verlängerungsjahr 20 Franken kostet. «Die Idee ist, Kultur- und Bildungsangebote auch für finanziell schlecht gestellte Personen erschwinglich zu machen», sagt Irène Barmettler, Leiterin der Geschäftsstelle Kulturlegi Schweiz. Legiinhaber erhalten mindestens 30 Prozent Rabatt auf ausgewählte Kulturangebote. Berechtigt ist, wer Sozialhilfe bezieht, IV-/AHV-Ergänzungsleistungen erhält oder nachweislich am Existenzminimum lebt. Angeboten wird die Karte in den Kantonen Zürich und Luzern sowie in den Städten Bern, Thun, Biel und Chur. «Zurzeit sind insgesamt etwa 8000 Legis im Umlauf. Dabei zeigt sich, dass sie quer durch alle Altersgruppen genutzt werden», so Barmettler. Allein im Kanton Zürich wurden letztes Jahr 4337 Karten ausgestellt. Sarah Moser aus Zürich ist 49 Jahre alt und alleinerziehende Mutter von drei schulpflichtigen Kindern. Sie erzählt: «Ich nutze die KulturLegi seit bald fünf Jahren. Hauptsächlich für Schwimmbad, Kino, Kunsthaus oder Zoo. Auch meine Kinder profitieren davon – wenn auch in bescheidenem Mass.» Anfänglich fiel es Moser, die für die Caritas in einem Blog über ihr Leben am Existenzminimum schreibt, nicht leicht, sich ständig in der Öffentlichkeit als arm zu offenbaren: «Irgendwie war das unangenehm. Aber es ist wahrscheinlich Gewöhnungssache. Heute kann ich damit umgehen.» Barmettler kennt die Schamgefühle vieler Leginutzer: «Ein Ausweis, der einem Armut beSURPRISE 202/09
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VON IVANA LEISEDER
Grosser Auftritt für kleine Budgets – die KulturLegi machts möglich.
scheinigt, bringt eine gewisse Stigmatisierung mit sich, die dazu führt, dass viele Menschen sich scheuen, die KulturLegi in Anspruch zu nehmen.» Mit gezielter Aufklärung versuche man dem entgegenzuwirken: «Es ist uns zum Beispiel ein grosses Anliegen, dass das Kassenpersonal unserer Angebotspartner sehr gut über den Ausweis informiert ist und sich ein Nutzer an der Kasse nicht lange erklären muss», so Barmettler. Tatsächlich seien die meisten Leute eher höflich und nett, erzählt Moser: «Ich habe noch nie etwas Negatives erlebt. Nur einmal war eine Frau in einem Museum unsicher, als ich ihr die Karte gezeigt habe. Sie liess mich zum vergünstigten Tarif in die Lesung, obwohl das gar nicht vorgesehen war.» Zu den schweizweit über 800 Angebotspartnern der KulturLegi gehören unter anderem das Opernhaus Zürich, das Musikfestival Blueballs Luzern oder der «Blick». Diese steigen nicht aus finanziellen Gründen ins Partnerprogramm ein: «Sie werden Angebotspartner, weil sie sich solidarisch zeigen wollen. Aber natür-
lich können sie so auch zusätzlich Eintritte verkaufen. KulturLegi-Nutzerinnen und -Nutzer sind eine Kundschaft, die sich sonst die Veranstaltungen nicht – oder zumindest nicht regelmässig – leisten könnten», sagt Barmettler. Tatsächlich wird der Ausweis rege genutzt. Karin Kunz vom Zoo Zürich sagt: «Allein letztes Jahr haben 568 Erwachsene beim Zoobesuch von der KulturLegi Gebrauch gemacht.» Die Nachfrage nach einem vergrösserten Angebot sei sowohl von Veranstalter- wie auch von Nutzerseite da, so Barmettler. Auch Sarah Moser wünscht sich mehr Angebote: «Kultur ist Teil der Bildung – und es ist sehr wichtig, dass jeder dazu Zugang hat.» Barmettler hofft, dass die KulturLegi einmal ein schweizweit gültiges «Kultur-GA» sein wird – «das wie die Studierenden- oder AHV-Rabatte breit akzeptiert ist. Und nicht als Stigmatisierung wahrgenommen wird.» ■ www.kulturlegi.ch ausdemleben.kaywa.ch
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Kulturtipps
Musik in Buchform muss nicht immer staubtrocken sein.
Buch Kein alter Zopf Geschichte – oh je! Das riecht für viele nach staubtrockenen Schulstunden, nach Zahlen und Namen, die man sich nur schwer merken kann. Und erst noch Musikgeschichte! Die Typen sind doch eh alle tot und die Musik nicht angesagt. VON CHRISTOPHER ZIMMER
Doch Geschichte ist kein alter Zopf, und Musikgeschichte nicht nur was für brave Klavierschüler. Wers nicht glaubt, dem sei die «Geschichte der Musik, erzählt von Arnold Werner-Jensen» empfohlen. «Erzählt» im wahrsten Sinne des Wortes: als spannende Geschichte, die das Vergangene lebendig macht. Der Autor bringt dafür die besten Voraussetzungen mit: Als Musikwissenschaftler ist er in der Theorie zu Hause, als ausgebildeter Kapellmeister weiss er, wovon er spricht, als Musikkritiker lässt er sich nichts vormachen, und als ehemaliger Gymnasiallehrer und Professor für Musikdidaktik versteht er was von Pädagogik. Alles zusammen ergibt eine gut verständliche Lektüre, besonders auch für Kinder und Jugendliche. Spezielle Musikkenntnisse sind nicht nötig. Die Musikgeschichte von Werner-Jensen ist chronologisch aufgebaut. Der Bogen reicht von den Anfängen der Musik bis in die Gegenwart. Dazu werden einzelne Themen anschaulich erklärt, wie die Entwicklung der Notenschrift, die Entstehung der Oper, Gattungen wie Sinfonie und Sonate, Musical und Jazz oder «Frauen in der Musik». Grosse Namen und Zahlen spielen zwar auch eine Rolle, aber nur so weit, wie sie zur Orientierung nötig sind. Musikbeispiele auf der beigelegten CD sowie llustrationen machen das Erzählte hör- und sichtbar. Wer dieses Buch liest, erfährt viel über die Entwicklung der Musik und auch über die Beschleunigung dieser Entwicklung. Das hat viel mit unserer Gegenwart zu tun, die eine Zeit der Globalisierung und Gleichzeitigkeit ist. Was mit dem Aufkommen des Notendrucks begann, hat heute seinen Höhepunkt in der Verfügbarkeit aller Musikstile durch die modernen Massenmedien erreicht. Hier den Überblick zu behalten, ist nicht leicht. Dieses Buch vermittelt ihn. Geschichte der Musik. Erzählt von Arnold Werner-Jensen. Mit CD. Schott Verlag 2008. CHF 36.50
Steve Earle (rechts) singt die Songs seines Idols Townes Van Zandt.
Folk Die Lieder des Lehrmeisters Nach jahrlangen Suchtproblemen gehört Steve Earle heute zu den grössten amerikanischen Songwritern. Nun präsentiert er ein ganzes Album mit Songs von Townes Van Zandt, der seine Exzesse nicht überlebte. VON RETO ASCHWANDEN
«Townes Van Zandt ist der beste Songschreiber auf der ganzen Welt. Und ich würde in meinen Cowboystiefeln auf Bob Dylans Stubentisch stehen und das sagen.» Steve Earle liess nie einen Zweifel daran, wie hoch er Van Zandt schätzt. Angefangen hatte ihre Beziehung in den frühen 70er-Jahren. Earle war damals noch ein Teenager, Van Zandt wurde ihm erst zum Lehrmeister, später zu einem Freund. Die Musik der beiden Sänger wurzelt im Folk, ihr Lebensstil aber ist purer Rock’n’Roll. Earle verdingte sich jahrelang als Songschreiber für andere Sänger, erst in den 80ern gelang ihm mit dem Album «Copperhead Road» der Durchbruch als Solokünstler. Es folgten Scheidungen in Serie, Alkohol und Drogenabstürze. Erst in den 90ern bekam er sein Leben in den Griff. Seither hält er das musikalische Niveau scheinbar spielend, die Stile aber wechselt er öfter. Auf hart rockende Stücke mit elektrischen Gitarren folgen klassische Countrysongs, Bluegrass-Arrangements mit Banjo und Geigen wechseln sich ab mit HipHop-Beats. Zu einer gefestigten Karriere brachte es Townes Van Zandt nie. Als schwarzes Schaf einer reichen texanischen Familie landete er schon in jungen Jahren wegen Depressionen in der Psychiatrie. Später verhinderten Alkohol und Drogen den grossen Durchbruch. Wer dennoch in Kontakt mit seinen todtraurigen Songs kommt, wird im Innersten erschüttert. So ging es auch Emmylou Harris, Willie Nelson und – Bob Dylan, die allesamt Van Zandts Stücke interpretierten. In der Neujahrsnacht 1997 erlag der Sänger von der tragischen Gestalt seinen Exzessen. Nun präsentiert Earle eine komplette Platte mit Songs seines alten Weggefährten. Ein potenziell heikles Unterfangen, denn Zuneigung und Verehrung verstellten schon manchem Interpreten einen unbefangenen Umgang mit Fremdkompositionen. Earle aber verleibt sich die Lieder ein und überzeugt auf der ganzen Linie. Spätestens jetzt hätte er eine Einladung zu Bob Dylan verdient. Natürlich nur, wenn er vorher die Stiefel auszieht. Steve Earle: «Townes» (Bluerose/MV).
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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
Teilen nicht nur das Sandwich: Oma Nusret und Enkel Murat.
Kino Verwandtenbesuch von Pandora Drei Geschwister versuchen, sich um ihre an Alzheimer erkrankte Mutter zu kümmern. Diese sieht aber oft klarer als alle drei zusammen. VON MICHÈLE FALLER
Morgenstimmung in einer Berglandschaft. Nebelschwaden über dem Tal, Kuhglockengebimmel, das Krähen eines Hahns. Auf den Balkon eines kleinen Häuschens tritt eine alte Frau in bunten Socken. Gleichzeitig erwacht in einer Stadt am Hafen unter Möwengekreisch ein junger Mann mit zerzaustem Haar und zündet sich als Erstes eine Zigarette an. Dann tauchen drei Personen der Generation dazwischen auf. Eine besorgte Mutter, eine beschäftigte Redaktorin und einer, der ebenfalls direkt nach dem Aufwachen zur Zigarette greift. Die drei Geschwister erfahren, dass es die Alte dem Jungen gleichgetan hat. Sie ist von zu Hause abgehauen. «Pandora’s Box» spielt zwischen Istanbul und einem kleinen Dorf an der Schwarzmeerküste, könnte sich aber überall ereignen. Der Film erzählt die Geschichte der alten Nusret, die eines Morgens verschwindet, was ihre drei in der Stadt lebenden Kinder auf den Plan ruft. Allesamt ziemlich mit sich selber beschäftigt, machen sie sich gemeinsam auf den Weg ins Dorf. Und schon bald macht sich der Inhalt von Pandoras Büchse bemerkbar, aus der nach der griechischen Mythologie alles Übel in die Welt kam. Die Geschwister beginnen zu streiten. Erst immer schön zwei gegen einen, bald alle gegen alle. Nicht einfacher wird es, als sie die wieder gefundene Mutter in die Stadt mitnehmen. Bei ihr wird Alzheimer diagnostiziert, und – von Beziehungsproblemen und dem schwierigen Umgang mit dem immer wieder in Hausschuhen flüchtenden Mütterchen gebeutelt – schieben die beiden Schwestern und der Bruder die Mama zwischen ihren Wohnungen hin und her, bis sich schliesslich der Enkel Murat ihrer annimmt. Nun haben sich zwei gefunden, die die gleiche Sprache sprechen. Regisseurin Yesim Ustaoglu erzählt die Geschichte der Familie, die sich zwangsläufig näherkommt, authentisch und sehr ergreifend. Dazu tragen die wunderbaren Schauspieler bei. Allen voran die Französin Tsilla Chelton als demenzkranke Mutter Nusret: verwirrt und rastlos, und gleichzeitig von verblüffender Klarheit.
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Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Nottwil
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Ernst Schweizer AG, Hedingen
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JL AEBY Informatik, Basel
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iuliano-gartenbau & allroundservice, Binningen
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Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf
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KIBAG Kies und Beton
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Inova Management AG, Wollerau
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SVGW, Zürich
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Brother (Schweiz) AG, Baden
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Segantini Catering, Zürich
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Axpo Holding AG, Zürich
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AnyWeb AG, Zürich
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Kaiser Software GmbH, Bern
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fast4meter, Storytelling, Bern
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IBZ Industrie AG, Adliswil
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Velo-Oase Bestgen, Baar
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Niederer Kraft & Frey, Zürich
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Mundipharma Laboratories GmbH, Basel
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GUIDIMEDIACOM, Zollikon
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reinhardpartner Architekten und Planer, Bern
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Personalberatung Stellenwerk AG, Zürich
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Weleda AG, Arlesheim
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Markus Weber GmbH, Zürich
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Homegate AG, Adliswil
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Robert Stoller Heizungen, Oberweningen
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag! Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
«Pandora’s Box», Regie: Yesim Ustaoglu, 112 Min., Türkei 2008, derzeit in den Deutschschweizer Kinos.
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Ausgehtipps
Am Basler Turnier kämpfen die Strassenfussballer um den Meistertitel und die Teilnahme am Homeless World Cup.
Sportanlage Margarethen, Basel Titel und Ticket Die Surprise Strassensport Liga steuert auf ihren Saison-Höhepunkt zu: Im Stadion der Sportanlage Margarethen werden die Schweizer Meister gekürt. Ausserdem wird beim dritten Turnier der Saison 2009 selektioniert, wer die Schweiz im September beim Homeless World Cup in Mailand vertritt. Ein Favorit auf Titel und Ticket ist schwer auszumachen, haben die letzten Turniere doch immer neue Sieger hervorgebracht. Zudem wird der Surprise Strassensport immer beliebter und diese Saison nehmen mit 18 Teams so viele wie noch nie an der Meisterschaft teil.
Als Gewinner des Frühlingsturniers gehören die Surprise Cobras Basel, zusammen mit Titelverteidiger Surprise-Wohnen Bern, sicher zu den heissesten Anwärtern. Spannung ist also garantiert. Und ein Spektakel wird den Zuschauern beim so schnellen wie torreichen Streetsoccer auf den zwei Courts mit Banden sowieso geboten. (ojo) Schweizermeisterschaft Surprise Strassensport, Sonntag, 14. Juni, 11 bis 18 Uhr, Sportanlage Margarethen (Kunsteisbahn), Basel. Infos: www.strassensport.ch
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19.–28. JUNI 2009 KASERNE BASEL UND REGION
wildwuchs
DAS KULTURFESTIVAL FÜR SOLCHE UND ANDERE WWW.WILDWUCHS.CH
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Mars Bar, Zürich Schweiss, Schnaps und Songs In der letzten Ausgabe berichteten wir, wie Schickimickis die eingesessene Bevölkerung an der Langstrasse verdrängen. Doch es gibt sie noch, die Lokale für etwas rauere Varianten der Abendunterhaltung. Eines davon ist die Mars Bar an der Neufrankengasse. Hier treffen sich Studis, Fussballfans und Musikgourmets an abgegriffenen Holztischen. Die werden immer öfter weggeräumt, um Platz für kleine, feine Konzerte zu machen. Von Juni bis Mitte Juli gibt es unter dem Titel «Summerrock» jeden Donnerstag und Samstag Auftritte von einheimischen Bands. Das Spektrum reicht von Indiepop über Punk bis zu Progrock. Da wäre zum Beispiel One Of The Kind (11.6.), ein Songwriter à la Cat Stevens und Morrissey. Oder Peter Kernel (13.6.), ein Quartett auf den Spuren von Sonic Youth und den Pixies, das seine Rocksongs aufs Skelett reduziert, damit die Melodien umso schöner scheinen. Und damit das Ganze nicht zu gemütlich wird, bringen Beelzebub (20.6.) um Sänger Thomas Ott den original Langstrassen-Gout von Schweiss, Schnaps und Sex in die Mars Bar. (ash)
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Ein Hoch auf Summerrock: Peter Kernel freuen sich auf die Mars Bar.
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«Summerrock», bis 11. Juli, jeweils 21.30 Uhr, Mars Bar, Zürich. www.marsbar.ch
Grund zum Feiern: Das Café Secondas wird neu von den Teilnehmerinnen organisiert.
Der Riffer und sein Sänger: Iommi (rechts) und Dio.
Kaserne, Basel Feiernde Secondas
Volkshaus, Zürich Die ultimative Dröhnung
Unterschiedliche Herkunft, aber ähnliche Probleme in der neuen Heimat: Diese Kombination bewog 2005 das Gleichstellungsbüro Basel, jungen Frauen mit ausländischen Wurzeln einen Ort zu schaffen, an dem sie sich austauschen konnten. So entstand das Café Secondas. Unterdessen haben sich einige der jungen Frauen angefreundet und wollen in Eigenregie aktiv werden. Deshalb gründeten sie die Interessengemeinschaft Café Secondas, welche die regelmässigen Treffen der jungen Frauen ab August organisiert. Als Auftakt zu dieser neuen Ära gibt es ein rauschendes Fest, zu dem alle Zutritt haben, auch Frauen ohne Migrationshintergrund – und Männer. Die Party bietet alles: ein Spezialitätenbuffet, eine Podiumsdiskussion und Sounds von zwei DJanes. (juk) «Café Secondas – what else?», Sa, 13. Juni, ab 19.30 Uhr, Kaserne, Rossstall 1
«Rock’n’Roll can never die», sang einst Neil Young. Das könnte stimmen. Denn seine Protagonisten weigern sich, nur schon in Rente zu gehen. Eigentlich hätten sich Ronnie James Dio (67) und Tony Iommi (61) den Ruhestand verdient. Immerhin gehören sie zu den Gründervätern des Heavy Metal. Iommi gründete 1969 Black Sabbath, die finstere Antithese zum Summer of Love. Dio ersang sich solo und als Söldner Meriten als einer der grössten Schreihälse der Rockgeschichte. Ausserdem gilt er als Erfinder des Metallergrusses: die Faust mit abgespreiztem Zeige- und kleinem Finger. Zusammen bildeten sie eine der vielen Inkarnationen von Black Sabbath. Und auch wenn sie neuerdings unter dem Namen Heaven & Hell auftreten: Wenn Dio sein gewaltiges Stimmorgan über Iommis zentnerschwere Riffs erhebt, ergibt das noch immer die ultimative Dröhnung für jedes Rockerohr. (ash)
und 2, Basel. Programm und Infos: www.cafesecondas.ch
«Heaven and Hell»: 17. Juni, 20 Uhr, Volkshaus, Zürich.
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Verkäuferporträt «Ich habe so meine Tricks» Die Arbeit als Zimmermädchen brachte Jovanka Rogger, 57, vor rund 30 Jahren nach St. Moritz. Seit vier Jahren verkauft sie Surprise am Bahnhof Altstetten. Mit ihrem Leben ist sie eigentlich zufrieden, auch wenn sie ihre Tochter vermisst.
«Im September vor vier Jahren arbeitete ich zum ersten Mal als Surprise-Verkäuferin am Bahnhof Altstetten. Meistens bin ich schon um sieben Uhr hier, früh aufstehen macht mir nichts aus. Ich trinke einen Kaffee mit wenig Milch und zwei Zuckern, und dann bin ich wach. Danach mache ich mein Bett, denn ich bin ein sehr ordentlicher Mensch. Wenn ich weiss, dass bei mir zu Hause alles in Ordnung ist, kann ich beruhigt mit Tram und Bus vom Albisriederplatz nach Altstetten fahren. Mittlerweile kenne ich viele der Leute, die hier täglich auf den Zug gehen, von einigen weiss ich auch die Namen. Ich bin stolz darauf, Stammkunden zu haben, die ihr Strassenmagazin nur bei mir kaufen. Das geschäftige Treiben am Bahnhof gefällt mir, denn ich bin gerne unter Leuten und schaue ihnen zu, wie sie ein Ticket kaufen oder auf den Zug rennen. Kauft jemand eine Zeitung bei mir, folgt meist ein kurzer Schwatz über das Wetter oder ich frage nach dem Befinden. Manchmal werde ich auch auf einen Kaffee eingeladen. Mir gefällt besonders, dass ich jeden Tag draussen bin. Kaltes Wetter stört mich nicht, ich habe da so meine Tricks. Zum Beispiel ziehe ich einfach mehrere Schichten Kleider an. Oder wenn es windet, binde ich mir ein Kopftuch um, damit ich meine empfindlichen Ohren schützen kann. Und egal ob Sonnenschein, Regen oder Schnee, die Mütze mit dem Schweizerkreuz habe ich jeden Tag an, die ist sozusagen mein Markenzeichen. Ich interessiere mich eigentlich nicht besonders für Fussball, die Mütze gefällt mir einfach irgendwie. Als letztes Jahr die EM war, freuten sich die Fans über meine Mütze und wir haben uns gegenseitig ‹Hopp Schwiiz› zugerufen. Geboren und aufgewachsen bin ich in Ex-Jugoslawien, in dem Teil, der heute zu Serbien gehört. An meine Kindheit und Jugend denke ich wenig zurück, es war eine harte Zeit. Ich erinnere mich vor allem daran, dass wir von allem immer zu wenig hatten. Ich habe sechs Geschwister. Damit wir alle genug zu essen hatten, musste auch meine Mutter arbeiten gehen, aber meistens reichte es dennoch nicht. Weil ich keine Arbeit fand, entschloss ich mich, meine Heimat zu verlassen und in der Schweiz eine Stelle zu suchen. So kam ich in den 1970erJahren nach St. Moritz. Dort hat es mir sehr gefallen: die Berge, der Schnee und die schönen Häuser. Zuerst habe ich als Zimmermädchen gearbeitet, dann in der Küche. In den rund 30 Jahren, die ich nun in der Schweiz bin, habe ich eigentlich schon fast alles gemacht, ich habe in Wäschereien und Restaurants gearbeitet und geputzt. Ein paar Jahre lebte ich mit meinem Mann in Luzern. Er war Deutscher, aber wir haben zusammen Italienisch gesprochen. Deshalb ist mein Deutsch nicht so gut, aber ich finde, es wird jeden Tag besser. Hier am Bahnhof schnappe ich immer wieder ein neues Wort auf, das ich dann zu behalten versuche. Als mein Mann gestorben ist, bin ich nach Zürich umgezogen. Meine Tochter wohnt mittlerweile in Serbien. Wir telefonie-
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AUFGEZEICHNET VON MANUELA DONATI
ren fast jedes Wochenende miteinander. Es macht mich traurig, dass wir uns so selten sehen. Sie kommt nicht oft in die Schweiz, und ich kann nicht zu ihr reisen. Ich wünsche mir, dass sie mich bald besucht und eine Weile bei mir bleiben kann. Ich mache keine richtige Mittagspause, meistens esse ich etwas Kleines und bleibe bis am Nachmittag hier. Bei schlechtem Wetter wollen die Leute nicht stehenbleiben und eine Zeitung kaufen. Ich verstehe, dass sie dann einfach schnell weiter wollen. Für mich bedeutet das aber, dass ich für denselben Umsatz länger arbeiten muss. Wenn ich nach einem langen Tag müde bin, freue ich mich einfach auf mein Zuhause. Ich bin zufrieden, wenn ich etwas kochen, und mich dann ins Bett legen kann.» ■ SURPRISE 202/09
Eine Chance für alle! Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte ber. Das verdient Respekt und Unterstützung. Regelmässige Verkaufende werden von Surprise-Sozialarbeiterinnen betreut, individuell begleitet und gezielt gefördert. Dazu gehört auch, dass sie von Surprise nach bestandener Probezeit einen ordentlichen Arbeitsvertrag erhalten. Mit der festen Anstellung übernehmen die Surprise-Verkaufenden mehr Verantwortung; eine wesentliche Voraussetzung dafür, wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarkt zu werden.
Starverkäufer BILD: ZVG
Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten als andere. Menschen, die sich aber wieder aufgerappelt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wieder einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassenverkäuferinnen und -verkäufer helfen sich sel-
Als Götti oder Gotte ermöglichen Sie einer Strassenverkäuferin oder einem -verkäufer eine betreute Anstellung bei Surprise und damit die Chance zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.
René Senn Zürich
Jela Veraguth Zürich
Marika Jonuzi Basel
Bob Ekoevi Koulekpato Basel
Ausserdem im Förderprogramm SurPlus: Fatima Keranovic, Baselland Peter Gamma, Basel Peter Hässig, Basel Wolfgang Kreibich, Basel
Therese Maurer aus Bümpliz nominiert Ande Weidemariam als Starverkäufer: «Ande ist ein zurückhaltender und scheuer Mensch, Star will er nicht unbedingt sein. Durch einen Surprise-Kauf in Bümpliz-Dorf mit ihm ins Gespräch gekommen, stellte ich sofort fest, dass er ein charmanter und höflicher Gentleman ist. Als ich ihm sagte, dass ich ihn als ‹Starverkäufer› nominieren würde, freute er sich sehr. Er meinte aber sofort, ich müsse unbedingt erwähnen, dass er den Menschen in Bümpliz, speziell seinen Stammkunden zu danken habe, sie hätten ihn schon so oft unterstützt.» Ihre Nominierung schicken Sie bitte an:
Kurt Brügger, Baselland Anja Uehlinger, Baden Marlise Haas, Basel
Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41+61 564 90 99, redaktion@strassenmagazin.ch
Ja, ich werde Götti/Gotte von: 1 Jahr: 8000 Franken
1/2 Jahr: 4000 Franken
1/4 Jahr: 2000 Franken
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1 Monat: 700 Franken
202/09 Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 202/09
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise fördert seit 1997 die Selbsthilfe von Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit begleiteten Angeboten in den Bereichen Arbeit, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit und berufliche Eingliederung, das Verantwortungsbewusstsein, die Gesundheit und eine positive Lebenseinstellung. Surprise gibt es in der deutschsprachigen Schweiz. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit.
Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)
Strassensport Der zweite Schwerpunkt von Surprise ist die Integration von sozial benachteiligten Menschen in der Schweiz über den Sport. Mit einer eigenen Strassenfussball-Liga, regelmässigem Trainings- und Turnierbetrieb, der Schweizermeisterschaft sowie der Teilnahme des offiziellen Schweizer Nationalteams am jährlichen «Homeless Worldcup» vernetzt Surprise soziale Institutionen mit Sportangeboten in der ganzen Schweiz. Organisation und Internationale Vernetzung Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden von der Strassenmagazin Surprise GmbH geführt, die von dem gemeinnützigen Verein Strassenmagazin Surprise kontrolliert wird. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerks der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband gegen 100 Strassenzeitungen in über 40 Ländern an.
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Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende unabhängige Strassenmagazin Surprise heraus. Neben einer professionellen Redaktion verfügt das Strassenmagazin über ein breites Netz von freien Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen. Der überwiegende Teil der Auflage wird von Menschen ohne oder mit beschränktem Zugang zum regulären Arbeitsmarkt auf Strassen, Plätzen und in Bahnhöfen angeboten. Die regelmässige Arbeit gibt ihnen eine Tagesstruktur, neues Selbstvertrauen und einen bescheidenden aber eigenständig erwirtschafteten Verdienst. Für viele Surprise-Verkaufende ist das Strassenmagazin der erste Schritt zurück in ein eigenständiges Leben.
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Surprise Rucksäcke (32 x 40 cm); CHF 89.– schwarz rot
202/09 Seite bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch Oder bestellen auf: www.strassenmagazin.ch
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SURPRISE 202/09
Im Frühtau zu Berta. Freiwilligeneinsätze bei Bergbauern für Frühaufsteherinnen und Frühaufsteher und solche, die es für eine Woche oder länger werden wollen. Menschen für Berge. Berge für Menschen.
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