Surprise Strassenmagazin 223/10

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Waffenschwestern Zu Besuch bei den Frauen der Schweizer Armee Einheitsbrei Mundart: Warum wir immer ähnlicher sprechen

Unterrichtsstoff Purzelbaum – wo Kinder sich bewegen lernen

Nr. 223 | 23. April bis 6. Mai 2010 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


Macht stark. www.strassenmagazin.ch ❘ www.strassensport.ch ❘ Spendenkonto PC 12-551455-3 Strassenmagazin Surprise, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, Tel. 061 564 90 90, Fax 061 564 90 99

Ist gut. Kaufen! Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit – gute Sache. Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute. Alle Preise exkl. Versandkosten.

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223/10

*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch

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BILD: ANNETTE BOUTELLIER

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Inhalt Editorial Antreten zum Purzelbaum Leserbriefe Nicht lustig Chor Singen macht stark Basteln für eine bessere Welt «Glugger» auf Kollisionskurs Aufgelesen Babysimulator Zugerichtet Nächste Station: Strassburg In eigener Sache Asylsuchende Surprise-Verkaufende im Kanton Zürich Erwin … treibt Sport Porträt Empörung als Antrieb Strassensport Saisonstart der Superlative Wörter von Pörtner Widersprüche Landschaftsarchitektur Natur für Generationen Kulturtipps Fantastischer Freigeist Ausgehtipps Kunst am Kaffee Verkäuferporträt Schach, Vietnam und AC/DC Projekt Surplus Chance für alle! Starverkäufer In eigener Sache Impressum INSP

10 Armee «Hier gibts kein Nein: Hier muss man» Rund 1000 Frauen zählt die Schweizer Armee. Bei insgesamt knapp 200 000 Mann. Die Soldatinnen müssen in der Männerdomäne Militär hart im Nehmen sein, sportliche Höchstleistungen erbringen. Und austeilen können. Zwei Rekrutinnen und zwei Unteroffizierinnen erzählen, was sie – ausser Sold – für ihren Dienst am Vaterland bekommen.

14 Mundart Das Pyjama der Sprache BILD: ANDREA GANZ

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In der Öffentlichkeit Dialekt zu sprechen, ist für manche so privat, wie mit dem Schlafanzug auf die Strasse zu gehen. Das bewirkt, dass sich die Dialekte immer stärker angleichen. Die Sprach-Experten Christoph Landolt und Hans Bickel erklären im Interview, welche Auswirkungen diese Nivellierung der Mundart hat, wieso Frauen sie stärker vorantreiben als Männer, und weshalb gerade das Zürideutsch unter besonders starkem Druck steht.

17 Jugend und Sport Alarm in der Turnstunde BILD: ANDREA GANZ

Immer mehr Kinder und Jugendliche sind mit einfachen Koordinationsübungen überfordert. Das hat gravierende Konsequenzen: Purzelbaum, Seilspringen und Velo fahren sind nämlich nicht nur für die körperliche Entwicklung unerlässlich, sondern auch für eine gesunde Psyche. Sportwissenschaftler fordern deshalb eine Aufwertung des Turnunterrichts, Sport-Hausaufgaben und ein flächendeckendes Fördertraining.

Titelbild: Annette Boutellier SURPRISE 223/10

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REDAKTORIN

Editorial Antreten zum Purzelbaum In Liestal, der Hauptstadt des Kantons Baselland, versteht man es, mit einem schönen Aprilmorgen umzugehen: In den Kaffees wird Zeitung gelesen, man schlendert durch die Gassen, vor den Einkaufsläden blühen Osterglocken. Mitten im Städtchen liegt auch die Kaserne. Von vorne sieht sie aus wie ein modernes Schulhaus. Beim Hintereingang mit Blick auf den Hof aber wird klar: Was sich hinter den Barrieren beim Wachposten abspielt, funktioniert nach eigenen Regeln. Schwarze Soldatenstiefel schlagen schwer auf den Teer, unter einer Mütze mit Tarnmuster schaut ein rasierter Kopf mit tätowiertem Strichcode hervor, man spricht hier überdurchschnittlich laut. Vier der 372 Rekruten, die hier Dienst leisten, sind Frauen. Sie tragen die gleiche Uniform wie die Männer, das gleiche Sturmgewehr – und wenn ein Vorgesetzter seine Mütze vor ihnen auf den Boden wirft, dann machen sie Liegestützen. Zur Strafe. Für einen falsch gefalteten Pullover. Oder einen Lachanfall beim Antreten. Das oberste Gebot, um im autoritären System Militär zu funktionieren, ist Gehorsam. Wer nicht spurt, dem wird das Spuren beigebracht. Zweitoberstes Gebot: Kameradschaft. Drittoberstes Gebot: Disziplin. Und zwar immer. Sofort! Oder sind Sie schwer von Begriff?! Surprise hat vier Soldatinnen besucht, die sich freiwillig in den Dienst der feldgrauen Sache gestellt haben. Am Umgangston haben sie nichts auszusetzen. Aber die Kameradschaftlichkeit ihrer Kameraden birgt einiges an Optimierungspotenzial. Seite 10. Am Ton haben die beiden Herren im Interview ab Seite 14 ebenfalls nichts auszusetzen. Daran, wie wir sprechen, aber schon. Nämlich immer ähnlicher. Wieso sich die Schweizer Dialekte immer mehr angleichen, erklären zwei Redaktoren des Wörterbuchs der schweizerdeutschen Sprache. Ebenfalls ein Verlust: Immer mehr Schulkinder können nicht mehr Seilspringen. Wegen mangelnder Koordinationsfähigkeiten. Das ist nicht gut: Denn Bewegung ist wichtig für Körper und Psyche. Stefan Michel berichtet ab Seite 17, was in der Schweiz für die Rettung des Purzelbaums getan wird. Wir wünschen Ihnen gute Lektüre

Nett Ein grosses Lob an die Surprise-Verkäuferinnen und -Verkäufer. Jedes Mal, wenn ich ein Heft kaufe, freue ich mich über die netten Begegnungen. Ihr seid immer ein Sonnenschein! Michael Meier, per E-Mail Nicht lustig Das Strassenmagazin Surprise ist jedes Mal eine fantastische Überraschung. Das Einzige, das mir absolut nicht gefällt, sind die «Erwin»Comics. Ich finde diese weder geistreich noch

lustig. Vor allem der «Erwin» im letzten «Surprise» (Nr. 221, «Erwin geht nach Libyen»). Mit dem was seit langer Zeit nun vor sich geht, finde ich diesen Comic geschmacklos. Oder komme ich tatsächlich vielleicht nicht draus? Auf jeden Fall trägt es nicht zu einer so genannten «Sensibilisierung» des Themas bei. Aber sonst: Ich hoffe, dass Surprise ewig besteht, aber dass die Randständigen (schlimmer Ausdruck, finde ich) ein besseres Leben als ein «randständiges» Leben haben können. Cornelia Schaubiger, per E-Mail

Chor Singen macht stark BILD: DOMINIK PLÜSS

BILD: PABLO WÜNSCH BLANCO

MENA KOST,

Leserbriefe «Ich hoffe, dass Surprise ewig besteht.»

Surprise Chor: Demnächst wieder auf der Bühne.

Seit 2009 können Menschen in sozialer Not unter professioneller Leitung in einem Chor singen. Selbstständiges Üben, regelmässige Proben an Wochenenden und in Lagerwochen sowie öffentliche Konzerte fördern soziale Kontakte, stärken das Selbstvertrauen und eine zuversichtliche Lebenseinstellung. Dank guter instrumentaler Kenntnisse einiger Mitglieder entwickelte sich aus der reinen Singgruppe in den letzten Monaten auch eine eigentliche Begleitband für den Chor. Bereits stehen wieder Auftritte in mehreren Schweizer Städten auf dem Programm: Im Rahmen zweier Ausstellungen zum Thema Armut gastiert der Chor als nächstes in Zürich und Basel. Surprise Chor, Ausstellung «Wir sind arm», 24. April, ab 11 Uhr, Hirschenplatz Zürich; Vernissage Ausstellung «im-fall» – die Armut ist unter uns, 26. April, 17.30 Uhr, Elisabethenkirche Basel. Infos und Demovideo: www.strassenmagazin.ch

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt,

Herzlich, Mena Kost

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die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 223/10


ILLUSTRATION: WOMM

Sie brauchen: farbiges 160-Gramm-Papier, einen starken Karton als Grundlage, Leim, Schere, «Klämmerli».

Schneiden Sie das farbige Papier

Falten Sie die Streifen links und

Um eine 90 Grad Ecke zu erstellen, legen Sie

in lange Streifen.

rechts etwa 1 cm nach oben, so-

zwei Bahnen am jeweiligen Ende im 90 Grad

dass Bahnen entstehen.

Winkel übereinander. Schneiden Sie dort die einzelnen Wandführungen ab. Fixieren Sie die beiden Enden mit Leim an der Bodenseite.

Basteln Sie die Säulen für die Bahn eben-

Schneiden Sie die Säulen unten ein und

falls aus dem 160-Gramm-Papier: Rollen

falten Sie die entstehenden Flächen nach

Sie das Papier zu Säulen in der benötigten

aussen. So können Sie die Rollen wunder-

Länge. Kleben sie die Rollen an der Seite

bar auf die Bodenplatte aufkleben.

zusammen. Um den Leim trocknen zu lassen, können Sie die Enden mit «Klämmerli» fixieren.

START

Je nach Verlauf der Kugelbahn können Sie nun die einzelnen Säulen nacheinander auf die gewünschte Länge kürzen. So erhalten Sie den gewünschten Verlauf und die Steilheit für Ihre Bahn.

Kleben Sie jetzt die einzelnen Bahnelemente auf die Säulen. Verwenden Sie kleine Papierstreifen, um die Elemente zu befestigen.

Starten Sie nun zum ersten Testlauf mit den «Gluggern».

ZIEL

Basteln für eine bessere Welt Kürzlich läutete die Kollision zweier Protonen im Genfer Forschungsinstitut Cern eine neue Ära der Teilchenphysik ein. Die Protonen trafen mit sieben Billionen Elektrovolt aufeinander – für unsereiner schwer vorstellbar. Deshalb fangen wir im Kleinen an und schicken unsere «Glugger» auf der Surprise-Murmelbahn in etwas gemächlicherem Tempo auf Kollisionskurs. SURPRISE 223/10

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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Babysimulator Stuttgart. Die Begeisterung für ein Baby hält bei jungen Frauen meist so lange an, bis das niedliche Bündel zu schreien beginnt: In einem Kurs für verantwortungsvolle Sexualität und Elternschaft können Schülerinnen das Muttersein deshalb ausprobieren. Dazu bekommen sie für ein paar Tage einen Babysimulator ausgeliehen. Die Kunstbabys tun das Gleiche wie echte Kinder auch: schreien, pinkeln, sich unwohl fühlen, Hunger bekommen. Ebenfalls rund um die Uhr. Nach dieser Erfahrung hat die eine oder andere Kursteilnehmerin ihre Familienplanung nochmals überdacht.

«Beförderungserschleichung» Hamburg. Die Zahl der Menschen, die in Hamburg wegen Schwarzfahrens im Gefängnis landen, ist 2009 um einen Drittel gestiegen. Wie der Senat mitteilte, verbüssten vergangenes Jahr ganze 623 Leute eine Haftstrafe wegen «Beförderungserschleichung». Davon sassen 519 eine Ersatzfreiheitsstrafe ab, weil sie ihre Geldstrafe nicht bezahlen konnten. Im Jahr 2008 landeten hingegen nur 459 Schwarzfahrer hinter Gitter. Ein Hafttag kostet übrigens 133 Euro, umgerechnet also rund 190 Franken.

Stiller Hunger Schleswig-Holstein. Während weltweit rund eine Milliarde Menschen Hunger haben, gibt es fast ebenso viele, die unter dem sogenannten «stillen Hunger» leiden. Sie haben zwar genug Reis oder Brot zu essen, aber es fehlen ihnen wichtige Nährstoffe und Vitamine. «Der stille Hunger zerstört in Krisengebieten eine ganze Generation», sagt dazu der amerikanische Agrarwissenschaftler Joachim von Braun. Und warnt vor weiteren Nahrungskrisen: «Ohne Klimawandel rechnen wir im Jahr 2050 mit 113 Millionen unterernährter Kinder, unter Berücksichtigung der Klimaszenarien mit 140 Millionen.»

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Zugerichtet Nächste Station: Strassburg Der Herr im grauen Regenmantel ist ein schwieriger Fall, das begreift man schon zu Beginn der Verhandlung. Jene an hiesigen Richtstätten gern gesehene Bescheidenheit fehlt ihm gänzlich: Er versammelt seine Entourage um sich, ein Dutzend Verwandte und Bekannte, die ihn bei seinem grossen Auftritt vor dem Obergericht unterstützen sollen. Er ist gekommen, um Sühne für die an ihm begangenen Fehlbarkeiten einzufordern. Die erste Instanz hatte ihn wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 100 Franken sowie einer Busse von 1000 Franken bestraft. Sein Drang und sein Wille, Recht zu bekommen, schlagen sich in seiner Körperhaltung nieder. Roland T.* strotzt vor Selbstbewusstsein. Seinen Anwalt hat er gefeuert, er weiss sich besser zu verteidigen. Ob er arbeitet und wie viel er verdient, will er dem Richter, der auf Grund dieser Angaben die Bussgeldhöhe festsetzt, nicht verraten. «Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, werde ich Geld erhalten», sagt der studierte Ingenieur. In einer Augustnacht vor vier Jahren rief seine Tochter die Polizei. Roland T. soll sie verprügelt haben. Als die Polizei eintraf, weigerte er sich die Tür zu öffnen. «Dazu gab es nicht den geringsten Anlass», erklärt er. Auf einem Bündel beidseitig beschriebener Blätter hat er sein Plädoyer festgehalten, das er mit Inbrunst vorträgt. Seine Waffe ist das Wort. Das ist nicht tödlich, bloss tödlich zermürbend für den Zuhörer. Auf den Punkt zu kommen, ist seine Stärke nicht. Schon seine einleitende chinesische Fabel lässt vermissen, was ihn umtreibt.

Als die Polizisten in sein Zimmer eingedrungen waren, soll er sie laut erstinstanzlichem Urteil absichtlich mit Fäusten und Füssen traktiert haben, um sich gegen eine Verhaftung wegen häuslicher Gewalt zu wehren. Umgekehrt sei es gewesen, sagt der Mann, und klagte im Gegenzug vier Polizisten wegen Misshandlung an. «Polizist Meier hat mich sozusagen ermordet, als er auf meinen Rücken gekniet ist.» Bis nach Lausanne ging er, doch auch das Bundesgericht schmetterte sein Begehren ab. Die Amtssprache, die sich der 59-Jährige im Laufe seines Studiums von Gesetzeswerken und Verordnungen angewöhnt hat, reichert er mit den gängigsten Begriffen der RechtsstaatGeisselung an: Unrechtsjustiz, Willkür, extrem rechtswidrig, vollendeter Machtsmissbrauch und systematische Verletzung der Menschenrechte. Was er und seine Familie in den vergangen vier Jahren durchgemacht hätten, sei «Psychoterror, Folter, Guantánamo». Als Genugtuung verlangt er, dass ihm sämtliche Bussen, die die Stadt Zürich im vergangenen Jahr eingenommen hat, ausgehändigt werden. «Das meinen Sie nicht im Ernst, oder?», fragt der Richter nach. «Doch», sagt Roland T. standhaft. Überdies spreche er der Zürcher Justiz jede Rechtsstaatlichkeit ab und werde künftig seine Aussagen nur noch vor neutralen Stellen wie Amnesty International machen. «Sie können ja noch ans Bundesgericht», meint der Richter. «Nein, das ist zum Scheitern verurteilt, ich muss nach Strassburg», sagt er und packt seine Aktentasche. *persönliche Angaben geändert

ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 223/10


In eigener Sache Asylsuchende Surprise-Verkaufende in Zürich Das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) verbietet Asylsuchenden im Kanton Zürich den Verkauf des Strassenmagazins Surprise. Ohne Not, dafür mit abenteuerlicher Begründung. Im letzten Herbst entzog das AWA des Kantons Zürich alle Bewilligungen für Surprise-Verkaufende im Asylbereich (Ausweise N und F). Der Grund war eine Verschärfung der Amtspraxis. Eine gesetzliche Notwendigkeit, die bis dahin seit Jahren bewährte Praxis zu ändern, bestand nicht. Ein klärendes Gespräch wurde dem Surprise-Geschäftsführer von Amtsleiter Bruno Sauter damals verweigert. Immerhin ermunterte das AWA Surprise, ein der neuen Praxis angepasstes Beschäftigungsprogramm für Asylsuchende einzureichen. Ein Hintertürchen also, das man uns offen liess. Surprise kam der Aufforderung nach und entwickelte ein von externen Fachexperten geprüftes Beschäftigungsprogramm. Dieses wurde nun vom AWA Anfang April ebenfalls abgeschmettert. Um den in der Öffentlichkeit wenig populären Entscheid zu stützen, war sich das AWA nicht zu schade, den eigenen Regierungsrat in corpore, ohne dessen Wissen, als Schutzschild zu benutzen. Denn am selben Tag, als Surprise von dem Entscheid erfuhr, verschickte der Zürcher Regierungsrat eine Medienmitteilung, in welcher er zwar die Praxisverschärfung des AWA vom Herbst stützte, sich aber keineswegs zum neuen Beschäftigungsprogramm von Surprise äusserte, weil er dieses nämlich gar nicht kennt. In der Öffentlichkeit entstand jedoch genau dieser Eindruck. Weniger schlau, dafür umso gewagter ist die Begründung des AWA gegen das neue Surprise-Programm; und ausserdem im Ton und in der Form ziemlich arrogant: Statt einer einsprachefähigen Verfügung, spiesen uns die Beamten mit einem simplen Einschreiben ab, in dem uns hauptsäch-

ERWIN

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… treibt Sport

lich mitgeteilt wird, dass das AWA bei Gesuchen von sozialen Beschäftigungsprogrammen plötzlich gar nicht mehr zuständig sei. Bravo. In den weiteren Ausführungen stützt das AWA seinen Entscheid auf die widersinnige Annahme, dass Surprise als Unternehmen «der Verkaufsbranche» – wie die Migros oder der Coop – behandelt werden müsse, und dass eine integrative Wirkung «nicht gegeben» sei. Sauters Amt ohrfeigt mit dieser Haltung auch Surprise, aber in erster Linie all jene Verkaufenden aus dem Asylbereich, die der Schweiz für ihre Aufnahme etwas zurückgeben und nicht bloss den Steuerzahlenden auf dem Portemonnaie sitzen wollen. Diese Leute werden nun dazu verurteilt, sich wieder in den Asylheimen zu langweilen, auf den Strassen herumzuhängen, den Sozialstaat zu belasten und das schlechte Image in der Öffentlichkeit weiter zu schüren. Die Chance zu beweisen, dass nicht alle Asylsuchenden kriminell oder faul sind, wird ihnen genommen. Es gibt Kreise, für die eine solche Politik Kalkül ist. Das wollen wir dem AWA des Kantons Zürich hier nicht unterstellen. Immerhin hat es auch schon bewiesen – etwa in der sogenannten «Nanny-Affäre» um das bulgarische Kindermädchen eines VIP –, dass es im Bereich Ausländer durchaus kreativ mit den gesetzlichen Möglichkeiten umzugehen versteht. Surprise hat vom AWA nun eine formelle Verfügung verlangt und wird anschliessend das weitere Vorgehen festlegen. ■ Fred Lauener, Geschäftsführer Surprise

VON THEISS

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Porträt Machtvoll gegen die Ohnmacht Mit der Libyen-Affäre kam auch Daniel Graf ins Rampenlicht. Der Mediensprecher von Amnesty Schweiz schaut täglich in die Abgründe der Menschheit. Je dunkler es wird, sagt er, desto mehr muss man hinschauen. VON AMIR ALI (TEXT) UND ANDREA GANZ (BILD)

Wer Daniel Grafs Redefluss mitschreiben will, braucht einen flinken Stift. Bei seinen Stellungnahmen als Mediensprecher der Schweizer Abteilung von Amnesty International sieht man einen ruhigen Daniel Graf, der seine Worte mit Bedacht in die Kamera sagt. Jetzt, wo er in einem Zürcher Café unweit von seinem Büro bei einem Panaché über sich selbst spricht, tanzen seine Hände über den Tisch. Er wippt vor und zurück, rutscht auf seinem Stuhl hin und her, zückt immer wieder das Handy wie jemand, der jederzeit einen Anruf erwartet. Nervös wirkt Daniel Graf dabei nicht. Aber voller Energie. Schon in der Primarschule brockte ihm sein Mitteilungsbedürfnis die Verbannung in die einsame hinterste Reihe ein. «Wenn ich etwas spannend finde, muss ich darüber sprechen und aktiv werden», erklärt er. Und wenn er einmal angefangen hat, hört er nicht so schnell wieder auf. Gespräch heisst für Daniel Graf: Schalter umlegen, Präsenz rauffahren und volle Konzentration. Er sei kein Rampentier, sagt er. Und doch: «Manchmal fühlt sich das an wie eine One-Man-Show.» Graf weiss, dass da nicht alle mithalten können. Immer mal wieder entschuldigt er sich, wenn er das Gefühl hat, die neue Mitarbeiterin oder den jungen Praktikanten am Kaffeeautomaten verbal überfahren zu haben. Kommunikation ist keine Einbahnstrasse und Daniel Graf nicht nur ein starker Sender, sondern auch ein empfindlicher Empfänger. Leute, die ihn länger kennen, attestieren ihm Offenheit und Einfühlungsvermögen. Er sagt: «Ich interessiere mich für die Menschen, ihre Wünsche und Träume. Und ich versuche, sie darin zu bestärken, sie zu verwirklichen.» Dem feinen Gesicht sieht man die 37 Jahre nicht an, auch wenn das gescheitelte Haar und die schwarze Brille dem studierten Historiker ein seriöses Aussehen verleihen. Sein Arbeitsplatz im Zürcher AmnestyBüro ist aufgeräumt, von Stress keine Spur. Das mag daran liegen, dass Daniel Graf beim Treffen eigentlich Ferien hat. Doch längst hat er sich daran gewöhnt, dass sich Öffentlichkeit und Privatleben in die Quere kommen. Dass sein Handy 20 Mal klingelt am Tag: am Sonntag beim Brunch mit der Freundin, im Sommer in der Badi und unterwegs in den Alpen. Es kommt vor, dass Daniel Graf keuchend erklärt, er rufe gleich zurück. Um dann nach vollendetem Gipfelsturm auf der Bergspitze ein Statement abzugeben. Seit sich Amnesty in die Affäre um die beiden Schweizer in Libyen eingeschaltet hat, ist Daniel Graf als Mediensprecher ein gefragter Mann. «Der Ausnahmezustand ist zum Normalfall geworden», sagt er. In NGO-Kreisen gilt Graf als Spezialist für die neuen Medien und ihre Kanäle wie Facebook und Twitter. Mit der Online-Aktion «Kerzen nach Libyen» mobilisierte Amnesty innert kurzer Zeit 15 000 Leute zur Solidaritätsbekundung mit Max Göldi und Rachid Hamdani. Clever habe Graf seine Organisation hier inszeniert, sagen Kritiker. Natürlich sei die Aufmerksamkeit gut für Amnesty, räumt Graf ein. Aber darum gehe es nicht: «Max ist ein politischer Gefangener.» Die Geschichte der beiden Geschäftsmänner, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, hat

die Menschen aufgewühlt. Und Hilflosigkeitsgefühle ausgelöst. Mit der Kerzenaktion gebe Amnesty den Leuten ein Instrument, um aktiv zu werden, sagt Graf: «Nichts ist schlimmer als die Ohnmacht.» Vielleicht entzündete sich Daniel Grafs politisches Engagement an den Molotow-Cocktails, die vor 20 Jahren im zürcherischen Bachenbühl gegen das Asylbewerberheim flogen. Die Solidaritätskundgebung ein paar Tage später war seine erste Demo. Und er organisierte sie gleich selbst mit. Schon damals, als Kantischüler, machte Graf die Medienarbeit. «Man darf nicht wegschauen, wenn etwas passiert», sagt er heute. «Die Gewalt fühlt sich wohl im Dunkeln.» Nach Matur und abgebrochener Rekrutenschule reiste Daniel Graf Mitte der Neunziger mit der friedenspolitischen NGO «Service Civil International» auf den Balkan. In einem kroatischen Flüchtlingslager lebte er als Jugendarbeiter mit Vertriebenen aus Bosnien, die Front nur einen Granatenflug entfernt, die dumpfen Explosionen in der Ferne gehörten dazu. Daniel Graf kann sich nicht erinnern, Angst gehabt zu haben. Nie vergessen wird er aber die Männer, Frauen und Kinder, die nachts mit ihren Habseligkeiten in Plastiksäcken aus dem Bus stiegen: «Da bin ich in der Realität angekommen.» Zurück in der Schweiz, erzählte er anfangs viel über das Erlebte. Doch bald merkte er, dass viele Leute diese existenziellen Dinge nicht verstehen. Heute will er dafür sorgen, dass darüber gesprochen wird: «Es reicht, jemanden in einem Schweizer Ausschaffungsgefängnis zu besuchen. Die Welt, die wir zu kennen glauben, sieht danach anders aus.» Daniel Graf arbeitet in den Abgründen der Menschheit. Die Menschenrechte werden tagtäglich verletzt, egal ob in China, Russland, Sudan, den USA und Europa, im Iran. Im Viertelstundentakt kommen die Meldungen aus der Londoner Amnesty-Zentrale in seine Mailbox, Bildmaterial inklusive. Graf sichtet sie alle, überfliegt sie zumindest. Meist

«Man darf nicht wegschauen, wenn etwas passiert. Die Gewalt fühlt sich wohl im Dunkeln.»

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kann er sich die Zeit nehmen, um kurz durchzuatmen, bevor er ein Bild öffnet oder die Nachricht von einer Steinigung genau liest. Am schlimmsten erwischen ihn die Geschichten, auf die er nicht vorbereitet ist: «Was hinter der Ecke hervorspringt und schnell passiert, bleibt am längsten haften.» Wenn Graf im Zug sitzt und zwischen Zürich, Bern und Basel pendelt, hat er viel Zeit zum Nachdenken. Es sei immer wieder frustrierend, wenn man über Monate und Jahre für eine politische Gefangene gekämpft habe und irgendwann komme die Meldung: Hingerichtet. «Die Empörung wird zum Antrieb», sagt er. «Gerechtigkeit ist nicht einfach ein abstrakter Wert.» Das gilt nicht nur für Unrechtsstaaten weit weg. Auch wenn bei Ausschaffungen in Zürich-Kloten Menschen sterben, ergibt sich für Daniel Graf ein konkreter Handlungsbedarf. Mit Idealismus hat das für ihn nichts zu tun, sondern mit praktischer Notwendigkeit: «Ich kann nicht die ganze Welt verändern, aber die Welt um mich herum.» ■

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Armee «Die Frau muss man ablegen» In der Schweiz leisten diesen Frühling 7600 Rekruten Dienst. 40 davon sind Frauen. Für sie gelten die gleichen Regeln wie für ihre männlichen Kollegen: Gleiche Waffenpflicht, gleich lange Märsche – und im Kriegsfall: Landesverteidigung. Surprise hat in der Kaserne Liestal nachgefragt, wieso sie das freiwillig auf sich nehmen. VON MENA KOST (TEXT) UND ANNETTE BOUTELLIER (BILDER)

«Die RS ist etwas, das ich gemacht haben muss, um glücklich sterben zu können.» Rekrutin Schaller verzieht keine Miene. Sie meint es so. Rekrutin Mayer pflichtet der Kameradin bei: «Das ist so. Jawoll.» Beide nicken. Todernst. Die Infanteriekaserne Liestal wird von der Frühlingssonne beschienen. Mitten im Städtchen liegt sie; weiss, vierstöckig, Reihen quadratischer Fenster. Am Wachposten beim «Haupteingang Nordseite» müssen Zivilisten den Personalausweis abgeben. Dafür erhalten sie einen Badge, der sie als «Besucher» kennzeichnet. Es ist halb elf Uhr vormittags, ein Dienstag im April, auf dem Kasernenhof stehen Männer im Tarnanzug und Truppentransporter im selben dreckigen Militärgrün.

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Der Chef Logistik, der dem Besuch zur Seite gestellt ist, trägt eine Uniform, die auf der Brust mit «C.Heim» beschriftet ist. «450 Leute sind hier insgesamt untergebracht. 372 Rekruten, davon vier Frauen», erklärt er. Und: «Die Kaserne Liestal ist mit der neusten Sicherheitstechnik ausgestattet.» Die Genugtuung in Heims Stimme ist unüberhörbar: «Dieses Haus ist eine Festung.» Im Innern der Festung fläzen zwei Frauen auf den Sesseln im Eingangsbereich der Krankenstation. Eine trägt einen Tarn-, die andere einen Trainingsanzug; ebenfalls olivgrün und wie der Tarnanzug an der linken Schulterpartie mit Schweizer Kreuz und dem Schriftzug «SUISSE» bestickt. Als die Frauen den Chef Logistik erblicken, stehen sie auf, nehmen Haltung an, salutieren. Warum Heim in ziviler Begleitung ist, fragen sie nicht. Aber ihre Blicke verraten: Sie haben keinen Schimmer, worum SURPRISE 223/10


es geht. Später, in einem Büro mit weissen Tischen, Flipcharts, Plastikstühlen und ohne C. Heim werden sie erklären: «Nein. Wir wurden nicht über ein Interview informiert. Es hat geheissen: ‹Schaller! Mayer! 10 Uhr 30, Krankenstation›.» Rekrutin Myriam Schaller im Trainingsanzug streicht sich das dunkelblonde Haar hinter die Ohren: «Wenn wir ein Interview geben sollen, dann geben wir auch ein Interview.» Rekrutin Simone Mayer im Tarnanzug pflichtet der Kameradin bei: «Wird erledigt.» Nicht gleich losheulen! Die Anzahl Frauen, die Armeedienst leisten, ist seit zehn Jahren bei etwa 1000 stabil. Seit der Einführung der Armee XXI im Jahr 2004 werden Männer wie Frauen im 16. Altersjahr angeschrieben und über die Sicherheitspolitik der Schweiz informiert. Mit 18 Jahren dann werden die Männer zum Orientierungstag abkommandiert, die Frauen erhalten eine Einladung. Melden sie sich danach zur Rekrutierung an, durchlaufen sie die drei Tage dauernde Aushebung, genau gleich wie die Männer. Am Abend des letzten Tages wird entschieden, wer für diensttauglich – und wer für untauglich erklärt wird: Bei den Männern waren es im vergangenen Jahr von 38 000 Stellungspflichtigen rund 6800, die nicht zum Dienst einberufen wurden. Bei den Frauen von 115 genau 14. «Dass prozentual weniger Frauen dienstuntauglich sind, hat einen einfachen Grund: Jeder Mann muss an der Rekrutierung teilnehmen. Von den Frauen kommen nur diejenigen, die wirklich ins Militär wollen. Im Normalfall haben sie sich das im Vorfeld sehr genau überlegt», sagt Kirsten Hammerich, Informationschefin Heer der Schweizer Armee. Die Rekrutinnen Schaller und Mayer sind am 15. März dieses Jahres eingerückt, heute beginnt ihre vierte Woche. Simone Mayer, 25, aus Zürich, im zivilen Leben Krankenschwester, weiss genau, warum sie hier ist: «Man kann hier nicht einfach sagen: Ich will nicht. Hier muss man. Es gibt kein Nein. Das entspricht mir. Der Umgangston ist zwar harsch, hier wird ständig ‹umegheepet›. Aber nur so lernt man es.» Schon als Fünfjährige habe sie den Eltern gesagt, dass es ihr stinke, kein Bub zu sein. Weil: Buben, die könnten ins Militär. Jahre später begeisterten sie die RS-Geschichten älterer Kolleginnen. Ihre Entscheidung aber habe damit nichts zu tun. «Der Wunsch, ins Militär zu gehen, kam aus mir selbst.» Da Mayer einmal die Sanitätsschule besuchen möchte, wollte sie Sanitätssoldatin werden. Der Tag nach der Aushebung, als die Funktionen verteilt wurden, war ihr 25. Geburtstag. Da habe es geheissen: «Frau Mayer, ich gratuliere Ihnen! Was wünschen Sie sich? Sanitätssoldat? Steht leider nicht auf der Wunschliste. Dafür sind Sie zu sportlich. Sie werden Infanteriesicherungssoldat.» Da könne man dann nichts machen, sagt die 161 Zentimeter grosse, braunhaarige Frau, und ihr lässiges Schulterzucken will nicht ganz zum strengen Stolz in ihrer Stimme passen: «Ich habe schon immer viel Sport gemacht. Manchmal vergessen meine Kameraden, dass ich eine Frau bin. Sie nehmen mich eben ernst.» Allerdings wird Mayer von den Soldaten nicht nur ernst genommen, weil sie körperlich mithalten kann: «Das Militär ist eine Männerdomäne. Man muss die Frau ablegen.» Man dürfe etwa nicht gleich losheulen, wenn einem ein Fingernagel abbreche, aber vor allem: «Wenn ein blöder Spruch kommt, muss man ihn zu parieren wissen.» Mayer wirft Kameradin Schaller einen Blick zu: «Aber zum Thema sexistische Sprüche kannst du dann ja erzählen, gell.» Kameradin Schaller fixiert einen Punkt irgendwo auf der weissen Wand hinter dem weissen Tisch: Sie scheint es mit ihren männlichen Kollegen nicht ganz einfach zu haben.

wurden in der Kriegswäscherei, der Soldatenfürsorge, im Gesundheitsbereich, in Verwaltung oder Küche eingesetzt. In den 80er-Jahren dann, mit dem 1981 in der Bundesverfassung festgeschriebenen Grundsatz der Gleichstellung von Mann und Frau, wurden den Frauen nach und nach alle Wege in der Armee geöffnet. «Seit 2004 gilt absolute Gleichstellung», sagt Hammerich. Für Frauen ist die Teilnahme an der Rekrutierung allerdings nach wie vor freiwillig. Wer sich aber danach mit seiner Unterschrift für eine Funktion verpflichtet, hat fortan nicht nur die gleichen Rechte – gleiche Ränge, gleicher Sold – sondern auch dieselben Pflichten wie die männlichen Kameraden: Anzahl Diensttage, Bedingungen für einen verfrühte Entlassung, Waffenpflicht. Hammerich: «Wir leben zwar in tiefstem Frieden. Käme es zum Kriegsfall, würden Soldatinnen aber wie Soldaten zur Landesverteidigung eingezogen.» Lieber als von den Problemen mit den männlichen Kollegen zu erzählen, mag Rekrutin Schaller darlegen, wieso sie hier ist: Auch sie wollte bereits als Kind zur Armee, im zweiten Kindergarten schon stol-

«Hier kann man nicht einfach sagen: Ich will nicht. Hier muss man. Das entspricht mir.»

Grenzen kennenlernen! Wer Informationschefin Hammerich fragt, wie lange Frauen in der Schweiz schon ins Militär können, erhält die Antwort: «1939, Mobilmachung, Zweiter Weltkrieg.» Beim sogenannten Frauenhilfsdienst, kurz FHD, leisteten die Frauen jedoch keinen Dienst an der Waffe, sondern SURPRISE 223/10

zierte sie mit der Rotkreuz-Uniform der Mutter durch die Wohnung. Für die 21-jährige Protectas-Mitarbeiterin aus Bern steht «das Patriotische» im Vordergrund. Sie sagt: «Ich bin überzeugter Eidgenosse. Ein richtiger Schweizer hat ins Militär zu gehen.» Sollte irgendwann einmal etwas passieren, dann wolle sie nicht am Tischli im Chucheli sitzen und Angst haben vor den Bomben. Nein, dann wolle sie das Vaterland beschützen. «Auch wenn ich dabei sterbe.» Ausserdem wolle sie später wahrscheinlich zur Polizei. Da sei es von Vorteil, die RS absolviert zu haben. Hier lerne man seine Grenzen kennen, physisch und psychisch – vor allem aber psychisch. Sie müsse sagen, es habe auch schon Tränen gegeben. «Die Integration der Frauen in die Armee klappt gut, eigentlich», sagt Kirsten Hammerich. Gerade die Uniform leiste punkto Integration einen wichtigen Beitrag: «Sie macht alle gleich, man gehört automatisch dazu.» Aber die Armee sei natürlich ein Spiegelbild der Gesellschaft: Wer vor dem Militär kein Problem mit Frauen gehabt habe, habe auch im Militär keines. Leider gelte dieser Schluss aber auch umgekehrt: «Es gibt immer ein paar Ewiggestrige.» Konfrontiert mit den Zahlen einer aktuellen deutschen Studie, die besagt, das 58 Prozent der Soldatinnen im deutschen Heer von sexistischen Bemerkungen betroffen sind, verrät Hammerich: «Ich bin selbst ehemalige Rekrutin und heute im Stab eines Infanteriebataillons.» Der Ton ihrer Stimme verändert sich, wird härter, sie spricht jetzt deutlicher: «Blöde Sprüche kommen vor. Wie in jedem anderen Land auch. Wer meint, er werde auf Händen getragen, ist bei uns falsch. Aber wer Leistung bringt, wird akzeptiert.» Allerdings müssten die Frauen nicht mehr leisten als die Männer. Das unterscheide das Militär von der Wirtschaft. «Aber gleichviel leisten, das müssen sie.» Zähne zusammenbeissen! Welches sind die wichtigsten Eigenschaften einer Soldatin, Rekrutin Mayer? «Durchhaltewillen. Motivation. Kameradschaft.» Und was bedeutet Kameradschaft, Rekrutin Schaller? «Dass man sich gegenseitig unterstützt.» Und was sind das für Sprüche, die Sie von Ihren Kollegen zu hören bekommen? Schallers Blick wird wieder starr. Aber erzählen will sie nichts. Nur so viel: Was sie zu hören bekomme, versuche sie einfach wegzuschieben. Aber irgendwann verletze es trotzdem. Es sei immer die gleiche Handvoll Leute, die gemeine Sprüche mache. Nicht alle. Aber: Wenn sie mit einem Kameraden eine Zigarette rauche, dann werde nachher auch dieser blöd angemacht. Danach wolle keiner mehr mit ihr eine Zigarette rauchen. Damit umzugehen, sei nicht einfach. Aber: «Das beste Mittel ist auf die Zähne beissen und auf Durchzug schalten.» «Jawoll!», sagt Kamera-

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din Mayer und wechselt zu einem erfreulicheren Thema über: Den Waffen. Sturmgewehr, Pistole, Handgranate, kurz: HG. «Schiessen ist spannend», sagt Mayer fröhlich. Auch Schallers Miene hellt sich auf: «Das ist auch ein Grund, für den es sich lohnt, ins Militär zu gehen: Wo wird einem sonst beigebracht, mit einem Sturmgewehr umzugehen?» Auf der Fahrt im geräumigen weissen PKW von C. Heim zum Waffenplatz auf dem Seltisberg ob Liestal erklärt der Chef Logistik: «Seit heute hängen die Anwärterlisten aus. Schaller und Mayer stehen ebenfalls drauf. Wenn sie sich in den nächsten zwei Wochen beweisen, können sie an die Kaderschule in Colombier.» Anwärterlisten? Kaderschule? Was im zivilen Leben auch profan «weitermachen» genannt wird, wird armeeintern wie ein Ritterschlag für Frischlinge verhandelt: «Im persönlichen Gespräch», erklärt C. Heim, «wird abgeklärt: Will der Rekrut? Hat er wirklich das Format dazu? Ist der Leumund einwandfrei?» Und was, wenn der Rekrut nicht will? C. Heim schüttelt milde lächelnd den Kopf: «Gezwungen wird heute kaum mehr jemand.» Man habe viel Erfahrung darin, abzuschätzen, wer als Kader in Frage komme und wer nicht. «Es ist höchstens so, dass der Rekrut zuerst nicht will, später dann aber zufrieden ist mit der Situation.» Die Strasse auf den Seltisberg ist steil. Drei Mal die Woche laufen die Rekruten diesen «Stutz» hoch. Allerdings nicht auf der kurvenreichen Strasse, sondern auf geradem Weg. Durch den Wald. Auf der Hochfläche angekommen, wird dem vorfahrenden PKW die rotweisse Schranke geöffnet. Dahinter liegt der Waffenplatz: Wiesen, blühende Schlüsselblumen, eine Katze, die durchs Gras schleicht. Die Frühlingsluft ist warm. Dann setzt das Gewehrfeuer ein. Auf einer Häuserruine aus Beton sitzen zwei Obergefreite im Praktikum zum Wachtmeister, auch Unteroffiziere genannt, oder besser: Unteroffizierinnen.

Simone Hug und Stephanie Komminoth sind erst seit Kurzem wieder in Liestal; hier haben sie ihre RS begonnen, von hier aus wurden sie in der siebten Woche zur zweimonatigen Kaderausbildung nach Colombier abkommandiert, und hier werden sie sich jetzt den Wachtmeister «abverdienen». Morgen ist ihr grosser Tag: Zum ersten Mal werden sie vor einer Gruppe Rekruten stehen, um sie zu befehligen. «Drillpiste» steht auf dem Programm. «Wir können nichts dafür. Aber Drillpiste bedeutet: Wir lassen sie leiden», sagt die 22-jährige Komminoth und lacht auf: «Die meisten werden einen Kopf grösser und doppelt so breit sein wie wir. Wir wissen nicht, wie sie auf uns reagieren werden. Vielleicht sagen sie: Wieso sollten wir auf dich hören, du bist doch eine Frau.» Die 20-jährige Simone Hug aus Zürich sieht das anders: «Immerhin haben wir für

«Manchmal vergessen meine Kameraden, dass ich eine Frau bin. Sie nehmen mich eben ernst.» unseren Grad hart gearbeitet. Wir müssen ja wohl nicht beweisen, dass wir 100 Liegestützen schaffen. Wir Frauen haben es eben nicht so sehr hier» – Hug klopft sich mit dem Zeigefinger auf den Oberarm –, «sondern hier», und der Finger tippt energisch an die Mütze. Leiden lassen! Die beiden Unteroffizierinnen schauen gerne auf ihre bisherige Dienstzeit zurück: «Mich hat die Herausforderung gereizt», sagt Modeverkäuferin Komminoth aus Bern. Eines Tages habe sie gedacht: Es wird doch wohl noch mehr geben im Leben! Und so war es: «Im Zivilen ist der Punkt, an dem man sagt, ich mag nicht mehr, sehr tief unten. Im Militär erkennt man: Wir können 1000 Mal mehr leisten, als wir meinen. Physisch und psychisch. Diese Erfahrung kann mir niemand mehr nehmen.»

Bald wird Unteroffizierin Komminoth zum ersten Mal eine Gruppe Rekruten befehligen: «Ich weiss nicht, wie sie auf mich reagieren werden.»

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Nachwuchskader: Stephanie Komminoth und Simone Hug.

Die Rekrutinnen Simone Mayer und Myriam Schaller.

Körperliche Höchstleistungen, Schlafmangel, Kälte, keine Privatsphäre. Befehle, Befehle, Befehle. Und Liegestützen zur Bestrafung. «Ja, es sind die Herausforderungen, die es ausmachen», findet Züricherin Simone Hug und schiebt eine blonde Strähne, die der Wind aus der Haarklammer gezupft hat, wieder an ihren Platz. «Sie sind das Schlimmste im Militär – 40 Kilometer-Märsche! – aber auch das Schönste.» Eigentlich, erklärt Hug, hätte sie ja gar nicht das Ziel gehabt, weiterzumachen. Aber eines Tages habe sie ihren Namen auf der Anwärterliste entdeckt. «Danach kamen die Gespräche. Eine Wahl hatte ich eigentlich nicht.» Aber schliesslich habe sie freiwillig unterschrieben. Heute sei sie mit der Situation zufrieden. «Ich bereue nichts.» Während Hug und Komminoth auf der Häuserruine Auskunft geben, besichtigen ihre männlichen Kollegen den Schiessplatz auf einer höher gelegenen Wiese: Der Waffenplatzchef erklärt, von wo aus geschossen werden darf. Und vor allem: Von wo aus nicht. Das sollte man schon wissen, deshalb fährt C. Heim die beiden Unteroffizierinnen kurzerhand in seinem PKW hoch – trotz der mit Erde verkrusteten Stiefel. «Bevor ich hierher kam, war ich sehr schüchtern», erklärt Hug während des Fährtchens. Heute könne sie besser vor andere hinstehen. Gerade, verstehe sich. Und sagen, was es eben zu sagen gebe. «Das mit dem Selbstbewusstsein hat meine Mutter ebenfalls bemerkt. Das Militär ist eben eine Lebensschule», sagt sie. Was denken die Unteroffizierinnen: Sollte das Militär also auch für Frauen obligatorisch sein? «Nein, sicher nicht», tönts im Chor. «Die meisten Frauen wollen viel zu sehr Frau sein. Wer hier ist, muss das wirklich wollen. Sonst schafft man das nämlich nicht», sagt Komminoth.

Und Hug: «Wenn jemand nicht will, dann lernt er auch nichts.» Sollte der Militärdienst dann aber vielleicht auch für Männer freiwillig sein? Das «Nein» kommt wieder unisono, die beiden müssen lachen. «Im Militär wird ein Mann erst zum Mann», erklärt Hug.

«Wo wird einem sonst beigebracht, mit einem Sturmgewehr umzugehen?»

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C. Heim biegt auf den Schotterweg neben dem Schiessplatz ein und bringt den Wagen sanft zum Stehen. Beim Aussteigen sagt Komminoth zur Kameradin: «Da hast du recht. Den Jungs tut die RS gut. Hier lernen sie wenigstens einmal, wie das geht: ganz alleine ein Bett beziehen.» Dann gehen die beiden Unteroffizierinnen zu ihren Kameraden hinüber. ■

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Mundart «Sprache wird jeden Tag neu produziert» Der eigene Dialekt steht für Nähe und Gefühl. Doch in letzter Zeit kommt die Mundart unter Druck: Immer öfter soll hochdeutsch gesprochen werden, und in den Agglomerationen im Mittelland wachsen angeblich die Dialekte zusammen. Christoph Landolt und Hans Bickel sind Redaktoren beim Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. Sie betrachten die laufende Entwicklung mit akademischer Gelassenheit: Veränderungen sind für sie natürlich, denn eine Sprache kann nur dann überleben, wenn sie sich dem Lauf der Zeit anpasst. VON RETO ASCHWANDEN (INTERVIEW) UND ANDREA GANZ (BILDER)

Erkennen Sie als Dialektexperten im Gespräch sofort, woher jemand stammt? Hans Bickel: Man muss einen Bezug haben. Einen Glarner würde ich vielleicht nicht auf Anhieb erkennen. Aber im Raum Bern, wo ich herkomme – ob einer Seeländer ist oder Oberländer, das macht auch heute noch einen himmelweiten Unterschied. Auch heute noch – es gibt aber Veränderungen in den Dialekten? Christoph Landolt: Die Nord- und Ostschweiz verändert sich ziemlich schnell. Berndeutsch und der Freiburger Dialekt hingegen sind relativ stabil.

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Hans Bickel: Auch in Basel bemüht man sich, den eigenen Dialekt zu bewahren, insbesondere im fasnächtlichen Brauchtum. Manche Basler behaupten, sie könnten unterscheiden, ob einer aus dem Klein- oder Grossbasel kommt. Hans Bickel: Das kann man durchaus. Christoph Landolt: Auch heute noch? Das würde ja bedeuten, dass die Leute immer noch über mehrere Generationen im selben Stadtquartier wohnen. Sprache hat ja auch mit Heimat und Zugehörigkeit zu tun. Christoph Landolt: Ich weiss nicht. Man spricht halt die Mundart, mit der man aufgewachsen ist, oder jene des Ortes, wo man lebt. Manche SURPRISE 223/10


Leute haben freilich ein höheres Sprachbewusstsein als andere. Umgekehrt weiss man, dass Frauen auf sprachliche Neuerungen schnell reagieren und moderner reden. Wie zeigt sich das konkret? Christoph Landolt: Sie übernehmen neue Worte und Laute. Auch an Orten, wo ein eigentlicher Sprachwechsel vor sich geht, passen sich Frauen schneller an als Männer. Warum ist das so? Hans Bickel: Als These könnte ich mir vorstellen: Wenn ein Dialekt unter Druck gerät, wird er ins Private verdrängt, während man sich in der Öffentlichkeit fast ein wenig dafür schämt. Ich habe eine Zeit lang im Tessin als Lehrer unterrichtet. Die Mädchen am Gymnasium sprachen fast alle italienisch. Der Dialekt, erklärten sie mir, sei nur für daheim. In der Schule würden sie nie Mundart sprechen, denn das wäre, als ginge man im Pyjama aus dem Haus. Frauen haben ein grösseres Bewusstsein dafür, was sich gehört und was nicht.

Passiert das auch an anderen Orten? Christoph Landolt: Nehmen Sie die Walliser: Heute haben die faktisch einen Normalschweizer Wortschatz, den sie walliserdeutsch aussprechen. Auch wenn es für uns noch immer sehr eigen klingt – mit der Walliser Mundart von anno dazumal hat der heutige Dialekt nicht mehr viel zu tun. Wieso wandeln sich manche Dialekte weniger als andere? Hans Bickel: Beim Berndeutschen spielt vielleicht eine Rolle, dass es Literatur und Popmusik in dieser Mundart gibt. Wenn Polo Hofer singt: Ir Chuchi schmöckts so guet nach Brägletem. Bräglets ist ein uraltes Wort für Speisen, die man in der Pfanne brät. Wenn jemand aus der Populär-

«Aus Kulturen, die ein geringes Prestige aufweisen, wird nur wenig übernommen.»

Es gibt traditionelle Lehnwörter aus anderen Sprachen – zum Beispiel Fazaneetli für Taschentuch im Kanton Uri … Christoph Landolt: Das gabs in Zürich auch … … oder Quellerettli (von Quelle heure est-il?) für Uhr in Basel. Das sind Ausdrücke, die vor Generationen aus dem Italienischen bzw. Französischen übernommen wurden. Kennen Sie aktuellere Beispiele für Begriffe, die aus Fremdsprachen in den Dialekt übernommen wurden? Hans Bickel: Ganz viele. Der Kompi etwa aus dem Englischen. Christoph Landolt: Oder fooden, dabei gibts das im Englischen gar nicht als Verb. Hans Bickel: Von den Italienern haben sich Ciao sowie einige Begriffe aus der Küche eingebürgert. Und es gibt auch pseudo-italienische Wortschöpfungen: Die Condomeria zum Beispiel – ein Wort, das im Italienischen nicht existiert, für das man sich aber einer italienischen Morphologie bedient. Wie sieht es aus mit osteuropäischen Einflüssen? Hans Bickel: Aus Kulturen, die ein geringes Prestige aufweisen, wird nur wenig übernommen. Christoph Landolt: Trotzdem gibt es Einflüsse aus dem Osten: Zwar kennen wir kaum albanische Wörter. Die Lautung aber, den Klang des Albanischen, finden wir im Jugendjargon wieder. Man hört immer wieder vom Phänomen des «Mittelländisch»: Die Dialekte zwischen den Zentren Zürich, Basel, Bern, Luzern, St. Gallen gleichen sich angeblich immer mehr an. Ist das so? Hans Bickel: Die Orte, die Sie nennen, liegen zu weit auseinander. Vom Aargau Richtung Osten hingegen lassen sich durchaus Angleichungen beobachten. Christoph Landolt: In der Nordostschweiz sind die Eigenheiten am Zusammenkrachen. Sie haben zwar noch ihre spitze Sprache, aber alles, das tiefer geht, wird aufgegeben Hans Bickel: Sankt Galler sprechen doch nicht wie Zürcher. Christoph Landolt: Doch, ein Stück weit schon. Früher hat man in der ganzen Nordostschweiz «braat» gesagt, heute heisst es «breit». Damit hat eine ganze Region eine Eigenheit aufgegeben zugunsten eines NormSchweizerdeutschen. Insofern gibt es schon eine Entwicklung zum Mittelländisch. Früher gab es diesen Spruch: E Zaane voll Saapfe d Laatere abschlaapfe – eine Zeine voll Seife die Leiter runterschleifen. Heute spricht niemand unter 30 mehr so. SURPRISE 223/10

kultur solche Ausdrücke benutzt, dann kann man sie auch im Alltag weiterhin verwenden. In Bern schämt sich niemand für seine Mundart. Das tun die Zürcher auch nicht. Christoph Landolt: In Zürich ist die Situation aber insofern speziell, als es ein Schmelztiegel ist. Alteingesessene machen nur etwa ein Drittel aus, ein weiteres Drittel kommt aus dem Rest der Schweiz und noch mal ein Drittel aus dem Ausland. Deshalb steht Zürideutsch unter einem grösseren Druck als andere Dialekte. Sie, Herr Landolt, sind Zürcher. Geben Sie Gegensteuer? Christoph Landolt: In der Beiz sage ich konsequent Nidel und Barille – aus Sprachkonservatismus und weil ich Freude dran habe. Das Personal muss dann meist nachfragen … Barille? Christoph Landolt: Aprikose. Hans Bickel: Das ist ein Spiel. Christoph Landolt: Nein, mit diesen Wörtern bin ich aufgewachsen. Und ich bin nicht bereit, die aufzugeben. Aber klar: So redet kaum noch jemand. Die Sprache ist ständig in Bewegung. Es wäre also widernatürlich, einen Dialekt in einer bestimmten Form konservieren zu wollen? Hans Bickel: Auf jeden Fall. Sprache wird jeden Tag neu produziert. Sie kann ihre Aufgabe – die Verständigung – nur dann wahrnehmen, wenn sie sich an Veränderungen anpasst. Jede gesellschaftliche oder technologische Neuerung hat Auswirkungen auf die Sprache. Eine Mundart, die sich nicht verändert, würde sterben. Im Internet gibt es das Chochichästli-Orakel (http://dialects.from. ch): Man gibt bei zehn Wörtern an, wie man sie ausspricht, dann zeigt die Seite, wo man so redet. Mein Resultat: Eine Gemeinde im Baselbiet, Winterthur sowie Gurtnellen im Kanton Uri. Ich bin aber in Altdorf aufgewachsen, lebe seit Jahren in Zürich und arbeite in Basel-Stadt. Wie erklären Sie das? Hans Bickel: Ich kenne den Urheber dieses Tests. Er hat einen Algorithmus aufgrund von Sprachkarten entwickelt. Eine geniale Idee, aber vielleicht reichen zehn Mundartwörter nicht aus, um in allen Dialektregionen eine präzise Lokalisierung zu erhalten. Ausserdem: Die Erhebungen zur Aussprache, auf die er sich stützt, stammen aus den 1950er-Jahren und wurden damals bei älteren Leuten durchgeführt. Heute spricht man mancherorts ein wenig anders. Wie stehen Sie zu dieser Vermutung: Weil ich in verschiedenen Umfeldern verkehre, ist mein Dialekt so weit abgeschliffen, dass er nur

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noch ungefähr mit meinen Lebensräumen übereinstimmt? Hans Bickel: Das kann sein. Das wäre typisch für Mischdialekte. Ich lebe als Berner in Basel. Mich kann dieser Test auch nicht exakt verorten. Christoph Landolt: Mich schon. Hans Bickel: Weil du als Sprachbewahrer archaische Antworten gegeben hast. (lacht) Ich stelle in meinem Umfeld oft fest, dass die Wörter zwar mundartlich ausgesprochen werden, der Satzbau aber ans Schriftdeutsche erinnert. Woran liegt das? Christoph Landolt: Das ist unter anderem eine Folge der allgemeinen Schulpflicht. Hans Bickel: Und es hängt stark mit der Schriftlichkeit zusammen. Sobald man hochdeutsch schreibt, spricht man nicht länger reinen Dialekt. In SMS und Chatrooms schreiben jüngere Leute heute oft im Dialekt. Christoph Landolt: Von der Form her sind die Sätze aber ausgesprochen hochdeutsch. Weil wir beim Schreiben Hochdeutsch gewohnt sind, ist das unvermeidlich. Auch wenn wir hier miteinander diskutieren, ist die Syntax geprägt vom Hochdeutschen. In der ursprünglichen Mundart sind Nebensätze und Verschachtelungen viel seltener. Welche Auswirkungen hat es auf die Entwicklung der Mundart, wenn vermehrt in Dialekt geschrieben wird? Hans Bickel: Das können wir noch nicht sagen. Aus kurzfristigen Trends sollte man keine nachhaltigen Veränderungen ableiten. Christoph Landolt: Das Paradoxe ist: Je verbreiteter die Mundart, desto mehr gleicht sie sich an – man will ja schliesslich überall verstanden werden. Es findet eine Nivellierung statt. Christoph Landolt: «In der Beiz sage ich konsequent Nidel und Barille.»

Bedauern Sie als Fachleute die Angleichungstendenzen? Christoph Landolt: Die Sprache dient dem Zweck der Kommunikation. Deshalb hat die Sprache, mit der man am weitesten kommt, den grössten Wert. So gesehen ist die Entwicklung des Schweizerdeutschen in Richtung Anpassung und Nivellierung unabwendbar und natürlich. Was mich persönlich ein wenig stört: Jeder Dialekt ist ein eigenes Sprachsystem. Wenn die nun ihre Eigenheiten verlieren, ähnelt das der Verarmung in Flora und Fauna. Letztlich läuft da ein darwinistischer Prozess. ■

Im Dienst des Schweizerdeutschen

Hans Bickel: «Die Berner schämen sich nicht für ihre Mundart.»

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Dr. Christoph Landolt studierte Vergleichende germanische Sprachwissenschaften, Nordische Philologie und Geschichte. PD Dr. Hans Bickel ist Germanist, Ethnologe und Volkskundler. Als Redaktoren beim Schweizerischen Idiotikon, dem «Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache», arbeiten sie an einem monumentalen Lexikon, das im vorletzten Jahrhundert begonnen wurde. Das Idiotikon dokumentiert die deutsche Sprache in der Schweiz vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart. Der Grundstock des Mundartmaterials wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammengetragen und reicht zurück bis 1300. Dadurch dokumentiert das Werk verschwundene und fast vergessene Bereiche des sprachlichen, geistigen und materiellen Lebens. Es ist Arbeitsinstrument für Sprach-, Geschichtsund Rechtswissenschaft, Volks- und Namenkunde. Derzeit wird der 16. von insgesamt 17. Bänden publiziert. Hans Bickel sagt: «Lexikografie ist ein Dauerauftrag, der nie abgeschlossen ist. Beim Idiotikon glaubt man seit 100 Jahren, in 20 Jahren sei man durch. Mittlerweile glauben wir, es gehe nur noch zehn Jahre. Das Spannende daran: Man arbeitet an einem Werk, dass für ein paar Hundert Jahre Standard bleibt. Denn um eine Alternative zu schaffen, brauchte es noch einmal 150 Jahre.» SURPRISE 223/10


Jugend und Sport Rettet den Purzelbaum! Alarm in der Turnstunde: Immer mehr Kinder und Jugendliche sind mit Kletterstange und Springseil überfordert. Spezielle Förderprogramme sollen Abhilfe schaffen. Wichtiger aber wäre eine Aufwertung des Turnunterrichts während der Schulzeit.

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VON STEFAN MICHEL (TEXT) UND ANDREA GANZ (BILDER)

Der Purzelbaum ist in Gefahr. «Ich habe immer wieder Jugendliche, denen ich den Purzelbaum beibringen muss. Dabei müssten sie den schon in der ersten Klasse können», sagt Rebekka Rohrer, Sportlehrerin an einer Zürcher Sekundarschule. Pascal Buensoz, Sportlehrerin an einer Berufsschule, pflichtet bei: «Der Purzelbaum und einfache Kletterübungen stellen viele Jugendliche vor ernsthafte Probleme.» Ein erfülltes Leben ist auch ohne Purzelbaum vorstellbar. Ist körperliche Fitness nicht blosser Lifestyle und als solcher entbehrlich? Wir brauchen unser Essen nicht mehr zu jagen, die meisten verdienen ihr Geld im Sitzen, fortbewegen können wir uns mit öffentlichen Verkehrsmitteln und im Auto. Der Grund für die Alarmstimmung lautet: «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.» Fachleuten zufolge müssen sich Kinder eine Stunde täglich intensiv bewegen, um sich körperlich positiv zu entwickeln. Kein Problem für ein Kind, das mit dem Velo zur Schule fährt, auf dem Pausenplatz herumrennt, drei Lektionen pro Woche turnt und nach der Schule Verstecken oder Fussball spielt. Dabei entwickeln sie ganz natürlich ihr Repertoire an Bewegungen, das Spiele mit Körpereinsatz interessant und Lust auf mehr macht. Seilhüpfen wird erst lustig, wenn man mehrere Hüpfer hintereinander schafft. Der banale Purzelbaum ist der erste Schritt zur Akrobatik – und er mindert obendrein das Risiko, sich bei einem Sturz zu verletzen. Kinder hingegen, die die Freude an der Bewegung früh verlieren, laufen Gefahr, übergewichtig zu werden und ihr Erwachsenenleben in der Risikogruppe für Herz-Kreislaufstörungen, Diabetes, Knochen- und Gelenkkrankheiten zu verbringen. Wer sich nicht bewegt, ist weniger bei der Arbeit und öfter beim Arzt. Allein die Arbeitsausfälle und ärztlichen Behandlungen, die von Übergewicht herrühren, kosteten die Schweizer Volkswirtschaft 2006 5,5 Milliarden Franken. 2001 war es noch halb so viel, rechnet die Studie «Overweight and Obesity in Switzerland» im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit vor. Die Schlusslichter aus dem Limmattal Die Folgen des Bewegungsmangels zeigen sich schon vor der Volljährigkeit. Alain Dössegger, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesamts für Sport, weiss: «Wir haben immer mehr Kinder mit Diabetes und den typischen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.» Dem gegenüber steht die positive Wirkung körperlicher Aktivität: «Sport und Bewegung sind wichtig für die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder, für ihre Gesundheit und Psyche. Selbst die Schulleistungen werden besser, wenn sich ein Kind mehr bewegt.» Und das ist noch nicht alles: «Sport kann integrieren. Unsportliche und Übergewichtige hingegen werden oft ausgeschlossen.» Regale voller wissenschaftlicher Studien belegen die positive Wirkung von Sport und Bewegung. Ganz anders sieht es beim statistischen Beweis für das Aussterben des Purzelbaums aus. Bis vor wenigen Jahren interessierte sich niemand auf breiter Basis dafür, wie oft und wie gekonnt sich die Schweizer Kinder bewegen. Langzeituntersuchungen gibt es keine. «Wir haben Hinweise», sagt Dössegger, «zum Beispiel legen weniger Kinder ihren Schulweg zu Fuss oder mit dem Velo zurück. Jedes zehnte wird von den Eltern in die Schule gefahren. Schulärzte und Kindergärtnerinnen berichten von häufiger werdenden motorischen Defiziten. Dass immer mehr Kinder übergewichtig sind, ist ein weiteres Indiz.» Der diplomierte Sportlehrer leitet das Projekt «Children on the Move», das theoretisches und praktisches Wissen über Bewegungsförderung sammelt und jenen zur Verfügung stellt, die Projekte mit diesem Zweck realisieren wollen. Die ETH, die auch Sportlehrer ausbildet, füllt seit 2005 die statistische Lücke mit der «Sportmotorischen Bestandesaufnahme» (SMBA):

Alle rund 2500 Erstklässler in der Stadt Zürich absolvieren einen standardisierten Test, der ihre koordinativen Fähigkeiten, Schnelligkeit und Kraftausdauer misst. Die talentiertesten 72 dürfen in das Förderprogramm «Talent Eye» eintreten. Der Kurs für rund 80 Kinder am anderen Ende der Rangliste heisst «Movimiento». Die bisher fünf Jahrgänge der SMBA brachten immer das gleiche Schlusslicht hervor: den Schulkreis Limmattal, zu dem die Stadtkreise Vier und Fünf gehören. Das sind jene Quartiere unweit des Stadtzentrums, in denen zwar längst die Erfolgreichen und Hippen den Ton angeben, wo aber immer noch hauptsächlich ausländische Familien mit unterdurchschnittlichen Haushaltseinkommen ihre Kinder zur Schule schicken. «Koordinativ nicht so gut» Zum Beispiel ins Schulhaus Aemtler. Hier preschen an einem Montagnachmittag um halb vier die ersten Kinder johlend in die Turnhalle, schlittern auf ihren Trainerhosen über den glatten Boden, kicken Bälle durch die Gegend oder versuchen sich am Springseil. Bewegungsmuffel sind auf den ersten Blick keine auszumachen. Dicke Kinder auch nicht, höchstens da und dort etwas verspäteter Babyspeck. Knapp 20 Kinder wärmen sich mit einem Spiel namens «Grünes Monster» auf, das bei ihren Eltern noch «Schwarzer Mann» hiess. Es geht weiter mit verschiedenen Posten, an denen die Sieben- und Achtjährigen balancieren, springen, klettern oder sich kontrolliert fallen lassen. Am Springseil zeigen sich Unterschiede besonders deutlich: Die meisten schaffen zehn oder 20 Hüpfer hintereinander. Einigen gelingt es hingegen bei allem Bemühen nicht, im richtigen Moment aufzuspringen oder nur schon das Seil über den Kopf zu schwingen. «Die meisten von jenen, die es können, sind Zweitklässler und schon seit einem Jahr im Kurs», klärt Leiterin Alexandra Papandreou auf. Der Laie sieht eine Gruppe Kinder mit Freude durch die Halle springen – mit Anführern und Mitläufern, Draufgängerinnen und Träumerinnen, Geschickten und Ungeschickten in einer nicht auffälligen Verteilung. Alexandra Papandreou sieht mehr: «Die Hälfte der Neuen, die erst zum dritten Mal hier sind, hat ernsthafte Defizite und das nicht nur in motorischer Hinsicht.» Sportlehrerin Rebekka Rohrer erarbeitete das Konzept von «Movimiento», leitete während den ersten zwei Semestern selber Trainings und konzentriert sich jetzt, nachdem es von einem auf vier Zürcher Schulkreise (von insgesamt sieben) ausgedehnt wurde, auf die Leitung des Programms, während sie weiterhin an einer Sekundarschule unterrichtet. «Movimiento» ist ein freiwilliger Kurs, der ausserhalb der Schulzeit stattfindet. Rohrer schätzt, dass zwei Drittel der ausgewählten Kinder den zusätzlichen Turnunterricht tatsächlich besuchen, «das erheben wir aber nicht systematisch.» Gegen Ende der Lektion setzen sich zwei Mütter in eine Ecke der Turnhalle, um ihre Sprösslinge abzuholen. «Meine Tochter sitzt nicht rum. Sie ist nur etwas langsam», erklärt die eine mit französischem Akzent. Die andere sagt: «Wir sind mit unserem Sohn schon ins Afro-

«Sport integriert. Unsportliche und Übergewichtige hingegen werden oft ausgeschlossen.»

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tanzen, weil er koordinativ nicht so gut ist. Alles, was ihm hilft, aufzuholen, ist gut.» Die Schweizerin ist wohl eine Ausnahme. Es ist unüberhörbar, dass die Mehrheit der «Movimiento»-Turner im Schulhaus Aemtler mit den Eltern nicht Schweizerdeutsch spricht. Der Bewegungswissenschaftler Dössegger wird später sagen: «Die Risikogruppe Nummer eins für Bewegungsmangel sind Mädchen aus Familien mit Migrationshintergrund, die in einer Stadt wohnen. Enge Platzverhältnisse und kulturelle Schranken können dazu führen, dass das Schulturnen ihre einzige Möglichkeit ist, sich zu bewegen. Und selbst das wird ihnen nicht selten verboten.» SURPRISE 223/10


Förderprogramme wie «Movimiento» entstehen zurzeit in der ganzen Schweiz reihenweise. Bei «Children on the Move» sind rund 90 Projekte eingetragen. Jugend+Sport bietet seit 2009 polysportive Kurse für Fünf- bis Zehnjährige an. Bereits haben über 40 000 Kinder teilgenommen. Zentral bleibt aber das Schulturnen, denn nirgends sonst erreicht man sämtliche Kinder der Schweiz. Die für diesen Artikel befragten Sportlehrerinnen und der Sportlehrer sind sich einig, dass im obligatorischen Schulsport und besonders in der Primarschule eine Qualitätssteigerung nötig ist. Denn in dieser entscheidenden Phase sind keine diplomierten Sportlehrer für das Turnen zuständig, sondern breit ausgebildete Primarlehrer, deren Konzentration dem Rechnen, den Sprachen und den weiteren «Kopffächern» gilt. Dössegger findet es «super, dass es das Schulturnen überhaupt gibt, aber aus unserer Sicht sind die Lektionen häufig nicht intensiv genug, belasten den Herz-Kreislauf zu wenig. Dazu braucht es aber ausgebildete Sportlehrer. Nötig sind auch Sporthausaufgaben, gerade für Kinder mit Defiziten.» Rebekka Rohrer arbeitet auch im Kompetenzzentrum Sportunterricht, das Lehrpersonen, die Turnen geben, mit Fachwissen unterstützt, sodass diese die Kinder mit den passenden Übungen zu einem gesunden Bewegungsverhalten animieren können. «Dazu muss die Qualität in den obligatorischen Turnstunden stimmen», ist sie überzeugt. «Man muss den Sportunterricht wieder ernst nehmen», doppelt Dössegger nach. «Gerade die Eltern, die ihre Kinder nicht gern in den Sport schicken, müssen sich bewusst sein, dass er zentral ist für ihre Entwicklung wie auch für ihre schulischen Leistungen. Man ist nicht entweder sportlich oder schlau, sondern sportlich und schlau.» Der Kampf um den Pur-

zelbaum hat erst begonnen, läuft aber auf breiter Front. Angefangen im Kindergarten: Basel und nach dessen Vorbild Zürich sorgen mit den Projekten «Burzelbaum» bzw. «Purzelbaum» dafür, dass die Rolle vorwärts zurück ins Repertoire der Kinder kommt. Ob die staatlich geförderte Bewegungsfreude die gewünschte Wirkung erzielt, werden die nächsten Jahre zeigen. ■

Jeder Vierte bewegt sich gar nicht Sport ist beliebt in der Schweiz. Satte 80 Prozent bekunden mittleres bis hohes Interesse an athletischen Höchstleistungen – am liebsten als Konsument am Fernsehen, aber auch auf den Sportseiten der Presse und im Internet. Weniger intensiv bewegen sich Herr und Frau Schweizer selber. Die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene halbe Stunde körperlicher Aktivität pro Tag erreichen 41 Prozent. Erfreulich: Der Anteil derer, die mehrmals pro Woche Sport treiben, hat sich über die letzten 30 Jahre verdoppelt. Wieder zugelegt haben allerdings auch jene, die sich körperlich nichts oder fast nichts zumuten. Rund 27 Prozent kommen im Schnitt auf weniger als eine halbe Stunde physischer Anstrengung pro Woche – gleich viele wie 1978, wie «Sport Schweiz 2008», eine Untersuchung des Bundesamts für Sport, feststellt. (smi)

Im Kurs «Movimiento» wird fröhlich geturnt – freiwillig und ausserhalb der Schulzeit. SURPRISE 223/10

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BILD: RUBEN HOLLINGER

Strassensport Die Saison der Höhepunkte Superlative werden im Sport zu schnell verwendet. Surprise Strassenfussball kann sie dieses Jahr jedoch zu Recht inflationär einsetzen. VON OLIVIER JOLIAT

Die Surprise Nationalmannschaft fliegt dieses Jahr zum Homeless World Cup (HWC) nach Rio de Janeiro. Klar wollten die 14 Teams beim Auftaktturnier in Basel ihre schönsten Fussballkünste präsentieren. Denn hier wurden die Spieler für die diesjährige Nationalmannschaft selektioniert. Und wer träumt nicht von einer WM-Teilnahme am Fussball fanatischen Zuckerhut? 15 Spieler haben den Sprung ins Kader geschafft. Ihren ersten Test müssen sie am 2. Mai beim Frühlingsturnier auf dem Bundesplatz in Bern bestehen. Hier spielt die Suprise-Nati gegen eine Auswahl bekannter Berner Fussball-Aficionados. Angeführt wir das Promi-Team erneut von YB-Legende und Ex-Nationalstürmer Thomas Häberli (Bild oben, Mitte). Mit dabei sind auch die Wurzel 5 Rapper Serej und Diens sowie ihr Kumpan Krust von PVP. An der Bande coacht der Rock’n’Roll-Priester Reverend Beat-man, und mit Stadtratspräsident Urs Frieden schnürt sogar Berns höchster Politiker die Fussballschuhe!

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Gut, kann Suprise Strassensport auch für dieses Spitzenspiel auf die Unterstützung des österreichischen HWC-Head-Referee Gerhard Holzmann und Ex-FIFA-Schiedsrichterin Nicole Petignat zählen (siehe Interview rechts). Besonders motiviert für das Turnier ist das Berner Team Jarajoo. Seit dieser Saison gecoacht vom ehemaligen Surprise Nati-Goalie Urs Rüegsegger, hoffen sie, auf heimischem Boden endlich wieder ein Turnier zu gewinnen. Die anderen Teams werden einen Monat vor der Schweizer Meisterschaft jedoch kaum Geschenke machen. Diese findet dann am 5. Juni im Hauptbahnhof Zürich statt, umrahmt von Konzerten und anderen Aktivitäten von Surprise.

Mehr zu den Teams, zur Surprise Strassenfussball-Saison der Superlative und zum Homeless World Cup auf: www.strassensport.ch Info Turnier Bern: Sonntag, 2. Mai, 11 bis 17 Uhr, Bundesplatz Bern. 13 Uhr: SupriseNati vs. Promi-Team. SURPRISE 223/10


Interview «Die Regeln stehen nicht im Zentrum» BILD: OLIVIER JOLIAT

Die ehemalige FIFA-Schiedsrichterin Nicole Petignat steigt mit Surprise Strassensport in die dritte Saison. Sie ist in der Männerdomäne Fussball nicht nur ein Unikum, weil sie eine Frau ist: Als Hüterin der Regeln denkt sie sehr unkonventionell über bestehende Traditionen und Gesetze. 90 Minuten auf dem Grossfeld. Das gefällt mir am Fussball: Es ist ein universelles Spiel, so einfach wie variabel. Worin besteht für Sie der Hauptunterschied zwischen dem klassischen Fussball und dem Strassenfussball von Surprise Strassensport? Es ist weniger das Spiel, als wie die Spieler miteinander umgehen. Während des Matches setzen sie sich mit Herz für das Team und den Sieg ein. Danach sind aber die Gewinner vereint mit den Verlierern. Die Freude am Spiel steht im Vordergrund, nicht der Sieg. Sie haben die Schweizer Nationalmannschaft am Homeless World Cup (HWC) in Mailand besucht. Was halten Sie vom HWC-Slogan: «A Ball Can Change The World»? Na, man muss ja nicht gleich übertreiben. Der Anlass hat mich trotzdem beeindruckt. Schade finde ich, dass für die Schweiz nicht die besten Spieler spielen durften, sondern die mit den richtigen Papieren. Surprise stellte immerhin die Schweizer Nationalmannschaft und durfte gemäss HWC-Reglement nur zwei Nichtschweizer ins Nationalteam integrieren.

Nicole Petignat mit Strassenfussballer Santiago von «Glattwägs United».

INTERVIEW: OLIVIER JOLIAT

Nicole Petignat, bei Surprise Strassensport sind Sie der Star der Liga. Eine ungewöhnliche Rolle für eine Schiedsrichterin. Vielleicht ist mein Name in der Öffentlichkeit bekannt, die meisten Spieler hier kennen mich aber nicht. Das ist gut. Ich wurde nicht Schiedsrichterin, um bekannt zu werden. Ich wollte dem Fussball helfen. Warum als Schiedsrichterin? Sie spielen selbst ganz gut Fussball. Früher gab es keine Frauenteams. Also habe ich angefangen zu pfeifen. Heute spiele ich im Frauenteam des FC Courrendlin. Weshalb engagieren Sie sich für den Strassensport? Ich bewege gerne etwas. Und bei den Spielern hier sieht man, dass sie während des Sports ihre Probleme und Sorgen vergessen. Zumindest für ein paar Stunden haben sie anderes im Kopf. Ausserdem macht es Spass, hier zu pfeifen. Ein sehr positives Bild. Ja. Mich stört nur, dass nicht mehr Zuschauer an die Turniere kommen. Man sieht hier teilweise sehr attraktiven Fussball mit vielen Toren. Strassenfussball verlangt vom Spieler eine gute Technik. Und der Schiedsrichter muss ein paar andere Regeln kennen. War die Umstellung schwierig? Nicht wirklich. Ausserdem stehen beim Fussball nicht die Regeln im Zentrum. Es geht um das Spiel. Da gibt es mehr Möglichkeiten als die SURPRISE 223/10

Schon klar. Ich meine das eher grundsätzlich. Ist denn ein Pass wichtiger als der Fussball? Die Welt ist doch für alle da, so wie das in der Surprise Strassensport Liga ja auch praktiziert wird. Mich nervt, dass man mit Papieren alle regulieren will. Wenn nur ein Papier entscheidet, ist das doch eine Einladung zum Missbrauch. Manchmal sind Vorurteile entscheidender als Papiere. Die FIFALizenz hat ihre Schiedsrichterfähigkeit belegt. Trotzdem wurden Sie oft angefeindet, weil Sie als Frau in einer Männerdomäne gepfiffen haben. So schlimm war das nicht. Von den Fussballern erhielt ich eine gute Resonanz. Für die Medien war ich aber ein gefundenes Fressen. Fehler werden Frauen im Fussball weniger schnell verziehen. Dafür sind sie schneller und länger in den Schlagzeilen. ■

Nicole Petignat pfiff im Mai 1999 als erste Frau ein Spiel der Super League und leitete im selben Jahr das WM-Finale der Frauen. Nach fast zehn Jahren auf höchstem Fussballniveau trat Petignat Ende 2008 zurück. Sie ist bis heute die einzige Frau, die ein UEFA-Cup-Spiel der Männer geleitet hat und arbeitet für den Schweizerischen Fussballverband weiterhin als Schiedsrichter-Instruktorin. Petignat betreibt eine medizinische Massagepraxis und betreut das Rollstuhl Basketballteam CFR Jura. Via Liga-Sponsor Hyundai ist Petignat auf Surprise Strassensport aufmerksam geworden. Seit der Schweizer Meisterschaft 2008 in Basel pfeift Petigant regelmässig Turniere und hat diesen März mit HWC-Head-Referee Gerhard Holzmann zum zweiten Mal einen Schiedsrichterkurs für Surprise Strassensport geleitet.

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BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Widersprüche Je komplizierter die Welt wird, desto grösser ist die Verlockung, sie einfach zu reden. Wer sich heutzutage zurechtfinden und seinen Standpunkt definieren will, verstrickt sich unweigerlich in Widersprüche. Es fängt bei der Politikverdrossenheit an. Politiker haben im Volk einen schlechten Ruf, man traut ihnen nicht, nennt sie verächtlich Classe politique und Die-da-oben. Stehen dann aber Wahlen ins Haus, wählt man brav die Bisherigen. Mit deren Politik man dann für weitere vier Jahre nicht einverstanden ist. Permanenter Kritikpunkt an der Politik ist das Polizeiwesen. Man beklagt sich, dass die Polizei Temposünder wie Schwerverbrecher behandle, fordert aber ein rigoroses Vorgehen gegen Raser. Man schimpft über Uniformierte in der Ausgangsmeile und ruft nach mehr Polizei vor den Clubs, wenn die Gewalt eskaliert wie kürzlich

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in Zürich. Überhaupt findet man, dass es zu viele Beamte und zu viel Bürokratie gebe, hätte aber gerne mehr Sicherheit, Kinderkrippen und bessere Schulen. Man setzt sich für den Schutz der Schwächeren ein und fährt auf dem Trottoir Velo. Man misstraut Wissenschaft und Technik, liebt aber sein MacBook und sein iPhone. Mit diesen in China hergestellten Geräten solidarisiert man sich im Internet per Mausklick mit dem Dalai Lama und Tibet. In der Schweiz gibt es mehr Handys als Einwohner, die Antennen will aber niemand in seiner Nähe aufgestellt wissen. Man behauptet, die Mehrheit zu vertreten und gleichzeitig eine unterdrückte Minderheit zu sein. Man hat Angst vor Muslimen und Islamisten und füllt die Kassen der Saudis mit ausgedehnten Töfffahrten. Man will weniger Verbote und stimmt für Verbotsinitiativen. Man erachtet gute Strassen, funktionierende Kanalisation und schnelle Datenleitungen als Selbstverständlichkeit und regt sich wahnsinnig über die Baustellen auf. Die Liste liesse sich beliebig erweitern. Ein Teil dieser Widersprüche entstammt der von mir sogenannten Ich-bin-doch-nichtblöd-Mentalität. Mit dieser Mentalität geht man davon aus, dass man ein bisschen schlauer ist als der Rest der Menschheit, auch ein bisschen besser. Das eigene Verhalten wird als haargenau richtig wahrgenommen und daraus wird abgeleitet, dass dieses für Umwelt

und Mitmensch so erspriessliche Tun vom Staate nicht besteuert und schon gar nicht behindert werden und vom Mitmenschen gewürdigt werden sollte. Wenn nämlich alle so wären wie ich, gäbe es keine Probleme auf der Welt. Was natürlich total blöd ist, weil praktisch jedes Verhalten Probleme schafft, die dadurch nicht weniger werden, dass man sie verdrängt. Das egozentrische Weltbild, bei dem man selber im Mittelpunkt der Welt steht, die sich, vor allem wegen der Anderen, die nichts als Unfug anstellen, weigert, sich endlich an die eigenen Bedürfnisse anzupassen, wird kaum verschwinden, da es sehr einfach ist, ihm zu schmeicheln und damit zu punkten. «Es gibt kein richtiges Leben im falschen», hat der Philosoph Adorno gesagt. Ich weiss zwar nicht genau, was er damit gemeint hat, bin jedoch zuversichtlich, dass er ungefähr dasselbe sagen wollte wie ich. Denn wenn alle so denken würden wie ich …

STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: MILENA SCHÄRER (MILENA.SCHAERER@GMX.CH) SURPRISE 223/10


Landschaftsarchitektur Gestaltete Natur für Generationen Landschaftsarchitekten machen einerseits Raumplanung, andererseits sorgen sie für Ästhetik und Atmosphäre im öffentlichen Raum. Mit ihrer Arbeit pendeln sie zwischen Pragmatismus und Kunst.

Wenn die Natur Blüten treibt, wächst unter Garten-, Vorgarten- und Balkonbesitzern der Wunsch, das eigene kleine «Kulturland» möglichst schön zu gestalten. Prunkgärten wie der akkurat gestaltete Schlosspark von Versailles oder die gepflegten englischen Landschaftsparks, die wie Gemälde wirken, sind dabei mögliche grosse Vorbilder. Deren Erschaffer müssen begnadete Gartenkünstler gewesen sein. Etwas pragmatischer sieht das Andy Schönholzer: «Die Gestaltung solcher Gärten war aus damaliger Warte wahrlich als Kunstwerk zu verstehen, übertragen auf die heutige Zeit würde man nun eher von einem Kunsthandwerk reden.» Der 40-jährige Landschaftsarchitekt ist quasi ein Nachfahre der Gärtnermeister, die Lustgärten anlegten, damit die Haute Volée darin wandeln konnte. Auch Andy Schönholzer entwirft Parks, Gärten und Alleen, trotzdem wehrt er sich dagegen, als Designer oder Künstler bezeichnet zu werden. Der Gründer des Basler Büro Westpol sieht sich eher als Planer: «Die Landschaftsarchitektur hat zwar eine tiefe Verwurzelung in der französischen und englischen Gartengestaltung, aber heute hat sich ihre Bedeutung gewandelt.» In Städten wird der öffentliche Raum als Begegnungsort immer wichtiger und nebst dem gestalterischen Aspekt müssen Landschaftsarchitekten in ihren Konzepten auch soziale und raumplanerische Fragen beantworten. «Wir müssen unsere Ideen immer in Bezug zum Ort stellen. Deshalb ist es wichtig, diesen genau zu analysieren und zu erfassen», erklärt Schönholzer, der nach der Lehre zum Landschaftsgärtner das Landschaftsarchitekturstudium absolvierte. Wenn er den Hof eines Firmengeländes gestaltet oder in einem neuen Stadtteil einen Park anlegt, muss er auf Nutzen und Funktion achten. Deshalb mache er keine Kunst um der Kunst willen. Dass bei seiner Arbeit etwas auf den Ort bezogen Neues entsteht, gehört zu seinem Berufsverständnis. Der Wohlfühlfaktor ist der Gradmesser, an dem Andy Schönholzer seine Werke beurteilt: «Eine Landschaftsgestaltung ist dann gelungen, wenn sich die Leute wohl fühlen, ohne genau zu wissen weshalb.» Auch Pascal Posset will mit seiner Arbeit die Seele berühren. Für das Geschäftsleitungsmitglied im Büro des Zürcher Landschaftsarchitekten Guido Hager ist ein landschaftsarchitektonisches Projekt dann geglückt, wenn es eine ästhetische Strahlkraft an den Tag legt: «Wenn man es schafft, mit einer Gestaltung Kontemplation zu erzeugen – einen Zustand der Ruhe, bei dem das Wesen der Dinge in den Mittelpunkt rückt – kann man von einem guten Ort sprechen.» Joachim Kleiner ist Landschaftsarchitektur-Dozent an der Hochschule für Technik in Rapperswil und hat nach seinem Landschaftsarchitektur-Studium in Berlin die Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig besucht. Er fasst den Kunstbegriff weit und räumt darin auch SURPRISE 223/10

BILD: ZVG

VON JULIA KONSTANTINIDIS

Element Wasser als Gestaltungsobjekt: Begehbarer Weiher von Westpol.

seinem Fach einen Platz ein: «Es ist eine willentliche Inszenierung von Freiräumen und Landschaften. Die Landschaftsarchitektur hat, wie andere bildende Künste, auch einen gestalterischen Charakter, soll Stimmungen erzeugen und Naturerlebnisse vermitteln.» Mit Pflanzen Stadträume zu gestalten, fasziniert alle drei Landschaftsarchitekten. Sie erarbeiten keine Stillleben, im Gegenteil, ihr lebendiges Arbeitsmaterial verändert sich fortlaufend und damit auch ihr Oeuvre. Im Unterschied zur Gebäudearchitektur ist ein landschaftsarchitektonisches Projekt nicht mit seiner Fertigstellung beendet, sondern fängt dann erst an. Landschaftsarchitekten denken deshalb in grossen Zeiträumen: Bis eine Arbeit so prächtig ist wie geplant, kann es mehrere Generationen dauern. Das passt nicht so richtig in unsere schnelllebige Zeit und kann deshalb auch Irritationen hervorrufen: «Klar siehts zu Beginn manchmal etwas kahl aus, aber auch die berühmten Schlossparks hatten 200 Jahre Zeit, um zu dem zu werden, was sie heute sind», meint Andy Schönholzer. Schlussendlich haben Landschaftsarchitekten die Möglichkeit, den Menschen in den Städten die Natur, von der wir uns so weit entfernt haben, wieder ein Stückchen näher zu bringen – und sie damit zu erfreuen. Wenn das mal keine Kunst ist. ■

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Kulturtipps

Wenn die Goldschätze zum Albtraum werden, kann vielleicht Eva Zeltner weiterhelfen.

Buch Vorsicht Falle! Die Rechte des Kindes werden heute grossgeschrieben. Das ist gut so. Doch wer deshalb sein Kind auf einen Sockel stellt, riskiert, dass aus diesem ein Früchtchen wird, das nicht nur den Eltern auf der Nase herumtanzt. VON CHRISTOPHER ZIMMER

Kinder, die alles dürfen, um nur ja keinen psychischen Schaden davonzutragen, unsichere, überforderte Eltern, die die Erziehung delegieren, kritiklos-stolze Gluckenmütter und Gockelväter, die sich in ihren «genialen» Sprösslingen selbst verwirklichen … Die Liste der Irrwege liesse sich beliebig verlängern. Elternschaft, sagt die Psychologin Eva Zeltner, ist eine Gratwanderung und die Gefahr, abzustürzen, gross. Kein Wunder, dass Erziehungsratgeber boomen, aber ebenso wenig erstaunlich ist es, dass viele Eltern in der Fülle der Angebote die Orientierung verlieren. In einer Tour d’Horizon von Kinderwunsch über Schwangerschaft, Geburt, Kleinkind und Schulzeit zeigt Zeltner die Fallen auf, die sich überall auftun. Vor allem die Eins-zu-Eins-Übernahme pädagogischer Konzepte kann zur Sackgasse werden. Zeltner plädiert deshalb für mehr Fantasie und Intuition, für mehr Farbe im Alltagsmief des Schwarzweiss-Denkens. Für eine gesunde Portion kreativen Chaos, aber auch für klare Regeln. Denn Regeln mindern nicht die Rechte der Kinder, sondern geben ihnen Halt und setzen Grenzen. Ohne dieses Gleichgewicht von Struktur und Freiheit kann sich ein Kind nicht zu einer gefestigten Persönlichkeit entwickeln. Respekt, Konsequenz und Selbstvertrauen, so Zeltner, sind die Eckpfeiler der Erziehung. Die Weichen dafür werden in den ersten Lebensjahren gestellt. Fehler sind später kaum wieder gutzumachen. Eva Zeltners Buch ist wohltuend konkret und anschaulich. Anhand vieler Fallbeispiele aus ihrer Arbeit als Psychologin zeigt sie Defizite und deren Ursachen auf. Doch statt nur ein weiteres Rezept zu liefern, macht sie Mut zur Erziehung und Eigenverantwortung. Sie fordert dazu auf, mit Humor und Neugier offen für die Besonderheit des eigenen Kindes zu sein. Und darauf zu vertrauen, dass der gesunde Menschenverstand ein besserer Wegweiser ist als halbverdaute Psychologismen. Eva Zeltner: Der Tanz ums goldene Kind. Von der Ambivalenz elterlicher Gefühle. Zytglogge 2009. CHF 25.–.

«Gut gegen Nordwind»: Theater als reale Gefühlsreise im virtuellen Raum.

Theater Reale Begegnung mit virtueller Liebe «Gut gegen Nordwind» erzählt von einer zufälligen E-Mail-Bekanntschaft, die zu einer veritablen virtuellen Beziehung wird. Von Szene zu Szene spazierend erleben die Zuschauer das Geschehen hautnah mit. VON MICHÈLE FALLER

Eine Initiale vergessen, einen Punkt hinzugefügt, einen Buchstaben durch einen anderen ersetzt, und schon schlägt eine E-Mail einen anderen Postweg ein und landet beim falschen Empfänger. Ein kleines Missgeschick, das fast alle kennen. Weniger oft passiert es hingegen, dass sich aus einem Tippfehler eine Beziehung entwickelt. Wie bei Emmi und Leo, die einander zwar noch nie getroffen haben, sich aber E-Mails schreiben, und zwar zunehmend persönlichere. «Gut gegen Nordwind» ist ein klassischer Briefroman, der aus aneinandergereihten E-Mails besteht. Und ausgerechnet dieses Buch, dessen Handlung sich im Prinzip darauf beschränkt, dass zwei Leute am Computer sitzen, wird nun auf eine Theaterbühne gebracht: «Uns hat vor allem der Text dieser sprachwitzigen Liebesgeschichte gereizt», sagt Carolin Keim von der Basler TheaterFalle, die den Roman als mobiles Theaterstück im öffentlichen Raum inszeniert. «Und es passiert wahnsinnig viel», berichtigt sie, «und zwar im Innern der Figuren.» Aus der Geschichte, die mit der Spannung einer virtuellen Beziehung spielt, in der immer wieder die Frage auftaucht, ob sie einer realen Begegnung standhalten würde, hat die TheaterFalle einen interaktiven Theaterabend gemacht. Am Anfang haben die Zuschauerinnen und Zuschauer die Möglichkeit, Emmi und Leo etwas kennenzulernen. Dann entscheidet sich jeder, welche der beiden Hauptfiguren er fortan begleiten möchte. «Die Zuschauer tauchen in nur eine der beiden Lebenswelten ein, und erleben alles aus dieser Perspektive», erklärt Carolin Keim. Indem die verschiedenen Zuschauergruppen sich auf dem Theaterspaziergang von einem Ort zum nächsten bewegen, durchschreiten sie auch die diversen Emotionswelten ihrer Helden. «Wir nehmen die Leute mit auf eine Reise – eine Gefühlsreise.» Es wird also ein Erlebnis-Gesamtpaket geboten, das über ein 90-minütiges Festsitzen auf einem Theatersessel weit hinausgeht. Man kann unbekannte Nischen des Gundeldingerquartiers entdecken und sich auch mal zu Leo oder Emmi in die gute Stube setzen. Auch als Kenner des Buchs erlebt man die Geschichte neu – und darf mit einer Überraschung rechnen. «Gut gegen Nordwind», 30. April, 5. bis 8., 19. bis 22. Mai, 19 Uhr. Weitere Vorstellungen im Juni und August, TheaterFalle, Basel. www.theaterfalle.ch

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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Ausprobieren, was passt – Yann Tiersen.

Musik Fantastischer Freigeist Ob mit seinem berühmten «Amélie»-Soundtrack oder als rebellischer Rocksänger auf der Bühne: Der avantgardistische Komponist Yann Tiersen sorgt stets für grosses Kino im Kopf seiner Zuhörer. VON TARA HILL

Wahrlich fabelhaft war sie, die Welt der Amélie: 2001 bezirzte das zauberhafte Pariser Märchen die gesamte Filmwelt. Aber nicht nur AmélieHauptdarstellerin Audrey Tautou spielte sich dabei in die Herzen der Zuschauer, sondern auch Yann Tiersen: Denn mit seinem verträumten Piano-Titelmotiv «Comptine d’un autre été» wurde der französische Komponist auf einen Schlag berühmt. Alleine in seiner Heimat verkaufte sich der Amélie-Soundtrack 200 000 Mal. Das Geheimnis seiner so luftig leichten wie melancholisch-nostalgischen Stücke liegt in ihrem reduzierten Grundgerüst, der ständigen Variation einer kurzen Leitmelodie. Deren feinsinnige Schönheit erinnert an klassische Koryphäen wie Chopin oder Satie, aber gleichzeitig auch an moderne Minimal-Musiker wie Steve Reich oder Philip Glass. Eigentlich erstaunlich: Zwar spielte das 1970 in Brest geborene Wunderkind bereits als Sechsjähriger Geige und Violine – in seiner Jugend begeisterte sich Tiersen dann aber für Post-Punk, spielte in Rockbands und eiferte Joy Division, Iggy Pop und Nick Cave nach: «Ich mochte die Energie dieser Musiker – und die Tatsache, dass sie sich nicht um Technik scherten», erinnert sich Tiersen heute in Interviews. Erst als Musikhochschüler entdeckte das Multitalent die Klassik wieder, und spielte auf seinem Debüt «La Valse des Monstres» 1995 nicht nur Gitarre und Klavier, sondern auch Cembalo, Glockenspiel und Melodica. Seither arbeitet Tiersen unermüdlich an seinem Ruf als «Ein-Mann-Orchester», der oft im selben Lied zwischen Chanson, Menuett und Volkslied, zwischen elektronischen Klängen, Punk und Rock wechselt: «Genres interessieren mich nicht, sie behindern nur den kreativen Prozess», gab der Freigeist einst zu Protokoll. Ebenso wenig beschränkt sich der Avantgardist auf herkömmliche Instrumente: In seinen Kompositionen taucht gerne auch mal ein Spielzeugpiano oder gar eine Schreibmaschine auf: «Musik ist für mich wie ein Spiel. Wenn ich anfange, Lieder zu schreiben, denke ich nicht über die Instrumentierung nach – ich probiere einfach aus, was passt.» Stets gelingt dem wandelbaren Genie dabei grosses Kino für den Kopf – dank fabelhafter Melodien, die die Fantasie seines Publikums beflügeln und nachhaltig berühren.

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Kaiser Software GmbH, Bern

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Responsability Social Investments AG, Zürich

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chefs on fire GmbH, Basel

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Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

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VXL gestaltung und werbung ag, Binningen

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Scherrer & Partner GmbH, Basel

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TYDAC AG, Bern

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KIBAG Strassen- und Tiefbau

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OTTO’S AG, Sursee

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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

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Canoo Engineering AG, Basel

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Lehner + Tomaselli AG, Zunzgen

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fast4meter, storytelling, Bern

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Brother (Schweiz) AG, Baden

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Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf

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IBZ Industrie AG, Adliswil

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Zeix AG, Zürich

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Zürcher Kantonalbank, Zürich

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Axpo Holding AG, Zürich

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Experfina AG, Basel

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AnyWeb AG, Zürich

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muttutgut.ch, Lenzburg

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Mobilesalad AG, Bern

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Proitera GmbH, Basel

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag! Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

1. Mai, 21 Uhr, Reithalle Kaserne Basel; 2. Mai, 21 Uhr, Dachstock Reitschule Bern; 3. Mai, 19 Uhr, X-Tra Zürich. SURPRISE 223/10

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Ausgehtipps Auf Tournee Windschiefe Lieder Pierre Omer kultiviert das Zigeunerklischee fahrender Musiker. Geboren in London, lebt er heute in Genf und Madrid und geht immer wieder fleissig auf Tournee. Auf der Bühne singt er dann seinen Blues, der wunderbar perlt und unheilvoll rumpelt. Bekannt wurde Omer als Mitgründer der Genfer Begräbniskappelle The Dead Brothers. Auch solo entfleucht seinem dunklen Stimmtimbre eine morbide Note. Und doch dringt immer wieder ein wenig Licht durch die Ritzen der windschiefen Lieder, während sich der Multiinstrumentalist vor dem Elekro-Trash von Suicide ebenso verneigt wie vor Django Reinhardts legendärem Gitarrenspiel. (ash) 24. April, Elvis et moi, 21 Uhr, Fribourg; 29. April, Café Kairo, 21 Uhr, Bern; 1. Mai, St. Gervais, 22 Uhr, Biel; 3. Mai, X-Tra, 19 Uhr (Türöffnung), Zürich.

BILD: ISTOCKPHOTO

Morbide Note und dunkles Timbre: Pierre Omer.

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Gastfamilie sein! Eine kulturelle Entdeckungsreise

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Basel Kunst am Kaffee Ok, man spielt damit – aber das Gute an der latte art ist, dass keine Nahrungsmittel verloren gehen, sie werden nur verschönert. Beim latte art battle messen sich Kaffeekünstler paarweise darin, wer das schönere Muster in den Cappuccino-Schaum zaubert. Die Kunstwerke werden von einer Jury begutachtet; wessen Oeuvre besser ist, der kommt eine Runde weiter – bis nur noch einer übrig ist. (juk) Tuesday night throwdown – latte art battle, 27. April, 20.15 Uhr, Anmeldung für Begeisterte, Amateure und Profis ab 19.15 Uhr an der Bar, Unternehmen Mitte, Basel.

Tel. 044 218 19 19 Kernstr. 57, 8004 Zürich

— www.theater-basel.ch, Tel. +41/(0)61-295 11 33 — 26

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BILD: ISTOCKPHOTO

Basel, Bern, Zürich Heisser Tee und kaltes Wasser Die Wiesen sind grün, saftig – und leer. Sie können Ihr Badetüchli hinlegen, wo Sie wollen: Sonne, Schatten, Halbschatten. Immer vorausgesetzt natürlich, dass die Sonne überhaupt scheint. Falls nicht, seien sie nicht kleinlich, der Frühling braucht immer ein wenig Anlaufzeit. Und wir können dankbar sein, dass er überhaupt gekommen ist. Um ihn gebührend zu freiern, ist folgendes zu tun: Thermosflasche mit heissem Tee, rustikales Zvieri und Badezeugs einpacken, und mit dem Velo zur nächsten Badi fahren. Dort erwartet einen der schwierigere Teil der Frühlingsbegrüssung. Immer daran denken: Mit vollem Bauch sollte man nicht ins Wasser. Also zuerst einsteigen, mindestens drei Züge schwimmen – und erst dann zum Picknick übergehen. Ganz allein auf der grossen, grünen Wiese. (mek) Anfang Mai eröffnen die Gartenbäder der Schweiz die Badesaison. Zum Beispiel: Gartenbad Bachgraben, Basel, 1. Mai; Freibad Marzili, Bern, 1. Mai; Seebad Utoquai, Zürich, 13. Mai. Infos zu allen Bädern: www.badi-info.ch.

BILD: PETER FARAGO

Den Flipflops ist es noch zu kalt – was für «Gfröhrli»!

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Zürich Blatt für Blatt am Körper Bürolinge sehen sich tagtäglich mit einem Wust von Papier konfrontiert. Geliebt als Denkhilfe, ist es gleichzeitig verhasst, weil die Stapel von Unterlagen auch viel Arbeit bedeuten … Wenden wir uns deshalb den schönen Dingen im Leben zu – zum Beispiel der Mode. Dort wird Papier um einiges kreativer eingesetzt als im Büro. In den Swinging Sixties wurde das vergängliche Material erstmals für die Produktion von Kleidern entdeckt. Ist ja auch praktisch: Was nicht mehr in Mode ist, geht ins Altpapier. Zeitgenössische Modedesigner entdecken den falt- und formbaren Stoff wieder neu. (juk) Ausstellung Pap(i)er Fashion, noch bis zum 1. August 2010, Museum Bellerive, Zürich,

lund, Frühling/Sommer-Kollektion 2010.

www.museum-bellerive.ch

www.bolinger.ch

Origami am Körper – eine Kreation von Sandra Back-

Grösster Rhododendren- und Farnpark der Schweiz. Von Mai bis Ende Juli. Ab Juni mit Seerosenblüte. Täglich 8 – 19 Uhr. Grosser Pflanzenverkauf. Bei Rifferswil / ZH.

Unsere Spezialität: Rhododendren, Ruhe und Erholung. www.selegermoor.ch Zauber der Natur SURPRISE 223/10

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Verkäuferporträt Der «Flüger» von Bern BILD: ZVG

Der Verkäufer Andreas Ammann (54) hält es kaum eine halbe Stunde am selben Ort aus. Wohl deshalb hat ihm das Schicksal die Rolle des «fliegenden» Verkäufers zugewiesen. AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN

«Im Mai sind es fünf Jahre, dass ich Surprise verkaufe. Ich suchte damals eine Arbeit als Ergänzung zu meiner Teilrente, die mir erst kurz vorher zugesprochen worden war. Als ich eines Tages in Bern unterwegs war, sah ich einen Surprise-Verkäufer, ging auf ihn zu und fragte, wie man zu diesem Job kommt. Der sagte: Ganz einfach mit einem Foto ins Büro von Surprise gehen, Verkäuferpass machen lassen, fertig. Und so war es. Am Anfang hatte ich in der Marktgasse einen festen Platz – aber glücklicherweise nicht für lange. Ich bin gerne unterwegs, deshalb ist ein fixer Ort nichts für mich. Weil der Job des ‹Flügers› frei geworden war, konnte ich ihn übernehmen und fortan in den Beizen und auf der Strasse verkaufen. Ich geniesse diese Freiheit und möchte nie mehr in eine Bude, also in einen Betrieb zurück. Die Verkaufszeiten richte ich mir selber ein, und auch die Tour, die ich mache. Meistens verkaufe ich nach Gefühl. Aber nicht nur, denn wenn das neue Heft erscheint, beliefere ich alle meine Stammkunden und die sind über die ganze Stadt verteilt: Coiffeure, Apotheker, eine Frau bei der Polizei, viele ‹Märit›-Fahrer, meinen Hausarzt und natürlich verschiedene Cafés, Restaurants oder Takeaways. Was es heisst, 100 Prozent in einem Betrieb zu arbeiten, das weiss ich. Nach der Schule habe ich im bernischen Wichtrach, wo ich aufgewachsen und zur Schule gegangen bin, Bäcker-Konditor gelernt. Auf diesem Beruf habe ich auch ein paar Jahre gearbeitet, unter anderem in Bäckereien in Büren an der Aare und in Zollikofen. Danach habe ich in die Industrie gewechselt und habe 18 Jahre lang bei einer Firma in der Region Bern gearbeitet, die mit Stahl- und Metallteilen handelt. Ich habe das Material für den Warenausgang zugeschnitten und ‹gerüstet›, wie man sagt. Als sie dann eines Tages kamen mit einem neuen Arbeitsvertrag und verschlechterten Bedingungen – zum Beispiel keinen 13. Monatslohn mehr –, ist es mir verleidet. Im Bäre Buchsi, das ist eine Kulturbeiz in meinem Wohnort Münchenbuchsee, habe ich danach fast sechs Jahre lang geputzt und abgewaschen. Wegen der Abwascherei und der Arbeit am Abend habe ich dort schliesslich aufgehört und mit dem Surprise-Verkaufen angefangen. Meine grosse Leidenschaft ist das Reisen. Wenn ich heute im Lotto einen grossen Batzen gewinnen würde, wüsste ich auch schon, was ich tun würde: Ins Reisebüro gehen und mir einen Flug nach Vietnam buchen, genauer gesagt auf die Insel Phu Quoc. Die ist wunder-wunderschön! Dort war ich schon mal. Oder die Zugfahrt von Hanoi im Norden von Vietnam bis Saigon im Süden würde mich auch reizen. Aber eben, noch habe ich nicht den grossen Lotto-Gewinn gemacht und so stehe ich weiterhin am Morgen auf, mache mich mit dem Bus

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auf nach Bern, schwatze mit dem Bus-Chauffeur, hole mir ein paar Hefte im Vertriebsbüro, gehe Kaffee trinken und mache dann eine Verkaufstour, zum Beispiel durch die Altstadt. Am Sonntag sieht mein Tagesablauf ähnlich aus, nur gehe ich nach dem Kaffee trinken meine Mutter im Altersheim in Wabern besuchen und gegen Abend suche ich mir manchmal einen Schachpartner im ‹Drei Eidgenossen› in der Rathausgasse. Ich verkaufe gerne Surprise, mir stinkts nie. Aber ab und zu muss ich schon raus aus dem Alltagstrott. Wenns nicht für eine grosse Reise reicht, dann halt für eine kleine. Letztes Jahr habe ich mir den Wunsch erfüllt, das AC/DC-Konzert im deutschen Hockenheim zu besuchen.» ■ SURPRISE 223/10


Eine Chance für alle! Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte ber. Das verdient Respekt und Unterstützung. Regelmässige Verkaufende werden von Surprise-Sozialarbeiterinnen betreut, individuell begleitet und gezielt gefördert. Dazu gehört auch, dass sie von Surprise nach bestandener Probezeit einen ordentlichen Arbeitsvertrag erhalten. Mit der festen Anstellung übernehmen die Surprise-Verkaufenden mehr Verantwortung; eine wesentliche Voraussetzung dafür, wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarkt zu werden.

Starverkäuferin BILD: ZVG

Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten als andere. Menschen, die sich aber wieder aufgerappelt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wieder einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassenverkäuferinnen und -verkäufer helfen sich sel-

Als Götti oder Gotte ermöglichen Sie einer Strassenverkäuferin oder einem -verkäufer eine betreute Anstellung bei Surprise und damit die Chance zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.

René Senn Zürich

Marika Jonuzi Basel

Fatima Keranovic Baselland

Andreas Ammann Bern

Ruth Liebi aus Stäfa nominiert Genet Mishe Spiess als Starverkäuferin: «Nebst der Aufgabe als Hausfrau und Mutter ist sie an manchen Tagen der Woche auch vor der Migros Stäfa anzutreffen. Unaufdringlich und geduldig bietet sie Surprise an. Ihre liebenswürdige Art, ihre Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit sind immer wieder ein Geschenk und sehr beeindruckend. Wer ihr ein Heft abkauft, trägt auch eine Handvoll Sonnenstrahlen nach Hause. Genet, schön, dass es dich gibt.»

Ausserdem im Förderprogramm SurPlus: Peter Gamma, Basel Peter Hässig, Basel Tatjana Georgievska, Basel Marlise Haas, Basel Jovanka Rogger, Zürich

Anja Uehlinger, Baden Bob Ekoevi Koulekpato, Basel Jela Veraguth, Zürich Kurt Brügger, Baselland Wolfgang Kreibich, Basel

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welchen Verkäufer Sie an dieser Stelle sehen möchten: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41+61 564 90 99, redaktion@strassenmagazin.ch

Ja, ich werde Götti/Gotte von: 1 Jahr: 8000 Franken

1/2 Jahr: 4000 Franken

1/4 Jahr: 2000 Franken

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1 Monat: 700 Franken

223/10 Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 223/10

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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.

Geschenkabonnement für: Vorname, Name

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Datum, Unterschrift 223/10 Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch

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Herausgeber Strassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel, www.strassenmagazin.ch Geschäftsführung T +41 61 564 90 63 Fred Lauener, Agnes Weidkuhn (Assistenz GF) Öffnungszeiten Sekretariat Mo–Do 9–12 Uhr, T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@strassenmagazin.ch Redaktion T +41 61 564 90 70 Fred Lauener (Leitung), Reto Aschwanden, Julia Konstantinidis, Mena Kost, Thomas Oehler (Sekretariat) redaktion@strassenmagazin.ch Freie Mitarbeit Amir Ali, Annette Boutellier, Michèle Faller, Andrea Ganz, Tara Hill, Olivier Joliat, Stefan Michel, Isabel Mosimann, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Udo Theiss, Priska Wenger, Christopher Zimmer Korrektorat Alexander Jungo Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 29 400, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 77 Therese Kramarz, Mobile +41 76 325 10 60 anzeigen@strassenmagazin.ch

Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden von der Strassenmagazin Surprise GmbH geführt, die vom gemeinnützigen Verein Strassenmagazin Surprise kontrolliert wird. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.

Marketing T +41 61 564 90 61 Theres Burgdorfer Vertrieb T +41 61 564 90 81 Smadah Lévy (Leitung) Vertrieb Zürich T +41 44 242 72 11 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, Mobile +41 79 636 46 12 r.bommer@strassenmagazin.ch Vertrieb Bern T +41 31 332 53 93 Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, Mobile +41 79 389 78 02 a.maurer@strassenmagazin.ch Betreuung und Förderung T +41 61 564 90 51 Rita Erni Chor/Kultur T +41 61 564 90 40 Paloma Selma Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Biert Trägerverein Strassenmagazin Surprise Präsident: Carlo Knöpfel Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. SURPRISE 223/10


Hier könnte Ihre Werbung stehen. Werfen Sie Ihr Werbegeld nicht auf die Strasse. Investieren Sie es dort. Surprise erreicht 135 000 Leserinnen und Leser. Und das in den grössten Städten und Agglomerationen der Deutschschweiz.* Denn dort stehen die 380 Surprise-Verkaufenden für Sie auf der Strasse. Tagtäglich. Ganze 80 Prozent der überdurchschnittlich verdienenden und ausgebildeten Käuferinnen und Käufer lesen die gesamte Ausgabe oder zumindest mehr als die Hälfte aller Artikel. Das Strassenmagazin steht für soziale Verantwortung und gelebte Integration. Mit Ihrem Inserat zeigen Sie Engagement und erzielen eine nachhaltige Wirkung. Anzeigenverkauf Therese Kramarz, T +41 76 325 10 60, anzeigen@strassenmagazin.ch

*gemäss MACH Basic 2009-2. SURPRISE 223/10

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R E I N R U T S G N I L H Ü R F Z T A L P S E D N U B , N BER 0 1 0 2 I A M . 2 , G A T N SON R H U 0 0 . 7 1 S I B 0 0 . 1 1 VON rise-Nati – Promi-Team (Thodmena,sPHVäPb)erli, n, Urs Frie a 13 Uhr Surp M t a e B d n vere Wurzel 5, Re

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