Surprise Strassenmagazin 222/10

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Wir schwärmen Leichter leben in der Masse

Final Fantasy: Endstation Gamesucht

Wohnungsbau – droht dem Rheinknie das Seefeld?

Nr. 222 | 1. bis 22. April 2010 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


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*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch

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BILD: ISTOCKPHOTO

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10 Mobilität Schwarmwesen Mensch Während den Stosszeiten herrscht auf Strassen und Bahnhöfen ein heilloses Durcheinander. Drängelnd und rempelnd sucht sich jeder seinen Weg. So scheint es zumindest. Tatsächlich aber verhalten sich Menschen in der Masse ganz ähnlich wie Tiere in Schwärmen. Wenn wir lernen, unser Ego zu zügeln, könnten Staus der Vergangenheit angehören. Denn das Kollektiv ist intelligenter als der Einzelne.

13 Armut Jung, Mutter, sucht … Ausbildung Zuerst die Ausbildung, dann die Familienplanung – das ist in unseren Breitengraden die ideale Reihenfolge für Frauen mit Kinderwunsch. Kommt diese Abfolge durcheinander, stehen die jungen Mütter mit Kind, ohne Berufsausbildung, und im schlimmsten Fall alleine da. Aus dieser existenzbedrohenden Situation wieder herauszukommen, braucht viel Kraft.

BILD: DOMINIK PLÜSS

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Inhalt Editorial Zuwachs Leserbriefe Wünsche von ganzem Herzen Basteln für eine bessere Welt Frühling für Notzeiten Aufgelesen Armutsrisiko Praktikum Zugerichtet Romeo auf Abwegen Chor Start in die Konzertsaison Erwin … und die Altersvorsorge Porträt Sarahs Welt Sucht 72 Stunden vor der Kiste Le mot noir Sansibar calling Stadtraumintervention Erfundene Unruhen Kulturtipps Stahlbad in der Kirche Ausgehtipps Spielen im Schloss Verkäuferporträt «Im Moment bin ich zu 100 Prozent glücklich» Projekt Surplus Chance für alle! Starverkäufer In eigener Sache Impressum INSP

BILD: CLAUDE GIGER

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20 Wohnen Achtung Hochpreisfalle Zürich ist das Schreckgespenst aller Wohnungs- und Städteplaner: Zu wenige Wohnungen und die, die es gibt, sind für Normalverdiener und Familien schier unbezahlbar. Beim ewigen Rivalen Basel ist die Lage noch entspannter. Doch der Bau neuer Quartierteile birgt die Gefahr, in die Hochpreisfalle zu tappen. Vielleicht kann Basel aus den Fehlern Zürichs lernen.

Titelbild: iStockphoto SURPRISE 222/10

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BILD: DOMINIK PLÜSS

Leserbriefe «Eine Freundschaft soll leiden, weil ein Kind kein Geld hat für ein Geburtstagsgeschenk?»

FRED LAUENER, GESCHÄFTSFÜHRER

Editorial Herausragend Der Presse geht es besser als auch schon. Zumindest was den Publikumszuspruch betrifft. Aus den kürzlich publizierten neuesten Zahlen der WEMF AG für Werbemedienforschung über die Reichweiten der Schweizer Zeitungen und Zeitschriften (MACH Basic 2010-1) geht hervor, dass die meisten Titel ihre Leserschaft stabil halten konnten. Nicht so unser Heft: Das Strassenmagazin Surprise gehört wiederum zu den aus der Masse herausragenden Gewinnern: Gegenüber dem Vorjahr konnten wir um sagenhafte 23 Prozent zulegen und erreichen mittlerweile mit jeder Ausgabe durchschnittlich 144 000 Leserinnen und Leser. Dafür gebührt in erster Linie unseren Verkaufenden auf der Strasse Dank, die das Heft Tag für Tag und bei jedem Wetter unter die Leute bringen. Und natürlich Ihnen, der wachsenden Schar treuer Leserinnen und Leser. Uns ist das gute Resultat Ansporn, Sie auch in Zukunft mit gutem Lesestoff zu entschädigen. Nicht nur Surprise insgesamt findet mehr Beachtung. Immer häufiger kommt es auch vor, dass einzelne Geschichten eine regelrechte Flut von Reaktionen auslösen. In jüngerer Zeit etwa die Betrachtungen von Schriftsteller Pedro Lenz über die Rauchverbote (Surprise 216), die Geschichte von Maria C., einer von Armut betroffenen jungen Frau (Surprise 219) oder, in der vorletzten Ausgabe (Surprise 220), der Bericht über den ehemaligen Verdingbub und heutigen Surprise-Verkäufer Bruno Kilchör. Viele Leserinnen und Leser reagierten auf diese Geschichten mit Briefen, Hilfsangeboten und sogar Geschenken an die im Heft porträtierten Personen. In den meisten Fällen handelt es sich um aufmunternde Zeilen und herzlich gemeinte Zeichen der Solidariät. Es kommt aber leider auch vor, dass im Strassenmagazin porträtierte Personen mit undurchsichtigen Angeboten bedrängt oder in Briefen beschimpft werden. Aus diesem Grund behält sich Surprise vor, an Verkaufende gerichtete Post vor der Weiterleitung zu öffnen. Ein entsprechender Hinweis findet sich im Impressum auf Seite 30. Ich wünsche Ihnen gute Lektüre und ein frohes Osterfest.

Nr. 220: «Verdingt – Die Geschichte eines verpfuschten Lebens» Nicht aus Mitleid Ich bin begeisterte Surprise-Leserin und gönne mir dieses Magazin in regelmässigen Abständen. Das Thema «Verdingkind» ist mir als Bauernkind (aber eine Generation später) nicht unbekannt und hat mich immer interessiert und begleitet. Ich wünsche Herrn K. Gedanken an die guten Momente in seinem Leben und, dass er loslassen kann – all diese Dinge, die er an der Vergangenheit nicht mehr ändern kann. Ich wünsche ihm Menschen, die sich ihm nicht nur aus Mitleid zuwenden, sondern die ihn herausfordern, sich dem Rest seines Lebens zu stellen und ihn zu geniessen. Dies wünsche ich ihm von ganzem Herzen. Charlotte Gaugler, Lampenberg Nicht zum Schämen Der erste Teil des Kommentars zu den Kinderrechten hat mich sehr getroffen: Das Leid der Verdingkinder wird den Sorgen materiell benachteiligter Kinder in der Schweiz gleichgestellt. Das ist ein Affront den Verdingkindern gegenüber. Was diesen fehlte war Liebe: Jemand, der wirklich zu ihnen stand, sie betreute, für ihr Wohl sorgte. Was Kinder in einem reichen Land erleben, wenn die Eltern arm sind, ist auch kein Zuckerschlecken, aber sicher nicht mit schlimmster Vernachlässigung gleichzusetzen. Eine Freundschaft soll leiden, weil ein Kind nicht viel Geld hat für ein Geschenk? Mit etwas Fantasie kann ohne viel Geld etwa Schönes hergestellt werden. Meine Tochter hat schon ein selbstgemachtes Armband oder eine selbstgezogene Pflanze an einem Geburtstagsfest verschenkt. Und sie trägt

oft günstige oder Second-Hand-Schuhe. Das Entscheidende bei dieser Sache: Ich schäme mich nicht dafür. Die Wertvorstellungen von Betroffenen – aber auch die von der Öffentlichkeit getragenen Werte – haben einen starken Einfluss auf die Erlebnisse unserer Kinder. Regula Denzler, per E-Mail Tolles Heft Interessante und anregende Artikel lesen und dabei noch eine soziale Institution unterstützen – das ist echter Lesegenuss. Sandra Born, per E-Mail Tolles Projekt Habe soeben während dem Mittagessen in Surprise gelesen und möchte Euch einfach mal ein riesen Kompliment machen: Für das tolle Heft, das Ihr regelmässig macht. Und für das tolle Projekt. Ich kaufe das Magazin immer – und werde dies auch weiterhin tun. Bruno Blum, per E-Mail Klar, präzis, leserlich Was schon lange gesagt werden muss: Die Artikel im Strassenmagazin über die sozialen Entwicklungen in der Schweiz (Nr. 219: «Patient Pensionskasse: Radikalkur zur Rentenrettung», Nr. 215: «Politik der Axt: Wie der Sozialstaat zerstört wird») gehören zum Besten in dieser Sparte. Klar, präzis und leserlich. Da könnten sich einige Kolleginnen und Kollegen aus der elitären Schweizer Presse eine Scheibe abschneiden. Die Artikel gehören in jede Dokumentation politischer Menschen. Bravo! Isabelle Wanner, Baden

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung!

Herzlich,

Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen.

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ILLUSTRATION: WOMM

3. zehn gleich grosse Blätter Löschpapier

Sie brauchen:

1. zwei gleich große Holzplatten

2. vier lange Schrauben mit passenden

4. sechs Wellkartonquadrate

Flügelschrauben

Bohren Sie in jede Ecke der beiden Holzbretter ein Loch, durch das Sie die Schrauben stecken. Schneiden Sie von allen Kartons und Löschpapieren die Ecken im Abstand von drei Zentimetern ab. Stapeln Sie die Kartons und Löschpapiere zwischen den beiden Holzbrettern in dieser Reihenfolge: Karton, zwei Löschpapiere, Karton, zwei Löschpapiere usw.

Legen Sie die gepflückten Blumen und Blätter jeweils zwischen zwei Löschpapiere. Um die Pflanzen gut zu pressen, ziehen Sie die Schrauben gut an.

Basteln für eine bessere Welt Endlich ist er da! Wie haben wir uns nach der farbigen Pracht spriessender Blumen gesehnt, wie haben wir die zarten Grüntöne des Frühlings im Winter-Grau vermisst. Das passiert uns nächstes Jahr nicht mehr: Mit der Blumenpresse wappnen wir uns nämlich rechtzeitig gegen den Winterblues. Fällt uns dann die Nebeldecke auf den Kopf, packen wir die zarten Pflänzchen aus und halten uns daran fest, bis die Frühlingsgefühle wieder keimen. SURPRISE 222/10

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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Nachtleben München. Jalal, 27, lebt im Dunkeln. Die Sonne kann für ihn den Tod bedeuten: Er leidet unter Xeroderma Pigmentosum, der sogenannten Mondscheinkrankheit. Jalal fehlt ein Enzym, das Schäden, die durch das UVLicht entstanden sind, reparieren kann – und hat ein 2000-mal höheres Hautkrebs-Risiko als Gesunde. Sein Gesicht ist übersät von braunen Flecken und seine Lippen bestehen hauptsächlich aus Narben. Seine Wohnung verlassen kann er nur in UV-dichter Kleidung und mit Helm. Müsste Jalal seinem Leben eine Farbe geben, wäre es Gelb. Das erinnert ihn an Lebendigkeit.

Ernährungsführerschein Stuttgart. Das Projekt «Ernährungsführerschein» des deutschen Landfrauenbundes soll Drittklässlern in einer mehrwöchigen Schulung Grundlegendes über Hygiene in der Küche und Ernährung beibringen. Denn ungesunde und zu fette Ernährung sowie Bewegungsmangel machen Fettleibigkeit zu einem wachsenden Problem – ganz besonders unter Jungendlichen: Ist falsche Ernährung einmal angelernt, kriegt man sie kaum mehr los. Für die ersten 75 Schulkinder, die den Kurs absolviert haben, besteht aber Hoffnung: Sie haben die Abschlussprüfung alle bestanden.

Generation Praktikum Schleswig-Holstein. Immer mehr junge Menschen sind in Deutschland von Armut betroffen: Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsordnung lebten 2008 ein Viertel der 19- bis 25-Jährigen unterhalb der Armutsschwelle. Unter anderem deshalb, weil viele nach der Ausbildung den Weg ins Berufsleben über schlecht oder gar nicht bezahlte Praktika finden müssen. Als arm gilt nach EU-Definition, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens seines Landes zur Verfügung hat.

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Zugerichtet Romeo und Julia vom Balkan «Es war Liebe – eine verbotene Liebe», beschreibt Nico* theatralisch seine Beziehung zu Aylin. Ihre beiden Familien seien gegen diese Verbindung gewesen. Auch Nicos Ehefrau, die mit ihren zwei Kindern in Mazedonien lebt, dürfte sie kaum goutiert haben. Das Liebespaar traf sich heimlich, im Wald, in Hotels, auf Parkplätzen. «Und jetzt soll alles, was wir aus Liebe gemacht haben, eine Vergewaltigung sein?», fragt der 28-Jährige das Gericht. Er redet leise und hastig, als hätte er Angst, dass man ihn unterbricht, bevor alles erklärt ist. «Warum sollte Aylin 18 Monate mit mir zusammen geblieben sein, wenn ich so ein Arschloch bin?» – «Diese Frage muss man sich natürlich stellen», antwortet der Vorsitzende Richter trocken. Der Fall, den das Obergericht neu zu beurteilen hat, ist durchaus nicht eindeutig. Die erste Instanz hatte den Mazedonier wegen mehrfacher Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Der Staatsanwalt hatte sieben Jahre gefordert, der Verteidiger einen Freispruch. Beide waren in Berufung gegangen. Wie die Liebe abhanden kam, wird vor Gericht nicht erzählt, aber nachdem Aylin während der Sommerferien in Mazedonien Nicos Ehefrau zu Gesicht bekam, ging sie bei ihrer Rückkehr in die Schweiz zur Polizei. Nico hatte Aylin wiederholt grün und blau geprügelt, mit dem Messer gestochen und sie mit dem heissen Bügeleisen gebrandmarkt. Was beweisbar ist, die Narben der Messerstiche und die Brandmale, gibt er zu, aber schuldig fühlt er sich nicht. «Wir haben beim

Sex viel Seich miteinander gemacht», sagt Nico. Der Richter gesteht, dass er sich solcherlei Sexspiele nur schwer vorstellen könne und geht zum nächsten Anklagepunkt: Freiheitsberaubung und Nötigung. Nico hatte Aylin im Auto mit Gurten festgezurrt und auf dem Rücksitz mit einer Ex-Freundin «den Geschlechtsverkehr vollzogen». Der junge Mann klärt das Gericht auf: «Sorry, aber die Leute machen heutzutage Gruppensex. Wir haben halt auch vieles ausprobiert.» Nicos Anwalt erzählt dem Gericht sodann das Dramolett von Romeo und Julia vom Balkan. «Zwei junge Menschen wollten aus den Konventionen ihrer Kultur ausbrechen», sagt er, «so wie der brave Familienvater in Sadomaso-Clubs ausbricht. Er möchte Sex nicht wie ihn die Bünzlis machen.» Offensichtlich gibt es nichts, was der Mensch nicht erregend finden könnte. Aber nüchtern betrachtet hätten sie nicht zusammengepasst, räumt der Verteidiger ein. Nur der Widerstand beider Familien habe sie zusammengehalten. Doch in jenem Sommer in Mazedonien habe Aylin die Aussichtslosigkeit ihres Ausbruchs erkannt. «Um ihre Familienehre zu retten, verklagte sie Nico», schliesst der Verteidiger salbungsvoll. Dieser These will das Obergericht nicht folgen und verurteilt Nico zu sechs Jahren Gefängnisstrafe und zu einer Genugtuungszahlung von 25 000 Franken. Ein gegenseitiges Einvernehmen, wie dies die Verteidigung darstelle, lasse sich mit den Aussagen der Geschädigten und des Angeklagten nicht vereinbaren. * persönliche Angaben geändert ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 222/10


BILD: DOMINIK PLÜSS

Chor Singen macht stark

Surprise Chor: demnächst wieder auf der Bühne.

Seit 2009 können Menschen in sozialer Not unter professioneller Leitung in einem Chor singen. Selbstständiges Üben, regelmässige Proben an Wochenenden und in Lagerwochen sowie öffentliche Konzerte fördern soziale Kontakte, stärken das Selbstvertrauen und eine zuversichtliche Lebenseinstellung. Dank guter instrumentaler Kenntnisse einiger Mitglieder entwickelte sich aus der reinen Singgruppe in den letzten Monaten auch eine eigentliche Begleitband für den Chor. Bereits stehen wieder Auftritte in

ERWIN

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mehreren Schweizer Städten auf dem Programm: Im Rahmen zweier Ausstellungen zum Thema Armut gastiert der Chor als nächstes in Zürich und Basel. ■

Surprise Chor, Ausstellung «Wir sind arm», 24. April, ab 11 Uhr, Hirschenplatz Zürich, Vernissage Ausstellung «im-fall» – die Armut ist unter uns, 26. April, 17.30 Uhr Elisabethenkirche Basel. Infos und Demovideo: www.strassenmagazin.ch

… und die Altersvorsorge

VON THEISS

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Porträt «Ich mag mich, wenn ich nüchtern bin» Sarah ist ihr halbes Leben lang drogensüchtig. Irgendwann bekam sie eine Kamera in die Finger und bannte ihren Alltag auf Band. Aus dem Material ist ein Film entstanden. Er gibt einen Einblick in eine Welt, die viele fasziniert und die kaum jemand versteht. VON AMIR ALI (TEXT) UND ANDREA GANZ (FOTO)

Sarahs Welt hat auch eine schöne Seite, es gibt darin Liebe, Freundschaft und Zuversicht. Doch was Sarahs Leben bestimmt, ist die Sucht. Und die wirft einen dunklen Schatten über ihr Leben, an das sie uns in «Ich bin’s Sarah» ganz nahe heranlässt. Näher als einem lieb ist. In der Hälfte des Films, wenn wir uns an das Lachen und die Tränen, die Fröhlichkeit und die Abstürze zu gewöhnen beginnen, hält Sarahs Kamera in gelblichem Licht während Minuten schonungslos auf ihren Arm und die Spritze. Die Nadel steckt bis zum Anschlag unter der Haut. Doch die Vene ist zu. Sarahs Stimme ist angespannt: «Ich hasse diesen Scheiss, Mann.» «Lass dir Zeit», tönt eine Männerstimme. «Ich hab sie nicht. Doch, jetzt. Nein, nein, nein!» Sie bewegt die Nadel vor und zurück, wartet darauf, dass Blut in die Spritze fliesst. «Aber irgendwie kommt doch etwas raus», kommentiert sie nüchtern. Beim vierten Stich klappt es. Das Blut vermischt sich mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in der Spritze. «Rein damit. Rein damit.» Das ist ein Jahr her oder mehr. Jetzt, beim Gespräch in ihrer kleinen Wohnung, ist Sarah seit einem Monat sauber. Wieder einmal. Bald wird sie 30, und in der jüngeren Hälfte ihres Lebens hat sie praktisch jedes Jahr einen Entzug gemacht. Der letzte, sagt sie, habe enorme Überwindung gekostet: «Ich war voll drauf, als mein Arzt anrief.» Es sei unerwartet ein Platz frei geworden in der Klinik, sie müsse sich entscheiden. Sarah raffte sich auf, packte ihre Sachen, tauschte die Geborgenheit ihrer vier Wände für einen knappen Monat gegen ein Viererzimmer in der Psychiatrie. «Ich bin eine absolute Memme, wenn es um den Entzug geht», sagt sie und verzieht ihren Mund zu einem schiefen Lächeln. «Ich ertrage einfach keine Schmerzen.» Aber Sarah blieb und biss sich durch die harten ersten Tage. Schliesslich wollte sie zur Uraufführung von «Ich bin’s, Sarah» an die Filmfesttage nach Solothurn fahren und vor dem Publikum sprechen. Und clean bleiben, nicht beim ersten Ausflug irgendwo hängenbleiben und abstürzen. Diese Ziele hat sie erreicht. Doch wie lange wird die neu gewonnene Sauberkeit anhalten? «Ich mag mich, wenn ich nüchtern bin», antwortet Sarah. Und das Wort «immer», schiebt sie nach, gebe es in ihrem Wortschatz nicht mehr. Alles geht vorbei, der Schmerz, die Räusche, der Entzug, das Saubersein. Das heisst nicht, dass sich Sarah keine Mühe gibt. Die Hoffnung hat sie nicht verloren, in all den Jahren. Seit sie aus der Klinik kam, macht sie wieder Sport. Die Energie muss raus, der Körper will gefordert, der Geist abgelenkt sein. Auf dem Boden vor dem Spiegelschrank in Sarahs Einzimmerwohnung liegen Hanteln, ihr Körper wirkt stark, die Haut ist sauber. Eigentlich wollte sie noch länger bleiben, in der Klinik. Warten, bis sie nach Zürich kann, in die Langzeittherapie. Zu Beginn gibt es keine Zigaretten, keine Musik, man ist über jeden Schritt Rechenschaft schuldig. Der Weg in die Freiheit führt über die totale Einschränkung. Nun wartet Sarah draussen, im wilden weiten Winterthur. Dem Dschungel, den sie so gut kennt. Wo all ihre alten Bekannten sind und

auf jeder Parkbank eine Gelegenheit wartet, sich wieder fallenzulassen. Jeden Tag, sagt Sarah, sei sie bisher morgens aufgestanden, auch wenn sie keine Verpflichtungen hat. So oft es geht, kümmert sie sich um ihren Neffen, den Sohn ihrer Zwillingsschwester. Die beiden, sagt Sarah, seien ihr Halt im Leben. Die Schwester hält zu ihr, auch wenn die Sucht immer wieder zwischen die beiden kommt. Die Beziehung der Zwillinge, die sich so ähnlich sind und derart verschiedene Wege eingeschlagen haben, zieht sich auch durch den Film. Im Interview mit den Filmemachern kommt die Schwester zu Wort: «Wenn es Sarah gut geht und sie keine offenen Wunden hat, dann ist sie immer willkommen bei mir. Aber wenn ich weiss, sie ist abgestürzt, ist meine Türe zu. Dann kommt sie nicht rein. Das ist mein Eigenschutz. Wenn sie konsumiert, entfernen wir uns immer voneinander. Manchmal sagt sie, dass es sie vielleicht bald nicht mehr gibt, dass sie sich umbringt. Dann antworte ich, sie soll es doch einmal richtig machen. Immer dieses Leiden, immer nur leiden. Ich habe ihr schon gesagt, wenn du so weitermachst, werden wir irgendwann gar keinen Kontakt mehr haben. Aber wenn ich mich nicht immer wieder in ihr Leben eingemischt hätte, wäre sie jetzt vielleicht schon tot. Das ist einfach eine meiner Lebensaufgaben.» Sarah sagt: «Ich bin immer auf der Suche nach dem sauberen Leben.» Die vielen Entzüge, zu denen sie sich immer wieder durchgerungen hat, zeugen davon. Auch wenn sie oft abgebrochen hat. Auch wenn nach ein paar Monaten der Nüchternheit jedes Mal wieder «das Reissen» kam, dem Sarah irgendwann keinen Widerstand mehr leistete. In der Zeit

«Keine Sau auf dieser Welt ist für mich da.»

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nach einer Kur, erzählt sie, sei ihr Leben wie ein Wasserglas, das sich langsam füllt. Bis es irgendwann zu viel wird und alles überläuft. Diesen Moment sieht Sarah ein paar Tage vorher auf sich zukommen. Irgendwann beginnt sie, sich im Kopf alles zurechtzulegen. Legt das Geld auf die Seite, überlegt, wo sie die Drogen bekommt und wo sie sie nehmen wird. «Wenn ich an diesem Punkt bin, kriegt mich nichts mehr davon ab.» Die Sucht, sagt sie, sei wie ein guter Freund. Einer, mit dem sie schon alles erlebt habe und der immer da sei, wenn sie ihn brauche. Doch am Ende ist es ein einsames Leben. Wohl auch deshalb hat die Kamera so tief in Sarahs Leben hineinblicken können. Wohl auch deshalb hat sich Sarah immer wieder dieser stummen Linse anvertraut: «Keine Sau auf dieser Welt ist für mich da, niemand! Und alle, die für mich da waren, sind tot, okay? Alle, alle, alle! Ich habe eine verdammte Krise. Ich könnte Drogen kaufen gehen und mir einen Fitz reinjagen. Aber ich mag einfach nicht mehr, okay? Diese Scheissnüchternheit geht mir auf den Sack, Mann. Es ist zurzeit mega schwierig für mich. Und ihr alle könnt mich gar nicht verstehen. Niemand kann mich verstehen.» ■ www.ich-bins-sarah.ch

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BILD: ISTOCKPHOTO

Mobilität Schwarmwesen Mensch Werdet wie die Vögel: Im Tierreich ist der Schwarm ein äusserst effizientes Mobilitätsmodell. Bei Menschen hingegen geht jeder seinen eigenen Weg. Wirklich? Nach neuen Studien funktionieren Menschenmassen ganz ähnlich wie Tierschwärme. Wenn wir einsehen, dass das Kollektiv intelligenter ist als der Einzelne, könnten Staus schon bald der Vergangenheit angehören.

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VON RETO ASCHWANDEN

Jeden Morgen dasselbe Theater: Kaum aus dem Zug, drängeln die Pendler zur Rolltreppe, wo schon der Stau wartet. Oben angekommen, gehts rein ins nächste Gewusel: Die einen eilen zu den Perrons, andere zum Ausgang und dann sind da noch die Querschläger, die ohne Rücksicht auf Verluste zum Kiosk drängeln. Glücklich, wer ohne böse Blicke und Rempler ans Ziel gelangt. Der Mensch in der Masse wähnt sich meist auf der richtigen Spur. Für Chaos sorgen immer die anderen mit ihrem unberechenbaren Verhalten. Tatsächlich aber wirken in der Masse Organisationsprinzipien, denen der Einzelne folgt, ohne es zu merken. Denn auch wenn wir angeblich in einem individualistischen Zeitalter leben – in der Masse bewegen wir uns als Teil eines Kollektivs. Das meint zumindest Anders Fredrik Johansson von der ETH Zürich: «Die Masse organisiert sich selbst. Die meisten Menschen suchen nach Koordination und Kooperation, das heisst: Sie reihen sich ein und folgen dem Strom.» Mit seinem Team untersucht der Soziologe, wie kompakte Menschenmassen funktionieren, welchen Mustern die Fortbewegung folgt und wie man einander aus dem Weg geht. Einen Faktor bildet dabei der individuelle Bedarf an Freiraum. Wie hoch dieser ist, kommt auf die Situation an: Bei einem Open-Air-Konzert stört körperliche Nähe weit weniger als beim Gang durchs Museum. Zudem betont Johansson die kulturellen Unterschiede im Umgang mit Nähe und Distanz: «Europäer brauchen mehr Platz als zum Beispiel Japaner und Inder, die sich auch in beengten Verhältnissen wohlfühlen.» Die dadurch entstehende höhere Dichte führt im Verbund mit der geringeren Körpergrösse dazu, dass asiatische Massen schneller vorwärtskommen als europäische. Unsereiner steht sich selbst im Weg: «In Europa beschleunigt man den Schritt, um anderen nicht zu nahe zu kommen. Das führt insgesamt zu einer Verlangsamung der Masse», so der ETH-Wissenschaftler.

der in solche Situationen gerät, gewöhnt sich über die Jahre an bestimmte Verhaltensmuster. Das ist ein Lernprozess, ähnlich wie bei einem Kind.» Oder aber wie bei Tieren. Seit einigen Jahren schon versuchen Forscher zu verstehen, wie Vogel- und Fischschwärme mit Tausenden von Mitgliedern funktionieren. Und zwar nicht zum Selbstzweck. Vielmehr erhofft man sich Resultate, die sich auf die Organisationen von Menschenmassen übertragen lassen – sei es bei Kampfverbänden, zur Stauvermeidung oder bei gesellschaftlichen Grossanlässen. Im Tierreich folgt das Verhalten im Schwarm unabhängig von der Spezies drei Grundregeln: Die Bewegung orientiert sich am Schwarmzentrum, erfolgt analog zum Nachbar und hält einen Mindestabstand ein. Zusätzlich gilt: Folge dem Futter und fliehe vor Feinden. Durch diese einfachen Regeln, in dem jedes Individuum nur auf sein unmittelbares Umfeld achtet, organisieren sich Schwärme ohne zentrale Führungsfiguren, sondern als kollektiver Organismus. Bestätigt wurden diese Erkenntnisse in einem Experiment des Verhaltensforschers Jens Krause

Im Schwarm gelten einfache Regeln: Folge dem Futter und fliehe vor Feinden.

Schau auf den Nachbar Die Kultur beeinflusst gemäss Johansson auch die Bewegungsmuster: Europäer weichen meist nach rechts aus, Angehörige von asiatischen Kulturen nach links. «Fürs Fortkommen und den Fluss spielt das keine Rolle, wichtig ist nur, dass die meisten Menschen gleich reagieren.» Wie weit das mit dem Strassenverkehr zu tun hat, wo in Mitteleuropa rechts gefahren wird, kann Johansson nicht sagen. Denn womöglich ist die Neigung nach rechts oder links älter und hat überhaupt erst zur entsprechenden Strassenaufteilung geführt. So oder so fällt der Entscheid über die Ausweichrichtung unterbewusst: «Wer immer wieSURPRISE 222/10

an der Universität Leeds: Er schleuste einen Roboterfisch zu einem kleinen Schwarm ins Aquarium ein. Wenn er diesen entschlossen in eine bestimmte Richtung schwimmen liess, folgten ihm die anderen – weil jeder nur auf den Nachbar achtet, bewegt sich das Kollektiv im Gleichtakt. Menschenmassen funktionieren ein bisschen komplexer. Trotzdem gibt es Ähnlichkeiten, wie Jens Krause in einem weiteren Versuch feststellte. Er versammelte 200 Leute in einem Raum, die wussten, dass einige unter ihnen Informationen hatten, was im Falle eine Evakuierung zu unternehmen wäre. Wenn sich diese «Securitys» zu den Ausgängen bewegten, folgten ihnen die anderen, ohne dass Unruhe aufgekommen wäre. Das funktionierte ohne Uniformen. Es genügte, dass sich die «Securitys» sichtbar entschlossen bewegten. «Das Verhalten allein reicht aus, damit die Masse erkennt, dass jemand über bestimmte Informationen verfügt», erklärt Krause. Einzelkämpfer sind ineffizient Auf Realbedingungen übertragen lassen sich die Resultate aus dem Labor nicht eins zu eins. Die Experimente liefern aber Informationen, wie brenzlige Situationen entschärft werden können. Denn wenn erst einmal Panik ausbricht, verhält sich die Masse irrational und zum eigenen Nachteil. «Je mehr Gedränge und Durcheinander, desto weniger

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Leute kommen aus einer Gefahrenzone raus», sagt Soziologe Anders Fredrik Johansson. Unfälle passieren nicht plötzlich, sondern folgen einem Muster, wie Johansson bei der Untersuchung von Unfällen in Mekka feststellt: Zunächst kommt es zu Gedränge, dann verwandelt sich der stete Strom in ein «Stop-and-Go» und unmittelbar vor dem Unglück kommt es zu Turbulenzen, in denen die Ordnung zusammenbricht. In Mekka führte das 1990 zu einer Massenpanik mit 1400 Toten. Die Herausforderung für Bauplaner und Organisatoren von Grossanlässen ist es also, die Masse im Fluss zu halten. Ein einfaches Mittel, das mittlerweile auch in Mekka angewendet wird, sind dabei Einbahnen. Im Alltag organisieren sich die Massen oft von allein auf diese Weise. In Fussgängerzonen etwa lässt sich beobachten, wie sich der Einzelne mit anderen, die in dieselbe Richtung gehen, zu einer Gruppe zusammenschliesst. Nur unbelehrbare Sturköpfe strampeln als Einzelkämpfer gegen die Flussrichtung. Als Einzelkämpfer agiert der Mensch in der Masse, sobald er im Auto sitzt. Denn umgeben vom Fahrzeug ist die Kommunikation mit den anderen eingeschränkt. Und im Gegensatz zu Pendlern des öffentlichen Verkehrs, von denen die meisten erkennbar dasselbe Ziel – raus aus dem Bahnhof – haben, unterscheiden sich die Ziele von Autofahrern stark. Das Resultat ist Stau. In Zukunft liesse der sich vermeiden, indem die Autos nicht mehr von ihren Fahrern gelenkt werden, sondern – mit Sensoren fürs nähere Umfeld ausgestattet und per Satellit über die Verkehrslage informiert – automatisch über Route und Geschwindigkeit entscheiden. Bis es so weit ist, fahren Stoiker am besten, wie Forscher der Universität Duisburg-Essen herausfanden: Wer auch bei Stau die gewohnte Strecke wählt und sich in die Kolonne einreiht, kommt schneller ans Ziel als Eilige, die Ausweichrouten suchen – denn

die sind schnell ebenfalls verstopft. Einfach mehr Strassen zu bauen, löst das Problem auch nicht. Denn was Anders Frederik Johnsson über Fussgängerpassagen sagt, stimmt auch für die Autobahn: «Je mehr Platz da ist, desto mehr Leute zieht das an. Es gibt eine Ballung, sobald Raum zur Verfügung steht.» Was aber tut der Pendler, der es eilig hat, ins Büro zu kommen? «Nehmen Sie den kürzesten Weg und folgen Sie dem Strom», sagt Soziologe Johansson. Zudem liegt kooperatives Verhalten im ureigenen

Nur unbelehrbare Sturköpfe strampeln als Einzelkämpfer gegen die Flussrichtung. Interesse: «Wenn Sie rennen und drängeln, verbrauchen Sie viel mehr Energie. Als Einzelkämpfer sind Sie nicht effizient. Am schnellsten kommen Sie in der Masse voran.» Der Weg zur Quelle führt gegen den Strom, heisst es im Sprichwort. Das mag als Lebensmotto seine Richtigkeit haben. Wenn Sie einfach nur pünktlich bei der Arbeit sein wollen, gilt hingegen: Go with the flow. ■

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Armut Jung, Mutter, arbeitslos Sie bekommen ihre Kinder, bevor sie selber ganz erwachsen sind – und bevor sie einen Beruf erlernt haben. Frauen mit Kind, aber ohne Beruf haben ein besonders hohes Armutsrisiko. Doch es gibt Wege aus der Misere.

VON ANNA WEGELIN

Jenny Schmutz und Reina Rosario sind unterschiedliche Frauen mit ungleichen Biografien: Jenny, gebürtige Baslerin, strahlt Selbstbewusstsein aus und hat eine Lehrstelle als Bekleidungsgestalterin; Reina stammt aus der Karibik, ist sanftmütig und hofft, dass sie ein Praktikum als Hauswirtschaftspflegerin machen kann. Doch etwas verbindet die beiden: Sie sind junge alleinerziehende Mütter und haben noch keine Berufsausbildung. Das wollen sie aber unbedingt nachholen – weil es ein Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit ist. «Man sollte auf seinen eigenen Beinen stehen», sagt Reina. «Ich will nie mehr von einem Mann abhängig sein», so Jenny. Sie nehmen sich etwas Schwieriges vor, denn das Armutsrisiko und die Gefahr, den Anschluss an die Arbeitswelt zu verpassen, sind für junge, alleinerziehende Mütter ohne Berufsausbildung besonders gross. So schreibt die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS), die zusammen mit dem Hilfswerk Caritas Schweiz eine nationale Strategie zur Bekämpfung der Armut fordert, dass Jugendliche und junge Erwachsene ohne Erstausbildung in besonderem Masse Betreuung und Beratung brauchen: «Denn wenn sie den Anschluss ans Berufsleben verpassen, droht ihnen ein Leben in Abhängigkeit.» Vorrangiges Ziel müsse deshalb die berufliche Ausbildung und Eingliederung sein. «Eine gute Ausbildung vermindert das Risiko, von der Sozialhilfe abhängig zu werden», so die SKOS. Je besser die Ausbildung, desto geringer sei das Sozialhilferisiko. Unterstützung auf ihrem steinigen Weg in ein solides und perspektivenreiches Leben erhalten Jenny Schmutz und Reina Rosario beim Basler Projekt AMIE, «Junge Mütter in Erstausbildung». In einem zehnmonatigen, halbtägigen Kurs durchlaufen sie ein Bewerbungstraining, verbessern ihre Deutsch- und Mathematikkenntnisse, besuchen einen Theaterkurs, lernen Methoden der Kindererziehung und erhalten ein individuelles Coaching. Die Teilnehmerinnen sind meist alleinerziehende Mütter ab 16 Jahren, die bei der Sozialhilfe oder beim Regiona-

len Arbeitsvermittlungszentrum RAV gemeldet sind. Die Unterstützung durch die Fachpersonen des Projekts geht über die Kurszeit hinaus – bis zum erfolgreichen Lehrabschluss, zum Beispiel als Pflegehelferin, Kleinkinderzieherin oder Büroassistentin. «Bis heute gibt es im Kanton Basel-Stadt keine systematische Hilfeleistungen für den Einstieg junger Mütter in eine Erstausbildung», sagt Franziska Reinhard. AMIE sei ein einmaliges Unterfangen in der Schweiz, so die Projektleiterin. Doch auch andernorts ist man sich des Problems bewusst: In Zürich arbeitet das Schweizerische ArbeiterInnenhilfswerk SAH an einem vergleichbaren Projekt. Hausaufgaben statt TV-Abend Reina lebt mit ihrer kleinen Tochter Aliçe und zwei wohlerzogenen Hunden in einer Dreizimmerwohnung im Kleinbasel. Aliçes Zimmer ist mit einem Wust farbiger Ballone geschmückt: Die Kleine hat kürzlich ihren ersten Geburtstag gefeiert. Überall stehen saftig grüne Zimmer-

«Nach der Heirat werden die Männer plötzlich so anders.»

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pflanzen – «mein Hobby», sagt die 27-Jährige. An den Wänden hängen Posters mit Sandstrand, Wasserfall und Sonnenuntergang. Das Radio läuft, der riesige Flachbildschirmfernseher ist ausgeschaltet. Reina zeigt das Foto eines hübschen Jungen: «Das ist mein Sohn Jonathan, elf Jahre alt.» Seit vier Monaten dürfe sie ihn nicht mehr sehen, erzählt sie, den Tränen nahe. Die Vormundschaftsbehörde habe so entschieden, Jonathans Pflegemutter habe sie schlechtgemacht. «Irgendwann werden wir zueinanderfinden», meint sie niedergeschlagen. Keine Zeit für Trauerarbeit: Aliçe zerfleddert gerade ihr Fotoalbum. Reina ist gebürtige Dominikanerin und fühlt sich in Basel daheim. Sie sei unzählige Male umgezogen, beginnt sie ihre Lebensgeschichte. Reina ist bei ihren Grosseltern in der dominikanischen Hauptstadt Santo Domingo aufgewachsen. Ihr Vater war abwesend, ihre Mutter mit

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BILD: CLAUDE GIGER

Reina Rosario will mit einer Berufsausbildung die Zukunftsaussichten für sich und Töchterchen Aliçe verbessern.

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ihrem eigenen Leben beschäftigt. Als Reina siebenjährig ist, heiratet ihre Mutter einen Schweizer und zieht mit ihr nach Basel. Hier erlebt sie Schreckliches, von dem sie zwar erzählt, das sie aber nicht veröffentlicht haben will. Mit 14 hat Reina ihren ersten Freund: «Das passte meiner Mutter gar nicht.» Dann wird sie schwanger mit Jonathan. Sie zieht ins Heim, es geht ihr immer schlechter. Sie nimmt harte Drogen, gibt den Bub weg, geht für eine Entzugstherapie ins Tessin und haut dann nach Italien ab. Im Süden geht es ihr gut: «Ich bin sogar mit dem Mountainbike auf den Gotthard gefahren», erzählt sie stolz. Sie macht ein Kind mit einem einige Jahre älteren Italiener, obwohl sie der Beziehung keine Chance gibt. Heute lebt Reina drogenfrei mit ihrem Töchterchen in Basel: «Ich habe meinen Sohn vermisst.» Sie will ihren beiden Liebsten eine gute Mutter sein und eine Ausbildung machen. Heiraten kommt nicht in Frage: «Dann werden die Männer plötzlich so anders.» Eine gute Partnerschaft sei, wenn der Mann zu Hause helfe und die Frau ihr eigenes Geld verdiene. «Ich will doch nicht eine Sklavin sein.», so die 27-Jährige. Reina hofft, dass sie eine Lehrstelle als Hauswirtschaftspflegerin findet. Über die Unterstützung, die sie dabei erhält, ist sie froh: «Ohne den AMIE-Kurs würde ich es nicht schaffen», meint sie. Nur am Anfang habe sie Mühe gehabt, am Morgen beizeiten aufzustehen. Trotz der Unterstützung ist es schwierig für sie, eine Lehrstelle zu finden. Ihr Alter, ihr Migrationshintergrund und ihre Mutterschaft wirken sich im Lehrstellen-Wettbewerb negativ aus. Doch sie lässt sich dadurch nicht entmutigen: Für Reina ist viel zentraler, dass sie den Rank im Leben gefunden und für sich eine Perspektive entwickelt hat. «Mein Wunsch wäre, die Hotelfachschule zu machen und mindestens ein paar Kinder mehr zu haben», meint sie mit glänzenden Augen. Doch momentan hat anderes Priorität: Wenn sie mit den Hunden draussen gewesen und ihre Tochter abends schlafen gelegt habe, müsse sie haushalten und Hausaufgaben machen, statt sich einen gemütlichen TV-Abend gönnen zu können. Die Mutterschaft an sich sei der erste Wettbewerbsnachteil ihrer Klientinnen, bestätigt Franziska Reinhard. Selbst aufgeschlossene Betriebe wollten eine 100 prozentige Präsenz ihrer Lehrtöchter. Wenn, wie im Gesundheitsbereich, Nachtschichten dazugehören, muss für das Kind der Mutter neben dem Tagesheim eine zusätzliche Betreuung für die Randzeiten gefunden werden. Für etwas ältere Mütter wie Reina, die nicht frisch von der Schule kommen, sei es nochmals schwieriger, irgendwo unterzukommen, erklärt Reinhard. Aufgrund der Wirtschaftskrise sei die Konkurrenz unter den Lehrstellensuchenden in diesem Jahr massiv angestiegen. Wer mehr vorzuweisen habe und kinderlos sei, habe von Anfang an die besseren Chancen.

Ihre Willenskraft und Selbstüberzeugung hat sie sich hart erkämpfen müssen. «Ich bin halt abgehärtet, habe viel erlebt», meint sie schulterzuckend. Es begann mit der Scheidung ihrer Eltern. Die elfjährige Jenny bleibt bei der Mutter. Der Vater zieht aus: «Schlimm.» Gewalt daheim habe es nicht gegeben, so die junge Frau, weder zwischen den Eltern noch gegen sie. Nach dem zehnten Schuljahr beginnt Jenny Schmutz eine Lehre als Goldschmiedin. Drei Monate später bekommt sie das Pfeiffersche Drüsenfieber und gibt auf. 2005 ist ein schlimmes Jahr für sie: Mutters neuer Freund, mit dem sie heute ein sehr gutes Verhältnis habe, zieht ein. «Das war ein ‹No-Go›», erzählt sie: «Er war der erste Mann in meinem Leben, der Nein sagte.» Nein zu ihrem Lebenswandel: kein Job, ständig mit viel Alkohol und illegalen Drogen auf der Gasse. Jenny zieht zu ihrem um einige Jahre älteren Freund, den sie zwei Wochen zuvor kennengelernt hat und wird sofort schwanger. Sie will kirchlich heiraten und das Kind taufen lassen – das sei wie ein Segen, auch wenn man nicht gläubig sei. Doch es gibt Spannungen zwischen ihr und ihrem Freund, der sie aus Eifersucht nicht mehr ausser Haus lässt. Als sie mit Joshua hochschwanger ist, sagt sie ihm, sie habe ihn nicht mehr gern: «Wir haben nicht zusammengepasst.» Da gehen bei ihm die Sicherungen durch … Jennys Redefluss stockt zum ersten und einzigen Mal während des Gesprächs.

«Ich habe viel Blödsinn gebaut, aber ich habe daraus gelernt.»

Grosses Ziel Unabhängigkeit Jenny Schmutz hat es trotz dieser mehrfachen Hindernisse geschafft und beginnt im Sommer eine Lehre als Bekleidungsgestalterin. Sie ist eine sorgfältig geschminkte Frau mit adrettem Haarzopf und schwarzrandiger Brille. Im Café in der Basler Innenstadt bestellt sie eine kalorienarme Cola und zündet eine Parisienne an. Sie kommt soeben von der Mathestunde mit AMIE und nervt sich, dass so wenige in den Unterricht gekommen sind. Jenny steht mit beiden Beinen im Leben. Mit 19 wurde sie Mutter, obwohl sie die Pille nahm. Heute wohnt die 22-Jährige mit ihrem dreijährigen Sohn Joshua in einer Dreizimmerwohnung in Riehen. «Wenn er lacht, geht für mich die Sonne auf», erzählt sie. «Joshua ist alles für mich.» Zum guten Glück nicht ganz, möchte man fast sagen: Denn ihre dreijährige Lehre zur Bekleidungsgestalterin will sie unbedingt machen. Selbst wenn sie weiss, dass es kein Zuckerschlecken sein wird. «Wenn man etwas will, schafft man es», lautet ihr Wahlspruch. SURPRISE 222/10

Auch Jenny Schmutz schwärmt von der Unterstützung durch AMIE, die sie als «eine Art intensive Lehrstellenvorbereitung» bezeichnet. «Alleine hätte ich das alles nicht durchziehen können», sagt sie. Wichtig ist für sie, dass sie auch während der Lehre jederzeit bei Fachleuten anklopfen kann. «Ich habe viel Blödsinn gebaut, aber ich habe daraus gelernt», blickt sie auf ihre wilden Jahre vor der Mutterschaft zurück. Jetzt sei es ihr Ziel, finanziell unabhängig zu sein – auch von der Sozialhilfe: «Ich bin froh, wenn ich davon wegkomme.» Sie sei schliesslich jung und habe zwei gesunde Hände und Füsse. Kumulierte Benachteiligungen Die Geschichten von Jenny und Reina sind Einzelschicksale und trotzdem haben sie Merkmale, die in vielen Lebensläufen alleinerziehender Mütter ohne Berufsbildung auftauchen. Ihr auffälligster gemeinsamer Nenner ist gemäss Franziska Reinhard, dass sie multiple Probleme haben und oftmals ein instabiles Elternhaus. Die Betroffenen stammen meistens aus der unteren Mittelschicht, bei den Teilnehmerinnen der AMIE-Kurse weist zudem durchschnittlich die Hälfte der Frauen einen Migrationshintergrund auf. «Die Frauen haben viel Happiges erlebt und tragen einen schweren Rucksack», erklärt die Projektleiterin. Mutter zu werden, habe ihnen eine neue Perspektive gegeben – hin zu einem selbstbestimmten Leben. Der Wille «ihrer» Frauen, den Einstieg in die Arbeitswelt zu schaffen, sei gross, so Reinhard. Den Willen, von der Sozialhilfe loszukommen, hätten jedoch nicht alle gleichermassen: Denn die Angst, nach der Ablösung alles alleine meistern zu müssen, wirke auf einzelne lähmend. Man müsse deshalb eine Balance finden zwischen Fördern und Fordern. Die grösste Herausforderung für die Frauen sei, dass sie während der Lehrzeit den strengen Anforderungen im Alltag einer Einelternfamilie gewachsen sein müssten. Und das ist beileibe nicht einfach: Das höchste Risiko, von Sozialhilfe abhängig zu sein, besteht in Einelternfamilien. Denn sie haben unter anderem höhere Kosten zu tragen, welche die Kinderbetreuung sowie die Ausgaben bei einer Trennung oder Scheidung mit sich bringen. Alleinerziehende müssen zudem mehr Betreuungsaufgaben übernehmen und können somit nicht oder nur teilzeitlich erwerbstätig sein.

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BILD: DANIEL INFANGER

Jenny Schmutz freut sich mit Sohn Joshua auf den Beginn ihrer Berufslehre.

Gemäss den aktuellsten Zahlen der eidgenössischen Sozialhilfestatistik bezogen im Jahr 2007 31 von 1000 Personen in der Schweiz Sozialhilfe. Am höchsten ist der Anteil in den Kantonen Basel-Stadt (6,6 Prozent), Neuenburg (6,0 Prozent) und Waadt (4,7 Prozent), gefolgt von den Kantonen mit grossen Städten – Bern, Genf und Zürich. Die Mehrheit der Bezüger ist Ausländer. Knapp jeder sechste Haushalt mit einem alleinerziehenden Elternteil (16,6 Prozent) bezieht Sozialhilfeleistungen. Auch der Basler Soziologe und Armutsforscher Ueli Mäder stellt fest: «Da kumulieren sich mehrere soziale Benachteiligungen.» Alleinerziehende Mütter seien in den unteren Lohnkategorien übervertreten. Ihr Anteil habe sich bei den von Armut betroffenen Erwerbstätigen stark erhöht. Dieser werde allerdings «wegdefiniert», so Mäder. Denn das Bundesamt für Statistik zähle zu den «Working Poor» nur, wer mindes-

«Wenn Joshua lacht, geht für mich die Sonne auf.» tens 90 Prozent erwerbstätig sei: «Die alleinerziehenden Mütter verrichten jedoch auf Grund ihrer Haus- und Betreuungsarbeit nur 50 bis 60 Prozent Lohnarbeit.» So weit denken Jenny Schmutz und Reina Rosario noch gar nicht. Sie setzen erst einmal alles daran, Ausbildung, Familie und Haushalt unter einen Hut zu kriegen. Damit sie eines Tages vielleicht ihren Traumberuf ausüben können. Reina als Hotelfachfrau und Jenny als Polizistin: «Ich war schon immer extrem für Gerechtigkeit.» ■

Mit Begleitung zur Ausbildung Das Projekt AMIE ist eine Public-Private-Partnership zwischen der Basler Sozialhilfe, dem Gewerbeverband Basel-Stadt und dem Frauenverein am Heuberg. AMIE begleitet seit dem Sommer 2007 junge, meist alleinerziehende Mütter ab 16 Jahren, die bei der Sozialhilfe oder beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum RAV gemeldet sind, bei ihrer Lehrstellensuche. Um am Projekt teilnehmen zu können, müssen die jungen Frauen einen Schulabschluss vorweisen. www.amie-basel.ch

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Sucht Schneit es draussen noch? Seit 20 Jahren ist er gamesüchtig. Die Geschichte eines 30-Jährigen, der täglich darum ringt, ins echte Leben zurückzukehren. VON DANIEL RYSER

BILD: KEYSTONE

Ein Mann betritt in der südkoreanischen Stadt Taegu ein Internetcafé. Er setzt sich an einen Computer und loggt sich in das Online-Spiel «Starcraft» ein. Dann spielt er sich zu Tode. 50 Stunden ununterbrochen, bis der Körper kollabiert und das Herz versagt. Kurz zuvor war der 28Jährige von seiner Firma entlassen worden, weil er bei der Arbeit nichts anderes mehr getan hatte, als zu gamen. Computerspielsucht wird erst seit Kurzem von Fachleuten ernst genommen. Nicht, dass sich junge Leute zuhauf zu Tode spielen, aber wer gamesüchtig ist, läuft Gefahr, sich an den beruflichen, sozialen und letztlich existenziellen Abgrund zu spielen. Es drohen Psychosen, Abschottung, Entzugserscheinungen. Nennen wir den Mann, den ich treffe, Cloud, so wie seine Lieblingsfigur aus dem Rollenspiel «Final Fantasy 7». Cloud ist gamesüchtig, süchtig nach seiner Maschine, dem Laptop, der Konsole, der falschen Welt in der echten. Er betrügt seine Freundin mit Leuten, die er nicht

kennt, aber mit denen er im virtuellen Raum des «World of Warcraft» eine Kampfeinheit bildet. «World of Warcraft» ist ein «Massively Multiplayer Online Role-Playing Game»: ein Online-Rollenspiel für unbegrenzt viele Mitspieler. Eines ohne Pausenknopf, weil der Spieler sein Team – im Jargon «Gilde» – nicht hängenlassen darf. Die Gilde ist eine zusammengewürfelte Truppe von Spielern, die an verschiedenen Orten, vielleicht sogar in verschiedenen Zeitzonen, vor den Bildschirmen sitzen, um gemeinsam einen virtuellen Krieg zu gewinnen. Als ich Clouds Wohnung betrete, begrüsst er mich mit dem Laptop im Arm. Ich unterbreche ihn bei «Warhammer 40 000», einem FantasyKriegsspiel, das im 41. Jahrtausend nach Christus angesiedelt ist. Bevor wir uns richtig begrüssen, erklärt er, dass es darin um Zwerge und Orks gehe und um Kampfroboter, die so gross seien wie Häuser. Dass es eine dunkle und böse Version der christlichen Mythologie bediene. Überall im Universum herrscht Krieg, es gibt Planeten, auf denen nur Soldaten leben, und die Menschheit wird von einem Imperator regiert, der eigentlich tot ist, aber dessen Gehirnströme abgefangen und interpretiert

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und als Befehle weitergegeben werden. In Clouds Wohnung: Action, blinkende Befehle, pausenlos Krieg; draussen, in der echten Welt, fallen dicke Schneeflocken auf die vereiste, öde Winterlandschaft. Als er im Herbst 2008 im Alter von 30 Jahren, nach 20 Jahren Gamen, davon 15 auf einem Grat zwischen Heilung und Absturz, eine Therapie begann, riet ihm der Therapeut als erstes, stündlich zu notieren, was er gerade mache. Um einen Überblick zu bekommen. «Das war in einer Phase, in der ich für meine Verhältnisse relativ wenig spielte», sagt er. Trotzdem kam er, Schlaf abgezogen, auf ein 50:50-Resultat. 50 Prozent seines Tages gehen derzeit für seine Sucht drauf, die anderen 50 Prozent teilen sich Einkaufen, Essen, Arbeiten, Freundin, Fernsehen, Freunde. Das Wohnzimmer ist ein Gamerparadies: superbequemes Sofa, superbequemer Sessel, riesiger Fernseher, in dem ununterbrochen TVSerien auf DVD laufen, die er sich während des Gamens reinzieht, ein Tisch für den Laptop, eine Stereoanlage, eine kleine Hausbar, Hunderte CDs – die Spiele. «Ich bin froh, dass ich nur gamesüchtig bin und nicht etwa heroinsüchtig», sagt Cloud, als er mir den bequemen Sessel, Kaffee und eine Zigarette anbietet. Heroin und Gamen – er stellt das auf eine Stufe. Das Spielen mache ihn wenigstens nur psychisch abhängig. Allerdings sei es auch viel einfacher, gamesüchtig zu werden: «Für deinen ersten Schuss musst du zu einem Dealer, für deine erste Konsole zu deinen Eltern.» Nach aussen ist Cloud ein angesehenes Mitglied seiner Gemeinde. Man kennt ihn dort, und er hat eine interessante Teilzeitarbeit im PR-Bereich. Von der Sucht weiss ausser seiner Freundin niemand. Trotzdem lässt sie sich nicht völlig verbergen: Er sei oft unkonzentriert, extrem nervös, sagt ein Bekannter. Seine Freundin wirft ihm vor, er verbaue sich die berufliche Zukunft. Andere Bekannte wundern sich, wa-

rum es einer mit seinem Elan und seiner Intelligenz beruflich nicht weiterbringt. Das erste Spiel, das er sich kaufte, war «Rat Race» für die NintendoKonsole, die graue Kiste, frühe 1980er-Jahre. Damals war er zehn. Bis heute hat er über 300 verschiedene Spiele gespielt, über 10 000 Franken in Spiele investiert und Tausende Stunden vergeudet. Der Rutsch in die Sucht war das Rollenspiel «Zelda»: «Das erste Spiel, das eine Welt bot, in der man ein bisschen herumhängen konnte und nicht einfach eine Mission erfüllen musste», sagt er. Ein Vorläufer von Chat-Räumen also, deren Erfindung die Zahl der Online-Süchtigen explodieren liess, wie man glaubt. «Zwei bekannte Testgamer, die das Millionen Mal verkaufte Rollenspiel «GTA 4» testeten, verbrachten zu-

«Du kannst jederzeit aufhören. Aber du kannst dir immer auch sagen: Nur noch ein Level.» nächst 100 Stunden damit, die virtuelle Welt, eine komplette Stadt, zu erkunden, bevor sie mit dem eigentlichen Spiel begannen», sagt Cloud. 100 Stunden. Als Einstieg. Für den perfekten Save, den abgespeicherten Spielstand bei maximaler Punktezahl, «brauchst du bei ‹Final Fantasy› eine Gesamtspielzeit von 500 Stunden. Gamen basiert darauf, dass es dir in kleinen Häppchen Bestätigung gibt. 200 kleine Missionen, jede Schlacht, die du gewinnst, bringt dich zur nächsten, du kannst jederzeit aufhören, aber du kannst dir verhängnisvollerweise auch immer sagen: Nur noch ein Level. Plötzlich sitzt du 72 Stunden vor der Kiste.» Tage voller Halbschlaf, Sekundenschlaf, Apathie, Begeisterung, Wahn und Fastfood. Die Fensterläden geschlossen, während draussen die Sonne scheint, Tag und Nacht verschwimmen, er köpft die Flasche Wein morgens um 11 Uhr und kocht Kaffee um Mitternacht.

Interview Erfolgserlebnisse in Hochfrequenz BILD: ZVG

Fantastische Abenteuer statt farbloser Alltag: Ines Bodmer, Psychotherapeutin und Mitarbeiterin beim Zürcher Zentrum für Verhaltenssucht «escape», erklärt, ab wann der Computer zur Sucht wird – und warum. INTERVIEW: MENA KOST

Frau Bodmer, noch vor Kurzem war in Fachkreisen umstritten, ob exzessives Gamen überhaupt als Sucht einzustufen sei. Heute ist man sich da einig. Wieso? Der Breitband-Internetanschluss, der um die Jahrtausendwende aufkam, hat eine enorme Beschleunigung mit sich gebracht. Erst mit ADSL wurden Online-Games auf dem Heimcomputer spielbar – rund um die Uhr. Die Zahl der Abhängigen stieg und mit ihnen das Problembewusstsein. Weil man heute die Möglichkeit hat, rund um die Uhr zu gamen, gibt es mehr Süchtige? Die Verfügbarkeit hat bei Süchten immer einen grossen Einfluss. Das Internet spielt deshalb bei Verhaltenssüchten eine Schlüsselrolle: Im Netz kann man 24 Stunden am Tag einkaufen, wetten, gamen … Schätzungen gehen aktuell von 70 000 Computersüchtigen und 110 000 Suchtgefährdeten in der Schweiz aus. Tendenz steigend?

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Computersucht ist ein relativ neues Phänomen, Langzeitstudien fehlen. Allerdings kann man auf jeder Beratungsstelle nachfragen: Computersucht ist zunehmend ein Thema. Dass Langzeitstudien fehlen, ist einleuchtend. Trotzdem scheint es, als sei Computersucht lange bagatellisiert worden. Der Computer geniesst in unserer Gesellschaft eine hohe Akzeptanz. Immer mehr Menschen arbeiten mit dem Internet, sogar Hausaufgaben werden auf dem Computer erledigt. Wenn nun ein Jugendlicher vor dem Computer sitzt, sieht das «fleissig» aus. Was ihr Kind jedoch genau macht, wissen die Eltern oft nicht. Oder sie wissen es und denken: Hauptsache er nimmt keine Drogen, ist nicht auf der Gasse. Soll er doch gamen, dann macht er nichts Dümmeres. Ab wann gilt jemand als Onlinesüchtig? Für viele sind Surfen, Chatten und Computerspiele wichtige Hobbys. Von Sucht spricht man, wenn das «Hobby» negative Auswirkungen hat; mir etwa die Freundin droht, mich deswegen zu verlassen oder mein Job in Gefahr ist, und ich trotzdem weitermache. Man ist süchtig, wenn der Computer zum Lebensmittelpunkt wird und alles, was früher wichtig war, in den Hintergrund gerät. SURPRISE 222/10


Arbeiten klappt dann nicht mehr gut. Sechs bis 15 Stunden sind der aktuelle Schnitt, wenn er die Konsole startet. «In den schwierigsten Zeiten dominierte das Gamen mein Leben», sagt Cloud. Er arbeitete drei Tage pro Woche. Er baute die Arbeit in ein Game-Gesamtkonstrukt ein: Um 6 Uhr musste er raus, um 13 Uhr kam er von der Arbeit heim. Dann spielte er meist bis morgens um vier durch, schlief zwei Stunden und ging wieder zur Arbeit. Wenn die drei Arbeitstage vorüber waren, fiel er in einen 14-stündigen Tiefschlaf. Das Gamen hielt ihn einerseits davon ab, seine Arbeit richtig zu erledigen, andererseits war die Aussicht auf den Computer daheim seine einzige Motivation, überhaupt zu arbeiten. Frauenheld, Superkiller, Spezialsoldat «Online-Spiele suggerieren ein soziales Leben», sagt Cloud, der sich einen schönen Teil seines Lebens dieser Suggestion hingibt, der sehr differenziert und sachlich die eigene Sucht betrachtet – und sie doch nicht besiegen kann. Er habe sie aber wenigstens inzwischen unter Kontrolle. Das heisst: «Ein Verhältnis von 50:50, nicht mehr von 90:10.» Er habe halt ein niedriges Selbstbewusstein, konstatiert er. Und fügt mit einem Lächeln hinzu: «Zudem bin ich ein wenig grössenwahnsinnig. Bei dieser Kombination kommen Games natürlich wie gerufen.» Was in Echt nicht geht, die Konsole macht es möglich: Frauenheld. Superkiller. Monstertöter. Spezialsoldat. Autorennfahrer. Fussballtrainer. Superheld. Weltenretter. Die sozialen Kontakte beschränkten sich im Alter zwischen 16 und 22 auf die wöchentliche Probe einer Metal-Band. Eine Exfreundin hat während einer seiner Game-Exzesse die Konsole gepackt und ist damit aus der Wohnung gerannt. Weil er wusste, dass sie recht hatte, hat er sozusagen als Selbsthilfemassnahme seine Spiele, zu jenem Zeitpunkt 150, vom Laptop gelöscht. Das ging einige Tage gut. Doch dann ertappte er sich beim Spielen des Standardprogramms «Solitaire» – wie auf Entzug hatte er 14 Stunden am Stück durchgespielt.

Warum machen Computerspiele überhaupt süchtig? Am stärksten abhängig machen Online-Rollenspiele. Man trifft sich im Netz und spielt mit anderen Spielern in einer Gruppe. Das kann positive und negative Auswirkungen haben: Einerseits führt es zu einem starken Gruppengefühl, andererseits zu Gruppendruck. Wer Verabredungen mit seinen Mitspielern nicht einhält, kann ausgeschlossen werden. Viele Spiele sind zudem mit einem ausgeklügelten Belohnungssystem ausgestattet – Spielzeit wird belohnt, Abwesenheit bestraft. Wer ist besonders gefährdet? Hauptsächlich junge Männer. Frauen bewegen sich mehr in OnlineKommunikationssystemen. Allgemein gilt: Wer in der realen Welt Kontaktschwierigkeiten, wenig Bestätigung und Herausforderungen hat, bleibt eher in der Spielwelt hängen. Dort erlebt man fantastische Abenteuer, besteht sie, steigt in der Gruppenhierarchie auf, wird bewundert. In der realen Welt hat man keine Erfolgserlebnisse in dieser Frequenz. Ausserdem ist Gamen verhältnismässig günstig. Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sind also besonders gefährdet. Ein Abend im Ausgang kostet oft mehr, als einen Monat lang zu gamen. Was für Folgen kann Gamesucht haben? Die Suchtbefriedigung raubt viel Zeit und Schlaf. Oft werden soziale Kontakte und die Arbeit vernachlässigt. Bei Jugendlichen ist ausserdem zu bedenken: Die Hirnentwicklung ist erst mit etwa 18 Jahren abgeschlossen. Ausgebildet wird, was trainiert wird. Zwar ist es nicht schlimm, wenn Gamefähigkeiten trainiert werden. Schlimm ist, was währenddessen verpasst wird.

Manchmal verwischen sich bei Cloud die Grenzen auf eine seltsame Art: Durch seine Gamesucht ist er zu einem weiteren Job gekommen. Und zwar als Fussballreporter. «Obwohl ich nie Fussball gespielt habe, konnte ich plötzlich fachsimpeln. Ich hatte Hunderte Stunden damit verbracht, ‹Fussball-Manager› zu spielen.» «Fussball-Manager» ist extrem realistisch aufgebaut. Das Spiel enthält die richtigen Clubs, Namen, Spielerstärken. «Alles, was ich über Fussball wusste, wusste ich aus diesem Spiel.» Und weil es das offizielle Fifa-Spiel ist, stimmte dieses Wissen mit der Realität erstaunlich exakt überein. «Viele der Schweizer Spieler, auf die ich als Reporter dann traf, kannte ich seit Jahren vom Computer», sagt er und zündet sich die nächste Zigarette an und schenkt Whiskey ein. Alkohol, Zigaretten, Kiffen, Fastfood, TV-Serien, Metal-Sound – die perfekte Rundumergänzung. Eine Welt zum Eintauchen. Schneit es draussen noch? «Gamen ist ähnlich anstrengend wie Lesen», sagt Cloud. «Im Gegensatz zum Lesen gibt es dir dauernd Adrenalinkicks, deshalb hältst du es viel länger durch. Wenn ich exzessiv game, kann es passieren, dass ich am Laptop einschlafe. Dann schrecke ich auf und spiele sofort weiter. Wie ein Junkie, der aufwacht und sich als erstes einen Schuss setzt.» Und als habe er sich selbst das Stichwort gegeben, klappt er den Laptop auf. Mit meiner Ankunft hatte ich ihn unterbrochen. Jetzt ist er dorthin zurückgekehrt, in die «Warhammer 40 000»-Welt, meine Anwesenheit verblasst. «Nimm dir, was du brauchst», sagt er und zeigt auf die Hausbar. Es ist, als würde ihn der blaue Schein des Computers einsaugen, seine Antworten auf meine Fragen werden knapper, sein Blick ist auf den Laptop gerichtet. Schweigend sitzen wir eine Stunde im Wohnzimmer, spärlich beleuchtet vom Schein des Laptops. Dieser Artikel erschien ursprünglich im NZZ Folio.

Schwer zu sagen. Die Erwachsenen müssten den Jungen den Umgang mit neuen Medien vorleben. Dazu müssten sie ihn allerdings zuerst selber lernen. Denkbar ist auch, dass sich – wenn die Faszination für die neuen Medien ein bisschen nachgelassen hat und die Schattenseiten spürbar werden – eine Gegenbewegung bildet. Gibt es ein paar einfache Regeln, die Sie im Umgang mit dem Computer empfehlen? Den Computer immer runterfahren, nicht auf Standby schalten. Ehrlich sein mit sich selbst – was bleibt auf der Strecke, während ich vor dem Computer sitze. Eltern rate ich zudem, dass sie die Spiele ihrer Kinder selber installieren, dann haben sie nämlich das Passwort. Und bevor ich einem männlichen Jugendlichen einen PC mit Internetanschluss ins Zimmer stellte, würde ich diskutieren, wie man vernünftig damit umgeht. Nach dem Nationalrat hat sich nun auch der Ständerat für ein Verbot von besonders brutalen Gewaltspielen ausgesprochen. Was halten Sie davon? In der Schweiz gibt es bisher keinen Jugendmedienschutz, der diesen Namen verdient. Aber es gibt extrem brutale Spiele, bei denen das Abschlachten von Menschen belohnt wird. Ich fände es richtig, wenn solche Spiele zumindest erst ab 18 gekauft werden könnten. Natürlich werden Einschränkungen leicht umgangen. Aber das ist beim Alkohol dasselbe. Trotzdem will niemand etwas daran ändern, dass man erst ab 18 in den Laden marschieren und sich Wodka kaufen kann. ■

Computer und Internet sind aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Haben wir es in ein paar Jahren mit Horden von Computersüchtigen zu tun? SURPRISE 222/10

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Wohnen Wer will Reticulum? Das Paradebeispiel für fehlgeleitete Wohnungspolitik in der Deutschschweiz ist schnell gefunden: Zürich. Wohnungsnot und unbezahlbare Mieten – so soll es beim Rivalen Basel nicht werden. Doch die Hochpreisgefahr lauert in jedem Quadratmeter neuen Wohnraums. VON JULIA KONSTANTINIDIS (TEXT) UND DOMINIK PLÜSS (BILD)

Der Wind schlägt die Türe auf und zu, immer wieder. Endlich erscheinen zwei Arbeiter mit einem passenden Schlüssel, um dem Treiben ein Ende zu setzen. Ansonsten ist nicht viel los auf dem ErlentorAreal, einem Teil des in Kleinbasel auf 19 Hektaren neu entstehenden Erlenmattquartiers. Die Überbauung Erlentor ist das erste Puzzleteil – bis zur Vollendung in zehn bis 15 Jahren kommen ein Park, insgesamt 700 Wohnungen, Einkaufsmöglichkeiten, eine Schule sowie neue ÖVVerbindungen dazu. Der Platz zwischen dem hufeisenförmigen Wohnkomplex ist verwaist. Man hofft, dass der garstige Wind Grund dafür ist. Denn eigentlich befindet man sich an einem Flecken – ein ehemaliges Areal der

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Deutschen Bundesbahn –, an dem Stadtgeschichte geschrieben wird. Und der Beginn ist auch viel versprechend: Die meisten der 239 neu erstellten Wohnungen sind vermietet. Die Erlenmatt soll ein attraktives urbanes Viertel für eine gemischte Bewohnergruppe werden: Paare, Senioren, aber auch Familien sollen sich hier zu Hause fühlen, deshalb das breite Angebot an Wohnungen, die in der jeweiligen Kategorie mit unterschiedlichen Grundrissen und Ausbaustandards zu haben sind. Familien warten ab Vor allem die Zweieinhalb- und Dreieinhalbzimmerwohnungen gingen weg wie warme Semmeln. Bei den Viereinhalbzimmerwohnungen hingegen ist noch einiges frei und auch die einzige Fünfzimmerwohnung im Erlentor mit Namen Reticulum wartet noch auf ihre BewohSURPRISE 222/10


ner. «Man erhoffte sich mehr von den grossen Wohnungen», meint Robert Stern, Gesamtprojektleiter Erlenmatt beim Basler Hochbau- und Planungsamt. Wer die knapp 3500 Franken Mietzins für Reticulum bezahlen kann, bekommt was für sein Geld: 188 Quadratmeter, um seine Wohnträume zu verwirklichen. «Es nimmt mich wunder, wann sie vermietet wird», ist Stern gespannt. Die Stadt möchte vor allem auch für gute Steuerzahler wieder attraktiv sein und verhindern, dass gut situierte Familien aufs Land ziehen und damit auch ihre Finanzkraft in einen anderen Kanton verlagern. Reticulum ist wohl so ein Lockvogel für zahlungskräftige Familien. Ob diese allerdings dem Ruf folgen, ist bisher noch unklar. Von den 180 aktuellen Bewohnern der Erlentorwohnungen sind 30 Kinder bis 16 Jahre. Grundsätzlich sei die Entwicklung im neuen Quartier positiv, so Robert Stern. Dass bisher nicht mehr Familien eingezogen sind, erklärt er sich damit, dass die Wohnumgebung mit den laufenden Bauarbeiten und der noch fehlenden Infrastruktur für Familien noch wenig attraktiv sei. Mitat Rifati hat nicht gezögert mit dem Umzug und ist mit seiner nigelnagelneuen Dreieinhalbzimmerwohnung sehr zufrieden. Endlich müssen keine vier Stockwerke mehr zu Fuss erklommen werden, die Tochter kann in den Räumen rumtoben, ohne dass knarrende Böden die Nachbarn verärgern, und die Waschmaschine steht direkt in der Wohnung. Für 84 Quadratmeter bezahlt Rifati 1965 Franken, er verdient zusammen mit seiner Frau rund 8000 Franken pro Monat. Mit dem Preis-Leistungsverhältnis ist er zufrieden, nennt aber auch den Preis dafür: «Wer in der Erlenmatt wohnen will, muss Doppelverdiener sein oder ein sehr gutes Einzeleinkommen haben.»

Basel.» Geht man davon aus, dass ein Mietzins nicht mehr als ein Viertel des Einkommens betragen sollte, dann schon gar nicht für Familien. Oder nur für überdurchschnittlich gut verdienende Familien. Die haben aber andere Pläne, so Bernasconi: «Wohlhabende Familien entscheiden sich eher dafür, etwas zu kaufen, statt monatlich hohe Mieten zu zahlen.» Womit sich der Kreis zu Robert Stern wieder schliessen würde: Wann findet Reticulum seine Mieter? Und wer wird es sein – eine kinderreiche Familie oder doch eher ein Doppelverdiener-Paar? Keine Chance ohne Genossenschaft Zürich versucht aus der Hochpreis-Misere herauszukommen, indem eine verbesserte Durchmischung des Wohnraums angestrebt wird: «Ungefähr 30 Prozent der Neubauwohnungen im letzten Jahr wurden von Genossenschaften gebaut», berichtet Alex Martinovits von der Stadtentwicklung Zürich. Esther Diethelm sieht diese Wohnform als ein Grund für das Funktionieren der «Retortenstadt» Neu-Oerlikon, einem auf gut 60 Hektaren ehemaligen Industriegeländes erbauten Stadtviertel. Vor zehn Jahren zogen die ersten Mieter dort ein. Anfangs standen

«Wohlhabende Familien entscheiden sich eher dafür, zu kaufen, statt hohe Mieten zu zahlen.»

Pro Volta, contra Quartier Schon geistert ein Ausdruck, der an die Zustände in Zürich gemahnt, durch die Reihen der Skeptiker – die «Seefeldisierung» der Stadt wird befürchtet: Auf Brachland oder ehemaligen Industriegebieten werden neue, grosse Wohnungen gebaut und von gut bis sehr gut verdienenden Menschen gemietet. Die schicken Viertel lassen auch in der Nachbarschaft die Mieten in die Höhe schnellen, bis flächendeckend kein günstiger Wohnraum mehr zu haben ist – so passiert im Zürcher Seefeld. Eine Familie, die in Zürich eine Wohnung sucht, braucht viel Geduld, eine hohe Frustrationstoleranz und die Bereitschaft, für den Wohnraum wenn nötig tief ins Portemonnaie zu greifen. Monatelange Intensiv-Suche mit täglichen Besichtigungen, Unterstützung durch Wohnungsmakler, privaten E-Mail-Versand und Auflegen von Flyern in bevorzugten Quartieren sind gängige Leidensgeschichten Wohnungssuchender. Der – für Basler Verhältnisse grenzwertige – Preis für Reticulum entlockt den Zürchern nur ein müdes Lächeln. Mehr noch als im Kleinbasel befürchten Bewohner und Fachleute eine Entwicklung wie in Zürich im ehemaligen Basler Arbeiterquartier St. Johann. Weil das Viertel durch die Dauerbaustelle für eine neue Stadtautobahn jahrelang verödete, entwickelte sich die Entstehung des neuen Quartierteils «Pro Volta» weniger organisch als auf der Erlenmatt, wo das Areal zwischengenutzt wurde und so immer im Bewusstsein der Bewohner blieb. 300 neue Wohnungen liegen auf dem neuen Volta-Areal dereinst in Nachbarschaft mit dem exklusiven Novartis Campus, ein Teil davon ist bereits bezogen. Die Nähe zum Pharma-Riesen zeigt sich: Die Wohnungen sind teuer, die Mieter finanzkräftig. «Es sind nicht die, die vorher in diesem Gebiet gewohnt haben», weiss Quartierkoordinatorin Nicole Fretz. Laut Fretz erwarten die Quartierbewohner, dass die Mietzinse generell mit jeder Wohnungssanierung ansteigen werden und so die Wohnungen für die heutigen Mieter nicht mehr zu bezahlen sind. Damit sind sie nicht allein, auch Patrizia Bernasconi, Geschäftsführerin des Mieterverbandes Basel-Stadt, macht eine klare Tendenz in der Wohnungspolitik aus: «Es gibt nicht genug günstigen Wohnraum in SURPRISE 222/10

grosse Wohnungen leer, der Anteil an Familien war unter den Erwartungen. «Von privaten Wohnungsanbietern wurde die Ansiedlung von Familien gezielt gefördert», weiss Diethelm. In der Folge wurden teilweise Mietzinsreduktionen für Familien angeboten. Infrastruktur und Wohnumfeld haben sich in Neu-Oerlikon seit den Anfängen positiv entwickelt: «Das zog in den letzten Jahren Familien an.» Ohne einen guten Mix an privatem und genossenschaftlichem Wohnungsbau funktioniere ein Quartier nicht, ist Diethelm überzeugt. «Genossenschaften tragen schon nur durch ihre kollektive Organisation und das Bereitstellen von Gemeinschaftsräumen viel zur Entwicklung eines Viertels bei.» In Basel wurden schon länger keine neuen Genossenschaftswohnungen mehr gebaut. Der letzte Versuch, auf dem Areal eines Sportplatzes genau dies zu tun, scheiterte kürzlich zugunsten von mehr Grünraum an der Urne. Patrizia Bernasconi schüttelt darüber den Kopf. Denn obwohl auch neu gebaute Genossenschaftswohnungen teurer sind als bereits bestehende, braucht es laut Bernasconi solchen neuen Wohnraum, der um gut 20 Prozent günstiger sei als herkömmliche Mietwohnungen. Ausserdem soll Basel wieder eine Regelung für die Wohnbau- und Objektförderung erhalten, die bestehende war 2008 abgeschafft worden. Eine entsprechende Motion liegt zur Bearbeitung bei der Regierung. Am Rheinknie ist man noch weit vom Seefeld entfernt: Noch ist der Stand der Leerwohnungen nicht so dramatisch tief und die Chancen, eine bezahlbare Wohnung zu finden, sind einigermassen intakt. Die Entstehung neuer Quartiere bergen viele Chancen, eine Stadt noch lebenswerter zu machen: Mit einer guten Durchmischung der Quartiere durch die Kombination von herkömmlichem und gemeinnützigem Wohnungsbau. Mit dem intensiven Einbezug der Quartierbevölkerung in die Planung der neuen Viertel, mit der Förderung des Gemeinschaftsgefühls dank eigenen sozialen und kulturellen Angeboten zum Beispiel. Sie müssten nur gepackt werden. ■

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BILD: ANDREA GANZ

Le mot noir Frühlingspaket Kürzlich in meinem Mailkorb: Sansibar, Freitagabend, Absender: Marie: «Heute haben sie uns eine tote Antilope gebracht. Fast so schlimm ist: Sie geht nicht ins Tiefkühlfach! So ein verdammter, verdammter Mist!» Zürich, Samstagmorgen: «Mit Gewalt reinstopfen geht auch nicht? Ich mach das so mit den Bohnen. Aber haben die dort keine Konservendosen oder so? Frag doch mal das Rote Kreuz! Das Tier tut mir leid!!!» Sansibar, Samstagmorgen: «Das Tier tut Dir leid? Mir tun meine Kinder leid! Sie mussten die Antilope mit in die Badewanne schleifen. Ich hab das Vieh dort mit der Gartensäge zerlegt. Allein. Und nein: Ich will nicht darüber reden!!! … Was machen Deine Osterglocken?» Zürich, Samstagmorgen: «Zersägt? Was ist denn das für eine Geschichte? Ich dachte, Du kachelst das Bad erst im Sommer! Huuuh …

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Okay … Ich schick Dir ein paar Bohnen! Zu den Osterglocken: Ich glaube, die neue Wurftechnik funktioniert. Eine Handvoll Zwiebeln über die Schultern werfen und sie dort eingraben, wo sie landen. Keine Stängel mehr, die aussehen, als stünden sie Schlange. Erwarte ein wogendes Meer!» Sansibar, Sonntagmittag: «Du kommst doch im Sommer?! Bis dann hab ich das Hotel fertiggestellt. Bin schon am nächsten Projekt … ein Beachgarten. Wird Dir gefallen!! … Zürich, Sonntagabend: «Ich will Fotos! Und was macht euer Früchtegarten? Deine Mangokonfitüre ist übrigens schon verputzt … der Hund weiss es noch nicht. Sags ihm nicht! … Bist Du jetzt endlich eine Firma?» Sansibar, Sonntagabend: «Mhm, 85 Prozent von meinem Gewinn gehen an den Staat … Ah, mein Schwiegervater ist gestorben. Wir haben für 400 Trauergäste Sandwiches gestrichen. Hauptsächlich Familie … Was machst Du grad?» Zürich, Sonntagabend: «400? Da hast Du da unten wenigstens jemanden zum Reden. Aber 85 Prozent? Wow! Vielleicht solltet Ihr anfangen, Kartoffeln zu pflanzen! Ich sitze im Bistro und fische Croutons aus einer Zuccinisuppe. Die denken, die füttern hier eine Ente. Kann mich kaum mehr bewegen. Hab heute den Riemenboden im Atelier verlegt. Christoph hat gesägt … Huuuh… SÄ…GEN!» Sansibar, Sonntagabend: «Du MUSST kommen!»

Zürich, Sonntagabend: «Ich warte, bis das Bad gekachelt ist. Schicke Dir den Hund! Der braucht Sonne!» Sansibar, Sonntagabend: «Komm schon! Du kachelst das Bad … Ich schwimme mit den Delphinen … Du baust den Gewürzgarten … Du entwirfst die Küche … Hamid baut sie … Gut, das war jetzt gelogen. Hamid holt Dir ein Bier und Du sägst … Machst den Rest …» Zürich, Sonntagabend: «Ich will nicht darüber reden! … Lese grad die ‹Financial Times›: Weißt Du, was laut der die häufigste Todesursache bei Bibern ist? … Umfallende Bäume!» Sansibar, Sonntagabend: «Was ist mit Deinen schwarzen Tulpen? In grossen Gruppen sehen die sicher toll aus! Ich vermisse Euren Frühling!! … Mist, muss Schluss machen. Der Stromgenerator macht schlapp. Schicke Dir ein Frühlingspaket!» Zürich, Sonntagabend: «Afrikanische Veilchen??!!!!» Zürich, Montagmorgen: «Marie?» Sansibar, Dienstagabend: «Die Antilope.»

DELIA LENOIR LENOIR@HAPPYSHRIMP.CH ILLUSTRATION: IRENE MEIER (IRENEMEI@GMX.CH) SURPRISE 222/10


Stadtraumintervention Zum Schein den Aufstand proben Ein deutsches Künstlerduo inszeniert urbane Unruhen und bringt die Fiktion als behauptete Realität auf die Bühne.

Ein Fackelzug bewegt sich langsam die steile Altstadtgasse hinauf. Schneeflocken wirbeln durch die schneidend kalte Luft. Sich dem Münster nähernd, skandiert die Menschenmenge im Sprechchor eine Parole. Ein junges Pärchen blickt dem sich entfernenden Zug irritiert nach. Da geht ein Fenster auf, eine ältere Frau streckt den Kopf raus und erkundigt sich lächelnd: «Wogegen wird hier protestiert?» Und dann, ungläubig: «Ach, das ist nicht echt?» Nein, ist es nicht. Zwar handelt es sich beim Fackelzug mit Mahnwache genauso wie bei der Erstürmung des Rathauses, der Sitzblockade und dem Stoppen eines Trams um Unruhen. Allerdings wurden diese inszeniert und auf einen Film gebannt, um anschliessend in einen Theaterabend integriert zu werden. Als «Stadtraumintervention» bezeichnet das Kölner Künstlerduo Hofmann&Lindholm seine «Basler Unruhen». «Die Intervention als Kunstform ist bekannt aus der Konzeptkunst», erklärt Hannah Hofmann. Man interveniere in den öffentlichen Raum und in Strukturen, die in gesellschaftlichen Zusammenhängen vorzufinden sind. Den Untertitel «Stadtraumintervention» haben Hannah Hofmann und Sven Lindholm deshalb gewählt, weil er ihre Arbeitsweise sichtbar macht: nämlich auf die Stadt als Ort des Kunstgeschehens Bezug zu nehmen und sich in die Öffentlichkeit einzuschreiben. Zusätzlich soll das Theater als Raum genutzt werden, um eine Öffentlichkeit herzustellen. Und im Theaterraum soll dem Publikum ein Partizipationsangebot gemacht werden. Eine Mahnwache vor dem Münster, wo mit betroffenen Mienen Seite an Seite gesungen wird – noch dazu eine gespielte –, mag in unserer Gegend befremdend wirken. Doch genau das ist für das Künstlerduo Hofmann&Lindholm ein wichtiger Punkt. «Als wir nach Basel kamen, ist uns als erstes die wahnsinnig friedliche Atmosphäre aufgefallen», berichtet Hofmann. Da sie als Kunstschaffende stets nach Reibepunkten suchten, hätten sie sich gefragt: Was sehen wir nicht? Schliesslich haben die beiden das Gegenbild zur Ruhe in Form von Ausschreitungen und Extremsituationen entworfen. Mit der These, dass es hier dennoch «mächtig viel Unruhe» gebe; dass ein Potenzial des Aufbegehrens in jedem Einzelnen vorhanden sei. Hannah Hofmann schmunzelt, wenn sie sich die Dreharbeiten vor Augen führt. «Es gab sehr viel Unruhe! Und wie energiegeladen die Leute zu den Drehs kamen!» Sie bestätigt den Eindruck, den man als Aussenstehende gewinnt, nämlich dass sich hier eine eingeschworene kleine Gemeinde immer wieder einfindet, und zwar auch bei eisiger Kälte. «Es hat uns überrascht, in dem Mass unterstützt zu werden, und auch wahnsinnig gefreut», sagt die Künstlerin. SURPRISE 222/10

BILD: HANNAH HOFMANN/«BASLER UNRUHEN» 2010

VON MICHÈLE FALLER

Echte Bürger – erfundene Proteste: Realität und Fiktion vermischen sich während der «Basler Unruhen».

Ein «emotional kalkulierter Theaterabend» verspricht das Künstlerduo. Auf der Bühne werden sieben Bürgerinnen und Bürger aus Basel und Umgebung die filmisch festgehaltenen Unruhen kommentieren und dem Publikum eine sogenannte szenische Gebrauchsanweisung präsentieren. Obwohl die Anleitungen zum Aufstand es vermuten liessen, steckt kein konkretes politisches Anliegen hinter den inszenierten Protesten. «Es ist politisch, was wir machen, aber wir machen keine Politik. Welches Ziel verfolgt wird, lassen wir aussen vor», erklärt Hofmann. Gerade weil man diese Leerstelle sofort mit eigenen Motiven fülle, die ein Aufbegehren sinnvoll machten, oder eben auch nicht. Indem das Künstlerduo fiktive Geschichte schreibt, diese als Realität behauptet und dokumentiert, sodass kaum mehr zwischen Echtheit und Fiktion unterschieden werden kann, verweist es auch auf die Macht der Medien, denen wir meist glauben, was sie uns vorführen. Die Künstlerin bringt es auf den Punkt: «Die Grenzen unserer Wahrnehmung weichen auf, und wir müssen lernen, damit umzugehen.» ■ «Basler Unruhen», Premiere: 6. Mai, Theater Basel. www.theater-basel.ch, www.hofmannundlindholm.de

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BILD: ZVG/GEORGE FOK

BILD: ZVG

Kulturtipps

Fragen über Fragen – die Antworten dazu müssen Sie selbst herausfinden.

Buch Tiefgang statt Smalltalk Das schwedisch-schweizerische Autorenduo Mikael Krogerius und Roman Tschäppeler hat 565 Fragen und null Antworten zu einem Buch gebündelt: provozierend, erheiternd, entlarvend – und rundum anregend. VON CHRISTOPHER ZIMMER

Wie verhüten Sie? Haben Sie schon einmal Steuern hinterzogen? Wo würden Sie das System angreifen, wenn Sie es zerstören wollten? – Mit solchen und noch weit mehr Fragen, die und denen man sich stellen sollte, wartet das «Fragebuch» von Krogerius/Tschäppeler auf. Fragen rund um Kindheitserinnerungen, zu Singles, Sex und Glück, zum täglichen Selbst- und Fremdbild, zu Öko und Bio, Lust und Laster, zum Kinderkriegen und Kinderhaben. Fragen zum unvergesslichen «ersten Mal», aber auch zu den existenziellen «letzten Dingen». Fragen über Gott und die Welt oder am besten gleich mit Gott über die Welt – ein Kapitel, das für Gläubige und Ungläubige in der Frage gipfelt: «Wer glaubt an Sie?» Wer sich ins Fragefeuer dieses Büchleins begibt, den erwarten Kreuzund Fegefeuer, aber auch ein Feuerwerk, das aufweckt, belebt und entzündet. Das kann im Solo geschehen, kontemplativ und wie ein Tagebucheintrag, im stillen Kämmerlein oder auf einer langen Reise. Aber vielleicht noch spannender ist es in Gesellschaft, um diese gewinnbringend aufzumischen, statt, wie Krogerius in einem Interview sagt, von nichtssagenden Fragen genervt zu werden – lustvoller Tiefgang statt seichter Smalltalk. Allein oder gemeinsam schürt solch unbeirrbares Fragen das Denken und Miteinanderreden, kann es wohltuend der Sprachlosigkeit und dem Schweigen – oder Verschweigen – ein Ende setzen. So privat diese Sammlung zuweilen auch erscheint, es wird darin nicht nur Nabelschau betrieben. Wer sich darauf einlässt, steht auch als gesellschaftliches Wesen Rede und Antwort. Aktuell wird auf den Zahn der Zeit gefühlt. Zum Stimmverhalten in Sachen Asylgesetzgebung, EU, Bankenkrise und Rauchverbot oder zu den eigenen Vorurteilen. Je spontaner die Antwort, desto effektiver. Und wem spontan nichts einfällt, der oder die darf getrost ein «Weiss nicht» hinkritzeln. Denn, so die Autoren: «Es gibt keine richtigen Antworten – nur ehrliche.» Mikael Krogerius, Roman Tschäppeler: Fragebuch. Kein & Aber 2009. CHF 29.50.

Ein Konzept aus Blut und Zeitreise: Melissa Auf der Maur.

Rock MAdM multimedial Platte, Kurzfilm, Comic – Melissa Auf der Maur präsentiert ihr neues Werk dreifach. Blutig und unheimlich sind sie alle. VON RETO ASCHWANDEN

Ein Konzeptalbum. Ja, sind denn die 70er zurück, als Rocker ums Verrecken Künstler sein wollten? Aber halt: «Out Of Our Minds» sei ein Konzeptalbum des 21. Jahrhunderts, sagt Melissa Auf der Maur, kurz MAdM. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Titel mehr als nur Musik: Zusätzlich zur Platte gibt es einen Kurzfilm sowie einen Comic. Ein ambitioniertes Projekt, doch die 38-jährige Kanadierin weiss schon länger, wie eng Genie und Wahnsinn beieinander liegen. Mitte der 90er-Jahre bediente sie den Bass bei Hole, der skandalträchtigen Band von Kurt Cobains Witwe Courtney Love. Danach spielte sie bei den Smashing Pumpkins mit Billy Corgan, der schon immer eine Neigung zur Konzeptkunst kultivierte. 2004 erschien ihr erstes Album unter eigenem Namen, auf dem eine Vielzahl von Alternativrockgrössen sie begleiteten. Als sie im Zuge der folgenden Tournee in der Schweiz auftrat, legte sie den Termin so, dass sie ein Treffen mit weit entfernten Verwandten des selben Namens besuchen konnte – denn die Auf der Maurs stammen ursprünglich aus dem Kanton Schwyz. Danach wurde es ruhig, denn die rothaarige Schönheit musste wie viele andere Musiker eines Tages feststellen, dass ihre Ansprechpartner bei der Plattenfirma wegrationalisiert worden waren. «Out Of Our Minds» erscheint nun bei einem unabhängigen Kleinlabel. Dort gehört dieses – nun ja – Werk auch hin, denn für die breite Masse fehlen die eingängigen Singles und die Geschichte um ein Wikingerherz, blutende Bäume und einen Autounfall, der als Ritual inszeniert wird, wirkt, freundlich formuliert, surreal. Wer sich aber einlässt auf MAdMs dunkelroten Trip, wird belohnt mit fein ziselierten Rocksongs, die mit jedem Hören weitere Facetten offenbaren sowie Bildern zwischen Zeitreise, Albtraum und Psychothriller. Gut möglich, dass dieses Gesamtkunstwerk am Markt vorbeizielt. Doch zumindest offenbart es eine künstlerische Antwort auf die Krise der Musikindustrie. Mit Songs lässt sich ohnehin kein Geld mehr verdienen. Wieso also nicht multimedial in die Vollen gehen? Ihre Konsequenz verdient Respekt, MAdM. Melissa Auf der Maur: «Out of Our Minds» (Roadrunner IMV)

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BILD: ZVG

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Das Übel nimmt seinen Lauf: Vampir-Priester beisst Frau.

DVD Dies ist mein Blut Wird ein katholischer Priester zum Vampir, sollte man meinen, er könne damit umgehen. Schliesslich trinkt er bei jedem Abendmahl das Blut Christi. Doch mit der Lust nach Blut, steigt auch die Lust nach anderem. VON PRIMO MAZZONI

Film- und TV-Draculas sind wieder in. Der südkoreanische Regisseur Park Chan-wook steuert mit «Thirst» eine raffinierte Variante zum Kanon bei. Wer seinen «Old Boy» oder «Sympathy For Mr. Vengeance» kennt, ahnt, dass seine Geschöpfe der Nacht weder keusch noch brav sein werden. Blutig und schwarzhumorig geht es zu und her, in detailreich durchgestylten Bildern gefilmt. Park treibt mit uns und seinen Protagonisten derart üble Spässe, dass man manchmal kaum mehr weiss, ob man lacht oder schreit. Dabei fängt alles so herzensgut an. Ein katholischer Priester möchte so sehr den Menschen helfen, dass er sich als Versuchskaninchen für ein Heilmittel gegen ein tödliches Virus zur Verfügung stellt. Natürlich stirbt er dabei. Doch eine mysteriöse Bluttransfusion erweckt ihn wieder zum Leben. Während er fortan von einer Schar Jünger als Heiliger verehrt wird, entwickelt er einen unstillbaren Durst nach Blut. Und da er niemandem etwas zuleide tun will, zapft er Transfusionen an. Doch die Blutlust ist nicht das einzige, das in ihm erwacht. Bald beginnt er eine Affäre mit der attraktiven Frau eines ehemaligen Schulkollegen. Das Unvermeidliche folgt, auch sie wird zum Vampir. Die fatale Lady allerdings kennt nicht die geringsten Skrupel im Umgang mit ihren neuen Kräften und Begierden. Und schon bald stiftet sie ihren Erwecker zu weiteren dunklen Dingen an. Leider, muss man sagen, schrammt der Meister knapp an einem Meisterwerklein vorbei. Zu sehr verliert er sich in seine Spielereien, und lässt so manche Ungereimtheit störend offen. Nichtsdestotrotz ist «Thirst» die um Welten fröhlichere Alternative zu den «Twilight»-Schmachtfetzen, die einem breiten Publikum wohl bekanntesten neueren Beiträge im Blutsaugergenre.

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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

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VXL gestaltung und werbung ag, Binningen

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Scherrer & Partner GmbH, Basel

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TYDAC AG, Bern

05

KIBAG Strassen- und Tiefbau

06

OTTO’S AG, Sursee

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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

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Canoo Engineering AG, Basel

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Lehner + Tomaselli AG, Zunzgen

10

fast4meter, storytelling, Bern

11

Brother (Schweiz) AG, Baden

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Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf

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IBZ Industrie AG, Adliswil

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Zeix AG, Zürich

15

Zürcher Kantonalbank, Zürich

16

Axpo Holding AG, Zürich

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Experfina AG, Basel

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AnyWeb AG, Zürich

19

muttutgut.ch, Lenzburg

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Mobilesalad AG, Bern

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Proitera GmbH, Basel

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Coop Genossenschaft, Basel

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Alfacel AG, Cham

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Kaiser Software GmbH, Bern

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chefs on fire GmbH, Basel

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag! Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

Thirst/Durst (Bakjwi). Sprachen: Original mit deutschen Untertiteln oder Deutsch. Extras: Q&A mit Park Chan-wook, leider mangelhaft übersetzt. www.thirst-lefilm.fr

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BILD: ZVG/CATHRINE WESSEL

Ausgehtipps

Madrugada waren nicht weniger als die Verkörperung schwarzromantischer Rockmusik: Männer in Lederjacken, die bei Kerzenlicht von Liebe, Sex, Drogen und manchmal auch vom Teufel sangen. Doch mit Gitarrist Robert Burås starb auch die norwegische Band. Nun führt Ausnahmesänger Sivert Høyem die Tradition solo weiter. Zwar fehlt ihm der einstige Songwritingpartner bei den neuen Liedern hörbar. Im Konzert aber braucht Sivert Høyem nur seine Stimme zu erheben und jede Kritik wandelt sich in Wohlgefallen an diesem Bariton, der sich manchmal bis ins Falsett hochschwingt. Auf seiner Facebook-Seite fragte Høyem die Fans: «Any requests?» Viele wünschten sich was von Madrugada. Es besteht also Hoffnung auf die alten Hymnen. (ash) 18. April, 19 Uhr, Bierhübeli, Bern; 19. April, 20 Uhr, Abart, Zürich.

BILD: ZVG/CLAUDIA REMONDINO

Ein Bariton auf Solopfaden: Sivert Høyem.

Bern/Zürich Alleingang eines Ausnahmesängers

Anzeigen:

Kongeniale Klangkörper: Nadja Zela und ihre Hagström.

Zürich Mama singt den Blues Nadja Zela gehört zu den beständigsten Songwriterinnen der Schweiz. Mit Rosebud prägte sie den hiesigen Indiesound der 90er, danach entdeckte sie mit Fifty Foot Mama bluesigen Rock für sich. Vorläufiger Endpunkt ihrer Reise zu urtümlichen, reduzierten Klängen ist das Album «Ciao Amore». Inspiriert von frühem Delta-Blues spielte Zela die karg instrumentierten Lieder im Alleingang ein. Die Songs schwanken zwischen ruppigem Chanson und verspieltem Blues, klingen eingängig und gleichzeitig unbehauen. Nun geht es auf eine kleine Tour de Züri. Manchmal wird ein Schlagzeuger dabei sein, ansonsten aber reicht Nadja Zela ihre Charakterstimme und die gute, alte Hagström-Gitarre. (ash) 12. April, 20 Uhr, El Lokal; 17. April, 21.30 Uhr, Restaurant Rosso; 28. April, 20 Uhr, Kafi für dich; 29. April, 20.30 Uhr, Papiersaal, Zürich.

— www.theater-basel.ch, Tel. +41/(0)61-295 11 33 — 26

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BILD: ZVG

BILD: ZVG

Am Tanzfest steht niemand still, weder auf noch neben der Bühne.

Schweizweit Tanzen, danser, ballare

Alte Spiele neu entdecken in der Kyburg.

Kyburg bei Winterthur Mittelalterliche Spiele Auf einem Hügelsporn über der Töss thront das Schloss Kyburg, dessen Geschichte eine wechselhafte ist: Erstmals erwähnt wurde es 1027 unter dem Namen «Chuigeburg». Später gelangte sie in den Besitz Hartmann von Drillings, der dem Schloss den Namen «Kyburg» gab – und dieses Geschlecht wurde im Gebiet des heutigen Mittellands zur wichtigsten Adelsfamilie neben den Habsburgern und den Savoyern. Nach dem Tod des letzten Kyburgers 1264, sicherte sich Rudolf von Habsburg, der später zum deutschen König gewählt wurde, das Schloss. Heute laden unterhalb der alten Gemäuer an der Töss Feuerstellen und Bänkli zum Picknicken ein. Im Schloss selbst ist ein Museum untergebracht – besonders beliebt: die Folterkammer. Bis zum Herbst gibt es allerdings auch weniger Schauerliches zu entdecken: Im ganzen Schloss laden Spieltische zum Spielen ein, an denen die Herkunft und die Grundregeln der wichtigsten Gesellschaftsspiele von einstmals erklärt werden. (mek)

Zwei Tage lang (fast) überall wo man hingeht Grooven, Shaken, Schwofen, das Tanzbein schwingen wie man gerade Lust hat – das sind keine Wunschvorstellungen. Das Tanzfest machts möglich. An 17 Orten von Kreuzlingen bis nach Chiasso gibts Vorstellungen, Tanzkurse, Performances und Partys für Kinder Jugendliche und Erwachsene. (juk) Das Tanzfest, 24. und 25. April, Veranstaltungsorte und Programm unter www.dastanzfest.ch

Spielen auf der Kyburg, noch bis zum 31. Oktober 2010, Museum Schloss Kyburg,

BILD: ISTOCKPHOTO

Kyburg, www.schlosskyburg.ch

Bringt Geschmack ins Essen: Bärlauch. SURPRISE 222/10

Im Wald Bäriger Lauch Ab in den Wald und dann der Nase nach: Die Bärlauch-Saison ist auf ihrem Höhepunkt, das schmackhafte Kraut spriesst an schattigen, feuchten Lagen. Aber Vorsicht beim Sammeln, und den Bärlauch nicht mit dem Blättern von Maiglöckchen oder Herbstzeitlosen verwechseln: die sind giftig! Es gibt jedoch eine zuverlässige Methode, Bärlauch zu erkennen – riechen Sie daran. Denn das Kraut verströmt einen starken Knoblauchgeruch. Mit dem gesammelten Bärlauch können sie zu Hause allerhand anstellen: Mischen Sie ihn unter den Salat, machen Sie Pesto daraus, oder verarbeiten Sie ihn zu einer Suppe. (juk)

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Verkäuferporträt Endlich zusammen mit Baba BILD: ZVG

Zwei Jahre lang munterten Surprise-Kunden Ande Weldemariam (37) beim Verkaufen vor der Migros Bachmättli in Bümpliz auf, wenn er seine Familie vermisste. Heute ist der Eritreer glücklich, dass er mit Frau und Kindern in Freiheit leben kann. AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN

«Am 1. Januar 2007 habe ich Eritrea verlassen. 14 Jahre lang war ich in der Armee und die Möglichkeit, entlassen zu werden, gab es nicht. Der National Service liess mich nicht gehen, deshalb entschied ich mich zur Flucht, zuerst in den Sudan, dann weiter nach Libyen. Mein Ziel war Europa und endlich ein Leben in Freiheit. Meine Frau und meine Kinder wussten nicht, wo ich war, nur, dass ich geflohen war, weil Angehörige der Armee zu Hause nach mir gesucht hatten. Erst als ich in Italien angekommen war, rief ich meine Frau an. Sie war sehr traurig, dass ich weggegangen war. Zumal wir uns im Sommer 2006 zum letzten Mal gesehen hatten. Ende September 2007 bin ich in die Schweiz eingereist und habe einen Asylantrag gestellt. In meiner Flüchtlingsunterkunft in Konolfingen habe ich eines Tages vom Strassenmagazin Surprise gehört und habe dann im Oktober 2008 meine ersten Hefte verkauft. Seither ist mein Verkaufsort das Migros Bächmätteli in Bümpliz. Dort habe ich schon sehr viele nette Leute kennengelernt, und wenn ich einmal ein paar Tage nicht dort bin, fragen mich meine Kunden, ob ich vielleicht krank war. Meistens arbeite ich am Freitag und Samstag, weil dann am meisten Leute in die Migros gehen. Wenn das neue Heft erscheint, schaue ich immer zuerst, wer porträtiert wurde und wer dieses Mal Starverkäufer ist. Als ich letztes Jahr die Aufenthaltsbewilligung B erhalten habe, konnten meine Frau und die Kinder mir in die Schweiz folgen. Letzten September, nach über drei Jahren, haben wir uns endlich wiedergesehen. Wobei, das stimmt nicht ganz, meine älteste Tochter, die 14-Jährige, war letzten Herbst zu krank für die Reise und konnte erst vor drei Wochen nachkommen, und den Jüngsten, den Dreijährigen, habe ich erst hier zum ersten Mal gesehen. Die Kinder wussten eigentlich nicht, was sie in der Schweiz erwartete, aber sie waren glücklich, ihren ‹Baba› wiederzusehen. Es ist nicht gut, alleine oder eben ohne Vater oder Ehemann zu leben. Kurz bevor meine Familie angekommen ist, habe ich in Kehrsatz eine Wohnung für uns gefunden. Viele Kunden haben mir bei der Suche geholfen. Eine Frau hat sogar eine dieser Inseratekarten geschrieben und aufgehängt. Gefunden habe ich die Wohnung schliesslich dank dem Tipp einer Caritas-Mitarbeiterin. Von anderen Leuten habe ich unter anderem ein Kajütenbett und Bettwäsche geschenkt bekommen. Dafür bin ich sehr dankbar. Gut tun mir aber auch die vielen kurzen oder längeren Gespräche. Bevor meine Familie hier angekommen ist, haben mich die Leute immer wieder gefragt, wann sie denn nun endlich käme. Und nun, wo alle da sind, fragen sie immer, wie es ihnen geht. Diese Anteilnahme tut mir gut. In Kehrsatz gehen unsere neun- und elfjährigen Buben jetzt zur Schule, die Siebenjährige in den Kindergarten. Auch meine Frau und ich gehen zur Schule, wir sind beide im Deutschkurs. Die ganze Fami-

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lie ist also momentan am Lernen. Ich bin im sogenannten B1-Deutschkurs für schon ein bisschen Fortgeschrittene. Zurzeit habe ich täglich anderthalb Stunden Deutsch und hoffe, dass ich nachher beim Integrationsprogramm ‹co-opera›, einem Kurs für berufliche Integration, anfangen kann. In Eritrea musste ich gleich nach der Schule in den Militärdienst, mein einziger Beruf ist demzufolge eigentlich Soldat. Am Sonntag, wenn wir alle frei haben, geht die ganze Familie in die Kirche. Wir besuchen in Bern jeweils den Gottesdienst der eriträischorthodoxen Kirche und treffen dabei unsere Landsleute. Für grosse Ausflüge haben wir leider noch kein Geld. Ich muss gestehen, etwas vom wenigen, das mir hier nicht so gefällt, ist, dass alles so teuer ist. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Kinder gut durch die Schule kommen und dass wir alle eine Arbeit finden, um für unseren Lebensunterhalt aufzukommen. Aber im Moment, vor allem seit meine grosse Tochter nun auch hier bei uns ist, bin ich zu 100 Prozent glücklich! Jetzt können wir zusammen in Frieden und Freiheit leben.» ■ SURPRISE 222/10


Eine Chance für alle! Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte ber. Das verdient Respekt und Unterstützung. Regelmässige Verkaufende werden von Surprise-Sozialarbeiterinnen betreut, individuell begleitet und gezielt gefördert. Dazu gehört auch, dass sie von Surprise nach bestandener Probezeit einen ordentlichen Arbeitsvertrag erhalten. Mit der festen Anstellung übernehmen die Surprise-Verkaufenden mehr Verantwortung; eine wesentliche Voraussetzung dafür, wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarkt zu werden.

Starverkäufer BILD: ZVG

Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten als andere. Menschen, die sich aber wieder aufgerappelt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wieder einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassenverkäuferinnen und -verkäufer helfen sich sel-

Als Götti oder Gotte ermöglichen Sie einer Strassenverkäuferin oder einem -verkäufer eine betreute Anstellung bei Surprise und damit die Chance zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.

Kumar Shantirakumar Bern

Marlise Haas Basel

Bob Ekoevi Koulekpato Basel

Jovanka Rogger Zürich

Rita Scheurer und Christine Nydegger aus Bern nominieren Elsa Fasil zur Starverkäuferin: «Es ist jedes Mal eine Freude, wenn Elsa Fasil am Samstag vor dem Breitenrain Coop in Bern Surprise verkauft. Wenn wir kommen, strahlt sie und fragt jedes Mal: Wie gehts, wie gehts der Familie? Sie selber hat hier wenig, Freunde und ihre Familie ist in Eritrea, hat sie uns erzählt. Wir freuen uns jedes Mal, wenn wir sie sehen und wünschen ihr viel Erfolg.»

Ausserdem im Förderprogramm SurPlus: Peter Gamma, Basel Peter Hässig, Basel Tatjana Georgievska, Basel Marika Jonuzi, Basel René Senn, Zürich Anja Uehlinger, Baden

Fatima Keranovic, Baselland Jela Veraguth, Zürich Kurt Brügger, Baselland Andreas Ammann, Bern Wolfgang Kreibich, Basel

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welchen Verkäufer Sie an dieser Stelle sehen möchten: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41+61 564 90 99, redaktion@strassenmagazin.ch

Ja, ich werde Götti/Gotte von: 1 Jahr: 8000 Franken

1/2 Jahr: 4000 Franken

1/4 Jahr: 2000 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

1 Monat: 700 Franken

222/10 Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 222/10

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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.

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Herausgeber Strassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel, www.strassenmagazin.ch Geschäftsführung T +41 61 564 90 63 Fred Lauener, Agnes Weidkuhn (Assistenz GF) Öffnungszeiten Sekretariat Mo–Do 9–12 Uhr, T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@strassenmagazin.ch Redaktion T +41 61 564 90 70 Fred Lauener (Leitung), Reto Aschwanden, Julia Konstantinidis, Mena Kost, Thomas Oehler (Sekretariat) redaktion@strassenmagazin.ch Freie Mitarbeit Amir Ali, Michèle Faller, Andrea Ganz, Claude Giger, Delia Lenoir, Primo Mazzoni, Irene Meier, Isabel Mosimann, Dominik Plüss, Daniel Ryser, Isabella Seemann, Udo Theiss, Anna Wegelin, Priska Wenger, Christopher Zimmer Korrektorat Alexander Jungo Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 29 400, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 77 Therese Kramarz, Mobile +41 76 325 10 60 anzeigen@strassenmagazin.ch

Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden von der Strassenmagazin Surprise GmbH geführt, die vom gemeinnützigen Verein Strassenmagazin Surprise kontrolliert wird. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.

Marketing T +41 61 564 90 61 Theres Burgdorfer Vertrieb T +41 61 564 90 81 Smadah Lévy (Leitung) Vertrieb Zürich T +41 44 242 72 11 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, Mobile +41 79 636 46 12 r.bommer@strassenmagazin.ch Vertrieb Bern T +41 31 332 53 93 Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, Mobile +41 79 389 78 02 a.maurer@strassenmagazin.ch Betreuung und Förderung T +41 61 564 90 51 Rita Erni Chor/Kultur T +41 61 564 90 40 Paloma Selma Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Biert Trägerverein Strassenmagazin Surprise Präsident: Carlo Knöpfel Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. SURPRISE 222/10


Hier könnte Ihre Werbung stehen. Werfen Sie Ihr Werbegeld nicht auf die Strasse. Investieren Sie es dort. Surprise erreicht 135 000 Leserinnen und Leser. Und das in den grössten Städten und Agglomerationen der Deutschschweiz.* Denn dort stehen die 380 Surprise-Verkaufenden für Sie auf der Strasse. Tagtäglich. Ganze 80 Prozent der überdurchschnittlich verdienenden und ausgebildeten Käuferinnen und Käufer lesen die gesamte Ausgabe oder zumindest mehr als die Hälfte aller Artikel. Das Strassenmagazin steht für soziale Verantwortung und gelebte Integration. Mit Ihrem Inserat zeigen Sie Engagement und erzielen eine nachhaltige Wirkung. Anzeigenverkauf Therese Kramarz, T +41 76 325 10 60, anzeigen@strassenmagazin.ch

*gemäss MACH Basic 2009-2. SURPRISE 222/10

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Kaufen Sie ein Stadion Immer mehr sozial Benachteiligte finden Freude am Sport: 15 Teams streiten ab März dieses Jahres um den Schweizer Meistertitel der Obdachlosen Fussballer, eine Rekordzahl. Um die Begeisterung mit der passenden Infrastruktur unterstützen zu können, hat Surprise eine eigene Street-SoccerArena gekauft. Helfen Sie mit. Werden Sie Besitzer einer turniertauglichen Anlage von 22 x 16 m – mit Toren und Seitenbanden – und sponsern Sie einen oder gleich mehrere der 352 Quadratmeter à 100 Franken. Die Gönner werden auf einer Bande mit Namen verdankt.

Ja, ich will Stadion-Besitzer werden (Die Feldvergabe erfolgt nach Posteingang. Sollte ein gewünschtes Feld bereits verkauft sein, wird das nächste freie Feld zugeteilt.)

Ich kaufe folgende Felder à CHF 100 ( 1

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= bereits vergeben)

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Namenseintrag Gönnerbande

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Anzahl Felder

Total Kaufpreis

Talon bitte heraustrennen und schicken an: Strassenmagazin Surprise, Strassensport, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch

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