Nr. 205 | 17. Juli bis 6. August 2009 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
Lesen!
Sibylle Berg, Alex Capus, Peter O. Chotjewitz, Franzobel, Franz Hohler, Guy Krneta, Milena Moser, Stephan Pörtner, Juli Zeh
Schöne Shirts! Und erst noch limitiert! Olivier Mossets (64) letzte Ausstellung nannte sich «Ten Monochromes» und zeigte – wie der Name verspricht – zehn unifarbene Werke des Schweizer Künstlers. Auf 3 à 3 Meter. Die hat Mosset zum Anlass genommen, um für Surprise zehn T-Shirts in denselben Farben zu entwerfen. Mit Surprise-Aufschrift. Und vom Künstler signiert.
Der in Berlin lebende Schweizer Künstler Erik Steinbrecher (45) hat für Surprise eine Fotosammlung von Werbetexten durchforstet. Daraus sind drei T-Shirts mit «flüchtigen Hinweisen» entstanden. In Steinbrechers Worten: «Dadurch, dass der Text auf Schulterhöhe steht, ist er nicht dekorativ.» Dafür mutiere jeder T-Shirt-Träger zum Werbeträger.
Surprise-T-Shirt Preis CHF 40.–
Hinweis-T-Shirt Preis CHF 20.–
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Ist gut. Kaufen! Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit – gute Sache. Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute. Alle Preise exkl. Versandkosten; *limitiertes Produkt ältlich! nicht erh Zurzeit
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Surprise Zeitungs-Taschen (34 x 36 cm); CHF 37.50 schwarz
Surprise City-Taschen* (24,5 x 35,5 cm); CHF 40.– schwarz rot blau
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PLZ, Ort
Datum, Unterschrift
Surprise Rucksäcke (32 x 40 cm); CHF 89.– schwarz rot
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*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch
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SURPRISE 205/09
BILD: PABLO WÜNSCH BLANCO
MENA KOST, REDAKTORIN
Editorial Mord und Melonensaft Sie können natürlich machen, was Sie wollen. Doch sollten Sie vorhaben, in dieser Surprise-Ausgabe so mir nichts, dir nichts drauflos zu lesen … Excusez, aber das wäre glatt verschenkt, um nicht zu sagen: amateurhaft. Wir legen Ihnen, im Gegenteil, eine professionelle Vorbereitung nahe. Aber dazu später mehr. Sie halten die «Sommer-Badi-Lesenummer» in den Händen: Ein ganzes Surprise voller Kurzgeschichten von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus der Schweiz, aus Österreich und Deutschland, die meisten exklusiv für Sie verfasst. Ohne Ausnahme haben die Autorinnen und Autoren ihre Texte honorarfrei zur Verfügung gestellt. Dafür wollen wir ihnen an dieser Stelle unseren herzlichsten Dank aussprechen. Dieses Magazin ist im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts verschiedener deutschsprachiger Strassenzeitungen entstanden. Zusammen mit Redaktorinnen und Redaktoren aus Deutschland und Österreich haben wir Schriftstellergrössen um ein Geschichtengeschenk gebeten – und sind mit unserem Anliegen auf so viel Wohlwollen gestossen, dass ein ganzer Pool an Texten zusammengekommen ist. In der Sommer-Badi-Lesenummer präsentieren wir Ihnen unsere Lieblingsgeschichten von Sibylle Berg, Alex Capus, Peter O. Chotjewitz, Franzobel, Franz Hohler, Guy Krneta, Milena Moser, Stephan Pörtner und Juli Zeh. Und sollten Sie in nächster Zeit zum Beispiel in Hamburg, Stuttgart oder Salzburg vorbeikommen, erstehen Sie doch jeweils das lokale Strassenmagazin – bestimmt entdecken Sie die eine oder andere Kurzgeschichte, die Sie noch nicht aus Surprise kennen. Und nun zu den Vorbereitungsempfehlungen für eine professionelle Handhabung dieses Magazins, an denen Sie sich zumindest orientieren sollten: Zuerst einmal kaufen Sie eine Wassermelone. Daraus mixen Sie sich einen Drink (Wassermelonenstücke mit dem Mixer pürieren und fertig). Danach steigen Sie in Bikini oder Badehose und platzieren sich – einem Gewässer nahe – so im Schatten, dass ihre Zehenspitzen als einziges von der Sonne beschienen werden. Alternativ empfehlen wir einen Gartenstuhl und ein eiskaltes Fussbad. Wie auch immer, Sie sind ja völlig frei. Trotzdem setzen Sie jetzt bitte noch die Sonnenbrille auf und schieben sich ein Kissen, Rucksack, Badetuch in den Nacken. Waren Sie geistesgegenwärtig genug und haben den Wassermelonendrink bereits auf Armeslänge positioniert? Dann ist Ihr Lesegenuss optimal vorbereitet und Sie können sich in aller Gemütsruhe den Geschichten dieser Ausgabe widmen: Zum Beispiel dem kleinen Tobi, der sich lebendig begraben lässt, nur um zu beweisen, dass er kein «gottverdammter Zürcher Protestant» ist. Oder Nicola und Richard, die während der Heiratsvorbereitungen zum Schluss kommen, sich besser eine Weile nicht zu sehen … Bei aller Dramatik: Vergessen Sie nicht, sich nach jedem kaltblütigen Mord und jeder zerbrochenen Liebe ein Schlückchen Wassermelonensaft zu gönnen. Wir wünschen Ihnen gute Unterhaltung und einen schönen Sommer. Mena Kost m.kost@strassenmagazin.ch
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 205/09
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Der weisse Tennisball von Alex Capus
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Schattenmann von Stephan Pörtner
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Heiraten von Juli Zeh
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Die Raucherecke von Franz Hohler
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Wunder von Sibylle Berg
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Die Reise in den Himmel von Franzobel
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Morgengeschichten von Guy Krneta
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Hommage à Frantek von Peter O. Chotjewitz
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Anna allein zuhaus von Milena Moser
BILD: ZVG
Inhalt
Priska Wenger Priska Wenger (*1978) illustrierte diese Surprise-Sondernummer. Sie studierte an der Hochschule für Gestaltung in Luzern Visuelle Kommunikation und Illustration. Seit 2006 arbeitet sie als freischaffende Illustratorin, regelmässige Surprise-Leser kennen ihre Bilder aus der Gerichtskolumne «Zugerichtet». Seit zwei Jahren lebt Priska Wenger in New York.
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Der weisse Tennisball VON ALEX CAPUS
Nie ist die Nacht so schwarz wie kurz vor der Morgendämmerung, und kein Geräusch ist um diese Zeit schrecklicher als das Läuten des Telefons. Deshalb beginnen alle schlimmen Geschichten mit einem Anruf um vier Uhr dreiundfünfzig. «Hm?» «Hallo? Guten Abend, Entschuldigung. Bin ich hier bei Alex Capus?» «Ja.» «Dem Schriftsteller?» «Wissen Sie, wie spät es ist?» «O Gott, vier Uhr vierundfünfzig.» «Ja, Mann. Schauen Sie aus dem Fenster. Im Osten wird es hell. Wer sind Sie überhaupt?» «Tatsächlich. Ein silberner Streifen am Horizont.» «In einer Stunde geht die Sonne auf.» «Ich habe Sie geweckt, nicht wahr? Bitte verzeihen Sie, das wollte ich nicht. Das ist ja völlig unmöglich, was müssen Sie von mir denken … Ich werde jetzt gleich einhängen.» «Tun Sie das, und schlafen Sie ein paar Stunden. Dann sieht die Welt wieder anders aus.» SURPRISE 205/09
«Hören Sie, ich bin nicht … Natürlich, Sie müssen mich für komplett verrückt halten. Ich muss Sie selbstverständlich in Ruhe lassen, bitte entschuldigen Sie die Störung.» «Schon in Ordnung. Gute Nacht.» «Gute Nacht. Ich hätte nicht angerufen, wenn in Ihrem Arbeitszimmer kein Licht brennen würde.» «Was?» «In Ihrem Arbeitszimmer brennt Licht. Wahrscheinlich haben Sie es versehentlich nicht ausgemacht, aber ich dachte, Sie sässen noch an der Arbeit. Ich wohne in einem der Hochhäuser am Stadtrand, wissen Sie? Von hier überblicke ich die ganze Stadt und sehe bis hinüber zu Ihrer Wohnung.» «Sie linsen in meine Wohnung? Das ist ja …» «Nein, nein, so ist es nicht! Was müssen Sie auch von mir denken! Verzeihen Sie, verzeihen Sie bitte! Ich schwöre Ihnen, dass ich kein Fernrohr besitze, nicht einmal einen Operngucker! Ich sehe nur, ob Sie Licht haben oder nicht.» «Ach?» «Ich habe mir das so angewöhnt. Vor dem Schlafengehen werfe ich einen Blick aus dem Fenster und sehe nach, ob bei Ihnen noch Licht brennt. Meistens brennt es noch.»
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«Soso.» «Ja. Aber Sie müssen wirklich nicht denken … Ich interessiere mich nicht im Geringsten für Ihr Privatleben, das würde ich mir niemals erlauben. Aber ich habe alles von Ihnen gelesen, und irgendwann habe ich erfahren, wo Sie wohnen. So ist der Blick aus dem Fenster zu einem Ritual geworden, zu einem Spiel. Ich flehe Sie an, glauben Sie mir!» «Jaja. Aber heute haben Sie entschlossen, mich mitten in der Nacht anzurufen.» «Sie haben recht, das ist ganz unmöglich. Ich werde jetzt sofort einhängen. Ich bitte nochmals um Entschuldigung … Sind Sie Eishockeyfan?» «Was?» «Sind Sie Eishockeyfan?» «Nein.» «Schade. Sonst hätte ich Ihnen meine Saisonkarte geschenkt, als Wiedergutmachung.» «Vielen Dank, in Ordnung.» «Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht ein paar Spiele anschauen wollen?» «Nein, wirklich nicht. Sagen Sie, was ist eigentlich mit Ihnen los?» «Wie meinen Sie das?» «Sie sind so aufgeregt und rufen mich mitten in der Nacht an. Wollen Sie mir etwas sagen?» «Ja. Nein. Ich werde Sie jetzt schlafen lassen. Sie kennen den kleinen Tobi ja gar nicht. Es wird tatsächlich schon hell draussen. Gute Nacht.» «Halt! Wer ist der kleine Tobi?» «Tobias Müller. Heute ist er gut einsneunzig gross, aber als wir zusammen zur Schule gingen, war er immer der Kleinste. Deshalb nennen ihn auch heute alle den kleinen Tobi, obwohl er lang und schlaksig ist wie ein Basketballspieler. Er hat jetzt Krebs.» «Oh.» «Er hat nur noch einen Monat zu leben, höchstens zwei. Sein Körper ist inwendig schon voller Knoten und Wucherungen, wissen Sie? Wegen der ewigen Chemotherapien und radioaktiven Strahlen sind ihm sämtliche Haare ausgefallen, und das Zahnfleisch blutet und ist bis auf die Kieferknochen geschrumpft.» «Schrecklich. Wie alt?» «Sechsunddreissig, genau wie ich. Heute Abend bin ich ihm zufällig auf der Strasse begegnet, als ich mir kurz vor Ladenschluss eine Tiefkühlpizza besorgte. Ich stand ahnungslos in der Schlange vor der Kasse, als sich eine knochige Hand auf meine Schultern legte. Ich drehte mich um, und da stand der kleine Tobi, lang und dürr und kahl wie eine Gottesanbeterin. Sein Mund lachte zu mir herunter, dass sich die fahlen Lippen über den blutigen Zahnhälsen spannten. Die wimpernlosen Augen hatte er weit aufgerissen, und auf dem Schädel zeichnete sich ein Netzt von blauen Adern ab. ‹Mensch›, sagte er, ‹wie lange haben wir uns nicht gesehen? Das muss ja Jahre her sein!› Ich lachte möglichst unbefangen und fragte, wie es ihm gehe. ‹Super, ganz ausgezeichnet›, antwortete er und schlenkerte mit seinen klapprigen Armen; er habe da ein Mädchen kennengelernt, das er womöglich heiraten werde. Letzte Woche sei er übrigens beim Jazz-Festival in Montreux gewesen. ‹Was, du nicht? Etwas verpasst, mein Lieber, etwas verpasst! Weisst du was? Nächstes Jahr fahren wir zusammen hin, und dann stelle ich dir meine Monika vor. Und du, beruflich? Jaja, es ist nicht einfach heutzutage, aber wenn einer eine Idee hat, so muss er jetzt damit starten, damit er dann voll da ist, wenn die Konjunktur wieder einsetzt …› So ging das weiter, bis ich endlich bei der Kassiererin angelangt war und meine Pizza bezahlte. Wir versprachen einander gegenseitig die gemeinsame Reise nach Montreux, und Tobi schwor drei-, viermal hintereinander, dass er sich um Hotel und Tickets und so weiter kümmern werde. Endlich musste auch er seine Einkäufe bezahlen, und ich benützte die Gelegenheit und floh. Es war mir klar, dass ich den kleinen Tobi sehr wahrscheinlich nicht mehr wieder sehen würde. Bilder aus unserer gemeinsamen Kindheit
stiegen in mir hoch – zum Beispiel das Bild von weissen Tennisbällen. Als ich ein kleiner Junge war, waren die Tennisbälle noch weiss. Plötzlich kam der Tag, da wechselten sie die Farbe, und seither sind sie alle gelb. Wieso? Können Sie mir das erklären? Der kleine Tobi hatte immer einen Tennisball in der Hosentasche, einen weissen. Wozu, weiss ich auch nicht. Jedenfalls spielte er nicht Tennis, und er wollte auch nicht, dass wir damit Fussball spielten. Er hatte einfach einen Tennisball in der Tasche. Während der Schulstunden drückte er daran herum; auf dem Heimweg nahm er ihn hervor und liess ihn ein paar Mal aufspringen, und dann steckte er ihn wieder in die Tasche. Einmal aber, als wir alle zusammen heimwärts liefen, sprang der Ball auf einem Kieselstein seitlich weg, und der grosse Wolfgang mit dem Silberzahn fing ihn auf und steckte ihn in die Tasche. ‹Gib her!›, sagte der kleine Tobi. ‹Dir gebe ich den Ball nicht zurück›, sagte der grosse Wolfgang und stocherte mit einem Zahnstocher in seinem Gebiss umher. ‹Du bist ja nicht einmal katholisch!› ‹Sicher schon bin ich katholisch›, schrie der kleine Tobi. Sein Kinn zitterte, als ob er jeden Moment zu weinen anfangen würde. ‹Gib sofort meinen Ball her!› Die anderen Buben hielten sich raus. ‹Du bist nicht katholisch, Tobi. Du bist ein gottverdammter Zürcher, nicht wahr? Letzten Frühling zugezogen, oder etwa nicht?› ‹Ja schon, aber …› ‹Na also. Du bist ein gottverdammter Zürcher, und Zürcher sind nun mal keine Katholiken, sondern … na, Jungs?› ‹PROTESTANTEN!›, brüllten alle im Chor, und der grosse Wolfgang kniff dem kleinen Tobi gutmütig in die Nase. Natürlich wussten alle, dass Wolfgangs Argumentation auf wackligen Beinen stand; dies um so mehr, als er selber Deutscher war, und niemand war sich so recht sicher, was schlimmer war: einen Deutschen in der Klasse zu haben oder einen Protestanten. Und waren die Deutschen überhaupt katholisch? Nun, bei Wolfgang stellte sich diese Frage nicht, denn er war einen Kopf grösser als alle anderen und eine Autorität, die niemand anzuzweifeln wagte. Er hatte immer einen Zahnstocher im Mund, und alle seine Bewegungen waren von einer aufreizenden Langsamkeit, die so manchen Lehrer zur Weissglut treiben konnte. Er war
«Du bist nicht katholisch, Tobi. Du bist ein gottverdammter Zürcher, nicht wahr?»
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unumstrittener Klassenkönig, und alle waren glücklich, seine Untertanen zu sein. Denn Wolfgang war ein gutmütiger Herrscher, der selber am glücklichsten war, wenn es seinem Volk gutging. Nur selten stach ihn der Hafer, und dann foppte er jemanden wie den kleinen Tobi mit seinem Tennisball. Aber alle wussten, dass Wolfgang den Ball wieder rausrücken würde, allerspätestens, wenn Tobi zu weinen anfing. Er war der Grösste und hatte es nicht nötig, Kleine zu quälen. Im übrigen konnte sich niemand erinnern, dass Wolfgang jemals in eine Schlägerei verwickelt worden wäre: denn schon immer waren alle kleiner gewesen als er. Schon als er selber noch klein gewesen war, hatte er es irgendwie geschafft, grösser als die Grossen zu erscheinen. Vor allem aber war es sein Deutschsein – seine Familie war vor ein paar Jahren aus Hamburg zugezogen – , das ihn mit einem Nimbus der Gefährlichkeit umgab. Ein echter Deutscher, wenn er auch den hiesigen Dialekt akzentfrei beherrschte! Und dann dieser Name: Wolfgang! So hiess man hier nicht. Wer hatte schon einen Namen, in dem ein wildes, gefährliches Tier vorkam? ‹Aber ganz bestimmt bin ich katholisch! Gib mir sofort den Ball zurück, du Schwein!› Der kleine Tobi zitterte vor Wut. ‹Ach, Kleiner, sprich nicht so zu mir, das tut mir weh. Du bist nun mal ein Zürcher und ein Protestant, da kann ich doch nichts dafür.› SURPRISE 205/09
‹Nein!› ‹Du wirst es nicht leicht haben im Leben, Kleiner. Ihr Protestanten könnt nicht vögeln, ihr arbeitet euch lebenslang den Rücken krumm, und zum Schluss verbrennt ihr auch noch eure Toten.› ‹Was?› Alle waren entsetzt. Leichen verbrennen? ‹Das stimmt ja gar nicht!›, schrie Tobi, obwohl ihm ja eigentlich egal sein konnte, was Wolfgang von den Protestanten behauptete. ‹Wenn ich’s doch sage!› Wolfgang schob den Zahnstocher mit der Zunge von einem Mundwinkel in den anderen. ‹Wir Katholiken begraben unsere Toten in der Erde, wie es sich gehört. Ihr Protestanten aber baut grosse Backöfen, und da schiebt ihr dann die Oma oder den Opa rein und heizt ein, bis nur noch das Glasauge und die künstlichen Hüftgelenke übrig sind. Sag selbst, Kleiner: Ist das etwa nett? Haben die ehrwürdigen Alten das verdient?› ‹Du bist ein gemeiner Lügner!› Tobi ging mit seinen kleinen Fäustchen auf Wolfgang los. Der schloss gelangweilt die Augen, als ob er zu müde wäre, um sich zu wehren, und dann wandte er sich um und hielt dem tobenden Tobi den Rücken hin. Die anderen Buben bildeten einen Kreis um die beiden und brüllten vor Lachen. ‹So, jetzt ist aber genug.› Wolfgang wandte sich wieder Tobi zu und brachte dessen fliegende Fäustchen mit einer sachten, schlaksigen Armbewegung zum Stillstand. ‹Du bist ein Protestant und bleibst einer, bis du uns das Gegenteil beweist.› ‹Ich werd’s euch beweisen! Ich werd’s euch beweisen!› ‹Da bin ich aber gespannt. Für mich siehst du ganz genau so aus wie ein Protestant. Oder seht ihr irgend etwas Katholisches an ihm, Jungs?› ‹Nichts!›, schrieen alle begeistert. Tobi stand da, in stummem, beben-
dem Zorn. ‹Wenn du ein Jude wärst – das könntest du uns leicht beweisen. Hosen runter und raus das beschnittene Zipfelchen! Aber ein Katholik? Wie soll der beweisen, dass er kein Protestant ist?› ‹Ich werd’s euch allen beweisen! Ich werd’s …› ‹Ja doch, ja. Aber wie?› ‹Ihr … ihr könnt mich begraben. Ich lass mich von euch beerdigen.›
Wolfgang war unumstrittener Klassenkönig, und alle waren glücklich, seine Untertanen zu sein.
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Die im Kreis stehenden Buben verstummten schlagartig und sahen zu Wolfgang hin. Der nahm sogar den Zahnstocher aus dem Mund. ‹Du meinst, du lässt dich echt begraben?› Tobi nickte trotzig. ‹In der Erde? Wie ein guter Katholik? In drei Meter Tiefe?› Tobi nickte, und so zogen wir los. In den Kellern unserer Väter besorgten wir Schaufeln, Spaten und Pickel, und dann gingen wir zu einer kleinen Lichtung hinter dem Tannenwäldchen, die ausser uns niemand kannte. ‹Na, dann fangt schon mal an!› Wolfgang fläzte sich gelangweilt gegen den Fuss einer mächtigen Tanne, nahm den Tennisball hervor und liess ihn langsam neben sich über den Waldboden rollen. Tobi hatte einen Pickel mitgebracht. Er rammte die Spitze mit der ganzen Kraft seiner dünnen Ärmchen in die Erde und rief: ‹Wolfgang! Hier! Ist es hier richtig?› ‹Aber ja, aber ja!› Tobi hob den Pickel hoch über den Kopf und riss ihn nieder, hoch und nieder, hoch und nieder. Nach drei Schlägen konnte er nicht mehr. ‹Na, was glotzt ihr so blöd? Helft mir doch!›
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Und so machten sich alle über den Waldboden her, dass die Tannennadeln auf der ganzen Lichtung umherspritzten. Nur Wolfgang blieb liegen, kaute an seinem Zahnstocher und sah unter halbgeschlossenen Lidern hindurch zu. Nach einer Stunde war die Grube zwei Meter lang und einen Meter tief. ‹He, Wolfgang! Reicht das?› ‹Hmm?› ‹Ob das reicht!› Wolfgang stützte sich mühsam auf die Ellenbogen und sah prüfend zur Grube hinüber. ‹Drei Meter, ihr Weicheier! Drei Meter haben wir ausgemacht, wie bei einem echten katholischen Begräbnis!› ‹Wolfgang! Wir sind fertig!› ‹Drei Meter!› ‹Das sind drei Meter!› ‹Idioten seid ihr! Ich sehe ja noch jeden einzelnen von euren blöden Köpfen, wie ihr da in der Grube steht! Ihr seid doch nicht etwa drei Meter gross, wie?› ‹Wie tief sind dann drei Meter?› ‹Das Loch ist tief genug, wenn man einen von euch stehend begraben kann und einen anderen gleich noch obendrauf.› Und so buddelten alle weiter, den Blasen an den Händen und den brennenden Schultern zum Trotz, und der kleine Tobi war der verbissenste von allen. Nach drei Stunden war die Grube zwei Meter tief. ‹Wolfgang! Wir sind fertig!› Völlig erschöpft und verdreckt kauerten die Totengräber zuunterst in der Grube, über sich nichts als das blaue Licht des schwindenden Tages. Da tauchte Wolfgangs Gesicht am Himmel auf. Mit einem Blick mass er die Tiefe der Grube aus. ‹Ihr seid und bleibt alle zusammen ausgemachte Idioten. Ich hab doch gesagt … na ja, schon gut. Kommt alle raus – nein, du nicht, Tobi! Dich wollen wir ja beerdigen, nach allen Regeln und Vorschriften der heiligen römisch-katholischen Kirche. Leg dich hin!› Der kleine Tobi legte sich am Grund der Grube hin, und Wolfgang warf ihm ein Kruzifix hinunter, das er aus zwei Stöcken und Farn gebastelt hatte. Tobi legte sich das Kreuz auf die Brust, faltete darüber die Hände und schloss die Augen. ‹Hört auf, wie die Affen zu brüllen und rumzuhopsen, ihr Idioten!›, schrie Wolfgang. ‹Benehmt euch, wie es sich für eine katholische Trauergemeinde gehört!› Da stellten sich alle am Rand des Grabes auf und
lauschten ernst, aber gefasst den lateinisch klingenden Worten, die Wolfgang zu den Tannenwipfeln hoch murmelte. Dann war die Zeremonie zu Ende. ‹Totengräber! Waltet eures Amtes.› Zögernd stiess der erste seine Schaufel in den Erdhügel neben der Grube. Sachte liess er den Humus auf Tobis Füsse niederrieseln, und wir alle sahen zu. Tobi tat keinen Wank. Eine zweite Schaufel folgte. Eine dritte. Schon bald waren Tobis Füsse und Unterschenkel verschwunden, dann die Knie und die Oberschenkel, die Hüften, der Bauch und die Brust mit dem Kruzifix und den gefalteten Händen. Nichts regte sich in der Grube. Eine Pause entstand. ‹Weitermachen!› befahl Wolfgang. Und so fiel die erste Schaufel Erde auf Tobis weiches Kindergesicht, das damals noch rund und rosig war und nichts ahnte von den Qualen der todbringenden Krankheit. Alle schaufelten weiter, bis von ihm kein Haar mehr zu sehen war. Dann entstand wiederum eine Pause; alle stützten sich keuchend auf ihre Schaufeln und sahen fragend zu Wolfgang auf. Dieser sah angestrengt in die Grube hinunter, aber dort war es so ruhig, als ob wir tatsächlich einen Toten begraben hätten. ‹Weitermachen!› Zentimeter um Zentimeter häufte sich die feuchte Erde auf Tobis kleinem Körper. Stumm arbeiteten die Totengräber weiter, und ich schwöre bei Gott, dass sie die Grube restlos aufgefüllt hätten, wenn Wolfgang nicht plötzlich den Tennisball hineingeworfen hätte. ‹Jetzt hört schon auf! Und holt mir den kleinen Idioten da raus.› Und dann liess Wolfgang alle stehen und lief in den Wald hinaus, einsam und alleine wie der allererste Mensch. Hallo? Sind Sie noch da?»
Der kleine Tobi legte sich am Grund der Grube hin, und Wolfgang warf ihm ein Kruzifix hinunter. Rot und unbelehrbar fröhlich ging zwischen den Hochhäusern am Stadtrand die Sonne auf. Mein rechtes Ohr schmerzte vom Druck des Telefonhörers, und meine nackten Füsse waren eiskalt. «Ja, ich bin noch da», sagte ich. Ich glaube, wir sollten beide noch ein paar Stunden schlafen.» «Ja. Gute Nacht.» «Gute Nacht, Wolfgang.» ■ Mit freundlicher Genehmigung von Alex Capus, aus:
Alex Capus Alex Capus wurde 1961 als Sohn eines Franzosen und einer Schweizerin in der Normandie geboren. 1966 zog er mit seiner Mutter in die Schweiz, wo er in Olten die Schule besuchte. Er studierte Geschichte, Philosophie und Ethnologie in Basel, arbeitete bei diversen Tageszeitungen als Journalist und als Inlandredaktor bei der Schweizerischen Depeschenagentur in Bern. 1994 veröffentlichte Alex Capus seinen ersten Erzählband («Diese verfluchte Schwerkraft»), dem neun weitere Bücher mit Kurzgeschichten, Romanen und historischen Reportagen folgten. Heute lebt Alex Capus als freier Schriftsteller mit seiner Familie in Olten.
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BILD: ANDRÉ ALBRECHT
Eigermönchundjungfrau 2004, dtv.
Schattenmann VON STEPHAN PÖRTNER
Solche Geschichten liest man nur in der Zeitung. Denkt man. Man kann sich nicht vorstellen, selber in so eine Situation zu geraten. Bis das ganze Leben von einem Tag auf den andern auf den Kopf gestellt wird. Alles hat man richtig gemacht. Schule, Lehre, Studium. Ein junger Mann mit einer glänzenden Zukunft. Risk Analysis Manager. Bei einer Grossbank. Ein Lohn, über den man nicht spricht. Wegen der Neider. Leben in einer der besten Städte der Welt. Im Trendviertel. Ein Leben, um das einen alle beneiden. Ein Leben, das sich in Luft auflöst. Bloss, weil man jemanden umbringt. Ich konnte gerade noch abhauen, über die Grenze. Nicht nach Brasilien oder Costa Rica. Das tun Kriminelle, die Beute gemacht haben. Bankräuber, Dealer, Betrüger. Ich bin nicht kriminell. Ich habe einen Menschen erstochen. Kaltblütiger Mord, sagte der Staatsanwalt. Lebenslänglich. In Abwesenheit verurteilt. Mord verjährt nicht. Ich wusste, dass man die Leiche bald finden würde, es blieb keine Zeit, all meine Konten aufzulösen. Ich bin alles andere als kaltblütig. SURPRISE 205/09
Eine kleine Pension, eine Woche im Voraus bar bezahlt. Die Wirtin wollte keinen Ausweis sehen. Ich machte einen seriösen Eindruck. Junger Geschäftsmann auf Durchreise. Eine Woche lang habe ich das Zimmer nicht verlassen. Angst. Reue. Gewissensbisse. Stell dich! Wem nützt das etwas? Du hast nur ein Leben. Mit dem Bus in die nächste Stadt mit Universität. Ich war jung genug, um als Student durchzugehen. Genug Fachwissen, um glaubhaft zu sein. Ein Zimmer in einer Studenten-WG. Niemand wollte einen Ausweis sehen. Die Mitbewohner waren zum Glück mit sich selber beschäftigt. Den Tag herumbringen. Die Zeit totschlagen. Jobangebote anschauen. Zwecklos. Alles, was ich gelernt hatte, zählte nicht mehr. Niemand glaubt einem, dass man wirklich etwas kann. In meinem Job ging ohne Uniabschluss, Referenzen und Arbeitszeugnisse gar nichts. Von vorne anfangen. Von ganz unten. Wer will, der schafft es. Dachte ich immer. Es ist verdammt schwer. Die sollen doch arbeiten. Heisst es immer. Es wird um die miesesten Jobs gekämpft. Ich konnte helfen, eine Wohnung zu streichen. Mein Onkel war Malermeister, ich hatte während der Ferien oft bei ihm gearbeitet. Ich hatte es
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noch ganz gut drauf. Besser als die anderen Studenten. Früher hasste ich es, fremde Wohnungen zu streichen. Nun war ich froh darum. Meine Fähigkeiten als Maler sprachen sich herum. Ich ergatterte ein paar Jobs. In Konkurrenz zu Ostdeutschen, Polen, Ukrainern. Harte Zeiten waren das. Mit wie wenig man durchkommen kann. Schon ganz erstaunlich. Es gab Zeiten, da glaubte ich, wenn ich mir keinen Armani-Anzug mehr leisten kann, dann macht das Leben keinen Spass mehr. Man kann auch ohne Spass leben. Man hängt mehr am Leben, wenn es einem jeden Moment genommen werden kann. Fünfundzwanzig Jahre Zuchthaus sind kein Leben. Lange Zeit blieb ich allein. Ausweichen, wenn Fragen gestellt wurden. Den Schweizer Akzent loswerden. Einzelgänger. Ich, der so ein grosses Netzwerk hatte. So beliebt war. Gerne auffiel. Keinen Verdacht erregen, nicht in eine Kontrolle geraten. Es geht. Wenn man nicht schwarzfährt, sich anständig kleidet, Deutsch spricht. Die Arbeitgeber nutzten meine Situation aus. Zahlten schon mal nicht. Der Wettbewerb war brutal. Ganz anders als in den Theorien, die ich während des Studiums gelernt hatte. Anfangs hatte ich ständig Angst, aber irgendwann wurde die neue Situation zur Normalität. Ich traute mich langsam wieder unter die Leute. Irgendwann lernte ich Esther kennen. Esther ist nicht Cécille. Cécille Bertschi. Mein Traum, meine Begierde, mein Untergang. Ein edles Zürcher Gewächs, alter Goldküstenadel. Sie war der Beweis, dass ich es geschafft hatte. Ich, Albert Zwicky aus Mettmenstetten, Vater Bankangestellter, Mutter Hausfrau. Ein weiter Weg zu einem Top-Job an der Bahnhofstrasse, einer Loftwohnung in Zürich West und einer Frau wie Cécille Bertschi. Die Wirtschaft und Politologie studiert hat. Die ein bisschen gemodelt hat. Die beliebt und begehrt war, anspruchsvoll und selbstbewusst.
Ich habe ihr Leben ramponiert. Einen dicken schwarzen Klecks auf diesem Lebensplan hinterlassen, der so makellos war wie ihre weisse Haut. Wir waren verlobt. Sie wurde schwanger. Wir wollten heiraten. Ich werde es nie kennen lernen, das Mörderkind. Ihr Vater sah sich bestätigt. Er war immer gegen mich. So ein Aufsteiger. Hättest du doch den Georg genommen, wird er gesagt haben, dann wäre das alles nicht passiert. Recht hat er. Das Kind hat jetzt einen anderen Vater. Cécille Bertschi bleibt nicht lange allein. Auch mit einem Mörderkind nicht. Ich hoffe, sie hat einen guten Mann gefunden. So wie ich eine gute Frau gefunden habe. Die einen Sohn hat. Der elf Jahre alt ist. Den ich gern habe. Esther arbeitet als Verkäuferin. Ich verdanke ihr alles. Ich könnte sie nie verlassen. Ich hoffe, dass sie mich nicht verlässt, wenn alles herauskommt. Sie weiss nicht, dass ich ein Mörder bin. Weiss nur, dass ich Probleme hatte. Fliehen musste. Eine dumme Geschichte. Eine Ausrutscher. Es waren Drogen im Spiel. Das stimmt sogar. Es waren Drogen im Spiel. An dem Abend und auch sonst. Georg und ich, wir haben schon mal eine Linie genommen. Über die Stränge geschlagen. Man ist nur einmal jung. Das Leben geniessen. Sich mal richtig volllaufen lassen. Mal richtig einen draufmachen. Das gehörte einfach dazu. Das ist normal. Wir kannten unsere Grenzen. Wir hatten ein intaktes Umfeld. Und was für eins. Reisen in tolle Städte. Bars und Clubs besuchen, Weiber abschleppen oder auch mal eine aufs Zimmer bestellen. Das gehörte zum Lifestyle. Wir hatten uns an einem legendären Besäufnis geschworen, dass wir uns nie wegen einer Frau streiten würden. Ich trinke fast nichts mehr. Mal ein Glas Wein. Damit es nicht auffällt. Wer gar nichts trinkt, ist verdächtig. Hat Angst, die Kontrolle zu verlieren. Sechs Jahre sind seit der Tat vergangen. Ich habe eine neue Identität. Fand einen, der seinen Personalausweis verkaufte. Bevor er nach Thailand verschwand. Es war gar kein Problem. Sogar einen Führerschein habe ich. Ich bin jetzt Frank Helbling. Ich zittere bei jeder Verkehrskontrolle. Hoffe, der echte Frank Helbling kommt nie zurück. Warte auf den Tag, an dem alles vorbei ist. Es gibt zwei Möglichkeiten: Ich werde verhaftet oder man sagt mir, dass Georg gar nicht tot ist. Dass es jene Nacht gar nie gegeben hat. Jene fatalen Morgenstunden meines Hochzeitstages. Der schönste Tag im Leben. Wäre ich doch nach Hause gegangen. Und nicht noch zu Georg. Mein Polterabend. Ich habe schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Obwohl er es überspielt hat. Champagner spendierte. Massig. Vom guten.
Es ist lange her, aber mein Fall hat damals für Schlagzeilen gesorgt.
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«Du bist schon ein Glückspilz», hatte mein Bruder noch zu mir gesagt. «Die Cécille zur Frau und den Georg zum besten Freund. Besser kann es ein Mann gar nicht treffen.» Georg war mein bester Freund. Ich habe ihn während des Studiums kennen gelernt. Ich, der kleine Bankangestellte aus Mettmenstetten, der sich das Studium abverdienen musste. Georg, der Spross einer reichen Bankiersfamilie. Ohne den geringsten Dünkel. Ein guter Kerl. Wir mochten uns auf Anhieb. Studienkollegen, Kumpel, Freunde. Er war mein Mentor. Er hat mir beigebracht, wie sich ein Mann von Welt verhält. Ich neigte zum Protzen. Typisch aufstrebende Mittelschicht. Georg hat mir Cécille vorgestellt. Sie war damals seine Freundin. «Eines Tages heirate ich sie», sagte er. Ich weiss nicht, warum ich ihr den Hof gemacht habe. Anfangs nur aus Übermut. Aus Sportgeist. Ich hätte nie gedacht, dass sie sich auf mich einlässt, aber gebrodelt hat es schon von Anfang an. Georg ging für ein halbes Jahr in die USA. Harvard Business School. Ich solle auf sie aufSURPRISE 205/09
passen, sagte er, als er abflog. Wir haben noch am selben Abend miteinander geschlafen. Georg kam aus Harvard zurück. Er hat es locker genommen. Ich habe mich entschuldigt. Er hat es akzeptiert. Wir sind Freunde geblieben. Wahrscheinlich dachte er, ich würde ihr schon verleiden. Er hätte ihr alles verziehen. Er hätte sie zurückgenommen, nachdem ich abhauen musste und sie mit meinem Kind sitzen liess. Aber da war Georg schon tot. Es fing an einem unserer Herrenabende an. Gutes Essen, Zigarren, ein paar Bars und ein kleiner exklusiver Club. Mit Damen. Erst waren es nur Sticheleien, dann wurde er ausfällig: «Du kriegst den Hals wohl nie voll, genügt dir deine Schlampe zu Hause nicht?» Wenn es nicht Georg gewesen wäre, hätte ich ihm eine geknallt. Er hatte auch nie etwas anbrennen lassen, als er noch mit ihr zusammen war. Ich übernahm seine Grundsätze: Belästige deine Frau nicht mit deinen Trieben. Dafür gibt es andere Weiber. Liebe und Triebe vertragen sich nicht. Natürlich gehört Sex dazu, aber gesittet. Die Sau, die lässt man woanders raus. Die Ironie dabei ist, dass mir Cécille vollkommen genügt hätte. Mir machte es mit ihr mehr Spass als mit jeder anderen Frau. Ich besuchte diese Etablissements nur, um nicht als Pantoffelheld zu gelten. Wie gesagt, es gehörte zum Lifestyle. Georg hat sich am nächsten Tag entschuldigt. Der Alkohol. Er trage mir nichts nach. Aber es blieb nicht bei dem einen Mal. Es wurde immer heftiger. In jener Nacht, an meinem Polterabend, alle anderen waren schon gegangen, sassen wir auf seinem Sofa. Wir zogen eine Linie. Er nannte sie eine Nutte, mich einen Charakterlumpen. Ich schlug ihn. Er lachte. Er sagte Dinge, die er nicht hätte sagen dürfen. Über sie. Über mich. Da war das Messer in meiner Hand. Entschuldigen sollte er sich. Er sagte noch etwas, das er nicht sagen durfte. Das er nicht einmal denken durfte. Ich stiess ihm das Messer in die Brust. Immer und immer wieder. Zweiunddreissig Stiche. Ein Massaker, schrieb die Zeitung. Seit ich mit sechzehn Jahren zusammengeschlagen worden bin, trage ich immer ein Messer auf mir.
Das ist das Einzige, was sich nicht verändert hat. Heute werde ich oft bar bezahlt. Da muss man sich verteidigen können. Ich habe ein Geschäft aufgebaut. Als Maler. Habe mich spezialisiert. Ganzheitliche Raumgestaltung. Bioenergetische Einflüsse und ayurvedische Farblehre. Das habe ich von Cécille gelernt. Sie hatte so eine Ader. Wir gingen dreimal die Woche ins Yoga. Seither beschäftige ich mich mit diesen Dingen.
Er nannte sie eine Nutte, mich einen Charakterlumpen. Ich schlug ihn. Er lachte.
Stephan Pörtner Stephan Pörtner, geboren 1965, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Zürich, wo auch vier seiner Krimis spielen. Zuletzt erschien von ihm «Köbi Santiago» im Bilgerverlag (2007).
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BILD: GUIDO SÜESS
Obwohl ich lieber nicht an mein Karma denken will. Das Geschäft läuft einigermassen. Ich komme durch. Ich kann mit den Leuten, denen solche Sachen wichtig sind, gut reden. Spiritualität, Ausgewogenheit und Harmonie sind Luxusgüter. Malermeister haben davon keinen Schimmer. Ich könnte zufrieden sein, aber ich fürchte den Tag, an dem mir jemand aus der Schweiz über den Weg läuft. Studienkollegen, Nachbarn, Partybekanntschaften. Zum Glück fliesst der Strom in die andere Richtung. Deutsche ziehen in die Schweiz. Es ist lange her, aber mein Fall hat damals für Schlagzeilen gesorgt: Der brutale Banker-Mord. Blutbad am Zürichberg. Millionenerbe von bestem Freund niedergemetzelt. Mein Bild in allen Zeitungen. Zum Glück hatten die Leute hier andere Sorgen. Die Schweiz war kein Thema. Die Schweizer vergessen oft, wie wenig die Welt sich für sie interessiert. Wird Esther mich verlassen, wenn sie die Wahrheit erfährt? Ich wollte es ihr schon tausendmal sagen. Aber je länger man wartet, desto weniger geht es. «Du lebst seit fünf Jahren mit einem Mörder zusammen. Ich habe meinen besten Freund umgebracht und meine schwangere Frau sitzenlassen. Ich habe dich jeden Tag, den wir zusammen verbracht haben, angelogen.» Manchmal glaube ich, dass ich Frank Helbling bin und Albert Zwicky nur ein Traum war. Ein schöner Traum, der böse geendet hat. Aber eines Tages wird Albert Zwicky aus dem Schatten treten und mein Leben vernichten. ■
Heiraten VON JULI ZEH
Zuerst erfuhr es der Steuerberater. «Lieber Herr Ludwig», schrieb Richard in eine E-Mail, «nun habe ich mich doch zur Ehe entschlossen. Gibt es den Splitting-Vorteil auch bei Ausschluss der Zugewinngemeinschaft?» Eigentlich hatte sich Nicola geschworen, niemals zu heiraten. Richard, der selbst nie ernsthaft über das Heiraten nachgedacht hatte, fand ihre Argumentation schlüssig. Aus Liebe heiraten, hatte sie gefragt, welchen Sinn solle das ergeben? Eine funktionierende Liebe brauche weder einen Knebelvertrag, noch ein Aushängeschild. Und sämtliche Gründe jenseits der Liebe seien schlecht. Geld, ungewollte Schwangerschaft, Druck aus der Familie. Das könne nur Unglück bringen. «Wir können die Trauung im Schloss Mühldorf organisieren», sagte die Dame vom Standesamt am Telephon. «Bis zu 500 Gäste, 1000 Euro. Oder im Herrenhaus, 200 Gäste, 500 Euro. Hier bei uns haben wir den kleinen Festsaal. 50 Gäste, 200 Euro.» Richard wechselte den Hörer ans andere Ohr. «Und wenn man einfach nur – heiraten will?» «Nun ja, das Amtszimmer.» Die Dame klang beschämt. «Das haben wir ein wenig herrichten lassen, aber schön ist es nicht. Und es passen nur sechs Gäste rein.» «Wir sind zu zweit», sagte Richard. Im Grunde war es wegen der Intensivstation. Wenn dir was zustösst,
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hatte Nicola eines Abends gesagt, lassen sie mich nicht zu dir. Alles würde deine Mutter entscheiden. Sogar über Leben und Tod. – Sie sassen über abgegessenen Tellern bei ihrem Lieblingsitaliener. Nicolas Wangen waren gerötet vom Wein, und ihre Augen glänzten aufgrund der Kerze, die zwischen ihnen stand. Auch wegen Erbsachen, kam Richard ihr zur Hilfe, sei eine Heirat vielleicht von Vorteil. Dann könne er endlich den Zettel in seiner Schreibtischschublade wegwerfen. Nicola wollte wissen, was auf dem Zettel stehe. Wenn ich tot bin, sagte Richard, soll alles Nicola gehören. Der Rest der Welt soll sich verpissen. – Nicolas Augen glänzten noch stärker, und sie nahm seine Hand und küsste sie. «Wo habt ihr eigentlich damals geheiratet?», fragte Richard seinen Vater am Telephon. «Warum fragst du nicht deine Mutter?», erwiderte der Vater. «Es war doch ihre bescheuerte Idee.» «Ich dachte, du könntest es mir sagen.» «Wozu willst du das überhaupt plötzlich wissen?» Richard schwieg. Die Familiensituation war schwierig, bei ihm genau wie bei Nicola. Sie hatten verabredet, es heimlich zu tun. «Nicht so wichtig», sagte er und legte auf. Minuten später klingelte das Telephon. «Ich weiss es», sagte der Vater. «Du brauchst den Ort unserer Hochzeit, weil du deine Abstammungsurkunde anfordern willst. Du hast beschlossen, dich zu verheiraten. Hinter dem Rücken deiner Familie.» SURPRISE 205/09
«Macht jetzt bitte kein Drama», sagte Richard. Noch am gleichen Abend riefen seine jüngeren Schwestern an. Die eine lebte in München, die andere in Berlin. Sie hätten volle Terminkalender und müssten frühzeitig wissen, wann die Feier sei. «Das ist wieder typisch für dich», sagte Nicola. «Du tust immer so lässig, und dann hängst du doch drin in der ganzen Familienscheisse.» Ihre Unterlagen hatte sie schon beisammen. Richard fragte, ob sie nicht vielleicht doch eine kleine Feier machen könnten, nur im engsten Kreis, die Eltern, die Schwestern ... Aber es war kein guter Moment, um darüber zu reden. «Und wen würde ich dazu einladen?», schrie Nicola. «Meine Mutter oder meinen Vater? Du weisst genau, dass die beiden seit zwanzig Jahren nicht miteinander reden. Muss ich mich dann für einen entscheiden, nur weil ich heiraten will?» «Wann kommst du mich mal wieder besuchen?», fragte Richards Mutter am Telephon. Sie hätten damals in Feldafing geheiratet, am Starnberger See, Hals über Kopf und ziemlich romantisch. Warum ihn das interessiere. Er sagte es ihr. «Nein!» Die Mutter klang entsetzt. Ob er ohne Ehe nicht glücklich sei? «Mach das nicht», sagte sie. Richard bat sie, sich aus seinen Angelegenheiten herauszuhalten. Die Mutter begann zu weinen. «Herzlichen Glückwunsch», sagte der Herr in der Abteilung Familienbuch im Standesamt Feldafing. «Die Dokumente schicke ich Ihnen zu. Für Sie und Ihre Adoptiveltern wird das bestimmt ein Freudentag.» «Adoptiveltern?», fragte Richard. Die Lebensgefährtin von Richards Vater erklärte, der Vater könne gerade nicht ans Telephon kommen. Bei der Mutter klingelte es durch. Von den Schwestern erreichte Richard nur eine. Erst erklärte sie ihn für verrückt, dann war sie fassungslos. «Das könnte auch Lucy und mich betreffen», rief sie aufgeregt. «Vielleicht sind wir alle gar nicht miteinander verwandt!» Richard fand, dass das manches erklären würde. Seine Schwester bat ihn, die Hochzeitsfeier zu verschieben. Er sagte, dass keine Feier geplant sei. Diese Reaktion fand sie nun auch wieder übertrieben. Er sagte, er habe ohnehin von Anfang an vorgehabt, ohne Familie zu heiraten. Die Schwester wurde schweigsam in der Leitung. Ein bisschen, sagte sie schliesslich, habe sie schon immer geahnt, dass er nicht ihr richtiger Bruder sei. «Freu dich doch», sagte Nicola. «Ich würde jubeln, wenn ich rausfände, dass ich nicht die Tochter meiner Eltern bin.» Sie sassen über unberührten Tellern bei ihrem Lieblingsitaliener. Richard stützte den Kopf schwer in die Hände. Man habe ihn sein Leben lang belogen. Nun sei rückwirkend seine ganze Biographie zusammengebrochen. Nicola bat ihn, sich am Riemen zu reissen.
«Das ändert doch nichts», sagte sie. «Das ändert alles», sagte er. In der Abstammungsurkunde, die zwei Tage später im Briefkasten lag, stand der Name seiner richtigen Eltern. Franz Schön und Charlotte Schön, geborene Haberle. Bis jetzt hiess Richard mit Nachnamen Kindermann. Richard Schön, dachte er. Und Nicola Schön. Das klang wunderbar. «Spinnst du», sagte Nicola. «Ich behalte sowieso meinen eigenen Namen. Was ist denn auf einmal los mit dir?» Er wolle seinen Urlaub in drei Wochen nutzen, um seine richtigen Eltern zu suchen. «In drei Wochen», sagte Nicola, «sind wir auf Hochzeitsreise. Dachte ich.» Sie schwiegen eine Weile. Draussen liefen Regentropfen über die Scheibe und klopften aufs Fensterbrett. Ob sie das nicht verstehen könne, fragte Richard. Sie verstehe jetzt vor allem, dass ihm seine Familienangelegenheiten wichtiger seien als sie, sagte Nicola. In dem Fall fände sie es besser, das Ganze sein zu lassen. Richard fragte, was sie mit «das Ganze» meine. «Es betrifft nur dich», sagte Lucy am Telephon. Anscheinend komme es gar nicht selten vor, dass Paare nach einer Adoption doch noch eigene Kinder bekämen. Ob er und Nicola eigentlich welche wollten?
Wenn ich tot bin, soll alles Nicola gehören. Der Rest der Welt soll sich verpissen. «Nicola und ich haben beschlossen, uns eine Weile nicht zu sehen», sagte Richard. In dieser schwierigen Phase sei das erst einmal besser so. Lucy erklärte, für sie mache es keinen Unterschied, ob Richard ihr leiblicher Bruder sei oder nicht. Da sie einander ohnehin nie besonders nahe gestanden hätten, spüre sie jetzt keinen Unterschied. Franz Schön lebte in Recklinghausen. Das hörte man am Telephon. Richard war so durcheinander, dass er nur fragte, ob Charlotte Schön zu Hause sei. Franz rief hinter sich in die Wohnung. Als Charlotte sich mit «Ja?» meldete, legte Richard auf. Danach war es totenstill im Raum. Richard wusste, dass er nicht noch einmal anrufen würde. Nicola hatte schon in der Tür gestanden, ihren Reiserucksack auf dem Rücken und die Hand auf der Klinke, als sie ihm etwas beichtete. Seit Jahren habe sie heimlich davon geträumt, eine Familie mit ihm zu gründen. Aber sie habe nichts forcieren wollen. Nun zeige sich ja, wie richtig ihre Bedenken gewesen seien. «Ein Traum», hatte sie gesagt, «ist eben noch lange keine gute Idee.» Dann war sie gegangen. Die Totenstille, in der Richard neben dem Telephon sass, war das Geräusch ihrer Abwesenheit. ■ Mit freundlicher Genehmigung von Juli Zeh, erschienen im deutschen
Juli Zeh Juli Zeh, geboren 1974 in Bonn, Jurastudium und Diplomstudiengangs am Deutschen Literaturinstitut Leipzig; seit 2005 arbeitet sie als Dozentin unterschiedlicher deutscher Hochschulen im Bereich Literaturwissenschaften. Juli Zeh wurde für ihre Publikationen mit verschiedensten Preisen ausgezeichnet, zuletzt wurde ihr 2009 der Carl-AmeryLiteraturpreis verliehen. Zu ihren Veröffentlichungen zählen u. a. «Die Stille ist ein Geräusch» (2002) und «Spieltrieb» (2004). Juli Zeh schreibt ausserdem für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften wie «Spiegel» oder «Stern».
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BILD: DAVID FINCK
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Br., 336 Seiten CHF 36.– / EUR 24.– ISBN 978-3-7296-0780-4 ÂŤIhr Buch ist aus der Praxis und fĂźr die Praxis geschrieben, macht Zusammenhänge verständlich und weist auf versteckte Fallstricke hin. Es ist nicht nur fĂźr Betroffene eine Fundgrube von Informationen und Motivation, sondern auch ein Ratgeber fĂźr Therapeuten, die dem Phänomen Ăœbergewicht/Adipositas oft noch immer etwas ratlos gegenĂźberstehen.Âť Heinrich von GrĂźnigen
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Die Raucherecke VON FRANZ HOHLER
Ich hatte die Schwierigkeit, schnell eine Zigarette zu rauchen, unterschätzt. Gerade wollte ich mir im Hotelzimmer eine anzünden, als ich das Schild mit dem Hinweis sah, dass es sich um ein Nichtraucherzimmer handelte und dass dem Gast, sollte es sich herausstellen, dass er trotzdem geraucht hatte, eine Gebühr von 200 Euro für die professionelle Entlüftung und Reinigung des Zimmers belastet werde. Ich steckte also mein Päckchen ein, fuhr mit dem Lift aus dem obersten Stockwerk, in dem mein Zimmer lag, eine Etage nach der andern hinunter, um festzustellen, dass jeder Stock mit einem Nichtraucherzeichen versehen war. Als ich im Erdgeschoss die Bar gefunden hatte, und auch dort von der Decke ein Nichtraucherschild herunterhing wie ein Kronleuchter, unterstützt durch kleine Stellkartons auf dem Tresen und den Tischchen, schwand meine Hoffnung, in diesem Haus eine Zigarette anzünden zu können, und ich trat durch die Drehtür auf die Strasse hinaus. Ein harscher Wind wehte, ich hatte nur meine Jacke an, aus der ich nun mein Zigarettenpäckchen zog, doch als ich die Zigarette im Mundwinkel hatte und mein Feuerzeug mehrmals anzuknipsen versuchte, trat eine Hostess von der andern Strassenseite auf mich zu und machte mich freundlich, aber mit Nachdruck darauf aufmerksam, dass ich mich in einer Nichtraucherstrasse befand. Ich muss etwas verstört gewirkt haben, denn sie bat mich nun, meinen Blick auf die Hauswand gegenüber zu richten, auf welcher grosse Zigarren mit roten Kreuzen übermalt waren. «In Ordnung», sagte ich, betrat mit klammen Fingern wieder die Eingangshalle des Hotels und fragte die junge Frau an der Rezeption, ob es hier irgendwo eine Raucherecke gebe. «In der Tiefgarage vielleicht?», fügte ich halb ironisch, halb hoffnungsvoll hinzu. «Dort nicht», entgegnete sie, neigte sich ein bisschen vor und sagte leise: «Explosionsgefahr». Dann drehte sie sich um, griff sich aus einer Schublade ein Blatt, legte es vor mich hin und sagte: «Aber selbstverständlich dürfen Sie bei uns rauchen, wenn Sie sich der Gefahr bewusst sind, der Sie sich aussetzen. Darf ich das annehmen?» Flüchtig betrachtete ich das Blatt und nickte stumm. Alle Fotos von Raucherlungen, Geschwüren und Beinstümpfen hatten bisher nicht vermocht, jene Lust auf diesen Moment der Entspannung zu bändigen, der mit dem Einatmen dieses kleinen, kribbelnden Spiralnebels verbunden ist und den ich nicht als eine Bedrohung, sondern vielmehr als eine Liebkosung meiner Atemwege empfinde. «Und das», sagte die Rezeptionistin, «ist ein Plänchen, wie Sie unsere Raucherecke finden, sowie» – und nun bekam ihre Stimme etwas Mitfühlendes – «eine Statistik über den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs.» Sie schob mir zwei weitere Blätter hinüber. «Danke», sagte ich benommen, «vielen Dank – haben Sie Streichhölzer?» Sie musste sich so tief bücken, dass sie einen Moment ganz ver-
schwand. Als sie mit gerötetem Gesicht wieder auftauchte, übergab sie mir ein Schächtelchen mit der schwarz umrandeten Aufschrift «RAUCHEN TÖTET!» Ich hatte inzwischen einen Blick auf die Skizze geworfen, die ich nicht gleich verstand, und fragte, während hinter mir die Koffer einer chinesischen Reisegruppe aufgetürmt wurden, wo genau ich mir die Rezeption vorstellen müsse. «Ihr Standort ist hier», sagte die Empfangsfrau und zog ein Kreislein um ein blasses Viereck, «und Sie müssen der gestrichelten Linie folgen.» Auch diese Linie war kaum zu erkennen, so schlecht war der ganze Plan kopiert. Gut sichtbar war einzig das Ziel der Linie. Ein Pfeil wies auf ein dick ausgezogenes Quadrat, in dem ein Totenkopf prangte. «Ist dort auch ein Notarzt bereit?», fragte ich, und zu meiner Überraschung war die Frau nicht beleidigt, sondern verneinte höflich, drehte das Statistikblatt um, auf dessen Rückseite die Nummer eines örtlichen und eines nationalen Beratungsdienstes notiert war und sagte mir, während der Reiseleiter der Chinesen seinen Unterarm neben mir auf den Tresen legte und mit den Fingern zu trommeln begann, ihr Partner habe sich zum Beispiel mit Erfolg dorthin gewandt, was mich jedoch nicht daran hindern solle, meine Zigarette zu geniessen. Ich bahnte mir nun, mit meinen Blättern in der Hand, einen Weg zwischen den Koffern und den fernöstlichen Hotelgästen hindurch, die einen erschöpften Eindruck machten, und versuchte den Plan so zu halten, dass das, was ich sah, mit dem Schema übereinstimmte. Das gelang mir nicht vollständig, und schliesslich entschied ich mich, eine Türe im Hintergrund, die durch ein grünes Männchen als Notausgang gekennzeichnet war, als Einstieg zur gestrichelten Linie anzunehmen, ich öffnete sie, und dahinter führten ein paar Treppenstufen hinunter in einen langen, schlecht beleuchteten Gang, der in einer weiteren Türe endete. Allerdings gab es keinen Hinweis darauf, dass man sich hier auf dem Weg zur Raucherecke befand, die Pfeile zu einem Totenschädel, die ich eigentlich erwartet hatte, fehlten, ebenso wie eine gestrichelte Linie am Boden. Inzwischen war meine Lust auf einen Zug an einer Zigarette ins Unzähmbare gestiegen, denn ich war im Flugzeug angereist, hatte am Flug-
Kaum führte ich das Flämmchen gegen die Zigarette, erklang eine Alarmsirene.
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hafen sofort ein Taxi genommen und zu spät gesehen, dass es ein Nichtrauchertaxi war. Ich bin Musiker und sollte zu einer Aufnahme in den Rundfunk, die Zeit wurde langsam knapp, also dachte ich, statt auf der Suche nach einer Raucherecke zu versauern, könne ich geradesogut in diesem Gang eine rauchen. Diesmal gelang mir das Anknipsen des Feuerzeugs problemlos, doch kaum führte ich das Flämmchen gegen die Zigarette, erklang eine Alarmsirene, an der Decke begann sich ein orange blinkendes Warnlicht zu drehen, und Sprinklerdüsen versprühten dünne Wasserfontänen. Sofort rannte ich zur Tür am Ende des Ganges, riss sie auf und fand
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mich in der Garage, wo ich eilends zwischen verschiedenen Wagenreihen durchging, über eine Wendeltreppe in eine tiefer gelegene Parkfläche steigen konnte, diese aufs Geratewohl durchquerte und so unauffällig wie möglich eine weitere Tür öffnete. Nun stand ich in einem kleinen Lift, der nur für eine Person Platz bot, und auf dessen winzigem Schaltteil ein Pfeil nach oben zeigte und einer nach unten. Ich drückte auf den Pfeil nach oben. Nach einer überraschend schnellen Fahrt öffnete sich die Tür und entliess mich aus meiner Kapsel auf eine kleine Plattform, die dem obersten Stock vorgelagert war und die aus nichts weiterem bestand als aus einem durch ein einfaches Geländer geschützten Gitterrost; blickte man auf seine Füsse, sah man lotrecht in die Tiefe hinunter. Da ich nicht schwindelfrei bin, fasste ich sofort mit den Händen das Geländer und schloss einen Moment die Augen. Als ich sie vorsichtig wieder öffnete, erblickte ich an einem Geländerpfosten etwas wie einen Aschenbecher. «Hier dürfen wir», sagte eine Stimme neben mir. Sie gehörte, wie ich feststellte, als ich meinen Kopf umwandte, einer Frau; diese trug einen Mantel mit einem Pelzkragen, ihr Kopf war mit einer Fellmütze bedeckt, und zwischen ihren Fingern, die in Lederhandschuhen steckten, hielt sie eine Zigarette an einer elfenbeinfarbigen Zigarettenspitze. Sie lachte und fragte mich dann mit etwas verrauchter Stimme: «Haben Sie Feuer?» «Sicher», sagte ich, versuchte meinerseits ein Lachen und tastete dann in meiner Jackentasche nach meinem Feuerzeug. Ich merkte nun, dass ich vom Sprinklerwasser durchnässt war, und der Wind hier oben wehte stärker als vorhin auf der Strasse. Zitternd holte ich mir eine Zigarette aus dem Päckchen und klemmte sie mir zwischen die Lippen. Dann steckten wir unsere Köpfe zusammen, und ich knipste das Feuerzeug an. War es der Wind, der das Flämmchen gar nicht erst entstehen liess, oder war vielleicht der Sprit aus? «Moment», sagte ich und holte das Streichholzschächtelchen heraus, das ich bei meiner Brieftasche versorgt hatte. «Sie wissen Bescheid?» fragte ich, indem ich ihr die Aufschrift hinhielt. Sie lächelte nur, und als ich nun ein Streichholz über den Anzündstreifen zog, brach es entzwei, ebenso ein zweites und ein drittes. Die Hölzchen mussten mit Absicht so dünn gemacht worden sein, dass sie auch nicht dem geringsten Druck standhielten. Ich packte das nächste Streichholz direkt am Köpfchen, es entzündete sich und brannte mich an der Fingerkuppe, so dass ich es mit einem Fluch fallen liess. Als Gitarrist kann ich mir keine Wunden an den Fingern leisten. «Tut mir leid», sagte ich, «ich –» Mein Handy klingelte, und aus dem Studio hörte ich, dass die andern schon da seien und man nur noch auf mich warte. Ich versprach sofort zu kommen, entschuldigte mich bei der Frau und suchte nach dem Knopf für den Lift.
«Es gibt keinen Knopf», sagte die Frau, «man muss warten, bis er von selbst kommt.» Ich war fassungslos. «Und wie lang haben Sie gewartet?» «Sie haben sich ganz schön Zeit gelassen – etwa eine halbe Stunde.» Zum Glück stand die Nummer des Hotels auf der Streichholzschachtel, und ich tippte sie ein. Von der Frau an der Rezeption verlangte ich, dass sofort ein Lift zur Raucherecke hochgeschickt werde. Sie reagierte erstaunt. Da gebe es gar keinen Lift, behauptete sie. Als ich ihr schilderte, wo ich war, und dass ich da nicht allein war, sagte sie, das
«Kommen Sie», sagte die Frau, öffnete ihren Mantel und zog mich an sich.
Franz Hohler Franz Hohler, geboren 1943 in Biel, aufgewachsen in Olten, Studium der Germanistik und Romanistik in Zürich, nach 5 Semestern abgebrochen, seither freischaffend. Arbeitet für Bühne, Radio, Fernsehen, schreibt Erzählungen, Romane, Gedichte, Theaterstücke und Kinderbücher, lebt mit seiner Frau in Zürich. Letzte Buchveröffentlichungen: «Das grosse Buch» (Hanser Verlag, München 2009), «Das Ende eines ganz normalen Tages» (Luchterhand Literaturverlag, München 2008), «Mayas Handtäschchen (Sauerländer bei Patmos, Düsseldorf 2008), «Es klopft» (Luchterhand Literaturverlag, München 2007)
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BILD: CHRISTIAN ALTORFER
sei ein Notfalllift für die Feuerwehr, und um den in Gang zu setzen, müsse sie erst den Code freigeben lassen, und das könne schon etwas dauern. «Wie lange?», fragte ich tonlos. «Bis zu einer Stunde», sagte sie ungerührt. «Bis dann bin ich erfroren!» schrie ich. Aber es half nichts. Als ich ins Studio anrief, wollte man mir nicht recht glauben, und der Produzent sagte, zufällig sei Rick Rinton vorbeigekommen, und er könne meine Soli schon mal einspielen, ihre Zeit sei leider begrenzt. Ich wusste, was das bedeutete. Rick Rinton war mein schärfster Konkurrent in der Szene, er war jünger, und eigentlich musste ich bei jedem Engagement beweisen, dass ich es immer noch mit ihm aufnehmen kann. Ich steckte mein Handy in die Tasche und brach plötzlich in Tränen aus. «Kommen Sie», sagte die Frau, öffnete ihren Mantel und zog mich an sich, «Sie müssen aufpassen, dass Sie sich nicht erkälten.» Und so stand ich da, presste mich weinend und schlotternd an sie, sie behütete mich und streichelte meinen Kopf wie einem kleinen Kind, und so umschlungen fuhren wir auch im Lift nach unten, als er uns nach dreiviertel Stunden endlich abholte. Die Frau habe ich nie mehr gesehen. Als ich im Studio erschien, waren die Aufnahmen gemacht; Rick hatte alle mit seinen schrägen Riffs verzaubert, und es war mir klar, dass ich von diesem Produzenten nie mehr eingeladen würde. Am nächsten Tag erkrankte ich gleich nach meiner Rückkehr an einer schweren Lungenentzündung und musste für mehrere Tage in die Klinik. Ich hatte so hohes Fieber, dass ich zeitweise nicht bei Bewusstsein war. Später, als es mir besser ging, fragte mich eine Krankenschwester, wieso mich wohl die Frage des Chefarztes so empört habe, dass ich ihn angeschrieen und beschimpft habe. Was er mich denn gefragt habe, wollte ich wissen. «Das, was er alle fragt – rauchen Sie?» ■
Wunder VON SIBYLLE BERG
Keiner glaubte mehr an Wunder. Das war gelaufen. Ab 40 glaubte keiner mehr an etwas, das von aussen kam, von Gott, vom Himmel, von Ausserirdischen. Dass ihm etwas Besonderes zustünde – ein grosses Leben oder die grosse Liebe. Daran glaubte doch keiner mehr. Ausserdem ging gerade die Welt unter, Terroranschläge und Kriege, und in Urlaub traute sich keiner mehr, alles aus den Fugen, Sicherheit gab es nicht, und trotzig gegen das Leben, von der Lebensmitte an, heirateten sie und bauten Häuser und machten Kinder. Alle, die sie kannte, über 40. Und sie war allein übergeblieben, in ihrer Studentenbude, die Letzte, die sich wehrte, erwachsen zu werden, wie erbärmlich das war. Bis vor Kurzem war sie gerne allein gewesen. Es gab ja Freunde, die zur Not zur Verfügung gestanden hätten, wollte sie mal nicht allein sein. Für eine Städtereise, einen Kinoabend, zum stundenlangen Reden am Telefon aus dem Bett heraus gab es immer einen – aber die hatten jetzt alle Kinder und Häuser, die Scheissfreunde, und hatten erreicht, was sie erreichen wollten, oder waren gescheitert und hatten sich damit eingerichtet oder hatten Krebs. Auf einmal merkte sie, dass sie noch nicht einmal mehr von
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irgendwem in Ruhe gelassen wurde. DA WAR KEINER MEHR. Und sie auf dem besten Weg, eine dieser Frauen zu werden, die immer sagten: Man muss doch positiv denken! Die ein künstliches Dauerlächeln im Gesicht hatten, sich so extra gerade hielten und die Haare offen trugen und Arche-Schuhe, weil die so bequem und irgendwie witzig waren, und die zu Lesungen gingen und sehr, sehr gerne alleine lebten. Alleine leben ist Dreck. Das bekommt keinem. Ab 40 sollte keiner mehr alleine wohnen, denn dann wird man wunderlich. Beginnt leere Pizzaschachteln zu sammeln, Vogelspinnen zu züchten oder die Bäume mit kleinen Metallschildern vollzuhängen, wie der Freak, der auf dem Monte Verita gewohnt hatte. Nackig im Wald rumtigern und Bäume beschriften. Ab 40 oder mehr oder weniger sollte man mit einem Mann, einer Frau, einem Kind, einer Oma, mit irgendwem halt wohnen, der einem klar macht, dass man selber nichts Spezielles ist. Ein Kind, eine Oma oder eine Freundin, die nicht gerade ein Haus gebaut oder ein Kind bekommen hatte, gab es nicht. Also musste ein Mann her. Einfach, damit sie nicht auf die Idee kam, Arche-Schuhe zu tragen und Porzellanpierrots zu sammeln. Dass es die grosse Liebe nicht gab, also einen Menschen, mit dem man sexuell verkehrte UND sich unglaublich gut SURPRISE 205/09
verstand, glaubte sie inzwischen auch. Alle, die in langen Liebesgeschichten lebten, hatten ihr das Geheimnis verraten: Man muss durchhalten, muss sich arrangieren, darf nicht zu viel erwarten, muss viele Bedürfnisse mit anderen abdecken, muss versuchen, eine familiäre Nähe zu entwickeln, muss die ersten Jahre viele Missverständnisse ertragen. Sie war ein verwöhntes Produkt der kapitalistischen Wegwerfgesellschaft. Hatte alles gewollt und verloren. Dann hatte sie Bernd kennengelernt. Der war so wie sein Name. Absoluter Durchschnitt, und wenn sie ehrlich war, war er wie sie. Ein Mann im schlechtesten Alter, der nicht mehr an Wunder glaubte. Sie war nicht verliebt in ihn. Er nicht in sie. Aber Männer waren da eh anders. Sie wollten am Anfang Sex, und die Liebe stellte sich bei ihnen als Nebenprodukt angenehmer Gewohnheit ein. Sie nahm sich vor, mit Bernd eine BEZIEHUNG zu führen. Sie ignorierte alles, was sie an ihm nicht mochte. Dass er sie ein wenig langweilte und ihr seine Trikotagen nicht gefielen, dass er sie nicht entzündete und nichts von dem mochte, was ihr bis dahin wichtig schien. Aber fuck – wen interessierten schon Kino und Kunst und Filme und Bücher und Musik? Das waren Hintergrundgeräusche. Sie kleidete Bernd neu ein, schenkte ihm ein neues Parfüm, und weil sie nicht verliebt war, hielt er es auch aus mit ihr. Sie war so wenig hysterisch und zickig, und Bernd begann sich wohlzufühlen, und sie war froh, dass sie nicht mehr alleine war, wenn wieder eine Freundin ihr erstes Kind bekam, mit 42. Bernd wohnte nicht in ihrer Stadt, sie sahen sich am Wochenende, und sie begann sich an ihn zu gewöhnen. Es war eigentlich wunderbar, keine Angst vor einem Mann zu haben, dachte sie. Sie ging mit Nachtcreme und Lockenwicklern zu Bett, wenn er da war, sie machte, was sie wollte, und Bernd hatte für alles Verständnis, weil es ihm egal war. Je länger sie mit Bernd zusammen war, um so mehr glaubte sie, es herausgefunden zu haben, das Geheimnis der grossen Liebe: Es war, nicht verliebt zu sein. Es war, jemanden langsam kennenzulernen, und es war: ES ZU WOLLEN. Wenn sie Bernd abstossend fand, ihn hasste, wie er kaute und was er sagte, und wie er lief und wie er roch, dann half es, ihn sich als Baby vorzustellen. Bernd war klein gewesen, eine Mutter hatte ihn geliebt und ernährt, Bernd hatte von etwas Grossem geträumt, als er älter war, und wurde vom Leben enttäuscht, wie alle. Das genügte meist, damit sie ihn liebevoll am Kopf kraulte, und hielt, als wäre er ihr Baby. Sie begann sich einzurichten. Endlich machte sie Frieden mit ihrem Alter. Sie kaufte sich ein ordentliches Bett, trug keine bauchfreien Oberteile mehr, und auch die nachlassende Spannkraft ihrer Haut war ihr fast egal. Sie
schaute sich einfach nicht mehr im Spiegel an. Sie begann Bernd «meinen Mann» zu nennen und wollte ihn gerne heiraten. Vielleicht, um es zu fixieren, sich zu fixieren, sich endgültig einzurichten. Es ist so gut, dass ich über dieses alberne Thema nicht mehr nachdenken muss, sagte sie ungefragt zu Bekannten, und berichtete jemand von einer grossen Verliebtheit, verdrehte sie die Augen, und die Knie schliefen ihr ein vor Langeweile. Sie hatte herausgefunden, worum es ging: Das Leben möglichst angenehm herumbringen. So einfach. Dass man die Wahrheit fast übersah, weil man immer nach etwas Grossem, Kompliziertem suchte. Und dann waren sie auf die Insel gefahren. In den zwei Jahren mit Bernd hatte sie immer vermieden, mit ihm in Urlaub zu fahren. Bernd am Wochenende, wo man lange im Bett blieb, dann ins Kino ging, was essen ging, irgendwohin ging, wo andere Leute waren, wo es etwas gab, über das sie später reden konnten – kein Problem. Aber wozu sollte ein Urlaub gut sein? Wer brauchte heute überhaupt noch Urlaub, da kaum einer mehr eine anstrengende Arbeit hatte und die Schweiz ein Land war, das für viele das Traumurlaubsland war? Was sollte man wohin fahren, stundenlang fliegen, um auf Stränden fremder Leute rumzulümmeln, sich von schlecht bezahlten Angestellten hassen zu lassen und in überteuerten Jeeps in zu grosser Hitze tröpfelnde Wasserfälle besichtigen? Bernd hatte sich durchgesetzt, zum ersten Mal. Sie flogen dann stundenlang, kamen auf einer Insel der Dritten Welt an, da stand der gemietete Jeep bereit. Sie hatten so einen Luxusbungalow gemietet, mit Whirlpool und Meeranstoss. Das Doppelbett war in ein Moskitonetz gehüllt, und Rosenblüten waren auf dem Boden verstreut. Sehr nett. Ein
Alleine leben ist Dreck. Das bekommt keinem.
Sibylle Berg Sibylle Berg, geboren 1962 in Weimar, lebt heute in Zürich. Sie hat bislang zehn Bücher veröffentlicht: «Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot» (1997), «Sex II» (1998), «Amerika» (1999), «Gold» (2000), «Das unerfreuliche zuerst – Herrengeschichten» (2001), «Ende gut» (2004), «Und ich dachte, es sei Liebe – Abschiedsbriefe von Frauen» (2006), «Habe ich dir eigentlich schon erzählt ... Ein Märchen für alle» (2006), «Die Fahrt» (2007) und «Das war’s dann wohl – Abschiedsbriefe von Männern» (2008). Ihre Theaterstücke («Helges Leben», «Wünsch dir was!», u.v.m.) werden an zahlreichen Bühnen im In- und Ausland gespielt.
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BILD: KATJA HOFFMANN
paar Tage war es sehr nett. Sie machten Ausflüge. Den Angestellten merkte man ihren Hass kaum an, das Gelände des Hotels war streng bewacht, mit Terroranschlägen nicht zu rechnen. Sie besichtigten Wasserfälle, und wieder einmal fiel ihr auf, wie angenehm sie mit Bernd schweigen konnte. Es setzte sie überhaupt nicht unter Druck, dass ihr nichts einfiel in seiner Anwesenheit. Sie zogen sich abends weisse Sachen an und assen schweigend in teuren Restaurants mit Meerblick. Sie kauften in kleinen Boutiquen Sachen, die sie daheim nie wieder tragen würden. Einmal nachts gingen sie in den Whirlpool. Sie stand da, wie sie dachte, dass man in einem Film jetzt stehen würde, auf einer Insel am Whirlpool mit dem Geliebten. Sie stand wie eine Statue, bis sie dachte, sie würde sich nie mehr bewegen können. Sie wollte sich nie wieder bewegen. Noch nicht einmal Tränen hatte sie. ■
Die Reise in den Himmel VON FRANZOBEL
Schwarzblau ist das Firmament, flockt aus. Ernste Wolken stehen am Horizont, Donnergrollen, das in der Ferne schon frohlockt. Doch du missachtest das, läufst, wie du immer schon gelaufen bist, läufst, weil dir die Zeit fehlt, rennst in die Station, wo es zum Himmel geht, siehst, wie kirschrot «1 Minute» auf der digitalen Anzeige brennt, hetzt die Waschbetontreppen rauf, rufst «Komm schon» Richtung Digitalanzeige, womit du sonst Auto oder Computer anfeuerst, wenn sie bocken, «Komm schon«, siehst den Gondelführer, seine Ziegenbeine, deutest ihm, der eben das zitronengelbe Gitter schliessen will, lächelst ihn an, läufst, wie du immer schon gelaufen bist, «Komm schon», schlüpfst durch ein Drehkreuz, springst in die Gondel, siehst das schwarze Rippblech unter dir und keuchst, ch, keuchst, chst, keuchst, während der Gondoliere das Gitter schliesst, die Tür verriegelt und in einen Telefonhörer flüstert, dass es soweit sei, man jetzt bereit wäre. «Voll», sagt er, als das andere Ende der Leitung frägt, ob Leute in der Gondel sind. «Voll!» Dann lacht er und murmelt «aber die verstehen mi net.» Was für eine Sprache? Wie eine Dachluke kommen dir diese Wörter vor, ein Spalt in ihn hinein, ins Innere des Gondelführers, der immer mehr einem Ziegenbock zu gleichen scheint: hageres Gesicht, knochige Formen, bloss die Hörner fehlen noch. Sonst sind nur Urlauber in der Gondel, Freizeitmenschen, die in ihrer Skiausrüstung aussehen wie wandelnde Heizdecken oder Thermoskannen. Alle hellrosa Lippen und kiloweise Sonnencreme im Gesicht, verbrannte Nasen. Da macht es einen Ruck, setzt sich die Mechanik in Bewegung, greifen Zahnräder ineinander, knackst und rumort es, laufen Seile über Winden, grosse Räder, hebt die Gondel an, sacht erst, so als wollte sie sich raustasten wie ein verschreckter Schildkrötenkopf, vorbei an hölzernen, mit Schrammen gesprenkelten Leitplanken, schneller dann, du merkst, wie sich alles hebt, es aufwärts geht, siehst die schrumpfende Talstation, und spürst, wie dir der Boden unter den Füssen weggezogen ist, du in der Luft liegst wie eine fliegende Schildkröte, nur ist dein Panzer ein Kartenhaus aus Glas und dünnem Blech. Dafür brauchst du deinen Kopf nicht einziehen, kannst hinaussehen, siehst wie die letzten Lärchen, die einzigen diesem Klima standhaltenden Bäume, kleiner werden, wie die Talstation, die davor geparkten Autos bald Spielzeuggrösse haben, und schon fallen dir all die Seilbahnunglücke der letzten Zeit ein, der Düsenjäger, der in Südtirol ein Seil durchschnitt, der Lasthubschrauber, dem ein Betonkübel entglitt, welcher eine Gondel traf; der Stromausfall, der Brand, die lose Halterung, die Vergessenen. Katastrophen und menschliche Tragödien, die dich nie tangierten, weil du nie in einer Seilbahn warst, nie hoch hinaus wolltest, dich Gipfel niemals interessiert haben. Jetzt ist es zu spät, jetzt bist du heimgesucht, hängst drinnen, bist gefangen und kannst nicht glauben, wie du so naiv, so dumm sein konntest, in eine Gondel einzusteigen und zu vertrauen. Einer vielleicht verlotterten Seilbahngesellschaft, besoffenen Technikern, gewinngeilen Aktionären? Einem höllisch unwahrscheinlichen Mechanismus, einem wahnwitzigen Versprechen? Langsam dämmert dir, du bist verloren.
Siehst zum Gondelwart, der keine Regung zeigt, selbst sein brotfarbener Bart ist wie versteinert. Da hast du dir was Schönes eingebrockt. Du hörst wen lachen. Die anderen Passagiere machen Witze, die du nicht verstehst. Niemand in dieser Ausgelassenheit scheint gefasst, den Ernst zu spüren, niemand scheint zu registrieren, dass ihr nur an einem Seil hängt, an einem einzigen! Einem Seil, von dem keiner weiss, wie es beisammen ist. Was, wenn Seilfrass an ihm nagt? Kleine Kabelfressertiere? Was, wenn es verwunschen ist? Die letzte Wartung schlampig war? Hüpft es aus der Rolle, gibt es Sabotage? Diebe? Ein Attentat? Da hast du dir was Schönes eingebrockt. Der Gondoliere steht da wie eine Stewardesse. Seine langen, gebogenen Zähne blitzen aus dem Bartgeflecht. Gelbe Hundezähne, und dir fallen die kurzen Zahnstummel deiner dicken Wirtin drunt im Tale ein. Ob Gondelfahren die Zähne wachsen lässt? Um im Falle eines Unglückes nach dem Seil zu schnappen, sich daran festzubeissen? Passen sich nicht alle Arten ihrer Umwelt an, gibt es nicht Schmetterlinge mit Tigeraugen auf den Flügeln, Zebras mit Baumschatten-Bemalung, sandfarbene Fische. Bald wird es Tiere geben, die aussehen wie Radarfallen, weggeworfene Spritzen oder benützte Kondome. Warum also nicht auch Gondelführerzähne? Der Ziegenbock verrät nicht die geringste Regung. Als ein Windstoss auf die Gondel drückt, es leicht zu schaukeln anfängt, lächelt er. Ob man hier seekrank wird? Oder sind das erste Anzeichen des Höhenrausches? Angeblich macht einen die Höhe nicht nur schwindelig, sondern auch verrückt. Du fühlst dein Blut, wie es pulsiert, wie es klopft in deinem Fleisch, heraus will, deinen Körper schaukeln macht. Mit 100 «Komm schon»-Schreien rast dein Puls, ein Schweissfilm spannt sich über deine Haut und in den Augen hängt die Angst, die gnadenlose, kaltherzige Angst. Wie die englische Königin sitzt sie in dir, hat ihr Krönchen auf,
Alles, was du getan hast, alles, wofür du jemals eingestanden bist, ist plötzlich ganz weit weg.
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trinkt Tee mit einem Tröpfchen Milch und verkündet ohne ihre strenge Mine zu verziehen: Protokoll ist Protokoll ist Protokoll. Das verlangt die Tradition. In der Tiefe stehen die schroffen, aus dem Schnee ragenden Felsen, dunkelgraue, proletarische Gesellen voller Risse, die Grimassen schneiden und dir zurufen: «Komm nur! Fall herunter! Trau dich! Komm!» Schwarzes Wasser tropft aus ihren Poren, schwarz wie Jesusblut am Golgatha. Schwarz wie ihre tiefen Furchen, die das raue Klima eingegraben hat. Du überlegst, wie im Fall des Falles diese Steinspitzen das dünne Blech der Gondel schlitzen würden, aufschneiden wie Kinder eine Getränkedose oder Eselsschwänze eine Jungfrau. Dohlen kreisen an den Felsen. Kreischen. Werben um den Fortbestand der Schöpfung. Auspizien wofür? Die müssen sich in keine Seilbahn stellen. Ihre ausgestopfte Artgenossin fällt dir ein, die im Stüberl deiner Wirtin zwischen Auerhahn und Rebhuhn hängt – unweit vom Elchgeweih, den 24 Krickerln, die mit Senkkopfschrauben an Jausenbrettchen montiert sind, so, dass die verzinkten Kreuzköpfe wie Augen in den Schädeln stehen. Was das will? Tierschädel in die Stube hängen? Ein SURPRISE 205/09
heidnisches Fruchtbarkeitsritual? Besänftigung der Wildseele? Und die anderen Scheusslichkeiten? Ausgestopfte Bambis, Hexenpüppchen aus Kohlesäcken, steinerne Trolle, eine Kerze in Penisform, auf der steht: «Danke für 40 Jahre Gastfreundschaft», ein grünes Blechschild mit «Bier unser», dem Vaterunser der Biertrinker, Stickbilder und im Eck thronend über allem ein Fernseher, der die Menschen in der Welt sein lässt, die bestenfalls in sehr verzerrter Form als Heimatfilm und Musikantenstadl bis zu ihnen reicht. Und jetzt, wo der Sturm anschwillt wie ein Penis vor der Scham, die Mechanik unerbittlich alles fortbewegt, die Gondel wie einen Betrunkenen wanken lässt, selbst den Abgebrühten in ihren schicken Schianzügen nichts mehr lustig ist, manche sogar beten, jetzt wärst du gerne wieder in dem Stüberl, diesem Urstand des Urigen, möchtest einmal noch all die wunderbaren Scheusslichkeiten sehen, die alte, dicke Wirtin mit den kurzen Zahnstummeln, der die Schweinsbraten und Knödel aus den Waden und Unterarmen gewachsen sind, deren Oberschenkel unwahrscheinlich sind, als würden kleine Fässer darin stecken, deren ganzer Körper wabbelig wie eine aufgeweichte, in ein Bierglas gefallene Semmel wirkt. Wie schön wäre sie jetzt, welch Wohlklang wäre ihre Jammerlitanei über das Ausbleiben der Gäste, dass auch die paar, die sich zufällig her verirren, nichts mehr essen, nur auf die Gesundheit schauen, Fitnessteller wollen, Salate und Gemüseleibchen, während früher Betriebsausflüge mittags dreimal den Saal füllten, sechs, acht Bedienerinnen gar nicht nachgekommen sind, all die Braten, Schnitzel, Speckknödel und Schnäpse zu servieren. Heute kommt kaum noch jemand, zieht nicht einmal ihr Topfenstrudel mit den extrafetten Bröseln Gäste an. Du aber siehst kein Stüberl, keine Wirtin, und du hörst auch keine Jammerlitanei, nur dein eigenes: Da hast du dir was Schönes eingebrockt. Der Wind peitscht gegen die Gondel, verpasst ihr Schlag auf Schlag, reisst sie umher, kippt sie nach links, nach rechts, nach vor, zurück. Du zitterst, kotzt dich fast an. Soll das dein Ende sein? Keine gewöhnliche Gondelfahrt, und doch ein bisschen venezianisch, eine Reise in den letzten grossen Seufzer, in die letzte lange Nacht. Deine Gondel ist zwar nicht schwarz und auch nicht asymmetrisch, auch singt der Gondoliere kein Volare, hast du weder Samtpölster noch schwarzlackierte Stühle unter dir, und doch bist du im Canale Grande. Unter keinen Brücken fährst du durch, musst keine Vaporettos fürchten, keine Fischerboote, und doch ist deine Gondel ein Fährschiff in die Welt der Schatten – im grossen Kanal aller Vergänglichkeit. Du blickst nach unten, kannst die Talstation nicht mehr erkennen, und auch oben, von der Bergstation ist nichts zu sehen. Der Gondelführer, den das Schaukeln nicht zu irritieren scheint, hat kaum Knöpfe zur Verfügung: «Langsamer», «Schneller», «Türentriegeln» kannst du lesen. Er hat «Langsamer» gedrückt, doch nützt es nichts. «Ist das nicht gefährlich», fragst du. Er lächelt, sagt: «Ach wo. Allerdings ist so a Gondel wie a Frau, durchschauen kann man’s nie.» Wie eine Frau? So schlimm, denkst du. Sitzt in einer Madame, die ihre prämenstruelle Wallung hat, auszucken oder dich gebären muss. Du bist verloren. Alles schaukelt, Konvulsionen. Etwas schreit. Ist es in dir? Dein Mund? Du erschrickst, erstickst in dieser Stimme. Die anderen Passagiere schweigen, nur ein kleines Grüppchen lacht, sagt, dass man hier Partys geben müsste, mit Salonmusik, Champagner, Kaviar, und wenn jemandem übel wird, kann er praktischerweise gleich in die Aussicht kotzen. Das Leben eine Gondelfahrt? War nicht der Start ein grosser Anbeginn, und hängt nicht auch das Dasein oft an Schicksalsfäden, an der Hoffnung, dass man rauf gezogen wird? Nun seid ihr in eine Nebelsuppe eingetaucht. Ist nichts mehr zu erkennen, nur, dass die Gondel nicht mehr vorwärts fährt, sondern steht, wenn sie nicht runterfällt, zumindest kommt es dir so vor. Warum nur bist du eingestiegen. Warum? Wie konntest du vertrauen? Einer Technik, einem Fortschritt, dem Gerede von der neuen Zeit? Nun bereust du. Bereust entsetzlich. Du bedauerst, vieles nicht getan zu haben, immer SURPRISE 205/09
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eine Ausrede gehabt, deine Talente vergeudet zu haben, bereust jede verpasste Gelegenheit, alles, was du stets verschoben hast, du schwitzt, schwitzt die Unendlichkeit heraus. Alles, was du getan hast, alles, wofür du jemals eingestanden bist, ist plötzlich ganz weit weg. Alles, was du bist und warst ist unwichtig, lächerlich, absurd. Bald bist du nur noch ein Name in der Zeitung. Gebrochen werden deine Knochen sein, eine Unzahl kleiner Splitter, und dein Fleisch wird eingedrückt, zusammengefaltet wie eine ausgetretene Luftmatratze sein. Wie ein überfahrenes Tier wirst du aussehen, ein verzerrtes, lächerliches Abbild deiner selbst. Was bleiben wird, ist eine Todesanzeige in der Zeitung, Trauer und sonst nichts. Auch die anderen Passagiere sind nun still, blicken den Gondoliere böse an, ahnen nun wohl auch, dass er ihr Todesfahrer, ihr Fährmann in das Reich der Schatten ist. Du spürst, wie ihr Hass sich steigert, wie sie Teufel murmeln, Leibhaftiger, ihre Skistöcke umfassen. Da macht sich einer Luft, schreit in einer unbekannten Sprache, brüllt den Gondelführer an, der sich nicht regt, mit seinen daumenlangen Zähnen, seinen trüben Augen gleichgültig ins Leere starrt, sich nicht einmal entschuldigt für die ruckartigen Bewegungen, die nun von einem lauten Hui und Ach begleitet werden. Die meuternden Passagiere haben ihre Skibrillen über das Gesicht gezogen, sehen wie Banditen aus, wie Fleisch und Blut gewordene Verzweiflung. Räuber, die ihr eigenes Leben stehlen wollen. Sie wollen nicht aufgeben, die Gondel erobern, umkehren, um ihr Leben streiten. Aber wie denn? Selbst wenn sie den satanischen Ziegenbock überrumpeln, wird die Gondel von der unsichtbaren, grausamen Mechanik rauf gezogen, raus aus dieser Welt. Doch soweit denkt man nicht. Schon hat sich einer auf den Gondoliere geschmissen, ihn in den Würgegriff genommen, ein Stück Ohr ihm abgebissen, ein anderer schreit, dass er nicht sterben will, nicht kann, noch leben muss, drischt dabei auf den Bediensteten der Seilbahngesellschaft, dessen lange Zähne bald eingedrückt nach allen Seiten stehen wie ein Mikadospiel, während ein dritter mit Sonnencreme um sich spritzt. Die Gondel schaukelt wild. Einer hat ein Fenster aufgekriegt und kotzt hinaus. Ein anderer trinkt Zirbenschnaps und jodelt, während sich ein Pärchen, das sich zu Beginn der Fahrt noch fremd gewesen war, wild umarmt, küsst und scheinbar viel ineinander zu tut gefunden hat. Der Gondelführer versucht sich zu befreien, will den Telefonhörer erreichen, aber Passagiere beissen sich in seinen Füssen fest, schreien in Todesangst, schlagen auf seinen Gondelführerziegenschädel, dass Blut wie
aus einer zergatschten Kirsche spritzt, brüllen, bis man etwas knacksen hört. Draussen blitzt und donnert es, herinnen aber bricht ein Schädel wie die Schale eines Krebses, wird dem sich windenden Stellvertreter der Seilbahngesellschaft, dem Papst der Gondel, in die Nieren und den Bauch getreten, immer wieder, wieder und wieder, bis er endlich Ruhe gibt, sein schönes dunkelblaues Käppi mit der gelben Schrift in einer grossen roten Lache liegt. Jetzt packt man ihn, hebt ihn mit Hauruck zum Fenster und wirft ihn in den Nebel, sein Schuh verfängt sich, krallt
Wie ein überfahrenes Tier wirst du aussehen, ein verzerrtes, lächerliches Abbild deiner selbst. sich fest, es ist ein Pferdefuss, dazu der Schwanz, tausend Klammerarme wachsen aus ihm raus, auch seine Zähne beissen sich noch einmal wie ein irrwitzig wütender Hund in –, aber nein, man kann ihn raus bugsieren. Er fällt mit seinen roten Augen und fällt mit seinem Blick und fällt und fällt. Da reisst der Nebel auf, siehst du ihn mitsamt blauem Anorak, Jeans und Bergschuhen in die Tiefe stürzen. Ein Schrei hängt an ihm dran. Ein Schrei wie der Schweif eines Kometen. Kaum ist er verzogen, sticht die Sonne raus, blickst du zur Bergstation, siehst einen strahlend blauen Himmel unter dem sich weisse, gezuckerte Gipfel tummeln. Eine Pracht von Schneelandschaft, göttliches Panorama. Und du siehst die anderen Passagiere, die nun wieder Witze machen, fröhlich sind. Und auch der Gondoliere, kommt es dir vor, steht wie eh und je an seinem Platz mit den drei Knöpfen, sieht dich an und sagt mit einer Stimme voller Frieden: «Was man in den Bergen lernt, ist zu vertrauen.» Du steigst aus, siehst schwarze, im Wind schaukelnde Gondeln, Skifahrer, die lustig zu ihren Pisten stapfen, lachen, eine Schneeballschlacht machen. Das Schild zum Restaurant mit abgebildeten Gerichten: Schweinsbraten, Gulasch, Schnitzel und eine abgeschnittene, mit Mohn bestreute Brust. Germknödel steht daneben. Ob du dem vertraust? Etwas später kommt im Schritttempo die nächste Gondel, Männer der Seilbahngesellschaft mit kurzen Hosen stehen ihr am Dach, hängen an der Halterung, kontrollieren so das Seil. «O, my god!», kreischt eine Touristin, «o, my god!» und auch dir wird schon vom Hinsehen schlecht. Ob das nicht wahnsinnig gefährlich ist? «Aber wo», sagen die Männer, lachen, «wir sind das gewohnt. Man darf sich halt nicht fürchten.» ■
Franzobel Franzobel (Franz Stefan Griebl), geboren 1967 in Oberösterreich, lebt und arbeitet als freier Schriftsteller in Wien. Werkauswahl: Mayerling. Die österreichische Tragödie, Theaterstück (2001, PassagenVerlag). Liebesgeschichte, Roman (2007, Zsolnay).
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BILD: ALEX DOBIAS
Mit freundlicher Genehmigung von Franzobel.
Morgengeschichten VON GUY KRNETA
Hygiene Kürzlich in einem Wartezimmer hat einer neben mir gesessen, dem ist die Nase gelaufen. Er hat ein Papiertaschentuch genommen, hat sich die Nase geputzt und das Taschentuch wieder eingesteckt. Als ich rübergeschaut hab, hat er gesagt, das sei jetzt eben die Assimilierung. Früher habe ihn das gegraust. Er wisse noch, wie er in die Schweiz gekommen sei, die hygienischen Vorstellungen hier. Es habe ihn wirklich gegraust. Da habe es ja noch die Toiletten gegeben mit dem Zwischenboden. Und er habe sich oft vorgestellt, wie die Schweizer den Zwischenboden brauchen, um ihr Geschäft in Ruhe anschauen zu können, bevor sie es nachher wegspülen. Das Gleiche mit dem Taschentuch. Er habe sich gewundert, dass die ins Taschentuch hineinschnäuzten und das Geschnäuzte nachher einpackten. Er habe sich vorgestellt, die packten das daheim wieder aus, schauten es in Ruhe an, bevor sie’s nachher entsorgten. Es habe ihn gegraust. Aber wenn man länger an einem Ort sei, müsse man sich anpassen, müsse man die hygienischen Gepflogenheiten von dem Ort übernehmen, auch wenn’s nicht ganz die eigenen seien. Und als er das gesagt hatte, hat er sein Taschentuch genommen, hineingeschnäuzt, kurz ins Taschentuch geschaut, das Gesicht verzogen und das Taschentuch wieder eingesteckt. ■
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Kurz hochheben Letzte Woche ist mir etwas passiert. In Zürich. Ist mir einer entgegengekommen. Ich hab schon von Weitem gesehen, dass der etwas von mir wollte. Und ich hab gedacht: Oh, nein. Jetzt einfach nicht auffallen. Wegschauen und an ihm vorbei. Ich hab nicht gewusst, was der von mir wollte. Aber dass er etwas wollte, das war deutlich. Irgendwie merkt man das ja schon von Weitem. Hat eher normal ausgesehen, der Typ. Geschäftsmann vielleicht, um die vierzig. Braunen Mantel hat er gehabt, weisses Hemd, Laptoptasche, Krawatte. Und als er auf mich zu ist, hab ich probiert, ihm auszuweichen. Aber er hat mich in einem sehr freundlichen Ton angesprochen und gesagt: Schuldigung, darf ich Sie etwas fragen? Dürfte ich Sie kurz hochheben? – Ich war verunsichert. Dachte, der macht sich über mich lustig. Nimmt mich auf den Arm, also nicht im wörtlichen Sinn. Weil ich ihm ausweiche. Weil ich seinen Blick nicht erwidert habe. Aber er hat gesagt: Ich weiss, das hört sich jetzt komisch an. Sie müssen entschuldigen. Das ist ein Laster von mir. Ich hab einfach ab und zu das Bedürfnis, jemanden kurz hochzuheben. – Was, hab ich gesagt, einfach nur hochheben? – Ja, kurz hochheben, hat er gesagt. Dann ist gut. – Aber Sie passen auf, hab ich gesagt. Ich bin nur allgemeinversichert. – Neinnein, hat er gesagt, mir passiere schon nichts. Er sei das gewohnt. Er wisse, wie man Leute anpacken müsse. – Also wenn er mich nur kurz hochheben wolle, hab ich gesagt, da spräche jetzt eigentlich nichts dagegen. – Danke, hat er gesagt, also dann. Seine Laptoptasche weggestellt, die Ärmel hochgekrempelt. Dann hat er mich gepackt. Kurz hochgehoben. Als er mich abgestellt hat, hat er gesagt: Aha, so ist das. Nichts für ungut. Dann wünsch ich Ihnen noch einen schönen Tag. ■
Musikwoche Nicht, dass die Schweizer generell körperlicher wären. Aber es gäbe Kulturunterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz, hat die Jeanette gesagt, die grösser seien als man manchmal meine. Da käme ihr die Musikwoche in den Sinn. In der Nähe von Ulm. Sie wisse noch, wie sie dort angekommen sei. Alles junge Musikerinnen und Musiker aus Deutschland, die sich zum Teil gekannt hätten. Sie sei so auf eine zu, habe ihr drei Küsschen gegeben, einem anderen auch. Auf ein Mal sehe sie, dass die anderen sich nur die Hand geben. Und dann habe einer vor ihr gestanden, so ein Bleicher aus Bruchsal. Der habe ihr die Backe schon hingehalten. Und sie habe gedacht, das könne sie jetzt nicht machen, ausgerechnet dem nur die Hand geben. Drum habe sie ihm drei Küsschen gegeben. Und allen anderen auch. Und nachdem man den Tag so zusammen gewesen sei, sei man Abend noch zusammen ausgegangen. Sie hätten alle privat gewohnt. Bei verschiedenen Familien. Beim Verabschieden in der Nacht habe sie der einen aus lauter Gewohnheit drei Küsschen gegeben. Aber grad gesehen, dass es alle anderen gesehen haben. Und gedacht, jetzt müsse sie den anderen wahrscheinlich auch drei Küsschen geben. Sonst meinten die noch, sie habe sie weniger gern. Und am nächsten Morgen habe an der Türe der Bleiche gestanden aus Bruchsal. Sie habe an ihm vorbei wollen und «hallo» gesagt. Aber er sei auf sie zu und habe ihr drei Küsschen gegeben. Und wie sie gesehen habe, dass das wieder alle anderen gesehen haben, sei sie zu allen hin – das seien fünfzehn Leute gewesen – und habe ihnen allen drei Küsschen gegeben. Und so sei’s die ganze Woche gegangen. Fünfundvierzig Küsschen am Morgen. Fünfundvierzig Küsschen am Abend. Gut, in der Schweiz sei das normal. Aber sie da in Deutschland immer als einzige. Sie sei extrem froh gewesen, als die Woche endlich vorbei gewesen sei, hat die Jeanette gesagt. Sie habe sich dort sowas von unwohl gefühlt. Extrem. ■ Übersetzungen aus dem Berndeutschen von Uwe Dethier.
Seit 2006 schreibt Guy Krneta regelmässig für das Schweizer Radio DRS 1 «Morgengeschichten». Im Oktober erscheint die Geschichtensammlung über den Schweizer
Guy Krneta Guy Krneta, geboren 1964 in Bern, lebt als freier Autor in Basel. Nach Studien der Theaterwissenschaft und Medizin ging Krneta 1986 ans Theater und wurde Dramaturg, u. a. an der Württembergischen Landesbühne Esslingen und am Staatstheater Braunschweig. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz arbeitete er als Co-Leiter des Theater Tuchlaube in Aarau. Krneta schreibt Theaterstücke und Prosatexte. Wichtige Veröffentlichungen sind: «Zmittst im Gjätt uss/Mitten im Nirgendwo» (2003), «Winnetou Bühler» (CD, zusammen mit Greis/Apfelböck, 2008), «Aktion Duback» (Theater Neumarkt Zürich, 2009).
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BILD: STEFANO SCHROETER
Alltag in Buchform. ISBN 978-3-905825-13-8.
Peter O. Chotjewitz wurde am 14. Juni 1934 in Berlin geboren. Nach einer Lehre als Maler studiert Chotjewitz Musik, Philosophie, Geschichte und Jura. Später lässt er sich als Anwalt nieder und verteidigt u. a. Schriftsteller Peter Paul Zahl. Chotjewitz schreibt Prosa und Hörspiele und ist als Übersetzer aus dem Italienischen tätig. Heute lebt und arbeitet er in Stuttgart. 2001 erhielt er den Literaturpreis der Stadt Stuttgart.
Hommage à Frantek VON PETER O. CHOTJEWITZ
Sonne wie am Mittelmeer und ein angesäuselter Frantek, der zwischen den Grabsteinen spazierte und sang: «Nimm’s Hemde weg, nimm’s Hemde weg, es kommt ein warmer Spiess. Ach ist der süss, ach ist der süss!» Es ging ihm gut, seit wir auf dem Platz lebten. Gänseleberpastete, La vache qui rie, frisches Weissbrot und Rotwein zum Frühstück und ein Gläschen Bourbon zum Sonnenuntergang, denn wir klauten keine billigen Sachen. Wir waren keine Penner. Der eine studierte Kunst, der andere Chemie, der dritte Jus, die Mädels hielten schon mal nach einer guten Partie Ausschau, abends im Schwabinger Nest, während wir Jungs scheussliche Bilder und alberne Armreifen verkauften und im Grunde hatte nur der Haschischzwerg einen richtigen Beruf. Er versorgte, wie schon sein Name sagt, die Jazzmusiker in der Tarantel mit Shit und Gras. Ich denke, es war o.k., wie wir lebten. Mit fünfundzwanzig sollte der junge Mensch noch keine Vorstellungen von seiner Zukunft haben. Es ging uns gut, der Sommer war lang und vorwiegend schön und auch unser alter Frantek, der uns so freundlich beherbergte, hatte ein paar letzte schöne Wochen. Er wusste vermutlich, welches Glück er hatte, als unser Freund Ulikönig sein kleines Paradies entdeckte und eines nachts eine Gruppe junger Leute ihre Siebensachen durch ein Loch im Zaun schmuggelte. Frantek erwartete uns schon. Er löste sich aus dem Schatten eines Steinhaufens, legte den Finger auf die Lippen, machte «Spsst» und flüsterte: «Still und keinen Krach gemacht, denn es ist schon bald halb acht.» Er schaute zu, wie wir unser Zeug verstauten, rieb sich die Hände und sprach: «Wenn das die jungen Polizisten wüssten.» Ich entsinne mich auch an seinen letzten Blick. Es war Anfang Oktober und wurde zu kalt draussen. Ulikönig, der Haschischzwerg, Bettina und
Unkraut und Büsche überwucherten die Rohlinge, Eidechsen huschten über die Schroppen. Unter den Schutzdächern, wo früher die Steinmetze gearbeitet hatten, lagen halbfertige Grabplatten, achtlos weggeworfene Knüpfel, Schlegel und Schlageisen. Auf einem gewaltigen Rohblock standen Flaschen, in denen verwelkte Blumen steckten. Man hätte meinen können, die Steinmetze hätten ihre Arbeit nur für ein Stündchen verlassen, um auf ein paar Halbe ins «Leopold» zu pilgern. Franteks baufällige Holzhütte stand mittendrin, ein grosser Raum ohne Clo mit einem verdreckten Handwaschbecken, neben dem ein vergammelter Wassereimer stand. Frantek war ein alter Mann in abgetragenen Klamotten. Das Gedächtnis hatte ihn fast ganz verlassen, alle Konvention war abgefallen, und wenn er redete, kamen ein paar Worthülsen aus der zahnlosen Öffnung in seinem verfallenen Gesicht, das uns zeigte, dass er den Herbst nicht überleben würde. Ein Satz ist mir in Erinnerung, den er immer sprach, wenn er einen von uns nicht wiedererkannte: «Hey you greenhorn, you no work, you go to office and you quit, you go to all other country.» Dann, nach einer langen Pause, fügte er versöhnlich hinzu: «Hello boy, monsieur, warst du schon da? New York, Detroit, Chicago, Philadelphia, Milwaukee.» Er sagte sie oft, diese beiden Sätze, denn er vergass oft, wer wir waren, aber nie vergass er auch nur eine Silbe. Wie gemeisselt in Stein standen die wenigen Worte, die er noch wusste, in seinem ratlosen Hirn. Wir waren eine Gruppe junger Leute, um die fünfundzwanzig Jahre alt, drei Mädchen, vier Jungens und wir verbrachten fast den ganzen Sommer 1961 auf Franteks Steinplatz. Wir lebten mit unseren Parkas und Schlafsäcken, Decken, Koffern, Kartons und Tüten in den Unterständen der Steinmetze, die wir seitlich mit Decken und Planen abgedichtet hatten. Was wir brauchten, klauten wir in den Supermärkten und Tante-Emma-Läden südWas wir brauchten, klauten wir in den Supermärkten und lich der Münchner Freiheit, gegen Mittag malTante-Emma-Läden südlich der Münchner Freiheit. ten wir auf die Schnelle ein paar schlechte kleine Bilder oder bastelten ein bisschen ich wollten erst mal an die Cote d’Azur trampen und die anderen suchModeschmuck, den Rest des Tages verbrachten wir im Schwimmbad, ten sich eine winterfeste Unterbringung. Frantek machte das Tor auf. gegen Abend bauten wir entlang der Leopoldstrasse unsere VerkaufsEs war das erste Mal, dass wir das Tor benutzen durften. «Hello boy, stände auf, die halbe Nacht hockten wir in den Schwabinger KünstlerMonsieur, warst du schon da?», sagte er leise. Ich nickte. Wir hatten lokalen wie dem «Babalu» und wenn der Morgen dämmerte, fielen wir noch mal ordentlich für ihn eingeklaut. Mehr konnten wir nicht tun. in Franteks Hütte ein, verkleideten ihn als König, hoben seinen vollEs gab eine riesige Baugrube an der Stelle, wo Franteks Hütte stand, als gepissten, abgewetzten Sessel auf den Tisch, priesen ihn in langen ich im Sommer ’62 das erste Mal wieder zum Ungererbad schlurfte. ■ spontan erdachten Gedichten, rauchten Gras, warfen etwas Meskalin ein und hörten Georg Brassens, Charly Parker, Debussy und manchmal auch Melina Mercoury, bis wir in unsere Unterstände torkelten und wie Mit freundlicher Genehmigung von Peter O. Chotjewitz, aus: tot zu Boden sanken. Jeden Morgen aber oder besser jeden Mittag eine «Fast letzte Erzählungen«, Verbrecher Verlag, 2004. SURPRISE 205/09
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BILD: ALEXANDER JANETZKO
Peter O. Chotjewitz
Anna allein zuhaus VON MILENA MOSER
1. Regen prasselt an die Fensterscheiben. Im Hintergrund läuft der Fernseher, aber so leise, dass man nichts versteht. Fernseher und Regen werden zwischendurch lauter, sind als Hintergrundgeräusche bis zum Schluss präsent. ANNA: (wählt) Susann? Ich bins, Anna. – Nein, ich mag nicht ausgehen. Ich bleib heute zuhause. Ja, ich weiss. Samstagabend. Brauchst du mir nicht zu sagen. – Oh – nichts Besonderes. Fernsehen – was? Nein, nur so rumzappen. Nein, ich habe nicht getrunken. Nein natürlich nicht. Warum sollte ich ihn anrufen. Ich bin total über ihn weg. – Ja, versprochen. OK, dann. – Grüss André von mir. Schönen Abend. Bis Montag. (legt auf) FERNSEHER (lauter): Von Osten aufziehender Sturm … anhaltende Regengüsse … Überschwemmungsgefahr … ANNA: Ausgehen … bei dem Wetter … sonst noch was? (schenkt sich ein, trinkt)
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FERNSEHER: … Bevölkerung geraten, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. ANNA: Sag ichs doch. Nicht, Molekül? Hab ich nicht recht? Komm her, Molekül. Guter Hund. Komm her, ja, gell. Wir bleiben lieber zuhause. Wir gehen nicht aus. Wir sind ja nicht verrückt. MOLEKÜL: (winselt) ANNA: Gell, wir brauchen niemanden. Gell, wir sind zufrieden. Wir haben einander. Ja, du guter Hund, du ... Autsch! MOLEKÜL: (kläfft) ANNA: He, was soll das! Autsch, meine Hand. (Wieder gluckerndes Einschenken, offensichtlich ein grosses Glas, geräuschvolles Trinken. Murmelt:) Blöder Köter. FERNSEHER: Und nun zurück zum regulären Programm. ZAP: Dr. Sonntag beantwortet Zuschauerfragen zum Thema Beziehungen und Sexualität – ZAP: Oh, Konstantin, bitte nicht! Verlass mich nicht! ZAP: SURPRISE 205/09
… Brutaler Mord in der Klingenstrasse: Eine junge Frau wurde gestern Abend in ihrer Wohnung überrascht und mit seltener Brutalität erschlagen. ANNA: Klingenstrasse – wohnt da nicht diese Schlampe? Hat etwa jemand die Schlampe umgebracht? Das wäre fast zu schön um wahr zu sein. Nicht, Molekül? MOLEKÜL: (kläfft) FERNSEHER: Als Tatwaffe kommt ein schwerer Gegenstand in Frage, möglicherweise eine eingetopfte Zimmerpflanze, die am Tatort gefunden wurde.
fenster flicken, hab ich recht? Bei dem Regen. Nicht? Hast du mich vermisst? Auch nicht? Oder fühlst du dich plötzlich einsam? Hast wohl dein Gschpänli verloren, was? (lacht, aber nicht lustig) Nun komm schon. Sei doch nicht so ein Spielverderber. Früher warst du lustiger. – Was? Ich? Nun mach dich doch nicht lächerlich. Ich würde doch niemanden erschlagen – schon gar nicht mit einer Topfpflanze. Woher ich das… aber das war doch im Fernsehen. Jonathan – du glaubst doch nicht – Jonathan? Jonathan? Der Idiot hat aufgelegt. Was haben heute bloss alle? (legt auf) FERNSEHER: Nach dem Werbeunterbruch… ZAP: Nächste Woche in Fragen Sie Dr. Sonntag: Menopause als Chance... ZAP: Das wirst du noch bereuen, Konstantin – nein, nicht schiessen, bitte nicht – zu spät, Konstantin!
ANNA: Zimmerpflanze! Ausgerechnet! Ich hasse Zimmerpflanzen. FERNSEHER: … Hinweise der Bevölkerung unter der Nummer 088888-888 entgegen.
2. (Es klingelt an der Tür. Anna steht unter Schwierigkeiten auf, stösst sich an einem Möbel. Es klingelt noch einmal) MOLEKÜL: (kläfft anhaltend)
ANNA: Was meinst du, Molekül? (wählt) Hallo? Ist das die Polizei? Wegen diesem Mord an der Klingenstrasse – heisst das Opfer Sonia? Sonia Sonstwas, woher soll ich das wissen. Ich kenn nur ihren Vornamen. Oh, Sonia, ich vermisse dich! Sonia, ich liebe dich! Das hat er zu ihr gesagt, und als er auszog, musste ich natürlich die Rechnungen bezahlen. 48 Anrufe in einem Monat an die Nummer 044 422 37 43 – ist sie das? Ihre Tote? Dann befragen Sie doch mal ihren neuen Freund, er heisst Jonathan Meierhans, Primarschullehrer, wohnhaft Seefeldstrasse 44, Blutgruppe A positiv. Checken Sie den mal aus, ja. (legt auf, wählt neu) Susann? Hallo, Susann, ich bins. Wo bist du? Zuhause? Ich dachte, ihr wolltet ausgehen. Scheisswetter, ja. Warum ich anrufe – achja: Hast du die Nachrichten gesehen? Mord an der Klingenstrasse? Weisst du was, ich glaub, das ist die Schlampe. Die wohnt doch an der Klingenstrasse.
ANNA: (murmelt) Ist ja gut, ich komm ja schon (hantiert mit dem Schloss und öffnet die Tür) WEBER: Guten Abend. Frau Kasinski? ANNA: Ja. Kasinski. Das bin ich. Was wollen Sie?
«Er das Sofa, ich den Hund – was meinen Sie, wer den Besseren gemacht hat?»
MOLEKÜL: (kläfft wild) ANNA: Was hat dieser blöde Hund bloss heute, vorhin hat er mich in – nein, ich bin nicht betrunken. Halbe Flasche höchstens – nun komm schon. Sei nicht so. Nein, natürlich nicht! Warum solltest du – bei diesem Wetter. Nein, mir geht es gut. Viel besser als vor einer halben Stunde. Jetzt, wo die Schlampe tot ist – Nein, ich mach doch nur Witze. Natürlich – furchtbare Sache, finde ich auch. Eine Frau allein – das hätte auch ich sein können … (kichert) Oder du. Susann? Bist du noch da? (Zu sich:) Aufgelegt. Komisch. Hm, Molekül, was meinst du dazu. Heut sind alle komisch. Sogar du.
WEBER: Weber, Stadtpolizei, Fachgruppe Gewaltdelikte. Das ist Hauptmann Camenzind. Dürfen wir einen Augenblick hereinkommen? ANNA: Hauptmännin, meinen Sie wohl? (kichert) Warum nicht. Ich hab ja sonst nichts vor. Entschuldigen Sie die Unordnung – ich war krank. – Setzen Sie sich doch – hier, auf die Kissen. Ich hab kein Sofa mehr. Mein Freund ist ausgezogen und hat das Sofa mitgenommen. (lacht) Er das Sofa, ich den Hund – was meinen Sie, wer hat den Besseren gemacht? Was meinst du, Molekül, du guter??? MOLEKÜL: (knurrt) CAMENZIND: Ihr Freund – Jonathan Meierhans? ANNA: Warum, kennen Sie ihn? Haben Sie auch mit ihm geschlafen? Sie sind ganz sein Typ.
(Ein Fenster schlägt, der Regen klingt vorübergehend lauter)
CAMENZIND: (ungerührt) Nein. Kennen Sie eine Sonia Hablützel?
Machst du das Fenster zu, Molekül? Ich mag jetzt nicht aufstehen! Ja, das Badezimmerfenster. Hat er auch nicht geflickt. Dabei hat er es versprochen. Aber er war immer busy. Busy mit seiner Schlampe!
ANNA: Hablützel, heisst sie also Hablützel, die Schlampe. Interessant.
FERNSEHER: Und nun zum Wetter: Überschwemmungen im… ZAP … gerade in Ihrer Generation – ich schätze Sie mal zwischen zwanzig und dreissig, ja? – sind Beziehungs- und Bindungsängste sehr verbreitet. ZAP… Massenkollisionen auf mehreren Autobahnen … (Das Telefon klingelt. Anna nimmt ab) ANNA: (klingt langsam ein bisschen betrunken) Hallo? Jonathan? Bist du das? Was für eine Überraschung. Du willst wohl das BadezimmerSURPRISE 205/09
CAMENZIND: Können Sie uns sagen, wo Sie gestern Abend waren? So zwischen zehn Uhr und Mitternacht? ANNA: Wieso wollen Sie denn das wissen? CAMENZIND: Beantworten Sie einfach die Frage, Frau Kasinski. ANNA: Ach, jetzt versteh ich! Sie denken, ich hätte die Schlampe umgebracht! (prustet) Jonathan dachte das auch! So ein Idiot! WEBER: Können Sie uns sagen, wo Sie zur angegebenen Zeit waren?
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ANNA: Hier, zuhause. Vor der Glotze. CAMENZIND: Haben Sie dafür Zeugen?
«Ein Abend ist wie der andere. Seit Jonathan weg ist. Fernsehen, Flasche Wein, auf dem Fussboden einschlafen.»
ANNA: Zeugen? Nur Molekül. (prustet wieder) Nicht, mein Junge?
ANNA: Ja – nein! Ich sag nichts mehr. Ich will einen Anwalt. Bin ich verhaftet?
MOLEKÜL: (knurrt) ANNA: Hey, Sie waren aber schnell. Hat Jonathan Sie etwa angerufen? Hat er mich verpetzt?
CAMENZIND: Vorläufig nicht. Aber wir müssen Sie bitten, sich uns für weitere Fragen zur Verfügung zu halten.
CAMENZIND: Was gibt es denn zu verpetzen?
WEBER: Wenn Sie sich mit einem Anwalt beraten wollen … schaden tut es bestimmt nicht.
ANNA: Das wüsste ich selber gern.
CAMENZIND: Schönen Abend noch.
WEBER: Was lief denn gestern im Fernsehen?
(Die Tür geht auf und wieder zu)
ANNA: Weiss ich doch nicht. Ich zapp hier nur so rum …
3. ANNA: Das darf doch nicht wahr sein! (schaltet den Fernseher ein)
CAMENZIND: Verstehe.
FERNSEHER: Gemäss Zeugenaussagen war zur angenommenen Tatzeit laute Musik aus der Wohnung des Opfers zu hören. Und zwar handelte es sich dabei um einen Popsong mit dem Titel Nothing compares 2 U.
ANNA: Ach, ja, Sie verstehen? Was verstehen Sie denn genau? CAMENZIND: Ihr Freund hat Sie verlassen. Für Sonia Hablützel. Sie sind einsam, Sie sind wütend, Sie wollen ihre Rivalin zur Rede stellen, eines führt zum anderen …
ANNA: Das war unser Lied! Er kann doch nicht unser Lied –
ANNA: (kichert) Ha, Sie sind lustig. Das glauben Sie doch selber nicht. Ich würde doch niemanden totschlagen. Und schon gar nicht mit einer Zimmerpflanze, das weiss Jonathan doch: ich hasse Topfpflanzen!
ANNA: Kampfgeräusche? Unser Lied? Molekül, ich komm nicht mehr mit. Jetzt muss ich aber wirklich was trinken. (schenkt sich ein, trinkt) Molekül, stimmt doch? Gestern haben wir ferngesehen. Was lief denn noch gleich? Die Nachrichten – ich schau doch immer die Nachrichten – was war gestern? Hilf mir doch, Molekül. – Ich kann mich nicht erinnern. Ich kann mich einfach nicht erinnern. Ich werde doch nicht … Nein, das kann nicht sein. So etwas würde ich doch nicht tun. Nicht? Molekül?
WEBER: Wie kommen Sie denn auf Topfpflanzen? ANNA: Kam das nicht in den Nachrichten? – (Stille) – Was? Was ist los? CAMENZIND: Und Sie hassen also … Topfpflanzen, hm? Und Sonia Hablützel? Hassten Sie wohl auch.
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FERNSEHER: … allfällige Kampfgeräusche übertönt …
MOLEKÜL: (winselt)
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ANNA: (wählt) Jonathan? Bist du das? (murmelt) Scheissbeantworter. (lauter) Ja, hey, Jonathan, ich bins. Vielleicht kannst du mir ja erklären, warum in der Wohnung von deiner neuen Freundin UNSER LIED lief. (noch lauter) UNSER LIED VERDAMMT NOCH MAL (stockt) Jonathan? Bist du da? Ich dachte, es sei der Beantworter. Was? Spinnst du? Jonathan, du denkst doch nicht im Ernst … Jonathan! Jonathan?
wieder nicht! Was ich fragen wollte – du und Jonathan – hattet ihr ein spezielles Lied? Weisst du, ein Lied, das man im Radio hört und sagt, das ist «unser» Lied? – Susann? Sag jetzt nicht Nothing compares! – Susann? (zu sich) Scheiss Handy!
(Der Regen wird wieder lauter.)
ANNA: Mist. Auch das noch. Molekül? Wo bist du? (stösst das Glas um) Autsch! Mist … wo hab ich denn … hab ich überhaupt Kerzen? Eine Taschenlampe?
ANNA: Wie kann er so etwas von mir denken. Er kennt mich doch. Ja gut, wir hatten unsere Fights, das stimmt. Ich hab schon mal einen Teller geschmissen. Aber das ist doch etwas anderes – das ist doch etwas anderes … Natürlich war ich sauer. Aber ich hab doch nicht – ich wusste doch nicht mal ihren Nachnamen. Ich würde doch nicht … wenn ich nur wüsste, was ich gestern gemacht habe. Ein Abend ist wie der andere. Seit Jonathan weg ist. Fernsehen, Flasche Wein, auf dem Fussboden einschlafen. Ich kann beim besten Willen nicht … (weint) FERNSEHER: … Stromausfall zu rechnen … In weiten Teilen des Landes …
FERNSEHER (aus)
(Der Regen wird wieder lauter. Das Badezimmerfenster schlägt) MOLEKÜL: (winselt) ANNA: Wo bist du? Molekül? Gell, du hast Angst im Dunkeln. Ja, ich auch. Komm her … komm zu mir … nun komm schon, du dummer Köter! Wenn man einmal einen Wachhund brauchen könnte. Ja, Jonathan wüsste jetzt, was zu tun ist. Wo hab ich denn … hab ich denn wenigstens Streichhölzer? (Leise erklingt Nothing compares…)
MOLEKÜL: (winselt) ANNA: (singt erst leise mit, schreckt dann auf) Was … hallo? Ist da jemand? (Die Musik wird lauter. Schritte?) ANNA: Susann? Bist das du? (kichert) Ich kann dein Parfüm riechen. Gottseidank! Hast du eine Taschenlaaaaaaaaa … ENDE.
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Milena Moser Milena Moser, 1963 in Zürich geboren, arbeitete zunächst als freie Mitarbeiterin fürs Radio und verschiedene Zeitungen und Magazine. 1990 veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichtensammlung «Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord», mit «Die Putzfraueninsel» landete sie 1991 ihren ersten Bestseller. Es folgten Romane und Erzählungen wie «Blondinenträume», «Das Leben der Matrosen» oder das Sachbuch «Schlampenyoga oder Wo geht’s hier zur Erleuchtung?». Ihre aktuellen Romane heissen «Stutenbiss» und «Flowers in your Hair».
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BILD: NINA SÜSSTRUNK
ANNA: (wählt neu) Susann? Ich bins noch mal. Tut mir leid, dass ich so spät anrufe – wo bist du? Ist André nicht … oh, das wusste ich nicht. Das tut mir leid, echt. – Das stimmt nicht, ich mochte ihn. – Du, sag mal, haben wir eigentlich gestern telefoniert? Nein? Mist. Bist du sicher? Wir telefonieren doch immer. – Was, nicht zuhause?? Wann, um halb elf? Doch, natürlich war ich zuhause … ich bin doch immer zuhause … oder? Ich weiss es einfach nicht mehr. Du Susann – Jonathan glaubt, ich hätte sie umgebracht! – Wie, gewalttätig? Ich bin nicht gewalttätig! Nun komm schon, das war was anderes. Nein, ich hab ihm die Nase NICHT gebrochen! Das stimmt nicht. – Susann – was ich eigentlich fragen wollte – Du und Jonathan, ihr wart doch auch mal ein Paar – ja ich weiss, es ist lange her – so lange auch
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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
01
VXL AG, Binningen
02
Thommen ASIC-Design, Zürich
03
Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten
04
Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Nottwil
05
Ernst Schweizer AG, Hedingen
06
JL AEBY Informatik, Basel
07
iuliano-gartenbau & allroundservice, Binningen
08
Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf
09
KIBAG Kies und Beton
10
Inova Management AG, Wollerau
11
SVGW, Zürich
12
Brother (Schweiz) AG, Baden
13
Segantini Catering, Zürich
14
Axpo Holding AG, Zürich
15
AnyWeb AG, Zürich
16
Kaiser Software GmbH, Bern
17
fast4meter, Storytelling, Bern
18
IBZ Industrie AG, Adliswil
19
Velo-Oase Bestgen, Baar
20
Niederer Kraft & Frey, Zürich
21
Mundipharma Laboratories GmbH, Basel
22
GUIDIMEDIACOM, Zollikon
23
reinhardpartner Architekten und Planer, Bern
24
Personalberatung Stellenwerk AG, Zürich
25
Weleda AG, Arlesheim
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag! Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise fördert seit 1997 die Selbsthilfe von Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit begleiteten Angeboten in den Bereichen Arbeit, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit und berufliche Eingliederung, das Verantwortungsbewusstsein, die Gesundheit und eine positive Lebenseinstellung. Surprise gibt es in der deutschsprachigen Schweiz. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende unabhängige Strassenmagazin Surprise heraus. Neben einer professionellen Redaktion verfügt das Strassenmagazin über ein breites Netz von freien Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen. Der überwiegende Teil der Auflage wird von Menschen ohne oder mit beschränktem Zugang zum regulären Arbeitsmarkt auf Strassen, Plätzen und in Bahnhöfen angeboten. Die regelmässige Arbeit gibt ihnen eine Tagesstruktur, neues Selbstvertrauen und einen bescheidenden aber eigenständig erwirtschafteten Verdienst. Für viele Surprise-Verkaufende ist das Strassenmagazin der erste Schritt zurück in ein eigenständiges Leben. Strassensport Der zweite Schwerpunkt von Surprise ist die Integration von sozial benachteiligten Menschen in der Schweiz über den Sport. Mit einer eigenen Strassenfussball-Liga, regelmässigem Trainings- und Turnierbetrieb, der Schweizermeisterschaft sowie der Teilnahme des offiziellen Schweizer Nationalteams am jährlichen «Homeless Worldcup» vernetzt Surprise soziale Institutionen mit Sportangeboten in der ganzen Schweiz. Organisation und Internationale Vernetzung Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden von der Strassenmagazin Surprise GmbH geführt, die von dem gemeinnützigen Verein Strassenmagazin Surprise kontrolliert wird. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerks der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband gegen 100 Strassenzeitungen in über 40 Ländern an. Impressum Herausgeber Strassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel, www.strassenmagazin.ch Geschäftsführung Fred Lauener Öffnungszeiten Sekretariat Mo–Do 9–12/14–16.30 Uhr, Fr 9–12 Uhr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch Redaktion Fred Lauener (Leitung), Reto Aschwanden, Julia Konstantinidis, Mena Kost, Agnes Weidkuhn (Koordinatorin), T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch Autoren Sibylle Berg, Alex Capus, Peter O. Chotjewitz, Franzobel, Franz Hohler, Guy Krneta, Milena Moser, Stephan Pörtner, Juli Zeh Illustration Priska Wenger Korrektorat Alexander Jungo Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 27 200, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Anzeigenverkauf Mathias Stalder, T +41 76 409 72 06, anzeigen@strassenmagazin.ch
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Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt.
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