Surprise Strassenmagazin 216/10

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Die letzte Zigarette Schriftsteller Pedro Lenz über das Rauchverbot Verfolgt, verprügelt, vertrieben – Asylgrund Homosexualität

Bei Wind und Wetter im Wohnwagen: Die Ganzjahrescamper

Nr. 216 | 8. bis 21. Januar 2010 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


Schöne Shirts! Und erst noch limitiert! Olivier Mossets (64) letzte Ausstellung nannte sich «Ten Monochromes» und zeigte – wie der Name verspricht – zehn unifarbene Werke des Schweizer Künstlers. Auf 3 à 3 Meter. Die hat Mosset zum Anlass genommen, um für Surprise zehn T-Shirts in denselben Farben zu entwerfen. Mit Surprise-Aufschrift. Und vom Künstler signiert.

Der in Berlin lebende Schweizer Künstler Erik Steinbrecher (45) hat für Surprise eine Fotosammlung von Werbetexten durchforstet. Daraus sind drei T-Shirts mit «flüchtigen Hinweisen» entstanden. In Steinbrechers Worten: «Dadurch, dass der Text auf Schulterhöhe steht, ist er nicht dekorativ.» Dafür mutiere jeder T-Shirt-Träger zum Werbeträger.

Surprise-T-Shirt Preis CHF 40.–

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*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch

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BILD: ANNETTE BOUTELLIER

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Inhalt Editorial Scheinliberal Leserbriefe Unbequem Basteln für eine bessere Welt Mit Korken gegen Katerstimmung Aufgelesen Die heilige Familie Zugerichtet Der Rosenkavalier Kreuzworträtsel Die Auflösung Erwin … wird der Weg gewiesen Porträt Ein umtriebiger Verleger Gehörlosigkeit Kampf um Selbstbestimmung Le mot noir Falsche Vorsätze Musik Rock aus China Kulturtipps Kinder von Traurigkeit Ausgehtipps Poetische Predigten Verkäuferporträt «Jetzt beginnt mein Leben» Projekt Surplus Chance für alle! Starverkäufer In eigener Sache Impressum INSP

10 Rauchverbot Der Tod ist ein Skandal Wer schützt den Bauarbeiter vor nasskaltem Wetter? Und wer die Menschen, die an viel befahrenen Strassen wohnen, vor den Abgasen? Eben. Schriftsteller Pedro Lenz erklärt, weshalb die Politik ausgerechnet beim Thema Rauchverbot derart engagiert zur Sache geht – und warum der Wahn, alles kontrollieren zu wollen, rein gar nichts bringt.

BILD: WOMM

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12 Migration «Deine Schmerzen sind ihnen egal» In 85 Staaten der Welt wird Homosexualität noch immer bestraft: in einigen mit Gefängnis, in anderen mit dem Tod. Zwei junge Männer, einer aus Uganda, einer aus dem Iran, erzählen vom Doppelleben, das sie in ihrer Heimat führen mussten – und was sie schliesslich zur Flucht in die Schweiz bewog.

BILD: RUBEN HOLLINGER

16 Camping im Winter Die Unentwegten Sie trotzen den Minustemperaturen mit Petroleumofen und Heizteppich: Menschen, die ganzjährig auf dem Campingplatz leben, spüren die kalten Monate besonders stark. Trotzdem hat der Winter auf dem Zeltplatz auch seine Vorteile.

Titelbild: Annette Boutellier SURPRISE 216/10

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BILD: DOMINIK PLÜSS

Leserbriefe «Ich glaube nicht, dass alle Piraten um Somalia einfach nur arme Teufel sind.»

FRED LAUENER, GESCHÄFTSFÜHRER

Editorial Scheinliberal Ist es nicht eigenartig? Da predigen uns die Wirtschaftsbosse und ihre Sprachrohre in der Politik unablässig Liberalismus und Deregulierung wie eine Religion. Forderungen nach Spielregeln und Sanktionen werden rigoros als ketzerischer wirtschaftsfeindlicher Mumpiz abqualifiziert. Geht es aber um Fragen des normalen täglichen Zusammenlebens, schlägt das Wetter um. Der vermeintlich liberale politische Wind entpuppt sich als eine steife scheinliberale Bise. Unser Alltag wird immer mehr von Einschränkungen und Verboten bestimmt. Weil uns das rasante Tempo des gesellschaftlichen Wandels überfordert, ziehen wir immer wieder die Notbremse. Wir diskutieren nicht mehr, wir verbieten: Den Jugendlichen den Ausgang, ab Mitternacht den Alkohol, den Muslimen die Minarette und uns allen das Rauchen. Wer sich heute als Politiker profilieren will, braucht kein Visionär oder Gestalter zu sein. Es reicht das Gespür für die mobilisierbare Mehrheit, um mit dem richtigen Verbot im richtigen Moment zu punkten. In dieser ersten Ausgabe des neuen Jahres sinniert der Berner Schriftsteller Pedro Lenz über eine der grössten Verbotskampagnen der letzten Jahre: das Rauchverbot. Ab diesem Jahr, genau ab dem 1. Mai, wird es nicht nur in einzelnen Kantonen, sondern landesweit untersagt sein, sich in öffentlich zugänglichen Räumen eine Pfeife, eine Zigarre oder eine Zigarette anzustecken. Seite 10. Vergleichsweise liberal ist das Klima bei uns für Schwule und Lesben. Hier wird allenfalls mit dem Finger auf sie gezeigt. Für Homosexuelle aus Uganda, dem Iran und einer ganzen Reihe anderer Länder ist die Schweiz eine Insel der Hoffnung. Denn in ihrer Heimat ist ihr Leben bedroht. Redaktorin Mena Kost berichtet ab Seite 12. Nicht zuletzt und passend zur Saison begleitet Sie Redaktorin Julia Konstantinidis ab Seite 16 auf den Campingplatz. Dort erzählt sie von Menschen, die sich eine andere Wohnform nicht mehr vorstellen können.

Nr. 213: «Ewige Liebe – Und andere Märchen» Würdevoll Mit Interesse lese ich das Strassenmagazin. Und da habe ich in der Rubrik «Aufgelesen» diese kleine Information gefunden: Würde im Tod (das Stuttgarter Strassenmagazin «Trottwar» hat eine Grabanlage erstanden, damit seine Verkäuferinnen und Verkäufer dereinst nicht in einem anonymen Massengrab beigesetzt werden müssen, Anm. d. Red.). Es berührt mich, dass sich Menschen über das Leben und den Tod von «randständigen» Menschen Gedanken machen. Und ihnen so eine würdevolle Haltung auch über den Tod hinaus ermöglichen. Ich würde mich freuen, wenn es in der Schweiz auch so eine Initiative gäbe. Ich würde eine würdevolle Beisetzung gerne finanziell unterstützen. Brighit Stahel, Märstetten

diese Schnellbote, Waffen und technischen Ausrüstungen sind kaum Utensilien von armen Fischern. Aber grundsätzlich: Macht weiter mit euren interessanten, unbequemen und gedankenanstössigen Surprises. Elsbeth Landolt, Zürich Originell «Kriminalität ist Alltag ist Liebe». So bunt könnte ich die Vielfalt dieser Ausgabe beschreiben. Bei allen drei Hauptartikeln habe ich die Originalität genossen, mit welcher auf die überraschenden Aspekte des Themas eingegangen wird. Da steckt richtige Lebenshilfe drin! Auch die Vielfalt der anderen Artikel ist zu loben. Ausser dem Gericht gibt auch das Angerichtete Grund zum Nachdenken. Und zur weihnächtlichen Besinnung gehört sowohl die Warnung vor der musikalischen «Schaumschlagerliga» wie auch der erlösende Hinweis auf drei «märchenhafte» Ausnahmen. Christian Vontobel, Basel

Unbequem Das Bedürfnis, einen Leserbrief zu schreiben, überkam mich bei der Lektüre der Ausgabe 213 gleich zweimal. Zuerst einmal finde ich dieses Heft fast durchwegs grossartig! Sogar die Bastelanleitung für den «Wutball» werde ich diesmal wahrscheinlich ausprobieren. Aber was um Himmelswillen soll der unsägliche Comic? Ich finde ihn einfach geschmack- und pietätlos. Und zudem glaube ich nicht, dass alle Piraten um Somalia einfach nur arme Teufel sind. All

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3

Ich wünsche Ihnen gute Lektüre. Ihre Meinung! Herzlich,

Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen.

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ILLUSTRATION: WOMM

Nehmen Sie beliebig viele Korken. Durchbohren Sie die Korken der Länge nach vollständig.

Ziehen Sie einen festen Faden (z.B. «Stärnlifaden» oder Baumwollgarn) durch den Korken.

An einem Ende befestigen Sie die Schnur mit einer kleinen Holzperle. Lassen Sie am anderen Ende etwa 15 cm Faden übrig; das ist der Schwanz der Mäuse. Bei allen Mäusen soll der Schwanz gleich lang sein. Kleben Sie die Mäuseohren aus Filz oder starkem Papier in die dafür eingeschnittenen Stellen ein.

Spielregeln: Alle Mitspieler legen ihr Mäuschen in der Mitte des Tisches in einen Kreis, so dass sich ihre Nasen fast berühren. Ein Spieler ist als Fänger mit einem passenden Becher bewaffnet. Man vereinbart, bei welcher gewürfelten Zahl gefangen wird. Gewürfelt wird mit dem Würfel im Becher. Diesen stülpt man auf den Tisch und hebt ihn hoch. Wird die entsprechende Zahl gewürfelt, müssen die Mäuse schnell weggezogen werden, der Fänger muss versuchen mit dem Becher Mäuse zu fangen, in dem er den Becher über die Mäuse stülpt. Wenn sich Fänger oder Mäuse mit der Zahl vertun, kann man Strafpunkte verteilen. Wer gefangen wird, ist neuer Fänger.

Basteln für eine bessere Welt Wohin mit all den Korken, die uns so penetrant an die rauschenden Feste erinnern, die wir gefeiert haben? Und wie mit der Katerstimmung umgehen, in die uns das Januarloch unweigerlich versetzt? Spielen hilft! Aus den Korken basteln wir die Mäuse und bringen uns und unsere Freunde mit dem «Müslispiel» in Stimmung. SURPRISE 216/10

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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Kinderarmut in Deutschland Stuttgart. Laut der neusten OECD-Studie lebt in Deutschland jedes sechste Kind mit dem Risiko von Armut. Wobei diese so definiert ist, dass die Familie weniger als 50 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient. Allerdings bedeutet Armut nicht nur materielle Knappheit, sondern auch fehlende Bildungschancen, schlechter Gesundheitszustand, wenig Bewegung, nicht schwimmen zu können, keine Ferien, kein Instrument und keine Aufstiegschancen. Besonders von Armut betroffen sind Zuwandererkinder und solche mit nur einem Elternteil.

Geldspielsucht Kiel. Ob im Internet oder im Spielcasino: Geldspiele machen süchtig. So sind bis zu 290 000 Menschen in Deutschland spielsüchtig. Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf einen Spieler hat sein Umfeld. Dieses unterschätzt oft die Tragweite der Sucht und unterstützt den Süchtigen finanziell – und zögert so seinen Bankrott heraus. Fachleute machen allerdings darauf aufmerksam, dass es dem Betroffenen mehr bringt, wenn ihm jegliche finanzielle Unterstützung verweigert wird.

Die heilige Familie Salzburg. Menschen, die eine andere Lebensform als die Mutter-Vater-Kind-Familie gewählt haben, sind im Nachteil, findet das Salzburger Strassenmagazin: Alleinerziehende haben oft grosse Mühe, Betreuungspflicht und Arbeitszeiten unter einen Hut zu bringen. Homosexuelle Paare werden noch immer wenig beachtet, die Ehe wird ihnen verwehrt. Und Patchwork-Familien sind rechtlich kaum abgesichert. Und das alles, obwohl die Scheidungsrate unterdessen bei 47,8 Prozent liegt.

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Zugerichtet Der Rosenkavalier Es war eine Maiennacht, als es Almir C.* träumte, er sei ein Rosenkavalier. In des Mondes Glanze setzte er sich vor den Computer und bestellte per Internet drei Blumenbouquets. Den 200-fränkigen «Rosentraum mit Swarovski-Kristallen» liess er an die Adresse seiner Mutter schicken, den «bunten Frühsommerstrauss» zu seiner Schwester und das Modell «I love you» zu sich nach Hause, für seine geliebte Ehefrau. Bezahlt hatte er die Zuwendungen mit der Kreditkarte seines ahnungslosen Arbeitskollegen. Vor Gericht, wo er sich wegen mehrfachen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage verantworten muss, mimt er den reuigen Sünder: «Ich bedauere zutiefst, was ich getan habe.» Aus einschlägiger Erfahrung weiss der 33-Jährige, was der Richter hören möchte und berichtet ihm wohlerzogen und sicher in der Wortwahl, wie er an seinem damaligen Arbeitsplatz zufällig auf Kopien von Kreditkartenbelegen stiess. Zunächst habe er einen Probelauf gewagt: Mit den Daten eines Kollegen bestellte er im Online-Shop ein Mobiltelefon. Der Coup gelang. Wenn nur schon zwei Drittel aller Bestellungen ausgeliefert würden und er die Ware dann weiter verkaufte, könnten sich auf seinem Konto bald Zehntausende von Franken stapeln, so seine Milchbuben-Rechnung. Innert eines Monats bestellte er «wie im Rausch» Laptops, Camrecorder und DVD-Player für exakt 52 099 Franken und 45 Rappen. Die Erfolgsquote betrug zwar nur 20 Prozent, Blumensträusse und Notebooks für 10110 Franken 30 Rappen wurden geliefert, aber dann war auch schon Schluss mit Grosse-Welt-Spielen – und den Job war er auch los.

Seither lebt er «leider, leider» von der Sozialhilfe, sagt der Sunnyboy im eng anliegenden, mit «Armani» beschrifteten T-Shirt, das sich über den Brustkasten spannt und seine Oberarmmuskeln zur Geltung bringt. Almir wirkt wie ein Teenager, der sich für den Ausgang gestylt hat, er ist aber verheiratet und hat zwei Kinder. Sein sechs Monate altes Söhnchen liegt seit seiner Geburt im Spital. Es quält sich mit der Schmetterlingskrankheit, seine Haut ist hauchdünn und reisst bei geringster Berührung. Jede Infektion ist lebensbedrohlich. Die Schmerzen sind furchtbar – die Krankheit unheilbar. Ein Leben in Normalität ist so gut wie unmöglich. «Der Angeklagte und seine Frau sind durch dieses Schicksal schwer betroffen», sagt Almirs Verteidiger und weist die vom Staatsanwalt geforderte unbedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten zurück. «Mein Mandant ist jetzt ein verantwortungsvoller Familienvater und es wäre niemandem gedient, wenn er ins Gefängnis müsste.» Auch eine Geldstrafe sei sinnlos, er könne ja nicht mal seine Familie ernähren, meint der Verteidiger, und fordert eine bedingte Gefängnisstrafe von einem halben Jahr. Der Richter lässt sich nicht weich klopfen. «Sie hatten zur Tatzeit bereits eine Tochter, falls Sie das vergessen haben.» Zwar setzt er eine gerade noch bedingte Freiheitsstrafe von sieben Monaten fest, widerruft aber eine ehemals bedingte Vorstrafe von drei Monaten. «Diese 90 Tage müssen Sie absitzen», sagt der Gerichtsvorsitzende. «Im Sinne eines Denkzettels.» Almir bedankt sich artig dafür. * persönliche Angaben geändert ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 216/10


Kreuzworträtsel Fabelenden? Glückwunschdrittel? – Die Auflösung Ganz einfach war es nicht, doch schliesslich wollten wir Sie mit unserem Festtagsrätsel auch ein wenig fordern. Und wie die vielen Einsendungen mit dem Lösungswort beweisen, haben viele Leserinnen und Leser auch die kniffligsten Fragen gelöst. Falls Sie noch Lücken haben, die Sie partout nicht füllen konnten, finden Sie hier die Auflösung. Lösungswort: ARMUTSFALLE Die Gewinnerinnen und Gewinner werden persönlich benachrichtigt.

Waagerecht 1. MORALAPOSTEL 2. NUETZLICH 3. HOER(-Sturz) 4. KUH 5. RAUCHHOEHLE 6. SEEFRAU 7. ASIEN 8. ZANKAPFEL 9. MIE (frz. Inneres vom Brot) 10. HABGIER 11. EFAZETT (FAZ ausgesprochen) 12. HTR (in NacHTRuhe) 13. RLEI (EineRLEI) 14. EMANZE 15. ALEA (lat. Würfel) 16. AT 17. SSR 18. PHIE (Philoso-, Anthroposo- etc. PHIE)

ERWIN

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19. UI (Brecht: Arturo UI) 20. BOESE 21. HELAL 22. UNLEER 23. KNUT 24. STAU 25. GIN 26. LEIBNITZ 27. WOCHENENDTRIP

Senkrecht 1. BONUSZAHLUNG 2. BAERENGRABEN 3. ALT 4. TOI 5. ETHOS 6. GEHEIMZAHL 7. FLOH

… wird der Weg gewiesen

8. KOELN (Kölnisch Wasser) 9. RUHEABTEIL 10. AZUR 11. PLC 12. SCHAEFERHUND 13. AFKIRA (Afrika) 14. HUFEISEN 15. APRESSKI 16. EIEN (in InnerEIEN) 17. AELTEREN 18. LAMPE 19. ETZEL 20. IATZI 21. OELEN 22. TITO 23. STR 24. ALP 25. ICH 26. BNP

VON THEISS

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Porträt Im Namen der Autoren Ricco Bilger gehört zu den umtriebigsten Herausgebern der Schweiz. Einer seiner Schriftsteller ist Surprise-Kolumnist Stephan Pörtner. Ein Verlegerporträt aus Autorensicht. VON STEPHAN PÖRTNER (TEXT) UND ANDREA GANZ (BILD)

Er kommt aus einer Coiffeurfamilie in Leukerbad und wäre eigentlich gerne Skirennfahrer oder Fussballer geworden. Stattdessen wurde aus ihm einer der engagiertesten Kämpfer für das Buch in der Schweiz und aus der Schweiz. Ricco Bilger ist Buchhändler und Verleger. Er hat ein Literaturfestival gegründet und den Verband der unabhängigen Schweizer Verlage. Woher kommt diese Leidenschaft, was treibt einen an, in diesem schwierigen Geschäft immer wieder neue Wege zu gehen? «Die Autorinnen und Autoren», antwortet Bilger. «Es war mir schon als Buchhändler ein Anliegen, den Leuten Autoren näherzubringen, die meiner Meinung nach zu wenig Beachtung fanden. Das Gängige hat mich nie interessiert.» So ist auch sein erster Verlag entstanden: 1985 brachte ihm Veit Stauffer vom Rec-Rec-Plattenladen seine Memoiren, die er mit 22 Jahren verfasst hatte. «Daraus machten wir das erste Buch: ‹Halbweiss›. Das Buch war gut, aber die Produktion grauenhaft, es war alles ungeplant und spontan.» Bilger schüttelt den Kopf und lacht. Wir sitzen in seinem Verlagsbüro, das sich hinter der Buchhandlung an der Josefstrasse, unweit vom Zürcher Hauptbahnhof befindet. Über dem Schreibtisch hängt das Bild des Comic-Helden Corto Maltese, einem Seemann, der immer wieder in neue Abenteuer verstrickt wird. Das T-Shirt einer einst gesponserten Frauenfussballmannschaft ist an die Wand geheftet und überall stapeln sich die Bücher und Manuskripte. «So viele wie heute habe ich noch nie bekommen», seufzt Bilger. Vor ein paar Jahren war auch eines von mir darunter. Ich war mit einer neuen Geschichte auf der Suche nach einem neuen Verlag. Ich kannte Bilger aus unseren wilden Zeiten, den Achtzigerjahren in Zürich. Aber Freundschaftsdienste leistet er keine. Er hat das Manuskript abgelehnt. «Du kannst es besser», sagte er. Ein Jahr später kam ich mit einem neuen Krimi meiner Figur Köbi Robert zu ihm. «Schon besser, aber nicht gut genug», lautete diesmal das Urteil. Beim dritten Anlauf klappte es. Der verlegerische Autodidakt Bilger verlässt sich ganz auf sein eigenes Urteil. Den Buchhandel hat Bilger noch seriös erlernt, in der legendären Buchhandlung Elsässer am Limmatquai. 1983 eröffnete sein eigenes Geschäft. Noch heute steht Bilger an mehreren Tagen pro Woche selber im Laden. Die Leute, die vorbeikommen, stellen Fragen. Zu Büchern, die sie im Schaufenster gesehen haben, zu solchen, die aufliegen, zu solchen, von denen sie noch nicht wissen, dass es sie gibt, die sie aber gern jemandem schenken würden. Ricco weiss Rat. Die Bücher des eigenen Verlages liegen bei der Kasse auf, neben anderen Neuerscheinungen. Vier bis sechs Bücher gibt er pro Jahr heraus. Nächstes Jahr, zum zehnjährigen Jubiläum, werden es ein paar mehr sein. Die Anzahl neuer Bücher ist beschränkt. Und weil zu den angestammten Autorinnen und Autoren immer wieder neue stossen, entsteht ein gewisser Druck, gute Geschichten abzuliefern, fast wie im Fussball, wo man um seinen Platz in der Mannschaft kämpfen muss. «Mein erster Verlag, die Edition Sec 52, kam noch aus der Buchhandlung heraus, der zweite, der Verlag Ricco Bilger, sollte etwas Eigenständiges sein. Es wurde ein Verlagslogo entworfen, das bis heute

in Gebrauch ist. Wir begannen mit dem besten, aber auch teuersten Drucker der Schweiz auf Teufel komm raus die wahnsinnigsten Bücher zu machen», erzählt Bilger. Das ist kaum übertrieben. Die deutsche Ausgabe des Buchs «Ecstasy» von Nicholas Saunders hatte nicht nur mehr als dreimal so viele Seiten wie das Original, sie war auch in einen mit bunter Gelflüssigkeit gefüllten Umschlag verpackt. Das Buch verkaufte sich knapp 30 000 mal. «Ecstasy war zu jener Zeit in aller Munde», fasst Bilger die damalige Situation doppeldeutig zusammen. «Ich hatte super Leute um mich und habe immer zu allem Ja gesagt: noch schöner, noch teurer … Die Rechnung wäre sogar aufgegangen, wenn dann nicht drei Auslieferungen pleitegegangen wären.» Bilger schüttelt den Kopf und lächelt. Der 53-Jährige ist keiner, der mit der Vergangenheit hadert. Es folgten turbulente Zeiten, vor allem in finanzieller Hinsicht. So konnte es nicht weitergehen. Der Verlag Ricco Bilger musste aufgeben. Aber der Mensch Ricco Bilger gab nicht auf. Schuld daran wiederum: Autoren. Zum dritten Mal zog Bilger einen Verlag auf, diesmal einen richtigen – mit Regelmässigkeit und Programm und Vorschauen. «Nicht mehr so ein Gebastel», wie Bilger es ausdrückt. So entstand mit dem ersten Roman von Christoph Simon der Bilgerverlag, dessen Motto lautet: Der Berg, die Wüste, der Himmel, das Meer. Obwohl nur Schweizer Autorinnen und Autoren verlegt werden, spielen die Geschichten auf der ganzen Welt. Der Verlag hat sich einen Namen geschaffen, viele seiner Autoren wie Urs Augstburger, Katharina Faber oder Kaspar Schnetzler haben sich in der Schweizer Literatur etabliert. Auch sie fanden zuerst keinen Verleger. Wenn Bilger Autoren aufnimmt, dann glaubt er an sie und geht mit ihnen durch dick und dünn. Misserfolge und Verrisse nimmt er persönlich. Früher hat er schon mal in die Tasten gegriffen und einen Kritiker zusammengestaucht, was den Autoren mitunter nicht dienlich war. Doch Leidenschaft lässt sich nur schwer bezähmen. Die Buchhandlung läuft, der Verlag ist zwar klein, aber anerkannt. Wäre es nicht Zeit, zurückzulehnen? Bilger winkt ab. «Der Gedanke aufzubrechen und in See zu stechen, Neues zu wagen hat mich immer

Wenn Bilger Autoren aufnimmt, dann glaubt er an sie. Verrisse nimmt er persönlich.

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mehr interessiert als das Ankommen. So viel in meiner Laufbahn beruht auf Zufällen. Wenn alles gut geht, haben ich noch 20 bis 25 spannende und grossartige Jahre als Verleger vor mir. Aber wie es schlussendlich kommt, weiss man nie. Vielleicht mache ich eines Tages hier den Laden dicht und gehe zusammen mit meiner Frau zu Fuss durch die Wüste Gobi oder ins Appenzell Kräuter pflanzen.» Bilger schaut einen Moment beinah sehnsüchtig aus dem Fenster. «Aber», fügt er grinsend hinzu, «nach dreieinhalb Wochen würde ich wieder finden, man könnte doch einen hübschen Kräuterführer herausgeben oder einen Bildband über die Wüste.» Oder er entdeckt wieder einen Autor, den niemand herausgeben will. Der aber einfach herausgeben werden muss. Und ausser ihm machts ja keiner. ■

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BILD: ANNETTE BOUTELLIER

«Der Tod ist grundsätzlich ein Skandal, aber auch mit einem Rauchverbot bekommen wir ihn nicht weg.» – Pedro Lenz.

Rauchverbot Krebsgeschwür aus Übersee Im Wahn, das Leben kontrollieren zu wollen, agieren Politiker zynisch, absurd und heuchlerisch. Eine Polemik von Schriftsteller Pedro Lenz. Das unaufhaltbare, unheilbare Krebsgeschwür, das sich von den USA herkommend allmählich über ganz Europa ausbreitet, heisst Rauchverbot in Wirtshäusern und öffentlichen Gebäuden. Wir Raucherinnen und Raucher akzeptieren es. Es bleibt uns auch gar nichts anderes übrig. Ein Rauchverbot ist nicht wie ein Geschwindigkeitsverbot, das manche einhalten und andere nicht. Ein Rauchverbot ist sehr viel ernster. Wird es von einer Einzelperson missachtet, kann zum Beispiel ein ganzes Wirtshaus bestraft werden. Das ist, als würde man eine Autobahn schliessen, weil einzelne Automobilisten zu schnell fahren. Aber niemand würde in diesem Land eine Autobahn schliessen, Wirtshäuser vielleicht ja, aber Autobahnen nie im Leben!

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Nun soll es in diesem kleinen Essay nicht in erster Linie um Freiheitsrechte gehen. Es geht auch nicht um das Rauchverhalten der Bevölkerung. Was uns viel mehr interessieren sollte, ist die Frage, weshalb ein derartiges Verbot so schnell und so undiskutiert seinen Gang um die Welt nimmt. Immerhin ist ja das Rauchen eine Kulturtätigkeit, die es nicht erst seit gestern gibt. Über Jahrhunderte wurde beispielsweise in Wirtshäusern getrunken und geraucht. Und nun scheint innert sehr kurzer Zeit absolute Einigkeit darüber zu herrschen, dass es vernünftig ist, das Rauchen in allen öffentlichen Räumen, also auch in Wirtshäusern, zu verbieten. Es gehe um den Schutz von Passivraucherinnen und Passivrauchern, wird argumentiert, und vor allem gehe es SURPRISE 216/10


fühlen sich auch in rauchfreien Wirtshäusern unwohl. Das ist desum den Schutz des Personals. Das ist eine fast schon zynische Heuwegen so, weil Wirtshäuser immer Orte der Debatte sind, was jedem chelei. Es ist vor allem heuchlerisch all denen gegenüber, die ungesunmissfallen muss, der schon zum Vornherein Recht haben will. den Berufen nachgehen müssen. Wer schützt die Bauarbeiter vor nassWirtshäuser gehören zum öffentlichen Raum. Soviel sollte allen klar kaltem Wetter? Wer schützt Menschen, die an viel befahrenen Strassen sein. Unklar ist aber in diesen Zeiten der Unterschied zwischen öffentarbeiten vor den Abgasen? Wer schützt Menschen, die in ihrer täglichem und privatem Raum. In der Eisenbahn ziehen die Leute ihre lichen Arbeit giftigen Dämpfen ausgesetzt sind? Nein, das Argument Schuhe aus, andere breiten sich aus, legen sich hin oder führen sich des Schutzes von Leuten, die selber nicht rauchen, ist bloss eine Absonst auf, als wären sie in ihrer eigenen Stube. Manche Leute hängen lenkung. Nichts wäre einfacher als eine Regel, bei der jeder Wirt entdraussen in Hauskleidung und Pantoffeln herum. Viele Zeitgenossen scheidet, ob im betreffenden Restaurant geraucht werden darf oder essen mitten auf dem Trottoir; sie hören über Kopfhörer auf der Strasnicht. Es gab etwa in Bern eine ganze Anzahl Wirtshäuser, die vor dem se ihre eigene Musik; sie telefonieren in der Öffentlichkeit und reden gesetzlichen Rauchverbot rauchfrei waren. Wer also dem Rauch ausdabei hemmungslos über intime Angelegenheiten, kurz: Der öffentliweichen und dennoch im Restaurant einkehren wollte, konnte dies proche Raum ist für immer mehr Leute genau das gleiche wie der private blemlos tun. Aber darum geht es auch nicht. Raum. Daher kommt es, dass man als Raucher zuweilen sogar auf der Es geht bei dieser Debatte nicht darum, ob und wann und wo ich als Strasse angefeindet wird. Das hat alles seine Logik. Wenn jemand Raucher rauchen darf. Der Raucher muss rauchen und er wird immer meint, die ganze Welt sei sein privates Zuhause, dann meint er auch, einen Ort finden, wo er dies tun kann. Es geht genauso wenig darum, der Raucher auf der Strasse verrauche ihm sein Wohnzimmer. Aber das den Staat gegen die Privatsphäre auszuspielen oder einen RundumWohnzimmer ist das Wohnzimmer und die Strasse ist die Strasse. schlag gegen Verbote im Allgemeinen auszuteilen. Die Raucher werden Ebenfalls ausgeblendet wird beim Rauchverbot die Tatsache, dass das Rauchverbot überleben. Nur das Leben überlebt keiner. der Mensch nicht allein von der Vernunft geleitet wird. Natürlich wäre Viel wichtiger wäre es freilich, einmal zu fragen, wieso die Politik es vernünftig, überhaupt nicht zu rauchen. Medizinisch gibt es kaum ausgerechnet bei diesem Thema derart engagiert und zielgerichtet zur Argumente für das Rauchen. Rauchen ist nicht gesund. Das können wir Sache geht? Vermutlich hat es damit zu tun, dass Politik ein kompliziertes Geschäft ist. Wer selber politisch tätig ist, weiss, wie aufreibend es sein kann, politi«Wer in der Politik sonst nichts auf die Reihe kriegt, ein sche Prozesse voranzutreiben. Es braucht Rauchverbot in Wirtshäusern wird er immer hinkriegen.» Kommissionen, Vorschläge, Änderungsvorschläge, Kompromisse, neue Änderungsvordrehen und wenden wie wir wollen. Nein, rauchen ist weder gesund schläge und so weiter. Das verlangt von Politikerinnen und Politikern noch vernünftig, es macht uns nicht einmal schöner. Doch drängt sich viel Ausdauer und viel Sinn für praktikable Lösungen. Politisches Handa nicht gleich die Frage auf, ob der Mensch nur nach Regeln der Verdeln bedingt normalerweise immer das Abwägen zwischen mehreren nunft funktioniert. Ist es vernünftig, zu schuften, bis man krank wird, Möglichkeiten und mehreren Interessen. Beim Rauchverbot in Wirtswährend andere arbeitslos sind? Ist es vernünftig, Gedichte zu schreihäusern hat die Politik nun erstmals ein Thema gefunden, bei dem es ben? Ist es vernünftig, fettige Speisen zu essen? Ist es vernünftig, die sehr einfach ist, zu handeln. Es braucht keine Kommissionen, keine Brüste mit Silikon vollzustopfen? Ist es vernünftig, wenn in einem öfKompromisse, kein Abwägen. Für ein Rauchverbot braucht es nichts fentlichen Verkehrsmittel 95 Prozent der Mitreisenden in der gleichen als das Erlassen eben dieses Rauchverbots. Anders als etwa bei einem Gratiszeitung die gleichen Nachrichten über Trägerinnen von SilikonWaffenausfuhrverbot, bei dem es darum gegangen wäre, Menschen vor brüsten lesen? Oder ist es letztlich vernünftig, dass wir Menschen, nach dem Verstümmelungstod zu bewahren, geht es beim Rauchverbot vor all den Anstrengungen, die so ein Menschenleben mit sich bringt, am allem darum, sich politisch profilieren zu können. Manche PolitikerinEnde den Hut nehmen und für immer gehen? Nein, der Tod ist grundnen und Politiker möchten lieber handeln als gestalten, in diesem Fall sätzlich ein Skandal. Aber wir bringen ihn nicht weg. Gegen den Skankonnten sie handeln. dal des Todes kommt kein Kraut und kein Verbot an. Auch mit einem So ein Rauchverbot ist einfach einzuführen und einfach durchzusetRauchverbot in Wirtshäusern bleiben wir sterblich. Das Leben ist tödzen. Und warum ist es so einfach? Weil es auf der Welt immer mehr lich. Der verbreitete Wahn, dies verändern zu wollen, führt zu allerlei Nichtraucher gibt als Raucher. Das ist keine Frage der Argumente, das absurden Ideen. Eine davon ist ein weltweit wachsendes Krebsgeist eine Frage der Mehrheiten. Mit dem Rauchverbot lässt sich schnell, schwür, es heisst allgemeines Rauchverbot im öffentlichen Raum. Maneindeutig und ohne jeden Aufwand politisch etwas bewirken. Das ist che meinen es komme vom Lieben Gott, aber es kommt aus Amerika, purer Populismus unter Ausblendung aller möglichen Zwischentöne. genau von dort, wo der Tabak herkommt. Wer in der Politik schon sonst nichts auf die Reihe kriegt, ein Rauch■ verbot in Wirtshäusern wird er immer hinkriegen. Mit einem Rauchverbot steht man auf der sicheren Seite. Ein Rauchverbot ist wie ein Minarettverbot oder ein Bettelverbot. Es trifft nur eine Minderheit und Pedro Lenz ist am 8. März 1965 in Langenthal/BE geboren. Nach eibefriedigt die schweigende Mehrheit. Doch wer meint, die Hauptaufner Lehre als Maurer absolvierte er 1995 die Eidgenössische Matura gabe einer Demokratie sei es, die Interessen der Mehrheit einer Minund studierte danach einige Semester spanische Literatur in Bern. Seit derheit aufzuzwingen, hat vom Wesen der Demokratie wenig begriffen. 2001 arbeitet er vollzeitlich als Dichter, Schriftsteller und Autor diverMehrere Tatsachen werden beim Rauchverbot ausgeblendet, verser Theaterstücke und als Kolumnist für verschiedene Zeitungen und drängt, umgedeutet oder verschwiegen. Da ist zum Beispiel der wirtZeitschriften. Pedro Lenz lebt in Bern. schaftliche Faktor. Von den Leuten, die jetzt sagen, ihnen sei es sehr recht, dass in Wirtshäusern nicht mehr geraucht werden darf, gehen die wenigsten regelmässig in Wirtshäuser. Wäre es anders, müssten sich die rauchfreien Wirtshäuser ja jetzt mit Nichtrauchern füllen. Das ist aber, wenn wir den Wirten glauben dürfen, überhaupt nicht der Fall. Sehr viele Nichtraucher sind überzeugte Nichtwirtshausgänger. Sie meiden auch rauchfreie Wirtshäuser und tun nur vorübergehend so, als wünschten sie sich rauchfreie Wirtshäuser. Militante Nichtraucher SURPRISE 216/10

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Migration «Du darfst nicht lieben, wen du willst» Schwulenfeindliche Schweizer zeigen mit dem Finger auf Männer wie Darian oder Mugisha. In ihrer Heimat jedoch sind sie an Leib und Leben bedroht: Wie der unterschiedliche Umgang mit denselben Ressentiments für Homosexuelle zum Migrationsgrund wird. VON MENA KOST

«Wenn du hier als schwules Paar Hand in Hand herumläufst, starren dich die Leute an. Manche machen sich über dich lustig. Wir überlegen uns deshalb, nach Zürich zu ziehen. Dort sind die Menschen toleranter.» Darian sitzt auf dem hellen Sofa in seiner sorgfältig eingerichteten Wohnung am Stadtrand von Luzern. «Wieso die Leute das tun?» Der 29-jährige Iraner starrt auf den hellen Parkettboden im Wohnzimmer und sucht nach einer Antwort: «Vielleicht hat das mit der Religion zu tun? Sowohl in der Bibel als auch im Koran wird Schwulsein verurteilt. Oder sie haben Angst vor uns, weil sie keine Schwulen persönlich kennen? Vielleicht wollen sie aber auch einfach auf jemanden herabschauen.» Darian gibt auf: «Ich weiss es doch auch nicht. Ich kann es nicht verstehen.» Das Regime hat seine Ohren überall «Wer von der Mehrheit abweicht, wird grundsätzlich leicht zum Ziel von Ausgrenzung und Gewalt. Eine Gesellschaft reagiert sich an Minderheiten ab.» Udo Rauchfleisch ist emeritierter Professor für klinische Psychologie und einer der bekanntesten Forscher auf dem Gebiet der Diskriminierung von homo- und bisexuellen Menschen. Er kennt den Hauptgrund für Schwulenfeindlichkeit: «In einer heterosexuellen Beziehung nimmt sich der Mann im Allgemeinen wegen seines Status als Mann Sonderrechte heraus.» In homosexuellen Beziehungen funktioniere das nicht, die Macht zwischen den Partnern sei gleichmässiger verteilt: Studien hätten das Klischee längst widerlegt, dass ein Partner «der Mann», also «der Dominantere» sei und der andere «den weiblichen Part» innehabe. «Weil homosexuelle Beziehungen egalitärer sind als heterosexuelle, stellen sie traditionelle Männerbilder und patriarchale Machtverhältnisse radikal in Frage», sagt Rauchfleisch. Das erkläre, wieso Frauen viel seltener etwas gegen Homosexuelle hätten als Männer oder weshalb ausgeprägt patriarchal orientierte Religionskonzepte – die katholische Kirche oder der Islam – besonders schwulenfeindlich seien. «Je stärker die Vormachtstellung des Mannes in einer Gesellschaft, desto gefährlicher ist es für Homosexuelle, darin zu leben.» Im Iran, wo Darian aufgewachsen ist, steht auf gleichgeschlechtlichen Sex die Todesstrafe: «Ich habe erst spät gemerkt, dass ich schwul bin. Oder besser: Ich habe mich lange nicht getraut, das auch nur zu denken.» Darian ist in einer regierungskritischen Familie aufgewachsen, als mittlerer von drei Brüdern; seine Eltern sind nicht religiös, seine Mutter trägt im Haus kein Kopftuch, die Familie hat sich im Fernsehen heimlich westliche Sendungen angeschaut. Andere Werte zu vertreten als die der Regierung, ist im Iran gefährlich – das Regime hat seine Ohren überall.

Mit der Furcht vor diesen Ohren ist Darian aufgewachsen: «Die Angst war immer schon da, ich habe sie von meinen Eltern übernommen. Sie haben mich gelehrt, ein Doppelleben zu führen. Vertrauen kannst du niemandem: In Gesellschaft darfst du nicht essen, was du willst, nicht trinken, was du willst, nicht sagen, was du willst, und du darfst nicht lieben, wen du willst. Nur im Haus, wenn alle Vorhänge gezogen sind, kannst du du selbst sein.» Weil sich das so gehört, suchte sich Darian als junger Student, wie seine Kommilitonen auch, eine Freundin. Viel wichtiger war ihm allerdings sein Mitbewohner. Die beiden jungen Männer verband mehr als die gemeinsame Wohnung: Sie vertrauten einander, organisierten an der Universität geheime Treffen mit anderen regierungskritischen Studenten – und in ihren eigenen vier Wänden führten sie das Leben eines Liebespaars. Trotzdem kam es Darian zwei lange Jahre nicht in den Sinn, sich als schwul zu bezeichnen. Dieser Gedanke war tabu. Irgendwann aber liess er sich nicht mehr beiseite schieben: «Ich musste mir eingestehen, dass ich in diesen Mann verliebt war.» Für Darian war das ein Schock. Niemand durfte das je erfahren, auch seine Eltern nicht, das hätte sie in Gefahr gebracht. Doch nun, wo er selbst ihre Verbindung als Liebesbeziehung ansah, war das umso schwieriger: «Mir wurde bewusst, wie schlecht man Nähe und Vertrautheit verstecken kann. Trotzdem schien es zu klappen, niemand schöpfte Verdacht; bis auf einen Bekannten, der einmal mutmasste, wir seien doch ineinander verliebt.»

«Wenn du nicht für deine Rechte kämpfst, wer tut es dann?»

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Als es 2003 zu Studentenunruhen kam, nahmen Darian und sein Freund – damals waren sie 22 Jahre alt – an verschiedenen Demonstrationen teil. Als jener Bekannte, der über ihre Gefühle füreinander gemutmasst hatte, an einer der Demonstrationen verhaftet wurde, bekam das Paar Angst. «Wir wurden zwar schon mehrfach aufgrund unserer politischen Aktivitäten verhört und danach wieder freigelassen. Aber Gerüchte über Homosexualität … das ist etwas anderes.» Am selben Tag noch erreichte Darian ein Anruf auf seinem Mobiltelefon: Es seien Leute der Regierung in ihre Wohnung eingedrungen und würden dort auf sie warten. «Damit war klar, dass wir das Land sofort verlassen mussten.» Flucht auf die Müllhalde In knapp der Hälfte der Staaten der Welt – in 85, um genau zu sein – wird Homosexualität bestraft. In vielen Ländern sind Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Homosexualität in Haft. Im Iran, in Mauretanien, Nigeria, Katar, Saudi-Arabien, Sudan, Jemen und SURPRISE 216/10


BILD: WOMM

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wahrscheinlich bald auch in Uganda steht auf homosexuellen Geschlechtsverkehr die Todesstrafe. Zwar setzen sich Menschenrechtsgruppierungen weltweit für Schutz und Gleichberechtigung von Schwulen, Lesben und Bisexuellen ein – aber nicht überall können sie Erfolge vermelden: Im ostafrikanischen Staat Uganda, wo Homosexualität bisher mit 20 Jahren Gefängnis bestraft wurde, berät das Parlament derzeit über einen neuen Straftatbestand: Auf «schwere Homosexualität» – dieser Begriff meint beispielsweise als HIV-Positiver gleichgeschlechtlichen Sex zu haben – soll künftig die Todesstrafe stehen. De facto aber werden im christlichen Staat schon heute Menschen wegen ihrer Homosexualität getötet. Zum Beispiel, wenn sie der Homosexualität verdächtigt und in der Folge zu Tode gefoltert werden. «Nenn mich Mugisha, das ist ein schöner Name, und schreib, ich wohne in einer grossen Schweizer Stadt. So erkennt man mich nicht.» Mugisha sitzt an der Theke im Bahnhofbuffet und blickt nervös um sich. Der 26-Jährige lebt seit zwei Jahren in der Schweiz. Vor einer Woche hat er die Abschlussprüfung zum Raumpfleger bestanden, nun sucht er einen Job. In Ugandas Hauptstadt Kampala, wo er aufgewachsen ist, hatte er im Krankenhaus als Pfleger gearbeitet. Mugisha war nicht der Einzige an seinem Arbeitsort, der homosexuell war. 15 Frauen und Männer – unter ihnen angesehene Ärztinnen und Ärzte – waren daran, im Geheimen eine Organisation aufzubauen. Ihr Ziel war es, auch in anderen Spitälern Gruppen zu gründen und sich so über das ganze Land zu vernetzen. «Wenn jemand herausfindet, dass du schwul bist, verlierst du nicht nur deinen Job. Wenn ein Verbrechen geschieht, bist du auch der erste Verdächtige. Und wenn jemand ein Interesse daran hat, wird es ihm

leichtfallen, deine Verhaftung zu veranlassen. Wehren kannst du dich nicht. Wie denn auch, wer sollte dir helfen?», sagt Mugisha. Um über die Lage der Homosexuellen in Uganda zu berichten, wollte seine Organisation an einem internationalen Treffen von Schwulen- und Lesbenorgani-

Abwechslungsweise wurde einer gefoltert, die anderen mussten zuschauen. sationen in Zürich teilnehmen. Er und ein anderer junger Mann sollten diese Aufgabe übernehmen. Mugisha zuckt mit den Schultern: «Wenn du nicht für deine Rechte kämpfst, wer tut es dann?» Einen Tag vor der Abreise war alles vorbereitet; die Tickets waren organisiert und das Visum genehmigt. «Es kommen oft private Sicherheitskräfte zum Krankenhaus, um uns Pfleger zu befragen. Viele Tote oder Sterbende werden einfach vor den Pforten deponiert, und die Sicherheitsleute wollen wissen, ob wir gesehen haben, wer sie abgelegt hat. Als sie an jenem Tag kamen, dachte ich, es gehe um so etwas – und stieg ins Auto.» Erst als er die Pistolen sah, wusste Mugisha, dass es diesmal anders war. Sie verbanden ihm die Augen und nahmen ihm die Binde erst nach einer langen Fahrt wieder ab. Mugisha stand vor einem normal aussehenden Wohnhaus, in dessen Inneren es von Uniformierten wimmelte. Er wurde in den Keller geführt, wo er die nächsten fünf Tage verbrachte – immer nackt, meist im Dunkeln, und ohne sich ein einziges Mal hinlegen zu dürfen. Es waren noch andere Männer dort. Abwechslungsweise wurde einer gefoltert, die anderen mussten zuschauen. Irgendwann gestand Mugisha, dass er schwul sei. Danach wollten seine Peiniger, dass er ihnen Namen von anderen Homosexuellen preisgab. «Sie schlugen uns, rissen uns die Fingernägel aus, sie häng-

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ten uns Gewichte an die Hoden und machten Dinge, die ich nicht erzählen werde. Sie können alles mit dir machen, du bist ihnen egal. Man sieht es an ihren Augen: Deine Schmerzen sind ihnen wirklich komplett egal. Aber ich habe niemanden verraten.» Am Abend des fünften Tages gelang Mugisha die Flucht: Im Kellerraum stand ein Eimer, der den Gefangen als Toilette diente. Diesen sollte er im umzäunten und bewachten Hof leeren. Als er den Müllcontainer erreichte, bemerkte er, dass ihn niemand beobachtete – die Uniformierten waren beim Nachtessen. Mugisha handelte schnell. Er kletterte in den Container und versteckte sich zwischen Abfall und Exkrementen. Bevor sein Fehlen bemerkt wurde, kam das Müllauto und transportierte ihn ab. Mugisha landete – verdreckt und schwer verletzt – auf einer Müllhalde. Noch am gleichen Tag organisierte ihm eine Frau seiner Organisation ein Ticket in die Schweiz. Wie sie das in so kurzer Zeit schaffte, ist Mugisha unbegreiflich. Und doch sass er, mit Schmerzmitteln vollgepumpt, in einer Maschine nach Genf. Mit den paar Dollars, die er bei sich hatte, fuhr er weiter nach Zürich-Oerlikon, wo gerade die Abschlussveranstaltung der Konferenz stattfand, an der seine Teilnahme geplant gewesen war. «Die Leute dort haben mir sehr geholfen, ich wurde zum Arzt gebracht. Am nächsten Tag ging ich ins Empfangszentrum für Asylsuchende. Ich wusste, dass ich nicht mehr zurück konnte.» Als Mugisha wenige Tage später zu Hause anrief, erfuhr er, dass der Kollege, der ihn zur Konferenz hätte begleiten sollen, die Folter nicht überlebt hatte. Das Schweigen brechen Der Iraner Darian und sein damaliger Freund erreichten die Schweiz erst nach mehrwöchiger Flucht. Im Anhänger eines Autos wurden sie über eine letzte Grenze geschmuggelt und irgendwo in der Romandie auf einer Wiese ausgeladen. Auf gut Glück liefen sie in eine Richtung und erreichten nach einer Weile eine Stadt: Lausanne. Sie meldeten sich bei der Polizei, welche die Flüchtlinge weiter in ein Empfangszentrum schickte, wo das Einreiseprozedere begann: «Der deutsch-persische Dolmetscher hat mich während den Interviews gefragt, seit wann ich mich in den Arsch ficken lasse. Der andere Mann, der mir auf Deutsch die Fragen stellte, schrie mich an. Ich sprach noch kein Deutsch und verstand nicht, was er sagte. Ab und zu liess er seine Fäuste auf die Tischplatte donnern», erinnert sich Darian. Er wusste, dass Homosexualität in der Schweiz nicht strafbar ist, deshalb war er ja hierher gekommen. Trotzdem machte ihm dieser Befragungsstil Angst. «Ich dachte, dass es ein grosser Fehler gewesen war, den Verantwortlichen anzuvertrauen, dass ich homosexuell bin.» Nach einer weiteren Befragung und einigen Monaten Wartezeit bekam er den Bescheid: Sein Asylgesuch wurde abgelehnt. Begründung: Zwar sehe das iranische Gesetz die Todesstrafe für Homosexuelle vor, aber in der Praxis würde sie nicht vollzogen. Laut Amnesty International wurden im Iran seit der islamischen Revolution 1979 über 4000 Homosexuelle getötet. Auch in Schweizer Medien sind regelmässig Berichte über Hatz und Hinrichtungen im Iran zu finden. «Das Argument, die Todesstrafe würde im Iran nicht umgesetzt, ist absolut unverantwortlich», sagt Denise Graf, Juristin und Flüchtlingsexpertin von Amnesty Schweiz. Sie redet schnell und bestimmt: «Auch wenn das iranische Gesetz nicht in jedem Fall angewendet wird, wir wissen alle über Willkür und Brutalität dieses Staates Bescheid.» Trotzdem wird nicht selten mit der fehlenden letzten Konsequenz in der Anwendung unmenschlicher Gesetze argumentiert: «Faktische Beweise, wie sie vom Bundesamt für Migration als Beleg für die Verfolgung wegen Homosexualität verlangt werden, sind sehr schwer zu erbringen.» Wie eine Untersuchung der juristischen Zeitschrift «Asyl» zeigt, wurden zwischen 1993 und 2007 nur gerade vier von 90 Asylgesuchen, die auf Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung basierten, mit einer

vorläufigen Aufnahme beantwortet. Rund 95 Prozent der Gesuche wurden also abgelehnt. Die durchschnittliche Anerkennungsquote aller Asylgesuche liegt jedoch bei über elf Prozent. Es ist demnach doppelt so schwer, als verfolgter Homosexueller Asyl zu erhalten wie als durchschnittlicher Asylbewerber. «Der Grund ist eine mangelhafte Sensibilisierung für dieses Thema. Viele Leute haben anscheinend keine Ahnung, was es bedeutet, wegen seiner sexuellen Identität verfolgt zu werden», so Graf. Katastrophal sei etwa der Umstand, dass ein verspätetes Vorbringen der Homosexualität oft als Unglaubwürdigkeitselement ausgelegt würde. «Viele sind aufgrund der Erfahrungen in ihrem Heimatland traumatisiert. Sie mussten ihre Sexualität ein Leben lang geheim halten. Wenn sie erst in der zweiten Befragung damit herausrücken, ist das nur normal.» Bisher gibt es im Asylgesetz keinen Artikel, der Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung explizit als Asylgrund vorsieht. Eine Motion der Grünen will dies ändern und fordert eine entsprechende Erweiterung. Denise Graf: «Als 1998 frauenspezifische Verfolgungsgründe – also etwa Vergewaltigung – ins Gesetz eingefügt wurden, hat das zu einer grossen Veränderung im Umgang mit den Betroffenen geführt. Beispielsweise wurden Befragungen bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch fortan von Frauen geführt. Das hat viel gebracht. Ein Gesetzeszusatz würde auch in diesem Fall viel zur Besserstellung homosexueller Flüchtlinge beitragen.» Sowohl Mugisha als auch Darian haben sich bereits bei ihrer ersten Befragung durch die Behörden in der Schweiz getraut, zu sagen, dass sie homosexuell sind. Das erstaunt nicht sonderlich, sind sie doch beide gebildet, haben über die Gesetzeslage in der Schweiz Bescheid gewusst – und sind Kämpfernaturen. Mugisha gehört zu den vier Fällen, denen zwischen 1993 und 2007 aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Asyl gewährt wurde. Für ihn war es kein Problem zu beweisen, dass er in seiner Heimat an Leib und Leben bedroht war: Sein körperlicher Zustand sprach für sich. Die Ablehnung von Darians Aslyantrag wurde korrigiert – nicht wegen der Gesetzeslage im Iran, sondern weil Darian, während sein Asylverfahren hängig gewesen war, für verschiedene Schweizer Organisationen auf Podien öffentlich das iranische Regime kritisiert hatte. Eine Rückkehr, so die Behörden, stelle deshalb tatsächlich eine Gefahr für sein Leben dar. «Ich habe gelernt, offen zu sagen, dass ich schwul bin. Dazu braucht man Mut, und man muss seine Rechte kennen. Es gibt viele Flüchtlinge, die das nicht können. Und es gibt noch immer viele Schweizer, die ihre

«Es kam mir nicht in den Sinn, mich als schwul zu bezeichnen. Dieser Gedanke war tabu.»

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sexuelle Identität vor ihrem Umfeld verstecken.» Darian spricht unterdessen fast fehlerfrei Deutsch und schliesst bald seine Ausbildung zum Krankenpfleger ab. Seine Brüder und seinen Vater hat er seit seiner Flucht vor sechs Jahren nicht wieder gesehen. Aber seine Mutter konnte ihn im vergangenen Jahr besuchen kommen. «Wir müssen die Politiker aufrütteln und den Betroffenen Mut machen. Bis zur Gleichberechtigung gibt es überall noch viel zu tun.» ■ PS: In der Schweiz wurde die Strafbarkeit homosexueller Handlungen im Jahr 1942 abgeschafft. 1992 wurde das Schutzalter für gleichgeschlechtliche Handlungen vom 20. aufs 16. Lebensjahr heruntergesetzt und damit demjenigen heterosexueller Handlungen angepasst. Seit 2007 können gleichgeschlechtliche Paare ihre Partnerschaft eintragen lassen. Die entsprechende Gesetzesvorlage wurde mit 58 Prozent Ja-Stimmen angenommen.

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Camping im Winter Parzellierte Freiheit Campieren – das klingt nach Sommer, Sonne, Ferien. Doch es gibt Menschen, die auch bei klirrender Kälte auf dem Campingplatz leben. VON JULIA KONSTANTINIDIS (TEXT) UND RUBEN HOLLINGER (BILDER)

Die Sonne steht am Himmel und lässt die Wagen und Zelte im Licht glänzen. Auf Klappstühlen sitzen Menschen, auf dem Grill brutzelt das Fleisch, und das frische Bier kühlt die trockene Kehle. Sommer, Sonne, Campingplatz. Ein Leben, das immer so weitergehen könnte, hätten die Ferien nicht irgendwann ein Ende und kündeten die ersten farbigen Blätter nicht den nahenden Winter an. Auch die hartgesottensten Camper verrammeln spätestens Ende Oktober auf den meisten Plätzen die Türen ihrer Wohn-

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wagen oder bauen ihre Zelte ab und lagern sie in den Kellern ihrer Wohnhäuser. Bis die Campingsaison im März wieder von Neuem startet, müssen sie auf ihre Vorliebe für das Freiluftwohnen verzichten. Nicht so Sven Unold, Peli Fischer und Felix Müller. Die drei haben sich für das ständige Leben in der temporären Wohnform entschieden. Ihre Wohnwagen stehen auf dem Campingplatz im aargauischen Frick, der für Touristen im Winter zwar nicht geöffnet ist, den Betrieb aber für das halbe Dutzend der dauernden Bewohner aufrechterhält. Sie stapfen auch bei Minustemperaturen früh am Morgen zur Duschanlage des Platzes und beschränken ihr Eigentum auf das, was in ihren mobilen UnterSURPRISE 216/10


künften Platz hat. Und das nicht, weil sie müssen, sondern weil sie wollen: Unold, Fischer und Müller haben wie andere Dauercamper ihren Lebensstil bewusst gewählt. Nicht aus finanziellen Gründen, obwohl die niedrigen Lebenshaltungskosten ein positiver Nebeneffekt sind. «Ein 08/15-Leben in einer Wohnung wollten wir nicht», erklärt Felix Müller, der mit Freundin Peli Fischer seit zwei Jahren im Wohnwagen lebt. Er habe schon seit Langem gewusst, dass er irgendwann einmal in einem Wohnwagen leben werde. Ganz so sicher wussten Sven Unold und seine Lebenspartnerin, die nur für die kältesten Monate aus dem Wohnwagen in ein Studio zieht, nicht, wie sie dereinst wohnen würden. «Wir waren aber immer schon gerne draussen und an alternativen Wohnformen interessiert», meint Unold. Nach Ankündigung einer neunmonatigen Wohnungssanierung mit einhergehendem Mietzinsaufschlag hatten Sven Unold und seine Partnerin beschlossen, für den Sommer auf den Zeltplatz zu ziehen. Aus dem einen Sommer wurden zwei Jahre und die beiden denken nicht ans Wegziehen. Vielleicht auch, weil sie für Platzmiete nur den Bruchteil einer Wohnungsmiete aufwerfen müssen: Rund 3200 Franken jährlich. Nicht eingerechnet darin ist allerdings der Strom, das Gas, das es zum Kochen braucht, das Petroleum für die Heizung und die Kosten für die Instandhaltung des Wohnortes. Ihre Ausrüstung wird immer besser und das Paar auf dem Zeltplatz sesshafter: «Für den Anfang hatten wir einen geliehenen Wohnwagen und ein auf dem Versteigerungsportal Ricardo erstandenes Hauszelt», erinnert sich Unold in seinem gemütlichen Vorbau bei einer Tasse Kaffee. Draussen quieken die Meerschweinchen im Käfig.

er wieder einen Bezug zum Wesentlichen im Leben gewonnen: «Ich habe mich auch charakterlich verändert.» Die neue Wohnumgebung habe ihn beflügelt, offener und toleranter gemacht. Balast abwerfen Einem Aussenstehenden fällt es schwer, in der eng bemessenen Umgebung von abgesteckten Parzellen, sich aneinander reihenden Wohnwagen und Campingplatzregeln das Freiheitsgefühl von Sven Unold nachvollziehen zu können. Trotzdem muss es etwas Befreiendes haben, dauernd und auch im Winter auf Einbauküche und Zentralheizung zu verzichten. Denn auch Peli Fischer und Felix Müller sind froh, dass sie Balast abwerfen konnten: «Beim Umzug haben wir 600 Kilo Hab und Gut entsorgt», berichtet Peli Fischer mit strahlendem Gesicht. Ihr Wohnwagen gehört zwar zur Luxusklasse, darf aber nicht mehr als zwei Tonnen wiegen, wenn er stras-

Die Dauercamper stapfen auch bei Minustemperaturen frühmorgens zur Duschanlage des Platzes.

Schöner Wohnen lässt grüssen Auf einem kurzen Rundgang über den Campingplatz zeigt Unold auf andere Wohnwagen, in denen Dauermieter leben. Schnell wird klar: Es gibt grosse Unterschiede – da ist der Mieter mit einem Nobel-Camper, der an amerikanische Spielfilme erinnert, dort das konventionelle Heim auf vier Rädern mit dem obligaten Vorzelt. Und da ist Unolds Parzelle mit dem blauen Vorbau, der mit dem grossem Fenster so einladend wirkt. «Es muss aussehen wie ein Zelt und abbaubar sein», erklärt Sven Unold die Konstruktion an der Breitseite seines Wohnwagens, die allerdings sehr stabil aussieht. Darin untergebracht sind die Küche und ein Atelier in Mini-Format, wo der Schlosser mit einer Halbtagesanstellung in der Freizeit Skulpturen herstellt. Die Einrichtung hätten auch Gestalter von «Schöner Wohnen» nicht besser hingekriegt und der Stolz von Sven Unold auf seinen eigenhändig gezimmerten Vorbau ist verständlich. Der grösste Luxus darin: die neue Petroleumheizung mit Zeitschaltung. «Im Winter schlafen wir bei sechs Grad», erzählt der 46-Jährige. In seiner ersten Wintersaison habe er sich deshalb auch nach der ersten Woche bei klirrender Kälte einen anständigen Schlafsack gekauft. Um sich den zweiten Winter auf dem Camping noch etwas gemütlicher zu gestalten, hat Unold hinter seinem Wohnwagen neu einen Regenwassertank installiert und einen Wasserfilter gekauft. Wenn im Winter die Wasserzufuhr zu den Wohnwagen wegen Einfriergefahr abgestellt wird, bezieht er das Wasser aus dem Tank und erspart sich so die Gänge zur Sanitäranlage des Platzes, um dort Kanister abzufüllen. In Unolds Wohnwagen untergebracht sind neben dem Schlafzimmer eine weitere Schlafkoje, eine Büronische mit Schreibtisch und Computer sowie die Toilette mit kleinem Lavabo. Überall herrscht Ordnung, im Bad stehen Kosmetika in Reih und Glied, in der Küche hat jeder Topf und Teller seinen Platz: Wer hier keine Ordnung hält, hats unweigerlich schwer. Seinen Umzug aus den warmen – und grosszügigeren – vier Wänden auf den Campingplatz mit 25 Quadratmetern Wohnfläche hat Sven Unold trotzdem noch nie bereut: «Ich fühle mich hier freier als früher in der Wohnung», schwärmt er. Durch das Leben auf dem Campingplatz habe SURPRISE 216/10

sentauglich sein soll. Denn die beiden wollen trotz des Dauerplatzes in Frick mobil bleiben. Für Arbeitsaufträge im Eventbereich fahren sie regelmässig mit ihrem rollenden Zuhause in andere Regionen der Schweiz. «Wir können in einer Viertelstunde weg sein», schätzt Felix Müller. Sind sie auf den Strassen unterwegs, fahren sie mit einer kleineren Eigentumswohnung im Schlepptau umher: Ihr Modell «Baronesse» kostet neu rund 65 000 Franken. Ihren zehnjährigen Wagen kauften die beiden allerdings occasion. Das Dach haben sie für die bessere Isolierung verdoppelt und die Innenausstattung, die von hellem Holzmobiliar mit Goldverzierung geprägt ist, nach ihrem Geschmack abgeändert. Die anfänglichen Investitionen haben sich gelohnt, denn jetzt leben Peli Fischer und Felix Müller mit einem Drittel der Kosten, die sie unter «normalen» Wohnumständen aufbringen müssten. Die beiden leben auf dem Zeltplatz in Frick – seit sich dessen Betreiber für die durchgehende Öffnung entschieden haben. «Wir bauten den Platz sowieso um und erstellten bei dieser Gelegenheit ein Gebäude, das beheizt ist», erklärt Annelis Mösch, die den Platz mit ihrem Mann betreibt. 70 Stellplätze sind an Dauermieter vergeben, die ab und zu ein Wochenende auf dem Camping verbringen und zu denen auch die sechs Dauerbewohner zählen. Die restlichen 30 Plätze sind für Touristen vorgesehen und das soll auch so bleiben: «Wir möchten eine Durchmischung beibehalten und verhindern, dass aus dem Campingplatz eine Art Dorf im Dorf wird», stellt Annelis Mösch klar. 131 Campingplätze sind das ganze Jahr durchgehend geöffnet, viele davon liegen in Berggebieten, wo auch im Winter Campingtouristen übernachten. Nur wenige Plätze – die meisten davon liegen im Unterland Anzeige:

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Der Stolz des Heimbesitzers: Sven Unold vor seinem Wohnwagen mit selbst gebautem Vorbau.

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und in der Agglomeration von grösseren Ortschaften – akzeptieren hingegen Dauerbewohner wie diejenigen in Frick. Wie viele Personen gesamtschweizerisch fix auf einem Campingplatz leben, ist schwer zu sagen, da bisher keine Statistik darüber geführt wird.

Füsse zieht. Peli Fischer und Felix Müller sind sich einig, dass das Leben auf dem Campingplatz naturnaher und sozialer ist als in einer Wohnung. Denn auch die Nachbarn kochen vor dem Wohnwagen, man trifft sie auf dem Weg zur Dusche oder beim Ausspannen vor dem Zelt. «Ich halte mich mit der Kontaktaufnahme etwas zurück», meint Felix Müller, der einem Vollzeitjob nachgeht. Peli Fischer, die mehr Zeit auf dem Campingplatz verbringt, kommt öfter mit Freizeit-Mietern in Kontakt und geniesst das auch. Ihr Rezept für eine gute Nachbarschaft: «Wenn mich etwas im Kontakt mit den anderen stört, spreche ich es sofort an.» Denn

Schlagzeug im Container Für den zweiten Winter, den sie auf dem Campingplatz verbringen, haben sich Peli Fischer und Felix Müller noch etwas komfortabler eingerichtet: Den Sommer hindurch bauten sie einen alten Bauwagen aus, der jetzt mit einer Küche, einem Esstisch und einer Toilette ausgestattet ist und nur wenige Meter «Durch das Leben auf dem Campingplatz habe ich wieder vom Wohnwagen entfernt steht. «Vorher haben einen Bezug zum Wesentlichen im Leben erhalten.» wir im Vorzelt gekocht, weil das aber ziemlich klein ist, hatten wir die Idee mit dem Wagen», anders als für die Ferien- und Wochenend-Camper ist für die Dauermieerzählt Peli Fischer. Doch trotz der neuen Kücheneinrichtung kommen ter das Leben auf dem Zeltplatz Alltag und ihre Bedürfnisse sind deshalb die leckeren Brötchen, welche die Gastgeberin offeriert, weiterhin aus unterschiedlich. Die Dauerferienstimmung, die im Sommer auf dem dem Kugelgrill – beim Leben als Dauercamper hat jeder so seine Tricks. Platz herrscht, kann für sie ganz schön anstrengend sein. Zugeständnisse an die materielle Welt machen Fischer und Müller mit Deshalb freuen sich sowohl Unold wie auch Fischer und Müller auf dem Schiffcontainer, den sie auf dem Industriegebiet in Frick deponiert das Saisonende und auf den Winter und die Ruhe, die dann auf dem haben: Dort drin stehen ihre beiden Motorräder, mit denen sie im SomPlatz einkehrt. mer Touren unternehmen sowie eine kleine Werkstatt. In einem zweiten, ■ isolierten Mietcontainer steht ausserdem Peli Fischers Schlagzeug, und sie nutzt diesen Container zudem, um Gruss- und Wunschkarten herzustellen, die das Paar auf dem Fricker Markt verkauft. Fischer mag es, wenn es im Winter um den Wohnwagen stürmt und es ihn bei einer besonders wuchtigen Böe auch mal durchrüttelt: «Im Winter gehts da draussen ab.» Und auch die tiefen Temperaturen im Wohnwagen in der Nacht vermindert die Begeisterung des Paares um die 40 für ihre Art zu Wohnen nicht. Erst recht nicht, seit sie unter der Sitzgruppe einen Heizteppich hingelegt haben und es nun nicht mehr an die

Statt im Vorzelt kocht Peli Fischer diesen Winter im Bauwagen. SURPRISE 216/10

Peli Fischer und Felix Müller in ihrer «Baronesse».

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BILDER: ZVG/JUTTA GSTREIN

Gehörlosigkeit Stiller Kampf um Selbstbestimmung Die Gehörlosen gehören zu den unauffälligsten Randgruppen. Seit Jahren kämpfen sie für die Anerkennung der Gebärdensprache und gegen den Zwang, mit einer neuen Hörhilfe namens Cochlea-Implant (CI) in die Welt der Hörenden integriert zu werden. Von der Öffentlichkeit unbemerkt, ringen die Gehörlosen um den Erhalt ihrer Kultur. VON RETO ASCHWANDEN

«Da viele Gehörlose CI-feindlich eingestellt sind, ist heute ein schöner Tag für sie! Denn um 18.30 Uhr findet im Zürcher HB eine Show statt, bei der drei CIs gleichzeitig vernichtet werdet. Ein CI wird durch einen Flammenwerfer, ein anderes CI durch einen Hammer und ein drittes CI durch eine Dampfwalze zerstört.» Der Eintrag im Diskussionsforum der Hörbehinderten-Website deafzone.ch entpuppte sich als Scherz. Trotzdem veranschaulicht er die Haltung von Teilen der Gehörlosen-Community gegenüber dem Cochlea-Implantat (CI, siehe Infokasten), einer Hörhilfe, welche die einen als Wunder der Technik betrachten, andere hingegen als Werkzeug zur Zerstörung der Gehörlosenkultur. Die Diskussion wird kontrovers geführt, teilweise gehässig. Das kommt nicht von ungefähr: Die Geschichte der Gehörlosen ist zu einem guten Teil geprägt vom Kampf um Selbstbestimmung, insbesondere auch in Bezug auf die Gebärdensprache. Den Gehörlosen dient die Gebärdensprache nicht bloss als Hilfsmittel zur Verständigung, vielmehr bildet sie einen integralen Bestandteil ihrer Identität. Mittlerweile herrscht ein Konsens darüber, dass die Ge-

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bärdensprache nach allen linguistischen Regeln eine vollwertige Sprache darstellt: Es gibt eine komplexe Grammatik, regionale Eigenheiten und Dialekte. Offiziell anerkannt ist die Gebärdensprache in den skandinavischen Ländern sowie in den USA, Österreich und Ungarn – nicht aber in der Schweiz. Gefährdete Gebärden Die Geschichte der Gehörlosen in der Schweiz wurde bis heute nie systematisch aufgearbeitet. Es gab lediglich punktuelle Studien, etwa die Diplomarbeit von Jutta Gstrein (heute Medienverantwortliche beim Schweizerischen Gehörlosenbund) über die Zustände in Gehörloseninternaten in den Jahren zwischen 1930 und 1975. Viele Schilderungen ähneln Erlebnissen anderer Heimkinder. Spezifisch sind aber die Strafen, die Gehörlose erfuhren, wenn sie sich mit Gebärden unterhielten. Viele Erzieher diffamierten die Gebärden als «Affensprache». Die Kinder wurden auf die Lautsprache gedrillt und Gebärden auch im Umgang untereinander bestraft. Dabei kamen mittelalterliche Methoden zum Einsatz: Betroffene erinnern sich, wie ihre Arme in Kartonröhren gesteckt wurden. Gstrein beschreibt die Ablehnung der Gebärdensprache SURPRISE 216/10


als «Kommunikationsverbot mit verheerenden Folgen für die kognitive und psychische Entwicklung der Kinder.» Angefangen hat die Repression gegen die Gebärden 1880 beim Kongress der Gehörlosenlehrer in Mailand, an dem Pädagogen, die selber taub waren, kein Stimmrecht hatten: Der Gebrauch der Gebärdensprache wurde europaweit verboten. Insbesondere im deutschsprachigen Raum wirkt diese Ächtung bis heute nach. Die meisten Schulen pflegen einen streng auf die Lautsprache ausgerichteten Ansatz: Die gehörlosen Kinder lernen primär sprechen. Das geht nur mit intensiver Schulung, weil taube Kleinkinder weder Worte noch Klänge wahrnehmen. Die Gehörlose Doris Hermann, die sich auf eine Anfrage über das Gehörlosenforum «deafzone» meldete, erinnert sich: «Weil die Schule ganz auf das Sprechen ausgerichtet war, trat die Wissensvermittlung in den Hintergrund. Deshalb fällt Gehörlosen später der Zugang zu Bildung schwer.» Tatsächlich gibt es in der Deutschschweiz nur eine Gehörlosenschule, die dem Sekundarniveau entspricht, während andere lediglich auf Realschulniveau unterrichten. Und selbst in der Sprache bleiben Defizite: Wer schriftlich mit Gehörlosen kommuniziert, stellt oft viele, insbesondere grammatikalische Fehler fest. Dies deshalb, weil die Komplexität der deutschen Sprache in der Lautsprache nur sehr schwer an Gehörlose zu vermitteln ist. Doris Hermann schreibt dazu: «Hundertprozentig ausdrücken kann ich mich nur in meiner eigenen (der Gebärden-) Sprache. In der Lautsprache hingegen fühle ich mich blockiert, weil ich immer überlege: Ist dieser Satz so richtig?» Betroffene verweisen deshalb auf ein Schulkonzept für fremdsprachige Kinder, bei dem diese parallel auf Deutsch und in ihrer Muttersprache unterrichtet werden. Jutta Gstrein meint dazu, im Interesse einer optimalen Kommunikation sollte die Erziehung gehörloser Kinder «primär in der Gebärdensprache und danach schrittweise auch in der Lautsprache erfolgen.» Aussenseiter in zwei Welten Die Entwicklung läuft aber in die andere Richtung. Denn mit dem Cochlea Implantat wird der Fokus noch stärker auf die Lautsprache gelegt, die Gebärdensprache rückt weiter in den Hintergrund. Während das

CI früher vor allem bei Erwachsenen eingesetzt wurde, die sich selbstbestimmt für oder gegen das Gerät entscheiden können, bilden mittlerweile gehörlos geborene Kleinkinder die Hauptzielgruppe – und für sie entscheiden die Eltern. Das weckt Ängste. Wenn Eltern alles daran setzen, ihr Kind in die Regelklasse zu schicken, wird der Bedarf nach Gehörlosenschulen immer kleiner. In der Konsequenz droht das Verschwinden der Gehörlosenkultur, weil die Betroffenen von der Welt der Hörenden assimiliert werden. Wenn Vertreter der Hörmittelindustrie verkünden, in 20 Jahren werde es keine Gehörlosen mehr geben, dient das als Brandbeschleuniger für eine ohnehin lodernde Diskussion. Gehörlose betrachten sich als Kulturgemeinschaft mit eigener Sprache. Deshalb kritisieren sie die Eingliederung um jeden Preis. Auch ein Gehörloser mit CI, der die Regelschule besucht, wird nie «normal» sein. Denn er bleibt hörbehindert und wenn er die Gebärdensprache nicht beherrscht, bleibt er ein Aussenseiter, sowohl unter Hörenden wie auch unter Gehörlosen. Betroffene wie Doris Hermann streben deshalb eine Integration in beide Umfelder an: «Wenn gehörlose Kinder von Anfang an beide Sprachen erlernen, können sie sich problemlos in beiden Welten bewegen und somit selbst über ihr Leben bestimmen.» Die Gehörlosen wollen selber entscheiden können, ob und wann sie technische Hörhilfen einsetzen wollen. Die Frage ist, wie lange sie das noch können.

Cochlea-Implantat Im Gegensatz zu herkömmlichen Hörgeräten funktioniert das Cochlea Implantat (CI) nicht einfach als Verstärker für Schwerhörige, sondern ermöglicht auch Gehörlosen akustische Wahrnehmungen. Ein äusserlich getragenes Mikrofon nimmt Schallschwingungen auf, ein Überträger wandelt diese in elektrische Impulse um. In die Hörschnecke (lat. Cochlea) implantierte Elektroden leiten diese Impulse auf den Hörnerv, wodurch ein Höreindruck hervorgerufen wird. Anfang der 70er wurde das erste Gerät eingesetzt, heuten leben weltweit über 30 000 Menschen mit einem CI, davon rund 500 in der Schweiz. (ash)

Interview «Getrennt vom sozialen Leben» Karin Christen-Mezger (35) ist gehörlos und trägt ein Cochlea-Implantat. Im Kurzinterview spricht sie über Integration und Selbstbestimmung in der Welt der Hörenden. Wurden Sie in der Schule in der Gebärdensprache unterrichtet? Nein, ich wurde lautsprachlich erzogen, dafür musste man sprechen lernen. Erst in der Berufsschule in Oerlikon lernte ich die Gebärdensprache kennen. Wann benützen Sie die Gebärdensprache? Im Alltag kaum, da ist die Lautsprache zwingend. Unter Hörbehinderten hingegen benütze ich vor allem die Gebärdensprache. Wie stehen Sie zum CI? Für Leute, die als Erwachsene schwerhörig werden oder ertauben, ist das eine sehr sinnvolle Hilfe. Vor zwei Jahren habe ich mich entschieden, ein CI zu tragen. Ich möchte mich beruflich selbstständig machen, deshalb ist Kommunikation sehr wichtig. Oft entscheiden heutzutage die Eltern, ob ihr gehörloses Kind ein CI tragen soll. Ich verstehe die Eltern: Sie möchten, dass ihr Kind möglichst «normal» aufwachsen kann. Richtig integriert wird ein gehörloser Mensch in der SURPRISE 216/10

Welt der Hörenden aber nie sein. Und wenn er die Gebärdensprache nicht beherrscht, bleibt er auch unter Gehörlosen ein Aussenseiter. Fühlen Sie selber sich gesellschaftlich integriert? Nein, bei der Stellensuche etwa fühle ich mich benachteiligt. Niemand will mich in der KV-Branche anstellen. Wer nicht telefonieren kann und sehr gute mündliche Fremdsprachkenntnisse hat, erhält kaum eine Chance. Auch mit beruflichen Weiterbildungen können wir nichts anfangen, da diese nur auf Hörende ausgerichtet sind. Wie selbstbestimmt fühlen Sie sich als Gehörlose im Alltag? Wir können uns frei bewegen, sind aber in der Kommunikation eingeschränkt, müssen viele Informationen schriftlich einholen. Manchmal hält man uns auch für geistig behindert, wenn wir etwas nicht sofort verstehen. Blindheit trennt einen von den Dingen, Gehörlosigkeit aber vom sozialen Leben. Einen Vorteil hat die Gehörlosigkeit allerdings: Wir können meistens ungestört schlafen! ■

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BILD: ANDREA GANZ

Le mot noir Falsche Vorsätze Letzthin in Eile. Ich schleudere meine Tasche auf die Couch und lasse mich in einen Sessel fallen. Sieben Frauen sehen mich schweigend an. «Ich weiss, ich bin spät! Wo – ähm – sind wir?» «T.C. Boyle über Frank Lloyd Wright und seine Frauen.» «Richtig.» Seit meine Freundin Barbara mich platt gequatscht hat, bin ich in einem Buchklub. Weiche Sofas, tolle Kekse und unterschiedliche Frauen, die es alle schaffen, ein Buch zu lesen und pünktlich hier zu sein. Meine Vorsätze für dieses Jahr. «Die Frage, die Boyle beschäftigte, war doch: Was wollten die Frauen von einem Genie wie Wright», macht Barbara weiter. «Ich bitte dich!», werfe ich ein. «Niemand weiss, was Frauen wollen!» «Doch, manche wissen ganz genau, was sie wollen», blättert Sibil in Zeitlupe im Buch. «Nun ja, vielleicht wollen Frauen einfach alles!», wirft Maria freudig ein.

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«Vielleicht wollen manche Frauen einfach nur das, was andere Frauen haben!», bläkt Barbara und steht unvermutet auf. In der Runde wird es ruhig. «Worüber reden wir hier eigentlich?», frage ich verwirrt. «Über Boyle», fängt Barbara an, den Kuchen in Stücke zu hacken. «Hey, das ist ein Apfelkuchen!», zischt ihr Sibil zu. Ich bin beeindruckt: «Selber gebacken? Wow!» Barbara schaufelt uns schweigend Krümel auf die Teller. «Also ich finde, dieser Wright hat es nicht schlecht getroffen», überlege ich. «Haufenweise Erfolg, haufenweise Sex und nie was auf dem Konto!» Barbara beugt sich mit dem Kuchenmesser zu Sibil herüber: «Ich finde, du solltest die Finger von meinem Mann lassen.» «Ich tue nichts, was andere nicht auch getan haben», blättert Sibil ungerührt im Buch. Wir anderen sehen uns betreten an. «Hätten wir lieber was von Alan Bennett besprochen?», frage ich vorsichtig. «Dieser Boyle ist offenbar etwas schwierig», kommt mir die Runde zu Hilfe. «Schwierig ist nur, dass Sibil nicht weiss, wann es zu viel ist», zischt Barbara kalt zurück. «Ich? Ich?!», verliert Sibil die Fassung: «Du hast dich doch letztes Jahr mit meinem Mann getroffen!» «Die joggen halt gern zusammen», werfe ich ein: «Das weiss doch jeder.» «Joggen? Gebügelt hat sie ihn! Zwei ganze Monate lang!» «Ja und?», wird Barbara lauter: «Er ist ein erfolgreicher, charismatischer Mann! Was erwartest du? Dass er mit

Scheuklappen durch die Gegend läuft!» «Reden wir hier von Sibils Mann?», beuge ich mich zu Maria vor. «Ich dachte, der hätte schon vor Jahren Konkurs angemeldet?» «Hat er auch!», zuckt Maria die Schultern. «Es geht nicht um Geld!», brüllt Sibil nun ungehalten in die Runde: «Es geht um Sex!» Oh. Okay. «Oh, nein, es geht um Rache!», brüllt Barbara zurück. «Süsse und kalte Rache!» «Ähm, zurück zu Boyle», beschliesst die Runde. «Wo – ähm – waren wir?», will ich wissen. «Beim Apfelkuchen.» «Bei diesem Miststück, das meinen Mann vögelt!», ist Barbara nicht zu stoppen. Ach herrje. «Beruhige dich, meine Liebe», klopfe ich ihr auf die Schulter. «Wir besprechen hier nur ein Buch.» «Sei du nur froh, dass sie mit deinem Hund nicht joggen geht!», schleudert mir Sibil entgegen und steht auf. Eine Stunde später und zwei Teilnehmer weniger löst sich die Runde auf. «Und was lernen wir daraus?», flüstert mir Maria beim Hinausgehen ins Ohr. Ich hieve die Tasche über meine Schulter und grinse ihr zu: «Dass meine Vorsätze für dieses Jahr ab sofort gestrichen sind.»

DELIA LENOIR (LENOIR@HAPPYSHRIMP.CH) ILLUSTRATION: IRENE MEIER (IRENEMEI@GMX.CH) SURPRISE 216/10


Musik Wieso China nicht rockt Chinesische Gegenwartskunst erzielt bei Auktionen Höchstpreise, chinesische Filme gewinnen Auszeichnungen, und bei der Frankfurter Buchmesse war China unlängst Ehrengast. Doch wo bleibt die chinesische Musik? Insider erklären, woran es hapert.

Es ist heiss, hier im Mao Livehouse, einem der vielen kleinen Untergrundrockschuppen, die seit einigen Jahren im ganzen Land aus dem Boden schiessen. Im Hintergrund erinnert eine stilisierte Figur von Mao Zedong daran, dass wir uns in China befinden. Noch singt ein Student mit hoher Stimme und Klavierbegleitung romantische Lieder. Doch in wenigen Minuten soll «The Brilliant Gia» die Bühne betreten. Gia heisst eigentlich Wang Yue und gilt als eine der populärsten Vertreterinnen des chinesischen Untergrundrocks. Mit ihrer vorherigen Band unternahm sie sogar eine Tournee durch die USA. Hatte sich Wang früher vor allem einen Namen durch ihren rotznäsigen Rock und ihre ungehörige Kleidung gemacht, zeigt sie sich heute Abend ruhiger: Sie bringt Bossanova-Nummern auf die Bühne. Alles klingt ein bisschen schief. Ein paar Tage später sitzt Wang in einem Café in Peking: «Inländische Journalisten interessierten sich nicht für mich. Die chinesische Presse ignoriert Rock vollkommen», erklärt sie. Im Staatsfernsehen werde fast nur süsslicher China-Pop gezeigt, und der sei «S.H.I.T.» – melodisch und rhythmisch simpel gehalten, damit später auch wirklich jeder die Karaokeversion mitsingen könne. «Durch die Zensur», glaubt die 30-Jährige, «kommen die Menschen gar nicht erst in Kontakt mit guter Musik aus verschiedenen Stilrichtungen. Deswegen kann sich in China keine kreative Musikszene entwickeln.» Die Tendenz geht derweil sowieso in eine andere Richtung: Wer ausländische Musik in China vertreiben will, muss seit ein paar Wochen die Texte in chinesischer Übersetzung ans Zensuramt abliefern. Auch Hao Liu, Bassist der erfolgreichen Band «Joyside», glaubt, dass ein Umdenken stattfinden muss, bevor chinesische Unterhaltungsmusik die Welt erobern kann: «Während die darstellenden Künstler Fördergelder bekommen, vergibt die Regierung für uns Musiker nichts», beklagt er sich. Dies ist erstaunlich. Denn seit einiger Zeit will sich die chinesische Regierung mit «Softpower» und einem grossen Budget im Ausland Gehör verschaffen. Dazu gehört, dass China seit 2004 in mehr als 80 Ländern über 250 Konfuziusinstitute eröffnet hat, welche die Aufgabe haben, die chinesische Kultur und Sprache zu verbreiten. Ins gleiche Kapitel gehört, dass seit einigen Monaten mit der Global Times eine dritte englischsprachige Tageszeitung finanziert wird und ein zweiter fremdsprachiger Fernsehsender gegründet werden soll. Nur die Musikszene wird bisher stiefmütterlich behandelt. «In China will niemand in Rock investieren, weil er als politisch wankelmütig gilt. Und unser süsslicher Pop ist fürs Ausland zu langweilig», erklärt Gin Jin, die als Agentin für eine ausländische Plattenfirma chinesische Talente aufspüren soll. Gin Jin glaubt, dass auch die Sprache ein Problem ist: «Viele Künstler singen auf Chinesisch. Das ist für westliche Ohren zu exotisch.» SURPRISE 216/10

BILD: ZVG

VON OLIVER ZWAHLEN, PEKING

Findet süsslichen China-Pop «S.H.I.T.» – Rockerin Gia.

Allerdings: Als der deutsche Dokumentarfilmer George Lindt vor vier Jahren mit Beijing Bubbles die Pekinger Untergrundszene porträtierte, stiess sein Werk auf grosses Interesse. Er wurde auf rund 40 Festivals gezeigt. Lindt, der mit «Fly Fast Concepts» in Deutschland ein Label für asiatische Musik betreibt, glaubt, dass chinesische Bands im deutschsprachigen Raum recht gute Chancen hätten. «Das hängt nicht nur mit einem Exotenbonus zusammen, sondern auch damit, dass diese Gruppen frisch und unbefangen mit der Musik umgehen.» Seine Einschätzung: Bis auch China erkennt, dass Rockmusik oder Undergroundkunst ein wichtiger Wirtschaftszweig sind, wird es noch eine Weile dauern. «Aber das kann schneller kommen, als man denkt.» Das Interesse des Westens sei da. ■

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Kulturtipps

James Bond? Spätpubertärer Auto-Erotiker. Spielt einen fast normalen Teenager: Ellen Page.

Buch Karossen und Kutschen Die Autoindustrie verkauft Emotionen: Das Auto ist weniger Transportmittel als Frust- und Lustmaschine. Journalist Tom Levine lotet den automobilen Wahn zwischen Stau, Geschwindigkeitsrausch und Überholspur aus.

DVD Splitter-Movie Mit «The Tracey Fragments» kommt ein weiterer Film mit Ellen Page wenigstens auf DVD ins Heimkino. Während die kanadische Schauspielerin brilliert, geht Regisseur Bruce McDonald mit einer Splitscreentechnik ein formales Wagnis ein.

VON CHRISTOPHER ZIMMER VON PRIMO MAZZONI

Das Auto spaltet die Gesellschaft. Kaum ein Statussymbol der Moderne weckt so viel Zu- und Widerspruch. Doch ob pro oder contra, «Das Auto», so Tom Levine, «ist allgegenwärtig. Die Gegenwart ist automobil.» Das Auto prägt Kultur, Wirtschaft, Stadt und Land. «Manche von uns sterben im Auto, manche leben nur in ihm so richtig auf, manch einer lebt auch von ihm.» Ob Bolide oder Familienkutsche, das Auto hat Suchtpotenzial. Es verändert unsere Mobilitätsgewohnheiten und vergrössert den Aktionsradius. «Unbeschwert von Wetter, Tageszeit und Aktienkurs» ist man «Herr über Raum und Zeit» – zumindest bis zum nächsten Stau. Mögen manche über «kindliche Auto-Erotiker mit spätpubertären Machtfantasien» lästern, was schert das den Liebenden, der sich am Steuer für kurze Zeit als James Bond fühlen kann, und sei es auch nur in einem VW Polo. Da wundert es nicht, dass das Schlachtfeld Strasse nicht gerade der Musterknabe der Political Correctness ist. Kraftausdrücke und Stinkefinger prägen den rollenden Alltag. Durch die eigene Windschutzscheibe betrachtet, ist Klimawandel ein Fremdwort. Das Gesetz der Strasse ist rau und wildwesttauglich. «Vielleicht», meint Levine, «herrschen auf der Strasse deshalb so seltsame Eigengesetze, weil der Planet, auf dem wir fahren, nicht mit dem Planeten identisch ist, auf dem wir leben.» Hat sich erst die Tür mit sanftem Klick geschlossen, lebt der Mensch in einer magischen Welt des Nichts-ist-unmöglich, mit «der Fernbedienung der Zentralverriegelung als Zauberamulett des Remote-Zeitalters». Da scheinen ihn weder Ökomahnfinger noch Unfallstatistiken zu kümmern, dafür umso mehr Mittelspurschleicher, der Benzinpreis oder die Feinabstimmung von Zentraldifferential- und Lamellenkupplung. Mit seinem Buch «Planet Auto» liefert Tom Levine eine unterhaltsame und augenzwinkernde Anthropologie der automobilen Gesellschaft. Vielleicht aber auch den Schwanengesang einer aussterbenden Spezies von PS-Dinosauriern.

Wie auch sonst spielt die zierliche, kleine Ellen Page, Jahrgang 1987, einen um mindestens fünf Jahre jüngeren Teenager. Es wird wohl noch lange dauern, bis wir sie in einer Filmrolle als erwachsene Frau zu sehen bekommen. Damit scheint sie das Schicksal mit Leonardo DiCaprio zu teilen, der noch nicht allzu lange alt genug aussieht für seine Rollen. Wie dem auch sei: Ellen Page ist der einzige Lichtblick in diesem Film. Als «fast normaler Teenager, der sich selber hasst» schimpft, flucht, stänkert, flennt und sehnsüchtelt sie als Tracey Berkowitz gegen ihre Pubertät an. Der Film ist gänzlich aus ihrer Sicht erzählt. Regisseur Bruce McDonald versucht dabei die Gedanken, Wahrnehmungen und Erinnerungen in Traceys Kopf abzubilden. Nicht geradlining, sondern sprunghaft, verzettelt, collagenhaft und nicht immer der «Wahrheit» entsprechend. Das gewählte Mittel ist eine fast durchgängige Spitscreentechnik, das heisst, das Filmbild ist meistens in mehrere Teilbilder zerspittert. Ein interessanter Ansatz, um aus einer nicht wirklich neuen Story etwas rauszukitzeln. Leider gelingt das Vorhaben nur selten. Allzu oft zeigt das zerteilte Bild lediglich dasselbe Geschehen aus mehreren Blickwinkeln gleichzeitig. Selten blitzt eine Ahnung davon auf, was hätte sein können. Wenn beispielsweise Tracey mit ihrem Schwarm eine hilflose, traurige Befummelung erlebt, die sich mit Bildern einer romantischen Liebesszene überlagern. Dazu schwirren um Tracey lauter eindimensionale Figuren herum. Eine dünne Handlung wird so mit Pseudo-Kunst auf Avantgarde getrimmt. Der Trick hat funktioniert, wie zahlreiche Festivalpreise belegen. Für Ellen-Page-Fans trotz allem ein Muss. The Tracey Fragments (2007), 77 Min., Englisch, Deutsch, zuschaltbare Untertitel. Extras: Featurette, div. Trailer. Erschienen bei Koch Media.

Tom Levine: Planet Auto. Goldmann Taschenbuch 2009. CHF 16.90.

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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

01

Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf

02

IBZ Industrie AG, Adliswil

03

Zeix AG, Zürich

04

Zürcher Kantonalbank, Zürich

05

Axpo Holding AG, Zürich

06

Experfina AG, Basel

07

AnyWeb AG, Zürich

08

muttutgut.ch, Lenzburg

09

Mobilesalad AG, Bern

10

Proitera GmbH, Basel

11

Coop Genossenschaft, Basel

12

Alfacel AG, Cham

13

Kaiser Software GmbH, Bern

14

chefs on fire GmbH, Basel

15

Statistik Georg Ferber GmbH, Riehen

16

Locher Schwittay Gebäudetechnik GmbH, Basel

Berühmt ist Portland vor allem für eins: den Regen. Und in rauen Mengen schlägt der bekanntlich aufs Gemüt. Was wohl dazu beiträgt, dass die Musik aus der 560 000-Seelen-Stadt im Nordwesten der USA kaum je sonnig klingt. Sehe und höre den introspektiven Pop der Decemberists oder Laura Veirs, deren Folk-Lieder sich nur zu gerne in den dunkelsten Ecken der Dunkelheit umtun. Auch Musée Mécanique bilden da keine Ausnahme. Vielmehr stehen sie dazu, Kinder von Traurigkeit zu sein. Das Quartett, das sich nach einem angestaubten (Musik-)Spielautomatenmuseum in San Francisco benannt hat, kreiert Lieder so fragil wie Schmetterlinge. Hingehauchte Singer/Songwriter-Weisen, denen die Patina vergangener Tage anhaftet. Nicht überraschend, dafür passend, singen sie in ihrem nur langsam ratternden Song «The Propellors» etwa von den ersten Flugversuchen der Gebrüder Wright. Kein wuchtiges Abfeiern alter Lufthelden, eher schon eine tönende Daguerreotypie, die sich bei unsachgemässer Handhabung schnell einmal aufzulösen droht. Ein bewusst ausgesuchtes Fragment, das eine Geschichte erzählt, derer man sich jedoch nie ganz sicher sein darf. Als ob sich Musée Mécanique ihren Hörern zwar zeigen, aber sich ihnen zugleich auch wieder entziehen möchten. In den zehn Stücken des Debütalbums «Hold This Ghost» schwingt zwar auch stets leise Elektronik mit, doch selbst die wirkt nicht modern, sondern eher wie eine anachronistische Mechanik, die im Hintergrund ihren Dienst schwer surrend, aber überaus verlässlich erledigt. Die Gitarren geben sich so sanft wie nur gitarrenmöglich, das Akkordeon wirft Seelenschmettermomente ein und das immer wiederkehrende Glockenspiel scheint nur von einem zu künden: der Vergänglichkeit. Einen leichten Kontrapunkt setzt Sänger Micah Rabwin, der jedes Wort, jede Zeile beinahe überbetont. Die Musik von Musée Mécanique lässt frösteln wie ein Winterwind, sie ist aber auch durchzogen von einer kühlen, geisterhaften Schönheit. Beides raubt einem den Atem.

17

Schützen Rheinfelden AG, Rheinfelden

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Responsability Social Investments AG, Zürich

19

SV Group AG, Dübendorf

20

Baumberger Hochfrequenzelektronik, Aarau

21

Scherrer & Partner GmbH, Basel

22

VXL AG, Binningen

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Thommen ASIC-Design, Zürich

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Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

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Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Nottwil

Musée Mécanique: «Hold This Ghost» (Souterrain Transmissions/Irascible).

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Machen Musik, die frösteln lässt: Musée Mécanique.

Singer/Songwriter Kinder von Traurigkeit Musée Mécanique machen Musik, die an einen Besuch in einem lange unbetretenen Speicher erinnert: Die vier Amerikaner führen durch einen Ort voller Geheimnisse, alter Fotos und knarrender Geräusche. VON MICHAEL GASSER

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Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag! Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

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BILD: RAUL MARTIN

Ausgehtipps Basel Federn, Farben und Flughäute Vor 47 Jahren war das Klima in Europa tropisch warm und feucht. Wo heute das deutsche Darmstadt liegt, war damals ein tiefer See. Rund ums Wasser erstreckte sich kilometerweit ein üppiger Regenwald, in dem die seltsamsten Tiere hausten: Riesenameisen und Urpferde, urtümliche Affen, Alligatoren und bunte Vögel. Einige von ihnen sind durch die speziellen Bedingungen im See – heute als die Grube Messel bekannt – erhalten geblieben. So können in der Ausstellung «Messel, Urpferd & Co.» über 100 spektakuläre Orginal-Fossilien besichtigt werden – teilweise sind noch Haare, Federn, Flughäute oder gar Farben erkennbar. (mek) «Messel, Urpferd & Co.», noch bis zum 2. Mai 2010 zu sehen im Naturhistorischen Museum Basel. www.nmb.bs.ch

BILD: ISTOCKPHOTO

Früher Urwald, heute Darmstadt.

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Manche Bücher begleiten uns durchs Leben.

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Zürich Ruth Genners Lieblingsbuch Irgendwann im Verlauf des Lebens nehmen viele von uns ein Buch zur Hand, und wenn wir es gelesen haben, ist Vieles nicht mehr wie zuvor. Viele Menschen haben ein Buch, das sie durchs Leben begleitet oder das sie geprägt hat. Die wenigsten aber reden darüber. Im Zentrum Karl der Grosse ist das anders: Dort erzählen Gäste von den Büchern, die sie beeindruckt haben. So etwa die Zürcher Stadträtin Ruth Genner. Im zweiten Teil des Abends kann auch das Publikum über seine Lieblingsbücher diskutieren. (juk) «Literarischer Fussabdruck. Bücher, die mein Leben geprägt haben», 22. Januar,

TUDOR RECORDING AG · Badenerstrasse 75 · 8004 Zürich Tel. 044 405 26 46 · info@tudor.ch · www.tudor.ch

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SURPRISE 216/10


BILD: ZVG

Solothurn Film-Konzentrat Zum Auftakt werden ein paar Gartenzwerge in die Luft gesprengt. Danach gehts an den 45. Solothurner Filmtagen ernsthafter zu. Unter dem Titel «Forum Schweiz» wird eine Auswahl an Schweizer Dokumentarund Spielfilmen gezeigt, die das aktuelle Filmschaffen im Land spiegelt. Weiter gibt es ein Spezialprogramm «Rencontre», das dem Filmkomponisten Niki Reiser gewidmet ist. Das zweite Spezialprogramm mit dem Namen «Invitation» vereint Filme aus den angrenzenden europäischen Alpenregionen, eine Annäherung an das schweizerische Filmerbe und ein Kinder- und Jugendfilmprogramm. Kein Festival ohne Preise: In Solothurn werden der Jurypreis «Prix de Soleure» und der Publikumspreis «Prix du public» verliehen. (juk) 45. Solothurner Filmtage, 21. bis 28. Januar, Detailprogramm unter: Im Januar dreht sich in Solothurn alles um den Film.

BILD: ZVG

www.solothurnerfilmtage.ch

Auf Tournee Poetische Predigten Ein Mundart-Rapper mit Bart? Nein, eben nicht der Zürcher Volksmusikpopulist Bligg. Sondern Greis – Velokurier, Kolumnist und politisch motivierter Überzeugungsreimer. Auf mittlerweile drei Alben entwickelte sich der nach Basel gezogene Berner vom Propagandisten zum poetischen Prediger. Auf der aktuellen Platte «3» verbindet er entspannt und elegant eigene Widersprüche mit Globalisierungskritik. Vor allem aber präsentiert Greis gemeinsam mit dem derzeit versiertesten Schweizer HipHop-Produzenten Claude ein abwechslungsreiches Programm aus verspielten Piano-Sequenzen und Vocoder-Effekten, verzerrten Basslinien, eingängigen Refrains und harten Battle-Raps. Statt unbedingt der Beste sein zu müssen, habe er diesmal einfach nur gute Musik machen wollen, gibt Greis zu Protokoll. Wir sagen: Mission erfüllt, bis bald im Konzert. (ash) 9. Januar, 20.30 Uhr, Schüür, Luzern; 14. Januar, 21 Uhr, Progr, Bern, 16. Januar, 21 Uhr, Kiff, Aarau.

BILD: ZVG

Politisch motivierter Überzeugungsreimer – Greis.

Bern Das Ende des Diktators Letztes Jahr wurde auf allen Kanälen an den Mauerfall erinnert. Autokorsos, jubelnde Menschen, Feuerwerk. Doch die Wende von 1989 hatte auch ein anderes Gesicht. An Weihnachten vor 20 Jahren flimmerten die blutigen Bilder vom hingerichteten rumänischen Diktatorenpaar Elena und Nicolae Ceausescu über den Bildschirm. Wie der Prozess gegen die Beiden ablief, zeigt nun eine ambitionierte Theaterproduktion. «Die letzen Tag der Ceausescus» ist als Reenactment gestaltet, das heisst: Die Schauspieler inszenieren die Verhandlungen aufgrund von Quellenmaterial in originalgetreu nachgebauten Kulissen. Der künstlerische Leiter Milo Rau stellt die Frage nach Kraft und Bedeutung von medial überlieferten Bildern. Durch die minutiös dokumentierte Inszenierung zeigt das Stück, wie Geschichte gemacht wird. (ash) «Die letzten Tage der Ceausescus», 14./15./16. Januar, jeweils 23.30 Uhr, 17. Januar, 19 Uhr, Schlachthaus Theater, Bern. In rumänischer Sprache mit deutscher Übersetzung. Weitere Aufführungen in Zürich und Luzern: www.die-letzten-tage.com SURPRISE 216/10

Geschichtstheater: Der Ceausescus-Prozess.

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Verkäuferporträt «Jetzt beginnt mein Leben» BILD: ZVG

Biemnet Mehari (24) lebte in Eritrea in einer grossen Familie. Die vielen Gespräche mit seinen Stammkunden trösten den Basler Surprise-Verkäufer ein wenig über den Verlust seiner Eltern und Geschwister hinweg. AUFGEZEICHNET VON ELISABETH WIEDERKEHR

«Vor eineinhalb Jahren bin ich in die Schweiz gekommen, weil die Situation in Eritrea immer schlimmer wurde. Seit den Kriegen gegen Äthiopien sind die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse im Land katastrophal. Bevor ich in der Schweiz Asyl bekommen habe, war ich fast zwei Jahre lang auf der Flucht. Meine Stationen waren der Sudan, Libyen und Italien. Nun bin ich sehr glücklich und froh, hier zu sein. Vor drei Monaten habe ich die Aufenthaltsbewilligung bekommen – das ist ein riesiger Schritt. Alles hängt davon ab. Ohne diese Bewilligung war es sehr schwierig, Arbeit zu finden, und ich durfte nicht alleine wohnen. Jetzt geht es mir viel besser. Ich habe eine eigene kleine Bleibe und einen Teilzeit-Job. Das ist ein guter Anfang und ermöglicht es mir, meinen Unterhalt selbst zu finanzieren. Ein erstes wichtiges Ziel habe ich damit erreicht. Jetzt beginnt mein Leben. Am Anfang brauchte ich die Hilfe vom Staat dringend und ich bin sehr dankbar, dass ich sie bekommen habe. Dauernd auf fremde Gelder angewiesen zu sein, ist für mich aber eine schreckliche Vorstellung. So bald als möglich möchte ich wieder als Elektroingenieur arbeiten – das ist mein wirklicher Beruf. Ich liebe diese Arbeit sehr. Deshalb will ich unbedingt noch besser Deutsch lernen. Keine leichte Aufgabe, wenn alle um einen herum Schweizerdeutsch reden. Doch ich mag die deutsche Sprache und bin schon viel besser geworden. Es hilft mir allerdings, dass in der Schweiz die meisten Menschen Englisch verstehen und sprechen können. Ich beherrsche Englisch gut und so können wir uns meistens problemlos verständigen. Ich will aber eine Ausbildung machen und das geht wegen meiner Deutschkenntnisse noch nicht. Vielleicht reicht auch eine Weiterbildung, denn ich habe in Eritrea eine gute Schule besucht und später ein Universitätsstudium in Elektronik absolviert. Zwei Jahre war ich danach bei der Luftwaffe. Es gehörte zu meinen Aufgaben, die Maschinen zu warten und ihre elektronischen Systeme zu überprüfen. Ich möchte all meinen Stammkunden für ihre Unterstützung danken, ganz speziell drei wunderbaren Menschen, die dafür sorgen, dass ich mich aufgehoben fühle und ständig dazulerne. Ein Ehepaar, Judith und Michael, lädt mich jede Woche zum Mittagessen ein und gibt mir Privatunterricht. Eine andere Frau, Hannah, hat mir einen Deutschkurs bezahlt. Das ist wirklich sehr, sehr lieb. Viele meiner Freunde habe ich via Surprise kennengelernt. Zuerst spielte ich in der Basler Fussballmannschaft von Surprise mit und nahm an verschiedenen Aktivitäten teil, die Surprise organisiert hatte. Das war ein wertvoller Ausgleich zum Leben im Asylheim. Dann begann ich die Zeitschrift zu verkaufen. Ich arbeite sechs Tage in der Woche. Entweder bin ich vor dem Coop am Neuweilerplatz oder vor der Burgfelder-Migros anzutreffen. Seit ich meinen Teilzeitjob habe, kann ich nur noch am Morgen verkaufen. Der Verkauf

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ist nicht immer leicht – vor allem wenn die Leute mich skeptisch anschauen. Grundsätzlich gibt mir die Arbeit bei Surprise aber viel Kraft. Ich treffe hier meine Freunde. Eigentlich komme ich mittlerweile vor allem wegen ihnen, obwohl ich auch das Geld dringend brauche. Mit einer 89-jährigen Frau plaudere ich oft. Sie weiss Vieles zu berichten – unter zehn Minuten dauern unsere Gespräche nie. Diese Begegnungen trösten mich ein wenig über den Verlust meiner Familie hinweg. Oft habe ich keine Ahnung, wie es ihnen geht. Wir sind acht Geschwis-ter, es waren immer viele Leute im Haus. Jetzt bin ich allein in meiner Wohnung – das ist schon eine Umstellung. Doch ich treffe mich gerne mit Freunden. Abends sitzen wir viel zusammen, machen Sport oder hören Musik. Neben dem Fussball spiele ich gerne Badminton. Meine Gitarre ist mir auch sehr wichtig – ich kann ganz gut spielen. Reggae liebe ich ganz besonders – aber das sieht man mir ja an.» ■ SURPRISE 216/10


Eine Chance für alle! Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte ber. Das verdient Respekt und Unterstützung. Regelmässige Verkaufende werden von Surprise-Sozialarbeiterinnen betreut, individuell begleitet und gezielt gefördert. Dazu gehört auch, dass sie von Surprise nach bestandener Probezeit einen ordentlichen Arbeitsvertrag erhalten. Mit der festen Anstellung übernehmen die Surprise-Verkaufenden mehr Verantwortung; eine wesentliche Voraussetzung dafür, wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarkt zu werden.

Starverkäufer BILD: ZVG

Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten als andere. Menschen, die sich aber wieder aufgerappelt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wieder einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassenverkäuferinnen und -verkäufer helfen sich sel-

Als Götti oder Gotte ermöglichen Sie einer Strassenverkäuferin oder einem -verkäufer eine betreute Anstellung bei Surprise und damit die Chance zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.

Kurt Brügger Baselland

René Senn Zürich

Marlise Haas Basel

Marika Jonuzi Basel

Beatrice Gutzwiller aus Bubendorf nominiert Theo Geiser zum Starverkäufer: «Ich finde es schön, dass es Surprise auch bei uns in Baselland gibt. Insbesondere, wenn das Heft von so aufgestellten Verkäufern wie Theo Geiser angeboten wird. An seinem Standort vor dem Coop in Liestal wirkt er zufrieden, ist freundlich und zugänglich, wenn man ein paar Worte wechseln möchte. Theo Geiser ist mein Starverkäufer.»

Ausserdem im Förderprogramm SurPlus: Peter Gamma, Basel Peter Hässig, Basel Andreas Ammann, Bern Wolfgang Kreibich, Basel Kumar Shantirakumar, Bern Anja Uehlinger, Baden

Bob Ekoevi Koulekpato, Basel Jela Veraguth, Zürich Fatima Keranovic, Baselland Tatjana Georgievska, Basel Jovanka Rogger, Zürich

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welchen Verkäufer Sie an dieser Stelle sehen möchten: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41+61 564 90 99, redaktion@strassenmagazin.ch

Ja, ich werde Götti/Gotte von: 1 Jahr: 8000 Franken

1/2 Jahr: 4000 Franken

1/4 Jahr: 2000 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

1 Monat: 700 Franken

216/10 Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 216/10

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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise fördert seit 1997 die Selbsthilfe von Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit begleiteten Angeboten in den Bereichen Arbeit, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit und berufliche Eingliederung, das Verantwortungsbewusstsein, die Gesundheit und eine positive Lebenseinstellung. Surprise gibt es in der deutschsprachigen Schweiz. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit.

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Strassensport Der zweite Schwerpunkt von Surprise ist die Integration von sozial benachteiligten Menschen in der Schweiz über den Sport. Mit einer eigenen Strassenfussball-Liga, regelmässigem Trainings- und Turnierbetrieb, der Schweizermeisterschaft sowie der Teilnahme des offiziellen Schweizer Nationalteams am jährlichen «Homeless Worldcup» vernetzt Surprise soziale Institutionen mit Sportangeboten in der ganzen Schweiz. Organisation und Internationale Vernetzung Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden von der Strassenmagazin Surprise GmbH geführt, die von dem gemeinnützigen Verein Strassenmagazin Surprise kontrolliert wird. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerks der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband gegen 100 Strassenzeitungen in über 40 Ländern an.

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Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende unabhängige Strassenmagazin Surprise heraus. Neben einer professionellen Redaktion verfügt das Strassenmagazin über ein breites Netz von freien Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen. Der überwiegende Teil der Auflage wird von Menschen ohne oder mit beschränktem Zugang zum regulären Arbeitsmarkt auf Strassen, Plätzen und in Bahnhöfen angeboten. Die regelmässige Arbeit gibt ihnen eine Tagesstruktur, neues Selbstvertrauen und einen bescheidenden aber eigenständig erwirtschafteten Verdienst. Für viele Surprise-Verkaufende ist das Strassenmagazin der erste Schritt zurück in ein eigenständiges Leben.

Herausgeber Strassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel www.strassenmagazin.ch Geschäftsführung Fred Lauener Öffnungszeiten Sekretariat Mo–Do 9–12/14–16.30 Uhr, Fr 9–12 Uhr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@strassenmagazin.ch Redaktion Fred Lauener (Leitung), Reto Aschwanden, Julia Konstantinidis, Mena Kost, Agnes Weidkuhn (Koordination), T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch Freie Mitarbeit Annette Boutellier, Andrea Ganz, Michael Gasser, Ruben Hollinger, Delia Lenoir, Pedro Lenz, Primo Mazzoni, Irene Meier, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Udo Theiss, Priska Wenger, Elisabeth Wiederkehr, Christopher Zimmer, Oliver Zwahlen Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 29 400, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Anzeigenverkauf Therese Kramarz, T +41 61 564 90 90 anzeigen@strassenmagazin.ch

Marketing Theres Burgdorfer Vertrieb Smadah Lévy Basel Matteo Serpi Zürich Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich T +41 44 242 72 11, Mobile +41 79 636 46 12 r.bommer@strassenmagazin.ch Bern Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern T +41 31 332 53 93, Mobile +41 79 389 78 02 a.maurer@strassenmagazin.ch Betreuung und Förderung Rita Erni, T +41 61 564 90 51 Chor/Kultur Paloma Selma, T +41 61 564 90 40 Strassensport Lavinia Biert, T +41 61 564 90 10 www.strassensport.ch Trägerverein Strassenmagazin Surprise Präsident: Carlo Knöpfel

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. SURPRISE 216/10


Kaufen Sie ein Stadion Immer mehr sozial Benachteiligte finden Freude am Sport: 15 Teams streiten ab März dieses Jahres um den Schweizer Meistertitel der Obdachlosen Fussballer, eine Rekordzahl. Um die Begeisterung mit der passenden Infrastruktur unterstützen zu können, hat Surprise eine eigene Street-SoccerArena gekauft. Helfen Sie mit. Werden Sie Besitzer einer turniertauglichen Anlage von 22 x 16 m – mit Toren und Seitenbanden – und sponsern Sie einen oder gleich mehrere der 352 Quadratmeter à 100 Franken. Die Gönner werden auf einer Bande mit Namen verdankt.

Ja, ich will Stadion-Besitzer werden (Die Feldvergabe erfolgt nach Posteingang. Sollte ein gewünschtes Feld bereits verkauft sein, wird das nächste freie Feld zugeteilt.)

Ich kaufe folgende Felder à CHF 100 ( 1

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Namenseintrag Gönnerbande

Ja

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Total Kaufpreis 216/10

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© IFRC, Gauthier Lefèvre

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Vergessene Katastrophen: Kein Tag ohne Not und Elend. Das SRK engagiert sich beim Aufbau von Gesundheitsdiensten und Schulen.

Das SRK fördert die Initiative und Selbstverantwortung der Bevölkerung.

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Schweizerisches Rotes Kreuz SRK, Rainmattstrasse 10, 3001 Bern, Tel. 031 387 71 11, info@redcross.ch, www.redcross.ch, Postkonto 30-4200-3, Vermerk «OvK»


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