Verdingt Die Geschichte eines verpfuschten Lebens Psst! Geheimnisträger über die Schweigepflicht
Was ist Glück? Psychologe Willibald Ruch im Gespräch
Nr. 220 | 5. bis 18. März 2010 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
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10 Psychologie Die Schriftdeuter BILD: ISTOCKPHOTO
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Inhalt Editorial Randgeschichten Leserbriefe Seefahrer und Knastbrüder Basteln für eine bessere Welt Ein Mann, ein Hecht, ein See Aufgelesen Digitaler Selbstmord Zugerichtet Endstation Sandhaufen Mit scharf Kinderrechte jetzt Erwin … im Stadion Porträt Der Anwalt der Tiere Glücksforschung «Das volle Leben leben» Le mot noir Ein Toter und der Frühling Jugend Kick für junge Kultur Kulturtipps Leben in der Schwebe Ausgehtipps Börsengeschichten Verkäuferporträt «Wirklich wird, was jeder Einzelne denkt» Projekt Surplus Chance für alle! Starverkäufer In eigener Sache Impressum INSP
Wird für eine Bewerbung eine Handschriftenprobe verlangt, schlagen bei manchem Arbeitssuchenden die Alarmglocken: Die Analyse der eigenen Schrift kommt einem Seelenstriptease gleich – ohne Chance auf Kontrolle oder Einflussnahme.
BILD: ISTOCKPHOTO
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15 Berufsgeheimnis Wenn Schweigen Pflicht ist Ärztinnen, Anwälte, Pfarrerinnen, Postbeamte und Politikerinnen haben etwas gemein: Sie alle tragen Geheimnisse mit sich herum – und sind von Berufs wegen verpflichtet, ein Leben lang über diese zu schweigen. Surprise hat eine Psychologin und die Präsidentin der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats getroffen und wollte wissen, wie man damit umgeht, wenn man mehr weiss als alle anderen.
BILD: PAUL SENN, FFV, KUNSTMUSEUM BERN, DEP. GKS
18 Verdingkinder Ein hoffnungsloser Fall Über Jahrzehnte wurden in der Schweiz Kinder auf Bauernhöfe verdingt. Ausgebeutet, ungeliebt und von Schule und Berufsbildung abgehalten, führte der Lebensweg der Verdingkinder oft schnurstracks an den Rand der Gesellschaft. Einer der Betroffenen ist Bruno Kilchör. Nun blickt er zurück: Die Geschichte von einem, der nie eine Chance bekommen hat.
Titelbild: Paul Senn, FFV, Kunstmuseum Bern, Dep. GKS/Montage: WOMM SURPRISE 220/10
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BILD: DOMINIK PLÜSS
Leserbriefe «Was genau hat die Anzahl Tätowierungen mit dem Vorstrafenregister zu tun?»
FRED LAUENER, GESCHÄFTSFÜHRER
Editorial Randgeschichten In den gut 300 Surprise-Verkaufenden auf unseren Strassen spiegelt sich der ganze Kosmos der Ursachen für Armut und soziale Benachteiligung in der Schweiz: Stellenlosigkeit, Krankheiten, Unfälle, Behinderungen, Beziehungsund Familienkrisen, Flucht vor Krieg und Verfolgung und so weiter und so weiter. Die Lebensgeschichten unserer Verkaufenden sind Geschichten vom Rand der Gesellschaft. Genau dort ist die Gesellschaft am verletzlichsten, an den Rändern franst sie aus, wenn man nicht acht gibt. Mehr als einmal warfen in der Vergangenheit vermeintliche Randgeschichten später grosse Schatten über das Land. Das Programm «Kinder der Landstrasse» gehört dazu, mittels dem zwischen 1926 und 1972 über 600 Kinder von «Fahrenden» ihren Familien weggenommen wurden, weil bei der sesshaften Mehrheit der nicht-sesshafte Lebensstil als «asozial» galt. Dunkle Schatten auf unser Land werfen bis heute auch die zigtausend Randgeschichten jener Schweizer Kinder, die bis in die 70er Jahre meist an Bauern verdingt und von diesen sehr oft nicht wie Menschen, sondern eben wie «Dinge» gehalten wurden. Ein Verdingkind war in seiner Bubenzeit auch der heute 53-jährige Surprise-Verkäufer Bruno Kilchör, dessen Randgeschichte wir in dieser Ausgabe erzählen. Seite 18. Ärgern Sie sich manchmal darüber, dass Ihre Partnerin oder ihr Partner partout nichts über den Tag im Büro erzählen will? Seien Sie nicht zu streng. Vielleicht darf er oder sie einfach nicht. Abertausende von Schweizerinnen und Schweizern erfahren im Beruf Dinge, die sie nicht ausplaudern dürfen. Wir haben nachgefragt, wie es sich lebt, wenn man mehr weiss als andere. Seite 15. Schliesslich möchte ich Ihnen auch den Beitrag über grafologische Gutachten empfehlen. Derweil die umstrittene Handschriftenprobe international kaum mehr verlangt wird, hält sie sich in der Deutschschweiz hartnäckig. Seite 10. Ich wünsche Ihnen gute Lektüre.
Nr. 219: «Ich liebe mich – Die neue Ära der Narzissten» Bis zum Schluss Ich bin 15 Jahre alt und finde den Artikel zum Thema Alter, «Irgendwann ist einfach Sense», sehr schön und sehr interessant. Ich habe ihn bis zum Schluss durchgelesen. Simon, per E-Mail
hinter uns. Das eine hat auch mit dem anderen absolut nichts zu tun. Nicht jeder, der tätowiert ist, hat sich schon einmal strafbar gemacht, hält sich am Rande der Gesellschaft auf oder ist gar zur See gefahren. Ich würde es einmal spannend finden, einen Artikel über Tätowierungen, ihre Geschichte oder ihre Anerkennung in der Öffentlichkeit zu lesen. Séverine Rentsch, per E-Mail
Nr. 218: «Winterspiele – Schneedreikampf statt Fernsehmarathon» Tätowierung = Knast? Das Porträt «Mörder stehen ihr Modell» ist ein sehr interessanter Artikel über eine Frau, die schon so manchen unglaublichen Moment in ihren Bildern festhielt. Ich fand das Porträt bis fast zum Schluss super. Nur eins hat mich gestört. Was genau hat die Anzahl Tätowierungen mit dem Vorstrafenregister zu tun? Mir ist bewusst, dass es Knasttätowierungen gibt und dass viele Menschen, die schon einmal in Haft waren oder es noch sind, auch tätowiert sind. Aber wir haben doch das Zeitalter der Tätowierungen als Merkmal für Seefahrer, Sträflinge und gesellschaftliche Minderheiten längst
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ILLUSTRATION: WOMM
Wir basteln uns den Zürichsee: Schuhkarton innen blau bemalen. Stellen Sie den Karton auf.
Grüne Pfeifenputzer und Moos eignen sich hervorragend als Seepflanzen. Kleben Sie die «Pflanzen» am Grund Ihres Schuhkarton-Sees an.
Schneiden Sie den Hecht aus und bemalen Sie ihn. Dann nehmen Sie Nadel und Faden und hängen ihn so in den See, dass er sich hinter den Wasserpflanzen verstecken kann. Nun schneiden Sie den Angler aus. Wie seine Haltung zeigt, ist er gerade ins Wasser gefallen. Malen Sie den Fischer ebenfalls an.
Hängen Sie jetzt den Angler so in den See, dass der Hecht nur aus seinem Versteck hervorzuschiessen braucht, um ihn ganz gehörig in die Waden zu beissen.
Basteln für eine bessere Welt Von Hechten und Fischern war in letzter Zeit viel die Rede. Lassen wir sie ihren Machtkampf untereinander austragen und schicken wir den Angler zum Fisch in den Zürichsee – und voilà: Auch wir haben unseren «alten Mann und den See». SURPRISE 220/10
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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Eiseskälte tötet Hannover. Europaweit sind in diesem Winter bisher mehr als 120 Menschen erfroren. Die meisten Kältetoten weist Polen auf, mehr als 70. In Grossbritannien sind mindestens 26 Obdachlose gestorben, in Tschechien zwölf, in Deutschland elf, in Österreich vier, in der Slowakei zwei und in Frankreich einer. Die deutsche Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe fordert deshalb mehr Hilfsangebote für Obdachlose. Zwar seien Städte unterdessen relativ gut mit Notunterkünften ausgerüstet, auf dem Land sei die Unterstützung aber weiterhin unzureichend.
«Wie Feuer» Graz. Wer meint, im Alter sei es vorbei mit romantischen Gefühlen, dem sei die Geschichte von Frieda (89) und Emil (79) ans Herz gelegt: Vor zweieinhalb Jahren haben sich die beiden in der Kapelle eines Seniorenheims kennengelernt. «Ich bin beim Gottesdienst neben ihm gesessen und habe gespürt, dass er ein guter Mann ist. Als er mich berührt hat, war es um mich geschehen – es fühlte sich an wie Feuer», sagt Frieda. Und Emil sagt: «Sie ist goldig. Nicht einmal möchte ich ihr gegenüber grob sein.»
Digitaler Selbstmord Wien. Seit Kurzem bietet das niederländische Medienkunstunternehmen «Moddr» den digitalen Selbstmord per Mausklick an: Die Suizidmaschine (www.suicidemachine.org) ermöglicht automatisiertes Löschen von Kontakten auf Friendship-Portalen. Gordan Savicic von «Moddr» erklärt: «Einmal wollte ich meinen Facebook-Account löschen, weil ich genug davon hatte, gratis für dieses Unternehmen zu arbeiten und ihm meine Daten für gezielte Werbung zur Verfügung zu stellen. Das hat drei Stunden gedauert, und das fand ich irrsinnig blöd!»
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Zugerichtet Endstation Sandhaufen Ein silbergrauer Jeep Grand Cherokee kurvt durch Zürich. Am Lenkrad sitzt Akgün F.*, neben ihm ein Kumpel, ein zweiter auf der Rückbank. Das Fahrzeug haben sie sich aus der Garage geborgt, wo der 18-jährige Türke eine Schnupperlehre macht. Geliehene Autos sind immer eine heikle Sache, die von ahnungslosen Kunden sowieso. Doch die jungen Männer sind angetan vom kraftvollen Geländewagen und begeben sich auf eine Spritztour zum Schiessstand Hasenrain. Auf einmal ist ein Streifenwagen hinter ihnen. Akgün steigt aufs Gas, geht bei Rot in die Kurve, da setzen die Beamten die Matrixleuchte «Stop Polizei» ein. Er drückt das Gaspedal durch und rast kreuz und quer durch den Kreis 4. Doch beim Stauffacher stellt sich ihm ein zweites Polizeiauto quer in den Weg. «Er knallte ungebremst in den Streifenwagen und setzte die Fahrt fort», wird der Polizist, der vom Zusammenstoss ein Schleudertraum davontrug, später berichten. Mit Hilfe einer waghalsigen Kehrtwende, Einbahnstrassen, die er in falscher Richtung befährt, und Spitzengeschwindigkeiten bis zu 120 Stundenkilometern gelingt es Akgün, den Polizisten zu entkommen. Auf der Flucht knickt er Strassenschilder um, demoliert parkierte Mofas und Velos, durchbricht eine Bauabschrankung – und landet schliesslich Kühlerhaube voran in einem Sandhaufen. Der Ausflug kostet ihn 50 000 Franken. «Sie haben Glück gehabt», sagt die Richterin zum Angeklagten. «Sie sind noch einmal davongekommen, Sie und alle Menschen, die um diese Zeit an diesen Orten unterwegs waren. Es hätte auch schlimmer ausgehen können.»
Jetzt sitzt er wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln auf der Anklagebank. Fünf Jahre sind seit der halsbrecherischen Fahrt vergangen. Akgün, ein pausbäckiger Bub mit Stupsnase und Strubbelhaaren, sieht noch immer nicht älter als 18 aus. «Ich weiss, dass ich schuld bin, da gibts keine Entschuldigung», sagt er zerknirscht. «Ich bin total in Panik geraten, dass mich die Polizei erwischen könnte.» Er hat keinen Fahrausweis, er hat nie einen gemacht, und wenn, besässe er jetzt keinen mehr. Er möchte aber auch keinen mehr machen. «Heute habe ich Angst vor dem Autofahren.» Der Gruppendruck sei zu stark gewesen, er zu schwach, um «Halt!» zu sagen. Das bereue er sehr. Diesbezüglich hat sein Verteidiger gleich eine neue Aufgabe für die Schule ausgemacht. «Es wäre wünschenswert, wenn die Lehrer unterrichten würden, dass man Fehler eingesteht und die Übung rechtzeitig abbricht.» Seinen Mandanten nennt er atypisch – im positiven Sinne. «Bis auf 10 988 Franken und 40 Rappen hat er den geschuldeten Betrag der Versicherung zurückbezahlt und auf Vielerlei verzichtet, was sich andere junge Menschen gönnen, Reisen, eine eigene Wohnung – oder ein Auto.» Den Rest werde er bis Ende Jahr von seinem Verkäufergehalt abstottern. Die Richterin belegt Akgün mit einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten auf Bewährung sowie 800 Franken Busse. Dem verletzten Polizisten muss er 500 Franken Genugtuung bezahlen, zugunsten von Road Cross, eine Stiftung für Opfer des Strassenverkehrs. * persönliche Angaben geändert
ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 220/10
Kinderrechte Dass so etwas in der Schweiz möglich ist Bis in die 1970-Jahre wurden Verdingkinder mit dem Segen der Behörden ihrer Zukunft beraubt. Heute wäre das nicht mehr möglich. Und doch verletzt die Schweiz auch im Jahr 2010 Tag für Tag die Rechte von Kindern. VON RETO ASCHWANDEN
Hinterher ist die Empörung jeweils gross: Wenn bekannt wird, was Kindern in der Schweiz noch vor wenigen Jahrzehnten angetan wurde, schüttelt die Öffentlichkeit betroffen den Kopf. So war es bei «Kinder der Landstrasse», dem «Hilfswerk» der Pro Juventute, das mit dem Einverständnis der Behörden Kinder von Fahrenden aus ihren Familien riss. So geht es derzeit den Besuchern der Ausstellung «Enfance volée – Verdingkinder reden». Bis in die 1970er-Jahre wurden Kinder aus schwierigen Verhältnissen als billige Arbeitskräfte auf Bauernhöfe verdingt. Die Ausstellung gibt endlich den Betroffenen das Wort, damit sie ihre Geschichte erzählen können. Viele Verdingkinder sind gezeichnet fürs ganze Leben. Die Verarbeitung des Erlebten beschäftigt sie bis heute. «Dass so etwas in der Schweiz möglich war», wundert man sich angesichts der Aussagen der ehemaligen Verdingkinder und staunt, dass diese Praxis gerade einmal eine Generation zurückliegt. Doch dann tröstet sich mancher mit dem Gedanken: «Heute könnte das nicht mehr passieren.» Wirklich nicht? Auch heute werden Kinder von Unterprivilegierten ins soziale Abseits gedrängt. Tag für Tag überlegen Väter, wie sie die Schuhe bezahlen sollen, die ihre Kinder fürs Mitmachen im Sportverein benötigen. Jede Woche bleiben Schüler der Geburtstagsfeiern von Klassenkollegen fern, weil ihre alleinerziehenden Mütter kein Geld für Geschenke haben. Begabte Kinder können nicht ins Gymi, weil ihre Eltern darauf angewiesen sind, dass der Nachwuchs nach der obligatorischen Schulzeit sein eigenes Geld verdient.
ERWIN
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im Stadion
Noch schlimmer trifft es minderjährige Asylsuchende. Hier ähneln die Zustände überwunden geglaubten Zeiten: Die Schweiz setzt 15- bis 18-Jährige bis zu zwölf Monate in Ausschaffungshaft. Und ähnlich wie einst die Verdingkinder werden heute jugendliche Sans-Papiers ihrer Zukunftschancen beraubt. Denn nach der obligatorischen Schulzeit bleiben ihnen Berufsausbildungen verwehrt. Das verstösst gegen die Kinderrechtskonvention der UNO, die von der Schweiz ratifiziert wurde. Die Frühjahrssession der eidgenössischen Räte bietet in diesen Tagen Gelegenheit zur Kurskorrektur. Zur Diskussion im Nationalrat stehen gleich drei Motionen von welschen Parlamentariern, die verlangen, dass jugendliche Sans-Papiers künftig eine Lehre machen dürfen. Der Bundesrat beantragt durchwegs Ablehnung. Das Parlament hat es in der Hand, hier und jetzt für Gerechtigkeit zu sorgen. Sonst wird in absehbarer Zeit erneut ein kollektiver Aufschrei der Empörung durchs Land gehen: Dass so etwas in der Schweiz möglich ist!
VON THEISS
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Porträt Tieranwalt und Arbeitstier Der Zürcher Antoine F. Goetschel verhilft Tieren zu ihrem Recht. Diskussionen mit politischen Gegnern und verständnislosen Fischern nimmt er gerne in Kauf. Schliesslich geht es darum, die Welt ein kleines Bisschen besser zu machen. VON AMIR ALI (TEXT) UND ANDREA GANZ (BILD)
«Grossartig!», raunt Antoine Goetschel, den Blick auf den Bildschirm seines Computers geheftet und ein feines Grinsen im Gesicht. Soeben ist eine Anfrage vom Korrespondenten einer amerikanischen Presseagentur in seiner Mailbox gelandet. Die Arbeit des weltweit einzigen Tieranwalts wirft dank der aktuellen Volksabstimmung ihre Wellen bis nach Übersee. Später im Gespräch sagt Goetschel, er suche den medialen Auftritt nicht. Aber er weiss seine Bekanntheit zu nutzen, und die Aufmerksamkeit freut ihn: «Die Leute begreifen allmählich, dass das beste Tierschutzgesetz nichts bringt, wenn niemand dafür einsteht.» Goetschel empfängt in seinem Büro im Parterre eines herrschaftlichen Hauses, weit hinten im noblen Zürcher Seefeld. Am videoüberwachten Eingang sticht das Schild seiner Kanzlei unter den anderen Bürobeschriftungen heraus. «Stiftung für das Tier im Recht» steht da zuoberst eingraviert, auf der nächsten Zeile «Kanzlei Dr. iur. Antoine F. Goetschel». Und zuunterst: «Rechtsanwalt für Tierschutz in Strafsachen des Kantons Zürich». An der Schaffung dieses Amtes war Goetschel massgeblich beteiligt, genauso an der Lancierung der entsprechenden Volksinitiative im Kanton Zürich vor bald 20 Jahren. Vor gut zwei Jahren wurde Goetschel selbst von der Zürcher Regierung zum Tieranwalt gewählt. Seither setzt er sich von Amts wegen für das Recht der Tiere ein. In Goetschels Kanzlei herrscht reges Treiben. Sekretärinnen und Angestellte der «Stiftung für das Tier im Recht» wuseln durcheinander, allesamt junge Leute um die 30, es wird diskutiert, telefoniert, Kaffee geholt. Antoine F. Goetschel streckt sich in seinem alten Bürosessel mit den geschwungenen hölzernen Armlehnen und verschränkt die Hände auf seiner grauen, zurückgekämmten Mähne. Er lacht laut heraus und wiederholt die Frage: «Was ich für ein Tier wäre?» Für ein paar Augenblicke versiegt sein Redefluss. «Was würde wohl mein Schatz sagen?», überlegt Goetschel, um sich dann doch zu einer Antwort durchzuringen: «Eine Mischung aus einem starken Ochsen und dem Hündchen aus Tim und Struppi.» Den Ochsen sieht man dem Advokaten mit der sanften Stimme und dem obligaten Seidenfoulard im ersten Moment nicht an. Doch dass er schwere Karren ziehen kann, hat er schon früh bewiesen. Als seine Altersgenossen im heissen Jahr 1980 das Opernhaus einkesselten, war Goetschel Anfang 20 und bereits Vater. Ganz nebenbei studierte er in Zürich Jus, Geld verdiente er als Briefträger und Kellner. Zwar habe sein Herz damals für die Künstler und Visionäre geschlagen, sagt er. Doch die Zeit zum Politisieren, die habe er sich nicht genommen. Stattdessen brachte es Goetschel in der Armee zum Hauptmann und stürzte sich ins Studium. Als er Ende der Achtziger seinen Doktor machte, hatte er bereits zwei Bücher geschrieben, darunter ein Standardwerk zum Tierschutzgesetz. Es klingt stolz, wenn er sagt: «Ich war immer ein Karrierist.» Dissertation und Anwaltspatent erarbeitete sich Goetschel an Abenden und Wochenenden. «Für eine Diss», sagt er selbstbewusst, «muss man sich nicht zwei Jahre freinehmen.» Der Tieranwalt, das wird bald klar, ist ein Arbeitstier.
Wenn irgendwie möglich, beginnt Antoine F. Goetschel seinen Tag mit Yoga oder Meditation. Zum Frühstück nimmt der langjährige Vegetarier einen Apfel, den ersten Kaffee gibt es gegen acht Uhr in der Kanzlei. Er vertritt nicht nur vernachlässigte Hunde, misshandelte Pferde oder – wie jüngst mit enormem Medienecho – kapitale Hechte. Als normaler Jurist kümmert er sich auch um Stiftungen, regelt Erbschaften oder vermittelt zwischen Konfliktparteien. Früher kämpfte er noch häufig für seine Mandanten vor Gericht. Heute sagt er, als Strafverteidiger verliere man zu leicht den Bezug zur eigenen Ideologie: «Ein Strafverteidiger sucht nach dem Haar in der Suppe der Anklage und weiss, dass er meist genau so gut die Gegenposition einnehmen könnte.» Der Gefahr des Zynismus wolle er sich nicht aussetzen. Und dennoch kann man sich den Strafverteidiger Goetschel gut vorstellen, ein eloquenter Schnelldenker, der zuweilen mitten im Satz abbricht, um einen anderen Strang aufzunehmen. Seine Gedanken, so scheint es, überholen dann seine Zunge. Dem Tieranwalt Goetschel werden von den Ämtern pro Jahr etwa 150 bis 200 Fälle zugewiesen. Er nimmt diese systematisch auf, archiviert Urteile und Präzedenzfälle, besucht Einvernahmen von mutmasslichen Tierquälern. Diese Konfrontationen wühlen ihn schon lange nicht mehr auf. «Ich habe schon zu viel gesehen», meint er lakonisch. Was ihn hingegen aufregt, sind die Ausreden der Angeschuldigten und die Maschen ihrer Anwälte. «Meist einfach nur billig», lautet sein knappes Urteil. Seinen Einsatz für die stummen Kreaturen versteht Goetschel als Minderheitenschutz. Schon in der Schule habe sich sein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl bemerkbar gemacht, etwa wenn Schwächere verprügelt oder Aussenseiter fertiggemacht worden seien. Später interessierte ihn der gesellschaftliche Umgang mit religiösen Minderheiten, etwa den Juden. «Wenn ich ins Grab steige, will ich meinen Beitrag geleistet haben», erklärt Goetschel sein Engagement und fügt hinzu: «Ich will meinen Namen nicht für etwas hergeben, hinter dem ich nicht stehen kann.» Sein Ziel sei, die Gesetzgebung menschlicher zu machen, betont er mehr als einmal. Und die Menschlichkeit, so scheint es, zeigt sich nicht zuletzt im Umgang mit dem Tier. Die Herrschaft des Menschen über andere beseelte Wesen drücke eine rohe und hässliche Seite in uns aus,
«Als Tier wäre ich eine Mischung aus einem Ochsen und dem Hündchen aus Tim und Struppi.»
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meint er. Die Welt weicher und toleranter machen, das ist die Utopie des Antoine F. Goetschel. «Ich trage eine tiefe Sehnsucht nach Harmonie in mir», sagt der Romantiker in ihm. Und kehrt im nächsten Satz gleich wieder den Pragmatiker heraus: «Aber mein Mittel ist das Gesetz, und um dieses zu ändern, braucht es eine Mehrheit.» Die Menschenliebe ist der beste Schutz des Kämpfers Goetschel: «Ich glaube an das Gute im Menschen, auch bei bornierten Politikern und buckligen Fischern. Das gibt mir die Kraft zum Weitermachen.» ■
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Psychologie Von Hand gelesen Der Kampf auf dem Arbeitsmarkt tobt, die Auswahlverfahren für Jobs werden immer ausgeklügelter. Die klassische Handschriftenprobe wirkt dabei wie ein Relikt aus der Steinzeit. Doch das grafologische Gutachten hat es immer noch in sich. VON JULIA KONSTANTINIDIS
Da stand es, schwarz auf weiss: Organisationstalent, Temperament, Kommunikationsfähigkeit – alles sorgfältig analysiert und in Balkendiagrammen sichtbar gemacht. Immerhin, die Auswertungen bewegten sich alle in dem für die ausgeschriebene Stelle benötigten Rahmen. Die Übereinstimmung mit dem Anforderungsprofil betrug laut Auswertung sogar 95 Prozent. Und in einigen Punkten fand sich der Mann durchaus wieder. Dass die Stelle ein anderer bekommen hatte, war nicht weiter schlimm, denn er hatte in der Zwischenzeit seinerseits eine andere Stelle angenommen. Trotzdem liessen ihn die grafischen Darstellungen eine ganze Weile nicht mehr los. Der Mann suchte in seinem Alltag nach Hinweisen auf eine Übereinstimmung mit diesem Psychogramm, das ei-
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ne Person anhand seines Schriftbilds erstellt hatte. Zunehmend verunsichert, fragte er sich, ob das überhaupt möglich und als Auswahlinstrument bei einer Stellenbewerbung zulässig sei. Ethisches Ermessen «Ja», sagt Annemarie Pierpaoli. Die Arbeits- und Oraganisationspsychologin ist seit 1980 praktizierende Grafologin, Präsidentin der schweizerischen grafologischen Gesellschaft (SGG), und hat weit über 10 000 Schriftanalysen erstellt. «Über gewisse Persönlichkeitsaspekte wie Vitalität, Art der Wahrnehmung oder Willensfestigkeit sind differenzierte und zuverlässige Angaben möglich.» Ein Schriftpsychologe, wie Grafologen sich auch nennen, erfasse und gewichte zuerst sehr viele einzelne und ganzheitliche Merkmale der Schrift präzise. Bei der anschliesSURPRISE 220/10
senden Interpretation werden Faktoren, welche die Schrift beeinflussen, mitberücksichtigt. «Formdeuterei ist absolut vorbei», betont Pierpaoli. Dass also scharfe Züge nach rechts Aggressivität bedeuten, interpretieren laut der Expertin heute nur noch Laien-Grafologen, die ihr Wissen aus der Ratgeber-Ecke des lokalen Buchladens erworben haben. Schreibbewegung, Druck, Strich, Form- und Raumgestaltung sind heute Kriterien, an denen sich Grafologen orientieren. Dabei spielt auch die Biografie des Schreibers eine Rolle: Wann hat er schreiben gelernt und wo? «Wir verwenden Bücher, welche die Schulschriften nach Ort und Zeit aufführen», erklärt Annemarie Pierpaoli. Die Grafologie sei keine exakte Wissenschaft, sondern enthalte neben Exaktheit auch Deutungsarbeit, räumt sie ein: «Sie gehört in die Hände eines universitär ausgebildeten Psychologen, der psychodiagnostisch tätig ist, oder von jemandem, der fundierte psychologische Kenntnisse hat.» Denn dass der Titel eines Grafologen nicht geschützt ist, sieht auch die Fachfrau als latentes Problem an. Einiges, so scheint es, beruht auf dem Selbstverständnis des Schriftpsychologen. Zum Beispiel, was sie in der Analyse preisgeben: «Es liegt im ethischen Ermessen der Grafologen, nichts auszusagen, was den Auftraggeber nichts angeht», meint Pierpaoli. Denn im Rahmen einer Stellenbewerbung kennen die Schriftpsychologen das Jobprofil genau und im besten Fall auch die Firmenphilosophie. Entsprechend sollen nur Informationen an den potenziellen zukünftigen Chef weitergegeben werden, die für diese Bereiche von Interesse sind. Sie bemühe sich um ein möglichst sachliches, respektvolles Bild der getesteten Person. Bei der Ausbildung von angehenden Grafologen achte sie sehr auf die nicht wertende Beschreibung der Schriftanalyse, so Pierpaoli. Die Aussagekraft der Methode selbst ist für sie unbestritten. Allein, die Anwendung derselben könnte je nach dem ein Problem sein. Dass seine Auswertung in einem Diagramm dargestellt ist, beruhigt den Mann etwas. Aber er würde trotzdem gerne wissen, wie das Resultat der Rubrik «praktische Intelligenz» zu verstehen ist und wie der Grafologe darauf gekommen ist. Als Voodoo-Glauben beschrieb Ulrich Pekruhl grafologische Gutachten in einem Artikel, den er 2007 zusammen mit Anja Mücke in der Schweizer Fachzeitschrift «HR Today» publizierte. Der Soziologe und Dozent für Human Ressource-Management an der Fachhochschule Nordwestschweiz hat seine Meinung über diese Selektionsmethode auch drei Jahre später nicht geändert. Gerade so gut könne man die Eignung einer Person für eine bestimmte Stelle mit dem Würfel entscheiden: «Für die Wissenschaft ist das Thema durch.» Was sie zu grafologischen Gutachten herausgefunden hat, lasse fast kein gutes Haar an der Methode. Wohl gebe es Grafologen, die gewisse Eigenschaften einer Person aus der Schrift herauslesen können. Doch Untersuchungen zeigten, dass bei der Analyse derselben Schrift durch mehrere Grafologen keine Übereinstimmung auftrete. Pekruhl stellt zudem die Objektivität der Schriftpsychologen infrage. Denn dieselben Schriftproben wurden unterschiedlich interpretiert, je nachdem, ob den Grafologen vorab dazu passende Lebensläufe gezeigt wurden oder nicht. «Es gibt verlässlichere Methoden, um zu entscheiden, ob die Person auf eine Stelle passt oder nicht», kommentiert Pekruhl.
oft die Personalabteilung fehlt und damit auch Gesprächspartner bei der Auswahl künftiger Angestellter. «Der Grafologe wird dann als Zweitmeinung beigezogen. Vielleicht wäre es besser, sie als Gesprächspartner einzuladen und die Gutachten beiseite zu lassen.» Schwarb sieht nebst dem Problem der Überprüfbarkeit die fehlende Transparenz als weitere Schwäche des Selektionsinstruments. Bewerber wissen nicht, wer ihre Handschrift analysiert. Da sie in keiner Weise Einfluss auf den Test nehmen können, sind sie bei diesem Auswahlverfahren von jeglicher Partizipation ausgeschlossen. Zwar ist die rechtliche Regelung heute so, dass die Gutachten den Testpersonen auf Verlangen ausgehändigt werden müssen. Informationen darüber, wie die Grafologen zum Resultat gelangten und was diese hinsichtlich der aus-
«Die Wissenschaft lässt kein gutes Haar an der Grafologie; für sie ist das Thema durch.»
Gespräch statt Gutachten Eine mögliche Erklärung, weshalb Personaler sich doch immer wieder auf grafologische Gutachten als Eignungstest verlassen, sieht Thomas M. Schwarb eher in der Person als in der Methode: «Firmen vertrauen ihren Grafologen, nicht unbedingt der Grafologie an sich», sagt der Leiter der Honorierungssysteme des Kanton Baselland und Dozent für Personalmanagement an der Uni Basel und an der Fachhochschule Nordwestschweiz. In seinen betriebswirtschaftlichen Untersuchungen zur Eignung grafologischer Gutachten in der Personalauswahl erlebte er vor allem in mittleren und kleinen Unternehmen, dass den Chefs dort SURPRISE 220/10
geschriebenen Stelle aussagen, fehlen aber oft. Thomas M. Schwarb erstaunt es deshalb nicht, dass auf Bewerberseite grafologische Gutachten als undurchschaubar bewertet werden und ihnen in Untersuchungen deshalb genauso grosse Beliebtheit entgegengebracht wird wie dem Losverfahren. Eine Glaubenssache 28 Prozent der Schweizer Unternehmen zogen in einer Studie von 1999 – der aktuellsten, die dem Soziologen Ulrich Pekruhl bekannt ist – zumindest gelegentlich grafologische Gutachten bei der Personalauswahl bei. Reto Bleisch, Gründungsmitglied der MAS Management Assets Services AG und seit Langem in der Personalvermittlung tätig, beobachtet eine stete Abnahmen der grafologischen Gutachten. In anderen Ländern sei das Verfahren gänzlich aus den Bewerbungsverfahren verschwunden: «Solche Gutachten sind praktisch nur noch in der Deutschschweiz verbreitet.» Bleisch, der aus Interesse selber eine grafologische Ausbildung gemacht hat und seinen Kunden gelegentlich ein grafologisches Gutachten empfiehlt, sieht keine grossen Überlebenschancen für das Testverfahren. Darin ist er sich mit Betriebswirt Thomas M. Schwarb und Soziologe Ulrich Pekruhl einig. Zukünftige Angestellte werden vorzugsweise mit Hilfe von Assessments, Fragebogen oder praktischen Arbeitsaufgaben ausgewählt – Methoden, die überprüf- und messbar sind. Das Argument, dass heute immer seltener von Hand geschrieben wird und grafologische Gutachten deshalb an Aussagekraft verlieren, lässt zumindest die Psychologin und Grafologin Annemarie Pierpaoli als Grund für die abnehmende Anwendung nicht gelten. Grafologen müssten dem Umstand, dass der Griffel manchem nicht mehr so locker in der Hand sitzt, bei den Analysen berücksichtigen: «Man muss mit anderen Schriftproben – beispielsweise Notizen – arbeiten, die Methode anpassen und bei der Interpretation wenn nötig Vorbehalte machen.» Pierpaoli empfiehlt ausserdem Bewerbern, nachzufragen, wer das grafologische Gutachten macht. «Über Internet lassen sich viele Informationen einholen, etwa ob der betreffende Grafologe einem Verband angehört – und damit Qualität bieten kann.» Der Nutzen von grafologischen Gutachten bleibt eine Glaubenssache. Trotzdem gibt es auch Übereinstimmungen bei Befürwortern und Kritikern. Etwa, dass eine Testperson, die die schriftliche Auswertung erhält, zusätzliche Erklärungen benötigt. Oder dass ein grafologisches Gutachten nicht ausschlaggebend für den Bewerbungserfolg sein soll. Dass jemand eine Stelle allein aufgrund des grafologischen Gutachtens nicht bekommen könnte, wagt keiner zu behaupten. Schliesslich legte der Mann die Auswertung zu seinen Akten. Er konnte damit leben. Einzig seine Schrift war ihm von da an etwas unheimlicher als zuvor. ■
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Glücksforschung «Das volle Leben leben» Professor Willibald Ruch beschäftigt sich als Persönlichkeitspsychologe von Berufs wegen mit der Glückssuche. Ein Gespräch über Selbstverwirklichung, Freude am Job trotz schlechter Bezahlung und seriöses Zufriedenheitstraining mit Himbeertörtchen. VON ISABELLA SEEMANN (INTERVIEW) UND ANDREA GANZ (BILDER)
Die Lage ist ernst: Steigende Arbeitslosenzahlen, sinkende Wachstumsraten, anhaltende Turbulenzen auf den Finanzmärkten und kein Aufschwung in Sicht. Leidlich bei Laune zu bleiben, ist schwer, die Lebenszufriedenheit lässt sich schliesslich nicht an- und abschalten wie ein Ventilator. Oder vielleicht doch? Und wie ginge das dann? Mit einem Blick durch die rosarote Brille? Oder alle Glücksratgeber lesen? Was ist das überhaupt, dieses Glück, hinter dem alle her rennen und das doch so selten zu greifen ist? Der Weg zu mehr Lebenszufriedenheit führt ausgerechnet nach Zürich-Oerlikon, an die unwirtliche Binzmühlestrasse. Dort erforscht Willibald Ruch, Professor für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik am Psychologischen Institut der Universität Zürich, die Positive Psychologie und beschäftigt sich mit der Frage: Was braucht es für ein glückliches Leben? Professor Willibald Ruch wirkt auf Anhieb gemütlich, ein Mann jedenfalls, dem man das eine oder andere Spässchen zutraut. Die geballte Ladung an Informationen, Zahlen und Erklärungen, die er sodann auf einen loslässt, lehrt: Die Wissenschaft der Lebenszufriedenheit ist eine ernsthafte Angelegenheit.
eine Lebenshaltung. Wir kommen hier nahe an die alten Philosophen heran, die sich mit der Frage des guten Lebens beschäftigten. Auf welchem Weg kann man das gute Leben erreichen? Durch drei Lebensstile. Auf dem Weg des Hedonismus können Menschen den Genüssen des Lebens frönen und positive Emotionen erleben. Auf dem zweiten Weg können sie einen Sinn suchen und finden, indem sie sich für andere Menschen oder eine höhere Sache engagieren. Und schliesslich kann man danach streben, sein Potenzial zu verwirk-
«Jammern sorgt für Zuwendung. Wer zufrieden ist, dem schenkt man keine Beachtung.»
Herr Ruch, haben Sie beim Forschen über das gute Leben etwas für sich gewonnen? Ja, ich habe die Gewissheit erlangt, dass ich mich bislang richtig entschieden habe. Denn jene Charakterstärken und Verhaltensweisen, die ich intuitiv mit einer höheren Lebenszufriedenheit verbunden habe, wurden durch die Forschung bestätigt. Statt zeitgeistigen Themen zu folgen, die mehr Forschungsgelder und Anerkennung eingebracht hätten, habe ich mich vor rund zehn Jahren der damals noch unbekannten Positiven Psychologie zugewandt, die mich äusserst faszinierte. Lange Zeit galt ich an wissenschaftlichen Kongressen als Exot, weil ich über Humor referierte. Heute bin ich Pionier. Weiss die Positive Psychologie genau, was das Glück ist? Es gibt verschiedene Ebenen des Glücks. Die erste Ebene ist das Erleben des Glücksgefühls, eine starke Emotion, die aber nicht von Dauer ist. Die zweite Ebene ist Glück in Form von Zufriedenheit, wenn sich Wünsche erfüllen oder Ziele erreicht werden. Auf der dritten Ebene ist Glück SURPRISE 220/10
lichen, Aktivitäten auszuüben, die Freude bereiten und Herausforderungen suchen, in denen wir völlig aufgehen und so genannte Flow-Erlebnisse haben. Und wer ist nun am glücklichsten – der Hedonist, der Sinnsucher oder der Selbstverwirklicher? Derjenige, der das volle Leben lebt, also alle drei Lebensstile verwirklicht: Gut essen und trinken, Bedürftigen helfen und seiner inneren Berufung nachgehen. Denn alle drei Lebensstile tragen zur Zufriedenheit bei und sie verstärken sich gegenseitig. Von den dreien trägt aber die Selbstverwirklichung, also das Ausschöpfen seiner Stärken, am stärksten zur Lebenszufriedenheit bei. Wie wichtig sind Arbeit und Beruf für die Lebenszufriedenheit? Es gibt drei Orientierungen: Man kann arbeiten, um Geld zu verdienen, wobei das eigentliche Leben dann in die Freizeit verlagert wird. Man kann, zum Zweiten, um der Karriere willen arbeiten, egal was, Hauptsache man erreicht die erwünschte Position. Schliesslich kann man, drittens, den Beruf als eine Berufung empfinden, als eine Tätigkeit, die man um ihrer selbst willen ausübt. Und welchen Weg empfehlen Sie? Bei der Berufswahl reagieren viele Menschen auf Druck von aussen, sie richten sich nach den Wünschen der Eltern oder nach dem Angebot auf dem Arbeitsmarkt. Das ist ungünstig für die Lebenszufriedenheit. Wer
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sich für einen Beruf entscheidet, sollte die drei Faktoren «Stärken», «Sinn» und «Enthusiasmus» berücksichtigen. Man sollte etwas machen, für das man begabt ist, in dem man einen Sinn sieht und an dem man Freude hat. Und wenn man für einen miserablen Stundenlohn putzen gehen muss? Wer sich mit Enthusiasmus an die Arbeit macht und eine positive Einstellung zu seiner Tätigkeit hat, wird mit Zufriedenheit belohnt, und zwar unabhängig vom Beruf. Dazu gibt es auch Untersuchungen: Das Reinigungspersonal in einem Spital kann sehr zufrieden sein, weil es seine Aufgabe als Hilfe für die Heilung der Patienten wahrnimmt. Wer es schafft, den sinnvollen Teil seiner Arbeit zu sehen, wird glücklicher sein. Selbst wer erkennt, dass er in die falsche Richtung läuft, ändert sein Leben nur selten. Warum? Das liegt teils an schlechten Denkgewohnheiten. Diese Menschen machen den Zufall dafür verantwortlich, wenn ihnen etwas gelingt, und wenn es misslingt, dann suchen sie die Ursache dafür in ihrer Persönlichkeit oder in ihrer Vergangenheit. Das entmutigt sie, an ihrer Zukunft zu arbeiten. Manche wissen auch schlichtweg nicht, wie sie ihr Leben ändern könnten, suchen aber auch keine Hilfe, weil sie denken, dass nur Kranke in eine Therapie gehen. Dabei können Psychologen auch wertvolle Dienste als Mentor und Coach anbieten. Andere Menschen wiederum halten freudlose Situationen aus, weil die mögliche Alternative sie ängstigt, beispielsweise finanzielle Unsicherheit oder Einsamkeit.
denziell glücklicher als in sich gekehrte. Trotzdem haben wir die Möglichkeit, zufriedener zu werden. Wie geht das? In dem man eine positive Einstellung zu den Dingen entwickelt, mindestens einen der drei erwähnten Lebensstile kultiviert und seine Charakterstärken trainiert. Denn wer sein Leben nach seinen Stärken ausrichtet, wird zufrieden. Welches sind Charakterstärken, die die Lebenszufriedenheit fördern? Die Positive Psychologie hat sechs universelle Tugenden identifiziert, denen 24 Charakterstärken zugeordnet sind. Dankbarkeit, Optimismus, Enthusiasmus, die Fähigkeit zu lieben und Neugier tragen besonders viel zur Lebenszufriedenheit bei. Neugierige Menschen lieben es, die Welt zu erforschen und zu entdecken und finden die unterschiedlichsten Themen faszinierend. Diese Eigenschaft kann man ganz unspektakulär fördern, in dem man jede Woche etwas Neues isst, das man noch nie probiert hat.
«Wer eine bittere Beere erwischt, sollte sie ausspucken und nicht runterschlucken.»
Manchmal scheint es, als suhlten sich gewisse Menschen gerne im Unglück. Täuscht der Eindruck? Keineswegs. Tatsächlich fällt es den Menschen oft leichter, sich am Negativen festzuhalten, statt sich dem Positiven zuzuwenden. Denn wer jammert, bekommt Zuwendung. Wer aber zufrieden ist, dem schenkt man keine Beachtung. Negative Emotionen haben jedoch eine wichtige Funktion: Sie warnen uns vor Gefahren und geben eine Handlungsanweisung vor. Wer eine bittere Beere erwischt, sollte sie ausspucken und nicht runterschlucken.
Gibt es auch Übungen, die sofort glücklich machen? Die besten Übungen, um Glücksgefühle hervorzurufen, sind Dankbarkeitsübungen. Ich ermuntere jeden, sich jeweils vor dem Schlafen gehen während 15 Minuten zu überlegen und niederzuschreiben, was heute Schönes passiert ist und wofür er oder sie dankbar ist. Dann nimmt man sein Glück auch stärker zur Kenntnis. Anfangs denkt man nur an das Negative: Der schlecht gelaunte Arbeitskollege, das Tram, das vor der Nase abgefahren ist, der nervtötende Nachbar. Mit der Zeit aber erinnert man sich an die angenehmen Ereignisse des Tages, die inspirierenden Begegnungen oder sei es nur ein köstliches Himbeertörtchen. Ob grosse oder kleine Freuden, darauf kommt es nicht an. Sie werden sehen: Die Übung wird immer leichter fallen – und Sie sind mitten in einem seriösen Zufriedenheitstraining. ■
Hilft es, wenn man sich einer Lebenslüge bedient und sich einbildet, man sei zufrieden? Wenn man in einer Situation steckt, die man nicht ändern kann, wie eine schwere Krankheit, dann vermag ein Blick durch die rosarote Brille durchaus das Wohlbefinden zu stärken. Ein einseitiger Blick auf das Glück kann jedoch auch von Problemen ablenken und ein verzerrtes Bild der Existenz entwerfen. Probleme muss man lösen, sonst vergrössern sie sich. Kann man noch glücklich werden, wenn man zu Beginn des Lebens schlechte Karten gezogen hat? In einem gewissen Ausmass sicher. Denn eine optimistische Grundeinstellung, den richtigen Lebensstil und einen guten Charakter kann jeder fördern. Oft werden diese Tugenden gerade in Krisenzeiten entwickelt und helfen einem, aus dem Tal zu kommen. So besinnen sich Menschen, die von Katastrophen betroffen sind, auf die Gemeinschaft und die Solidarität, und solche, die krank sind, wenden sich bewusst den schönen Seiten des Lebens oder der Sinnsuche zu, was ihr Wohlbefinden beträchtlich erhöht. Können wir unsere Lebenszufriedenheit überhaupt auf Dauer beeinflussen oder liegt es in den Genen? Gerade die Neigung, Freude und Genuss stark empfinden zu können, ist angeboren. Auch sind extravertierte, temperamentvolle Menschen ten-
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Zur Person Professor Dr. Willibald Ruch (53) ist Leiter der Fachgruppe Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik am Psychologischen Institut der Universität Zürich. Der gebürtige Österreicher gehört zu den renommiertesten Humor- und Lachforschern. Seit 2001 beschäftigt er sich intensiv mit der Positiven Psychologie, einer Disziplin, die sich nicht mit der Behebung von Defiziten beschäftigt, sondern auf die positiven Aspekte der Persönlichkeit fokussiert. SURPRISE 220/10
BILD: ISTOCKPHOTO
Berufsgeheimnis Hinter den Mauern des Schweigens Wor체ber d체rfen Schweizerinnen und Schweizer nicht sprechen? Und wie gehen sie damit um, Geheimnistr채ger zu sein? Eine Recherche an der Grenze des Erlaubten.
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VON STEFAN MICHEL
Geheimnisse teilen die Menschen in zwei ungleiche Gruppen: eine kleine, die weiss und eine grosse, die nicht weiss. Berufsgeheimnisse schneiden kreuz und quer durch die Gesellschaft. Ärztinnen, Pfarrer, Anwälte, Polizistinnen, Sozialarbeiter, Politiker, Postbeamte und viele mehr unterstehen einer mehr oder weniger eng gefassten Schweigepflicht. Auch wenn das Bankgeheimnis bald Geschichte ist, hüten noch immer Hunderttausende Berufsgeheimnisse. «Wie haltet ihr es mit der Schweigepflicht?», will der Autor von einem Juristenpaar wissen. «Das kannst du im Datenschutzgesetz nachlesen», antwortet die juristische Sekretärin einer Verwaltungsabteilung, ohne zu zögern, «solange man keine Rückschlüsse auf einzelne Personen ziehen kann, können wir reden, worüber wir wollen.» «Moment!», widerspricht der Strafverteidiger, an seine Frau gewandt, «streng genommen dürfte ich dir überhaupt nicht erzählen, womit ich mich beschäftigte, auch ohne Namen nicht. Es ist heftig, womit ich zu tun habe: Vergewaltigung, Mord und so weiter. Ob ich das einem Psychiater erzähle oder meiner Frau kommt auf dasselbe heraus. Beide wissen nicht, um wen es geht und beide erzählen nichts weiter». An wenigen Orten dürften Berufsgeheimnisse mehr unter Druck kommen als in der Ehe. «Ich könnte mir nicht vorstellen, mit einem Mann zusammen zu leben, der mir kein Wort von seiner Arbeit erzählt», sagt die Anwaltsgattin. Andere sprechen lieber nicht mit dem Journalisten. Das Adjektiv «heikel» wird zum Refrain dieser Recherche. Die Flughafenpolizei Zürich entscheidet nach gründlicher Abklärung, keinen Geheimnisträger zum Gespräch zu schicken. Ein heikles Thema sei das. Freundlich und bestimmt lehnen UBS und CS ab. Viel zu heikel im Moment. Alt Bundesrätin Elisabeth Kopp hingegen findet das Thema zu wenig reizvoll, ihr ehemaliger Kollege Arnold Koller bringt überzeugende persönliche Gründe vor. Schliesslich stellen sich eine Psychotherapeutin und eine Nationalrätin den Fragen und erklären, worüber sie nicht sprechen dürfen.
Die Geschichten bleiben, auch wenn ihr die Personen dazu weniger oft begegnen. «Es ist schon verrückt, wie viele Lebensgeschichten ich kenne. Manchmal frage ich mich, wo meine eigene noch Platz hat.» Sie wiegen schwer, diese oft tragischen Schicksale, Krankheiten, Verluste. «Und gleichzeitig ist es ein grosses Privileg, in all diese Lebenswelten hineinschauen zu dürfen. Ich gehe immer gerne zur Arbeit – fast immer», sagt sie, und ihr Gesicht lässt keinen Zweifel daran. Eine andere schwierige Seite des Berufs ist es, wenn die Therapeutin erfährt, dass ihr Gegenüber Opfer einer Gewalttat ist. «Besonders im Spital habe ich immer wieder mit jungen Frauen zu tun, die sexuell missbraucht worden oder andern Formen von Gewalt ausgesetzt sind. Die
«Es ist heftig, womit ich zu tun habe: Vergewaltigung, Mord und so weiter.»
Die Einsamkeit der Therapeutin «Ein spannendes und ein heikles Thema», urteilt Elisabeth Glenck, Psychotherapeutin mit eigener Praxis in einer Zürcher Landgemeinde und einer Teilzeitanstellung in der Frauenklinik des Stadtspitals Triemli in Zürich. Als Angestellte des Krankenhauses ist sie ans Arztgeheimnis gebunden. In ihrer Privatpraxis gilt das Therapiegesetz und dieses ist strikter. «Im Spital arbeite ich im Team, spreche mich mit Ärzten und Pflegenden ab. Als private Therapeutin darf ich mit niemandem über meine Fälle sprechen, ausser die Klientin oder der Klient erlauben mir das ausdrücklich», erklärt sie den Unterschied. Hinzu kommt eine monatliche Besprechung mit Fachkollegen, die Intervision. «Da diskutieren wir aber nur Fälle, zu denen ich Fragen habe, natürlich anonym. Alles andere bleibt bei mir.» Zwischen der Arbeit im Spital und der Praxis auf dem Land gibt es noch einen gewichtigen Unterschied: In der Stadt ist die Wahrscheinlichkeit klein, dass sie einer Person begegnet, deren Geschichte sie aus der Therapie kennt. An ihrem Wohnort ist das anders: «Es passiert mir schon, dass ich an einem privaten Fest auf eine Klientin treffe. Dann muss ich freundlich Distanz wahren.» In vielen Jahren Tätigkeit hat sie sich Routine darin zugelegt. Leichter wird es dadurch nicht, die seelischen Probleme so vieler Menschen zu kennen. «Man wird in einem gewissen Sinne einsam», beschreibt Glenck. Mit jeder Person, die eine Therapie bei ihr beginnt, wird der Kreis kleiner, mit dem sie einen unbefangenen Umgang pflegen kann. Auch Angehörige und Freunde des Klienten gehören dann nicht mehr dazu. Dies trug dazu bei, dass sie mit ihrem Mann in ein anderes Dorf zog. «Es wurde allmählich zu voll, dort, wo wir vorher gewohnt hatten.»
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Frauenklinik bemüht sich mit Erfolg, das Tabu ‹Häusliche Gewalt› zu durchbrechen. Für viele betroffene Frauen ist dies ein gutes Erlebnis von Solidarität», erzählt die Therapeutin. Wenn jedoch die Gefahr besteht, dass eine Person sich selber oder jemand anderem etwas antut, dann darf oder muss die Schweigepflicht gebrochen werden. «Das bringt aber wenig, wenn die betroffene Person psychisch nicht in der Lage ist, den juristischen Weg zu gehen», weiss Glenck. «Die Gefahr ist gross, dass sie in der Psychiatrie landet und überhaupt nichts mehr sagt.» Sie versucht, die Betroffene in der Therapie soweit zu stärken, dass sie selber fähig ist, eine Anzeige, auch gegen Angehörige, durchzustehen. Und sie begleitet sie weiter: «Da gerate ich dann auch selber in Gefahr, werde bedroht oder mit übler Nachrede konfrontiert.» Die Therapeutin hat es erlebt, dass ihr Wissen nicht nur belastend war, sondern zur Gefahr für sie selber wurde. Elisabeth Glencks Ehemann ist Arzt mit eigener Praxis. Die Schweigepflicht verbietet ihnen, darüber zu sprechen, was sie in ihrer Arbeit am meisten beschäftigt. «Das finde ich unmenschlich», stellt sie klar und lässt durchschimmern, dass sie sich nicht immer daran hält. «Unsere Sensibilität für Vertraulichkeit ist hoch», fügt sie an. In der Therapie wie im Alltag sei es wichtig, «selektiv offen» zu sein. Das bedeutet, nicht alles auszusprechen, was man denkt. «Zum Beispiel, wenn mir jemand etwas über eine Person erzählt, ohne zu wissen, dass ich diese Person therapiere.» Auch das sei eine alltägliche Situation für sie als Therapeutin auf dem Land. Wie geheim sind Staatsgeheimnisse? Nicht um individuelle Schicksale, sondern um die Geschicke des Landes geht es bei Maria Roth-Bernasconi. «Ja, ich hüte Staatsgeheimnisse», sagt die Genfer SP-Nationalrätin, ohne zu zögern. Als Präsidentin der Geschäftsprüfungskommission (GPK) leitet sie das Gremium, welches die Arbeit des Bundesrats, der Bundesverwaltung und des Bundesgerichts überwacht. Ein Bundesrat, der vor die GPK geladen wird, ist vom Amtsgeheimnis entbunden und zur Aussage verpflichtet. Er muss also auch aus den Bundesratssitzungen berichten, deren Inhalt eigentlich geheim ist. «Darum ist es wichtig, dass nichts nach aussen dringt, was in der GPK gesagt wurde, denn sonst würde niemand aussagen.» Das Geheimnis muss bewahrt werden, damit die Vorgeladenen ihre Geheimnisse preisgeben, denn die GPK ist kein Gericht und hat keine Zwangsmittel. «Wenn jemand nicht alles sagt oder lügt, können wir nichts tun», räumt Roth-Bernasconi ein. Es kommt einiges zusammen an Informationen, die von nationaler Bedeutung sind, und doch vor fast allen Menschen in diesem Land geheim gehalten werden. Als Last empfindet die Nationalrätin dieses Geheimwissen nicht. «Schwer ist es nur physisch. Wir schleppen kiloweise Dossiers herum», meint sie lachend. Ernster fügt sie an: «Ich war früher Krankenschwester. Was ich da für mich behalten musste, war viel belasSURPRISE 220/10
tender.» Ihrem Mann erzählt sie wohl, dass sie eine Unterredung mit Bundesrätin Widmer-Schlumpf hatte, aber nicht, worüber sie gesprochen haben. «Wir haben genug anderes, worüber wir reden können», versichert sie. Selbst wenn sie sich furchtbar über etwas aufregt, ob über das Verhalten eines Magistraten oder einen politischer Kuhhandel, was unter das Kommissionsgesetz fällt, behält sie für sich.
nicht. Was schon vorher und auf verbotenen Wegen aus den Kommissionszimmern dringt, hängt manchmal von der Profilierungslust eines Politikers und häufiger von strategischen Überlegungen ab. Ein paar gezielte Zeilen können eine Diskussion in eine ganz andere Richtung lenken. Sanktionen für den Rechtsbruch sind kaum zu befürchten. Die GPK-Präsidentin diagnostiziert: «Das Kommissionsgeheimnis ist gut und klar geregelt. Das Problem sind die Menschen, die sich daran halten sollten.»
Penetrante Journalisten, indiskrete Parlamentarier Sehr viel schwieriger sei es, sich keine Geheimnisse entlocken zu lassen. «Besonders die Journalisten sind äusserst raffiniert bis penetrant, wenn sie etwas wissen wollen. Man muss sich genau überlegen, wie weit man gehen kann und manchmal muss man das Rückgrat haben, ein Gespräch abzubrechen.» Häufiger ist freilich der Fall, dass Geheimnisse bewusst ausgeplaudert werden. «Seit die Schweizer Politik so stark polarisiert ist wie heute und die Medien so extrem auf Scoops aus sind, haben Indiskretionen enorm zugenommen.» Besonders schlimm sei es gewesen als Christoph Blocher Bundesrat gewesen sei. Oft seien ihm Informationen aus der GPK zugespielt worden, die für den Bundesrat genau so geheim sind wir für jeden anderen Menschen. «Ich glaube nicht, dass das Leute aus der FDP oder der CVP waren», schränkt die SP-Politikerin den Kreis der Verdächtigen ein. «Wir haben auch schon Anzeige erstattet, denn das Kommissionsgeheimnis zu brechen, ist eine Straftat», erinnert sich Roth-Bernasconi an jene Zeit. Um die beschuldigte Person belangen zu können, müsste aber deren parlamentarische Immunität aufgehoben werden, «und das wollte die SVP nicht und die anderen Parteien auch nicht, weil sie sich vor Retorsionsmassnahmen fürchteten.» Was definitiv geheim bleibt, ist dem politischen Kräftespiel unterworfen. Am Ende einer Untersuchung entscheidet die Kommission per Mehrheitsentscheid, was im Schlussbericht veröffentlicht wird und was BILD: KEYSTONE
BILD: ANDREA GANZ
Wenn Geheimhaltung Arbeitsplätze sichert An dieser Stelle stand bis kurz vor Redaktionsschluss der Bericht einer dritten Person, die eine Dienstleistung erbringt, welche sich nur die Reichsten der Reichen leisten können. Sie erklärte, worin ihre Arbeit besteht und wie wichtig den Kunden Diskretion sei, weshalb sie, obschon in einer leitenden Position tätig, oft selber nicht erfahre, wer das Ergebnis ihrer Arbeit schliesslich nutzen wird. Das Gespräch fand ohne Kenntnis der Kommunikationsstelle des Arbeitgebers statt. Als diese davon erfuhr, untersagte sie die Publikation des betreffenden Abschnitts. Dem Autor wurde vorgeworfen, nicht nur die Kündigung der interviewten Person zu verschulden, sollte der Text erscheinen, sondern auch viele weitere Arbeitsplätze zu gefährden, da der abgefasste Abschnitt Aufträge und Kunden kosten werde. Froh, auch mal etwas für den Erhalt von Arbeitsplätzen tun zu können, beugt sich der Autor dieser überzeugenden Argumentation. Welche Firma so heftig auf das Kratzen an ihrem Betriebsgeheimnis reagiert, bleibt geheim. Nur soviel: Es ist keine Bank. ■
Maria Roth-Bernasconi: Die GPK-Präsidentin im Gespräch mit einem Ratskollegen. SURPRISE 220/10
Elisabeth Glenck: «Ein Privileg, in verschiedene Lebenswelten hineinzuschauen.»
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Verdingkinder «Richtig geschaut hat nie jemand für mich» Als Jugendlicher wurde Bruno Kilchör an eine Bauernfamilie verdingt. Es war der Auftakt zu einer Existenz am Rand der Gesellschaft. Nun blickt der 53-Jährige zurück auf ein einsames Leben zwischen Anstalt, Alkohol und Teilzeitjobs. VON RETO ASCHWANDEN
Bruno Kilchör sagt, er wolle nur Tatsachen erzählen und nichts, das nicht stimmt. Geboren wurde er im Fribourgischen, 1956, als unerwünschter Nachzügler. Er war ein Bettnässer und wenn die Matratze wieder einmal feucht war, wurde die Mutter grob. Der Vater ging zur Arbeit und wenn er heimkam, tat er, als würde er die Spuren der Misshandlungen nicht sehen. Als Bruno zehn war, nahmen ihn die Behörden seiner Familie weg und brachten ihn ins Kinderheim. In der Schule war er gut und er bestand sogar die Sekprüfung. Als er fürs Heim zu alt wurde, fuhr ihn der Fürsorger zu einer Pflegefamilie in Burgdorf, die ebenfalls ein Nachzüglerli hatte, für das sie sich ein Gschpänli wünschten. Doch nach einem Jahr hatten sie genug von Bruno und schickten ihn zu einer Bauernfamilie. Die Bauern schauten den Buben an und sagten, gut, er kann bei uns bleiben. Am Anfang gefiel es Bruno dort, doch bald fühlte er sich nur noch zum Arbeiten gut genug. Bruno Kilchör sagt, geschlagen worden sei er nicht, nein, das wolle er nicht erzählen, denn das sei nicht wahr und er wolle nur Tatsachen berichten. Aber lieblos seien sie gewesen, kein freundliches Wort, und wenn er von der Schule kam, musste er immer gleich in den Stall. In der achten Klasse lernte Bruno Velo fahren und eines Tages nahm er so einen Göppel und fuhr über die Strassen, immer weiter, bis er daheim war bei Mutter und Vater. Weisch was, sagten die zu ihm, du gehörst zurück in den Stall.
eignet und warfen ihn raus. Am Boden zerstört, kehrte Bruno Kilchör in die Schweiz zurück. Doch bald zog es ihn wieder fort, diesmal nach Ibiza. Er sagt, er hätte das Leben noch einmal auskosten wollen, um dann zu sterben, aber so einfach gehe das ja nicht. 19 Monate lang lebte er mit einer Freundin in Barcelona, bis auch diese Liebe zerbrach. Mit 24 war er ein Clochard in Spanien, der von Bettelei und Blutspenden lebte. Als ihn die Polizei ohne Geld aufgriff, kam er in Ausschaffungshaft. Zurück in der Schweiz, tauchen auch bald Uniformierte auf. Denn Bruno Kilchör hatte nach der RS und zwei WKs genug gehabt vom Militärdienst für diesen Staat, der ihn immer nur verseckelte. Der Staat verdonnerte ihn wegen Dienstverweigerung zu fünf Monaten unbedingt und dort im Gefängnis, sagt Bruno Kilchör, begann das mit der Kriminalität. Stetig, stetig ging es nun bergab in einem Strom von Bier und Hasch und Beschaffungsdelikten. Ein Dieb sei er gewesen, das stimme, sagt Bruno Kilchör, aber kein Schläger, im Gegenteil, er habe ein paar Mal uf d’Schnurre bekommen. Ein Buch für die Nichten Bruno Kilchör bekam sein Leben nicht in den Griff. Ein paar Mal landete er in der Ausnüchterungszelle und immer wieder lieferte er sich selber in die Psychiatrie ein. Dort pumpten sie ihn mit Medikamenten voll, bis Bruno nicht mehr Bruno war. Er könnte Geschichten erzählen über die Zustände in den Kliniken, sagt Bruno Kilchör, aber das wolle niemand hören, denn die Leute seien froh, wenn einer wie er versorgt sei. Irgendwann stellten sie ihn vor die Wahl: Entweder gehst du auf einen Bauernhof arbeiten, bis du dein Leben in den Griff bekommst. Oder du verbringst den Rest deines Lebens in der Anstalt. Und so kam der ehemalige Verdingbub als erwachsener Mann wieder zu einem Bauern. Solange er der gute Tscholi war, der klaglos machte, was man ihm sagte, ging es gut. Lieber aber hätte er eine Arbeit gehabt, die ihn auch geis-tig forderte. Doch mit seinem Lebenslauf bekam er nirgends eine
Ein Clochard in Spanien Einmal vernahm Bruno, die Migros suche Aushilfen und da ging er zum Bauern, ob er erlaube, dass er sich ein bisschen Sackgeld verdiene. Doch der Bauer fand, es gebe genug Arbeit auf dem Hof. Nach der Schule fand Bruno Kilchör eine Lehrstelle als Lagerist, doch weil er daneben weiter für den Bauern arbeiten musste, hatte er nie frei. Irgendwann mochte er nicht mehr und gab die Lehrstelle auf. Mit 18 hatte der Verdingbub genug vom Bauernhof, denn er wollte sein Leben in die eigenen Hände nehmen. Er fand Arbeit, eine Wohnung und eine Freundin. Löffel um Löffel Chance. Ein hoffnungsloser Fall sei er, sagt Bruno Kilchör, einen wie ihn sparten sie, um eine eigene Familie gründen zu können. Doch dann hätten die Deutschen im Zweiten Weltkrieg ins Arbeitslager gesteckt. musste er in die Rekrutenschule und in der 13. Woche lief sie ihm daDoch die Schweiz mache das humaner, weil die Schweiz alles ein bisvon. Bruno Kilchör sagt, da sei für ihn die Welt zusammengebrochen, schen humaner mache. denn diese Frau, das sei der einzige Mensch gewesen, von dem er sich Eine Zeit lang, er war schon fast 50, verkaufte er Surprise, zuerst in je geliebt gefühlt habe. Er begann zu trinken, nie während der Arbeit, Olten und später in Thun. Das gefiel ihm, denn er fühlte sich frei dabei, das verbot ihm seine Ehre, aber wenn er wieder einmal abgestürzt war, und getrunken, sagt Bruno Kilchör, habe er beim Heftverkauf nie. Doch ging er morgens einfach nicht auf die Baustelle, wo er als Temporärer dann kamen die Schmerzen in den Füssen und als es immer schlimmer krampfte. Einen Job nach dem anderen schmiss er hin, und manchmal, wurde, ging er zum Doktor und der stellte fest, dass die Nerven in den sagt Bruno Kilchör, holte er nicht einmal den ausstehenden Lohn ab, Beinen kaputt sind. Jetzt muss er starke Medikamente nehmen und weil er sich schämte. kann nur noch ein paar hundert Meter zu Fuss gehen. Er lebt in einer Es waren die 70er-Jahre, die Leute trugen Jeans und lange Haare und kleinen Wohnung in Steffisburg bei Thun, trinkt Bier aus Dosen und Bruno Kilchör wollte hinaus in die Welt, nach Amerika. In Ohio baute eiraucht selbstgedrehten Tabak, obwohl die Ärzte meinen, dass gehe nicht ne Schweizer Firma ein Werk für Furniermaschinen, und dort hatten sie mehr lange gut. Die Ärzte, sagt Bruno Kilchör, die können nur Chemie Der Stolz desden Heimbesitzers: Sven Unold vor seinem Wohnwagen mit selbst Arbeit für jungen Auswanderer. Doch bald fanden sie, er seigebautem unge- Vorbau.
Weisch was, sagten die Eltern, du gehörst zurück in den Stall.
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BILD: ZVG
verabreichen, dabei bräuchte ein Mensch doch vor allem Liebe. Doch der Staat wolle ihn nur unter Kontrolle halten. Einmal die Woche komme einer vorbei, und wenn dann eine Sauordnung wäre, dann wßrden sie ihn entmßndigen und ins Heim stecken. Ich erzähle nur Tatsachen, sagt Bruno KilchÜr, aber natßrlich, beweisen kÜnne er das alles nicht. Richtig geschaut hat nie jemand fßr mich, nicht die Eltern und auch nicht der Staat, sagt Bruno KilchÜr. Immer musste ich mich selber durchschlagen und wenn ich jetzt zu Leuten käme, die mich verstehen, dann hätte ich vielleicht die Chance fßr einen Neuanfang. Meistens sitzt er allein zu Hause und manchmal hält er die Einsamkeit fast nicht aus. Er sehnt sich nach einer Beziehung, einer ehrlichen Frau, am liebsten aus der Gegend. Eine Freundin hatte er seit 20 Jahren nicht mehr und von seiner Familie lebt nur noch ein Bruder, der nichts von ihm wissen will. Einmal, sagt Bruno KilchÜr, sei er bei einem Treffen ehemaliger Verdingkinder gewesen. Aber das waren alles Leute, die es geschafft hatten. Der Gastgeber hatte eine grosse Garage und eine riesige Wohnstube, alles picobello. Unter diesen Leuten sei er sich ganz klein vorgekommen, sagt Bruno KilchÜr. Manchmal wäre es ihm gleich, wenn es zu Ende ginge. Doch dann packt ihn wieder der Lebenswille und er hofft, dass er jemanden findet, der ihn als Mensch respektiert und ihm eine Chance gibt, neu anzufangen, mit einem kleinen Job vielleicht, bei dem er den Kopf brauchen und ein paar Franken verdienen kÜnnte. Damit wßrde er sich ein TÜffli leisten oder eine kleine Reise, immerhin. Und er mÜchte lernen, wie man einen Computer bedient. Wenn ich das kÜnnte, sagt Bruno KilchÜr, wßrde ich meine Lebensgeschichte aufschreiben, ein dickes Buch gäbe das. Das wßrde er an die TÜchter seines Bruders schicken. Seine Nichten, die heute junge Frauen sind, hat er noch nie gesehen. Bruno KilchÜr sagt, er mÜchte, dass sie wissen, wer ihr Onkel ist. Bruno KilchÜr: Ich erzähle nur Tatsachen.
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Harte Arbeit auf dem Feld: Verdingbuben 1944.
Heile Welt für den Armeninspektor: Verdingkind 1940.
Verdingkinder «Liebe habe ich nie gelernt» Lange blieb das Schicksal der Verdingkinder ein Tabu. Eine eindrückliche Ausstellung lässt die Betroffenen nun zu Wort kommen und wirft damit auch ein schiefes Licht auf eine Schweiz, die ihre Schwächsten hilflos der Willkür auslieferte. VON RETO ASCHWANDEN
Bruno Kilchör (siehe Artikel S. 18) ist nur eines von vielen Tausend Kindern, die in der Schweiz im 20. Jahrhundert verdingt wurden. Lange hatten diese Menschen keine Stimme. Was in den Heimen und auf den Höfen geschah, wussten nur die Beteiligten. Erst zwei Forschungsprojekte der Ecole d’Etudes Sociales et Pédagogiques in Lausanne und der Universität Basel brachten die damaligen Zustände ans Tageslicht. Dabei wurden rund 300 ehemalige Verdingkinder zu ihrem Leben, Jugenderinnerungen und dem Umgang mit dem Erlebten interviewt. Die Ausstellung «Enfance volées – Verdingkinder reden» macht die Resultate einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Schriftliche Dokumente, Bilder und vor allem Hörstationen mit Interviewausschnitten liefern erschütternde Einblicke in eine Gesellschaft, die ihre schwächsten Mitglieder schutzlos der Willkür von Fremden aussetzte. «Sie sollen zum Arbeiten erzogen werden, um der Gesellschaft nicht zur Last zu fallen» – das Behördenzitat aus der Ausstellung zeigt die Haltung hinter dem Verdingsys-tem. Dazu passt, dass die Kinder an vielen Orten in sogenannten Mindersteigerungen an Pflegefamilien vergeben wurden: Wer am wenigsten Kostgeld verlangte, bekam das Kind zugesprochen. Die Erfahrungen der Verdingkinder sind vielfältig, weisen aber auch Gemeinsamkeiten auf. So war harte Arbeit in der Landwirtschaft ein Los, das viele teilten, ebenso Schläge, sexueller Missbrauch und vorenthaltene Schul- und Berufsbildung. Am schlimmsten aber, sagen Betroffene, SURPRISE 220/10
sei die soziale und räumliche Ausgrenzung gewesen. Mit vielen Verdingkindern wurde nur das nötigste geredet, schlafen mussten manche allein im Stall. Lehrer, Pfarrer und Fürsorger wussten oft Bescheid, schwiegen meist aber im Interesse des Dorffriedens. Kam der Armeninspektor doch einmal zu Besuch, spielten die Pflegeeltern heile Welt und sorgten dafür, dass das Verdingkind keine Gelegenheit fand, sein Leid zu klagen. Die Verarbeitung dieser Kindheit beschäftigt viele Betroffene bis heute. Viele haben Mühe, überhaupt darüber zu reden, aus Angst vor Unglauben und Ignoranz. Manche verdrängten ihr Trauma über Jahre – Depressionen, Sucht und Selbstmord sind unter Verdingkindern weit verbreitet. Den Abschluss der Ausstellung bilden Video-Interviews mit Betroffenen, die heute zumeist im Rentenalter sind. Viele hadern noch immer mit der Gesellschaft, die zugelassen hat, dass ihnen ihre Kindheit geraubt wurde und sie mit emotionalen Defiziten ins Lebens entliess. Auch wenn viele Familien gründeten und heute Grosseltern sind, steht die Aussage eines Interviewten stellvertretend für Hunderte: «Liebe und Mitgefühl, das habe ich nie gelernt.» ■ «Verdingkinder reden», Historisches Museum Basel, bis 28. März. Anschliessend wird die Ausstellung in weiteren Städten präsentiert. www.verdingkinderreden.ch
Die Bilder auf S. 3, S. 19 und S. 21 stammen vom Pressefotografen Paul Senn, der in den 1940er-Jahren die Welt der Verdingkinder fotografisch dokumentierte. © Paul Senn, FFV, Kunstmuseum Bern, Dep. GKS.
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BILD: ANDREA GANZ
Le mot noir Bus Stop Kürzlich im Cafe. Beine gehen vorbei. Mäntel, Taschen. Ein Kind. Und dazwischen ich, beim Brüten. Da knallt einer sein Bourbonglas auf den Tisch, eine Riesenfahne vorne weg. Und ohne aufzusehen, meine ich, es könnte Dylan Thomas sein. Der toter Dylan Thomas. Der versteht sich auf wirkungsvolle Auftritte. «Schon mal an einem fremden Ort aus dem Bus gestiegen?», macht sich der Poet sofort in seinem Mantel breit. «Sie sehen aus, als ob Sie da grad ausgestiegen sind. Und keine Ahnung haben, wo Sie sind.» «Wo kommen Sie denn her?», nuschle ich zurück. «Keine Minibar im Paradies?» «Ich sagte, Sie steigen an einem fremden Ort aus dem Bus. Okay?!» «Wenn Ihnen so viel daran liegt», lenke ich ein. «Gut, dann haben Sie ja jetzt einen Plan», poltert der Poet weiter. «Darf ich noch überlegen?», murmle ich ihm wackelig zu. «Keine Phanta-
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sie, was?» «So ähnlich», wedle ich seinen Atem weg. «Dann sag ich es Ihnen eben: Was Sie an Ihrem Bus Stop vorfinden, haut Sie dermassen um, dass Sie vergessen, wieder einzusteigen! Das ist es, was Sie tun! Verstanden?» Mit Toten soll man sich nicht anlegen, also nicke ich. «Na los! Versuchen Sie es!» Eigentlich bin ich zu müde. Aber Dylan Thomas sieht nicht aus, als wäre er in Autogrammstimmung und so steige ich in Gedanken noch einmal in den Bus. Steige aus. Sehe mich um. «Und? Was sehen Sie?», fixiert er mich wie ein Falke, der seine Beute nicht aus den Augen lässt. «Ziemlich ruhig hier», rapportiere ich so friedvoll es eben geht. «Watteweich und langsam. Und auch totenstill. Ein, ähm, grosses, graues Nichts?» «Und so was ist Ihr Bus Stop?», hebt der Mann die Braue. «Nun ja, ein, zwei geplättete Schneeglöckchen vielleicht?», gebe ich mir Mühe. «Und eine Wildgans, die falsch abgebogen ist?» «Schneeglöckchen!», wettert der Poet. «Sie sind mir ja ein Weichei! Nein! Ich sage Ihnen, was Sie sehen: Sie sehen die irische See, die brandet! Verstanden? Sie sehen irisches, fettes Grasland! Sie sehen Cottages, in denen man sich wünscht, am Weihnachtsmorgen aufzuwachen! Und Sie sehen Pubs, aus denen Sie erst rausfallen, wenn Sie sich glücklich gesoffen haben! Sie sehen Ihre besten Jahre vor sich, bevor die Zeit Sie in den Abgrund reisst! Und das ist der Grund, warum
Sie vergessen, wieder in den Bus einzusteigen! Okay?!» «Okay…», murmle ich. Aber Tote können ganz schön nerven. «Und – Action!», gibt mir der Poet das Go. «Sie vergessen, wieder in den Bus einzusteigen. Warum?» «Weil ich … in so einem glücklichen, ähm, Pub sitze und, ähm … irischen Tee trinke und … ich weiss nicht … Marken klebe?», gehe ich mit ihm mit, damit er mich nicht für ein Weichei hält. «Für meine Flugmeilen ins Paradies?» Trotzdem wird Dylan Thomas jetzt rot im Gesicht. «Wissen Sie was?», poltert er ungehalten. «Sie sollten nicht mal Bus fahren!» «Gar nicht?» «Nein!», lässt er mich fallen wie eine Beute, die nie eine war. «Sehen Sie sich doch an! Sitzen vor Ihrer Tasse und reden mit einem Toten! Dabei gibt es hier jede Menge Frischfleisch. Den da an der Theke zum Beispiel, oder die da hinten!» «Mehr schaff ich heute aber nicht», sacke ich ab wie ein toter Vogel. «Was schaffen Sie nicht?! Oh Mann, was ist eigentlich Ihr Problem?!», holt Dylan Thomas zum K.O. aus. «Mein Problem?» «Ich warte auf den FRÜHLING! OKAY?»
DELIA LENOIR LENOIR@HAPPYSHRIMP.CH ILLUSTRATION: IRENE MEIER (IRENEMEI@GMX.CH) SURPRISE 220/10
Jugend Kick für junge Kultur BILD: ZVG
Ob Geld für eine neue Skaterrampe oder Hilfe bei der Planung eines Poetryslams: Bei «kulturkick» können Jugendliche selber ihre Ideen und Wünsche einbringen. Die neue Basler Förderstelle unterstützt junge Initiativen mit finanziellen Mitteln und Know-how. VON TARA HILL
Jugendkultur zu fördern ist ein zweischneidiges Schwert: Den Jugendlichen selbst fehlt oft das Geld und das Vorwissen, um selber aktiv zu werden. Umgekehrt zielen viele Förderprojekte von etablierten Kulturanbietern und Stiftungen an den Interessen der Jungen vorbei. Hier setzt das Pilotprojekt kulturkick an: Die Förderstelle für Jugendkultur, die Anfang März in Basel ihre Türen öffnet, geht einen neuen Weg. Bei kulturkick können Jugendliche selber bestimmen, welche Projekte gefördert werden. Eine Art zur Förderung junger Kultur, die in der Schweiz bisher erst in einigen wenigen Kantonen praktiziert wird. Eine neue Skaterrampe für den Schulhof? Eine Graffitiwand fürs Jugi? Geld für die Organisation eines Rockkonzerts, eines Poetryslams oder einer Tanzvorführung? All diese Projekte können dank kulturkick ab sofort rasch und unkompliziert in die Tat umgesetzt werden. «Jugendkultur ist schnelllebig und entwickelt sich rasant. Ideen kommen und gehen und richten sich nicht nach den Eingabefristen von Stiftungen», erklärt Esther Unternährer, die selber 26 Jahre jung ist. Die Geschäftsleiterin von kulturkick ist überzeugt, dass es der Jugend nicht an Einfällen mangelt, sondern an Unterstützung dabei, wie ein Projekt konkret geplant und umgesetzt werden kann. Diese Hilfe will kulturkick bieten: «Denn bei der Durchführung eines Projekts in Eigeninitiative lernen die Jugendlichen unglaublich viel. Sie setzen sich mit Planung und Buchhaltung auseinander und lernen, mit Behörden zu verhandeln. Das sind wertvolle Erfahrungen fürs Leben.» Finanziert wird kulturkick gemeinsam von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige in Basel (GGG) und der Jacqueline Spengler Stiftung. 70 000 Franken stehen pro Jahr insgesamt zur direkten Förderung zur Verfügung, die Durchführung des Pilotprojekts ist für drei Jahre gesichert. Dann, so lautet das Ziel, soll die Förderstelle definitiv in Basel verankert werden. Der Standort von kulturkick, das Connect Café im Basler Unternehmen Mitte, funktioniert dabei als Drehscheibe: Hier können Jugendliche am Mittwoch- und Donnerstagnachmittag spontan vorbeigehen, um ihre Einfälle vorzustellen und zu diskutieren, bekommen Infomaterial, Tipps und Tricks. Aber auch finanziell lohnt sich der Besuch der Förderstelle: Beiträge bis 500 Franken können von Unternährer selbst rasch und unkompliziert gesprochen werden. Über die Vergabe von Geldern für aufwendigere Projekte, die mit bis zu 5000 Franken unterstützt werden, wird viermal im Jahr entschieden. Unterstützt wird Unternährer dabei von einer sechsköpfigen Fachgruppe. In diesem Expertengremium sitzen allerdings keine Stiftungsräte oder Kulturmanager, sondern Jugendliche, die selber bereits jugendkulturelle Projekte organisiert haben. Bei der Gesuchseingabe werden bewusst keine inhaltlichen Grenzen gesetzt. Die einzigen Einschränkungen lauten: Die Projekte müssen eiSURPRISE 220/10
Esther Unternährer: «Ideen richten sich nicht nach Eingabefristen.»
nen Bezug zum Raum Basel haben und die Antragsteller und Projektgruppen sollen im Schnitt unter 25 Jahre alt sein. «Wir wollen nicht von vornherein beschränken, was alles möglich ist, sondern abwarten, welche Vorschläge die Jugendlichen einbringen», beschreibt Unternährer das Konzept: «kulturkick soll ein niederschwelliges Angebot sein, wo auch Projekte unterstützt werden, die noch nicht fertig entwickelt sind.» Unternährer weiss, wovon sie spricht: Die 26-jährige Luzernerin war zuvor sieben Jahre lang beim Jugendradio 3FACH engagiert, wo ihr zuletzt die Verantwortung über 30 Mitarbeiter oblag. «Es war eine wahnsinnig reizvolle Aufgabe, weil es sich nicht um ein Pseudo-Jugendradio handelt, sondern tatsächlich alles von den Jugendlichen selbst erarbeitet wurde», schwärmt Unternährer. Diese Erfahrung will sie nun für kulturkick nutzen: «Denn ich wäre früher selber über eine derart unkomplizierte Unterstützung froh gewesen. Umso gespannter bin ich nun, welche Anliegen die Jugendlichen zu mir tragen.» Unternährer rechnet damit, dass kulturkick nach dem Start rasch zum Selbstläufer wird. «Sicher dauert es eine Weile, bis es sich herumgesprochen hat. Ich bin aber überzeugt, dass nach den ersten umgesetzten Ideen schnell viele weitere Jugendliche bei uns anklopfen.» ■
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Kulturtipps
Stadtarzt in der Irrenanstalt – die Widersprüchlichkeiten des Lebens.
Buch Leben in der Schwebe In «Der Glückliche» spürt die Autorin Roswitha Quadflieg den Bruchstellen eines Lebens und einer deutschen Familie nach – und wirft ein Licht auf die dunkle Nazi-Vergangenheit. VON CHRISTOPHER ZIMMER
Was bleibt von einem Leben? Welche Spuren hinterlässt es in den Erinnerungen? Und wie wird es von denen wiedergegeben, die sich erinnern? Was entspricht der Wirklichkeit, was entspringt dem subjektiven Blick, den Verstrickungen in die persönliche und die Zeitgeschichte? Besonders brisant sind diese Fragen, wenn die Vergangenheit eine braune ist, über die man nur allzu gerne den Mantel des Vergessens legt. Mit solch erschwerenden Voraussetzungen war die Roman-, Theaterund Hörspielautorin Roswitha Quadflieg konfrontiert, als sie sich entschloss, von einem gewissen Dr. Leopold Wagner zu erzählen. Dieser war von 1921 bis 1933 Stadtarzt in Speyer, ein aktenkundiger Querulant, der wegen Beleidigung Hitlers verhaftet und aufgrund eines ärztlichen Gutachtens in die Heil- und Pflegeanstalt Löhr eingewiesen wurde – für 21 lange Jahre. Drei Tage nach seiner Entlassung im Sommer 1959 – also 14 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches – stürzte er auf einer Wanderung in den Tiroler Bergen in den Tod. War es Mord? Hat ihn seine Schwester, die ihn begleitete, hinab gestossen? War er ein Opfer? Oder doch ein notorischer Nörgler und Familiendespot? War die Einweisung ein politisches Unrechtsverdikt oder gerechtfertigt? Und wie soll ein Roman die Widersprüchlichkeiten dieses Lebens – und jene allzu vieler Sichtweisen – einfangen? Roswitha Quadflieg hat diese Krux in «Der Glückliche» zum Stilmittel erhoben und einen «Roman zu zehn Stimmen» geschrieben. Dazu ruft sie sieben Familienmitglieder, einen Mitinsassen, einen Arzt und einen Rechtsanwalt in den Zeugenstand – und sie alle beharren auf ihrem, jeweils einzig richtigen Standpunkt. Manche der Zeugen sind fiktiv, nur zwei Verwandte konnten noch befragt werden. Doch selbst wenn alle gelebt hätten, das Bild des Protagonisten wäre nicht weniger schillernd und unscharf geworden. Es ist flüchtig, nicht fassbar, Leben und Roman bleiben in der Schwebe – und spannend bis zum Ende.
«Synecdoche, New York»: Das Theater im Theater im Film.
DVD Spielen, wie das Leben so spielt Charlie Kaufmann hat mit seinen unkonventionellen Drehbüchern bisher Kritiker und Publikum in seinen Bann geschlagen. Mit «Synecdoche, New York» debütiert er nun auch als Regisseur. VON PRIMO MAZZONI
Roswitha Quadflieg: «Der Glückliche. Roman zu zehn Stimmen»,
Wer Charlie Kaufmans Filme mag, der wird nicht enttäuscht sein. Wie schon in «Beeing John Malkovic» oder «Adaption» verschachtelt er Realitäten und Träume, bis weder Protagonisten noch Zuschauer mehr wissen, auf welcher (Meta-)Ebene sie in diesem Film gerade stecken. Auch nicht neu, bricht er sämtliche Drehbuchregeln Hollywoods, ausser der Wichtigsten, nämlich nicht langweilen zu dürfen. Dabei hat er sich nichts Geringeres vorgenommen, als das Leben an sich darzustellen – und die individuelle Freiheit in der Gestaltung desselben zu hinterfragen. Caden Cotard, ein New Yorker Theaterregisseur, grandios gespielt von Philip Seymour Hoffman («Capote»), geht es lausig. Seine Frau, die Malerin Adele Lack (Catherine Keener), haut mit der gemeinsamen Tochter nach Berlin ab und verschwindet dort in der Künstler- und Lesbenszene. Nach Jahren der Sinnkrise gewinnt Cotard aus heiterem Himmel den MacArthur-Grand, der ihm ein unbegrenztes Budget für die Realisierung eines künstlerischen Werks zuspricht. Sogleich mietet er einen leer stehenden Hangar und beginnt, darin eine Theateraufführung zu inszenieren. Das Bühnenbild wird ein exaktes Abbild New Yorks, das selbstverständlich wieder einen Hangar enthält, in dem eine weitere Nachbildung der Stadt entsteht, und so weiter. Schauspieler werden gecastet, um Menschen aus Cadens Leben darzustellen. Schliesslich spielt jemand den Regisseur, der wiederum Schauspieler anheuert, und so weiter, bis der originale (?) Caden in die Rolle einer Ex-Geliebten und jetzigen Putzfrau seiner Ex-Frau schlüpft. Das Stück wird natürlich nie fertiggestellt, und nach rund 40 Jahren Probenarbeit bekommt Caden die endgültige Regieanweisung über Kopfhörer eingeflüstert. Ein himmlisch-höllischer Film, der beunruhigt, aber dabei immer fröhlich bleibt.
Stroemfeld Verlag 2009, CHF 26.80. www.stroemfeld.de
«Synecdoche, New York», Deutsch und Englisch mit Untertiteln. Mit Extras, u.a. einem Gespräch mit Charlie Kaufman. Als DVD und Blu-ray-Disc erhältlich. www.sonyclassics.com/synecdocheny
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BILD: ZVG/TRISTAN BASSO
Läuft da die Zielgruppe? Chris Wicky kümmert das wenig.
Rock Der Amateur Balladen, Folksongs und Rockstücke – Favez-Sänger Chris Wicky präsentiert sich mit seinem Soloprojekt The Sad Riders in Hochform. Ein Profi will er aber ums verrecken nicht sein. VON RETO ASCHWANDEN
Chris Wicky lacht ins Telefon, dass der Hörer wackelt. Die Frage nach der Zielgruppe für sein neues Soloalbum erheitert den Westschweizer hörbar. Dann meint er: «Ich habe keine Ahnung, wer es kaufen wird. Zunächst einmal ist es genau die Platte, die ich selber hören möchte. Aber vielleicht bin ich ja der Einzige.» Solche Sachen sagen Sänger gern, denn das klingt nach Authentizität und echtem Künstler. Chris Wicky nimmt man es aber ab, denn im Gespräch legt er freimütig sein Selbstverständnis offen. Und das dreht sich darum, dass Wicky beschlossen hat, kein Profimusiker zu sein. Eine erstaunliche Aussage, gilt doch Wickys Stammband Favez nach neun Alben und Konzerten in ganz Europa als eine der professionellsten Rockbands der Schweiz. Kein Profi zu sein, bedeutet für Wicky, dass er bei einem Plattenvertrieb arbeitet und statt dauernd im Tourbus lieber bei der Freundin übernachtet. «Heute habe ich es mir so eingerichtet, wie ich es mir vor zehn Jahren erträumt habe: Ich verdiene einen anständigen Lohn und kann Platten machen, die ich liebe.» Das neue Album seines Soloprojekts The Sad Riders bildet Wickys breitgefächerten Geschmack ab. Dunkle Folksongs wechseln sich ab mit aufgeräumten Countrynummern, Pianoballaden reihen sich an Rocksongs. Bei der Single «Victoria» ist im Hintergrund die Luzerner Folksängerin Heidi Happy zu hören. Solche Gastauftritte dienen oft dem Marketing, Wicky aber holte die Frau aus einem anderen Grund ans Mikro: «Sie ist meine Freundin.» Da lacht er wieder. Angst vor ablehnenden Reaktionen der alten Fans hat Wicky nicht: «Wenn ein Musiker beleidigt ist, weil seine Platte jemandem nicht gefällt, dann will er wahrscheinlich eine Zielgruppe bedienen. Er ist ein Profi, der seinen Job machen will und frustriert reagiert, wenn es nicht klappt.» Chris Wicky kann das nicht passieren, denn er ist ein Amateur im Wortsinn – einer, der von Herzen liebt, was er tut. Der Mann hat wirklich gut lachen.
Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
01
VXL gestaltung und werbung ag, Binningen
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Scherrer und Partner GmbH, Basel
03
TYDAC AG, Bern
04
KIBAG Strassen- und Tiefbau
05
OTTO’S AG, Sursee
06
Klinik Sonnenhalde AG, Riehen
07
Canoo Engineering AG, Basel
08
Lehner + Tomaselli AG, Zunzgen
09
fast4meter, storytelling, Bern
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Brother (Schweiz) AG, Baden
11
Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf
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IBZ Industrie AG, Adliswil
13
Zeix AG, Zürich
14
Zürcher Kantonalbank, Zürich
15
Axpo Holding AG, Zürich
16
Experfina AG, Basel
17
AnyWeb AG, Zürich
18
muttutgut.ch, Lenzburg
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Mobilesalad AG, Bern
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Proitera GmbH, Basel
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Coop Genossenschaft, Basel
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Alfacel AG, Cham
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Kaiser Software GmbH, Bern
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chefs on fire GmbH, Basel
25
Statistik Georg Ferber GmbH, Riehen
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag! Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
The Sad Riders «In The End We Always Win» (Twogentlemen/Irascible) Live: 12. März, 20 Uhr, Bad Bonn, Duedingen/FR; 13. März, 20 Uhr, Altes Schlachthaus, Herzogenbuchsee; 20. März, 20 Uhr, Kiff, Aarau; 23. März, 21.30 Uhr, Rote Fabrik, Zürich, 27. März, 21 Uhr, Palace, St. Gallen. 220/10 SURPRISE 220/10
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BILD: ZVG, STIAN ANDERSEN BILD: ZVG
Ausgehtipps
Zürich/Luzern Traurige Tänze Der Name lässt eine Hardcore-Truppe erwarten, doch das ist ganz falsch. Minor Majority fabrizieren feinsinnige Melodien, getragen von meist akustischen Gitarren und der rührenden Stimme von Bandleader Pal Angelskar. Auf mittlerweile fünf Alben hat er mit seinen Mitmusikern einen Stil perfektioniert, der mal melancholisch, meist entspannt und immer eingängig daher kommt. Stets scheint zwischen den Akkorden ein Lächeln heraus zu scheinen, denn niemand sonst lädt so freundlich zum traurigen Tänzchen. (ash) 16. März, 21.30, Rote Fabrik, Zürich; 17. März,
Der Film «Lola» des philippinischen Kultregisseurs
Das Lächeln verstecken Minor Majority in den Songs.
20.30, Schüür, Luzern.
BILD: ZVG
Brillante Mendoza bewirbt sich um einen Preis.
Fribourg Kino, frei von Hollywood Filme aus Asien, Afrika oder Lateinamerika sind in unseren Kinos Mangelware. In Fribourg kommen Liebhaber von Filmen aus diesen Regionen auf ihre Rechnung: Eine Woche lang zeigt das Filmfestival hochkarätige und noch nie gesehene Streifen noch und noch, die besten werden prämiert. (juk) 24. Internationales Filmfestival Freiburg, 13. bis 20. März, verschiedene Spielorte. Programm: www.fiff.ch
Nominiert für die Goldene Kuh: «Frau Rolle» von Johannes Kalden.
Gstaad Goldene Kuh Bildende Künstler machen ja bekanntlich alles Mögliche: Sie malen Bilder oder machen Skulpturen, wickeln Bäume ein oder sprengen Gegenstände in die Luft. Was herauskommt, wenn dieser Künstlerschlag eine Kamera in die Hand nimmt und einen Film dreht, kann man am Kurzfilmfestival «GstaadFilm» herausfinden. Bereits zum vierten Mal findet es statt, prämiert für die «Goldene Kuh von Gstaad» sind diesmal ein australischer, ein iranischer, ein japanischer und ein deutscher Künstler sowie eine israelische Künstlerin – sie alle werden am Festivalwochenende ihre Werke persönlich präsentieren. (mek) «GstaatFilm», 12. und 13. März, Cine Theater, Gstaad. www.gstaadfilm.ch
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— www.theater-basel.ch, Tel. +41/(0)61-295 11 33 — 26
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BILD: STIFTUNG SAMMLUNG HISTORISCHER WERTPAPIERE OLTEN
BILD: ZVG
Orient meets Okzident – auch das ist Iran.
Zürich Anderes Iran Was denken Sie beim Wort «Iran»? Eben: Kopftuch, antiwestliche Rhetorik, Atombombe. Dass das Land mehr zu bieten hat als diese Klischees, beweisen der Nahost-Kenner und Journalist Werner van Gent und die Iran-Expertin Antonia Bertschinger in ihrem neuen Buch. Mit politischen Analysen und historischen Hintergrundskizzen zeichnen sie ein differenziertes Bild des Landes. Die Autoren diskutieren mit NZZ-Korrespondent Victor Kocher über ihr Werk. (juk) «Iran ist anders» – Lesung mit Werner van Gent, Antonia Bertschinger und Victor Kocher, Sonntag, 14. März, 17 Uhr (Türöffnung 16.30), Kanzlei, Zürich.
Titelblatt der Satirezeitschrift «La Lune», 16. September 1866.
Olten Börsengeschichten Wir schrieben das Jahr 1602, als in Holland die «Vereinigte Ostindische Compagnie» gegründet wurde – und mit ihr die erste moderne Aktiengesellschaft der Welt. Seither ist die Aktie zu einem Finanzierungsinstrument geworden, das aus der modernen Gesellschaft kaum mehr wegzudenken ist. In der Ausstellung «Hausse & Baisse» erwartet die Besucher eine Zeitreise durch die vergangenen 400 Jahre Aktienhandel: Anhand der rund 90 Wertpapiere von Unternehmen, die zu ihrer Zeit Geschichte schrieben, wird schnell klar, dass es keinen Boom ohne nachfolgenden Krach gibt – und keinen Krach, dem nicht ein Boom vorangegangen wäre. (mek) «Hausse & Baisse – Börsengeschichte(n) auf Wertpapieren», noch bis Ende April zu sehen im Museum «Wertpapierwelt» in Olten. www.wertpapierwelt.ch
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MUSIKTHEATER VON JULIA GLOOR GEMEINNÜTZIGE GESELLSCHAFT ZÜRICH, ERNST GÖHNER STIF TUNG, MIGROS KULTURPROZENT, STADT UND KANTON ZUG UND LUZERN, STIFTUNG BLOCH UND STAMMER-MAYER, HOCHSCHULE LUZERN DESIGN&KUNST
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Verkäuferporträt «Wirklich wird, was jeder Einzelne denkt» BILD: ZVG
Wenn Roland Weidl (51) in Basel Surprise verkauft, kann er stundenlang an einer Stelle stehen. Das hat der ausgebildete Elektriker bei einem Meister im indischen Urwald gelernt. AUFGEZEICHNET VON ELISABETH WIEDERKEHR
«Wir alle leben im Grunde immer einen Traum. Heute merken das viele Menschen. Es kommt mir oft so vor, als ob gerade die Schweizer besonders mystisch drauf seien. Die entsprechende Literatur begegnet einem hier auf Schritt und Tritt. Ich selbst bin Asket. Ich brauche nichts wirklich – keinen Alkohol, keine Drogen und auch nicht unbedingt eine Frau. Ich kann gut alleine sein. Das habe ich in Indien gelernt. Drei Jahre war ich dort im Urwald. Habe zusammen mit einem Zauberer grösstenteils von den Früchten des Waldes gelebt und meditieren gelernt. Das kommt mir heute zugute. In der grössten Kälte kann ich stundenlang an einer Stelle stehen – innerlich singe ich dann meine Lieder und Mantren. So vergeht die Zeit schnell, obwohl meine Arbeitstage lang sind. Allein von meinem Wohnort zu meinem Arbeitsort beim Coop Europe in Basel habe ich eine gute Stunde. Derzeit bin ich auch am Bahnhof SBB anzutreffen. Dort hole ich oft die Hefte ab oder verpflege mich bei einem Imbissstand. Surprise verkaufe ich jeweils von neun Uhr morgens bis acht Uhr abends. Das ist notwendig, denn ich lebe davon. Zum Sozialamt will ich nicht rennen, da würde sich meine Mutter im Grab umdrehen. Ich habe immer mein eigenes Geld verdient und das soll auch in Zukunft so bleiben. Obwohl ich seit meinem Unfall vor zehn Jahren erschwerte Bedingungen habe. Damals fiel ich vom Dachstuhl eines Hauses bis ins Kellergeschoss. Dass ich überhaupt überlebt habe, grenzt an ein Wunder. Allerdings kann ich seither mein linkes Handgelenk kaum noch bewegen. Einfache handwerkliche Tätigkeiten schaffe ich trotzdem noch ohne grosse Mühe. Von Beruf bin ich Elektriker, habe aber auf so vielen Baustellen gearbeitet, dass ich zum Allrounder geworden bin. Wenn ich mein Werkzeug dann wieder zusammen habe, das mir während meines Indienaufenthalts abhanden gekommen ist, werde ich versuchen, verschiedene Hausmeistertätigkeiten zu übernehmen. Bis dahin wird es aber wahrscheinlich noch ein Weilchen dauern, denn mit meinem derzeitigen Einkommen kann ich keine grossen Sprünge machen. Ist am Ende des Monats noch ein bisschen Geld übrig, kaufe ich mir einen Hammer oder einen Schraubenzieher. Ich hoffe, dass ich so irgendwann wieder alles beisammen habe. Mein Traum ist es, irgendwann wieder ein eigenes Haus zu besitzen. Nachdem meine Ehe in die Brüche gegangen ist, habe ich nämlich alles billig verkauft und bin mit meinem Hund zu Fuss von Frankfurt am Main Richtung Schwarzwald gezogen. Nun lebe ich schon viele Jahre hier – abgesehen von meinem Indienaufenthalt. Früher hatte ich auch schon einmal Surprise verkauft, nun tu ich es seit vergangenem November wieder und halte das für eine sehr sinnvolle Sache. Allen Menschen, die mir ein Heft abnehmen, möchte ich hier ganz herzlich danken. Das ist wirklich eine riesige Hilfe!
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Wenn ich spät abends nach Hause komme, lasse ich mir erst mal ein Bad einlaufen, checke währenddessen meine E-Mails, mache dann meinen Haushalt und wasche meine Klamotten. Da haben sich viele kleine Rituale ergeben. Zu jeder Tätigkeit gehört für mich ein Lied. Ab und zu singe ich diese Lieder auch laut. Dann schau ich mir oft einen Film an und gehe zwischen zwei und drei Uhr schlafen. Gegen sechs stehe ich aber schon wieder auf. Schlaf brauche ich tatsächlich sehr wenig. Höchstens mal am Sonntag – da bleibe ich gerne länger liegen. Entscheidend sind für mich die Energien aus dem Kosmos und der Erde. Die spüre ich deutlich. Deshalb habe ich auch so viel Kraft. Das indisch-taoistische Denken ist für mich längst keine Theorie mehr, sondern wirkliche Lebenspraxis. Bei vielen Menschen um mich herum stösst das natürlich auf Unverständnis – das macht aber nichts. Wirklich wird, was jeder Einzelne denkt.» ■ SURPRISE 220/10
Eine Chance für alle! Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte ber. Das verdient Respekt und Unterstützung. Regelmässige Verkaufende werden von Surprise-Sozialarbeiterinnen betreut, individuell begleitet und gezielt gefördert. Dazu gehört auch, dass sie von Surprise nach bestandener Probezeit einen ordentlichen Arbeitsvertrag erhalten. Mit der festen Anstellung übernehmen die Surprise-Verkaufenden mehr Verantwortung; eine wesentliche Voraussetzung dafür, wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarkt zu werden.
Starverkäufer BILD: ZVG
Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten als andere. Menschen, die sich aber wieder aufgerappelt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wieder einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassenverkäuferinnen und -verkäufer helfen sich sel-
Als Götti oder Gotte ermöglichen Sie einer Strassenverkäuferin oder einem -verkäufer eine betreute Anstellung bei Surprise und damit die Chance zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.
Andreas Ammann Bern
Marika Jonuzi Basel
Fatima Keranovic Baselland
René Senn Zürich
Annelise Fenner-Siegrist aus Aarau nominiert Markus Thaler als Starverkäufer: «Der Bahnhof Aarau ist eine riesige Baustelle – täglich neue Umleitungen, provisorische Durchgänge, Abschrankungen. Einzig Markus Thaler hat seinen festen Platz. Geduldig und unaufdringlich steht er vor dem Aufgang zu Perron 2. Ein Ruhepol und Lichtblick inmitten von Staub und Lärm. Eine Vertrautheit, die sich dem allgemeinen Sog von Vorbeistressenden entzieht. Würdevoll, bescheiden.»
Ausserdem im Förderprogramm SurPlus: Peter Gamma, Basel Peter Hässig, Basel Kumar Shantirakumar, Bern Wolfgang Kreibich, Basel Kurt Brügger, Baselland Anja Uehlinger, Baden
Jela Veraguth, Zürich Bob Ekoevi Koulekpato, Basel Jovanka Rogger, Zürich Tatjana Georgievska, Basel Marlise Haas, Basel
Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welchen Verkäufer Sie an dieser Stelle sehen möchten: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41+61 564 90 99, redaktion@strassenmagazin.ch
Ja, ich werde Götti/Gotte von: 1 Jahr: 8000 Franken
1/2 Jahr: 4000 Franken
1/4 Jahr: 2000 Franken
Vorname, Name
Telefon
Strasse
PLZ, Ort
Datum, Unterschrift
1 Monat: 700 Franken
220/10 Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 220/10
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise fördert seit 1997 die Selbsthilfe von Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit begleiteten Angeboten in den Bereichen Arbeit, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit und berufliche Eingliederung, das Verantwortungsbewusstsein, die Gesundheit und eine positive Lebenseinstellung. Surprise gibt es in der deutschsprachigen Schweiz. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit.
Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)
Strassensport Der zweite Schwerpunkt von Surprise ist die Integration von sozial benachteiligten Menschen in der Schweiz über den Sport. Mit einer eigenen Strassenfussball-Liga, regelmässigem Trainings- und Turnierbetrieb, der Schweizermeisterschaft sowie der Teilnahme des offiziellen Schweizer Nationalteams am jährlichen «Homeless Worldcup» vernetzt Surprise soziale Institutionen mit Sportangeboten in der ganzen Schweiz. Organisation und Internationale Vernetzung Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden von der Strassenmagazin Surprise GmbH geführt, die von dem gemeinnützigen Verein Strassenmagazin Surprise kontrolliert wird. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerks der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband gegen 100 Strassenzeitungen in über 40 Ländern an.
Gönner-Abo für CHF 260.–
Geschenkabonnement für: Vorname, Name
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PLZ, Ort
Rechnungsadresse: Vorname, Name
Strasse
PLZ, Ort
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Datum, Unterschrift 220/10 Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch
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Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende unabhängige Strassenmagazin Surprise heraus. Neben einer professionellen Redaktion verfügt das Strassenmagazin über ein breites Netz von freien Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen. Der überwiegende Teil der Auflage wird von Menschen ohne oder mit beschränktem Zugang zum regulären Arbeitsmarkt auf Strassen, Plätzen und in Bahnhöfen angeboten. Die regelmässige Arbeit gibt ihnen eine Tagesstruktur, neues Selbstvertrauen und einen bescheidenden aber eigenständig erwirtschafteten Verdienst. Für viele Surprise-Verkaufende ist das Strassenmagazin der erste Schritt zurück in ein eigenständiges Leben.
Herausgeber Strassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel, www.strassenmagazin.ch Geschäftsführung T +41 61 564 90 63 Fred Lauener, Agnes Weidkuhn (Assistenz GF) Öffnungszeiten Sekretariat Mo–Do 9–12 Uhr, T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@strassenmagazin.ch Redaktion T +41 61 564 90 70 Fred Lauener (Leitung), Reto Aschwanden, Julia Konstantinidis, Mena Kost, Thomas Oehler (Sekretariat) redaktion@strassenmagazin.ch Freie Mitarbeit Amir Ali, Andrea Ganz, Tara Hill, Delia Lenoir, Primo Mazzoni, Irene Meier, Stefan Michel, Isabella Seemann, Udo Theiss, Priska Wenger, Elisabeth Wiederkehr, Christopher Zimmer Korrektorat Alexander Jungo Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 29 400, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 77 Therese Kramarz, Mobile +41 76 325 10 60 anzeigen@strassenmagazin.ch
Marketing T +41 61 564 90 61 Theres Burgdorfer Vertrieb T +41 61 564 90 81 Smadah Lévy (Leitung) Vertrieb Zürich T +41 44 242 72 11 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, Mobile +41 79 636 46 12 r.bommer@strassenmagazin.ch Vertrieb Bern T +41 31 332 53 93 Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, Mobile +41 79 389 78 02 a.maurer@strassenmagazin.ch Betreuung und Förderung T +41 61 564 90 51 Rita Erni Chor/Kultur T +41 61 564 90 40 Paloma Selma Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Biert Trägerverein Strassenmagazin Surprise Präsident: Carlo Knöpfel
Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. SURPRISE 220/10
Schöne Shirts! Und erst noch limitiert! Olivier Mossets (64) letzte Ausstellung nannte sich «Ten Monochromes» und zeigte – wie der Name verspricht – zehn unifarbene Werke des Schweizer Künstlers. Auf 3 à 3 Meter. Die hat Mosset zum Anlass genommen, um für Surprise zehn T-Shirts in denselben Farben zu entwerfen. Mit Surprise-Aufschrift. Und vom Künstler signiert.
Surprise-T-Shirt Preis CHF 40.–
Fuchsia Mint Orange Raspberry
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Zu bestellen auf: www.strassenmagazin.ch/website/streetshop/produkte.html
Ist gut. Kaufen! Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit – gute Sache. Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute. Alle Preise exkl. Versandkosten.
Surprise Zeitungs-Taschen (34 x 36 cm); CHF 37.50 neon-orange schwarz
Surprise City-Taschen (24,5 x 35,5 cm); CHF 40.– rot blau schwarz
Vorname, Name
Telefon
Strasse
PLZ, Ort
Datum, Unterschrift
Surprise Rucksäcke (32 x 40 cm); CHF 89.– schwarz rot
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*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch SURPRISE 220/10
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Kaufen Sie ein Stadion Immer mehr sozial Benachteiligte finden Freude am Sport: 15 Teams streiten ab März dieses Jahres um den Schweizer Meistertitel der Obdachlosen Fussballer, eine Rekordzahl. Um die Begeisterung mit der passenden Infrastruktur unterstützen zu können, hat Surprise eine eigene Street-SoccerArena gekauft. Helfen Sie mit. Werden Sie Besitzer einer turniertauglichen Anlage von 22 x 16 m – mit Toren und Seitenbanden – und sponsern Sie einen oder gleich mehrere der 352 Quadratmeter à 100 Franken. Die Gönner werden auf einer Bande mit Namen verdankt.
Ja, ich will Stadion-Besitzer werden (Die Feldvergabe erfolgt nach Posteingang. Sollte ein gewünschtes Feld bereits verkauft sein, wird das nächste freie Feld zugeteilt.)
Ich kaufe folgende Felder à CHF 100 ( 1
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Namenseintrag Gönnerbande
Ja
Nein
Anzahl Felder
Total Kaufpreis 220/10
Talon bitte heraustrennen und schicken an: Strassenmagazin Surprise, Strassensport, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch