Surprise Strassenmagazin 239/10

Page 1

50 Jahre Pille Was hat sich verändert ausser die Frisur? Erfolg statt Inhalte: Experten machen Politik zum Medienereignis

Der Sparkrampf – Surprise schafft Ordnung im Umweltschutzdschungel

Nr. 239 | 3. bis 16. Dezember 2010 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


Macht stark.

www.strassenmagazin.ch ❘ www.strassensport.ch ❘ Spendenkonto PC 12-551455-3 Strassenmagazin Surprise, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, Tel. 061 564 90 90, Fax 061 564 90 99

2

SURPRISE 239/10


06 06 07 07 08 19 22 23 24 26 28 29

30

BILD: DOMINIK PLÜSS

05

10 Verhütung Eine Pille gegen die Doppelmoral Die Allgemeinheit stand ihr skeptisch gegenüber, der Papst hat sie aufs Schärfste verurteilt – doch geschluckt haben sie bald viele: Bei ihrem Markteintritt vor 50 Jahren hat die Antibabypille für allerlei Moraldebatten gesorgt. Andrea Maihofer, Professorin für Geschlechterforschung an der Universität Basel, erklärt im Interview, warum das Hormonpräparat derart angefeindet wurde und was es zur sexuellen Befreiung der Frauen beigetragen hat.

14 Expertenkult Einfahrt der Starpolitologen Zeitungen kommen kaum noch ohne Kommentare von Politologen wie Michael Herrmann aus. Analyse, Einordnung, Prognose – was einst zum Kerngeschäft jedes Inlandredaktors gehörte, wird heute an Fachleute delegiert. Statt in eigene Recherchen investieren die hiesigen Medien lieber in den Aufbau von Experten zu Stars. Die haben selten Substanzielles zu sagen – dafür tragen sie dazu bei, dass Politik zur Jagd nach Wähleranteilen verkommt.

BILD: ISTOCKPHOTO

04

Inhalt Editorial Monumental Leserbriefe Chapeau! Basteln für eine bessere Welt Gekrönte Denkstütze Aufgelesen Waffenschmelze Zugerichtet «Durchgeknallter Ex» Mit scharf! Neues Übel: Expertokratie Erwin … und der Ökoeinkauf Porträt Beim Chlaus zuhause Armut Stress am Bankomat Wörter von Pörtner Militärische Witzfiguren Schule Religionsfreie Weihnachtslieder Kulturtipps Tango auf Papier Ausgehtipps Tanzen auf Eis Verkäuferporträt «Die Menschen hier sind sehr gut» Projekt Surplus Chance für alle! Starverkäufer In eigener Sache Impressum INSP

BILD: ANDREA GANZ

04

16 Umweltschutz Weniger ist weniger Der ökologisch handelnde Mensch hat es nicht einfach. Was jahrelang als umweltschonend galt, soll auf einmal schädlich sein. Der Klimawandel wird als Verschwörungstheorie verunglimpft, und zu allem Unglück steigen Energieverbrauch und CO2-Ausstoss trotz aller Anstrengungen weiter. Nützt nachhaltiges Handeln überhaupt etwas? Und wenn ja, was nützt am meisten? Wir liefern die Antworten.

Titelbild: Keystone SURPRISE 239/10

3


BILD: PABLO WÜNSCH BLANCO

Leserbriefe «Man will mit allen Mitteln verhindern, dass sich Asylsuchende integrieren können.»

MENA KOST, REDAKTORIN

Editorial Monumental

Nr. 238: «Skihäsli ahoi! – Die Jagdsaison beginnt» Eine Schweinerei Ab dem 1. Januar 2011 ist es Asylsuchenden (Bewilligung N) im Kanton Basel-Landschaft nicht mehr erlaubt, Surprise zu verkaufen. Das ist eine verdammte Schweinerei! Dieser Beschluss der zuständigen kantonalen Behörden beruht jedoch durchaus auf einer inneren «Logik»: Es muss mit allen Mitteln verhindert werden, dass sich Asylsuchende möglicherweise sogar integrieren oder ein paar Franken verdienen könnten. So werden die Ausländerinnen und Ausländer vielleicht eher kriminell und können dann – ganz im Sinne der SVPAusschaffungsinitiative – umgehend ausgewiesen werden. Benedetto Rossetti, Oberwil

Chapeau! Wenn ich sehe, dass der Verkäufer vor dem Coop ein neues Surprise in der Hand hält, ist er mein erstes Ziel beim Einkauf. Surprise ist ein Heft, das Artikel zu Themen bringt, die gar nicht oder nur in verkürzter Form in anderen Medien erscheinen, deshalb lese ich dieses Magazin so gerne. Und ich kaufe Surprise den Verkäufern gerne ab, weil sie bereit sind, einen harten Job zu machen, besonders jetzt in der kalten Jahreszeit – Chapeau! Nicole Bissegger, Basel

Verdient der Erfinder der Antibabypille, der österreichisch-amerikanische Chemiker und Schriftsteller Paul Djerassi, ein Denkmal? Frauenrechtlerin Alice Schwarzer findet: Ja. Und zwar, weil die Pille ein Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation sei. Schliesslich wurde den Frauen durch das Hormonpräparat die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft und ihren Folgen genommen. Ausserdem ermöglichte es die Antibabypille erstmals, dezidiert zwischen Fortpflanzung und Sexualität zu unterscheiden. Was das bedeutet? Dass Frauen ohne Angst vor Konsequenzen Sex haben konnten: mit wem sie wollten, wann sie wollten, so oft sie wollten. Tönt gut. In der Theorie. Die Realität vor 50 Jahren sah anders aus: Als die Antibabypille 1961 in der Schweiz auf den Markt kam, wurde sie in den ersten Jahren nur verheirateten Frauen verschrieben – zur Familienplanung und nur mit Einverständnis des Ehemannes. Das gesellschaftliche Klima, auf das die Pille traf, war alles andere als offen; Verhütung und Sexualität waren Tabuthemen. Wenn überhaupt, wurde nur im Privaten darüber gesprochen. Die wenigen Frauen, die in Leserbriefen dafür votierten, dass die Pille auch an Unverheiratete abgegeben werden sollte, argumentierten meist wie folgt: Die Pille sei gut, weil sie der Frau erlaube, die sexuellen Triebe des Mannes zu befriedigen – vom eigenen Interesse an der Sache kein Wort. Inwiefern die Antibabypille zur sexuellen Befreiung der Frauen beigetragen hat, erläutert Andrea Maihofer, Professorin für Geschlechterforschung an der Universität Basel, ab Seite 10. Auf alle Fälle dafür gekämpft, dass Frauen heute eine eigene Sexualität und eigene Lust zugesprochen wird, haben jene Frauen, die sich seit den 1960er-Jahren in der Politik, an den Universitäten, auf der Strasse und – nicht minder wichtig – im Privaten für Gleichberechtigung eingesetzt haben. Und wenn Carl Djerassi ein Denkmal verdient, dann gebührt all jenen Frauen ein Monument.

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3

Wir wünschen eine gute Lektüre, herzlich

Ihre Meinung! Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20,

Mena Kost

Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen.

4

SURPRISE 239/10


BILDER: SIMON DREYFUS

Sie benötigen einen Bogen goldenen und roten Tonpapiers, eine Schere und Leim.

Messen Sie den Umfang, den die Krone haben soll, ab, indem Sie den Papierbogen probeweise um den Kopf biegen.

Malen Sie die Umrisse der Krone auf das Papier und schneiden Sie die Vorlage aus.

Schneiden Sie aus rotem Tonpapier Rauten aus – für jede Zacke eine. Kleben Sie die Rauten auf die Krone.

Kleben Sie die Krone an den Enden mit Leim zusammen.

Basteln für eine bessere Welt Mist! Sie haben es schon wieder verpasst, rechtzeitig einen Adventskalender für die lieben Kleinen zu basteln? Und vom Adventskranz steht auch wieder nur die «Last-Minute-Migros-Version» auf dem Stubentisch? Zumindest am Dreikönigstag passiert Ihnen das nicht, denn wir helfen Ihnen, Ihre Bastelarbeit rechtzeitig in Angriff zu nehmen. Und die selber gebastelte Krone lenkt von der Tatsache ab, dass der Kuchen gekauft ist … SURPRISE 239/10

5


Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Alleinerziehende Wien. Die armen Kinder von heute sind die chronisch Kranken von Morgen. Armut bedeutet nämlich Stress und Stress macht krank. Besonders viele arme Kinder leben mit nur einem Elternteil. Der Stresswert, auch Cortisolwert genannt, ist in Alleinerziehendenhaushalten doppelt so hoch wie in Zweielternfamilien und führt dazu, dass viele Kinder und Jugendliche an depressiven Verstimmungen leiden. Soziale Dienstleistungen reduzieren die soziale Ungleichheit zwischen Eineltern- und Zweielternfamilien signifikant, nämlich um ein Viertel.

Feuerwaffen Hannover. Seit dem Amoklauf von Winnenden im März 2009 müssen Waffen in einem speziellen, verschliessbaren Schrank oder Tresor aufbewahrt werden. Daran scheinen sich aber nur wenige Waffenbesitzer zu halten. Bei den 800 kürzlich in Bremen durchgeführten Waffenkontrollen wurde festgestellt, dass nur gerade 33 Besitzer ihre Waffe ordnungsgemäss gelagert hatten: 700 Waffen wurden deshalb eingezogen und eingeschmolzen. Insgesamt gibt es in der Stadt 6000 angemeldete Waffenbesitzer.

Hitzewallungen Salzburg. Während die meisten Frauen mit durchschnittlich 50 Jahren in die Wechseljahre kommen, trifft es fünf Prozent schon im Alter von 30 bis 35 Jahren. Mögliche Gründe: Vererbung, Schilddrüsenerkrankungen oder anhaltender Dauerstress. Viele Frauen werden während der Wechseljahre von Hitzewallungen, Schweissausbrüchen und Schlafstörungen gebeutelt – und fühlen sich unweiblich: «Für frühzeitig Betroffene ist meist ein Minderwertigkeitsgefühl das Belastendste», so der Direktor der Klinik für Frauenheilkunde der Uni Regensburg.

6

Zugerichtet Schüsse in den Himmel Maria S.* läutet an der Tür. Sie sucht ihre Lesebrille, die noch immer im Haus ihres Ex-Freundes liegt. Ständig will sie was holen, mal einen Blumentopf, dann die Brosche oder ein Kuchenblech. «Meine Kinder wollten Weihnachtsguetsli backen», hatte sie der Polizei zu Protokoll gegeben. Denn regelmässig arten ihre unerwünschten Besuche in Zankereien aus. Sie läuft ums verdunkelte Einfamilienhaus, klopft an Rolläden und Türen, läutet Sturm. Der Hausbesitzer ruft die Polizei. Doch die sieht keinen Anlass auszurücken. Er will Maria verscheuchen, beschimpft sie – ohne Erfolg. Giesst ihr einen Kübel Wasser über den Kopf – ohne Erfolg. Schon mächtig erregt, tigert Freddy M. im Schlafzimmer auf und ab, da holt er seine Walther aus dem Nachttischchen und feuert zwei Schüsse aus dem Fenster im ersten Stock. Die Schüsse gelten Maria. Der Frau, die er einst geliebt hatte. Angsterfüllt flüchtet sie zu Nachbarn und alarmiert die Polizei. Freddy verschanzt sich im Haus. Die Diamant-Truppe umzingelt es, ein Verhandler kommt. Nach sieben Stunden, es ist mittlerweile drei Uhr morgens, gibt Freddy auf. 46 Tage sitzt der Mann in Untersuchungshaft. Dann wird er wegen Nötigung zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. «So nicht», argumentierte die erste Instanz. Die beiden Schüsse stünden «in keinem Verhältnis zum verfolgten Zweck». Er hätte die Frau doch «von Angesicht zu Angesicht ersuchen können, das Grundstück zu verlassen». Gerne hätte man den 46-jährigen Ingenieur Freddy M. ebenfalls zu Gesicht bekommen, aber selbst an seiner Berufung

erweist er dem Zürcher Obergericht nicht die Ehre. Dieses hat ihm das persönliche Erscheinen allerdings erlassen. Die Vorwürfe und die U-Haft hätten ihm nachhaltig auf die Psyche geschlagen. Aber noch viel schlimmer wiege die Vorverurteilung durch die Medien, donnert sein Anwalt und blickt vorwurfsvoll zur Pressebank, wo vier Gerichtsreporter hocken. «Der durchgeknallteste Ex der Schweiz» hatte der «Blick» damals im September 2008 mit fetten Buchstaben getitelt. Das erstinstanzliche Urteil sei völlig lebensfremd, plädiert der Verteidiger mit der roten Fliege. Maria habe mit ihrem Eindringen Traumata bei Freddy hervorgerufen. Seit der Trennung vor vier Jahren bekämpfen sich die beiden gnadenlos und unerbittlich. Er zeigte sie an wegen Hausfriedensbruchs. Sie klagte wegen Körperverletzung. Er warf ihr vor, ihn am Telefon zu terrorisieren. Und sie behauptete, er habe sie vergewaltigt. Ein Vorwurf, den Maria bereits an zwölf Männer gerichtet hat – sogar an ihren Psychiater. «Alles erstunken und erlogen», grollt der Anwalt. Sein Mandant sei freizusprechen und die Medien täten gut daran, über den Freispruch zu berichten. Das Obergericht stimmt ihm zu und spricht Freddy M. ohne Einschränkung frei. Er dürfe sich auf Notwehr berufen. Dass seine Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs, falscher Anschuldigung oder Telefonterrors von den Behörden unbeachtet geblieben seien, sei skandalös, echauffiert sich der Vorsitzende Richter. «Man stelle sich vor, das Gleiche wäre einer Frau passiert.» * Persönliche Angaben geändert. ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 239/10


Expertenkult Die Polit-Börsenmakler Immer mehr Experten, immer mehr Expertenmeinungen. Daumen hoch, Daumen runter. Wir leben in einer Expertokratie, in der immer mehr Leute das Denken Spezialisten überlassen. Doch deren Gedanken reichen oft auch nicht weiter als bis zu den nächsten Wahlen. VON CHRISTOF MOSER

Politologen haben an den Meinungsbörsen Hochkonjunktur. Sie sind die Makler politischer Trendmeldungen. Demoskopie, Meinungsforschung, ist für Politiker längst zur wichtigsten Handlungsanleitung geworden. Kein Tag ohne Umfrage. Keine Woche ohne Beliebtheits-Rating. Was macht das mit der Politik? Der Vergleich mit der Börse ist angebracht: Es geht auch in der Politik immer stärker um den kurzfristigen Erfolg. Um Wählerpotenziale, die es noch zu holen gibt. Und es geht darum, zu den Gewinnern zu gehören, ohne das Verlieren zu riskieren. Darum, der Mehrheit nach dem Mund zu reden. Langfristige Ziele, nachhaltiges Handeln, also das, was für die Zukunft wichtig ist, gerät im öffentlichen Diskurs unter die Räder vom Jetzt und Sofort. Es ist kein Zufall, dass Symptombekämpfungen in der Bevölkerung grossen Zuspruch finden. Minarettverbot und Ausschaffungsinitiative sind nur zwei Beispiele dafür. Politologen beklagen diesen Trend in ihren Kommentaren. Und befeuern ihn paradoxerweise gleichzeitig mit ihren Polit-Börsenanalysen. Exemplarisch dafür ist die Kritik am neuen Parteiprogramm der SP. Die Sozialdemokraten wollen den Kapitalismus überwinden. Sie wollen in die EU und die Armee abschaffen. Das wollten sie schon immer, deshalb sind sie Sozialdemokraten. Es scheint jedoch nicht mehr in unsere Zeit zu passen. Star-Politologe Michael Hermann geisselte das SP-Programm als «abstraktes, blutleeres Bekenntnis zu alten Grundsätzen», mit dem «die Mitte der Gesellschaft nicht zu gewinnen» sei. Und er prognostiziert der SP deshalb schon vorab Verluste bei den nächsten Wahlen.

ERWIN

SURPRISE 239/10

Lieber in ideologischer Schönheit sterben, als pragmatisch überleben – so lässt sich Hermanns Kritik an der SP zusammenfassen. Man kann das so sehen. Man könnte aber auch finden, die SP halte mutig an ihren Grundsätzen fest. Kann es so falsch sein, nach der Finanzkrise, die uns fast in den Abgrund gerissen hat, auf der visionären Suche nach Alternativen zu bestehen? In die EU wollten im Übrigen bis vor wenigen Jahren auch die Mitteparteien FDP und CVP. Bis die Meinungsforscher – Experten – aufzeigten, dass in der Schweizer Bevölkerung nur noch eine schwindende Minderheit dafür ist und damit keine Mehrheiten zu gewinnen sind. Wer links ist, ist ideologisch. Wer rechts ist, realistisch. Darauf lassen sich die Botschaften von Politologen herunterbrechen, denen es in ihren Analysen nicht um Inhalte geht, sondern um Erfolg und Erfolgspotenziale. Auch das ist pure Ideologie. Und erst noch eine Ideologie, die uns keinen Schritt weiterbringt, sondern politische Visionen am kurzfristig Machbaren zerschellen lässt. ■

… und der Ökoeinkauf

VON THEISS

7


Porträt Bartli ohne Most Jedes Jahr am 6. Dezember verwandelt sich Thomas Hinder. Als Knirps hoffte er an diesem Tag jeweils vergeblich auf Besuch. Heute bringt er als Samichlaus Kinderaugen zum Strahlen. VON MICHÈLE FALLER (TEXT) UND LUCIAN HUNZIKER (BILD)

Sein erster Einsatz im Quartier bleibt unvergesslich. «Ich war hoffnungslos überfordert», gesteht er lachend. Rund 13 Familien besuchte er an einem Abend und rechnete pro Haus mit einer Viertelstunde. Da aber sowohl Wege als auch Besuche länger als berechnet dauerten, geriet der Zeitplan rasch durcheinander. Bei der letzten Familie klopfte er gegen halb zehn an die Tür. Offenbar rechnete man nicht mehr mit dem Santiglaus, denn die ganze Familie war bereits im Pyjama. Der jugendlich wirkende Mann muss nochmals schmunzeln. «Ich war total erledigt!» Mittlerweile ist der Ein-Klaus-Betrieb zu einem Dreierteam angewachsen, und die Planung wurde perfektioniert. Bis Ende November werden Anmeldungen entgegengenommen – Formulare mit gewünschten Besuchszeiten, Namen, Stärken und Verbesserungspotenzialen der Kinder können per Mausklick heruntergeladen werden. Danach wird ein detaillierter Einsatzplan mit den optimalen Routen für die drei Kläuse erarbeitet, die zu Fuss, mit der Vespa und mit dem Auto im weitläufigen Quartier unterwegs sind. Für die Familien ist der Besuch vom Santiglaus gratis. Mit den freiwilligen Spenden werden gemeinnützige Projekte unterstützt. In ihren Grundsätzen sind sich die drei Santigläuse einig. «Wir sind keine Rächer und Bestrafer, und sagen den Kindern auch nicht, wo der Bartli den Most holt», bringt es der freundliche Mann auf den Punkt, der es einem sowieso schwer macht, sich etwas anderes vorzustellen – trotz dem zur Illustration drohend erhobenem Zeigefinger. Wenn ihm ein Kind jedoch respektlos begegne, könne er durchaus streng sein, bemerkt Thomas Hinder. Es gehe aber nicht darum, erzieherisch etwas zu erreichen, und auch wenn die Eltern das Formular anders ausfüllen, gewichten die drei Kollegen stets das Positive stärker. Es gebe keine Rute, getadelt werde stets wohlwollend oder mit Humor, und niemals werde ein Kind blossgestellt, betont der engagierte Santiglaus. Er nehme viel Positives mit, berichtet Thomas Hinder. Auch wenn es zehn Mal dasselbe Verslein oder ein mehr gekratztes als gestrichenes Geigenkonzertlein gibt: «Ich höre immer mit Begeisterung zu.» Eher unangenehm sei es, wenn er spüre, dass die Kinder von den Eltern irgendwie manipuliert worden seien. Oder wenn er wie ein lästiger Vertreter nur bis in den Hauseingang vorgelassen werde. Das sei aber sehr selten. «Am lustigsten war die Geschichte mit dem Nuggi», erinnert er sich. Es

Vor dem etwas versteckten Haus im Halbdunkel brennt ein einladendes Licht. Es gibt weder Hausnummer noch Namensschild, doch das weisse Gartentor steht offen. Auf das Klingeln hin öffnet kein weissbärtiger Alter mit rotem Gewand, sondern ein Mann mit blütenweissem Hemd und jungenhaftem Kurzhaarschnitt. «Es ist ein bisschen wie Niemandsland hier», entschuldigt er lächelnd die fehlende Beschriftung. Ob Zufall oder nicht – es bringt ein wenig Wintermärchenland ins Wohnquartier. Der Mann im weissen Hemd behauptet nämlich von sich, er sei der Samichlaus. Der Santiglaus – oder je nach Region eben Samichlaus, -chlous, -chlais oder -klaus genannt – wohnt also keineswegs mit Schmutzli und seinem Esel zusammen, sondern mit seiner Frau, den zwei Kindern, einem Labrador, zwei Katzen und drei Hühnern am Stadtrand von Basel. Er heisst mit bürgerlichem Namen Thomas Hinder, ist im kaufmännischen Bereich tätig und hörbar aus dem St. Galler Rheintal zugewandert. Wenn er sich am 6. Dezember in den Santiglaus verwandelt, spricht er Bündner Dialekt. «Mit dem anderen Dialekt stelle ich um. Dann bin ich der Samichlaus.» In der geräumigen Stube, wo im Cheminée ein heimeliges Feuerchen lodert, präsentiert Thomas Hinder, assistiert von der ganzen Familie, sein edles Kostüm, das ihn nicht zu einem kuscheligen Zipfelmützensantiglaus, sondern zum ehrwürdigen Bischof Nikolaus von Myra macht. Angefangen hat er, der schon in der Schule gerne Theater gespielt hat, seine Klausenkarriere aber bereits in der Lehre. Mit 16 dem eigenen Chef die Leviten lesen? «Ich war schon kritisch, aber nie massregelnd und immer humorvoll.» Der nächste wichtige Auftritt fand in Basel statt, wohin Thomas Hinder vor über 20 Jahren seiner Jugendfreundin und heutigen Frau gefolgt ist. Mit einem klassischen roten «Warenhaus-Gwändli» trat er am 6. Dezember vor die unterdessen elfjährige Tochter und den vierzehnjährigen Sohn, die sich heute natürlich längst nichts mehr vormachen lassen. Kurz darauf, vor rund zehn Jahren, war die Pfarrei seiner Frau auf der Suche nach einem Santiglaus, der die Kinder des Quartiers besucht. Seither ist der evangelische Thomas Hinder als katholischer Klaus unterwegs. «Die Konfession spielt überhaupt keine Rolle», erklärt er. Beim ersten Einsatz geriet der Zeitplan durcheinander. Als der SaWarum der Mann ehrenamtlich einen lanmichlaus am letzten Haus klopfte, öffnete die Familie im Pyjama. gen Abend seiner freien Zeit plus Vorbereitungsarbeit investiert, ist schnell gesagt: «Um den Kindern eine Freude zu bereiten», erklärt er schlicht. Als er selber war abgemacht, dass ein etwa Fünfjähriger seinen Nuggi abgeben sollnoch ein Kind war, sei der Samichlaus nur einmal gekommen, und obte. Das Kind behielt den Nuggi im Hosensack und rückte ihn erst nach wohl jedes Jahr ein Säcklein vor der Tür lag, habe er sich als Bub imlangen Diskussionen heraus. Kurz darauf musste ihn der geduldige Sanmer gewünscht, der Samichlaus möge doch wieder einmal persönlich tiglaus nochmals heimlich aus dem Sack kramen – für den Vater des vorbeischauen – auch als er schon nicht mehr glaubte, dass dieser wirkKindes, den plötzlich Zweifel an der Massnahme überfielen. Das Lachen lich im Wald wohne. Nun macht er den wartenden Kindern diese Freuauf Thomas Hinders Gesicht weicht einem nachdenklichen Ausdruck. de. Auch sei es schön, als eigentlich wildfremde Person für einen Au«Ich finde es wichtig, dass man seine Sache als Samichlaus gut macht. genblick in eine Familie aufgenommen zu werden. «Die Leute verraten Ich bin alles andere als fehlerfrei, aber an diesem einen Tag versuche ich die Stärken und Schwächen ihrer Kinder. Das ist etwas sehr Intimes.» es zu sein.» ■

8

SURPRISE 239/10


SURPRISE 239/10

9


Verhütung «Zu welchem Zweck darf eine Frau Sex haben?» Die Erfindung der Antibabypille vor 50 Jahren war mehr als ein wichtiger Schritt in Sachen Verhütung: Frauen begannen ihren eigenen Spass am Sex zu fordern – und einen Orgasmus. Was allerdings die Verhütungsverantwortung betrifft, sagt Andrea Maihofer, Professorin für Geschlechterforschung an der Universität Basel, sind wir seither nicht viel weitergekommen.

VON MENA KOST (TEXT) UND DOMINIK PLÜSS (BILD)

Frau Maihofer, die Pille ist das beliebteste Verhütungsmittel der Schweizerinnen: 55 Prozent der 20- bis 44-Jährigen nehmen sie, bei den 20- bis 29-Jährigen sogar 72 Prozent. Wie hat man eigentlich vor der Pille verhütet? Im 19. Jahrhundert hat sich beispielsweise der Coitus interruptus in Mitteleuropa ausgebreitet und zu einer der Hauptformen der Verhütung entwickelt – auch wenn diese Methode natürlich sehr unsicher war. Die ersten Kondome wurden bereits im 18. Jahrhundert benutzt. Allerdings waren sie weder praktisch noch sicher. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Kondome zuverlässiger, da sie nun aus Latex und nicht mehr aus Stoff oder Tierdärmen hergestellt wurden. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren sie aber in den meisten Ländern verboten.

Frauen hatten Sex vor der Ehe. Weiter plädierten 71 Prozent der Männer und 62 Prozent der Frauen für Empfängnisverhütung. Im Kontext jener Zeit sind das sehr viele. Es sprachen sich mehr Männer als Frauen für Empfängnisverhütung aus? Für Männer war das insofern wichtiger, als sie in der Regel auch Sex hatten mit Frauen, mit denen sie nicht verheiratet waren. Für die Mehrheit

«Am Anfang wurde den Frauen die Pille nur mit Einverständnis des Ehemannes verschrieben.»

Als 1961 die Antibabypille auf den Markt kam, gab es also kaum zuverlässige Verhütungsmittel. Trotzdem war die Pille anfangs sehr umstritten. Und zwar, weil sie die Frage aufwarf: Zu welchem Zweck darf eine Frau Sex haben? Dazu muss man wissen: Nach 1945 kam es im gesamten mitteleuropäischen Kontext und in den USA zu einer Verschärfung der Sexualmoral. Unter anderem deshalb, weil Frauen – insbesondere in den Ländern, die am Krieg beteiligt waren – eine grosse Selbstständigkeit gewonnen hatten. Viele hatten, gezwungenermassen, Formen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entwickelt, die sie nicht mehr aufgeben wollten. In den Ehen begann es zu kriseln, die Scheidungsraten waren hoch. Von staatlicher und religiöser Seite wurde deshalb verstärkt auf die alten familialen Werte verwiesen. Dazu gehörte, dass Sexualität ausschliesslich in der Ehe stattzufinden und nur der Fortpflanzung zu dienen hatte. Basta! Wie sah die Realität aus? Eine 1949 in Deutschland durchgeführte Studie zu Sexualvorstellungen und Sexualpraktiken zeigt: 63 Prozent der Männer und 18 Prozent der

10

der Frauen hingegen fand Sex ausschliesslich innerhalb der Ehe statt – und ein paar Kinder wollten die meisten ja schon haben. Die meisten Männer und einige Frauen hatten also trotz entgegenlaufender gesellschaftlicher Moralvorstellungen Sex vor der Ehe. Es gab in der Tat eine grosse Diskrepanz zwischen dem, was die Leute taten und richtig fanden, und der Sexualmoral von Staat und Kirche. Was waren die Folgen dieser Doppelmoral? Einerseits wurde nicht über Verhütung und aussereheliche Sexualität gesprochen, andererseits wollten viele Leute nur noch zwei, drei Kinder haben: Also war zum Beispiel Abtreibung ein virulentes Thema. Ausserdem sind an dieser Doppelmoral viele Beziehungen zerbrochen. Entweder jene zu den eigenen Eltern oder jene zum Partner. Ich habe in meinem Freundeskreis beides erlebt, das waren dramatische Geschichten: Eine Freundin etwa hat die Schule geschmissen und ist mit ihrem Freund abgehauen. Wessen Sache war die Verhütung vor der Einführung der Pille? Der Coitus interruptus ist natürlich primär Sache des Mannes. Ansonsten aber waren es die Frauen, die sich um Verhütung oder die Folgen von Nicht-Verhütung zu kümmern hatten. Mit der Pille wurde die Verhütung noch eindeutiger Sache der Frau. Daran hat sich bis heute nicht SURPRISE 239/10


SURPRISE 239/10

11


viel geändert: Eine aktuelle Studie zeigt, dass viele Männer immer noch der Meinung sind, dass Verhütung Frauensache sei. Sexualität im Allgemeinen und Verhütung im Speziellen waren in den 1950er-Jahren Tabuthemen. Mit dem Aufkommen der Pille griffen die Medien das Thema erstmals auf. Hat die Pille das Thema Verhütung salonfähig gemacht? Ja, denn die Pille ermöglicht es, über Verhütung zu sprechen, ohne über Sex oder gar Geschlechtsteile zu reden. Weit wichtiger erscheint mir aber, dass mit der Pille erstmals die Möglichkeit bestand, dezidiert zwischen Sexualität und Fortpflanzung zu trennen. Damit eröffnete sich ein riesiges Feld an neuen sexuellen Praktiken und sexuellen Lebensformen – aus diesem Grund haben einige Leute ja auch etwas gegen die Pille …

Ein Leserbrief an die «Annabelle» aus den 1960er-Jahren, dessen Schreiberin die Pille befürwortet, hat in etwa folgenden Inhalt: Die Pille sei eine gute Sache, weil die Frau mit der Einnahme den «normalen sexuellen Trieben» ihres Mannes gerecht werden könne. Die Vorstellung, dass der Sexualtrieb der Männer grösser sei als jener der Frauen, ist heute noch verbreitet, obwohl der potente Mann und die eher frigide Frau eine Erfindung des 19. Jahrhunderts waren. Diese Vorstellungen unterschiedlicher sexueller Lust haben aber nichts mit natürlichen Geschlechterdifferenzen zu tun, sondern werden von der Gesellschaft vermittelt. Es ist wichtig zu wissen, dass solche Zuordnungen wandelbar sind: Im 13., 14. Jahrhundert etwa ging man von einer sehr hohen sexuellen Potenz der Frauen aus, die Vorstellung war quasi umgekehrt. Die Frau wollte immer und war unersättlich. Aber auch wenn solche Zuordnungen wandelbar sind: Im Selbstbild der einzelnen Männer und Frauen sind sie leider wirksam.

Zum Beispiel die katholische Kirche: Als die Pille in den 1960er-JahEs gibt zahlreiche Beispiele von Frauen, die ihre Sexualität frei und ren auf den Markt kam, hat man auf eine Stellungnahme des Papstes selbstbestimmt leben. zu dieser Verhütungsmethode gewartet: 1968 verbot Paul VI. in Nehmen wir etwa den Film: Es gibt heute, anders als in den 1970er-Jaheinem Schreiben dann jegliche Form künstlicher Empfängnisverren, sogar sehr viele Beispiele, die Frauen als eigenes sexuelles Subjekt hütung. Zum 40. Jahrestag dieser «Pillen-Enzyklika» erneuerte der zeigen. Als ich jung war, war das noch keinesfalls selbstverständlich. Papst das Verbot. Damals hat man gerade erst angefangen, gesellschaftlich etwas anzuDie Kirche zwingt ihre Gläubigen zur Fortsetzung einer Doppelmoral. stossen. Unterdessen hat die Popularität des Sexuellen aber zu einer unMan weiss heute, dass sich nicht einmal strenggläubige Katholiken vom Papst in der Ausgestaltung ihres Sexuallebens wirklich beeinflussen lassen. Das zwingt sie «Die Pille machte es möglich, über Verhütung zu sprechen, zur Heuchelei, und oft haben sie zudem ein ohne über Sex oder gar Geschlechtsteile zu reden.» fürchterlich schlechtes Gewissen. Was für die Frauen doppelt schlecht ist: Sie haben meist eh geheuren Sexualisierung der Gesellschaft, einer Überbewertung und Verschon ein ungutes Gefühl, weil sie die Pille nehmen – wegen der divermarktung von Sex geführt. Dabei wird nach wie vor mehrheitlich ein versen Nebenwirkungen. Die katholische Kirche zeigt sich hier als eine altetes Bild von Sexualität vermittelt, das häufig in Sexismus übergeht. sehr anachronistische Organisation: Einerseits nimmt sie die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht zur Kenntnis, andererseits verharrt sie Sexistisch gegenüber Frauen? fundamentalistisch in alten Mystizismen. Attribute, die heute lieber anUnd Männern. Frauen werden noch immer oft als Lustobjekt des Manderen Religionen zugeschrieben werden, als dass man sich selbst krines dargestellt und darauf reduziert. Inwiefern es etwas ändert, dass vietisch betrachten würde. le Frauen ihre Inszenierung als Lustobjekt heute als Teil ihrer sexuellen Eigenständigkeit verstehen, ist natürlich eine spannende Frage … GleichIn den ersten Jahren wurde die Pille auch unter Nichtkatholiken zeitig zwingen sich viele Männer in die Rolle des potenten, sexuell unnur verheirateten Frauen mit der Zustimmung des Ehemanns verglaublich aktiven Parts, weil das noch immer zum herrschenden Bild von schrieben. Männlichkeit gehört. Es kommt heute aber durchaus auch vor, dass sich In meiner Schule zirkulierten Listen mit Frauenärzten, welche die Pille Männer als Lustobjekt für Frauen oder andere Männern inszenieren. Hier auch an unverheiratete Frauen verschrieben. Das war mein Weg, an die verändert sich etwas. Das ist einerseits gut, andererseits hat die zunehPille zu gelangen. Als ich dann einen festen Freund hatte, war klar, dass mende Sexualisierung der Gesellschaft etwas sehr Zwanghaftes. er nicht bei mir im Bett schlafen durfte. Was zur Kuriosität führte, dass mein Freund, wenn er mich übers Wochenende besuchte, offiziell in der Wohin führt die Sexualisierung der Gesellschaft? Garage auf einer Couch schlief, aber sobald es ruhig wurde im Haus, bei Das lässt sich noch nicht sagen. Aber diese Frage wird in den nächsten mir durchs Fenster einstieg und morgens beizeiten wieder verschwand. Jahren mit Sicherheit ein wichtiges Thema sein. Deshalb möchte ich daSelbstverständlich haben meine Eltern das gewusst, aber gesagt haben zu vermehrt forschen: Es sieht so aus, als ob viele Konflikte in den Besie nichts. Man hat extrem darauf geachtet, den Schein zu wahren. Für ziehungen damit in Verbindung stehen. Während vor 50 Jahren die reviele Jugendliche war diese Doppelmoral einer der Gründe für das grosal gelebten Paarbeziehungen liberaler waren als die von der Gesellschaft se Misstrauen gegenüber der Elterngeneration. vermittelten Moralvorstellungen, scheint es heute umgekehrt: Natürlich sind Frauen in vielen Bereichen ihres Alltag sehr viel eigenständiger, Auf der Website eines Antibabypille-Anbieters wird die Pille als Ausemanzipierter, selbstbewusster als damals. In der gelebten Sexualität löser der sexuellen Befreiung der Frau gefeiert. Von einer «Revolusind Frauen – und auch Männer – aber viel weniger frei, als es die Metion» ist die Rede. Was sagen Sie dazu? dien oder die Gesellschaft darstellen. Mit der Pille hatten Frauen die Möglichkeit, das Kinderkriegen zu kontrollieren und ihre Angst vor ungewollten Schwangerschaften und AbEs hat quasi eine Umkehrung der Doppelmoral stattgefunden? treibungen zu vermindern. In diesem Sinn bedeutete die Pille für viele Ja. Eine der Forderungen, die in den 1970er-Jahren aufkam, war, dass Frauen eine ungeheure Befreiung: Sie hatten plötzlich die Möglichkeit, Frauen ihre Sexualität befriedigter leben können, sie beispielsweise eiihr Sexualleben frei zu bestimmen. Sie konnten selbstständig mit dem ne Sexualpraxis haben, die sie einen Orgasmus haben lässt. Wenn man eigenen Begehren umgehen und fanden bald, dass Sexualität auch den aktuellen Zahlen glauben darf, dann haben heute rund 80 Prozent Spass machen und nicht nur der Fortpflanzung oder der Befriedigung der Männer beim Sex einen Orgasmus und nur 30 Prozent der Frauen. des Ehemannes dienen sollte. Es ging ihnen darum, eine Sexualität zu Das heisst, dass Frauen noch immer eine Sexualität praktizieren, die sie erfinden, in der sie ihren Platz hatten – und einen Orgasmus.

12

SURPRISE 239/10


nicht wirklich befriedigt sein lässt. In einer Vorlesung habe ich Studierende gefragt, was sie zu diesen Zahlen sagen: Vor allem Frauen meinten, dass Männern ein Orgasmus eben wichtiger sei. Es gibt auch Studien, die zeigen, dass viele Frauen Orgasmen vortäuschen, um den armen Kerl vor dem Gefühl zu bewahren, er habe etwas falsch gemacht. Im Privaten wird in der Tat nicht gerade viel über Sexualität gesprochen!

50 Jahre plus Nebenwirkungen

«Die Pille ist ein Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation.» Das sagte die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer in der «Deutschen Ärzte Zeitung». Pflichten Sie ihr bei? So unbekümmert würde ich das nicht sagen. Die Pille ist schliesslich ein Hormonpräparat, und diese Art von Körperverhältnis als Meilenstein zu bezeichnen, finde ich problematisch.

VON MENA KOST

Weil die Pille in die natürlichen Abläufe des Körpers eingreift? Ist die Natur ein Wert? Mit dem Begriff «Natur» als normative Grösse möchte ich in diesem Zusammenhang nicht arbeiten. Viel eher berechtigt finde ich die Frage: Wie fühlt sich etwas an? Welche Konsequenzen hat etwas für mich? Und die Pille erleben viele Frauen als einen Eingriff in ihre Psyche und ihren Körper. Die Nebenwirkungen der Pille können enorm sein: Sie gehen von Migräne, Depressionen, Zwischenblutungen, Spannung in den Brüsten, Gewichtszunahme und Abnahme der Libido bis zu Thrombosen und Embolien. Die Frauen müssen für diesen «Meilenstein» also einiges bezahlen … Obwohl diese Nebenwirkungen heute im Gegensatz zu früher Allgemeinwissen sind: Die Nachfrage nach der Pille ist ungebrochen. Wieso? Das liegt wohl daran, dass es ausser Kondomen keine wirklichen Alternativen zu hormonellen Verhütungsmitteln gibt. Die Pille für den Mann scheint seit rund 20 Jahren kurz vor dem Markteintritt zu stehen. Kürzlich wurde jedoch einmal mehr verlautet, dass sie in absehbarer Zeit nicht in die Läden komme. Es heisst, dass die Pille für den Mann schwierig zu entwickeln sei. Ich glaube das allerdings nicht so richtig. Eher glaube ich, dass sich darin ein ganz bestimmtes Geschlechterverhältnis reproduziert: In dem Moment, in dem die Pille für den Mann auf dem Markt wäre, müssten die Männer dazu bereit sein, in ihren Körper einzugreifen und Verantwortung zu übernehmen. Und das sind sie nicht. Erstens könnte die Pille ja Auswirkungen auf die Potenz haben und zweitens ist es bequemer, wenn die Frauen sich damit auseinandersetzen müssen, ob sie dieses Ding jetzt nehmen oder nicht. Wenn das Geschlechterverhältnis aber nochmals einen Schritt gleichberechtigter wird, da bin ich mir sicher, ■ wird es bald auch neue Formen der Verhütung geben.

Zur Person: Andrea Maihofer, 57, ist seit 2001 Professorin für Geschlechterforschung und Leiterin des Zentrums Gender Studies der Universität Basel. Sie hat in Frankfurt am Main in Philosophie promoviert und in Soziologie habilitiert. Danach übernahm sie Vertretungsprofessuren an mehreren deutschen Unis sowie in Wien. Sie ist Vizepräsidentin des Centrums für Familienwissenschaften in Basel und Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Geschlechterforschung. SURPRISE 239/10

Historikerin Dorothee Minder hat untersucht, wie die Pille in den 1960er-Jahren in den Medien diskutiert wurde. Und festgestellt: Frauen, die aus erster Hand über ihre Erfahrungen mit der Pille hätten berichten können, kamen keine zu Wort.

«Ich habe die Pille selbst mehrere Jahre genommen», erklärt Dorothee Minder. Mit der Zeit hat das Hormonpräparat die 30-Jährige immer mehr eingeschränkt: «Diverse Nebenwirkungen haben sich eingestellt: Ich habe Wasser eingelagert, bekam Stimmungsschwankungen, Migräne, Hautprobleme, und die Libido nahm ab.» Trotzdem: Wann immer Minder in den Medien etwas über die Pille las oder hörte, sei sie durchwegs positiv dargestellt worden – von den zahlreichen Nebenwirkungen, an denen Minder litt, stand hingegen nichts: «Das hat mich irritiert und ich begann, mich wissenschaftlich fürs Thema zu interessieren.» In Ihrer Arbeit «Die Rezeption der Pille in den Medien der Schweiz in den 1960er Jahren: Diskurse über Moral und Verhütung» hat Minder nun gezeigt, das Nebenwirkungen auch damals kaum diskutiert wurden. «Und das, obwohl man nicht wissen konnte, ob die Einnahme der Pille Langzeitfolgen haben wird oder nicht.» Zwar sei in einigen Zeitschriften erwähnt worden, dass die Pille Nebenwirkungen haben könne, es wurde aber darauf hingewiesen, dass es sich um «harmlose» Nebenwirkungen handle, welche die Frauen aber «sehr erschreckten». Von Pharmaunternehmen gesponsert Grundsätzlich, das zeigt die Medienanalyse, war das Thema Verhütung in den 1960er-Jahren ein grosses Tabu – und eine eigenständige weibliche Sexualität erst recht. «Die Frauen hatten glücklich zu sein, dass ihnen durch die Pille die Angst vor ungewollten Schwangerschaften genommen wurde – dieses Befreitsein von der Angst nannte man dann ‹sexuelle Befreiung›. Sich über Nebenwirkungen zu beklagen stand den Frauen nicht zu.» So kamen denn auch in keinem einzigen der Artikel, die Minder untersuchte, Frauen zu Wort, die selbst die Pille schluckten und über ihre Erfahrungen mit dem Hormonpräparat hätten berichten können. Mit der Stellungnahme des Papstes «zum menschlichen Leben und zur Verhütung» im Jahr 1968 wurde der Diskurs um das Verhütungsmittel dann etwas offener: Es wurde nicht mehr nur im Zusammenhang mit «Familienplanung» über Verhütung geschrieben, sondern über Verhütung und die Pille an sich. «Auch wenn der Papst künstliche Verhütung verbot – die Stellungnahme einer moralischen Instanz machte es leichter, darüber zu schreiben», so Minder. Nebenwirkungen allerdings wurden weiterhin kaum thematisiert. «Was das anbelangt, hat sich bis heute kaum etwas geändert – bei Unverträglichkeit wird nach wie vor ein Präparatewechsel empfohlen.» Zwar sind den meisten Frauen die möglichen Nebenwirkungen der Pille heute bekannt, öffentlich darüber debattiert wird aber noch immer nicht. Minder: «Als ich mich für das Thema zu interessieren begann, habe ich festgestellt, dass viele der Websites und Magazine, welche die Pille unkritisch betrachten, von Pharmaunternehmen gesponsert sind, die hormonelle Verhütungsmittel vertreiben.» Und diese Unternehmen machten mit der Pille massiven Umsatz: «Allein der Konzern Bayer-Schering erwirtschaftet jährlich circa 2.8 Milliarden Euro Umsatz im Bereich der Frauenmedizin. Die Pille macht davon einen Grossteil aus.»

13


BILD: KEYSTONE

Die Berner Politologen Georg Lutz, Claude Longchamp, Adrian Vatter und Hans Hirter unterhalten sich bestens vor dem Rathaus in Bern.

Expertenkult Royals der Demokratie Seit Journalisten keine Zeit mehr haben, selber zu denken, lagern sie das Denken an Experten aus. Vor allem Politologen werden von der Medienindustrie nachgefragt. Sie propagieren all zu oft eine Politik, in der nicht Inhalte zählen, sondern nur der Erfolg. VON CHRISTOF MOSER

Wenn der Mann mit der Fliege auf dem TV-Bildschirm auftaucht, wissen selbst Polit-Muffel, was das zu bedeuten hat: Es wurde gewählt, abgestimmt, die Demokratie hat zugeschlagen und unser Land politisch neu justiert. Und Claude Longchamp, der Hauspolitologe des Schweizer Fernsehens, der Mann mit der Fliege, analysiert und kommentiert die neue Lage der Nation. Jede noch so kleine Verschiebung von Wählerprozenten wird durch seinen berufenen Mund zum lauten Knirschen im Staatsgebälk. Lange war Longchamp, ein Zögling der Politologie-Eminenzen Hanspeter Kriesi (Universität Zürich) und Wolf Linder (Universität Bern), der Einzige seines Fachs, der den heiklen Spagat zwischen medialen Auftritten und universitärer Würde wagte. Auch in der Politologie, also der

14

«Wissenschaft von der Politik», gilt die Regel: Je präsenter jemand in Publikumsmedien, desto kleiner seine akademische Reputation. Die SRG dankt ihm diesen Mut bis heute mit Aufträgen in der Höhe von 300 000 Franken pro Jahr, was zehn Prozent des Umsatzes seiner Firma GfS ausmacht. In Wahljahren wie 2011 wird daraus das Doppelte. Weshalb sich Longchamp immer seltener in die Niederungen von Privatradios und Onlineportalen zu begeben braucht, um mit medialer Aufmerksamkeit neue Kunden für sich zu akquirieren. Dort buhlen inzwischen Heerscharen anderer Politologen um die Aufmerksamkeit des Publikums. Sie heissen Michael Hermann, Regula Stämpfli, Adrian Vatter, Hans Hirter, Anton Ladner oder Georg Lutz und profitieren vom Vakuum, das Longchamp mit seiner zunehmenden Verweigerung von Kurzinterviews und Instant-Analysen in den Medien hinterlassen hat. Gezielt haben Verlagshäuser deshalb neue Namen aufSURPRISE 239/10


gebaut. Hermann ist – nicht ausschliesslich, aber vor allem – Politologe des Tamedia-Onlineportals «Newsnetz», Stämpfli kommentiert für das Zürcher «Radio 1», Vatter hält sich an «TeleBärn» und «Der Bund», und auch Hirter, Ladner und Lutz sind regelmässig für die Medien tätig. Und immer öfter hat man als Beobachter das Gefühl, die Politologen hätten sich in den letzten Jahren nicht nur vervielfältigt, sondern sich in ihrem Tun auch verselbstständigt.

den Wahlen 2011 erneut zu den grossen Gewinnern gehören. Im gleichen Zeitraum kritisierte Hermann das neue Programm der SP als «abstraktes, blutleeres Bekenntnis zu alten Grundsätzen», mit dem «die Mitte der Gesellschaft nicht zu gewinnen» sei. Stämpfli, deren inhaltliche Kritik an Hermann im medial aufgebauschten Plankton-Geplänkel erwartungsgemäss total unterging, bezichtigt ihren Kollegen, die Politik mit seinem Fokus auf die Beurteilung von Wählerpotenzialen zu einem reinen Kampf um Macht zu degradieren, völlig losgelöst von Inhalten. «Wer nur über Wähleranteile redet, redet nie über das, was für die Allgemeinheit wichtig ist, sondern nur über den Erfolg einer Partei», sagt sie. «Der Vermessung verpflichtete Politologen betreiben mit der Demokratie, was die Rating-Agenturen mit dem freien Markt machen: Sie verpacken Nichts in ein mathematisch sauberes Modell und verkaufen dieses als spannende Aussage.» Die Tendenz, so Regula Stämpfli, für die Medien den politischen Showdown um Sieg und Niederlage zu zelebrieren, gehorche ganz automatisch der SVP-Logik des permanenten Wahlkampfs: «Hinter meiner Methodenkritik steckt ein grosses Unbehagen über das, was vor unseren Augen passiert.» Hermann wiederum kontert diese Kritik, in dem er sich seinerseits von Stämpfli abgrenzt. Er betreibe «technische Beurteilungen des politischen Handwerks», analysiere, ob eine Partei mit ihren Positionen und ihrem Vorgehen die Diskurshoheit in einem Thema übernehmen könne.

Ein Geograf als Medienstar Die Konkurrenz um Schlagzeilen und Sendezeit führt zu Gekeife, und das Gekeife zwischen den zu Promis hoch geschriebenen Politologen wiederum zu Schlagzeilen. So geschehen, als Regula Stämpfli diesen Herbst in ihrer Kolumne auf «Radio 1» Kollege Michael Hermann als «Wahlvermesser mit dem Reflektionsgrad eines Planktons» beschimpfte, der «alle 48 Stunden via Onlineportale von Tamedia hustet». Der Hintergrund dieser Beschimpfung sei ja vielleicht, keifte Hermann zurück, dass Stämpfli auf diesen Onlineportalen nicht so oft zitiert werde wie er. Kaum ein Medium hat auf eine Berichterstattung über diesen Streit verzichtet. In einer Expertokratie, wie wir sie heute haben, werden die Politologen zu den Royals der Demokratie. Das Rückgrat der Medienindustrie sind sie schon längst. «Journalisten haben heute keine Zeit mehr, Themen und Ereignisse einzuordnen», sagt Lukas Golder, Politologe und Mitarbeiter im GfS-Institut von Claude Longchamp. «Weil aber Einordnungen in der Infor«Was wir Politologen machen, kann auch jeder gute Inlandjournalist. mationsflut immer wichtiger werden, lagern Heute gibt es jedoch fast nur noch Allround-Newsjournalisten.» sie die Medien an Politologen und andere Experten aus.» Allein in der Deutschschweiz «Es ist nicht meine Aufgabe, zu beurteilen, ob die von einer Partei verdrucken die Zeitungen pro Tag im Schnitt 120 Expertenmeinungen ab – tretenen Werte erstrebenswert sind», so Hermann. Er sieht Regula Stäm«von Polit- und Finanzfachleuten bis zu Schafzucht- und Thermoskanpfli als «kritische Intellektuelle» und meint, dass sie diese an sich legitinenspezialisten», wie Kurt W. Zimmermann, Medienkritiker der «Weltme Rolle und ihre «klaren Positionsbezüge, zum Beispiel gegen die woche», treffend festhielt. «Da viele Journalisten ihre Konkurrenz nicht SVP», oft hinter politologischer Neutralität zu verbergen suche. Allerkonkurrenzieren, sondern lieber kopieren, vermehrt sich die Mediendings gibt Hermann zu, dass in seinen Expertenbeurteilungen durchaus präsenz der Experten wie im Schneeballsystem», so Zimmermann weiauch seine persönliche Meinung einfliesst: «Mich hat das SP-Programm ter. Dass sie ihre Auskünfte meist gratis anbieten und so unschlagbar ganz einfach enttäuscht.» Einig ist sich Hermann mit Stämpfli darin, billige Content-Lieferanten für Medienkonzerne sind, darf hier nicht undass die Omnipräsenz von Experten in den Medien eine Folge des jourerwähnt bleiben. nalistischen Niedergangs ist: «Was wir Politologen in unserer ExpertenDieser Logik des Mediensystems verdankt Michael Hermann seinen rolle machen, kann auch jeder gute Inlandjournalist. Heute gibt es jeAufstieg zum Star-Politologen Nummer zwei hinter Longchamp. Herdoch fast nur noch Allround-Newsjournalisten, die mit der politischen mann ist genau genommen gar nicht Politologe, sondern Geograf, hat Einschätzung eines Themas überfordert sind.» aber die beiden wissenschaftlichen Disziplinen mit der kartografischen Wie spannend Politologie abseits von Jagdanleitungen nach ungeDarstellung der Politik im Buch «Atlas der politischen Landschaften» zu nutzten Wählerpotenzialen sein kann, bewies einmal mehr die kürzlich einem Medienschlager verbunden. Und mit den Spinnennetz-Grafiken erschienene Selects-Studie zu den Wahlen 2007, eine umfassende, refür «Smartvote», mittels derer Wähler ihre politische Positionierung mit gelmässig durchgeführte Untersuchung des Wählerverhaltens in der jener von Kandidaten vergleichen können, seine Position als Medienstar Schweiz, finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds. Demnach neigefestigt. Mit seiner Firma «Sotomo» arbeitet er auf eigene Rechnung gen die Stimmbürger immer stärker zum «strategischen Übersteuern», und betreut Mandate wie jenes des Wirtschaftsdachverbands «Avenir das heisst, sie wählen radikaler, als sie eigentlich sind, um die Politik in Suisse», der von ihm Vorschläge haben will, wie der Bundesrat refordie von ihnen gewünschte Richtung zu bewegen. Wahlen werden, so miert werden könnte. Inzwischen rufen ihn an politisch hektischen Tadas Fazit der Politologen, zunehmend zu sachpolitischen Plebisziten. gen nach eigenen Angaben bis zu zehn Journalisten an. In der MedienDieser Befund böte Stoff für spannende Medienberichte. Spannender datenbank SMD tauchte Hermann im letzten Jahr 382 Mal auf – so oft jedenfalls, als die Instant-Plattitüde, die SVP werde mit der baldigen Anwie kein anderer Politexperte im Land. kündigung weiterer Ausländerinitiativen den Nerv der Bevölkerung treffen und deshalb 2011 zu den Wahlgewinnern gehören. Denn für diese Aufgebauschtes Plankton-Geplänkel Prognose braucht es nun wirklich keinen studierten Politologen. «Michael Hermann besitzt die Fähigkeit, politische Situationen ein■ zuschätzen und sie in kurzer Redezeit zu erklären», sagt Georg Lutz über seinen erfolgreichen Kollegen. Hinter dieser neutral-wohlwollenden Aussage verbirgt sich eine Grundsatzfrage, die sich Lutz auch selber stellt: Wo betreiben Politologen tatsächlich noch Aufklärung und wo bewirtschaften sie mit zugespitzten Aussagen einfach nur die Erwartungshaltung der Massenmedien? Genau darauf zielte Regula Stämpflis markige Kritik an Hermann, die sich an dessen Aussage entzündete, die SVP werde mit ihrer Politik bei SURPRISE 239/10

15


BILD: ISTOCKPHOTO

Umweltschutz Was wirklich nützt Es ist schwierig geworden, als umweltbewusster, Mensch das Richtige zu tun. Und nicht wenige fragen sich, ob das Ganze überhaupt etwas bringt. Hier kommt die Antwort.

VON STEFAN MICHEL

Sparlampen sind Sondermüll, Klimadaten gefälscht und die kleine Schweiz trägt zum weltweiten CO2-Ausstoss so wenig bei, dass jede weitere Anstrengung in diese Richtung nur der Schweizer Wirtschaft schadet, aber nichts nützt. Regelmässig findet jemand heraus, dass Umweltschutz nichts bringe oder kontraproduktiv sei und die ganze Klimadebatte ohnehin nichts als der Ausbund einer grossen Verschwörung. An einzelnen Vorwürfen ist etwas dran. So enthalten die jetzt vorgeschriebenen Sparleuchten Quecksilber und müssen deshalb ge-

16

sondert entsorgt werden. «Sondermülllampen» wettern die Kommentatoren auf www.immergenugstrom.ch, dem Webforum des Stromproduzenten Alpiq. Zweifel kommen nicht nur bei jenen auf, die alles für Humbug halten, was aus der grünen Ecke oder vom Staat kommt. Wenn etwas plötzlich schädlich sein soll, das als ökologisch galt, runzeln auch Umweltbewusste die Stirn. Zudem fragt sich die eine oder andere, ob ihr Verhalten als Privatpersonen überhaupt einen Einfluss auf die Umwelt hat, verglichen mit der Industrie, klimatisierten Bürotürmen und Lastwagenkolonnen auf den Autobahnen. Mehr noch: Haben die VorschrifSURPRISE 239/10


ten und Ökolabels, die in den letzten drei Jahrzehnten geschaffen wurden, etwas gebracht? Die Zwischenbilanz zeigt: Der Energieverbrauch und die CO2-Emissionen – um nur die zwei meistgenannten Indikatoren zu nennen – steigen weiter an: um zehn Prozent seit 1990. Allerdings leben heute eine Million Menschen mehr in der Schweiz und die Wirtschaft ist um 27 Prozent gewachsen. Die Umwelt zu belasten, ist nicht nur ein Zeichen von Wohlstand, sondern oft auch Mittel zum Zweck. Fast jeder neue Arbeitsplatz braucht Energie und sorgt für Emissionen. Tatsächlich ist die Energieeffizienz gestiegen. Sie zeigt sich im Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Relation zur Zunahme des Energieverbrauchs. Das ist schön, nützt aber nicht viel. Um die Klimaerwärmung zu bremsen, muss die Gesamtbelastung sinken und nicht nur jene pro Kopf.

Das dichte öffentliche Verkehrsnetz der Schweiz leistet auch einen Beitrag an die Zersiedelung und damit an den Verlust an Naturfläche. Wenn man dank der S-Bahn in 20 Minuten seinen Arbeitsort in der Stadt erreicht, zieht man eher aufs Land, als wenn man dafür eine Stunde brauchte. Umso schlimmer, wenn die Familie dabei vom energieeffizienten Mehrfamilienhaus ins Häuschen mit Umschwung zieht. Die steigende Mobilität ist einer der Gründe, weshalb der CO2-Ausstoss und der Energieverbrauch der Schweiz allen Bemühungen zum Trotz zunehmen. Das Bauernhaus und die Badewanne Gebäude werden immer besser isoliert, Heizungen effizienter. Trotzdem steigen die Emissionen weiter an. Ein entscheidender Grund dafür: Die Wohnungen werden immer grösser. Aus 34 Quadratmeter durchschnittlicher Wohnfläche pro Person im Jahr 1980 wurden bis im Jahr 2000 44 Quadratmeter. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Der zusätzliche Wohnraum wird mitgeheizt, beleuchtet und mit Elektronik bestückt. Für eine wohlig warme Raumtemperatur leisten sich Herr und Frau Schweizer eine grosse Wolke CO2. 70 Prozent der Energie, die im Haushalt verwertet wird, geht auf ihr Konto. Weitere zwölf Prozent der Haushaltsenergie wärmen Wasser auf. Nahezu 100 Prozent der CO2-

Wer schadet wie viel? Zurück zur Sparlampe: Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) hat Klarheit geschaffen. Von der Herstellung über den Betrieb bis zur Entsorgung sind Sparlampen das mit Abstand umweltfreundlichste Leuchtmittel – selbst wenn sie im Abfall landet statt in der Sammelstelle. Und auch der vermeintliche Betrug in der Berechnung der Klimaerwärmung ist längst richtiggestellt worden. An der Erkenntnis, dass der Ein fleischfreier Tag pro Woche würde jährlich gleich viel Anstieg des CO2-Ausstosses und der TemperaTreibhausgase einsparen, wie ein Auto auf 3,7 Milliarden tur menschengemacht sind, ändern die maniKilometern ausstösst. pulierten Datenreihen nicht ein Komma, wie der Klimaforscher Martin Grosjean im März in dieser Zeitschrift klarstellte. Zum gleichen Schluss kommen das BundesEmissionen der Schweizer Haushalte entstehen beim Heizen und der amt für Umwelt, die Wissenschaftliche Kommission des britischen Warmwasseraufbereitung. Dies, weil die Mehrheit mit Öl oder Erdgas Unterhauses und weitere Forschungsstellen. Die Klimarevisionisten, eiheizt, der Schweizer Strom aber sehr CO2-sparend erzeugt wird. nige von ihnen Wahlsieger in den USA, ficht freilich auch das nicht an. Wie viel Wohnfläche und Wärmedämmung ausmachen, zeigt folJenen aber, die mit gutem Willen und kritischem Geist einen Beitrag gender Vergleich: Die vierköpfige Familie, die sich mit einer 60 Qualeisten wollen, ohne dem Hedonismus gänzlich abzuschwören, denen dratmeter-Wohnung in einem Minergiehaus begnügt, braucht pro Jahr bietet dieser Artikel Orientierung im Dschungel von Stromspartipps, 240 Liter Öl und 2520 Kilowattstunden Strom. Jene im gemütlichen 120 Mobilitätsmodellen, CO2-Bilanzen und ökologischen Fussabdrücken. Quadratmeter Bauernhaus verbrennt rund 2000 Liter Öl und die zehnfache Menge elektrischer Energie. Erschwerend wirkt sich in der Die Zahlen stammen aus Publikationen der Bundesämter für Statistik Schweiz aus, dass sehr langlebig gebaut wird, weshalb veraltete, wenig und Umwelt, sofern nicht anders angegeben. Die UmweltwissenschaftWärme speichernde Häuser jahrzehntelang weiter benutzt werden. Die ler Roland Hischier (Empa) und Christian Bauer (Paul Scherrer Institut, Experten sind sich einig, dass in Gebäuderenovationen das grösste PoPSI) sowie der Physiker Fredy Dinkel von der Basler Umweltberatungstenzial zur Senkung des CO2-Ausstosses der Schweiz liegt. «Technisch Firma Carbotech haben dazu beigetragen, die entscheidenden Bereiche des Energiesparens und der Emissionsreduktion herauszufiltern. wäre das kein Problem», hält Christian Bauer vom PSI fest, «man muss Energieverbrauch und ausgestossenes Kohlendioxid (CO2) sind die aber entsprechende Anreize für die nötigen Investitionen setzen.» Andererseits fragt man sich ob dieser Zahlen, was man da mit Stromzwei wichtigsten Grössen, mit denen die Umweltbelastung dargestellt sparlampen erreichen will. In die Beleuchtung gehen aber immerhin 18 wird. Natürlich ist das bei Weitem nicht der ganze Umweltschaden, den Prozent des Stromverbrauchs. Dass auch ein relativ kleiner Posten über wir anrichten. Andere Giftstoffe, die wir in die Luft und Gewässer aballe Schweizer Haushalte hinweg zu einem grossen Brocken wird, zeigt geben, Boden, den wir zubetonieren (in der Schweiz täglich die Fläche das Beispiel des Stand-by-Stromverbrauchs. Die gängigen Geräte der von elf Fussballfeldern), Regenwald, der unseretwegen abgeholzt wird, Unterhaltungselektronik lassen sich kaum mehr vollständig ausschalten. aber auch Lärm oder die Zerschneidung von Naturräumen durch Der Strom, den sie jährlich brauchen, während niemand fernsieht, MuStrassen und Bahnlinien gehören dazu. Es gibt Verfahren, welche die sik hört oder den Computer bedient, entspricht der Menge, die das AtomGesamtbelastung abbilden. Doch wie auch immer man misst, eine Erkraftwerk Gösgen in neun Monaten produziert. kenntnis bleibt: Unsere Umweltbelastung ist zu hoch. Wer bereits auf das Auto verzichtet, aber einmal pro Jahr nach SüdDie Wurst auf dem Plastikteller ostasien oder Lateinamerika fliegt, macht einen beträchtlichen Teil Wegwerfteller oder Mehrweggeschirr? Für einen umweltbewussten seiner CO2-Einsparung wieder wett. Wer einen modernen Kleinwagen Menschen ist die Antwort klar. Carbotech hat noch eine andere Antfährt, kann über 10 000 Kilometer zurücklegen und verursacht damit pro wort: Nicht der Teller, sondern die Wurst darauf entscheide über die Person einen gleich grossen Umweltschaden wie Flugreisende im zu 80 Umweltbelastung, heisst es in einer Broschüre des Beratungsbüros. Prozent besetzten Jet nach Bangkok und zurück. Fredy Dinkel, der dort den Bereich Entscheidungsberatung mitleitet, erAuch der öffentliche Verkehr ist nicht über alle Zweifel erhaben. Fünf klärt: «Sehr viele Ökobilanzen werden in Bezug auf Verpackungen gePersonen im Postauto fügen der Umwelt mehr Schaden zu, als wenn sie macht. Das hat mit Wahrnehmung zu tun. Jeder hat täglich Verpackunzusammen im verbrauchsarmen PW sässen. Fredy Dinkel vom Beragen in der Hand. Im Vergleich zum Inhalt macht die Verpackung im tungsbüro Carbotech gibt aber zu bedenken: «Je öfter Menschen das Allgemeinen aber nur wenige Prozent der Umweltbelastung aus.» Selbst Auto nehmen müssen, weil kein Bus fährt, desto öfter werden sie es vodie Kaffeekapseln aus Aluminium fallen im Vergleich zu Anbau, Verarraussichtlich auch dort benutzen, wo die öffentlichen Verkehrsverbinbeitung und Transport des Kaffees nicht so stark ins Gewicht. dungen gut sind.» SURPRISE 239/10

17


Lohnt sich denn das viel gelobte Recycling-System der Schweiz für die Umwelt? Angesichts der Verschiedenheit der Stoffe gibt es keinen Gesamtwert für die Energie- oder CO2-Einsparung. Beim Glas spart die Wiederverwertung gegenüber der Produktion aus frischem Quarzsand nur zehn bis 15 Prozent Energie – besonders der Transport der schweren leeren Flaschen verschlechtert die Ökobilanz. Aluminium hingegen lässt sich mit einer Energieeinsparung von 90 bis 95 Prozent gegenüber neu gewonnenem Bauxit aus Recycling-Material herstellen. Das soll jedoch kein Ansporn sein, noch mehr Sekundärrohstoff zu verursachen. Die Abfallmenge pro Person steigt mit der Wirtschaftsleistung und den Konsumausgaben und liegt mittlerweile bei 720 Kilo im Jahr. Davon landet die Hälfte in der Wiederverwertung. Die natürlichen Ressourcen schützt am besten, wer gar nicht erst so viel Abfall hinterlässt. Einen praktischen Tipp hat Dinkel für Bierliebhaber: Die umweltfreundlichste Verpackung ist die Mehrwegflasche aus der lokalen Brauerei, die nicht weit transportiert werden muss. Beim Einweggebinde schneidet die Aludose besser ab als die Glasflasche, wenn beide nach dem Genuss im richtigen Container landen. Ein anderes geliebtes Gut, das jüngst ins Visier der Klimaschützer geriet, ist das Fleisch. «Das sind für die Schweiz sozusagen Peanuts, da kann man nicht viel sparen», sagt Bauer vom PSI, auf das Sparpotenzial des Nahrungsmittels angesprochen. An den gesamten Treibhausgas-Emissionen der Schweiz macht das Fleisch gerade mal drei Prozent aus – das Achtfache von regionalem und saisongerechtem Gemüse. Immerhin, ein schweizweiter fleischfreier Tag pro Woche würde im Jahr die Menge Treibhausgase (nicht bloss CO2) einsparen, die ein durch-

schnittliches Auto auf 3,7 Milliarden Kilometern ausstösst, wie eine ETH-Wissenschaftlerin im Schweizer Fernsehen vorrechnete. Weniger ist weniger Kompliziert wird es beim Gemüse. Schaut man sich alleine die CO2Bilanz an, dann schneidet manches einheimische Grünzeug, das im geheizten Treibhaus wuchs, schlechter ab, als das per Schiff aus Übersee transportierte. Auch schafft es die industrielle Landwirtschaft bisweilen,

Wer mit dem Auto einkauft, zerstört die schönste Ökobilanz nachhaltig produzierter Lebensmittel.

Anzeige:

Spenden Sie, damit Pascal dabei sein kann.

pro Stück weniger Energie zu verbrauchen und vor allem weniger Land zu nutzen als die biologische. Sicher ist, wer mit dem Auto zum Einkaufen fährt, zerstört die schönste Ökobilanz nachhaltig produzierter Lebensmittel. Und wer grundsätzlich saisonal und regional auswählt, steht in der Endabrechnung gut da. Und so sieht der effektive Umweltschutz aus: Eine kleine Wohnung, möglichst nahe am Arbeitsort und nicht über 20°C geheizt. Autofahrten und Flugreisen sind eine seltene Ausnahme. Überhaupt ist jeder Kilometer, den man nicht zurücklegt, ein guter, es sei denn zu Fuss oder auf dem Velo. Kleinvieh macht auch Mist, heisst es, und die kleinen Energie- und Treibhausgasposten werden zusammengezählt zu einem nicht ganz so kleinen. Darum weniger Fleisch essen und andere Konsumgüter mit schlechter Ökobilanz reduzieren. Das Gleiche gilt für den Energieverbrauch im Haushalt, zum Beispiel für Vollbäder. Das klingt ungemütlich und ist es auch. Ohne Verzicht, so hat das PSI errechnet, können Schweizerinnen und Schweizer ihren Energieverbrauch bis im Jahr 2050 auf 3500 Watt senken, nicht aber auf die als umweltverträglich geltenden 2000 Watt. Technologische Fortschritte sind eingerechnet. Eines funktioniert also nicht: Weitermachen wie bisher. ■

Energie – Herkunft und Verbrauch

Die Stiftung Cerebral hilft in der ganzen Schweiz Kindern wie Pascal und deren Familien. Zum Beispiel mit Massnahmen zur Förderung der Mobilität. Dazu brauchen wir Ihre Spende, ein Legat oder Unternehmen, die einzelne Projekte finanzieren. Helfen Sie uns zu helfen.

Beim Energieverbrauch kommt es darauf an, woraus die Energie gewonnen wird. Benzin, das verbrannt wird, um ein Fahrzeug anzutreiben, schadet sehr viel mehr als Strom aus einem Wasserkraftwerk. Von der gesamten Energie, welche in der Schweiz 2009 verbraucht wurde, stammten 70 Prozent aus fossilen Produkten (Erdöl, Erdgas, Kohle), 18 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen (Wasser, Sonne, Wind etc.). Etwa acht Prozent wurden in Kernkraftwerken produziert. Umgesetzt wurde die Energie zu je 35 Prozent im Verkehr sowie in Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. 29 Prozent entfallen auf die Haushalte. Wer also glaubt, man könne als Privatperson nicht viel zur Einsparung beitragen, liegt falsch. Auch am CO2-Ausstoss sind die Haushalte mit 22 Prozent massgeblich beteiligt, Industrie- und Dienstleistungsunternehmen sowie Verkehr schlagen mit je einem knappen Drittel zu Buche. Privatpersonen im Auto legen auch die überwiegende Mehrheit aller in der Schweiz zurückgelegten Kilometer zurück (rund 80 Prozent). Anders gesagt: Das Individuum kann über die Hälfte der CO2-Emissionen direkt beeinflussen und hat ein beträchtliches Sparpotenzial zugunsten der Umwelt.

Schweizerische Stiftung für das cerebral gelähmte Kind Erlachstrasse 14, Postfach 8262, 3001 Bern, Telefon 031 308 15 15, PC 80-48-4, www.cerebral.ch

18

SURPRISE 239/10


BILD: ISTOCKPHOTO

Armut Das Portemonnaie als Portnütmee Wer weiss mehr von der Armut zu erzählen als die Betroffenen selber? Das Caritas-Projekt «Wir sind arm» veranstaltete deshalb in Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin Tania Kummer eine Schreibwerkstatt für Armutsbetroffene. Dabei entstanden Texte, die eindrückliche Einblicke in den Alltag von Armutsbetroffenen in der Schweiz ermöglichen. Wir haben drei für Sie ausgewählt.

SURPRISE 239/10

19


BILD: ISTOCKPHOTO

Bankomat VON KURT BALDAUF

Obwohl ich einen Vollzeitjob in einem IV-Betrieb habe, musste ich mich die letzten zwei Wochen finanziell stark einschränken. Nachdem lange die Invalidenversicherung für mich zuständig gewesen war, hatte sich die Zuständigkeit der Ämter einmal mehr unerwartet geändert. Seit zwei Monaten ist wieder das Sozialamt für mich verantwortlich. Ich verdiene mit meiner Arbeit einen kleinen Lohn und dieser wird soweit ergänzt, dass ich unterm Strich wenigstens das Existenzminimum erhalte. Das bedeutet aber, dass ich Ende Monat weniger Geld habe als bisher und an diese Einschränkung habe ich mich noch nicht gewöhnt. Eins kam zum andern und plötzlich reichte es kaum mehr für Zigaretten. Dieses Wochenende ist endlich wieder Zahltag. Es ist aber nicht sicher, ob dieser bereits auf meinem Konto verbucht ist. Ich muss dringend meine festen Zahlungen erledigen und ich will unbedingt die Der Füfzger Schulden, die ich in den letzten Tagen bei Freunden gemacht habe, zurückzahlen. Ich bin also auf das Geld angewiesen und mache mich am VON HENRIETTE KLÄY Samstagmorgen auf den Weg zu meiner Bank. Ich hätte es gestern schon versuchen können, wollte dem Schicksal aber eine zusätzliche Am Wochenende ist Cousinen-Stamm. In Genf, Picknick im Parc des Nacht Zeit geben. Unterwegs schicke ich bereits die ersten Stossgebete Eaux-Vives. Jeder bringt etwas mit. Aha. Soso. Was könnte ich denn zum Himmel und versuche, mich positiv zu stimmen. da … Natürlich bin ich nicht zum ersten Mal in dieser Situation und habe Alle anderen haben Jobs, gute Jobs, als Lehrer, Anwälte und so weidie Erfahrung gemacht, dass eine positive, gute Laune jetzt sehr wichter, nur ich habe keinen. Allerdings spielt das in diesem Gremium keine tig ist. Aber wie kann man fröhlich sein, wenn man Angst hat, dass das Rolle, da ich auch schon früher, als ich noch einen Job hatte, nie viel Bankkonto immer noch leer ist. Ich habe meine Leistung gebracht, das verdient habe, die wissen das alle schon, und ich schäme mich schon Schicksal hängt jetzt aber von Dingen ab, die ich nicht beeinflussen lang nicht mehr als einzige Nichtmaturandin. Jedenfalls gebe ich das kann. In diesem Fall vom Bankomat mit seiner Tastatur und dem Bildnicht zu. schirm mit den Kontoinformationen. Hoffentlich sind keine Leute im Ich hab genau noch 12.35 Franken im Portnütmee. Da könnte ich Schalterraum. Es ist mir immer peinlich, wenn ich den Automaten ohBrotteigtaschen machen mit Gemüse drin, mit Curry oder so, das habe ne Geld verlassen muss. ich noch, und Mehl auch. Das Wasser haben sie mir auch noch nicht abNach wenigen Minuten erreiche ich meine Bank. In den nächsten gestellt. Sekunden wird sich nun alles entscheiden. Von den vier Bankomaten Ich gehe zur Migros, klaube Gemüse zusammen für die Füllung: 4 ist einer mein Lieblingsautomat. Dieser hat mir schon mehr als einmal Rüebli (–.60) – Salat (4.40 macht 5.–) – Speckwürfeli (3.50 sind 8.50) – geholfen, wenn ich auf gut Glück meinen Code eingegeben habe, obFenchel (3.– macht 11.50) – Tomaten (5.– macht 16.50) – oh Sch … das wohl ich wusste, dass eigentlich kein Geld auf meinem Konto war. Es kam schon vor, dass Hoffentlich sind keine Leute im Schalterraum. Es ist mir immer ich eine unerwartete Rückzahlung von der peinlich, wenn ich den Automaten ohne Geld verlassen muss. Krankenkasse erhalten hatte oder dass mir Spesen vergütet wurden, die ich erst später erwartete. Der Automat zeigte auch schon einen positiven Kontostand ist zu viel, muss ja noch Hefe haben (–.30 macht 16.80) also Fenchel zuan, weil ich mich ganz einfach verrechnet hatte. Genau heute ist dieser rück = 13.80, ist aber immer noch zu viel, also die Hälfte der Tomaten Bankomat natürlich besetzt. Das ist kein gutes Omen und weil die übriweg (2.50 sind 13.30 äh, was, nein, also 13.80 weniger 2.50 sind 11.80, gen drei frei sind, stelle ich mich vor den ersten, um nicht komisch aufsind 11.30), gut das reicht vielleicht gerade noch für Knoblauch, der darf zufallen. dann 12.35 weniger 11.30 bleibt 1.05, glaub ich, ja das reicht, Tasche Ein letztes Stossgebet und dann los. Karte in die Maschine stecken, kann ich dann aber keine mehr kaufen, ist ja auch nicht viel, kann ich Code eingeben, Taste Kontostand drücken und noch einmal hoffen. alles in der Hand tragen. Ich schliesse die Augen, öffne sie wieder und es ist alles entschieden. Ich stehe an der Kasse an, der Gedanke, dass ich mich verrechnet haVerfügbarer Saldo: Franken 2128.– Mein Wochenende ist gerettet!!! ben könnte, treibt mir, wie immer, den Schweiss aus allen Poren. Als der Kassier das Total hat, sehe ich, dass ich gut gerechnet habe. Ich will ihm das Geld geben, als mir ein 50er auf das Transportband fällt und im Spalt Kurt Baldauf verschwindet. Ich sage, ich habe nicht mehr Geld, er soll es halt her1962 geboren, kam von Oberägeri über Rapperswil nach Luzern. vorgrübeln. Er versuchts, es geht nicht. Ich sage, ich will aber meine Er arbeitet als Maler und Schreiner in einem IV-Betrieb, nachdem er Einkäufe, ich habe 12.30 bezahlt, die Migros hat dieses Geld, die kann Bäcker, kaufmännischer Angestellter, Kellner, Bio-Bauer, Therapiepaes bei der nächsten Putzete einbuchen. Er sagt, das gehe nicht (hinter tient und arbeitslos war. Er ist im Heroinprogramm und hat schon mir scharrt die Schlange). Ich sage, ja aber das kann doch nicht wahr sehr viel erlebt. Diese Erfahrungen versucht er in literarische Form zu sein, ich habe einfach nicht mehr. Er sagt, dann bezahle ich Ihnen diebringen und so zu verarbeiten. Er glaubt an Träume. Um seine Armut ses Füfzgi. Nein, sage ich, das will ich nicht, die Migros hat genug Stutz, zu bekämpfen möchte er einen Bestseller schreiben. Bisher verfasste wird doch wohl so kulant sein und mir jetzt meine Einkäufe überlassen, er einige Artikel für die Luzerner Gassenzeitung, die alle veröffentich hab den Fünfziger ja gegeben, und dann lauter, an die Adresse der licht wurden. murrenden Schlange: DAS IST HALT SO IN UNSERER SCHÖNEN SCHWEIZ. WENN MAN IV BEZIEHEN MUSS, HAT MAN EBEN NUR

20

SURPRISE 239/10


BILD: ISTOCKPHOTO

Genauso wie die Schritte auf den Ladeneingang zu: Ich öffne die maABGEZÄHLTES GELD, UND ZWAR VERDAMMT KNAPP!!! Der Kassier kellos geputzte Glastüre und der Klingelton kündigt mich sogleich an. schaut, weiss nicht weiter, sagt, dann müsse er halt etwas wegnehmen. Der Kopf der Verkäuferin dreht sich zu mir und sie fragt in gewohnt friIch sage nein, wenn die Genossenschaft Migros auf 50 Rappen, die sie schem Ton: «Guten Morgen! Was darf es sein?» Schon beim ersten Schritt ja hat, wenn auch im Möbel, nicht verzichten kann, dann will ich den ganzen Mist nicht, sie können alles stornieren und wieder versorgen, es gibt noch andere LäIch stehe an der Kasse an, der Gedanke, dass ich mich verrechnet den mit einer ganz anderen Kundenpflege – sahaben könnte, treibt mir, wie immer, den Schweiss aus allen Poren. ge es und rausche erhobenen Hauptes davon, stolz leidend, dramatisch, effektvoll. «Frölein!» tönt der Kassier – ich bin nicht weit gekommen – höre nur: ins Innere streife ich nur kurz die ganze Auslage von unzählig verschie«öies Gäut!» Oha. Das ist jetzt saupeinlich, aber ich brauche es wirklich denen frisch gebackenen Brötchen, Vollkorn bis Buttergipfeli, über noch. Futsch der heroische Abgang. Hochroten Hauptes eile ich zurück, gluschtig gefüllte Sandwichs, von Vanilleschnecken über Fruchtwähen nehme mein Geld und husche geschwind davon, nur weg, so schnell bis zu den verlockenden Patisserie, Chäschüechli, Olivenbrot, Baguette, wie möglich. Schoggigipfel und Butterzopf. Alles lacht mich an und ruft mir zu. Gleichzeitig wie mein Auge über die ganze Auslage schweift, ziehen sich Im Denner kaufe ich dann das Gleiche noch mal, allerdings ohne alle meine Sinne instinktiv zusammen. Ich atme kaum mehr ein und unKnoblauch. Die Cousins essen die Brotteigtaschen trotzdem gerne, besichtbare dunkle Vorhänge beginnen die farbig schmeckenden Bilder zu sonders weil ich sie ihnen mit einer schönen Geschichte serviere. verdecken. Alle meine Sinnesantennen habe ich eingezogen und meine ganze Aufmerksamkeit richtet sich nur noch auf den Korb mit dem geHenriette Kläy wöhnlichen Ruchbrot. Alles für mich Verbotene entrücke ich mit Gewalt Geboren 1951 in Bern, Rudolf Steiner Schule, Bürolehre fürs Portehinter die herabgelassenen Vorhänge aus meiner reduzierten, für mich monnaie, Lehre als Handweberin für die Seele. Der lebenslange erschwinglichen Welt. Mit tonloser Stimme drücke ich heraus: «Ein Kampf, sich in den gläsernen Aschenbrödelschuh des LeistungssyRuchbrot bitte.» stems hineinzuzwängen, scheiterte nach 30 Jahren und mündete in Die Verkäuferin, angesteckt von meinen gepressten Worten, wickelt Krankheit und Arbeitsunfähigkeit. Sie lebt heute mit ihrem Freund das Brot schnell in ein Papier. Es scheint ihr bewusst zu sein, dass sie und zwei Meerschweinchen am Rand von Bern. Nebst politischem Enmich erlösen muss und legt das Ruchbrot auf die Theke, wo bereits das gagement für Armutsfragen in der Partei und dem Mediendienst «Hälfvon mir abgezählte Geld liegt. «Danke», murmle ich und verschwinde te» versucht sie, ihre vielfältigen Interessen unter einen Sombrero zu im Nu zur Tür hinaus. bringen und die Tage auf 30 Stunden zu verlängern. Vor meinem inneren Auge erschaffe ich mir eine Welt ohne tüchtige Geschäftleute in teuren Anzügen, ohne frisch frisierte, duftende Bürofräuleins, ohne schicke Mütter auf dem Weg ins Fitnesscenter. Eine Welt ohne Vanilleschnecken und prall gefüllte Brötchen, ohne Duft von frischem Zopf und süssen Schoggigipfel, ohne Kleider jede Saison in neuem Look und mit passenden Accessoires, ohne türkische und italienische Take-Aways, ohne Buchhandlungen mit verlockender Auslage. Eine Welt ohne Kulturangebote für jeden Geschmack wie Kino, Theater, Konzerte, ohne Reisebüros, die einen in die entferntesten Winkel der Welt locken, ohne Kursangebote von Fotografieren über Japanisch bis Tango Argentino. Ich erdenke mir eine Welt voller grauer Mäuse, jede gleicht der anderen. Keine Unterschiede, Vergleiche lohnen sich nicht. Fröhlich teilt sich die Mäusegemeinschaft ein Brot von gestern. Es schmeckt. Ich besteige wieder den Bus und habe nur noch einen Wunsch: mich dieser Welt zu entziehen. Wütend drücke ich mehrmals auf den Halteknopf an der Bustüre. Mein Signal bleibt ungehört. Der Bus fährt weiter. ■

Meine graue Mäusewelt VON RUTH FATHALLAH-KOBELT

Mit der ganzen Menschenmenge, die morgens unterwegs ist, werde ich aus dem Bus gespült und bewege mich im Menschenstrom vorwärts. Zwischen elegant gekleideten Geschäftsleuten, verschlafenen Schülern, pressierten und gestylten Berufsfrauen verschwinde ich auf dem Trottoir. Eigentlich habe ich nichts verloren unter all den Schaffenden, ich werde nirgends erwartet, gebraucht oder bereits vermisst. Der Welt der Tüchtigen bin ich bereits verloren gegangen, bin ihrem Tempo nicht mehr gewachsen. Es ist mein Morgenritual, diese Fahrt unter den Geschäftigen. SURPRISE 239/10

Ruth Fathallah-Kobelt 1963 in Zürich geboren, 1982 Matura, verheiratet seit 1989, zwei Kinder (1995/2002). Ausbildung als hauswirtschaftliche Betriebsassistentin bei der SV-Groupe (1990 – 1993). 1986 schwere Depression, neunmonatiger Klinikaufenthalt und zweijährige Arbeitsunfähigkeit. Abschluss einer Ausbildung dank der Unterstützung und Ermutigung ihres Mannes Mustafa. Gemeinsam meisterten sie Schicksalsschläge wie Fehlgeburten, Arbeitslosigkeit und das Leben in ständiger Armut. 2005 erlitt Ruth einen Herzinfarkt und war in den darauffolgenden fünf Jahren von Existenzängsten geplagt. Heute wendet sie sich Dingen zu, die ihr gut tun, wie regelmässiges Schreiben. Sie schreibt über Armut weil ihr die Aussage «wer will, der kann» zu platt ist und wünscht sich, dass die Freude am Teilen die «Geiz ist geil»-Mentalität verdrängt und die Gesellschaft offenherziger wird für Menschen die im Schatten stehen. Oder in Bezug auf ihre Geschichte: «Lassen sie jemanden von ihrem Schoggigipfel abbeissen!»

21


BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Allgemeine Wehr- und Spasspflicht Am Freitag passierte ich einen Stand, an dem Unterschriften für die Initiative zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht gesammelt wurden. Ich wurde nicht gebeten, zu unterschreiben. Darüber bin ich froh, denn als ich mich am Samstagmorgen im Hauptbahnhof aufhielt, kam ich nicht umhin, über die allgemeine Wehrpflicht nachzudenken, da rund ein Drittel der sich zu dieser Zeit dort aufhaltenden Passagiere ebendieser nachkamen. An dieser Stelle will ich zugeben, dass ich dies nicht getan habe. Ich bin untauglich, eine Bezeichnung, die mir immer noch Freude bereitet. Als ich zur Aushebung musste, war ich ein Punk und hatte ein Problem mit Autoritäten und Uniformen, zählte das Bier trinken zu den ernsthaft betriebenen Hobbys und hielt Sport für ungesund. Vor der Aushebung spiel-

22

te ich die ganze Nacht mit Freunden das Strategiespiel «Risiko» und wankte dann an die Aushebung, wo ich nach dem Hundertmeterlauf ins Gebüsch kotzte und heim durfte. Keiner meiner Kumpane musste ins Militär und die wenigen, die freiwillig gingen, fuhren an den Wochenenden schwer bepackt mit Regionalzügen so unauffällig wie möglich nach Hause, um nicht noch etwa im Bahnhof von am Express-Buffet lungernden Mitpunkern erkannt und verlacht zu werden. Wie anders es doch heute zu- und hergeht. Die Rekruten tragen handliches Gepäck, die grösseren Taschen sind mit praktischen Rollen versehen. Einer hat die neueste Ausgabe des «Playboy» auf seine Tasche gebunden, mit dem Cover gegen aussen. Während ich morgens um halb neun Uhr Kafi und Gipfeli bestelle, ordert der Soldat hinter mir «Hot Dog und Bier, da isch Tradition», wie er in breitem Ostschweizer Dialekt seinem Kameraden erklärt. Da sag noch einer, die Jugend tue sich schwer mit der Tradition. Weiter drüben stehen Uniformierte, die ihr Bier bereits fleissig wegbechern. Einer trinkt Rotwein aus der Flasche. Es wird wohl ein Welscher sein, denke ich und freue mich, dass junge Männer verschiedener Landesteile etwas zusammen unternehmen. Überhaupt wirken sie fröhlich und entspannt, die jungen Männer, sie lachen, sie trinken und sie rauchen. Alle rauchen, auch dort, wo es eigentlich verboten wäre,

aber niemand reklamiert. Im Gefängnis, Spital oder Krieg ist die Zigarette stets die festeste Währung und ich vermute, dass die Schweizer Armee einen Teil des Soldes in Zigaretten ausbezahlt, zur Förderung des Zusammenhalts und der heimischen Tabakbauern. Den jungen Männern gefällt die Wehrpflicht offenbar, ein Hang zum Bier und eine Abneigung dagegen, schwere Lasten zu tragen, sind kein Grund mehr, der Rekrutenschule fernzubleiben. So lustig haben sie es, dass ich, wäre ich ein paar Jahre jünger, ein Wiedererwägungsgesuch einreichen und mich der Aushebung noch einmal unterziehen würde. Gerade weil es unwahrscheinlich ist, dass wir von einem Feind militärisch angegriffen werden (ehrlich gesagt, weiss ich nicht, ob diese fidelen Partylöwen diesem lange Widerstand leisten könnten), scheint die Wehrpflicht den jungen Leuten eine willkommene Abwechslung zu ihrem ansonsten mühsamen und stressigen Alltag zu bieten. Gut möglich, dass sie die Wehrpflicht, wie einst frühere Generationen, als die beste Zeit ihres Lebens bezeichnen werden. Was ich allerdings nicht hoffe.

STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: MILENA SCHÄRER (MILENA.SCHAERER@GMX.CH) SURPRISE 239/10


Schule Weihnachten politisch korrekt Wie feiert man ein christliches Fest an einer multikulturellen Schule? Indem man niemanden zum Lobpreisen zwingt. Denn die Schule ist keine Kirche.

Weihnachten naht, und an den Schulen wird wieder gesungen. Allerdings weder «Stille Nacht, heilige Nacht» noch «Gloria in excelsis deo». In Schulkreisen mit hohem Ausländeranteil stammen die meisten Schulkinder aus Migrantenfamilien. Sie feiern zu Hause das kurdische Neujahrsfest Newroz oder das islamische Opferfest Kurban Bayrami, ein Weihnachtsbaum steht bei den wenigsten im Wohnzimmer. «An unseren Schulen sind verschiedene Religionen vertreten, aber Weihnachtslieder werden trotzdem gesungen», sagt Res Rickli, Präsident der Kreisschulpflege Schwamendingen in Zürich, «wir achten aber darauf, dass sie keine Glaubensbekenntnisse, sonder eher neutrale Inhalte haben.» Denn in der Schule dürfen keine religiösen Gefühle verletzt werden – auch nicht in der Adventszeit. Ein politisch korrektes Weihnachtslied ist demnach zum Beispiel «O Tannenbaum». Die Zürcher Bildungsdirektorin Regine Aeppli hat letztes Jahr in der Richtlinie «Muslimische Schülerinnen und Schüler an der Volksschule» empfohlen, auf Lieder mit religiösen Inhalten zu verzichten – zum Beispiel auf solche, in denen Jesus als Gottes Sohn bezeichnet wird. Ein Sturm der Entrüstung entbrannte in Internetforen und Leserbriefen. Von «Ausverkauf der Identität» und «moderner Christenverfolgung» war die Rede. Kreisschulpflegepräsident Rickli verweist darauf, dass die staatlichen Schulen der in der Bundesverfassung garantierten Neutralitätspflicht unterstehen: Sie werden weltanschaulich und religiös neutral geführt. «Wir haben einen christlichen Hintergrund in unserer Kultur, und es ist wichtig, dass das alle Kinder wissen», so Rickli. «Aber man darf Kindern anderer Religionen nicht das Gefühl geben, sie würden an etwas Falsches glauben.» Die Zeiten, in denen das Singen von Weihnachtsliedern zu Unsicherheiten oder Konflikten geführt hätte, seien ohnehin vorbei: «Konkrete Probleme gibt es in diesem Zusammenhang praktisch nicht.» Einzig an einer Schule im Schulkreis ist das Weihnachtssingen zugunsten eines Frühlingssingens abgeschafft worden, um allfällige Gratwanderungen bei der Liederauswahl zu umgehen – und um ohne Handschuhe und Mütze singen zu können. Im Basler Primarschulhaus St. Johann sind gerade einmal 35 Prozent der Kinder Schweizer. Die anderen sind albanischer, türkischer, tamilischer, serbokroatischer, portugiesischer, italienischer oder spanischer Herkunft. Die Adventszeit haben sie gemeinsam eingeläutet, indem sie zusammen das Schulhaus geschmückt haben. «In der Weihnachtszeit leben wir an unserer Schule die Bräuche, und wir erklären den christlichen Hintergrund», sagt Schulhausleiterin Nadine Bühlmann. Im Kanton Basel-Stadt hat die Erziehungsdirektion 2007 die Handreichung zum «Umgang mit religiösen Fragen an der Schule» herausgegeben. Sie hält fest: «Feiern mit christlichem Hintergrund sollen so gestaltet sein, dass sie der Aufklärung über ein wichtiges religiöses Fest und SURPRISE 239/10

BILD: ISTOCKPHOTO

VON DIANA FREI

O Tannenbaum: Ein Weihnachtslied für Multi-Kulti-Klassen.

seinen Wertehintergrund dienen und das Verständnis für bedeutsame kulturelle Phänomene unserer Gesellschaft fördern.» Entsprechend den vertretenen Religionen in einer Klasse sollen auch deren Feiertage und Feste thematisiert werden. «Die Kinder eignen sich auf die Art grosses Wissen an, und oft tauchen dabei philosophische Fragen auf», sagt Bühlmann. Einen Ausverkauf der eigenen Identität mag sie darin nicht erkennen. Am Weihnachtssingen im St. Johann tritt auch ein Bläserensemble auf, das traditionell-christliche Melodien spielt, und nach wie vor rieselt leise der Schnee. Die Kinder werden dieses Jahr ein türkisches Hirtenlied und ein albanisches Winterlied singen. Dass dagegen «Es ist ein Ros’ entsprungen» fehlt, hat nicht zuletzt auch pädagogische Gründe: Für Primarschüler ist der Text kaum verständlich. Jahrzehntelang wurden, nicht nur zur Weihnachtszeit, gerne christliche Werte wie die Nächstenliebe ins Heft diktiert – und blieben dabei vielleicht etwas papieren. Heute ist die Bibelstunde vielerorts aus den Pensen gestrichen. Dafür wird im täglichen Nebeneinander der Traditionen und Kulturen wohl den meisten Kindern von alleine klar, was Nächstenliebe und Toleranz bedeuten. ■

23


BILD: ZVG

BILD: ZVG

Kulturtipps

Grundlagen für die Kleinsten: Maître Lopez bei der Arbeit.

Geht auch: Tango auf Papier.

Buch Getanzte Leidenschaft Tango boomt und lockt nicht nur hierzulande die Tanzsehnsüchtigen zur Milonga. So bewegt wie die sinnlichen Schrittfolgen ist auch die Geschichte dieses Weltkulturerbes. VON CHRISTOPHER ZIMMER

«Eins und eins ergibt im Tango nicht zwei, sondern eins», schreibt der argentinische Tangoexperte Horacio Salas. Im Tango verschmelzen die Partner zu einer Einheit: dem Paar – schiebend, sich drehend, interagierend. Tango ist Bewegung und Verführung. Darüber zu schreiben, kommt der Quadratur des Tanzkreises gleich. Dennoch gelingt es den Autoren Salas (Text) und Lato (Zeichnungen). Weil sie vom Tango und seiner Geschichte nicht nur erzählen, sondern diese auch sichtbar und spürbar machen. Alles, was gesagt wird, wird sogleich in Bilder übersetzt. In knappen, comicartigen Szenen scheinen die Akteure zu sprechen, zu tanzen, zu leben. Und immer wieder finden wir Verse der grossen Tangodichter, Zeilen, die die Geister der Zeiten und des Tangos heraufbeschwören. Tänzerisch gleitet die Geschichte des Tango argentino an uns vorbei. Manchmal als unergründbarer Mythos, dann wieder in Fakten, die nichts aussparen, auch nicht Nationalismus, Diktatur, Verfolgung und Folter. Erst dadurch entsteht ein Ganzes, das verständlich macht, warum der Tango nicht nur Liebe und Sehnsucht besingt, sondern auch Leid, Widerstand und Verzweiflung. Dieses Buch scheint viel zu schmal, um den Bogen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Jetztzeit zu schlagen. Doch dank des fliessenden Wechsels von Fakten, Bildern und Gedichten verstehen es die Autoren, uns die bewegte Geschichte des Tangos auf engstem Raum zu vermitteln, und das auf unterhaltsame Weise. Leichthändig erzählen sie von den verruchten und legendären Anfängen in den Immigranten-Bordellen von Buenos Aires bis zur Gesellschaftsfähigkeit in den Salons der Aristokraten. Vom befruchtenden Austausch zwischen Argentinien und Europa. Von den grossen Komponisten, Dichtern, Sängern und Orchestern, die den Tango immer weiterentwickelt haben, sodass er auch heute noch eine unverstaubte Sprache ist, die Alt und Jung in ihren Bann zieht. Und nach all dem findet sich auf den letzten Seiten noch Platz für einen Tanzkurs. Sodass wir bei den ersten zaghaften Schritten dem nachspüren können, wovon Julio Cortazar schreibt: «Wir müssen lernen/wie alte Strassenlaternen/und Tangos zu sein/wachsam im Dunkeln und/ hoffnungsvoll/den Tag erwartend.»

DVD Maître Lopez und seine Schäfchen 2002 traf der Film mit dem einfachen Titel «Sein und Haben» den Nerv der Zeit. Heute gilt das menschlich berührende Werk als unumgängliche Referenz in der Dokumentarfilmszene. VON CHRISTINE A. BLOCH

Bei seinen Recherchen über die finanziell prekäre Situation vieler Bauern stiess Nicolas Philibert im Frühling 2000 auf das Phänomen der Zwergschulen in den abgelegenen Dörfern Frankreichs. Nach fünfmonatiger Suche und der Besichtigung von über 100 Schulen entdeckte der Filmemacher schliesslich die École de Saint-Étienne-sur-Usson in der Auvergne. Mit der Schulklasse von Georges Lopez ist Philibert auf eine Insel der Menschlichkeit inmitten wunderbar wilder Natur gestossen, wo sich das Leben der Leute nicht nach Büro-, sondern nach Jahreszeiten und den Biorhythmen der Tiere richtet. Jeden Morgen empfängt Maître Lopez die 13 Kinder des Dorfes und der umliegenden Weiler in seinem Schulzimmer. Den Kindergärtnern bringt er Lesen und Schreiben bei, die Älteren bereitet er auf den Übertritt in die Oberstufe vor. So fährt man auch gemeinsam ins entfernte Collège, wo die Grossen eine Einführung in die Bibliothek bekommen. Die Kleinen machen es sich in der Zwischenzeit mit ihren Bilderbüchern auf einem blauen Sofa bequem. Lehrer Lopez unterhält sich mit dem fünfjährigen Jojo und fragt ihn, wie weit man denn eigentlich zählen könne. Der Knirps meint, die Zahlen gingen bis hundert, spätestens bei tausend höre es aber definitiv auf. Als der Maître wissen will, wie es denn mit zweitausend stehe, begreift der Junge und zählt in Tausenderschritten bis zehntausend. Mit sehr viel pädagogischem Geschick nimmt sich der aussergewöhnliche Klassenlehrer für jedes Kind Zeit, hört zu, tröstet, schlichtet und berät. Daneben organisiert er Crèpes-Backen, Geburtstagskuchenessen und Schlittelpartien für seine Schäfchen. In «Sein und Haben» ist es Nicolas Philibert gelungen, die Magie des Augenblicks einzufangen und in einem modernen Alltagsmärchen Mensch und Natur für sich sprechen zu lassen. In Frankreich schlug der Film ein wie ein Komet, erhielt viele Auszeichnungen und konnte über zwei Millionen Eintritte verzeichnen. Kehrseite des Überraschungserfolgs: Lehrer und Familien der gefilmten Kinder forderten ein Urheberrecht und eine Gewinnbeteiligung, was international eine grosse Debatte über die Praxis und die Zukunft des Dokumentarfilms auslöste. «Sein und Haben» (2002). Französisch mit deutschen Untertiteln. Bestellung und weitere Infos: http://www.arte-edition.de

Salas & Lato: Tango. Wehmut, die man tanzen kann. C. Bertelsmann 2010. CHF 34.90.

24

SURPRISE 239/10


BILD: ZVG

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Was macht Bademeister Giorgio im Winter? Johanna geht der Frage nach.

Kindertheater Liebe zum Gummibaum «Was macht der Bademeister im Dezember?» Eine Frage, die sich wohl schon viele gestellt haben. Figurenspielerin Tine Beutel nahm sich des Rätsels an und hat ein Stück über Jobverlust, Träume und Schäume geschrieben. Natürlich mit Happy-End. VON MICHAEL GASSER

Ein Stück zum Thema Beruf und Arbeitslosigkeit zu schreiben, darüber habe sie schon lange nachgedacht, sagt Tine Beutel. Nicht von ungefähr: Ihr in Deutschland lebender Bruder ist selbst auf Hartz IV-Gelder angewiesen. Als die aus Reutlingen stammende Figurenspielerin eines Tages einem Bademeister begegnete, der ausschaute wie der Weihnachtsmann höchstpersönlich, begann ihre Idee dann richtig Feuer zu fangen. Beutel begann, auf der Bühne zu improvisieren und zu probieren. Und entwickelte so die Geschichte von Johanna, die sich um ihren Kumpel Giorgio sorgt. Denn der verliert nach der Badesaison seinen Job als Bademeister und hat noch nicht den geringsten Schimmer, wie es danach weitergehen könnte, sorgt sich deswegen aber auch nicht weiter. Ganz anders Johanna. Die Erzählung, die sich einzig in ihrer Gedankenwelt abspielt, dreht sich nebst der Jobsuche nicht zuletzt darum, dass man den Mut nicht sinken lassen und stets für einen Neuanfang offen bleiben soll. Und trotzdem nicht von seinen Träume lässt. Das gut einstündige Werk lasse sich zwar prima als Weihnachtsstück aufführen, aber es funktioniere auch zu anderen Jahreszeiten, glaubt Beutel. Inhaltlich gehe es ja um die Berufsbildung und die sei weder speziell an den Sommer noch den Winter geknüpft. Zu den vier Figuren zählt auch eine Arbeitsvermittlerin. «Jobs hat sie keine zu bieten, dafür liebt sie ihren Gummibaum heiss.» Die Aufführungen richten sich an Kinder ab fünf Jahren. «Und an Arbeitssuchende», ergänzt Beutel. «Natürlich sollen die Grossen anderes rausfischen als die Kleinen!» Auf der Bühne fungiert Tine Beutel als Erzählerin und nimmt zugleich sämtliche Rollen ein. Ihre Protagonisten sind Flachfiguren, zwischen fünf und 20 Zentimeter gross. Dazu arbeite sie mit diversen Illustrationen und habe eigens eine zweidimensionale Papierwelt erschaffen. Das Figurentheater sei eben einiges imaginärer als das Schauspiel, schwärmt Beutel. «Wir können nicht nur mit dem Aussen spielen, sondern auch mit dem Innern.»

01

Alfacel AG, Cham

02

Thommen ASIC-Design, Zürich

03

Coop Genossenschaft, Basel

04

AnyWeb AG, Zürich

05

Velo-Oase Bestgen, Baar Schweizerisches Tropen- und Public Health-

06

Institut, Basel

07

Niederer, Kraft & Frey, Zürich

08

Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur

09

Kaiser Software GmbH, Bern

10

Responsability Social Investments AG, Zürich

11

chefs on fire GmbH, Basel

12

Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

13

Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

14

VXL gestaltung und werbung ag, Binningen

15

Scherrer & Partner GmbH, Basel

16

TYDAC AG, Bern

17

KIBAG Strassen- und Tiefbau

18

OTTO’S AG, Sursee

19

Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

20

Canoo Engineering AG, Basel

21

Lehner + Tomaselli AG, Zunzgen

22

fast4meter, storytelling, Bern

23

Brother (Schweiz) AG, Baden

24

Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf

25

IBZ Industrie AG, Adliswil

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

Theater: «Was macht der Bademeister im Dezember?» Samstag, 4. Dezember, 15 Uhr (Premiere); Sonntag, 5. Dezember, 11 Uhr; Samstag, 18. Dezember, 15 Uhr, und Sonntag, 19. Dezember, 11 Uhr. Fabrikpalast, Aarau. www.fabrikpalast.ch SURPRISE 239/10

239/10

25


BILD: ISTOCKPHOTO

BILD: ZVG

Ausgehtipps

Wenns auf dem Matthäusplatz nach Zimt riecht, ist Weihnachten nicht mehr weit.

Die Entdeckung des Jahres: Janelle Monáe.

Zürich Gesprengte Grenzen Sie ist die Entdeckung des Jahres. Janelle Monáe wird nach ihrem ersten Album bereits mit den ganz Grossen verglichen: James Brown, Sly Stone und Prince. Es passiert selten, dass eine Newcomerin derart ambitioniert und vielseitig auftritt und gleich rundum überzeugt. Erste Auftritte absolvierte die Sängerin aus Kansas mit dem Hip-Hop-Duo OutKast. Ihre eigenen Songs sprengen sämtliche Stilgrenzen: Tendenziell «schwarze» Stile wie Jazz, Soul und Funk stehen neben «weissen» Einflüssen aus Rock und Folk. Das fährt höllisch in die Beine (meistens) und verzückt mit himmlischen Harmonien (gelegentlich). Das Debüt «The ArchAndroid» erzählt eine Geschichte von Liebe und Revolution aus der Zukunft und spielt dabei mit Versatzstücken aus Fritz Langs «Metropolis». Das wirkt auf Papier ein bisschen plemplem, fesselt und entzückt auf Platte aber voll und ganz. Nun kommt Monáe, die in wohltuendem Kontrast zu all den singenden Nackedeis stets hochgeschlossen auftritt, für ein Klubkonzert nach Zürich. Letzte Chance zum Kennenlernen im überschaubaren Rahmen. (ash)

Basel Würzige Vorweihnachten Ein Glühwein im Christbaumwald und nach einem Rundgang an den Ständen mit lokalem Design und Handwerk noch eine Käseschnitte oder ein selbstgemachter Lebkuchen der Kinderkrippe – und das alles vor der romantischen Kulisse der erhabenen Matthäuskirche im gleichnamigen Quartier auf der kleinen Seite des Rheins. Der Zimtmarkt verspricht Vorweihnachtsstimmung ganz ohne Stress und Konsumwut, dafür mit lokalen, selbstgemachten Erzeugnissen und gemütlichem Ambiente. (juk) Zimtmarkt, Samstag, 11. Dezember, 10 bis 17 Uhr, Matthäusplatz, Basel.

Janelle Monáe, 11. Dezember, 19 Uhr, Härterei, Zürich.

kreativ denken 26

In Ihrem Spielwarengeschäft erhältlich.

Atelier KE

Anzeige:

SURPRISE 239/10


BILD: ISTOCKPHOTO

BILD: RAY VAN ZESCHAU

Night Fever! Schlittschuhfahren unter der Discokugel.

Rheinfelden Auf glattem Parkett Körperkult und Kraftmeierei: Rummelsnuff.

Zürich/Saxon Popeye singt Manilow Kraftmeierei, Körperkult und Homoerotik – Roger Baptist, besser bekannt als Rummelsnuff, bietet Raum für Missverständnisse. Als Kind spielte er Fagott, heute verbindet er nach eigenen Angaben «derbe Strommusik» mit Seemanns- und Arbeiterliedern, optisch tritt der Muskelberg gern als Seemann in Erscheinung. Stellen Sie sich vor, Rammstein würden ohne Gitarren, dafür mit Humor und Popeye am Mikrofon operieren – ungefähr so klingt Rummelsnuff. Auf dem neuen Album «Sender Karlshorst» singt er von Kampf und harter Arbeit, zwischendurch erlaubt er sich in der eingedeutschten Barry-Manilow-Schnulze «Mandy» ein wenig Schmalz. Auch Ostalgie ist im Programm, wenn der gebürtig Sachse in «Slowowitz» Pflaumenbrand auf Bruderland reimt. Politisch korrekt ist das nicht, ein grosser Spass aber auf jeden Fall. (ash)

Tanzmuffel aufgepasst, hier kommt die Discovariante für alle Nicht-Tänzer. Denn auf glatter, kalter Unterlage sehen wohl die meisten Tanzfüdlis etwas ungelenk aus! Das Eisfeld der Rheinfelder Kunsti verwandelt sich regelmässig in einen bunt erleuchteten Dancefloor – der aber nur auf Kufen begangen werden kann. DJ EM nimmt Liedwünsche entgegen, willkommen sind Erwachsene und Jugendliche, Kinder in Begleitung Erwachsener. Schlittschuhe können auch gemietet werden. (juk) Eis-Disco, nächste Termine: Freitag, 3. und 17. Dezember, jeweils von 20.15 bis 22.30 Uhr, Kunsteisbahn des Kuba Freizeitcenters, Rheinfelden. www.kuba-rheinfelden.ch

Anzeige:

Rummelsnuff, 10. Dezember, Bar Milord, Saxon VS; 11. Dezember, 20 Uhr, Helsinkiklub, Zürich.

Anzeige:

— www.theater-basel.ch, Tel. +41/(0)61-295 11 33 — SURPRISE 239/10

27


Verkäuferporträt «Fast wie im Himmel» BILD: ZVG

Tesfagabir Ghebreab (34) verkauft Surprise im bernischen Muri und in Nidau bei Biel, lernt intensiv Deutsch und bereitet sich auf die Ankunft seiner Frau und seines kleinen Sohnes vor. AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN

«Ich verkaufe Surprise beim Coop in Muri und in Nidau vor der Migros. Ich habe vor zwei Jahren in Muri angefangen, weil ich in Oberdiessbach, zwischen Münsingen und Thun, in der Asylunterkunft wohnte. Als man mir ein Jahr später eine Unterkunft in einer Wohngemeinschaft in Port bei Biel zuteilte, konnte ich nicht mehr regelmässig nach Muri fahren. Deshalb suchte ich mir den Platz in Nidau. Beim Verkaufen sahen für mich am Anfang alle Schweizer gleich aus! Ich sagte manchmal zweimal den gleichen Leuten ‹Grüessech›. Kunden haben mir gesagt, dass es vielen Schweizern auch so gehe mit den Chinesen. Ich schätze es sehr, wenn die Leute mit mir sprechen und mir ihre Zeit schenken. Ein paar Leute sind meine Freunde geworden. Ich wurde schon öfter von ihnen eingeladen, auch an Weihnachten. Und sie helfen mir, wenn ich Briefe schreiben oder ein Formular ausfüllen muss. Im Moment gehe ich in einen Intensivkurs, damit ich die Prüfung für das Deutsch-Zertifikat B1 machen kann. Auch in meiner Freizeit übe ich oft: Ich schreibe Wörter auf, die ich unterwegs lese, aber nicht verstehe, und dann frage ich meine Bekannten oder die Leute im Vertriebsbüro Bern, was sie bedeuten. Heute Morgen hat mir der Vertriebsleiter Fredi zum Beispiel erklärt, dass man bei der Zeit nicht zehn nach 20, sondern 20 nach zehn sagt. Bei Surprise spiele ich auch in der Strassenfussball-Liga. Wir trainieren in der Sommersaison einmal die Woche und gehen an drei bis vier Turniere. Das gefällt mir sehr, weil man verschiedene Leute trifft: von Surprise, von anderen Organisationen, Schweizer, Ausländer. Es ist nur schade, gibt es nicht mehr Turniere. Für die Fitness mache ich auch für mich alleine Übungen, weil es gesund ist und es mich entspannt. Ich mache Liegestütze, Sit-ups und Jogging. Schon in meinem Heimatland Eritrea spielte ich oft Fussball. Ich bin in der Hauptstadt Asmara aufgewachsen mit meinen Eltern, zwei Brüdern und drei Schwestern. Neben der Schule habe ich in einer Garage gearbeitet. Drei Jahre lang habe ich Automechaniker gelernt und dabei nichts verdient, erst im vierten Jahr habe ich dann einen kleinen Lohn erhalten. Nach der Zeit in der Garage habe ich drei Jahre lang als Eisenleger auf der Baustelle gearbeitet. Dann musste ich in den Militärdienst. Als ich im Januar 2008 aus Eritrea flüchtete, lag eine schwierige Zeit hinter und eine harte Zeit vor mir. Ich musste meine Frau und meinen damals neun Monate alten Sohn zurücklassen. Dann folgte die Reise nach Europa. Der härteste Teil der Strecke war die Durchquerung der Saharawüste, zwischen Sudan und Libyen. Dort ist die Gefahr gross, dass man überfallen wird oder verdurstet, wenn man einen Unfall hat. In Libyen angekommen, kam ich wie viele andere, die illegal einreisen, ins Gefängnis. Wir waren 200 Menschen aus 14 Nationen in einer klei-

28

nen Halle. Essen und Trinken hatte es zwar genügend, aber es gab trotzdem oft Schlägereien. Nach zwei Monaten konnte ich mich freikaufen. Gefährlich war dann auch die Fahrt über das Meer nach Italien. Ich war auf einem kleinen Kunststoffboot, auf dem viel zu viele Leute waren. Aber am Ende bin ich in der Schweiz angekommen. Und wenn alles gut geht, kommen meine Frau und mein heute dreieinhalbjähriger Sohn in drei, vier Monaten zu mir. Sie sind auf dem Weg hierher. Ich hoffe, ich finde bis dahin eine Wohnung für uns. Am liebsten würde ich in der Region Bern wohnen. Bern liegt zentral, und ich habe die meisten Freunde und Bekannten hier. Im Vergleich zu dem, was ich in der Vergangenheit erlebt habe, fühle ich mich in der Schweiz fast wie im Himmel. Ich glaube, kein anderes Land würde mir mehr gefallen als die Schweiz. Ich finde, in anderen Ländern gibt es auch Geld, Autos, teure Kleider, aber das Wichtigste sind die Menschen, und die sind hier sehr gut.» ■ SURPRISE 239/10


Eine Chance für alle! Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte ber. Das verdient Respekt und Unterstützung. Regelmässige Verkaufende werden von Surprise-Sozialarbeiterinnen betreut, individuell begleitet und gezielt gefördert. Dazu gehört auch, dass sie von Surprise nach bestandener Probezeit einen ordentlichen Arbeitsvertrag erhalten. Mit der festen Anstellung übernehmen die Surprise-Verkaufenden mehr Verantwortung; eine wesentliche Voraussetzung dafür, wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarkt zu werden.

Starverkäufer BILD: ZVG

Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten als andere. Menschen, die sich aber wieder aufgerappelt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wieder einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassenverkäuferinnen und -verkäufer helfen sich sel-

Als Götti oder Gotte ermöglichen Sie einer Strassenverkäuferin oder einem -verkäufer eine betreute Anstellung bei Surprise und damit die Chance zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben.

Marlies Dietiker Olten

Marlise Haas Basel

Kurt Brügger Basel

René Senn Zürich

Susanna Meier aus Basel nominiert Roland Weidl als Starverkäufer: «Ich hatte eine wunderbare Zeit an der BUCH-Basel. Anschliessend ging ich in den Coop Europe an der Clarastrasse. Da verkauft ein ausgesprochen freundlicher Herr Surprise. Er ist mein Starverkäufer – wegen seiner Originalität und Freundlichkeit. Ein Stück originelles Basel. Mein i-Tüpfelchen für einen schönen Tag.»

Ausserdem im Förderprogramm SurPlus: Jela Veraguth, Zürich Peter Hässig, Basel Fatima Keranovic, Baselland Tatjana Georgievska, Basel Andreas Ammann, Bern Wolfgang Kreibich, Basel

Marika Jonuzi, Basel Peter Gamma, Basel Anja Uehlinger, Baden Jovanka Rogger, Zürich Bob Ekoevi Koulekpato, Basel

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welchen Verkäufer Sie an dieser Stelle sehen möchten: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41+61 564 90 99, redaktion@strassenmagazin.ch

Ja, ich werde Götti/Gotte von: 1 Jahr: 8000 Franken

1/2 Jahr: 4000 Franken

1/4 Jahr: 2000 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

1 Monat: 700 Franken

239/10 Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 239/10

29


Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.

Geschenkabonnement für: Vorname, Name

Strasse

Impressum

PLZ, Ort

Rechnungsadresse: Vorname, Name

Strasse

PLZ, Ort

Telefon

E-Mail

Datum, Unterschrift 239/10 Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch

30

Herausgeber Strassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel, www.strassenmagazin.ch Geschäftsführung T +41 61 564 90 63 Fred Lauener, Agnes Weidkuhn (Assistenz GF) Öffnungszeiten Sekretariat Mo–Do 9–12 Uhr, T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@strassenmagazin.ch Redaktion T +41 61 564 90 70 Reto Aschwanden (verantwortlich), Julia Konstantinidis, Mena Kost, Thomas Oehler (Sekretariat) redaktion@strassenmagazin.ch Freie Mitarbeit Kurt Baldauf, Christine A. Bloch, Michèle Faller, Ruth Fathallah-Kobelt, Diana Frei, Michael Gasser, Lucian Hunziker, Henriette Kläy, Stefan Michel, Christof Moser, Isabel Mosimann, Dominik Plüss, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Udo Theiss, Priska Wenger, Christopher Zimmer Korrektorat Alexander Jungo Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 29 400, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Anzeigenverkauf T +41 76 325 10 60 anzeigen@strassenmagazin.ch

Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden von der Strassenmagazin Surprise GmbH geführt, die vom gemeinnützigen Verein Strassenmagazin Surprise kontrolliert wird. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.

Marketing T +41 61 564 90 61 Theres Burgdorfer Vertrieb T +41 61 564 90 81 Smadah Lévy (Leitung) Vertrieb Zürich T +41 44 242 72 11 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, Mobile +41 79 636 46 12 r.bommer@strassenmagazin.ch Vertrieb Bern T +41 31 332 53 93 Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, Mobile +41 79 389 78 02 a.maurer@strassenmagazin.ch Betreuung und Förderung T +41 61 564 90 51 Rita Erni Chor/Kultur T +41 61 564 90 40 Paloma Selma Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Biert Trägerverein Strassenmagazin Surprise Präsident: Peter Aebersold Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. SURPRISE 239/10


Gut betucht.

Dazu passend: Leichtes T-Shirt, 100%Baumwolle, für Gross und Klein.

Grosses Badetuch 100 x 180 cm aus sehr langlebigem Zwirngarn, 100% handgepflückte Baumwolle. Mit Surprise-Logo eingewebt und von A bis Z in der Schweiz hergestellt. Vorder- und Rückseite verschiedenfarbig: vorne kühles Aquablau, hinten heisses Rot.

Herren CHF 25.– S M

L

Damen CHF 25.– M CHF 20.– XS S (auch für Kinder) Alle Preise exkl. Versandkosten.

Strandtuch (100 x 180 cm) CHF 65.–

50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute.

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift 239/10

*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch

Ist gut. Kaufen! Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit – gute Sache. Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute. Alle Preise exkl. Versandkosten.

Surprise Zeitungs-Taschen (34 x 36 cm); CHF 37.50 neon-orange schwarz

Surprise City-Taschen (24,5 x 35,5 cm); CHF 40.– rot blau schwarz

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

Surprise Rucksäcke (32 x 40 cm); CHF 89.– schwarz rot

239/10

*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch SURPRISE 239/10

31


Von Aarberg bis Zuoz. Surprise gibt es beim Strassenhändler Ihres Vertrauens. Oder im Abo per Post.

24 Ausgaben für 189 Franken oder als Gönner-Abo für 260 Franken. Gutes lesen, Gutes tun und gleich bestellen! www.strassenmagazin.ch, www.strassensport.ch, Spendenkonto PC 12-551455-3 Strassenmagazin Surprise, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.