Surprise Strassenmagazin 209/09

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Sagt Ja zu uns! Die IV braucht Hilfe, nicht Polemik In der Tochter-Falle – Aufzeichnungen einer Jungmutter

Surprise-Strassensport: Unsere Nati im Trainingslager

Nr. 209 | 18. September bis 8. Oktober 2009 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


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Wir sind die Pioniere

Spenden Sie, damit Pascal dabei sein kann.

Selina Vuichard Lernende KV

Die Stiftung Cerebral hilft in der ganzen Schweiz Kindern wie Pascal und deren Familien. Zum Beispiel mit Massnahmen zur Förderung der Mobilität. Dazu brauchen wir Ihre Spende, ein Legat oder Unternehmen, die einzelne Projekte finanzieren. Helfen Sie uns zu helfen.

die ökologisch- ethische Pensionskasse

«In die Zukunft schauen! – Nicht alle Ressourcen aufbrauchen! Wer bei uns versichert ist, kann sich darauf verlassen, dass wir eine gute Rendite erzielen – aber auf saubere Art.» Darin sind wir Pioniere – seit 25 Jahren.

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Schweizerische Stiftung für das cerebral gelähmte Kind Erlachstrasse 14, Postfach 8262, 3001 Bern, Telefon 031 308 15 15, PC 80-48-4, www.cerebral.ch

Hier könnte Ihre Werbung stehen. Werfen Sie Ihr Werbegeld nicht auf die Strasse. Investieren Sie es dort. Surprise erreicht 135 000 Leserinnen und Leser. Und das in den grössten Städten und Agglomerationen der Deutschschweiz.* Denn dort stehen die 380 Surprise-Verkaufenden für Sie auf der Strasse. Tagtäglich. Ganze 80 Prozent der überdurchschnittlich verdienenden und ausgebildeten Käuferinnen und Käufer lesen die gesamte Ausgabe oder zumindest mehr als die Hälfte aller Artikel.** Das Strassenmagazin steht für soziale Verantwortung und gelebte Integration. Mit Ihrem Inserat zeigen Sie Engagement und erzielen eine nachhaltige Wirkung. Anzeigenverkauf Therese Kramarz, T +41 61 564 90 90, anzeigen@strassenmagazin.ch

*gemäss MACH Basic 2009-2. **gemäss Studie der FHBB, Leserschaftsanalyse Surprise Strassenmagazin, 2003

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10 IV-Abstimmung Ein Gebot der Vernunft BILD: RUBEN HOLLINGER

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Inhalt Editorial Zeiten und Zahlen Leserbrief Ermutigend Basteln für eine bessere Welt Lärmen statt Leuchten Aufgelesen Kinder in Armut Zugerichtet Rätselhafter Diebstahl Mit scharf Vernünftig abstimmen Erwin … sichert sich die IV Porträt Die Zahlenmeisterin Kurzgeschichte Türgespräch Le mot noir Schöner sterben Kultureinseiter Der Kulturmarkt feiert Kulturtipps Reiseführer der Angst Ausgehtipps Schwarze Fee Verkäuferporträt Das Dutzend voll Projekt Surplus Chance für alle! Starverkäufer In eigener Sache Impressum INSP

Am 27. September stimmt die Schweiz über die Zusatzfinanzierung der Invalidenversicherung IV ab. Im Surprise Roundtable-Gespräch erläutern drei Exponenten unterschiedlicher Couleur, weshalb die Zustimmung zur Vorlage ein Gebot der Vernunft ist und es zu einem Ja schlicht keine Alternative gibt.

14 Strassenfussball Ein Ball, ein Team BILD: OLIVIER JOLIAT

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Unser Strassenfussball Nationalteam hat den Weltmeistertitel am diesjährigen Homeless World Cup verpasst. Den eigentlichen Sieg, nämlich überhaupt an einer WM mit 48 Nationen aus allen Kontinenten dabei zu sein, kann den Fussballern von Surprise Strassensport aber niemand nehmen. Darauf vorbereitet hatten sie sich Ende August in einem intensiven Trainingslager im Tessin.

BILD: ISTOCKPHOTO

16 Jungmütter Wie die Tochter so die Mutter Mütter, die schon Mitte Dreissig Kinder im Teenageralter haben, müssen sich immer wieder vor anderen Eltern, vor sich selber und vor den eigenen Kindern behaupten. Nicht selten wechseln auch die Rollen; etwa wenn die Tochter der Mutter vorschreibt, wie sie sich anzuziehen habe. Ein Essay aus der Sicht einer «Teenie-Mutter».

Titelbild: iStockphoto SURPRISE 209/09

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BILD: DOMINIK PLÜSS

Leserbriefe «Der Autor des Artikels über alte Rocker sollte sich selber pensionieren.»

FRED LAUENER, GESCHÄFTSFÜHRER

Editorial Gute Nachricht in schwieriger Zeit

Ermutigend Ich halte die Arbeit von Surprise für sehr ermutigend. Auch die Kontakte mit den Verkaufenden finde ich immer sehr herzlich. Leider habe ich seit einem Umzug nichts mehr von Gebray Tesfaldet gehört – vielleicht ist er wieder nach Eritrea zurückgekehrt? Dafür habe ich inzwischen Zaklina Busa kennengelernt, die Surprise bei uns in Thun verkauft. Inhaltlich hat mich die Nr. 206, vor allem der Kommentar «Die Schweiz sucht einen Bundesrat», besonders angesprochen sowie – da ich viele Jahre an der Hochschule für Landwirtschaft Volkswirtschaft und Management unterrichtet habe – der Beitrag «Von fremder Hand gepflückt». Macht weiter so! Hans Moor, Steffisburg

Nr. 208: «Rock’n’Roll – When I’m 64» Enttäuscht Voller Freude habe ich mir das letzte Surprise gekauft. Leider war aber keinerlei wirklicher inhaltlicher Bezug zur Titelstory zu finden. Ich kaufe das Strassenmagazin nicht nur aus «Mitleid», sondern auch aus Interesse an den Storys. Warum die Lombego Surfers nicht ein einziges Mal im Artikel erwähnt wurden, ist mir unerklärlich. James Polk, per E-Mail

Oft werde ich gefragt, ob auch Surprise die Wirtschaftskrise spüre, und wie sich dies äussere. Nicht selten vermuten die Leute, dass die Menschen, die in diesen Wochen und Monaten ihre Stellen verlieren, uns doch massenhaft die Bude einrennen müssten um sich als SurpriseVerkaufende über die Runden zu bringen. Dem ist nicht so. Um bei Surprise anzuklopfen braucht es einen weit grösseren Leidensdruck, als den «blossen» Verlust des Arbeitsplatzes. Unsere Verkäuferinnen und Verkäufer gehören zu jener Gruppe Menschen, die trotz der feinen Maschen durch das gut geknüpfte soziale Netz der Schweiz fallen konnten. Zu diesem Netz gehört auch die Invalidenversicherung IV, die am 27. September wieder einmal vors Volk kommt. Der Ausgang der Abstimmung ist für viele Surprise-Verkaufende von grosser Bedeutung. Deshalb widmen wir der Vorlage den Schwerpunkt dieser Ausgabe. Wenn die Krise auch nicht zu mehr SurpriseVerkaufenden auf der Strasse führt, spüren tun wir sie doch: Die Einnahmen aus Spenden und anderen Zuwendungen sind markant zurückgegangen. Für die begleitende Betreuung und Förderung der Verkaufenden mit Blick auf ihre soziale Integration sind wir auf Drittmittel angewiesen. Diese Arbeit kann nicht allein aus dem Heftverkauf finanziert werden, und staatliche Gelder erhalten wir bekanntlich keine. Gestatten Sie mir deshalb für einmal an dieser Stelle den Verweis auf die Kontonummer gleich neben diesem Editorial. Zum Schluss die gute Nachricht: Laut der neuesten Erhebung der Leserzahlen von Schweizer Zeitungen und Zeitschriften haben wir wiederum zulegen und fünfzehn Prozent mehr Leserinnen und Leser gewinnen können. Das Strassenmagazin Surprise erreicht damit regelmässig 135 000 Menschen. Bei einer Auflage von durchschnittlich rund 30 000 Exemplaren bedeutet dies, dass jede Ausgabe von über vier Personen gelesen wird. Die hartnäckige Legende, dass Surprise vor allem aus Mitleid gekauft werde, ist damit deutlich widerlegt. Ich wünsche Ihnen gute Lektüre.

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3

Herzlich,

Ihre Meinung!

Danke Ich möchte mich bedanken für die gute Arbeit, die Sie leisten. Früher kaufte ich das «Surpriseheft» in erster Linie, um die Verkaufenden zu unterstützen. Dieser Grund bleibt bestehen, aber das Heft selber ist viel interessanter geworden. Ich erwähne hier nur die Sondernummer mit den Kurzgeschichten, und die neuste, mit den Artikeln über die Schenkkreise, über die Aktionen im Zusammenhang mit der Schweinegrippe etc. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie einige Hintergründe dieser Pandemiebekämpfungsaktionen aufzeigen und so zur einseitigen Berichterstattung von Fernsehen und Zeitungen einen Kontrapunkt setzen! M. Beglinger, Rodersorf

Empört Wann ist ein Oldie ein Oldie? In Abwandlung des Grönemeyer-Songs («Männer») habe ich mir diese Frage beim Lesen des Artikels gestellt. Der Autor schreibt «… absurd, wenn das Lied «My Generation» von einem BeinaheGrossvater serviert wurde …». Roger Daltrey, der Sänger des Lieds, war damals, 1988, 44 Jahre alt! Der Autor (Jahrgang 1956, also im besten Grossvater-Alter) beschreibt sodann, wer von den alten Musikerinnen und Musikern momentan in London auftritt und beklagt sich darüber, dass das Durchschnittsalter bei einer Zürcher Musikzeitung gegen 40 tendiert. In diesem Falle müsste er sich schon längst selber pensionieren. Ins gleiche Horn stossen dann die Konzerthinweise für die Schweiz, bei denen neben unbestrittenen Oldies wie Elton John (62) oder Tom Jones (69) auch Tori Amos (46) oder Bryan Adams (49) Erwähnung finden. Es lebe(n) der Jugendkult und die wahren Oldies. Heinz Mathys, per E-Mail

Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit dem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen.

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ILLUSTRATION: WOMM

Man nehme: Eine Ausgebrannte Glühbirne, Tapetenkleister, eine Zeitung und farbiges Papier, Klebeband, einen schmalen Streifen Pappe.

1 Kartonstreifen an der Halterung der ausgebrannten Glühbirne als Extragriff mit Klebeband befestigen.

2 Zeitungspapierschnipsel mit Tapetenkleister in mehreren Lagen an die Glühbirne pappen. Eingekleisterte Birne gut trockenen lassen (kann je nach Anzahl Schichten mehrere Tage dauern).

3 Das trockene Zeitungspapier entweder mit farbigem Papier bekleben oder bunt anmalen. Die geklebte und verzierte Glühbirne ein paar Mal kräftig gegen die Tischkante hauen. Das Glas im Inneren zerbricht. Wird die Birne geschüttelt, rasseln die Scherben im Takt.

Basteln für eine bessere Welt Das Raumklima wird kälter: Zugunsten des Weltklimas werden seit dem 1. September in Europa keine warm leuchtenden 100 Wattbirnen und matten Glühbirnen mehr importiert und vertrieben, bis 2012 sollen alle Birnenmodelle vom europäischen Markt genommen werden. Bei Surprise verschwinden die Glühbirnen aber nicht von der Bildfläche, sie ändern nur ihre Funktion: Als Sambarasseln sorgen sie für ein bisschen Wärme in der kalten Sparlampen-Welt. SURPRISE 209/09

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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Skaten in Afghanistan Berlin. Als Skateboarder Oliver Percovich 2007 durch Afghanistan reiste, waren die Strassenkinder Kabuls von seinem «fahrenden Brett» begeistert. Unterdessen hat Percovich das Hilfsprojekt «Skateistan» ins Leben gerufen: Mit Rollbrett-Equipment, das bei einer Sammelaktion unter deutschen Jugendlichen zusammengekommen ist, unterrichtet der 34-Jährige Kinder und Jugendliche in Kabul im Skaten. Das Angebot wird rege genutzt, auch von Mädchen, denen sportliche Betätigung eigentlich untersagt ist. www.skateistan.org

Porno ab elf Hannover. 84 Prozent aller Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren kennen laut Enigma-GfK-Studie Pornofilme auf dem Handy. 70 Prozent aller Buben und 60 Prozent aller Mädchen ab 11 Jahren haben schon Pornos gesehen, 38 Prozent der Jugendlichen konsumieren sie regelmässig. «Die Auswirkungen kann man gar nicht überschätzen», sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, Jakob Pastötter. So steigere intensive Nutzung pornografischer Medien etwa die selbst zugegebene Vergewaltigungsbereitschaft.

Arme Kinder Schleswig-Holstein. Zehn Prozent aller Deutschen sind auf staatliche finanzielle Hilfe angewiesen. Dabei sind Kinder stärker betroffen als ältere Menschen: Während jedes fünfte Kind unter sieben Jahren von Armut betroffen ist, ist es bei den Senioren nur rund jeder vierzigste. Seit der Wirtschaftskrise werden zudem mehr und mehr selbstständig Arbeitende zu Hartz-IV-Empfängern: In den letzten drei Jahren hat sich die Zahl der Betroffenen laut Bundesagentur für Arbeit mehr als verdoppelt, von 56 000 Menschen im Jahr 2006 auf 114 000 Ende 2008.

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Zugerichtet Aus dem Tritt geraten Und plötzlich erreicht der Mensch den Punkt, wo ihn das Leben aus der Bahn wirft. Es ist kein Schicksalsschlag, irgendwie lief er schon eine ganze Weile neben den Schuhen, tat aber so, als bewege er sich im Rahmen des Normalen. Der Mensch hält ja einiges aus. Doch von einem Augenblick zum anderen gerät er aus dem Tritt, macht vernunftwidrige Dinge. Klaut an einem einzigen Nachmittag, innerhalb weniger Stunden, in sieben Boutiquen drei Kämme aus Wasserbüffelhorn, einen mit Pressluft betriebenen Zapfenzieher, zwei Windlichter, zwei Paar Riemchen-Sandalen, fünf Schals, ein silbernes Sparschwein. Beim Diebstahl der Ohrringe stellt sich dem Mensch schliesslich ein Detektiv in den Weg. «Es ist mir selbst ein Rätsel», sagt Grazyna*. Als sie bei der polizeilichen Einvernahme die Liste mit den gestohlenen Waren sah, habe sie versucht, sich selbst zu erklären, welcher Teufel sie da geritten habe. «Weil ich dieses Zeugs gar nicht brauche», sagt sie in perfektem Hochdeutsch mit leicht slawischem Akzent. «Ich glaube, mein Gehrin hat an diesem Tag ausgesetzt.» Grazyna, 45 Jahre alt, ist eine gebildete Frau. Musikerin, aufgewachsen in Polen, Studium an den Konservatorien in Warschau, Moskau und Berlin. Vor zwölf Jahren kam sie in die Schweiz. Heiratete, bekam zwei Kinder, wovon eines behindert ist, und gab ihren Beruf auf. Dann folgte die Scheidung. «Seither habe ich mich irgendwie verloren.» Ihre Erinnerung an jenen Nachmittag vor rund einem Jahr ist verschwommen. Sie kann gar nicht richtig zugeben, dass sie geklaut hat. Doch man hat sie ja ertappt und all die

Sachen bei ihr gefunden. Es war nichts Besonderes passiert an diesem Tag, sie kam nur wieder einmal von der Psychotherapie. Das Gespräch habe sie deprimiert. Sie wollte danach shoppen gehen. Stattdessen habe sie einfach alles in die Tasche gestopft, was ihr in die Hände gekommen ist. Wenigstens sei sie bald erwischt worden, so werde sie bestimmt nie wieder etwas stehlen. Grazyna sucht nach Gründen für «das Aussetzen des Verstandes». «Sorgen, Zukunftsängste, Einsamkeit», sagt sie, «Ich war traurig.» Sie denkt, dass sie vielleicht krank ist, Kleptomanie. «Das denken alle, die klauen und erwischt werden», sagt der Richter, «aber die wenigsten leiden wirklich daran.» Den Diebstahl vertraute sie ihrer Schwester an. «Es hat mir gut getan, mit jemandem darüber zu reden. Sie hat gemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmt.» Zu einem Ergebnis ist sie trotzdem nicht gekommen. «Die Schuhe kann ich ja verstehen», grübelt sie, «aber Schals? Wer braucht schon Schals im Sommer?» – «Na, manchmal ist es im Sommer sehr kalt», scherzt der Richter und deutet auf das Hudelwetter draussen. «Oder die Kämme. Wer braucht schon drei Kämme, wenn er nur einen Kopf hat?», fragt Grazyna. Da stimmt der Richter zu: «Ja, wer braucht so viel Kämme?» – «Oder einen Zapfenzieher», sagt Grazyna, «dabei trinke ich gar keinen Alkohol, ich vertrage ihn nicht.» Für das Stehlen all dieser Dinge, die sie nicht gebraucht hat, muss sie eine Geldstrafe von 1 200 Franken bezahlen. * Alle persönlichen Angaben geändert. ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 209/09


IV-Abstimmung Ein Ja aus Vernunft, uns allen zuliebe Am 27. September wird an der Urne über die Zusatzfinanzierung der hoch verschuldeten Invalidenversicherung abgestimmt. Weil es zu einem Ja keine vernünftige Alternative gibt, macht die Gegnerschaft mit dem Rentenmissbrauch Stimmung. VON FRED LAUENER

Eine Alternative zu einem Ja am 27. September gibt es nicht. Schon gar nicht die Bekämpfung des Missbrauchs, die von der Gegnerschaft als Paradeargument gegen die Vorlage präsentiert wird. Nach Schätzung des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) erschleichen sich maximal 3 000 der insgesamt 300 000 IV-Bezüger ihre Rente unrechtmässig. Das ist deutlich weniger als bei privaten Versicherungen. Die Ersparnis dank der verstärkten Missbrauchsbekämpfung beträgt gemäss BSV etwa 50 Millionen Franken. Demgegenüber stehen 5,6 Milliarden Franken jährliche Rentenzahlungen und – bei einem Nein am 27. September – jedes Jahr ein um 1,4 Milliarden Franken wachsender Schuldenberg. Wer die Missbrauchsbekämpfung als Alternative zur IV-Zusatzfinanzierung anpreist, treibt vorsätzliche Augenwischerei und macht Stimmung gegen die mehr als 99 Prozent redlichen Rentnerinnen und Rentner, die auf die Unterstützung der IV angewiesen sind. Sie würden es sein, welche die Konsequenzen eines Neins am deutlichsten zu spüren bekämen. Die heute schon sehr bescheidenen Renten kämen als erstes unter Druck. Ausserdem dürfte der Text der für 2012 geplanten 6. IV-Revision neu geschrieben und die dort festgeschriebene Zahl von 12 500 Rentnerinnen, welche die Versicherung loswerden und auf Arbeitssuche schicken muss, erhöht werden. Ob der ohnehin schon gebeutelte Arbeitsmarkt Tausende ausrangierter IV-Rentner aufnehmen kann oder will, ist allerdings eine andere Frage. Jede und jeder kann plötzlich auf die IV angewiesen sein. Deshalb ist unbestritten, dass sich auch jede und jeder an der Sanierung des schwächelnden Solidarwerks beteiligen soll. Auch die IV-Bezügerinnen und Bezüger selber. Gerade diese leisten aber schon länger ihren Beitrag. Mit

ERWIN

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und die IV

tiefen Renten, die teils erhebliche Einschränkungen des Lebensstandards bedeuten. Und seit der 5. IV-Revision, die letztes Jahr in Kraft getreten ist, sind die Hürden für kranke oder behinderte Menschen deutlich höher geworden, von der IV überhaupt aufgenommen zu werden. Eine Alternative zu einem Ja am 27. September gibt es nicht. Auch wenn die Patientin IV alleine damit nicht geheilt wird. Aber die Blutung kann gestoppt werden. 4 Millionen Franken verliert die Versicherung heute jeden Tag. Das ist mehr, als Surprise in einem ganzen Jahr für seine Integrationsarbeit zur Verfügung steht. Wer Nein stimmt, nimmt einen weiter wachsenden Schuldenberg in Kauf und riskiert, die heute mit der IV finanziell eng verbundene AHV ebenfalls in bedrohliche Schwierigkeiten zu bringen. Die nachhaltige Sanierung der IV, an der so oder so kein Weg vorbei führt, würde immer teurer und damit für alle auch schmerzhafter. Die monatlich 13 Franken, welche das Ja zur Vorlage einen durchschnittlichen Schweizer Haushalt ab 2011 vier Jahre lang kosten würde, tun mit Sicherheit weniger weh. ■ Beachten Sie zum Thema IV-Zusatzfinanzierung das Surprise-Gespräch ab Seite 10.

VON THEISS

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Porträt Ein Leben voller Kurven Nina Franks Leben spielt sich zwischen verschiedenen Kulturen ab. Selbst ihre Gedanken formuliert die Armenierin in unterschiedlichen Sprachen. Heimat findet sie in der Mathematik. VON MANUELA DONATI (TEXT) UND ANDREA GANZ (BILD)

Zahlen, Gleichungen, Kurven – für viele der Inbegriff des schulischen Gräuels. Während ihre Nachhilfeschüler mit rauchenden Köpfen über den Büchern sitzen, blüht Nina Frank auf, je schwieriger die Aufgabe wird. Die 55-jährige Armenierin unterrichtet am Badener Nachhilfeinstitut Forum 44. Mit elegant gezeichneten Koordinatenachsen, in akkurater Schönschrift geschriebenen Gleichungen und viel Enthusiasmus versucht sie, ihren Schülern die Geheimnisse der mathematischen Welt näher zu bringen. «Mathematik ist meine Leidenschaft», sagt Frank mit leuchtenden Augen. Vor allem die innere Logik und Struktur der Mathematik sind Faszination und Herausforderung zugleich, und in ihrem Leben omnipräsent. Auf dem täglichen Spaziergang mit ihrem Hund sieht sie nicht Wald und Hügel, sondern Tangenten und Kurven. Regt sie sich auf, befasst sie sich mit einer schwierigen Aufgabe, und ist durch die Lösung wieder besänftigt. «Mathematik ist für mich Erholung. Beschäftige ich mich damit, geht der Rest der Welt vergessen.» Die Leidenschaft für die Mathematik erwachte bei Nina Frank schon im ersten Schuljahr. Zum Beruf machte sie ihre «erste grosse Liebe» aber erst nach einigen Umwegen. Frank wuchs im Moskau des Kalten Krieges als einzige Tochter einer armenischen Familie auf. Der Grossvater war stellvertretender Minister für Lebensmittelindustrie, und seine Beförderung bedingte den Umzug der ganzen Familie von Armenien nach Moskau. Kindheit und Jugend waren geprägt vom strengen russischen Schulsystem. Abwechslung zum Lernen brachten die unbeschwerten Ferien in Armenien, die Pionierlager in den Sommerferien und später zu Studentenzeiten die Besuche im Theater und Ballet. Nina Frank sieht sich nicht als typische Zeitzeugin des Kalten Krieges. Verwandte, die durch die Diaspora in den Westen geflüchtet waren, hielten ihre Familie mit Informationen auf dem Laufenden. Dennoch erinnert sie sich an die Ermahnungen der Grossmutter, wenn zu laut Armenisch gesprochen wurde. Oder daran, wie ihre unschuldige Frage im Geschichtsunterricht, weshalb die Westler nicht in die UdSSR fliehen würden, wenn es ihnen doch so schlecht ginge, die Lehrerin zum hyperventilieren brachte und ein Elterngespräch zur Folge hatte. Entgegen den Erwartungen ihres Umfelds, entschied sich Frank nicht, Mathematik zu studieren, sondern Physik. Sie doktorierte am renommierten Kurtschatov-Institut für Kernenergie und befasste sich mit Sicherheitsprozessen in Kernkraftwerken. Während ihrer Unizeit heiratete sie ihre Studentenliebe, kurz nach der Geburt der Tochter Irina wurde die Ehe aber wieder geschieden. Ihre zweite Ehe zerbrach unter anderem daran, dass sie 1991 vom Paul Scherrer Institut als Gastwissenschaftlerin in die Schweiz eingeladen wurde. «Ich kam für vier Monate und bin für das ganze Leben geblieben», sagt Nina Frank. Denn nach zwei Monaten bot ihr die im Paul Scherrer Institut angesiedelte Nuklearsicherheitsbehörde einen Vertrag an, und unter der Bedingung,

ihre Tochter in die Schweiz nachholen zu können, unterschrieb sie. Noch bevor sie nach Moskau zurückkehrte, um zu packen, hatte ihr Ehemann die Scheidung eingereicht. Nach vier Jahren am Paul Scherrer Institut hatte Nina Frank ihren jetzigen Ehemann Erik kennengelernt und über die Frau eines Arbeitskollegen wurde ihr angeboten, als Mathe-Nachhilfelehrerin zu arbeiten. Ohne zu zögern nahm sie das Angebot an. So konnte sie doch noch ihre Berufung zum Beruf machen: Endlich musste sie nicht mehr den mathematischen Aspekt in der Physik suchen, endlich stand die Mathematik ganz im Zentrum. Heute findet sie: «Ich bin ein glücklicher Mensch, weil ich den ganzen Tag lang meiner Leidenschaft nachgehe». Eine weitere Passion ist ihre Heimat. «Hier ist Armenien für viele ein unbekanntes Land. Dabei gibt es so viel zu entdecken», schwärmt Frank. Ihre begeisterten Erzählungen beginnen mit der frühen Ent-

«Ich habe mein ganzes Leben an Orten verbracht, wo ich nicht hingehöre.»

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wicklung eines armenischen Alphabets, gehen weiter bei den vielen historischen Sehenswürdigkeiten und enden schliesslich bei der wunderbaren Küche: Mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen (Boraki), Plov, ein Gericht aus Bulgur, Fleisch und Gemüse, das meistens im Schmortopf zubereitet wird, oder das Fladenbrot Lavash führen dazu, dass Frank nach den Ferien auch schon ein paar Kilos mehr auf die Wage brachte. Auch ihr Zuhause bezeugt die starke Verbundenheit. Viele Fotos zeigen Mitglieder der grossen Familie und das Haus der Grosseltern, erinnern an Ferientage und Feste in Jerewan. Die verschiedenen Kulturen und Sprachen haben sie geprägt. So denkt Frank nicht nur in Armenisch. In der Küche redet sie auch Armenisch, geprägt durch die Erinnerungen an die kochende Urgrossmutter. Gedanken an die Jugend in Moskau sind hingegen vorwiegend russisch. Seit frühester Kindheit lebt Nina Frank in der Fremde, und genau darin liegt die Bedeutung und Erklärung ihrer ausgeprägten Heimatverbundenheit. «Ich wünsche jedem, dass er dort wohnt, wo er hingehört», sagt sie. «Bei mir ist es so, dass ich mein ganzes Leben immer an Orten verbracht habe, wo ich nicht hingehöre.» Sowohl als Armenierin in der Russischen Föderation (beides Teile der ehemaligen UdSSR) als auch als Armenierin in der Schweiz hatte sie immer wieder mit Vorurteilen zu kämpfen. In den ersten Jahren in der Schweiz erlebte Frank die Vorurteile gegenüber Bürgern aus Staaten der Ex-UdSSR beispielsweise bei der Wohnungssuche deutlich. Umgekehrt reibt sie sich nach wie vor an der hierarchischen Struktur der russischen Gesellschaft. Trotzdem, durch Ehemann Erik und Enkelin Anja, die hier aufwächst, wird ihr die Schweiz immer mehr zur Heimat. Wichtig für ein Gefühl des ZuhauseSeins sind auch die vielen Freunde, die Nina Frank in den letzten 18 Jahren gefunden hat. «Es braucht länger, bis man mit Schweizern eine Freundschaft aufbaut. Aber mittlerweile habe ich viele Freunde, Armenier und Schweizer, und ich kann sagen, dass ich hier glücklich bin.» ■

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Behindertensportler Heinz Frei, SP-Nationalrätin Silvia Schenker und FDP-Nationalrat Pierre Triponez am runden Tisch von Surprise.

IV-Abstimmung Zu einem Ja gibt es keine Alternative Selten sind sich vor einer Abstimmung fast alle politischen Parteien und die Verbände so einig: Die vorgeschlagene Zusatzfinanzierung der Invalidenversicherung IV ist die bestmögliche Lösung, die gewaltigen Finanzprobleme der Versicherung in den Griff zu bekommen. Diese Haltung vertritt auch das Strassenmagazin Surprise. Weshalb ein Ja zur IV am 27. September wichtig ist und welchen Preis wir für ein Nein bezahlen müssten, diskutierten im Roundtable-Gespräch von Surprise im Bundeshaus die Basler SP-Nationalrätin Silvia Schenker, der Berner FDP-Nationalrat Pierre Triponez und der Solothurner Behindertensportler Heinz Frei.

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VON STEFAN MICHEL (TEXT) UND RUBEN HOLLINGER (BILDER)

Die Abstimmungsvorlage Surprise: Alle Parteien ausser der SVP sind für die Vorlage zur Zusatzfinanzierung der IV. Ist die Abstimmung schon gewonnen? Bisher kommt der gemeinsame Fonds von AHV und IV für die jährlich Pierre Triponez: Erfreulich ist, dass fast alle Parteien, Arbeitgeber und 1.4 Milliarden Franken Verlust der IV auf. Das Parlament hat deshalb Arbeitnehmer die Vorlage unterstützen, weil sie die Notwendigkeit eineinen Trennungsplan für die beiden Kassen verabschiedet. Dieser sieht sehen. Aber eine Steuererhöhung ist immer etwas Unangenehmes und vor, dass die IV unabhängig und kostendeckend arbeitet. Bevor dieser die Begeisterung ist entsprechend klein. Einzelne befürchten zum BeiPlan umgesetzt werden kann, müssen Volk und Stände der befristeten spiel, dass die befristete Mehrwertsteuererhöhung nicht rückgängig geErhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der IV zustimmen. macht wird. Wird die Vorlage angenommen, erhält die IV während sieben Jahren Silvia Schenker: Bei der Basis der Linken und den Gewerkschaften 1.1 Milliarden Steuereinnahmen. Der Bund übernimmt die Schuldzinherrscht eine gewisse Skepsis, weil die Zusatzeinkünfte über die Mehrsen (ca. 360 Milliarden pro Jahr). Die IV erhält zudem 5 Milliarden wertsteuer geholt werden, da man sie für eine unsoziale Steuer hält. Startkapital aus dem AHV-Fonds. Danach muss sie ihre Leistungen koTriponez: Dabei ist die Mehrwertsteuer doch sozialer als Lohnabzüge. stendeckend erbringen. Das wird nur durch weitere Einsparungen mögSo ist die Basis derjenigen, die etwas beitragen, viel breiter. Die Penlich sein. «Eingliederung vor Rente» heisst der neue Leitsatz. Dank versionierten zahlen mit, sogar die Invaliden zahlen mit. So ist es für den stärkter Integrationsmassnahmen sollen Menschen mit gesundheiteinzelnen im Portemonnaie weniger spürbar. Ein echter Gewerkschaflichen Problemen ins Erwerbsleben zurückfinden. (smi) ter müsste doch erst recht für die Mehrwertsteuer-Lösung sein und nicht dafür, dass nur die Erwerbstätigen zahlen. Frei: Das muss die Wirtschaft aber auch zulassen. Zum Beispiel die Heinz Frei: Meine Angst bei solchen Abstimmungen ist, dass sich die psychisch Kranken einzugliedern, da wird es doch unglaublich schwieGegner gar nicht zeigen, weil sie sich so nicht exponieren wollen. Aber rig. Da bin ich als offensichtlich Behinderter noch einfach zu platzieren. an der Urne ein Nein einzuwerfen, ist schnell gemacht. Da lauern Triponez: In der 6. Revision werden gewisse psychische Leiden nicht schon noch gewisse Gefahren. Und die Gegner der Vorlage sprechen auch von einer Plünderung der AHV. Könnte das auch eine Gefahr sein? Dass Leute Nein Heinz Frei: stimmen, weil sie um ihre AHV fürchten? «Ich will selbstständig sein. Aber es muss Angebote geben, Triponez: Wenn man schaut, wie gross die damit man als Behinderter überhaupt eine Chance hat.» Schuld der IV gegenüber der AHV jetzt schon ist, dann ist es eher ein beruhigendes Faktum, mehr berücksichtigt. Mit der 5. Revision ist es gelungen, die Zahl der dass man dank diesen fünf Milliarden Franken die AHV und die IV Neurenten deutlich abzubauen, dank Früherkennung und Eingliedetrennen kann. Nachher wird die AHV nicht mehr durch die IV belastet. rung. Da konnten wir zeigen, dass wir in die richtige Richtung gehen. Die fünf Milliarden sind das Startkapital für die neue IV. Sollte die Zahl der Bezüger aber wieder steigen, hiesse das, dass die Begleitmassnahmen und die Anreizsysteme für die Arbeitgeber keinen Muss sich die AHV aus der IV frei kaufen? Erfolg haben. Triponez: Das wichtigste Argument ist doch: Wenn man mit der SchulSchenker: Das ist eine Entwicklung, die Zeit braucht. Mit einem geändenwirtschaft nicht aufhört, dann geht es noch acht oder neun Jahre derten Gesetz ist nicht alles anders. Es braucht ein Umdenken der und die AHV kann wirklich nicht mehr zahlen. Darum ist das eine EntArbeitgeber, der IV-Stellen, der Ärzte und der Sozialdienste. Auch die lastung der AHV. Betroffenen müssen umdenken. Der Fokus liegt heute viel stärker auf der Wiedereingliederung und die müssen alle Beteiligten unterstützen. Aber die Trennung kostet. Schenker: Die Trennung kostet, das muss man ehrlich sagen. Und die Es sind bereits Renten gekürzt oder aberkannt worden. Was beIV hat eine schwierige Zukunft vor sich. deutet das für die einzelne Person? Triponez: Auch die IV-Bezüger müssen sich darüber klar sein, dass daSchenker: Oft sind sie dann auf Sozialhilfe angewiesen. Das ist für die mit die Übung noch nicht abgeschlossen ist. Im Rahmen der 6. IV-ReBetroffenen sehr schwierig und belastet die Kassen der Kantone. vision muss man noch einmal circa eine Milliarde Franken jährlich einsparen. Das tönt nach einem Nullsummenspiel, bei dem Menschen von Frei: Soll diese Milliarde durch Mehreinnahmen hereingeholt oder einer Kasse zur anderen geschoben werden. durch Sparmassnahmen eingespart werden? Schenker: Nein, denn das Einkommensniveau ist in der Sozialhilfe tieSchenker: Im Rahmen der 6. IV-Revision hofft man, Menschen, die eine fer, darum ist es eine Sparübung und eine Verlagerung auf die Kantone. Rente beziehen, wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Bei der 5. IVTriponez: Wesentlich ist, dass dem einzelnen Menschen bewusst wird, Revision ging es vor allem darum, die Zahl der Neurenten zu senken. dass er besser integriert ist und finanziell besser dasteht, wenn er das Frei: Wäre es realistisch, nur durch Missbrauchsbekämpfung die nötileistet, was er noch leisten kann. Es gab in der Vergangenheit IV-Rentner, gen Einsparungen zu machen? die lieber nicht arbeiten gingen, weil dann die Anforderungen an sie geTriponez: Nein, das reicht nie. Den Missbrauch kann man ungefähr bestiegen wären. Arbeitgeber haben Behinderte nicht eingestellt, weil sie ziffern. Es sind ein paar Millionen Franken. Das jährliche Defizit beträgt Angst hatten, sie nie mehr entlassen zu können, ohne gleich ins Schussrund eineinhalb Milliarden Franken. Es gibt aber sicher kleinere und feld der Gewerkschaften zu geraten. Alle Seiten müssen ihr Verhalten ängrössere Sparpotenziale. Am wichtigsten ist es, die Eingliederung zu verdern, die IV-Bezüger, Arbeitgeber und auch die Gewerkschaften. stärken. SURPRISE 209/09

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Frei: Wenn ich an meinen Fall zurückdenke: Mit 20 hatte ich den Unfall und war im Rollstuhl. Ich hatte einen Schock, machte mir aber sofort Gedanken über meine Zukunft. Als mein Arbeitgeber mir am Spitalbett anbot, meinen Arbeitsplatz umzubauen, schlug ich sofort ein. Ich wollte unbedingt arbeiten. Ich denke, die Zeit war entscheidend. Wenn man sich zu lange zurückzieht und der Schock nachlässt, dann kommt man bald in die falsche Richtung. Ich will selbstständig sein. Aber es muss auch Angebote geben, damit man überhaupt eine Chance hat. Triponez: Fast jeder Behinderte hat irgendeine Stärke. Die Hauptaufgabe ist, herauszufinden, wo man ihn abholen kann, worin er gut ist. Das muss man entwickeln, allenfalls auch mit einer Zusatzbetreuung, um dann ganz gezielt im Arbeitsmarkt eine Stelle suchen zu können. Bei der Stiftung «Intégration pour tous» (Triponez ist deren Präsident) haben wir 40 Prozent Vermittlungserfolg. Kommen wir zurück zur Vorlage, über die wir am 27. September abstimmen: Herr Triponez, wie machen sie einem Kleinunternehmer die Mehrwertsteuer-Erhöhung schmackhaft? Triponez: Der Kleinunternehmer will keine Schuldenwirtschaft und darum unterstützt er diese Vorlage. Er weiss aus seiner Tätigkeit, dass man investieren muss. Dafür erwartet er aber eine Rendite. Wenn es uns in den sieben Jahren nicht gelingt, die IV zu sanieren, dann wird es schwierig, ihn noch einmal für eine Neufinanzierung zu gewinnen. Angesichts der Rezession wird gesagt, jetzt sei der schlimmste Moment, um Steuern zu erhöhen. Man müsse die Mehrwertsteuer sogar senken. Triponez: Das stimmt auch. Gewerbe- und Arbeitgeberverband haben sich gegen die Einführung am 1. Januar 2010 gewehrt. Die rezessive Phase dauert wahrscheinlich bis ins nächste Jahr hinein. Darum haben wir das um ein Jahr verschoben, mit der Konsequenz, dass die Schulden in diesem Jahr noch einmal um 1.5 Milliarden Franken ansteigen. Frei: Wir sind auch nicht bereit, in guten Zeiten Steuern auf die Seite zu legen und vorzusorgen. Triponez: Das sind wir eigentlich nie. Auch die Arbeitslosenversicherung wird mehr Geld brauchen, die Krankenversicherungen werden teurer. Die Sozialwerke werden insgesamt zu einer grossen Belastung. Aber es ist nie gut, Steuern zu erhöhen. Schenker: Als wir die Vorlage verabschiedet haben, war die Situation noch besser. Auch in zwei Jahren wird der Zeitpunkt nicht ideal sein. In den letzten Monaten wurde klar, dass diese Vorlage politisch breit abgestützt ist, dass alle, die es versprochen haben, sie jetzt auch wirklich mittragen. Diese Vorlage ist eine einmalige Chance.

Schenker: Es gibt zwei Möglichkeiten, um die IV zu finanzieren: Entweder über Lohnabzüge oder über die Mehrwertsteuer. Andere Möglichkeiten gibt es nicht. Das muss dann wieder vors Parlament, dann gibt es wahrscheinlich ein Referendum, das würde dauern und in dieser Zeit wachsen die Schulden weiter. Befürworter der Zusatzfinanzierung behaupten aber, im Falle der Ablehnung müssten Renten um bis zu 40 Prozent gekürzt werden oder das Vermögen der AHV werde aufgebraucht. Triponez: Die AHV hat noch Reserven. Aber mittelfristig werden sie knapp. Man hat ausgerechnet, dass man bei 40 Prozent tieferen Renten mit den heutigen Finanzen fahren könnte, aber damit wären die Bezüger nicht mehr existenzfähig. Was würde das für Sie heissen, Herr Frei, 40 Prozent weniger IV? Frei: Ich habe eine 50 Prozent-IV-Rente und arbeite 50 Prozent. Wenn man das Wasser am Hals hat, dann findet man vielleicht schon noch mal eine Möglichkeit sich einzuschränken. Aber da bleibt dann gar kein Zückerchen mehr. Schenker: Es würde einfach dazu führen, dass die Ergänzungsleistungen erhöht würden. Das wäre für den Staat auch keine Einsparung. Triponez: Ich habe noch keinen SVPler erlebt, der vorschlug, die IVRenten zu kürzen. Was sie schon vorschlugen, war, die IV-Renten, die im Ausland bezogen werden, der Kaufkraft anzupassen. Das müsste aber auch für die AHV gelten. In der EU können wir das gar nicht, weil dies das Sozialversicherungsabkommen verletzen würde und in den anderen Ländern wäre die Kontrolle schwierig. Schenker: Der Aufwand wäre gigantisch, der Ertrag gering. Triponez: Ausserdem möchte ich weiterhin die Möglichkeit haben, meinen Ruhestand in Spanien zu verbringen, ohne deswegen auf einen Teil meiner AHV verzichten zu müssen. Ist Ihnen schon etwas gekürzt worden, Herr Frei? Frei: An Neubezüger und Leute, die nach der letzten Revision geheiratet haben, werden keine Eherenten mehr ausbezahlt. Sollte ich wieder heiraten, erhielte ich somit weniger als vor meiner Scheidung. Triponez: Man sollte den Leuten keine falschen Vorstellungen machen und behaupten, man könne die Probleme nur mit Sparmassnahmen beheben. Es ist noch etwas Luft im Schlauch, aber nicht so viel, dass man damit die Probleme lösen könnte. Wie konnte die Anzahl der IV-Beziehenden so ansteigen, wie sie das in den letzten 20 Jahren tat? Triponez: Sie stieg in der Schweiz nicht mehr als im internationalen Durchschnitt. Die rein körperlichen Fälle sind einigermassen stabil. Es sind die psychischen Erkrankungen, die zugenommen haben.

Wie viel kostet die Mehrwertsteuererhöhung eine einzelne Person. Triponez: Bei Lebensmitteln sind es 0.1 Prozent. Ein Einkauf von 100 Franken wird einen Rappen teurer. Andere Pierre Triponez: Produkte werden 0.4 Prozent höher besteuert. «Das jährliche Defizit beträgt anderthalb Milliarden. Die MissSchenker: Im Durchschnitt aller Schweizer Haushalte, egal welchen Einkommens, sind es brauchsbekämpfung bringt ein paar Millionen. Das reicht nicht.» ungefähr 13 Franken pro Monat. Schenker: Es war eine Zeit lang für die Arbeitgeber relativ einfach, Angestellte an die IV abzuschieben. Da brauchte man kein schlechtes GeDas tönt harmlos. wissen zu haben. Ich sagte ja schon, es braucht ein Umdenken auf alTriponez: 13 Franken sind 13 Franken. Bei tieferem Einkommen ist es len Seiten, damit uns dieses wichtige Sozialwerk erhalten bleibt. sogar noch weniger. Es ist keine grosse Belastung, aber sie kommt zu allen anderen Belastungen dazu. Herr Triponez, wo mussten Sie in Ihrem Lager besonders hart arbeiten, um die Leute für die Vorlage zu gewinnen? Was bedeutet es, wenn die Vorlage nicht angenommen wird? Triponez: Der Wirteverband ist abgesprungen, weil man die MehrTriponez: Es wäre nicht die sofortige Katastrophe. Es würde wohl nichts wertsteuer nicht für alle gleich stark erhöht. Im Restaurant zu essen anderes übrigbleiben, als bei noch mehr Schulden über Lohnprozente das wird 0.4 Prozent teurer, Lebensmittel in der Migros zu kaufen nur gleiche Ziel anzustreben. Was wir nicht können, ist Renten kürzen. Um 0.1 Prozent. Konsens gab es nie. In fast allen Lagern spürte ich aber, den Missbrauch stärker zu bekämpfen braucht es mehr Personal. Da lasdass man diese Lösung für vernünftig hält. sen sich bloss ein paar Millionen Franken holen, das bringt auch nichts.

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Was war bei den Linken besonders umSilvia Schenker: stritten? «Eine IV-Rentenkürzung würde dazu führen, dass die ErgänSchenker: Ein Punkt war die Mehrwertsteuer zungsleistungen erhöht würden. Das wäre keine Einsparung.» statt der Lohnprozente. Der andere ist eine gewisse Sorge um die IV. Die AHV ist nach dieser Frei: Man darf nicht fatalistisch werden und muss zu seinem Körper Lösung in einer guten Situation. Die IV hat eine schwierige Aufgabe immer noch Sorge tragen. Ich bin seit 31 Jahren im Rollstuhl und habe vor sich. seither keinen einzigen Tag im Spital verbracht. Da habe ich auch Triponez: Aber wenn es ein Nein gibt, dann wird die Aufgabe noch viel Glück gehabt. Aber gerade die Anfangszeit, in der man viel vermisst schwieriger und der Spardruck noch viel grösser. und seine Trösterchen sucht – das kann Alkohol sein, Drogen oder auch Frei: Ich fände es wirklich tragisch, wenn wegen des polemischen Arzu viel Essen –, ist gefährlich. Man droht noch mehr Selbstständigkeit guments um den Missbrauch die Abstimmung verloren ginge. Denn das einzubüssen, zum Beispiel, wenn man als Querschnittgelähmter 20 Kiwürde die überwiegende Mehrheit der wirklich Bedürftigen treffen. Ich lo zu schwer ist. Mir hilft der Sport sehr. Aber das ist kein Patentrezept begegne immer wieder Menschen, die dank der IV zwar ihre Wohnung und funktioniert nicht bei allen. umbauen konnten, sonst aber ein unheimlich enges Budget haben. ■ Man lebt also nicht auf grossem Fuss als IV-Bezüger. Frei: Nein. Wenn ich nicht die Chance hätte, aufgrund meiner Voraussetzungen für mein Glück sorgen zu können, dann wäre meine Situation ziemlich trostlos. Aber beides zusammen, eine IV-Rente und die eigene Anstrengung ermöglichen ein gutes Leben? Frei: Genau. Ich kann meinem Glück nachhelfen, das ist meine Selbstverantwortung. Dazu möchte ich jeden Betroffenen motivieren, der die körperlichen Möglichkeiten hat und mit einem gesunden Kopf durch die Welt gehen kann. Da gibt es noch viel Arbeit. Schenker: Die Unterstützung durch die IV und ihre Eigenleistung zusammen machen das möglich. Es ist nicht Entweder-Oder, sondern ein Miteinander.

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Bio-Kasten Die Sozialarbeiterin Silvia Schenker ist Nationalrätin der SP BaselStadt und Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. Sie arbeitet an der Universitären Psychiatrischen Klinik in Basel. Der Jurist Pierre Triponez war bis 2008 Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands. Für die FDP Bern sitzt er im Nationalrat und ist Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. Heinz Frei aus Etziken (SO) ist der erfolgreichste Rollstuhlsportler der Welt. Seit einem Sportunfall mit 20 Jahren ist er querschnittgelähmt. Der gelernte Vermessungszeichner arbeitet als Sportreferent für die Schweizerische Paraplegiker-Vereinigung.

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BILD: ZVG

Eine Mannschaft, ein Ziel – obere Reihe: Haielom mit Gast Gürkan Sermeter, Betreuer Olivier, Trainer David und Santiago. Untere Reihe: Nathan, Kiflom, Diego, Urs und Yvan.

Strassenfussball Der Geist von Ramello Der Homeless World Cup 2009 in Mailand ist vorbei. Zum Titel hat es uns nicht gereicht. Doch allein schon an einer WM teilzunehmen, war für die Spieler unseres Nationalteams ein grosser persönlicher Erfolg. Darauf vorbereitet hatte sich das Team von Surprise Strassensport in einem Trainingslager im Tessin. Hier der Bericht. Texte und Bilder zur WM folgen in der nächsten Ausgabe. VON OLIVIER JOLIAT

Die Funktionäre des Schweizerischen Fussballverbandes kalkulieren und artikulieren staubtrocken. Doch geht es um die Wahl des Nati-Trainingslagers, beschwören sie den «Guten Geist von Feusisberg». Auch Spieler und Coachs schwärmen nicht vom Luxus-Spa im Fünfsternepalast ob dem Zürichsee. Nein, sie preisen den Geist von Feusisberg. Trainingscamps sind in Zeiten des Technikglaubens die letzten Hochburgen der Mystik. Die Surprise Strassensport Nati hat noch keinen Weltmeistertitel. Sie hat aber mit der Fattoria Ramello im Tessin das perfekte Trainingscamp mit Stil und Herz gefunden. Der Bauernhof bei Contone bietet alles, was das Sportlerherz begehrt: Frische Luft, gesundes Essen und beste Trainingsmöglichkeiten. Die Streetsoccer Arena steht zwischen Kuhstall

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und Melkstation. Taktiklektionen finden auf der Heubühne statt. Es gibt zwar kein Luxus-Spa, aber einen Swimmingpool. In solch rustikaler Umgebung trainierte schon Sylvester «Rocky» Stallone erfolgreich gegen das scheinbar übermächtige Russland. Die Russen sind auch im Ranking des Homeless World Cup (HWC) die Nummer eins und seit dem Rückzug von Weltmeister Afghanistan zudem die erfolgreichste Mannschaft des letzten HWC in Melbourne. Noch vor dem Frühstück joggt die Mannschaft ihre tägliche Runde. Vorne weg Stürmer Haielom und Goalie Kiflom. Kein Wunder, schliesslich waren die beiden vor ihrer Flucht aus Eritrea Läufer. Haielom war gar Landesmeister über 100 und 200 Meter. Dahinter wird das Keuchen lauter und die Schritte langsamer. Hier kommen die Surprise Strassensport Schweizer Meister 2009 vom FC Glattwägs United aus Schwamendingen. Den Spielern wird im Verlauf des Trainingslagers jedoch zuSURPRISE 209/09


BILD: OLIVIER JOLIAT

Teambildung im Pool: Immer dabei – der Ball.

BILD: OLIVIER JOLIAT

nehmend egal, ob sie aus «FC Züri olé»-Town stammen, aus Bern oder Afrika. Für diesen kurzen Moment ist auch in den Hintergrund gerückt, dass man keine Lehrstelle oder Arbeit hat. Man ist nun ein Team: Die Schweizer Nationalmannschaft für den Homeless World Cup. Das bekommt Gürkan Sermeter zu spüren, als er am Donnerstag nach einem gemeinsamen Training mit der Nati zum Testspiel aufläuft. Um die Fussballarena herum beobachten Journalisten von TV, Radio und Zeitungen gespannt, wie sich die Nationalmannschaft gegen das Team um den technisch versierten Mittelfeldregisseur der AC Bellinzona schlägt. Presse wie Sermeter staunen gleichermassen, wie SurpriseSpieler und Bälle an ihnen vorbeipfeifen. Nach kurzer Zeit steht es 3:0 für die Strassenfussballer. Noch vor kurzem lebte die Nationalmannschaft von schönen Einzelaktionen. Das reichte beim Testspiel gegen ein Berner All-Star-Team mit YB-Kultspieler Thomas Häberli zu einem respektablen 5:5 Unentschieden. Der Match ist jedoch vorbei und die Surprise Nati hat sich seither weiterentwickelt. Abwechselnd passen Santiago, Diego und Yvan die Bälle in die antrainierten Laufwege der Stürmer Nathan und Haielom. Das letzterer pfeilschnell ist, kann man sich ausmalen. Wie Raketen gehen auch seine Schüsse ab. Seit dem Schusstraining finden sie auch den Weg ins Tor. Und so steht es im Tessiner Testspiel nach den ersten sieben Minuten bereits 6:1 für die Nati. Eine kurze Nachlässigkeit der Führenden zu Beginn der zweiten Halbzeit nutzen Sermeter und Co., um bis auf 6:4 zu verkürzen. Eine Rhythmusverschärfung der Strassenfussballer sorgt jedoch für nasse T-Shirts und rote Köpfe bei den Gegnern – und zu einem überlegenen 10:5 Endstand. Auch neben dem Feld ist das Team, trotz unterschiedlichen Lebensgeschichten, immer besser eingespielt. Alters- und Mentalitätsunterschiede sind beim Wasserball im Pool schnell überwunden. Trotz der Warnung von Trainer Möller, wegen Verletzungsgefahr einen Minimalabstand zum Gegner zu wahren, entwickelt sich das Spiel schnell zum spassigen Massengerangel. Pathosschwangere Weisheiten wie «die Mannschaft wurde eins, vereint durch den Ball» verlieren bei diesem Menschenknäuel alle Metaphorik. Und während Kiflom auch im Wasser tapfer seinen Kasten verteidigt, entwickelt sich der andere Goalie, Teamsenior Urs, ganz entgegen seiner bernerisch ruhigen Art zum Brecher im Sturm. Gemeinsam ist den Spielern auch der etwas andere Blick. So fühlt sich Yvan beim Teamausflug ins pittoreske Touristenstädtchen Ascona fremd, weil er sich bei den Preisen im Schaufenster der Boutiquen nicht mal einen Gürtel leisten könnte. Kiflom kommt beim Anblick der kleinen Boote an der Uferpromenade die Überfahrt von Afrika nach Italien in den Sinn. Nur, dass da gut 20 Leute in so einem Boot übereinander lagen. Der gemeinsame Glacéschmaus lässt solche Gedanken in den Hintergrund rücken. Dass die vorbei promenierenden Leute mehr oder minder verstohlene Blicke auf die Jungs im Teamlook werfen, ist für die Nati dennoch etwas ungewohnt. Für die meisten Spieler ist auch der Text der Schweizer Nationalhymne neu. Aber Hand aufs Herz: Wer von uns Eingeborenen kommt denn selber schon über die ersten zwei Sätze raus? Eine Schande, wie Yvan findet. Er nimmt sich vor, den Text bis zum Homeless World Cup zu kennen. Zumindest die erste Strophe. ■ Mehr zum Homeless World Cup auf: http://blog.strassensport.ch

Trainer David Möller (vorne) macht seine Spieler fit für Mailand. SURPRISE 209/09

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BILD: ISTOCKPHOTO

Jungmütter Ich, die komische Teenie-Mama Wer heute Kinder bekommt, ist oft schon über 30. Unsere Autorin aber hat in diesem Alter eine fast erwachsene Tochter. Ein persönlicher Essay über Elternabende, Einsamkeit und die Tücken von Trainerhosen. VON YVONNE KUNZ

Fast automatisch vollzieht sich bei jungen Müttern, wovor Psychologen immer eindringlich warnen: Die Umkehr der Mutter-Kind-Funktionen. Schon als Dreikäsehoch erinnerte mich Nadine an meine Zuständigkeit für ihre Sicherheit, wenn ich mit ihr bei Rot über die Strasse ging. Schimpfte, wenn ich zu spät kam, also immer. Und wies auf die Gefahren des Rauchens hin. Noch heute telefoniert mir meine Tochter nach, um sicherzustellen, dass ich nicht in einer Trainerhose zum Elternabend erscheine. Elternabende sind ganz generell hässliche Kulminationspunkte der Problematik. In der Primarschule gings ja

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noch, vor allem in unserem Wohnkreis in Zürich, wo vor allem Immigranten leben. Denn die haben ihre Kinder auch vor 25. Nun aber, am Gymnasium, ist man unter all den ergrauten Elternpaaren als alleinerziehende Jungmutter sowieso der Freak. Trainerhose hin oder her. Ein Foto der Klasse wird an die Wand gebeamt, Kind für Kind benannt und die Eltern müssen aufstehen und sich vorstellen. Wenn ich aufstehe, wird geglotzt, wie halt geglotzt wird, wenn unter all den weissen Schafen plötzlich eins pink ist. Nach den geballten Informationen über Profilwahl, Sachbeschädigung und Absenzensystem von Klassenlehrer, Rektor und Prorektor würde ich mich gern verdrücken. Aber nix da, ich muss auf Nadines Geheiss beim geselligen Teil mit Orangensaft SURPRISE 209/09


und Paprika-Chips meine Aufwartung machen. Kritischer Moment. All die anderen Eltern kennen sich und die Lehrerschaft, begrüssen einander wie alte Freunde und erkundigen sich gegenseitig nach dem Wohlergehen des Nachwuchses. Aber mir, dieser komischen Teenie-Mama, mag niemand seinen neuesten Klatsch anvertrauen. Während nun die Eltern paarweise mit den Lehrpersonen die Schwierigkeiten ihrer Sprösse bei der Vektorgeometrie oder bei der Bildung des Subjonctifs erörtern, stürze ich stets in ein schwarzes Loch in meinem eigenen Hirn. So fühlt es sich zumindest an. Aus Verzweiflung heraus sage ich dann meist irgendetwas Blödes wie «Wegen Ihnen geht Nadine jetzt nach Rom in die Ferien» zum Lateinlehrer. Schliesslich schaffe ich es doch, mich mit einer Frage an den Klassenlehrer zu wenden, der dann sofort auf die schlechten Leistungen meiner Tochter zu sprechen kommt. Weil er mich nicht ernst nimmt, dauert es fünf peinliche Minuten, bis er merkt, dass er die Noten eines Jungen mit dem gleichen Nachnamen meint. «Die ist ja sexy» Auf dem Nachhauseweg dann Gewissensbisse und Grübeleien: Warum steht meine Tochter auf David Caruso, den Obermacker aus der Fernsehserie «CSI: Miami» und auf den 50-jährigen Sänger Jarvis Cocker, während die andern Mädchen für den 21-jährigen TV-Star Zac Effron schwärmen? Aus ihrem Zimmer dröhnen nicht die typischen Teenie-Acts wie Pussycat Dolls, sondern Hits aus den Sechzigern und Songs obskurer Indie-Rocker. Ich weiss nicht, wie sie mit Vektorgeometrie zurecht kommt, dafür aber wie gut oder schlecht der letzte Junge küsste und wie viel Wodka sie dabei intus hatte. Ihr Generationenverständnis ist wohl völlig verdreht, wenn der Liebhaber der Mutter nur wenige Monate älter ist, als die Verehrer der Tochter. Ist die Trainerhose etwa wirklich eine Metapher für mein Desinteresse an ihrem Leben, wie sie mir auch schon vorgeworfen hat? Was gebe ich Nadine da bloss mit auf den Weg? Eine Reihe psychischer Probleme? Manchmal meint sie bedrückt, dass sie gerne auch Shopping toll finden würde, so hirnlose, konsumorientierte Beschäftigungen halt. Gamen vielleicht. Oder Bong-Rauchen. Aber nein, es deprimiert sie, sie liest lieber «Ulysses». In Englisch. Und während es für andere Kids das höchste der Gefühle ist, in den Nobelklub Kaufleuten zu gehen, ist das für sie der ehemalige Arbeitsplatz der Mutter, wo sie als Dreijährige Kerzli anzündete, bis der Babysitter sie abholte. Habe ich ihr durch meine Jugend ihre gestohlen? Oder umgekehrt? Noch 1960 bekam in der Schweiz jede dritte Frau vor 25 ihr erstes Kind, heute sind es noch zehn Prozent. Fünf Prozent der Erstgebärenden sind heute über 40 Jahre alt sind, das Normalter für das erste Kind liegt zwischen 30 und 35, aktueller Mittelwert: knapp 31 Jahre. Ich war 21. So ist auch statistisch belegt, was Mutter in diesem Fall fühlt: eine gewisse Einsamkeit. Man ist eine krasse Minderheit, und wie es so ist mit Minderheiten, kaum der Rede wert, medial völlig unzulänglich begleitet. Einen Vollhammer lieferte neulich der Mama-Blog, dieses biedere Machwerk der oberflächlichen Erregung des Tagesanzeigers. Dort wurden gerade Mütter gebasht, die aussehen wollen wie ihre Töchter. Nicht ganz normal sei das. Und weiter: «Wirklich krank ist es, wenn eine Mutter tatsächlich aussieht wie ihre Tochter.» Man solle doch die «Grenzen der Mutterrolle» bitte schön respektieren. Danach fühlte ich mich wie nach einem Elternabend: pubertär. Mit 37. Von der ganzen Welt ganz und gar unverstanden. Was heisst denn hier aussehen wollen wie die Tochter? «Holländische Zwillinge.» «Geiles Doppel in Blond». So werden wir nämlich oft gesehen, meine 16jährige Tochter und ich. Wenn wir zusammen abtanzen oder uns am Strand räkeln. Wenn dem Mädchenschwarm von Tochters Schule beim Anblick meines Profilbilds auf Myspace entfährt: «Die ist ja sexy.» Oder wenn wir beim Check-in nach einem Brief der Eltern gefragt werden.

Schöne Anekdoten, über die wir oft und gerne lachen und mit denen man an Stehpartys aller Art beim Smalltalk bestens punkten kann. Nicht mehr lustig fand ich das allerdings, als mir an der Hotelrezeption gesagt wurde, sorry, man müsse volljährig sein, um ein Zimmer zu mieten. Natürlich schmeichelts, dennoch sind mir die dauernden Jugendbestätigungen inzwischen zuwider. Immerhin steht da meine Tochter neben mir! Und schliesslich hat man ja als erwachsene, studierte Frau und Mutter durchaus mehr zu bieten als grosse blaue Augen und eine anmächelige Hinteransicht. Gegen den Strom des Jugendwahns Und das sind erst die Äusserlichkeiten. Fast härter trifft es mich, wenn die Tochter plötzlich die cooleren Sprüche drauf hat, erfolgreicher ist in der Schule – und sie umgekehrt betupft reagiert, wenn manchmal mein Job vorgeht. Diese Innenansichten sind viel diffuser. Es ist nicht nur witzig, sondern einfach verwirrend, wenn einen beim Bierkauf an der Tankstelle die Kassenfrau, keine 25, prüfend von oben bis unten mustert und schliesslich den Ausweis sehen will – während man selbst gerade in seine erste tiefe Midlife-Crisis abrutscht. Denkt, es sei irgendwie alles vorbei, den baldigen Auszug seines Kindes vor Augen, das Ende eines immerhin 20-jährigen Lebensabschnitts. Mit einer Deutlichkeit obendrein, wie sie andere Nicht-mehr-Junge und Nochnicht-Alte nie erleben. Klar, 50 ist das neue 30, wie rundum verkündet wird. Deshalb hab ich trotzdem mit 40 eine erwachsene Tochter. Um-

«Habe ich ihr durch meine Jugend ihre gestohlen, oder umgekehrt?»

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gerechnet also mit 20. Das Resultat ist eine merkwürdige Form der inneren Entfremdung, in der die eigene Persönlichkeit vorübergehend verschwimmt. Man schwimmt plötzlich gegen den Strom des Jugendwahns und möchte unbedingt älter wirken, älter sein vielleicht. Die Generationenfolge klarer vor Augen haben, sich besser verorten können. Aber eben. Solcherlei trübes Gedankengut ereilt einen vor allem nach Elternabenden und Mama-Blog-Lektüren oder diesen Momenten, in denen einem im Tankstellenshop vorübergehend der Sinn des Lebens abhanden kommt. Meistens empfinde ich flache Generationenfolgen als Chance zu eindrücklichen Einblicken, zu nüchternen Nahaufnahmen in beide Richtungen. Das Allerbeste sei, sagt Nadine, dass sie mit mir offen über ihre Probleme und Erlebnisse reden könne, während andere Eltern keine Ahnung haben, was los ist mit ihren Kindern, weil es keine Möglichkeit zur Kommunikation gäbe. Dass ich ihr Alkohol nicht verbiete, sondern empfehle, immer auch genug Wasser zu trinken. Umgekehrt ermöglicht die offene Kommunikation Vertrauen – wenn man weiss, was läuft, dann macht es auch nichts, wenns fünf Uhr morgens wird. Sei es bei der Mutter oder der Tochter. Nur etwas gibt mir wirklich zu denken: Dass ich nur dann Komplimente für meine Kleider kriege, wenn ich welche von Nadine trage. ■

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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

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Kurzgeschichte

Die Frau am Fenster JOHN VON DÜFFEL

Seit Jahren war sie nicht mehr um diese Zeit zu Hause gewesen, schon gar nicht an Werktagen, wenn die Zubringer rauschten und die Stadt unter einer Glocke aus dröhnendem Dunst versank. Sie spürte die Arbeit der anderen bis in ihre Wohnung hinein, in der sie die Lichter brennen liess, damit sie ihr nicht so fremd erschien. Erst jetzt fing sie an zu verstehen, was es hiess, in dieser Siedlung zu leben. Ausser ihr und ein paar Putzfrauen existierte hier zwischen acht und achtzehn Uhr kein Mensch. Die Zeit war nicht das Problem, sie verschwand einfach. Was sie wunderte, war die Vielzahl von Leuten, die an die Haustür kamen, Paketboten, Drücker, Spendeneintreiber. Hatte sich nicht herumgesprochen, dass es hier in der Gegend nichts zu holen gab? Oder konzentrierten sie sich auf die wenigen Häuser, in denen es Zeichen von menschlichem Leben gab? Wussten sie etwa von ihr? Sie beschloss, die Vorhänge tagsüber nicht mehr zu öffnen. Es kostete zu viel Kraft, all die Briefzustellungen und Päckchen abzuwehren, die an Nachbarn adressiert waren, die sie nie zu Gesicht bekam. Ihr Zuhausesein machte sie angreifbar. Sie hatte nicht mitgezählt, was für ein Tag heute war, aber sie spürte, wie das Wasser in den Leitungen einmal mehr aufhörte zu zirkulieren und das ganze Gebäude verstummte. Der kurze Schlagabtausch der Autotüren auf dem Parkplatz, startende Motoren in der Frühe, hier und da ein singender Keilriemen, dann schloss sich die Stille um sie wie eine Faust. Es war gegen elf, als der Mann mit dem Pony klingelte. Sie sah ihn durch den schmalen Vorhangschlitz, den sie gelassen hatte. Er drückte auf dem Klingelbrett herum und schwenkte seine Sammelbüchse vor der Gegensprechanlage, wie um sich Gehör zu verschaffen. Seine bunte Weste erinnerte an einen Mexikaner, war aber vermutlich Zirkustracht. Sie hatte augenblicklich den Geruch von feuchten Sägespänen in der Nase. SURPRISE 209/09

Der Mann klingte immer noch einmal, er war hartnäckig. Vielleicht wusste er Bescheid über sie, vielleicht war er auch einfach nur verzweifelt. Für einen Moment befürchtete sie, das Pony, das er an einem Strick mit sich zog, könnte ihren Blick bemerken. Doch das Tier mit der farblosen, filzigen Mähne schüttelte sich nur einmal kurz und schaute dann weiter mit glasig bis milchigen Augen stumpf vor sich hin. Sie verharrte an der kühlen Fensterscheibe regungslos, atmete kaum. Dann zog der Pony-Mann weiter. Für elf Uhr am Vormittag war es merkwürdig dunkel. Es fing an zu regnen. Die Frau mit dem Schirm sah aus, als bräuchte sie Hilfe, deswegen ging sie die wenigen Stufen durchs Treppenhaus und öffnete die Haustür eigenhändig. Vielleicht war eine Stunde vergangen, vielleicht auch mehr. Sie brachte es nicht fertig, sich noch länger tot zu stellen. Der Frau war die Störung sichtlich unangenehm. In ihrem runden, dicklichen Gesicht zeigte sich echte Verzweiflung darüber, dass sie als Bittstellerin von Tür zu Tür gehen musste. Ein Namensschild auf Brusthöhe wies sie als Leiterin einer Beratungsstelle aus. Die Stadt habe die Zuschüsse für ihre Einrichtung um die Hälfte gekürzt, unter diesen Umständen könne sie ihre Arbeit nicht fortsetzen, sie habe nicht einmal genügend Helfer, um Spenden einzuwerben, sondern müsse ausserhalb der Sprechstunden selber Klinken putzen gehen. Dafür sei sie nicht ausgebildet, sie könne das nicht. Sie sei Akademikerin. Ihr zuzuhören, tat ausgesprochen gut – es handelte sich um eine gebildete Frau, zweifellos. Sie hätte sich gern länger mit ihr unterhalten, ihr vielleicht sogar die eine oder andere Frage gestellt. Doch schon nach wenigen Sätzen wurde ihr kalt. Sie entschuldigte sich und schloss die Tür. Danach war sie merkwürdig aufgekratzt. Die Frau mit dem Schirm tat ihr aufrichtig leid, und so schwebte sie eine Weile durch ihre Wohnung, getragen von einer Woge des Bedauerns und der Überlegenheit. Wenn jemand unsicher wirkte, gab ihr das Sicherheit, wenn jemand verzweifelte, wurde sie stark. Das war noch immer so.

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Der Regen hatte zugenommen. Unter der tiefhängenden Wolkendecke war die Stadt verschwunden. Der Mann in der signalroten Rettungssanitäter-Jacke kam mitten hinein in ihren Tanz, sonst wäre sie nie so übermütig gewesen, ihm gegenüberzutreten. Es regnete inzwischen in Strömen, und sie wunderte sich zum ersten Mal, seit sie hier wohnte, dass bei einem Neubau wie diesem niemand an ein Vordach gedacht hatte. Sie konnte den Mann nicht hereinlassen, das war klar. «Danke, dass Sie mir überhaupt aufmachen», sagte er, als sie sich ihm in den Weg stellte, «Ihre Nachbarin hat mich nur vom Fenster aus gesehen und den Kopf geschüttelt, sie hielt es nicht einmal für nötig, zur Tür zu kommen.» Der Mann im Regen sah sie an, sie, zwischen Tür und Angel, nickte nur. Er wirkte resigniert, fast verbittert, aber vielleicht gehörte das zu seiner Masche. Von einer Nachbarin um diese Zeit hatte sie noch nie etwas gehört. Er musste sie erfunden haben. Dennoch hatte sie augenblicklich das Gefühl, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen. Ihr gefiel der Gedanke, besser zu sein als ihre Nachbarin, ob es sie nun gab oder nicht. «Wenn Sie sich das einmal ansehen wollen …» Der Mann kramte eine leicht verblasste Broschüre mit Fotos von einem Rettungsfahrzeug hervor und hielt sie ihr hin. «Der Wagen selbst ist leider rund um die Uhr im Einsatz. Wir werden ständig gebraucht.» Sie wunderte sich, warum er dann hier in voller Montur von Haus zu Haus ging, anstatt Menschen zu retten. Nicht auszuschliessen, dass er gar kein echter Sanitäter war. «Was kann ich für Sie tun», erkundigte sie sich matt und schaute an dem Mann vorbei in den Regen, der in geraden Bahnen fiel. Es ging um Spenden für den Rettungsdienst einer Wohlfahrtsorganisation, die Schwierigkeiten hatte, ihren Fuhrpark zu erhalten. Menschenleben hingen davon ab, beteuerte der Mann. Er trug eine rechteckige

Brille. Seine Augen hinter den klobigen Gläsern wirkten gross und treuherzig, offenbar war er weitsichtig. Tropfen sammelten sich am unteren Brillenrand. Er setzt seine Kapuze nicht auf, dachte sie, wahrscheinlich will er sich fühlen wie ein begossener Pudel, das hilft ihm beim Betteln, er möchte so aussehen wie in Tränen aufgelöst, er ist auf mein Mitgefühl aus. «Alles, was Sie zum Erhalt dieses Fahrzeugs beisteuern müssten, wäre ein Monatsbeitrag im Gegenwert von einem Pfund Kaffee», erklärte der Mann mit der weinenden Brille. «Was kostet denn ein Pfund Kaffee bei Ihnen?» Es gelang ihr, den Satz wie einen Scherz klingen zu lassen, doch sie wusste es wirklich nicht. Es war so lange her, dass sie welchen gekauft hatte. «Das kommt darauf an, was für Kaffee Sie bevorzugen, ob aus dem Supermarkt oder dem Feinkostgeschäft …» «Fünf Euro?» riet sie. «Das wäre kein schlechter Kaffee.» Wollte er sich bei ihr zum Kaffee einladen? Hatte er den Vergleich deshalb ins Spiel gebracht, damit sie ihn auf eine Tasse hereinbat? Für einen Moment hielt sie inne und horchte, als hätte sie in ihrer Wohnung ein Geräusch gehört. Dann wandte sie sich ihm wieder zu. «Ich trinke keinen Kaffee im Moment, ich stille.» Der Mann sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, vielleicht glaubte er ihr nicht, vielleicht war er auch nur überrascht. Traute er ihr nicht zu, Mutter zu sein? Sie senkte den Blick und bemerkte, dass er weisse Arzthosen trug und ebenso weisse Gesundheitsschuhe mit Korksohlen, die völlig durchnässt sein mussten. «Ich würde Sie ja hereinbitten», fuhr sie fort, «aber ich habe den Kleinen gerade erst beruhigen können, und er hat einen sehr leichten Schlaf.» Sie sagte ihm, was sie allen sagte. Dann hob sie wieder den Kopf. «Wie alt ist denn Ihr Kind?»

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John von Düffel, geboren 1966 in Göttingen, promovierte 23-jährig über Erkenntnistheorie und war danach als Theater- und Filmkritiker und als Übersetzer tätig. Im Thalia Theater in Hamburg hat er sich als Dramaturg einen Namen gemacht. Unter anderem hat er Thomas Manns «Buddenbrooks» auf die Bühne gebracht. 1998 schrieb er seinen Debütroman «Vom Wasser», eine grosse Hommage an das fliessende Element, und wurde dafür unter anderem mit dem aspekte-Literaturpreis des ZDF ausgezeichnet. Auch sein Roman «Houwelandt» erntete begeisterte Kritiken.

«Sieben Wochen», erwiderte sie, ohne überlegen zu müssen. «Wir hatten auch mal eins, meine Lebensgefährtin und ich», der Mann streckte ihr den Quittungsblock entgegen und einen Kugelschreiber. «Hatten?» «Es wurde überfahren, als es drei war, von einem betrunkenen Jugendlichen in einem gestohlenen Wagen, der von der Fahrbahn abkam. Es war sofort tot.» Der Regen ergoss sich unnachgiebig und hatte den Quittungsblock bereits aufgeweicht. Sie fing an zu schreiben. «Schrecklich», flüsterte sie, «das muss schrecklich für Sie sein.» «Ja», sagte der Mann unverändert, sicher hörte er das nicht zum ersten Mal, «meine Lebensgefährtin hat es nicht verkraftet, sie ist in psychatrischer Behandlung. Für mich war es leichter. Ich habe beruflich jeden Tag mit dem Tod zu tun.» Sie wollte einwenden, dass es ja wohl etwas anderes sei, ob man es mit fremden Verkehrsopfern zu tun habe oder mit dem Verlust des eigenen Kinds. Aber ihr fehlten die Worte oder der Mut dazu. Sie füllte das Formular weiter aus. «So richtig?» fragte sie. «Sie müssen dort unterschreiben», deutete er auf den untersten Abschnitt, der sich vor Nässe wellte. Die Brille des Mannes tropfte unentwegt, ein kleines Rinnsal schlängelte sich über den Bügel an seinem Ohr vorbei und lief ihm in den Kragen, ohne dass er eine Miene verzog. Warum setzt er nicht wenigstens seine Kapuze auf, dachte sie ein weiteres Mal, wie lange will er denn noch herumlaufen in diesem Zustand, aber sie fand, dass sie kein Recht hatte, ihn das zu fragen. Zweimal musste sie ihre Unterschrift nachzeichnen, weil der Kugelschreiber auf dem nassen Papier nicht schrieb. Dann gab sie dem Sanitäter den Block zurück. In der Spalte für den Monatsbeitrag hatte sie

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zehn Euro eingetragen. Jetzt schämte sie sich dafür. Es sah so aus, als hätte sie die Summe verdoppelt, weil er ihr leid tat – fünf Euro extra für sein totes Kind. Sie hoffte sehr, dass er sie belog und sich die Geschichte nur für sie ausgedacht hatte. Der Mann reichte ihr eine Durchschrift, die nahezu unleserlich war. An der Abrissstelle löste sich das Papier in seine Bestandteile auf. «Wenn Ihnen oder Ihrem Kind etwas zustossen sollte, auch im Ausland,», erläuterte der Mann, «haben sie durch Ihre Mitgliedschaft einen Anspruch auf Krankentransport in unserem Einsatzwagen.» Sie sah ihn an, als hätte sie nicht richtig gehört. Redete er wirklich von ihrem Kind, davon, dass ihm etwas zustiess? «Sie bekommen von uns einen Mitgliedsausweis zugeschickt, der sie zur kostenlosen Nutzung berechtigt», fuhr der Mann geduldig fort, «bitte führen Sie ihn immer bei sich, das erspart Ihnen und uns allerlei Ärger vor Ort, falls Sie den Wagen einmal brauchen.» «Wir wollen’s nicht hoffen», sagte sie ohne jede Freundlichkeit. Sie war jetzt fest entschlossen, ihm nicht zu glauben, kein einziges Wort. Wo war der Krankenwagen beim Tod seines Kindes gewesen, wo war er, als es ihn brauchte? «Also dann, schönen Tag noch und alles Gute für Sie und Ihr Kind!» Der Mann tippte zum Abschied mit zwei Fingern an seine Schläfe und zog dann den Kopf ein, um in den Regen zu tauchen. Die Steinplatten schwammen unter seinen Schritten. Sie sah ihm nach, bis er in der nächsten Einfahrt verschwunden war. Im ersten Moment verspürte sie das dringende Bedürfnis, bei sämtlichen Nachbarn zu klingeln und zu fragen, ob er ihnen allen dieselbe Geschichte erzählt hatte. Aber da war niemand, das wusste sie. Sie reckte noch einmal das Kinn und lauschte nach einem Geräusch aus ihrer Wohnung. Dann schloss sie die Tür und ging zurück in die Stille. ■

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BILD: KATJA VON DÜFFEL

John von Düffel


BILD: ANDREA GANZ

Le mot noir Sterben am Strand Letzthin im Stau am Zürcher Bellevue. Der Hund jammert schon die längste Zeit auf dem Rücksitz, da summt irgendwo in der Handtasche mein Handy. «Komm sofort in die Bretagne!», donnert Onkel Hervé in meinem Ohrstöpsel. «Was ist los?», versuche ich ruhig zu bleiben. «Die wollen Grossmutter nicht am Strand sterben lassen! Stört angeblich die Spaziergänger auf der Uferpromenade!» «Moment – WAS? Oh nein! Hier wird nicht gestorben!», brause ich auf, während mir plötzlich kochend heiss wird. «Sie ist 91! Da wird sie sich wohl zusammenreissen können!» Aber Onkel Hervé bleibt hartnäckig. «Sie sagt, sie stirbt und das will sie am Strand.» Ein Fetzen von Autofahrer klopft an mein Fenster: «Sie können einen Meter zufahren», informiert er mich. Ich ramme den ersten Gang ein und holpere auf die Stosstange vor mir zu.

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«Okay …», versuche ich einen kühlen Kopf zu bewahren. «Ähm … der Strand … hübsche Idee.» «Nein!», bellt Onkel Hervé in mein Ohr. «Jean Louis sagt, dann müsste er den Strand sperren und das tut er nur für Dreharbeiten!» «Nun ja, er ist der Bademeister, er wird es wissen», versuche ich den Informationsfluss einzuordnen. «Du musst mit ihm reden! Von dir will er was!» «Ich hab ihm vor 20 Jahren einen Korb gegeben!», zische ich genervt. «Schon vergessen?» «Dann heirate ihn jetzt!» «Was – ähm – ist mit einem anderen Strand? Einem, der etwas naturnaher ist?», weiche ich aus. «Wir haben die Sandbänke vorgeschlagen, die sieht man nur bei Ebbe!» «Und?» «Sie will nicht. Sie sei keine Kanalratte!» «Okay … dann also unbedingt die Uferpromenade», seufze ich. «Wegen der Erinnerungen», knurrt Onkel Hervé nun etwas gemässigter. «Erinnerungen?», werde ich misstrauisch. «Irgend so ein Kerl.» «Von vor oder nach dem Krieg?» «Wissen wir nicht, aber er ist längst gestorben. Ohne Bewilligung übrigens!» Auf dem Rücksitz ist es still geworden. Ich schnelle herum, um zu sehen, ob der Hund noch lebt. «Und was machen wir jetzt?», nuschle ich unruhig. «Ich hab dem Tourismusbüro eine Plakatwerbung vorgeschlagen», kommt Onkel Hervé in Fahrt. «Dinard – zum Sterben schön!» «Toller Slogan.» «Bien sûr! Das Problem ist nur, dass die Angst vor einem Ansturm haben.» «Tatsächlich?», hauche ich.

«Und wenn wir sie zu Hause sterben lassen und Poster vom Strand aufhängen?» «Sie sagt, nur über ihre Leiche.» «Aber warum?! Die Garage ist doch jetzt tipptopp gestrichen!» «Sie sagt, sie ist kein alter Döschwo.» «Okay … oh Mist!», atme ich tief durch. «Genau, mit dem Honorar für den Slogan hätten wir die Garage sogar beheizen können. Also musst du Jean Louis bezirzen!» «NEIN!», brülle ich entnervt in den Stau. Aber in meinem Ohrstöpsel rauschen schon irgendwo Wellen. Dann ist Jean Louis in der Leitung: «Gesperrt wird nur für Dreharbeiten!», bellt er ungehalten. «Verstehe», raune ich und sinke über dem Lenkrad ein. Aber wo sollen wir vor der nächsten Flut eine Filmcrew herkriegen? Ich muss aussteigen. Ich brauche Luft. «20 Zenti gehen noch», winke ich den Fetzen von Autofahrer an mich heran. Während ich rasend schnell an Boden verliere, höre ich in der Leitung ein «Jean Louis, kusch!» Dann ist Grossmutter am Telefon. «Chérie, hier läuft alles bestens!», triumphiert sie in mein Ohr. «Steh du nur ganz entspannt im Stau!»

DELIA LENOIR (LENOIR@HAPPYSHRIMP.CH) ILLUSTRATION: IRENE MEIER (IRENEMEI@GMX.CH) SURPRISE 209/09


Jubiläum Geglückte Trennung Mit der Aufteilung von einem auf zwei Trägervereine wurde vor fünf Jahren aus dem kulturellen Sozialprojekt RATS der soziale Kulturbetrieb Kulturmarkt.

Heute wissen nur gut Informierte, was hinter dem Betrieb des Zürcher Kulturmarkts steht. Das war nicht immer so. Ursprünglich von der christlichen Gruppierung CVJM als kulturelles Beschäftigungsprogramm für Jugendliche initiiert, wandelte sich der Verein RATS seit seinen Anfängen vor zwölf Jahren zu einem Qualifizierungsprogramm für stellensuchende Künstler – dem bis heute einzigen seiner Art in der Schweiz. Jährlich wurden von den Programm-Teilnehmern zwei Theaterstücke einstudiert und in den Räumlichkeiten im Zwinglihaus aufgeführt. Die Aufführungen erhielten jedoch weniger wegen ihres Inhalts Aufmerksamkeit, als dafür, dass da arbeitslose Künstler am Werk waren. «Wir wollten weg von diesem Image und unser kulturelles Angebot in den Vordergrund stellen», erzählt der Kulturmarkt-Leiter Fortunat Heuss. Deshalb wurde vor fünf Jahren der Verein Pro Kulturmarkt gegründet und so das Qualifizierungsprogramm und der Kulturbetrieb voneinander getrennt. Die schwierige Doppelfunktion, mit der das RATS-Projekt jonglierte, fiel weg. «So können die Personalschwankungen, die es in einem Qualifizierungsprogramm von Natur aus gibt, ausgeglichen und ein kontinuierlicher Kulturbetrieb garantiert werden», erklärt Heuss die Vorteile der Trennung. Seit fünf Jahren wirtschaftet der Kulturmarkt also in dieser Konstellation. Der Betrieb, vom Gastroangebot über die Bereiche Technik und Produktion bis hin zur Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, wird von Teilnehmern des Qualifizierungsprogramm RATS bestritten. Das Haus betreibt drei Kerngeschäfte: Die Gastronomie mit dem Mittagsrestaurant von Montag bis Freitag und dem Catering bei Abendveranstaltungen sowie die Raumvermietung – inklusive Betreuung der Saaltechnik sowie des Bar- und Kassenbetriebs – und die Bewerbung des Anlasses. Und dann ist da noch das Kulturprogramm, das sich aus Fremdveranstaltungen, eigenen Veranstaltungen, Koproduktionen und Eigenproduktionen zusammensetzt. «Bei Koproduktionen achten wir weniger auf das Geld, sondern vielmehr auf die Botschaft, die wir vermitteln wollen. Wir arbeiten deshalb viel mit Bildungsinstitutionen zusammen oder veranstalten in Zusammenarbeit mit unseren Partnern Benefizanlässe», veranschaulicht Heuss die Veranstaltungsphilosophie des Kulturmarkts. Regelmässig Eigenproduktionen anzubieten, sei aufgrund der speziellen Situation schwierig – die Stellensuchenden treten aus dem Qualifizierungsprogramm aus, sobald sie eine Anstellung oder ein festes Engagement gefunden haben. Dennoch stellt das Teilprojekt «Die Theatermacher» immer wieder professionelle Produktionen auf die Beine. Auch bei der Finanzierung wirtschaftet der Kulturmarkt unkonventionell: Ohne Kulturgelder für den Verein Pro Kulturmarkt, dafür mit der Unterstützung des Wirtschaftssekretariats Seco für den Verein RATS als SURPRISE 209/09

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VON JULIA KONSTANTINIDIS

Der Kulturmarkt ist zu einem Dreh- und Angelpunkt im Kreis drei geworden.

nationales Beschäftigungsprogramm. So finanziert der Kulturmarkt seine Veranstaltungen quasi quer. «Qualität und Quantität unseres Angebots haben sich durch die Aufteilung des Projekts verbessert», freut sich Fortunat Heuss im Rückblick auf die letzten fünf Jahre. «Das Projekt hat sich vom kulturellen Sozialprojekt, das es am Anfang war, zum sozialen Kulturbetrieb gewandelt.» Für die Zukunft wünscht sich Heuss, dass sich der Kulturmarkt noch stärker zum kulturellen Dreh- und Angelpunkt des – mit Kultur schwach bedienten – Kreis drei entwickelt. Dann würde vielleicht auch die Vision erfüllt, dass die Busstation vor dem Haus von Zwinglihaus in Kulturmarkt umbenennt würde. Doch das ist Zukunftsmusik. Zuerst feiert der Kulturmarkt mit vier Gratiskonzerten und einem Auftritt des Jugendprojekts Klartegscht! sein Fünf-Jahre-Jubiläum. ■ Fünf Jahre Kulturmarkt Zürich, Gratiskonzert, 26. September, ab 18 Uhr. Es treten auf: Klartegscht!, Guillermo Sohrya, James Gruntz, The Clowns und PalkoMuski. Kulturmarkt, Aemtlerstr. 23, Zürich. www.kulturmarkt.ch

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Kulturtipps

Emily Gravetts Buch ist Pflichtlektüre für alle Angsthasen.

Buch Reiseführer für Angsttouristen Ängste haben alle. Sie sitzen uns im Nacken, machen uns zur Schnecke, bevölkern unsere Nächte. Dagegen gibts für die Grossen allerlei Ratgeber, Selbsthilfegruppen oder Seminare, und für die Kleinen … wunderbare Bilderbücher. VON CHRISTOPHER ZIMMER

Sind Sie vertraut mit der Geo- und Topografie der Angst? Kennen Sie die Ortschaft Gross Schnattern, den Fröstelrücken oder den Wunden Punkt? Wenn nicht, dann brauchen Sie die «Touristenkarte für die Insel der Angst». Dort sind alle Sehenswürdigkeiten und touristischen Höhepunkte dieses gänsehäutigen Reiches verzeichnet, phobisch-detailliert bis in Legende und Koordinaten. Zu finden ist dieses unersetzliche Ausrüstungsstück für alle Phobiker und Angsthäsinnen in Emily Gravetts liebevoll gestaltetem Bilderbuch vom Angsthaben, das mit Witz und Fantasie eine Maus auf die abenteuerliche Reise durch die eigenen Ängste schickt – schreibend, zeichnend, mit Collagen, nicht selten angeknabbert oder eben mit jener ausfaltbaren Touristenkarte. Da geht es um die Angst vor Dunkelheit und Einsamkeit, vor dem Verlorengehen oder Gefressenwerden, vor Monstern, Spinnen und Uhren, bis hin zur Angst vor allem und jedem, ja, selbst vor dem eigenen Schatten. Entstanden ist dabei ein für Gross und Klein gleichermassen lehrreiches und vergnügliches Lexikon der Phobien, von der Arachnophobie bis zur Wobinichphobie oder der herrlichen Hippopotomonsterosogaloppophobie – der Angst vor endlos langen Wörtern. Ersonnen, ausgetüftelt und ideenreich gestaltet hat dies die britische Illustratorin und Kinderbuchautorin Emily Gravett, deren Biografie sich nicht weniger farbig liest. Geboren 1972 in Brighton und früh schulflüchtig, machte sie erst nach acht Jahren ‹on the road› den Abschluss in Illustration und Design in ihrer Geburtsstadt, wo sie heute mit Mann Mik, Tochter Oleander und den beiden Hausratten Buttons und Mr. Moo lebt. Schon ihr erstes Kinderbuch «Wolves» wurde mehrfach ausgezeichnet. Wer diese aussergewöhnliche Künstlerin näher kennenlernen möchte, dem sei ein Besuch auf ihrer reich animierten und verspielten Homepage www.emilygravett.com ans Herz gelegt. Emily Gravett: Mein Buch vom Angsthaben. Patmos-Verlag 2008. CHF 34.90

Wärter gegen Häftling: im berüchtigten H-Block des Maze-Gefängnisses.

DVD Widerstand bis zum Letzten Das Spielfilm-Debüt «Hunger» des britischen Künstlers Steve McQueen basiert auf einer realen Episode aus dem Widerstand der IRA, den Zuständen um 1981 im berüchtigten H-Block des Maze-Gefängnisses in Nordirland. Darüber hinaus ist ihm eine zeitlose Auseinandersetzung über Widerstand und den Körper als Waffe gelungen. VON PRIMO MAZZONI

Wir hören die «Eiserne Lady», Margaret Thatcher. Unter keinen Umständen sei man gewillt, die IRA-Häftlinge als politische Gefangene anzuerkennen. Sie seien gewöhnliche Verbrecher und Terroristen. Die Konsequenzen dieser Haltung lässt uns Steve McQueens Film «Hunger» erahnen, und zwar für beide Seiten, Häftlinge und Wärter, ohne explizit Stellung zu beziehen. Ein Wärter pflegt still seine blutigen Fingerknöchel. Die Gefangenen schmieren ihre Fäkalien an die Zellwände. Ein Polizist in Gummianzug und mit Wasserstrahler «zerstört» diese kunstvolle Welt. Die Häftlinge weigern sich, die Gefängnisuniform zu tragen und sich zu waschen. Ein Polizist weint, während die Kollegen die renitenten Insassen schlagen. Schliesslich ist da einer, um den sich alle scharen, Bobby Sands. Er beschliesst, dass die Gruppe als nächste Massnahme in Hungerstreik tritt. Das letzte Drittel des Films handelt vom langsamen Verfall des hungernden Bobby Sands (Michael Fassbaender) – bis zu seinem Tod. «Hunger» erzählt keine Geschichte, er zeigt sie. Die Struktur ist sehr aussergewöhnlich. In Streiflichtern folgen wir verschiedenen Protagonisten, bis sich schliesslich Bobby Sands in einem fulminanten Streitgespräch mit Pater Moran (Liam Cunningham) über den Sinn seines Vorhabens als zentrale Figur herauskristallisiert. Das Schreckliche wird in sehr ästhetischen und ruhigen Bildern dargestellt. Jeder Handlung wird die Zeit gelassen, die sie braucht. Wenn ein Wärter den urinnassen Korridor putzen muss, dauert die Einstellung solange, bis er gewischt ist. Dennoch wirken weder Bilder noch Inszenierung manieriert, sondern lassen uns sehen, hören und riechen. Ein Film, der bravourös Kunst, Experiment und Kino vereint. «Hunger» (2008), 90 Min. Original mit deutschen Untertiteln. Extras: diverse Interviews, Bilder der Dreharbeiten, Amnesty-International-Spot. Info: www.ascot-elite.ch

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BILD: NORA LEZANO

Soundtüftler mit Hang zur Rampensau: Jamie Lidell.

Musik Hyperaktives Goldkehlchen Er singt wie der junge Prince, ist ein begnadeter Soundtüftler und entpuppt sich live als Gitarren zertrümmernder Rockstar: Jamie Lidell ist der zurzeit wohl kompletteste Musiker der Welt. VON TARA HILL

Man könnte ihn ironisch als Roger Federer der Musik bezeichnen. Ironisch darum, weil der schmächtige Junge mit den grossen Brillengläsern wie die Unsportlichkeit in Person wirkt. Doch Jamie Lidell ist der wohl kompletteste Musiker, den es zurzeit gibt. 1973 im ländlichen britischen Huntington geboren, nimmt James Alexander Lidderdale schon früh Schlagzeugunterricht. Später versucht er sich an Gitarre und Posaune, und gibt eine ganze Erbschaft für Studio-Equipment aus. So gerüstet, macht er sich auf in die Grossstadt Bristol – um Philosophie zu studieren. Zum Glück verschlägt es das intelligente Multitalent daraufhin nach Brighton, wo er wieder seiner eigentlichen Berufung nachgeht: Gemeinsam mit dem chilenischen Technotüftler Cristian Vogel gründet er das Projekt «Super Collider», das ein bis anhin noch nie gehörtes, komplexes Klanggerüst aus Techno, Soul und Funkt kreiert. Vollkommene Vielseitigkeit lautet von nun an sein Credo. So verschlägt es den Querkopf mit Nerd-Charme Anfang Jahrtausend nach Berlin. Hier wird er zum Grossmeister, der Gegensätzlichkeiten problemlos in harmonische Gesamtkunstwerke verwandelt: Während sein Musikstil sich mittlerweile an klassischem Soul und Funk orientiert, entpuppt sich Lidell live nun geradezu als rockende Rampensau. Das auf dem renommierten Avantgarde-Label «Warp» erschienene Album «Multiply» (2005) vereint wiederum modernste Samplingtechniken mit urchigem Gospel, wobei seine Goldkehlchenstimme selbst zum Instrument mutiert. Doch auch diese Station ist noch nicht das Ende seiner Reise quer durch alle Stilrichtungen: Mit «Jim» wagt der als «Neuerfinder des Soul» gepriesene Lidell plötzlich den Sprung zu Blues und Rock’n’Roll – und überzeugt seine wachsende weltweite Fangemeinde ein weiteres Mal. «Ich bilde mir gern ein, dass mir zeitloses Material gelungen ist», liess der vom Aussenseiter zum Hipster gewordene Lidell kürzlich über seinen neusten Wurf verlauten: «Ich habe nicht versucht, meine Einflüsse zu verbergen. Das ist die Musik, die ich liebe.» Apropos Wurf – wer das hyperaktive Goldkehlchen live erlebt hat, weiss: Nur Lidell gelingt es, derart elegant eine Gitarrenattrappe zu zertrümmern wie Roger National einst sein Racket.

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

01

Responsability Social Investments AG, Zürich

02

SV Group AG, Dübendorf

03

Baumberger Hochfrequenzelektronik, Aarau

04

Scherrer & Partner GmbH, Basel

05

VXL AG, Binningen

06

Thommen ASIC-Design, Zürich

07

Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

08

Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Nottwil

09

Ernst Schweizer AG, Hedingen

10

JL AEBY Informatik, Basel

11

iuliano-gartenbau & allroundservice, Binningen

12

Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf

13

KIBAG Kies und Beton

14

Inova Management AG, Wollerau

15

SVGW, Zürich

16

Brother (Schweiz) AG, Baden

17

Segantini Catering, Zürich

18

Axpo Holding AG, Zürich

19

AnyWeb AG, Zürich

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Kaiser Software GmbH, Bern

21

fast4meter, Storytelling, Bern

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IBZ Industrie AG, Adliswil

23

Velo-Oase Bestgen, Baar

24

Niederer Kraft & Frey, Zürich

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Mundipharma Laboratories GmbH, Basel

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag! Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

Jamie Lidell, Konzerte Kaserne Basel, Rosstall, 30. September, 21 Uhr; Bierhübeli Bern, 1. Oktober, 20.30 Uhr; Kaufleuten Zürich, 3. Oktober, 20 Uhr. SURPRISE 209/09

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Ausgehtipps

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Kunsthaus Baselland/Muttenz Goldenes Alter Früher stand hohes Lebensalter für Werte wie Erfolg und Weisheit und war würdig, künstlerisch verarbeitet zu werden. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts, und mit der zunehmenden Verherrlichung der Jugend, spielt das Alter in der Kunst eine immer kleinere Rolle. Schade, denn bei den Alten tut sich was – sie werden immer zahlreicher und sie bleiben länger jung. Die Ausstellung im Kunsthaus setzt sich vor allem mit Arbeiten von jüngeren Künstlern mit der neuen Alterskultur auseinander. (juk) Golden Agers & Silver Surfers, bis 4. Oktober, Dienstag und Donnerstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr, Mittwoch von 14 bis 20 Uhr, Kunsthaus Baselland, Muttenz.

Auch der «alte Hase» von Paul Pretzer ist ein Golden Ager.

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Atelier KE

natürlich spielen

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BILD: ZVG

Luzern/Basel Fee in schwarz

Jahres.

23. September, 20 Uhr, Südpol, Luzern; 24. September, 21 Uhr, Kaserne Basel.

BILD: FRANK EIDEL

BILD: ISTOCKPHOTO

Unheimlich, genial: Soap&Skin ist die Entdeckung des

Noch dauert das Jahr an, doch schon jetzt steht fest: Soap & Skin gehört zu den grossen Entdeckungen 2009. Hinter dem eigenartigen Namen verbirgt sich die 19-jährige Österreicherin Anja Plaschg. Ihr Debütalbum «Lovetune For Vacuum» wurde in sämtlichen Feuilletons gefeiert. Und selbst Skeptiker staunen beim Hören der schlichten Stücke. Im Zentrum steht das Klavier, im Hintergrund tönen abstrakte Beats, das Klackern einer Schreibmaschine, irrlichternde Flöten und Streicherschwaden aus dem Computer. Vor dieser Kulisse erhebt sich die seltsam körperlose Stimme der steirischen Schweinezüchtertochter – beschwörend, klagend und unheimlich. Die anstehenden Auftritte wären eigentlich schon im Frühsommer geplant gewesen, doch ob all dem Rummel hat es der jungen Sängerin die Stimme verschlagen. Nun bringt uns Anja Plaschg halt den Herbst: schwebend und schwermütig wie eine Fee in schwarz. (ash)

Im Swing-Crashkurs im Progr werden die Beine flink.

Progr/Bern Beswingt Fleissig auf einem schmalen Grat: Tele.

Auf Tournee Jungsverein in bunt An deutsch singenden, irgendwie indie, aber doch massentauglich musizierenden Bands aus dem Nachbarland herrschte in den letzten Jahren kein Mangel. Während Silbermond, Juli und Mia dank weiblichen Aushängeschildern die Stadien eroberten, gurkt der Jungsverein Tele noch immer in den Klubs rum. Die Band aus Freiburg im Breisgau hat auf vier Alben eine eigenwillige Form von Alternativpop entwickelt, mit der sie blöderweise zwischen den Stühlen landet. Für den Mainstream sind sie zu verspielt, für Rocker zu soft und den Studenten zu schlagerartig. Positiv formuliert: Tele spielen eine bunte Mischung aus Indierock, einem Schuss Soul und Texten auf dem schmalen Grat zwischen abgehoben und anbiedernd. Und zu alledem sind Tele auch noch fleissig: Silbermond würden jedenfalls kaum gleich drei Schweizer Gigs am Stück spielen. (ash)

Genug vom Egotrip auf der Tanzfläche, dafür mal wieder Lust auf einen Paartanz? Dann kommt der Swingabend in der Aula des Progr grad recht. Im Crashkurs sind die Schritte auch für Tanzunerfahrene schnell gelernt und ein Partner gefunden – ausserdem gibts erste Einblicke in den Lindy-Hop. Nach dem Motto «zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen» steigt nach der Schnellbleiche im «Ballroom» die Party. (juk) Beswingt!, Samstag, 26. September, 20.30 Uhr, Crashkurs, Party ab 22 Uhr, Progr-Aula, Bern, www.progr.ch

1. Oktober, 20 Uhr, Café du Nord, Bern; 2. Oktober, 21 Uhr, Flösserplatz, Aarau; 3. Oktober, 20 Uhr, Culturium Basel.

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Verkäuferjubiläum «Die Arbeit stinkt mir nie» BILD: ZVG

Peter Gamma (53) ist der Veteran unter den Surprise-Verkaufenden. Ende September ist das Dutzend voll. Zum Jubiläum blickt er zurück auf zwölf Jahre im Dienst des Strassenmagazins. AUFGEZEICHNET VON RETO ASCHWANDEN

«Am 30. September sind es genau zwölf Jahre, dass ich Surprise verkaufe. Ich war fast von Anfang an dabei. Darauf gebracht hat mich ein Betreuer im Obdachlosenheim. Ich hatte Mitte der 90er-Jahre eine Zeit lang dort gelebt, und als ich 1997 wieder einmal auf einen Besuch vorbeischaute, drückte mir der Pfleger die Hefte in die Hand, ich solle das mal versuchen. Ich zog also los und innert eineinhalb Stunden hatte ich 20 Stück verkauft. Da wollte ich gleich Nachschub besorgen und so kam ich das erste Mal ins Surprise-Büro, das war seinerzeit noch am Bläsiring. Es war überhaupt Vieles anders damals. Das Heft kam nur alle zwei Monate raus, da hattest du ziemlich viel Zeit, ein und dieselbe Ausgabe unter die Leute zu bringen. Und wir waren nur ein paar wenige Verkäufer. Damals waren sie teilweise jünger als heute, manche hatten Alkohol- oder Drogenprobleme, dafür gab es kaum Flüchtlinge unter den Verkäufern. In Basel lebe ich seit 1993. Ich bin nach der Fasnacht einfach hängen geblieben. Ursprünglich stamme ich aus dem Kanton Uri. Bin in Schattdorf aufgewachsen, nach der Schule habe ich Maschinenmechaniker gelernt in der Firma Dätwyler, das war damals neben dem der Munitionsfabrik im Schächenwald der grösste Arbeitgeber im Kanton. Schon kurz nach der Lehre rutschte ich in Alkoholprobleme ab. 20 Jahre lang habe ich gesoffen, war insgesamt sicher 15-mal im Entzug, bin aber immer wieder abgestürzt. Mittlerweile lebe ich aber seit zwölf Jahren abstinent und rühre keinen Tropfen mehr an. Anders gesagt: Seit ich Surprise verkaufe, bin ich trocken. Über die Jahre hat sich bei Surprise einiges verändert. Es kamen immer mehr Verkäufer und das Magazin erschien öfter: zunächst im Monatsrhythmus, später alle zwei Wochen. Ich habe alles miterlebt: Mitarbeiter, die kamen und gingen, den Umzug an die Steinenschanze und später zum Spalentor. Auch meine Arbeit hat sich verändert. Früher hatte ich mehr Ausdauer, heute verkaufe ich pro Tag nur noch zwei bis drei Stunden. Gleich geblieben ist allerdings mein Standort und die Zusatzaufgabe, die ich neben dem Verkauf habe: Ich mache am Bahnhof jeweils am Nachmittag zwischen vier und halb sechs Heftausgabe an die anderen Verkäufer. Das ist schon lange mein ‹Ämtli›, so stellen wir sicher, dass die Verkäufer auch an die Magazine kommen, wenn das Vertriebsbüro nicht besetzt ist. Über die Jahre bin ich mit Surprise ziemlich herumgekommen. Heute gibt es ja Vertriebsbüros ausserhalb von Basel. Früher aber fuhr ich jeweils nach Zürich und St. Gallen mit einem Stapel Hefte in der Tasche, die ich dann auf der Strasse unter die Leute brachte. Vor ein paar Jahren machte ich auch beim Strassenfussball mit und stand für die Nati im Tor. 2003 gewannen wir bei der Homeless-Weltmeisterschaft in Graz den Fairplay-Preis. Und ein Jahr später war ich auch beim Turnier in Göteborg mit dabei. Heute jasse ich lieber. Fast jede Woche bin ich mit einer

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Gruppe von Jassern irgendwo in der Nordwestschweiz an einem Turnier. 2001 wurde ich sogar Schweizer Meister, im Surprise gab es einen Bericht darüber mit einem Foto, auf dem ich den Pokal in den Händen halte. Die Arbeit stinkt mir nie. Und ich finde es auch nicht langweilig. Gerade am Bahnhof läuft immer etwas und die meisten Leute sind anständig zu mir. Nur ganz selten findet einer, ich solle mir eine ‹richtige Arbeit› suchen. Über die Jahre wurden viele Käufer zu Stammkunden, mit denen unterhalte ich mich manchmal ein wenig, und auch bei der Heftausgabe halte ich gern einen Schwatz mit den Verkäuferkollegen. Ich mag die Routine in meinem Job, habe es gern, wenn ich meinem täglichen ‹Tramp› nachgehen kann. Solange es die Gesundheit zulässt, werde ich weitermachen, ich wüsste nicht, wieso ich mit dem Verkauf aufhören sollte.» ■ SURPRISE 209/09


Eine Chance für alle! Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte ber. Das verdient Respekt und Unterstützung. Regelmässige Verkaufende werden von Surprise-Sozialarbeiterinnen betreut, individuell begleitet und gezielt gefördert. Dazu gehört auch, dass sie von Surprise nach bestandener Probezeit einen ordentlichen Arbeitsvertrag erhalten. Mit der festen Anstellung übernehmen die Surprise-Verkaufenden mehr Verantwortung; eine wesentliche Voraussetzung dafür, wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarkt zu werden.

Starverkäuferin BILD: ZVG

Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten als andere. Menschen, die sich aber wieder aufgerappelt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wieder einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassenverkäuferinnen und -verkäufer helfen sich sel-

Als Götti oder Gotte ermöglichen Sie einer Strassenverkäuferin oder einem Strassenverkäufer eine betreute Anstellung bei Surprise und damit die Chance zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.

René Senn Zürich

Marlise Haas Basel

Bob Ekoevi Koulekpato Basel

Fatima Keranovic Baselland

Ausserdem im Förderprogramm SurPlus Peter Gamma, Basel Peter Hässig, Basel Wolfgang Kreiblich, Basel Andreas Ammann, Bern Kurt Brügger, Baselland

Marika Jonuzi, Basel Anja Uehlinger, Baden Jela Veraguth, Zürich Kumar Shantirakumar, Bern

Dorothée Wittwer aus Kappel nominiert Marlies Dietiker als Starverkäuferin: «Ich begegne Marlies Dietiker oft am Bahnhof Olten. Wie ich weiss, musste sie viele Schicksalsschläge verkraften. Trotzdem strahlt sie eine grosse Freundlichkeit aus und man merkt, dass sie am Leben anderer Menschen grossen Anteil nimmt. Es gibt viele Leute, denen es viel besser geht, die trotzdem missmutig und immer am Jammern sind. Marlies Dietiker hingegen ist für mich ein Aufsteller, weil sie unbeirrt ihren Weg geht und den Leuten stets mit einem Lächeln begegnet.» Ihre Nominierung schicken Sie bitte an: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41+61 564 90 99, redaktion@strassenmagazin.ch

Ja, ich werde Götti/Gotte von 1 Jahr: 8000 Franken

1/2 Jahr: 4000 Franken

1/4 Jahr: 2000 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

1 Monat: 700 Franken

209/09 Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 209/09

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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise fördert seit 1997 die Selbsthilfe von Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit begleiteten Angeboten in den Bereichen Arbeit, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit und berufliche Eingliederung, das Verantwortungsbewusstsein, die Gesundheit und eine positive Lebenseinstellung. Surprise gibt es in der deutschsprachigen Schweiz. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit.

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Strassensport Der zweite Schwerpunkt von Surprise ist die Integration von sozial benachteiligten Menschen in der Schweiz über den Sport. Mit einer eigenen Strassenfussball-Liga, regelmässigem Trainings- und Turnierbetrieb, der Schweizermeisterschaft sowie der Teilnahme des offiziellen Schweizer Nationalteams am jährlichen «Homeless Worldcup» vernetzt Surprise soziale Institutionen mit Sportangeboten in der ganzen Schweiz. Organisation und Internationale Vernetzung Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden von der Strassenmagazin Surprise GmbH geführt, die von dem gemeinnützigen Verein Strassenmagazin Surprise kontrolliert wird. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerks der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband gegen 100 Strassenzeitungen in über 40 Ländern an.

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Datum, Unterschrift 209/09 Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch

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Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende unabhängige Strassenmagazin Surprise heraus. Neben einer professionellen Redaktion verfügt das Strassenmagazin über ein breites Netz von freien Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen. Der überwiegende Teil der Auflage wird von Menschen ohne oder mit beschränktem Zugang zum regulären Arbeitsmarkt auf Strassen, Plätzen und in Bahnhöfen angeboten. Die regelmässige Arbeit gibt ihnen eine Tagesstruktur, neues Selbstvertrauen und einen bescheidenen aber eigenständig erwirtschafteten Verdienst. Für viele Surprise-Verkaufende ist das Strassenmagazin der erste Schritt zurück in ein eigenständiges Leben.

Herausgeber Strassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel, www.strassenmagazin.ch Geschäftsführung Fred Lauener Öffnungszeiten Sekretariat Mo–Do 9–12/14–16.30 Uhr, Fr 9–12 Uhr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch Redaktion Fred Lauener (Leitung), Reto Aschwanden, Julia Konstantinidis, Mena Kost, Agnes Weidkuhn (Koordination), T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch Freie Mitarbeit Manuela Donati, John von Düffel, Andrea Ganz, Tara Hill, Ruben Hollinger, Olivier Joliat, Yvonne Kunz, Delia Lenoir, Primo Mazzoni, Irène Meier, Stefan Michel, Isabella Seemann, Udo Theiss, Priska Wenger, Christopher Zimmer Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 29 200, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Anzeigenverkauf Therese Kramarz, T +41 61 564 90 90, anzeigen@strassenmagazin.ch

Vertrieb Smadah Lévy Basel Matteo Serpi, T +41 61 564 90 80 Zürich Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, T +41 44 242 72 11 Bern Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, T +41 31 332 53 93 Betreuung und Förderung Rita Erni, Anna-Katharina Egli, T +41 61 564 90 51 Chor/Kultur Paloma Selma, T +41 61 564 90 40 Strassensport Lavinia Biert, T +41 61 564 90 10, www.strassensport.ch Trägerverein Strassenmagazin Surprise Präsident: Carlo Knöpfel

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. SURPRISE 209/09


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Kein Tag ohne Not und Elend. Kein Tag ohne Ihre Hilfe. Das Rote Kreuz informiert über gesunde Ernährung; Kleinkinder und Schwangere werden geimpft. Um Krankheiten vorzubeugen, sorgt das SRK für sauberes Trinkwasser. Vom SRK ausgebildete Ärzte klären über vorbeugende Massnahmen gegen Armutsblindheit auf.

Zum Schutz vor Malaria verteilt das Rote Kreuz Moskitonetze.

Durch Aufklärung erfahren die Menschen, wie sie sich vor HIV/Aids schützen können.

Rotkreuz-Freiwillige kümmern sich um Sauberkeit und Hygiene in den Dörfern.

Mit Untersuchungen in Schulen trägt das Rote Kreuz zur Reduktion von Blindheit von Jugendlichen bei.

Das SRK braucht Ihre Spende. Das Schweizerische Rote Kreuz hilft weltweit, wo die Not am grössten ist, dank Ihrer Spende. Welche Hilfsprojekte wir in der Schweiz und in über 30 Ländern durchführen, sehen Sie unter www.redcross.ch. Helfen auch Sie, Not und Elend zu lindern, und unterstützen Sie das Schweizerische Rote Kreuz mit einer Spende auf das Postkonto 30-9700-0. Unter www.redcross.ch kann online einbezahlt oder können Einzahlungsscheine bestellt werden. Oder rufen Sie uns an unter der Telefonnummer 031 387 71 11. Schweizerisches Rotes Kreuz, Rainmattstrasse 10, 3001 Bern, Tel. 031 387 71 11, info@redcross.ch, www.redcross.ch, Postkonto 30-9700-0


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