Freunde fürs Leben Was Menschen verbindet
Befreites Ägypten: Ein Land vor ungewisser Zukunft
Surprise Strassensport startet mit einem Benefizturnier in die Saison – spielen Sie mit!
Nr. 245 | 4. bis 17. März 2011 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
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*gemäss MACH Basic 2010-1.
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Titelbild: Lucian Hunziker/Titelmodels: Bruno Paneth und Chris Harland
Kürzlich habe ich meine Primarschulfreundin wieder gefunden: Ich habe sie im Internet gegoogelt. Sie lebt jetzt im Ausland, ist verheiratet, hat Kinder bekommen und arbeitet als Yogalehrerin. Damals waren wir die besten Freundinnen, wenn wir nicht zusammen waren, telefonierten wir, und obwohl wir völlig unterschiedlich aussahen, hielten uns die Leute für Schwestern. Wir waren sehr vertraut miteinander. Dann wurden wir älter, gingen auf verschiedene Schulen und entwickelten unterschiedliche Interessen. Irgendwann hatten wohl beide das Gefühl, von der Freundin nicht mehr richtig verstanden zu werden. Geheimnisse schienen bei ihr plötzlich nicht mehr gut aufgehoben. Wir verloren uns aus den Augen, schenkten anderen besten Freundinnen unser Vertrauen. Manchmal habe ich mich gefragt, wie wir uns heute verstehen würden. JULIA KONSTANTINIDIS Vielleicht hätten wir uns nichts mehr zu sagen – eine schlimme Vorstellung. Die REDAKTORIN allerdings sehr wohl zutreffen könnte, wie Michael Gasser bei seiner Arbeit am Artikel über Freundschaften (ab Seite 10) herausgefunden hat. Meine Gefühle für Ägypten sind ganz anderer Natur als diejenigen für meine Freunde. Die Entwicklungen in Ägypten und anderen Ländern in Nordafrika und im Nahen Osten lösen bei mir Skepsis aus. Jahrzehntealte Herrschaftssysteme wurden angegriffen und gestürzt: Wird es den Staaten gelingen, demokratisch funktionierende Gesellschaftsstrukturen aufzubauen? Den Menschen würde ich es von ganzem Herzen gönnen. Denn seit der Lektüre des Artikels von Amir Ali (ab Seite 18) weiss ich, was die meisten Menschen in Ägypten wollen: Sie wollen lernen und studieren – und dann eine Arbeit finden, damit sie ihre Existenz sichern können. Sie möchten ihre Grundbedürfnisse befriedigen. Sie möchten frei ihre Meinung äussern und mitentscheiden können, wer ihr Land regiert. Genau wie wir. Lange stützte der Westen arabische Despoten aus Angst, in diesen Ländern die wirtschaftliche Stabilität zu gefährden und damit gut laufende Geschäfte aufs Spiel zu setzen. Doch Angst ist ein schlechter Ratgeber. Nur die Unterstützung der Demokratiebewegungen in diesen Ländern bringt uns den Menschen dort näher. Und vielleicht könnte sich daraus eine Freundschaft entwickeln. Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre. Herzlich, Julia Konstantinidis
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 245/11
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BILD: DOMINIK PLÜSS
Editorial Vertrauenssache
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10 Freundschaft Menschen des Vertrauens BILD: LUCIAN HUNZIKER
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Inhalt Editorial Eine Frage des Vertrauens Basteln für eine bessere Welt Horizonterweiterung Aufgelesen Prinz auf der Strasse Zugerichtet Andere Kreise, andere Welten Leserbriefe Gesammelte Basteleien Starverkäufer Sanjiv Kumar und Regula Kumar Weilemann Porträt Die Schlagfertige Beschneidung Das Häutchen des Anstosses Le mot noir Perfekt falsch Singen Ein besonderer Männerchor Kulturtipps Getanzte Alternativrealität Ausgehtipps Plausch beim Tausch Verkäuferporträt Der Stehaufmann Projekt Surplus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP
Als Kind fällt die Wahl vergleichsweise leicht: Wer am nächsten wohnt und die meisten Spielzeuge hat, wird zum besten Freund erkoren. Mit zunehmendem Alter werden die Auswahlkriterien komplexer, dafür aber auch beständiger. Und manche Freundschaften trotzen anfänglicher Antipathie und unterschiedlichen politischen Ansichten. Zwei Männer und eine Frau erzählen, was ihre Freundschaften zusammenhält.
18 Ägypten Ein Volk auf neuen Wegen BILD: ISTOCKPHOTO
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Fremden scheint Vieles in Ägypten rätselhaft. Das Land mit der geheimnisumwitterten Vergangenheit der Pharaonen und Pyramiden steht nach dem Sturz des Alleinherrschers Hosni Mubarak vor einer ungewissen Zukunft. Unser Autor Amir Ali hatte während der letzten Wochen Kontakt zu seinen Verwandten im nordafrikanischen Land und weiss, wofür die Bevölkerung kämpft.
20 Strassensport Saisonstart mit Benefiz-Turnier
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BILD: RUBEN HOLLINGER
Anfang April startet die Surprise Strassensport Liga in die neue Saison. Bereits beim ersten Turnier in Basel wird nach Spielern für die Nationalmannschaft gesucht, die im Herbst zur WM nach Paris reisen wird. Markus Thaler weiss, wie es sich anfühlt, mit der Schweizerfahne ins Stadion einzulaufen. Im Interview erinnert er sich an «seine» WM in Rio de Janeiro und erzählt, was ihm am Strassensport wichtig ist. Und: Surprise sucht Teams für das Benefizturnier am 2. April.
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ILLUSTRATION: SIMON DREYFUS
Malen Sie mit Stofffarben einen weiten Horizont flächendeckend auf den Stoff.
Für den Horizont benötigen Sie ein Stück von einem hellen Stoff, das so lang wie ihre Armspanne und mindestens 30 Zentimeter breit ist.
Lassen Sie den Horizont gut trocknen und stecken Sie ihn dann zusammengelegt in Ihre Tasche.
Breiten Sie den Stoff auf Augenhöhe aus, sobald Ihnen ein Quadratschädel begegnet und erweitern Sie so seinen Horizont.
Basteln für eine bessere Welt Wir haben es satt. Von Abstimmung zu Abstimmung werden die Schweizer verbohrter, rückwärtsgewandter und schrulliger. Wo ist die Weitsicht geblieben, wo die Neugier auf nie Dagewesenes? Versperren uns die Berge oder die Bretter vor dem Kopf tatsächlich so sehr den Blick auf den Rest der Welt? Wir wollen unsere Mitmenschen zu einer kleinen Horizonterweiterung verhelfen – mit dem SurpriseHorizont: Basteln und dem nächsten Quadratschädel vor die Nase halten. SURPRISE 245/11
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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Prinz William Salzburg. Er schlief auf der Strasse, um aus erster Hand zu erfahren, was es heisst, obdachlos zu sein: Kürzlich hat sich Prinz William nun – zum ersten Mal seit der Bekanntgabe seiner Verlobung – zu Wort gemeldet, um Strassenzeitungen auf der ganzen Welt zu ermuntern: «Dass Menschen ohne Hoffnung in unserer Mitte leben, ist eine Schande für unsere Gesellschaft. Das ist der Grund, wieso mich die Arbeit von Strassenzeitungen so sehr inspiriert: Sie geben Odachlosen das Selbstvertrauen, ihr Leben wieder aufzubauen.»
Die Guten ins Töpfchen Hannover. Eine deutliche Mehrheit der Deutschen hat sich in einer Umfrage für die Zulassung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) ausgesprochen; also dafür, dass man bei künstlichen Befruchtungen mit Gentests an den Embryonen soll untersuchen dürfen, ob das Baby gesund sein wird oder nicht. Ganze 62 Prozent sprachen sich bei der Emnid-Umfrage im Auftrag des Magazins «Focus» für den Check auf Erbkrankheiten aus, nur 32 Prozent lehnten die Methode ab.
Freitod in Indien Graz. DieWeltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass es weltweit etwa eine Million Suizide pro Jahr gibt. 130 000 davon geschehen in Indien. Der Psychologe Daya Sandhu untersuchte die Ursache, die so viele Inderinnen und Inder veranlasst, aus dem Leben zu scheiden. Er befragte Schüler nach ihren Problemen: Viele gaben Leistungsdruck und die hohen Erwartungen ihrer Eltern an. «Besonders erstaunte mich aber, dass ganze 70 Prozent angaben, unter Liebeskummer zu leiden», so Daya Sandhu.
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Zugerichtet Lebenslauf im Kreis «Herr K.* will mit den Kreisen abschliessen, in denen er sich bewegt hat», beschwört sein Verteidiger das Gericht, bevor sich dieses zur Urteilsfindung zurückzieht. Er meint die Halb- und Unterwelt, die schlechte Gesellschaft, in der Herr K. verkehrte. Geld spielt in diesen Kreisen eine weit grössere Rolle als in den besseren, weil man zu wenig davon hat oder nie genug, weshalb man sich unentwegt den Kopf zerbricht, wie man es mehren könnte. Und da das auf legalem Weg meist nur mühsam geht, zumal wenn man nie was Rechtes gelernt hat wie Herr K., wird die Abkürzung gesucht, unter Umgehung des Gesetzes. Diese erweist sich dann oft als die längere Strecke, wenn sie nämlich im Gefängnis zu absolvieren ist. Da befindet sich zurzeit Herr K., allerdings wegen einer anderen Geschichte. Darin ging es um Falschgeld, um gefälschte Euros, die er bei sich aufbewahrte, weil «er Kollegen in Not nicht im Stich lassen wollte». Heute steht er wegen gewerbsmässiger Hehlerei vor Gericht. Die schlechte Gesellschaft waren diesmal zwei Ausländer, Leute vom Balkan, die alles initiiert hätten. Herr K. agierte wohl wieder als untergeordneter Helfer. Herr K., 46 Jahre alt, stammt aus dem Sankt Gallischen und hat bisher nichts gesagt ausser Ja und Nein. Für ihn antwortet der Verteidiger in klarer Diktion: «Der Vorwurf in der Anklageschrift wird eingeräumt.» Die Polizei kreuzte nach einer Anzeige in Herrn K.s Garagenhof auf und fand einen ganzen BMW, einen halben Mercedes, diverse Einzelteile wie Motorhauben und Kotflügel von Audis und anderen Autotypen. Angezeigt hatte ihn ein unzufriedener Kunde.
Es stellte sich heraus, dass ein Teil der Ware gestohlen war. Herr K. wird wegen gewerbsmässiger Hehlerei in sieben Fällen verurteilt. Er hat sich die Teile verschafft und zu Geld gemacht, sagt der Richter. Verschafft. Das klingt ziemlich ungenau. Merkwürdigerweise schien es niemanden in diesem Prozess zu interessieren, auf welchem Wege die geklauten Autos eigentlich zu Herrn K. gekommen sind. Jedenfalls hat niemand gefragt. Der Angeklagte ist eine traurige Gestalt. Er sieht vernachlässigt aus, ist auf klägliche Weise und für die winterliche Kälte unzureichend gekleidet. Über den hellen, schlecht sitzenden Anzug hat er eine dunkle Lederjacke gezogen, der Blazer zipfelt darunter hervor. 14 Mal stand er vor Gericht, von Jugend an, Diebstahl, Raub, Betrug. Ein krummes Ding nach dem anderen, um ins bessere Leben aufzusteigen, unzählige Strafen, ein Lebenslauf im Kreis. Er ist ausgebrochen, hat neu angefangen, beteuert er. Vom Handel lässt er die Finger. Er macht jetzt nur noch die Tierpension, die er mit seiner Lebensgefährtin auf dem Land aufgebaut hat, fernab vom Milieu und dem schlechten Einfluss. Sobald er aus dem Gefängnis kommt – 20 Monate brummt ihm das Gericht auf, weitere Prozesse stehen ihm noch bevor –, will er mit jenen Kreisen brechen, bekräftigt sein Verteidiger nochmals. Er ist optimistisch und stellt seinem Mandanten eine positive Prognose. «Besser, man liebt die Tiere anderer Leute als ihre Autos.» *Persönliche Angaben geändert.
ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 245/11
Leserbriefe «Am besten mag ich die Bastelanleitungen: immer aktuell, intelligent – und anwendbar!» Lichtblick Ich bin regelmässiger Käufer des Strassenmagazins Surprise – und nur des Surprise! Ich würde es nie abonnieren, weil ich es liebe, diese kurzen Gespräche, und sei es bloss: «Wie geht es dir? How are you?» Surprise ist eine gute Zeitschrift, genauer: Eine grossartige Zeitschrift! Möchte jemand wissen weshalb? Man braucht bloss eine Nummer in die Hand zu nehmen und die Beiträge genau anzuschauen und zu lesen. Naja. Wer noch unsicher ist, nehme einfach eine Gratiszeitung zur Hand. Sofort geht da ein Licht auf, behaupte ich. Moritz Jeckelmann, per E-Mail Aufsteller Als ich der Verkäuferin vor dem Coop in Wettswil die neueste Ausgabe des Strassenmagazins abkaufte, strahlte sie mit ihrem ganzen Gesicht vor Freude. Dies war auch für mich ein Aufsteller! Sie bedankte sich froh und zufrieden für den Magazinkauf. Bruno Burkhard, Nussbaumen
Nr. 243: «Biografien – Schuften macht Promis» Leicht Boshaft Ab und zu kaufe ich Surprise und bin immer wieder von der hohen Qualität der Zeitschrift angetan. Die Auswahl an Themen, die Wahl der Rubriken und die Qualität der Artikel sind einfach toll. Texte wie beispielsweise «Biografien – Schuften macht Promis» sind herzerfrischend mit ihrer intelligenten Ironie, leichten Boshaftigkeit und dem liebevollen Augenzwinkern. Am besten mag ich aber die Bastelanleitungen. Politisch und gesellschaftlich immer aktuell, intelligent, witzig und tatsächlich anwendbar! Die Bastelanleitung für Schutzengel hat mir so gefallen, dass wir sie für die Tischkärtchen für die Taufe unserer Kinder benutzt haben. Die frechen kleinen Engel kamen bei den Gästen gut an; so gut, dass sie noch immer den Bürotisch vom Gotti zieren! Möchten Sie nicht mal die gesammelten Bastelanleitungen in einem Buch veröffentlichen? Richtig publiziert und vermarket würden sie bestimmt ein grosses Publikum ansprechen. Katja Wirth, per E-Mail
Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 (0)61 564 90 99, redaktion@strassenmagazin.ch
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BILD: ZVG
Anregung Zuerst ein grosses Bravo für das Konzept, inklusive des Inhalts von Surprise! Mir ist aufgefallen, dass der Preis etwas gestiegen, das Heft aber nicht gerade dicker geworden ist – das soll keine Kritik sein, nur eine Feststellung, vielleicht auch eine scheue Anregung … Im «schlimmsten Fall»: Weiter so. Fausto Marzi Marchesi, per E-Mail
Starverkäufer Sanjiv Kumar und Regula Kumar Weilemann Salome Wolf-Schmid aus Winterthur nominiert das Verkäufer-Ehepaar Sanjiv Kumar und Regula Kumar Weilemann als Starverkäufer: «In Winterthur begegne ich immer wieder diesen zwei freundlichen Gesichtern. Das Ehepaar wirkt aufgestellt, motiviert, dankbar und zufrieden. Sie gehen offen auf ihre Kundschaft zu und freuen sich über einem kleinen Schwatz. Immer wieder erfährt man viel Interessantes über das Leben des bereits neun Jahre verheirateten Ehepaars. Weiterhin alles Gute, Herr Kumar und Frau Kumar Weilemann! Ihr seid zwei wichtige Menschen und tragt dazu bei, dass dieses Städtchen zwei sympathische Menschen mehr zählt.
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Porträt Streitbarer Nachwuchs Julia Thalmann hat einen aussergewöhnlichen Titel: Sie ist Schweizer Meisterin im Debattieren. Die 16-Jährige widerlegt jedes Klischee von der trägen, apolitischen Jugend. VON AMIR ALI (TEXT) UND ANGEL SANCHEZ (BILD)
Adrian Amstutz wurde tatsächlich etwas rot und grinste verlegen. Er sass letzten Dezember auf dem Sofa des «Club» im Schweizer Fernsehen. Der Abend stand unter dem Motto «Talk der Generationen», und neben prominenten Köpfen aus dem Bundeshaus und der Wirtschaft waren auch die wichtigsten Jungparteien vertreten. Die Kritik an Amstutz, dem SVP-Haudegen aus dem Berner Oberland, zog sich durch die ganze Sendung. Amstutz schien die Kritik nicht viel auszumachen. Was ihn erröten liess, war ein indirekt gespielter Ball. Julia Thalmann, anwesend als Vertreterin der Jungsozialisten, war gefragt worden, was denn die alte Generation von der jungen lernen könne. «Respekt» hatte ihre Antwort gelautet. «Diskussionen dürfen hitzig sein. Aber manchmal sollte man zweimal überlegen, bevor man spricht», sagte sie weiter und schaute Amstutz an. Zugegeben, Amstutz zu kritisieren, gehörte an diesem Abend zum guten Ton. Aber Julia Thalmann ist kaum 16 Jahre alt. Sie stellte den gestandenen SVP-Nationalrat vor laufenden Kameras zur besten Sendezeit in den Senkel. Und war dabei noch charmant. Auch wenn von dem zierlichen, blonden Mädchen an jenem Abend im «Club» ansonsten nicht viel zu hören war, man spürte: Hier sitzt ein Animal politique. Hier sitzt eine, die intuitiv den richtigen Ton trifft. Eine, die ohne zu zögern Redezeit ergreift und sie ausfüllt mit ihrem singenden Luzerner Dialekt und dem hinten gerollten R. Julia Thalmanns Lust an der Debatte erwachte spielerisch. «Ohne gute Debatten gibt es keine gute Politik»: Unter diesem Motto fördert eine Stiftung das Debattieren über gesellschaftliche Fragen in Schulen und Workshops. Über die interne Vorausscheidung an ihrer Kantonsschule landete Julia 2009, noch keine 15 Jahre alt, im Finale, wo sie gegen eine Ausgangssperre für Jugendliche argumentieren musste. Sie gewann den ersten Platz, und den Publikumspreis gleich dazu. Seither ist einiges anders geworden in Julias Leben. Nicht nur, aber auch wegen des Titels als Meister-Debattiererin. Einerseits bekamen die Teilnehmer des Debattier-Wettbewerbs Post von den Jungparteien. Julia wurde eine Juso, mittlerweile sitzt sie in der Geschäftsleitung und ist zuständig für die Kommunikation mit der Mutterpartei. Andererseits hat sie die Kantonsschule aufgegeben. Der Alltag als Schülerin unter Schülern sei ihr zu oberflächlich gewesen. «Da ging es nur darum, wer was trägt und mit wem zusammen ist.» Auch über einen zweiten, viel persönlicheren Grund für den Schulabbruch spricht Julia offen: «Meine Schwester ist super in der Schule. Ich setzte mich selbst unter Druck und zweifelte die ganze Zeit, ob ich den Ansprüchen meiner Familie genüge.» Heute lernt Julia in einem gutbürgerlichen Luzerner Hotel ihren Traumberuf. «Ich wollte schon immer Köchin werden», strahlt sie. Besonders ihr Vater, selbst ein Akademiker, habe anfangs keine Freude gehabt. «Ich habe mich für meinen eigenen Weg entschieden. So bin ich ein Individuum geworden», sinniert Julia. Der Vater habe schnell eingesehen, dass ihr eigener Weg der beste für sie sei. Auch wenn ihr neuer Beruf ihr Leben dominiere. Tanzen, Ausgang, Freundschaften: Das alles,
sagt Julia, habe kaum mehr Platz neben der Arbeit. Dafür wisse sie nun, wer die wirklichen Freunde seinen. Eine werdende Köchin aus einer Luzerner Vorortsgemeinde: Das ist nicht unbedingt der Prototyp einer kämpferischen Jungsozialistin. Da würde man eher auf SVP tippen. Julia Thalmann zieht die Schultern hoch und lächelt. «Ich habe nichts gegen Ausländer», sagt sie. «Und bei der Juso kannte ich schon Leute.» Dass ihr Denken nicht an der Parteigrenze haltmacht, zeigt Julias Wunsch für später. «Ich möchte ins Militär und Küchenchefin werden», sagt sie. Mit diesem Plan hingegen dürfte sich ihr Vater als ehemaliger Hauptmann schnell anfreunden. Doch Julias Begeisterung für die Armee geht tiefer: «Das gehört irgendwie zu einem Land. Es braucht sie ja eigentlich nicht, aber die Armee ist eine Bereicherung.» Politisch interessiert, fleissig, anständig: Diese junge Frau straft jedes Klischee über die Jugend Lügen. Sie selbst findet, man dürfe die Jugend durchaus apolitisch nennen: «In der Berufsschule haben wir solche, die halten SP für eine Abkürzung von SVP.» Viele ihrer Altersgenossen übernähmen einfach Meinungen, die sie irgendwo aufgeschnappt hätten. «Deshalb ist ja die SVP so erfolgreich. Deren Argumente sind einfacher zum Nachplappern», stichelt sie. Doch Julia Thalmann will nicht mit dem Finger auf ihre Generation zeigen. Auch die Alten, sagt sie, würden ihren Teil zum Desinteresse der Jungen beitragen. Sie erwarteten von ihnen, dass sie sich beteiligen und in die Gesellschaft eingliedern. «Gleichzeitig nehmen sie uns unsere Treffpunkte weg und halten uns an der kurzen Leine», sagt Julia. Für die Jungen ist Politik also etwas, was die Alten machen. Julia sieht das anders: «In Zukunft treffen wir die Entscheidungen. Darum fange ich heute schon an.» Noch steht Julia Thalmann ganz am Anfang. Noch hat sie zwei Jahre Zeit, bis sie überhaupt gewählt werden kann. Zeit, um ihr rhetorisches Talent mit Inhalten zu füllen und ihre Position zu finden. «Ich bin noch sehr jung», gibt sie zu bedenken, «und normalerweise rückt man im Laufe der Zeit noch etwas in die Mitte.» Vorerst aber beschäftigt sie sich mit Marx und dem SP-Parteiprogramm. «Ich muss zwar jeden Satz drei Mal lesen, aber es macht Spass», sagt sie. Bis 18, sagte man ihr, dürfe man auch mal Fehler machen. Danach sei die Schonfrist im Politbetrieb vorbei. Dann müssen die Fakten sitzen.
«In der Berufsschule haben wir solche, die halten SP für eine Abkürzung von SVP.»
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Sei es im Sport, in der Musik oder sonst wo: Wenn junge Menschen auffallen, ist die Frage nach dem Vorbild unausweichlich. Julia Thalmann zeigt ihr zögerndes Lächeln. Auf Nachfrage nennt sie dann doch Pascale Bruderer, die Genossin aus dem Aargau und jüngste Nationalratspräsidentin aller Zeiten. «Aber der Blocher», schiebt sie gleich hinterher, «der ist auch genial. Der ist der Einzige, über den man noch Jahrzehnte sprechen wird.» Und auch für den gescholtenen Adrian Amstutz hat sie zum Schluss ein Lob übrig. «Er will ja in den Ständerat, und er verkauft sich so gut», schwärmt sie beinahe. Wer weiss: Vielleicht sagt ein junger SVPler in 30 Jahren dasselbe über eine Ständeratskandidatin aus einer Luzerner Vorortsgemeinde. ■
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BILD: LUCIAN HUNZIKER
Freundschaft Lieblingsmenschen Nicht alle haben welche, doch alle w端nschen sie sich: gute Freunde. Doch was macht eine Freundschaft 端berhaupt aus und wann und wie wird ein Kumpel in den Freundesstand erhoben?
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VON MICHAEL GASSER
Kann man über Freunde reden, ohne über Facebook zu sprechen? Kann man, klar. Werde ich aber nicht. Schliesslich dreht sich das soziale Netzwerk um (virtuelle) Freunde und nicht zuletzt darum, solche zu sammeln. Nicht möglichst gute, sondern möglichst viele. «Auf Facebook bin ich mit Kollegen ‹befreundet›, aber nicht mit meinen Freunden», erklärte mir ein Bekannter unlängst an einer Party. Seine wahren Freunde treffe er lieber von Angesicht zu Angesicht. Im richtigen Leben. Sprich: Freund ist nicht gleich Freund. Der heulende Nachbarsjunge Das wusste schon Montaigne (1533 – 1592). Der französische Philosoph sprach in seinem Essay «Über die Freundschaft» von zwei Kategorien: von «gewöhnlichen Freundschaften» und von jener zu Étienne de La Boétie. Während erstere nur wegen eines gegenseitigen Nutzens bestünden und deshalb labil seien, zeichne sich eine echte Freundschaft – wie die zu de La Boétie – durch absolutes Vertrauen aus. Weshalb diese Art äusserst rar sei. Montaigne, der Frauen nicht zur wahren Freundschaft fähig hielt (er attestierte ihnen nicht genügend geistige Fähigkeiten!), machte eigentlich nichts anderes, als sein Umfeld in Bekannte und Freunde zu unterteilen. So wie es der gemeine Mitteleuropäer – meist etwas weniger rigoros als Montaigne – bis heute tut. Dies im Gegensatz zum durchschnittlichen Nordamerikaner – der bezeichnet mitunter auch Menschen als Freunde, die er gerade mal ein paar Stunden kennt. Freunde sind nicht selbstverständlich. Eine Studie der «American Sociological Review» aus dem Jahr 2006 besagt, ein Viertel der US-Bevölkerung hätte keinen einzigen Menschen, dem sie sich anvertrauten könnte. Eine Horrorvorstellung. Werfe ich einen forschenden Blick auf meine Facebook-Freundesschar, stelle ich fest: Unter ihnen tummeln sich ein paar Leute, die ich noch nie getroffen habe, eine Menge Berufskollegen, einige lose Bekannte, zwei Ex-Freundinnen, eine Handvoll entfernter Verwandter, diverse Kumpels und last but in no way least auch einige meiner liebsten Freunde. Die ganze Bandbreite also. Doch was macht denn eigentlich eine Freundschaft aus? Der Berliner Psychotherapeut Wolfgang Krüger meint dazu in seinem Werk «Wie man Freunde fürs Leben gewinnt»: Man vertraut sich persönliche Probleme an, hilft sich gegenseitig und ist sich eine Stütze. Was sicher alles nicht falsch ist, aber in seiner Trockenheit furchtbar platt klingt und den wirklich guten Freunden so gar nicht gerecht werden will. Versuche ich mich zu entsinnen, wer denn eigentlich mein erster «Freund» war, steigen bloss ein paar blasse Erinnerungen an einen Nachbarsjungen auf. Thomas, zwei Monate jünger als ich, er besass jedoch zehn Mal so viele Stofftiere. Weswegen ich schon ein wenig eifersüchtig war. Zudem heulte er mir zu viel. Gleichwohl war er mein Freund, ganz gewiss.
Perspektiven gibt. «Die Orientierung am eigenen Vorteil steht aber weiterhin im Vordergrund.» Spulen wir ein paar Entwicklungsjahre nach vorne: Ab 20 Jahren, so Selman, würden Freunde beginnen, die Wünsche des anderen zu berücksichtigen. Man gibt und es wird gegeben, man versteht und man wird verstanden. Wohl genau deshalb gehöre ich zur Menschensorte, die keine Freunde von früher ins Erwachsenenalter rüberretten konnte: Erst die an der Uni gemachten Freunde schienen zu kapieren, wer ich bin. Und vice versa. Aus Neugier habe ich mal einen meiner Primarschulfreunde auf Facebook ausfindig gemacht. Ein Blick auf sein Profil und seine Interessen, die zwischen Freiheit, schnellen Autos und SVP-Statements lavierten, führten mir vor Augen: Da gibts – von ein paar Erinnerungen abgesehen – keine Gemeinsamkeiten mehr. Und wo es keine Gemeinsamkeiten gibt, gibts auch keine Freundschaft. Doch was macht denn nun meine Freunde zu meinen Freunden? Eine nicht wirklich zu beantwortende Frage, weil alle Antworten zu kurz greifen. Zumal meine Freunde höchst unterschiedlich sind. Da gibts die
«Mein Gott ist die konservativ.» Eine Freundschaft schien ausgeschlossen.
Alles kann, nichts muss Was mit den Beobachtungen des Psychoanalytikers und Freundschaftsexperten Robert Selman übereinstimmt: Im Alter von vier bis sechs Jahren sei ein guter Freund jemand, der nebenan wohnt oder den man im Kindergarten häufig trifft. «Psychologische Gesichtspunkte werden nicht wahrgenommen.» Es sei eine von offen gezeigter körperlicher Aggression geprägte Phase, schreibt der Amerikaner in «Stufen der Freundschaftsbeziehungen» (1984). Erst zwischen acht und zwölf Jahren würden Kinder erkennen, dass es in einer Freundschaft reziproke SURPRISE 245/11
klassische Männerfreundschaft, in der nicht viel und schon gar nicht viel Tiefgründiges geschwatzt wird, dafür wird über Allerweltsdinge gequasselt und dazu ein bisschen Wein getrunken. Mit Arbeitsfreunden lästere ich hingegen sehr gerne und sehr konkret über den Niedergang der Printmedien, ein Thema, das verbindet, kein Ende nimmt und voller schauriger und deshalb erzählenswerter Geschichten ist. Und dann gibts da noch die engen, die wirklichen Freunde. Von denen man, so besagt es die Theorie, nicht mehr als vier oder fünf hat. Maximal. Gemeint sind diejenigen Menschen, denen ich alles erzählen kann. Aber nicht muss. Diejenigen Menschen, die ich anrufen würde, wenn ich nicht mehr weiterwüsste. Eine handverlesene Schar, eine, die mich mitsamt meinen Schrullen – und es sollen nicht wenige sein – akzeptiert. So wie ich auch meine Freunde akzeptiere. Und schätze. Dass mir meine Freunde – wenn nötig – die Leviten lesen, gehört dazu. Letztmals und zu Recht vor wenigen Wochen. Unter meinen engsten Freunden hat es auch Frauen, was bisweilen schon für zweifelnde Blicke und bei Lebensabschnittspartnerinnen zu bösen Worten geführt hat, doch ich sage: Es ist möglich, absolut. Und bereichernd. Aber genug der Nabelschau, zumal man ja nicht einfach von sich auf andere schliessen kann. Weshalb ich von drei Menschen wissen wollte: Wie halten Sie es denn mit Ihren Freundschaften? Wie eine grosse Schwester Ulla Pers bezeichnet ihre beste Freundin Marie-France Tschudin als ihren «Schutzengel». Erstmals begegnet sind sich die beiden vor über 20 Jahren, an der amerikanischen Renommier-Uni Georgetown, in Washington D.C. Die 38-Jährige mag sich gar noch exakt entsinnen, was sie beim ersten Aufeinandertreffen über Tschudin dachte: «Mein Gott, die ist aber konservativ.» Dass sie mal sehr gute Freundinnen würden, hätte Pers, Tochter eines Dänen und einer Italienerin, damals so gut wie ausgeschlossen. Trotz der eher verhaltenen Sympathie traf man sich immer wieder – nicht unbedingt gewollt, sondern weil Tschudin damals die beste Freundin von Pers’ älterer Schwester war. Nach dem Studium trennten sich die Wege, der Kontakt bröckelte. Tschudin zog für Jobs erst nach Portugal und Spanien und nach der Jahrtausendwende nach Luzern. Wohin es wenig später auch Pers verschlug, der Liebe wegen. Die beiden Frauen begannen, sich wieder zu
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Aus verhaltener Sympathie wurde tiefe Freundschaft: Marie-France Tschudin und Ulla Pers.
begegnen. Auf einer neuen Ebene. «Ich habe realisiert, was für ein tiefgründiger Mensch Marie-France ist», sagt die freiberuflich tätige Kommunikations- und Kunstberaterin. Derzeit lebt Pers in Basel, während es Tschudin, die zudem häufig beruflich unterwegs ist, in die Romandie verschlagen hat. Aufgrund der Wohnortdistanz sehen sich die zwei Frauen wieder seltener, telefonieren dafür wöchentlich. Ihre Freundin fehle ihr, wenn sie länger nichts von ihr höre. «Für mich ist sie wie eine grosse Schwester. Sie ist immer da, wenn ich sie brauche. Und ich für sie.» Chris Harland und Bruno Paneth sind bereits eine halbe Ewigkeit miteinander befreundet. Seit wann genau, wissen sie selbst nicht mehr, deshalb schätzen sie: 1977. Kennen gelernt haben sie sich über ihre damaligen Freundinnen. An ihre erste Begegnung können sie sich selbst durch gehöriges Kopfkratzen nicht mehr erinnern. Dafür daran, dass es ihre gemeinsamen Interessen wie Velo fahren oder Bergtouren waren, die sie einander näher brachten.
«Es ist unser erklärtes Ziel, uns durch sämtliche italienischen Pastarezepte zu kochen.» Wer mit den beiden spricht, spürt ihre Vertrautheit. Es
«Freundschaften leben davon, dass man mehr rein gibt, als man rausnimmt.»
Wichtiger als die Familie «In Sachfragen sind wir oft unterschiedlicher Meinung», sagt Paneth. «Chris verfolgt oft einen klar linken Kurs.» Dass man sich ab und zu nicht einig ist, spielt für die beiden keine Rolle. Denn Diskussion soll sein, unbedingt. «Freundschaften leben davon, dass man mehr rein gibt, als man rausnimmt», zeigt sich Paneth überzeugt. In der Regel sehen sich der Berufsschullehrer und der gebürtige Engländer einmal die Woche, manchmal auch seltener, eine Verpflichtung, sich zu treffen, gäbe es ja nicht. Aber: Für einen Monat keinen Kontakt, das wäre ihnen doch zu lang. Häufig kommt man bei Harland, er ist Hausmann und Vater, zusammen.
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wird im 30-Sekunden-Takt gewitzelt, keine bösartigen Scherze, sondern tüchtige Neckereien, wie es sie nur unter ganz vertrauten Menschen gibt. Paneth besucht Harland und die Seinen manchmal auch in den Ferien, grosses Aufheben wird darum nicht gemacht, alles ist wie selbstverständlich, alles hat seinen Gang. Was klar macht: Paneth ist noch mehr als ein Freund für Harland, er ist Teil der erweiterten Familie. Die Erzählungen von Harland, Paneth und Pers zeigen weitere Freundes-Facetten, nicht mehr, nicht weniger. Wohl jede enge Freundschaft würde weitere Nuancen zu diesem nie komplett werdenden Bild beitragen. Eine definitive Antwort, was Freundschaft ist, gibt es nicht, kann es nicht geben. Sicher ist nur, dass in Zeiten, in denen die Familien immer kleiner werden und die Zahl der Single-Haushalte steigt, Freundschaften jeglicher Couleur an Relevanz gewinnen. Viele sagen, dass ihnen ihre besten Freunde wichtiger sind als ihre Familie. Das würde ich nicht unterschreiben. Aber sie sind mir genauso wichtig. Wozu mir die Worte der Wiener Psychologin und Verhaltenstherapeutin Eva Jaeggi einfallen: «Eine Freundschaft kann eine Paarbeziehung nicht ersetzen. Aber es kann sein, dass Menschen, die Freundschaften pflegen, besser gegen seelisches Ungemach gefeit sind.» ■
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Beschneidung Viel Lärm um ein Häutchen Das beste Stück des Mannes ist ein empfindliches Thema. Vor allem, wenn genau dort das Messer angesetzt wird. Der kleine Schnitt ist für viele Menschen von grosser Bedeutung. Was hat es damit auf sich? Ist die Beschneidung ein religiöses Gebot, eine gesundheitliche Vorsorgemassnahme oder gar Verstümmelung? VON KATRIN MEIER
Die Männer des britischen Königshauses sind beschnitten, ebenso drei Viertel der Amerikaner. Juden und Moslems fehlt allen ein Stückchen ihres besten Stücks. Weltweit sind es ungefähr 665 Millionen MänSURPRISE 245/11
ner, die beschnitten sind. Es dauert nur fünf Minuten und ist vielerorts eine Selbstverständlichkeit. Jedoch wird über kaum ein Ritual, das so alt und so verbreitet ist, so heftig diskutiert wie über die Beschneidung. Bei der Beschneidung von Jungen im Judentum, der Brit Mila, setzt der Mohel, der Beschneider, am achten Tag nach der Geburt das Mes-
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ser an. Mit einem Mohel zu sprechen, ist indes kein einfaches Unterfangen. Schliesslich erklärte sich einer von einem halben Dutzend zertifizierter Beschneider in der Schweiz zu einem Gespräch bereit. Per Telefon, anonym. «Arzt bin ich nicht», sagt er. «Ich habe zwar einige Semester Medizin studiert, das Handwerk des Beschneidens lernte ich aber vor 25 Jahren bei einem Mohel in Israel.» Erst nach bestandener Lehrzeit und einer Prüfung erhielt der Mohel ein Zertifikat von der jüdischen Kommission für Zirkumzision (so der wissenschaftliche Terminus für Beschneidung) in Israel. Jährlich beschneidet er seither rund 20 Jungen. Eine jüdische Beschneidung finde meist morgens statt, erzählt der Mohel. «In der Mitte stehen zwei Stühle. Auf dem einen sitzt eine Person, die das Kind auf einem Kissen im Schoss hält, oft ist es der Grossvater. Der andere ist leer.» Der Grossvater hält dem Kind die Beine auseinander. Der Mohel hebt die Vorhaut ab und zieht eine Klemme darüber, um die Eichel zu schützen. Mit einem skalpellartigen Messer schneidet er das äusserste Stückchen ab. Der Rest der Vorhaut wird umgestülpt, damit er unter der Eichel wieder verwachsen kann. Das Kind weint. Nach einigen Minuten blutet es nicht mehr. Die Wunde wird verbunden.
wieder Gerüchte, ein syphilitischer Mohel habe kleine Kinder angesteckt und getötet.» Diese Kritik war oft antisemitisch motiviert. Man nahm das kleine Häutchen als Aufhänger dafür, die Juden als Ganzes anzuklagen. Das Häutchen, das trennt Heute werden von den Kritikern hingegen meist psychologische Argumente ins Feld geführt. Die Jungen seien durch das Erlebnis einer Beinahe-Kastration traumatisiert, würden psychologische Schäden davontragen. Man spricht sich für das Recht der körperlichen Unversehrtheit aus. Ein Kind solle selbst entscheiden dürfen, was mit seinem Körper geschieht. Obwohl sich religiöse Kreise stark gegen Kritik von aussen wehren, werden solche Themen auch innerhalb der Gemeinschaften diskutiert. Vor allem jüdische Mütter in den USA unterstützen solches Gedankengut und wehren sich gegen die «Verstümmelung» und die mit ihr verbundene Traumatisierung ihrer Söhne. In den USA existieren zahlreiche Organisationen wie die «National Organization of Restoring Men» oder die «MGMbill.org», in denen Männer gemeinsam um den Verlust ihrer Vorhaut trauern und sich für ein Verbot der männlichen Beschneidung stark machen. Der Eingriff sei eine strafbare Körperverletzung, auch wenn die Eltern eingewilligt hätten. Hier wird von Verstümmelung gesprochen, von archaischer Praxis und lebenslangen Schäden wie der Unfähigkeit zum Geschlechtsverkehr oder Unfruchtbarkeit. Als einziges Land der Welt hat Schweden seit 2001 ein Gesetz, das die nicht-ärztliche Beschneidung von Jungen, die älter als zwei Monate sind, verbietet. Rituelle Beschneidungen an kleineren Kindern, wie die Brit Mila, müssen unter Anästhesie und im Beisein einer Krankenschwester oder eines Arztes durchgeführt werden. So will man gesundheitlichen Schäden vorbeugen und es dabei dennoch allen recht machen. Auch in der Schweiz flackerte die Beschneidungsdiskussion kürzlich auf. Anfang 2010 wollte der Vorstand der Grünen im Zusammenhang mit der Mädchenbeschneidung auch diejenige von Jungen «offen diskutieren». Die Befürworterseite wehrt sich schon seit jeher gegen Kritiker. Die Beschneidung sei ein wirksames Mittel gegen das Laster der Onanie, war früher ein beliebtes Argument. Die Unterbindung der Selbstbefriedigung ist wohl mit ein Grund, warum die Beschneidung in den puritanischen USA der 1960er-Jahre zur medizinischen Routinemassnahme wurde. Über 80 Prozent der Jungen, egal welcher religiösen Zugehörigkeit, wurden bei der Geburt in einem amerikanischen Spital beschnit-
Zeichen des Bundes «Im Judentum ist die Beschneidung das Zeichen des Bundes zwischen Gott und Abraham», sagt Marcel Yair Ebel, Rabbiner der Israelitischen Cultusgemeinde in Zürich. Jeder Junge wird bei der Brit Mila in diesen Bund aufgenommen und dadurch zum vollwertigen Mitglied des jüdischen Volkes. Dies sei eines der wenigen Gebote, das ununterbrochen über Jahrtausende hinweg in allen jüdischen Kreisen eingehalten wurde. Im Gegensatz zu den Juden können sich Muslime mehr Zeit lassen. Bis zur Pubertät sollten aber alle Jungen beschnitten sein. Die Beschneidung ist im Islam keine religiöse Pflicht, sondern eine Empfehlung zur Hygiene, eine sogenannte Sunna. Der Prophet Mohammed, der selbst ohne Vorhaut zur Welt gekommen sei, empfiehlt neben der Beschneidung auch die Entfernung der Achsel- und Schamhaare, das Kürzen des Schnurrbarts und das Schneiden der Fingernägel. In der Schweiz gibt es keinen offiziellen muslimischen Beschneider. So werden hier die meisten Jungen für den kleinen Schnitt zum Arzt gebracht. Über die Ursprünge der weltweit verbreiteten Beschneidung ist wenig bekannt. Es wird jedoch angenommen, dass das Ritual auf die Urvölker in Nord- und Ostafrika sowie in Australien zurückgeht. Die älteste Darstellung ist ein ägyptisches Relief um 2300 vor Christus. Die Juden führen die BeIn den USA existieren Organisationen, in denen Männer schneidung auf die Thora zurück und datieren gemeinsam um den Verlust ihrer Vorhaut trauern. die Offenbarung des Gebots von Gott an Abraham ungefähr 3700 Jahre zurück. Wer heute ten. Es lagen meist keine medizinischen Gründe wie etwa eine Phimoals Aussenstehender in islamischen und jüdischen Kreisen nach der urse, eine Vorhautverengung, vor. Manchmal wurden die Eltern nicht einalten Praxis fragt, stösst auf Widerstand und Unmut. Viele verschliessen mal gefragt. sich lieber − aus Angst, der ebenso alten Kritik neuen Nährboden zu spenden. Im Militärspital von Dakar Das kleine Körperteil, nicht mehr als ein Häutchen, bewegt seit Das Onanie-Argument taugt schon lange nicht mehr zur Rechtfertimehreren Jahrtausenden die Gemüter, sowohl von beschnittenen wie gung der Beschneidung. Heute werden gesundheitliche und hygienische unbeschnittenen Männern. Gerade weil dieses Häutchen in der LenVorteile betont. Darunter die Verhinderung von Harnweginfektionen dengegend symbolisch für den gesamten Körper steht, reagieren Kritisowie von Penis- und Gebärmutterkrebs. Viele Wissenschaftler sind ker und Vertreter empfindlich. Ob das Häutchen noch da ist oder nicht, der Überzeugung, die Beschneidung verringere zudem das Risiko der definiert den jüdischen oder muslimischen Körper und trennt ihn von HIV-Übertragung. Die WHO propagiert die Beschneidung vor allem im Andersgläubigen. «Die Beschneidung hebt einen Juden optisch von eisüdlichen Afrika, da laut Studien bis zu 60 Prozent weniger HIV-Annem Nichtjuden ab, denn die Art und Weise der jüdischen Beschneisteckungen stattfinden, wenn der Mann beschnitten ist. Erklärt wird dung unterscheidet sich von jeder anderen», sagt Rabbiner Ebel. dieser Befund dadurch, dass die Haut des Penis ohne Vorhaut robuster Kritisiert wird der Brauch fast so lange, wie er existiert. «Im 19. Jahrwird und dadurch eine bessere Barriere gegen Viren darstellt. Es wird hundert wurde die Beschneidung als archaisches Ritual betrachtet aber betont, dass die Beschneidung nicht als einzige Massnahme gegen und mit Krankheiten und Gefährdung der Gesundheit in Verbindung das Immunschwäche-Virus eingesetzt werden darf. Sie sei nur ein gebracht», sagt der Medizinhistoriker Eberhard Wolff. «Es gab immer
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Schnitt in die richtige Richtung. Kritiker verMänner lassen sich aus ästhetischen Grßnden beschneiweisen wiederum auf andere Studien, die das den oder weil das fßr längere Standhaftigkeit sorgen soll. Gegenteil behaupten. Ich fragte mich nach dem Sinn, als wir dinishaut fßr längere Standhaftigkeit sorgen soll. Man kÜnne so Frauen skutierten, ob wir unseren Sohn beschneiden lassen wollen oder besser befriedigen, liest man in Online-Foren zum Thema. Jedoch gehen nicht, sagt David Signer. Der Ethnologe und Schriftsteller ist mit einer auch hier die Erfahrungen auseinander. Muslimin aus dem Senegal verheiratet. Obwohl er selbst zum Islam Wissenschaftliche Studien sollen festgestellt haben, dass Frauen bekonvertierte – allerdings pro forma und ohne den kleinen Schnitt –, schnittene Männer erotischer finden. Dass dies oft Samples von ameristand er der Beschneidung ambivalent gegenßber. Mßssen wir ihm das kanischen Frauen waren, von denen viele noch nie einen unbeschnitteantun?, fragte sich Signer. Schliesslich beschlossen die Eltern, den nen Penis gesehen haben, wird dabei nur am Rande angemerkt. Jedoch Sechsjährigen beschneiden zu lassen. Als unbeschnittener Mann im scheint diese Meinung vor allem in den USA vorzuherrschen – wenigsSenegal hätte er mehr Schwierigkeiten gehabt als beschnitten in der tens, wenn man der amerikanischen Fernsehserie Sex and the City Schweiz. Signer liess seinen Sohn in einem Militärspital in Dakar beGlauben schenken will: Die vier Damen sind in einer Folge angewidert schneiden – unter Lokalanästhesie. vom unbeschnittenen Penis, bezeichnen ihn als einfach nicht normal Der entscheidende Schnitt am besten Stßck hat trotz seiner langen und vergleichen ihn mit einem Shar-Pei, der chinesischen Hunderasse Tradition nichts an seiner Aktualität verloren. Die Beschneidung wurde mit den vielen Falten. auch ganz unabhängig von religiÜsen oder gesundheitlichen Grßnden ■zur Modeerscheinung in den USA und anderen Ländern. Männer lassen sich aus ästhetischen Grßnden beschneiden oder weil die robustere PeDieser Artikel erschien ursprßnglich im Kinki Magazin.
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BILD: KEYSTONE
Ägypten Unheimliche Demokraten Gebannt blickt der Westen auf die Aufstände in Arabien. Die Verharmlosung der alten Regimes und ihrer Methoden ist der Begeisterung für die Demokratiebewegung gewichen. Unser Autor kennt Ägypten seit seiner Kindheit. Hier erzählt er von der Realität am Nil: Von den dunklen Wohnungen seiner Cousins, Geschenken von Onkel Hosni und den kurzen Röcken seiner Tanten – und was das alles mit uns zu tun hat. VON AMIR ALI
Alle waren schon mal da. Und niemand hat eine Ahnung. «Ägypten», antworte ich jeweils auf die Frage, wo denn mein Name herkomme. «Wunderschön. Ein tolles Land», sagen die Leute dann. Sie meinen: Die Tauchferien am Roten Meer. Die Nilkreuzfahrt inklusive Tempelbesuch. Den alten Kairoer «Khan-el-Khalili»-Markt, wo sich in kurzen Hosen und Segelschuhen so wunderbar die «orientalische Atmosphäre» aus den Kamellederschläuchen der Wasserpfeifen saugen lässt. Sie erzählen von lästigen Kamelführern, oder davon, wie sie auf dem Souk erfolgreich um fünf Franken gefeilscht haben. Sie meinen nicht: Die Tonnen von Abfall in den Strassen und Gassen. Die Verdoppelung der Bevölkerung auf 85 Millionen Einwohner in nur einer Generation. Die prekäre Situation einer breiten Schicht, die arbeitet und doch kein anständiges Leben führen kann. Die zig Millio-
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nen von jungen Menschen, die ohne Freiheit und Perspektive vor sich hin vegetieren. Ich habe all das schon oft gesehen und schon früh. Autofahrten durch Kairo und Alexandria. Bettelnde Kinder. Kinder, die auf Kreuzungen in den Abgasen des mörderischen Verkehrs stehen und Taschentücher verkaufen. Kinder ohne Beine, die sich auf Holzkarren mit den Armen über die dreckigen Strassen ziehen. Ich sah die kleinen und düsteren Wohnungen, in denen meine Tanten ihre Kinder grosszogen. Immerhin, sie hatten Wohnungen. Ich sah meine Cousins und Cousinen um einen guten Schulabschluss kämpfen. In der Hoffnung, vielleicht irgendwann dafür belohnt zu werden mit einer einigermassen anständig bezahlten Stelle. Ich sah, wie ihre Hoffnungen zerbrachen, die meisten jedenfalls. Ich sah sie zermürbt, weil sie ihre Elternhäuser nicht verlassen konnten. Kein Geld, keine Wohnung. Keine Wohnung, keine Heirat. Keine Heirat, keine Liebe. SURPRISE 245/11
Nun hat das Militär die Macht übernommen und den demonstrieUnd natürlich sah ich Hosni Mubarak. Er war nicht zu übersehen. renden Massen – und über die roten Telefone der Diplomatie wohl auch Von überall glotzte er herunter und herüber, in jedem Büro, in jedem den Amerikanern – «echte Veränderungen» versprochen. Doch bisher Krämerladen, in jedem Kaffeehaus hing sein Konterfei. Dieses aufgehaben die Generäle kaum etwas anderes getan, als ihre Macht zu blasene, käsige Gesicht, das falsche Lächeln. Der Vater des ägyptischen sichern. Wohl haben in der neuen Regierung, die zwei Wochen nach Volkes. «Ich sorge für Euch. Also gehorcht mir», schienen die unzähliMubaraks Abgang vereidigt wurde, auch drei Vertreter der Opposition gen Plakatwände und Fotos zu sagen. Das Volk gehorchte. Bis zum 25. Einsitz genommen. Doch die Schlüsselpositionen und das Amt des PreJanuar. miers bleiben mit Vertrauten Mubaraks und alten Kämpfern der Armee Noch vor drei Wochen sprach im Zusammenhang mit Ägypten niebesetzt. mand von einem Regime. Die ägyptische Armee hat zwar seit Jahrzehnten keinen Krieg mehr Man sagte: Der wichtigste Verbündete des Westens im Nahen Osten. geführt. Dafür hat sie sich zu einer starken Wirtschaftsmacht im Land Der Garant für Stabilität in der Region. Ein Bollwerk gegen die radikagemausert. Ihr gehören ganze Konzerne. Die Generäle, so sagt man, halen Islamisten. Ein zentraler Akteur im Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern. Man sagte nicht: Ein korruptes System, in Eines der ersten Wörter, die ich auf den Strassen von dem der Präsident, seine Familie und seine Alexandria lernte, war «Mukhabarat»: Geheimpolizei. Günstlinge allen Reichtum abschöpfen und das Volk mit Brosamen abspeisen. Eine Geben ihre Finger überall drin, wo Geld fliesst. Immer mehr wird klar, sellschaft, in der nur eine Chance hat, wer über die nötigen Beziehundass Mubarak nur ein Bauernopfer war, um die nächste Riege von Klepgen verfügt. Eine Gesellschaft, in der Eltern sogar die – unterbezahltokraten zum Zug kommen zu lassen. «Der Kopf ist ab», heisst es auf ten – Lehrer ihrer Kinder schmieren müssen, damit sie ihnen wirklich der Strasse, «aber der Schwanz wedelt noch.» etwas beibringen. Nach der Revolution ist vor der Revolution. Ägypten brennt noch Eines der ersten Wörter, die ich von meinen Cousins auf den Strasimmer. Doch die Augen der Welt sind weitergewandert. Nach Libyen, sen von Alexandria lernte, war «Mukhabarat»: Geheimpolizei. zum weitaus blutigeren letzten Gefecht des irren Beduinenherrschers. Zu diesem bösen Spiel machte der Westen gute Miene. JahrzehnteUnd wer erinnert sich noch an Tunesien? Revolution ist spektakulärer lang. Wir erkauften uns die Illusion eines sicheren Deckels auf dem als Demokratisierung. geopolitischen Pulverfass. Der Preis für diese vermeintliche Stabilität Die vom Westen gewünschte Stabilität führte vor Ort zu Stagnation. war die Freiheit der Ägypterinnen und Ägypter. Ein gutes Geschäft für Damit wurden auch radikale Geister gerufen. Die Unterdrückung durch uns, ein gutes Geschäft für Onkel Hosni. Nur: In diesem Preis war keiden Pharao von Washingtons Gnaden machte Ägypten empfänglich für ne Garantie inbegriffen. Die gibt es auf dem Bazar nicht. die konservativen Ideen der Islamisten. In den letzten 30 Jahren hat Mubarak war ein grossartiger Händler. Seine wertvollste Ware: Der sich die Gesellschaft islamisiert. Auf alten Klassenfotos aus den frühen Friedensvertrag mit dem jüdischen Staat. «Entferne ein Rad, und das Sechzigern tragen meine Tanten statt Kopftüchern knielange Röcke. Ich ganze Auto läuft nicht mehr.» So beschrieb der frühere israelische Prehabe noch keine meiner Cousinen je in einem Kleid gesehen, das ihnen mier Moshe Dayan die Bedeutung des Ausscheidens der Ägypter aus nicht bis zu den Knöcheln gereicht hätte. der Reihe der Feinde Israels. Mubarak und der ägyptischen Armee, deMit diesen Verhältnissen wird der Westen in nächster Zukunft leben ren Sprössling er war, sicherte der Friedensvertrag die Freundschaft der müssen. Die Muslimbrüder sind die am besten organisierte Gruppe der USA und Europas. Den Israeli brachte er Stabilität. Für die arabischen Opposition. Wird innert einem Jahr tatsächlich gewählt, dürften sie eiVölker war er ein Desaster. Die diplomatische Dominanz der USA und ne starke Kraft im neuen Ägypten stellen. Israels lähmt die Region bis heute. Der Westen muss sich entscheiden: weiter auf die geostrategischen Die westliche Zuneigung manifestierte sich in Geldströmen. 2 MilliInteressen schielen – oder den wedelnden Schwanz genau im Auge bearden Dollar Militär- und Wirtschaftshilfe flossen jährlich von Washalten. Demokratie und Freiheit, das wissen wir Schweizer am besten, hington nach Kairo. Dabei müsste Ägypten nicht arm sein. Der Toukönnen unheimliche Dinge sein. Heba, Mohammed und 85 Millionen rismus spült harte Devisen an die Ufer des Roten Meeres, ebenso der andere haben sie dennoch verdient. Export von Erdöl und Gas. Die Frage ist nicht, woher Ägypten das Geld ■ nehmen soll. Sondern wohin es geht. Bei meinen Cousins ist es nie angekommen. Am ehesten hätte Mohammed eine Chance darauf gehabt. Ich erinnere mich genau, wie gross die Freude in der Familie war, als er zur Offiziersschule zugelassen wurde. Die Armee ist die einzige Möglichkeit für junge Männer aus den unteren Schichten, Karriere zu machen. Nur war Mohammed leider kein geborener Krieger. Heute ist er wieder Musiklehrer. Ob er sich schmieren lässt, um seinen Schülern etwas beizubringen, weiss ich nicht. Den Niedergang der Volkswirtschaft bekam meine Cousine Heba am eigenen Leib zu spüren. Als sie ihr Agronomiestudium aufnahm, garantierte der Staat noch jedem Abgänger eine Stelle. Als sie abschloss, konnte auch die Regierung die explodierende Nachfrage nach Arbeit nicht mehr befriedigen. Heba bekam ein Stück Land geschenkt, auf dem sie seither mit ihrer Familie Trauben und Gemüse anbaut. Wer in Ägypten Geschäfte machen will, der kommt an der Regierung und der Armee nicht vorbei. «Ich habe 60 Jahre im Dienste des Landes gestanden», erklärte am Fernsehen ein beleidigter Mubarak, der sich an der Macht festklammerte. Es war umgekehrt. Das Land stand im Dienste Mubaraks. SURPRISE 245/11
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BILD: RUBEN HOLLINGER
Strassensport «Sport verbindet, das ist wirklich so» Am 2. April gehts wieder los: Die Surprise Strassensport Liga startet in die neue Saison, deren Höhepunkt die WM in Paris im Herbst bilden wird. Markus Thaler nahm letztes Jahr mit der Schweizer Nationalmannschaft an der Streetsoccer-WM in Rio de Janeiro teil. Bei der Vorbereitung nahm er über 20 Kilo ab. Der Lohn dafür waren Gänsehaut und Erinnerungen an ein einmaliges Erlebnis. INTERVIEW: RETO ASCHWANDEN
Markus Thaler, wie sind Sie zum Strassensport gekommen? Ich habe schon als Kind Fussball gespielt, war bei den Junioren und habe auch später immer Sport getrieben. Zum Strassensport brachte mich mein Verkäuferkollege Ruedi Kälin. Er spielt bei den Surprise Lions in Zürich und fragte mich, ob ich mitmachen wolle. Bald konnte ich mit dem Team an den Turnieren der Surprise Strassensport Liga teilnehmen. Und wie schafften Sie es in die Nationalmannschaft? Das war lustig. Ich spielte mit meinem Team in der tieferen Stärkeklasse, weil viele von uns nicht regelmässig trainieren konnten. Bei einem Match half der Nati-Trainer David Möller bei den Gegnern aus. Wir spielten ein Unentschieden und ich erzielte dabei zwei Tore. Das hat offenbar Eindruck gemacht. Und so bekamen Sie ein Aufgebot. Ja. Ich begann dann ein intensives Training. Für mich allein: Rennen,
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Ausdauer und Kraft im Fitnessraum. Ich nahm über 20 Kilo ab. Ich bin mittlerweile über 40, da muss man mehr machen als ein Junger. Wie muss man sich die Nati-Trainings vorstellen? Erst einmal mussten wir uns kennen lernen – menschlich und auch als Spieler. Bei nur drei Feldspielern sind Zusammenspiel und Raumaufteilung zentral. Du bewegst dich immer als Dreieck und dafür musst du deine Mitspieler und ihre Laufwege kennen. Die Streetsoccer-WM war letztes Jahr in Rio de Janeiro. Wie haben Sie das Turnier erlebt? Am eindrücklichsten fand ich die Eröffnungsfeier: So viele Nationen, jede mit ihrer Flagge. Ich hatte Gänsehaut, als wir mit unserer Fahne den Strand entlangliefen. Waren Sie stolz? Ja. Es ist etwas Besonderes, fürs eigene Land zu spielen. Da ging es mir wahrscheinlich nicht anders als den Profis bei einem Länderspiel. SURPRISE 245/11
Gab es viel Kontakt zu anderen Teams? Mit den Kanadiern hatten wir es lustig, auch mit manchen Mannschaften aus Afrika. Fasziniert war ich auch von den unterschiedlichen Temperamenten. Die Afrikaner haben vor den Spielen getanzt und gesungen – mit vollem Einsatz: Die waren schon beim Anpfiff verschwitzt. Sport verbindet, das ist wirklich so. Dabei können verschiedene Kulturen zusammenkommen, in Frieden und Freundschaft.
Wie waren die Resultate? Unterschiedlich. Es gab einige knappe Niederlagen, die nicht hätten sein müssen. Aber auch den einen oder anderen klaren Sieg. Und Ihre persönliche Bilanz? Ich habe etwa das rausgeholt, was drin lag. Defensiv hat es gut geklappt. Nach vorne hätte ich vielleicht noch etwas mutiger spielen und häufiger aufs Tor schiessen dürfen. Aber ich bin eher ein Spieler, der strategisch denkt, die Löcher sieht und die Mitspieler von hinten heraus lanciert.
Dieses Jahr wird bei der WM in Paris ein anderes Team die Schweiz vertreten, denn jeder Spieler darf nur einmal teilnehmen. Eine gute Regelung? Persönlich finde ich es einerseits schade. Wenn man nicht jedes Jahr ein neues Team formen müsste, könnte man die Mannschaft weiterbringen, weiter zusammenwachsen lassen. Es nähme mich wunder, wie wir bei einer zweiten WM-Teilnahme abschneiden würden. Auf der anderen Seite ist es gut, dass jedes Jahr andere Spieler die Chance zur WM-Teilnahme erhalten. Es ist ein unvergessliches Erlebnis.
Wie war die Stimmung im Team? Gut. Ich sage immer: Wichtig ist nicht nur, das Team mit guten Fussballern zu besetzen. Wichtig ist auch, dass das Mentale stimmt. Damit man sich zusammenreisst und gegenseitig aufbaut, wenn es mal nicht läuft. Das hat funktioniert? Nicht immer. Das Mentale ist für mich der Punkt, weshalb wir nicht noch weitergekommen sind. Denn vom Potenzial her wäre wohl mehr drin gelegen. Gegen Ende der Turniers haben wir uns aber ein wenig aufgegeben, wenn wir in einem Spiel zurücklagen. Allerdings waren bei den letzten Spielen auch einige erkältet wegen der Klimaanlage in der Unterkunft.
BILD: ZVG
Mit Surprise Zürich nehmen Sie aber an der Strassensport-Saison teil? Klar. Ich bin schon voll in der Vorbereitung. Drei Mal die Woche gehe ich rennen und zwischendurch ins Fitnesscenter. ■
Anmelden und mitmachen Benefiz-Streetsoccer-Turnier Surprise Strassensport organisiert am 2. April erstmals ein BenefizTurnier. Entdecken Sie die attraktive, schnelle und torreiche Fussballvariante und unterstützen Sie gleichzeitig das auf Sport basierende Reintegrationsprojekt von Surprise. Infos zum Turnier – Samstag, 2. April 2011, von 17.45 bis 23 Uhr in der Sporthalle des Gymnasiums Bäumlihof, Basel (Adresse: Zu den drei Linden 80; Parkplätze vorhanden, Buslinie 34: Haltestelle Drei Linden). – Crash-Kurs Streetsoccer-Spielregeln und Warm-up von 17.45 bis 18.30 Uhr, Turnieranpfiff um 19 Uhr. – Zwei Kategorien: Plauschliga und Super League. Damen sind willkommen. – Ein Team besteht aus mindestens vier Spielern (drei Feldspieler plus Goalie) und maximal acht Spielern pro Team. – Anmeldeformular, Spielregeln und Fragen: Lavina Biert, l.biert@strassenmagazin.ch. Beitrag 1. Engagiert mit kleinem Portemonnaie 2. Engagiert mit grossem Koffer 3. Engagiert mit Goldgrube
ab CHF 200 pro Team ab CHF 300 pro Team ab CHF 500 pro Team
Anmeldeschluss: 25. März 2011 Benötigtes Material: – saubere Hallenschuhe mit hellen Sohlen – eigene Team-Trikots (oder T-Shirts) – Knieschoner für Goalies empfohlen – Verpflegung vor Ort ist gesichert
Markus Thaler in Rio: «Die WM-Teilnahme ist ein unvergessliches Erlebnis.» SURPRISE 245/11
Das Turnier-Wochenende im Überblick Sa, 2. April: Schiedsrichterkurs mit Nicole Petignat und Benefizturnier. So, 3. April: Auftakt- und Sichtungsturnier der Surprise Strassensport Liga.
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BILD: ANDREA GANZ
Le mot noir Perfekt inperfekt Kürzlich auf dem Land. «Was machen wir hier?», tippelt mein Kumpel Patrick in teuren Schuhen durch eine Pfütze. «Wir sehen uns das Bauernhaus an», informiere ich ihn. «Dieses Ding? Ist nicht dein Ernst!» «Warum denn nicht?», bin ich beleidigt. «Dann lass den Hund lieber im Auto. Der tut sich hier weh!» Wenig später stehen wir in einer Holzhütte vor dem Haus. «Und das ist … der Geräteschuppen?» «Das Bienenhaus.» «Bienen?», hebt Patrick interessiert die Braue. «Sind längst ausgeflogen», grinse ich. «Kann man ihnen nicht verübeln», knurrt Patrick. «Willst du den Geräteschuppen sehn?» «Ich kann es kaum erwarten», trottet Patrick hinter mir her und sieht kopfschüttelnd zu, wie ich mit dem Rücken eine Holztür aufstemme. «Was hat dir an der süssen Wohnung in der Stadt nicht gefallen? Die war doch perfekt!» «Ja, die war
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wirklich super», pflichte ich ihm bei und gehe die Reihe rostiger Sicheln durch. «Du tust dir weh, lass die liegen», klopft mir Patrick auf die Finger. «Und was ist das da? Meine Scheisse! Eine – Guillotine?» «Keine Ahnung», schüttle ich den Kopf. «Eine grosse Säge vielleicht? Irgendwie muss man ja das Holz teilen», überlege ich. «Häschen, ich spendier dir Frühstück! Dein Vitaminsaft, aber wir fahren!» «Willst du das Haus gar nicht sehn?» «Nein, ich will das Haus nicht sehn!» «Es gibt auch eine Küche!» «Das hier ist kein Haus.» «Gut, dann sagen wir, es war mal eins», stimme ich ihm zu. «Diese Decke ist viel zu tief!», knurrt Patrick weiter. «Geh in die Knie, wir sind gleich da», ziehe ich ihn am Ärmel durch den Flur in die Küche. «Keine Espressomaschine! Kein Steamer! Und wo ist der Wok? Seh ich auch nicht!» «Das ist der Herd. Hier legst du die Scheite rein, zündest sie an und wartest, bis es heiss wird», instruiere ich ihn. «Das Ofenrohr wärmt die Bank da und das ist dann die Heizung.» Patrick stützt sich tief atmend auf den Herd. «Und dieses Dings da, was ist das?» «Da muss ein Spülbecken rein.» «Ich brauche jetzt einen Kaffee», wird Patrick sauer. «Es gefällt dir nicht?», bin ich enttäuscht. «Du könntest mich ruhig ein bisschen unterstützen!» «Häschen, das tue ich. Seit Monaten ziehe ich mit dir durch jedes Loch. Melde dich vorsichtshalber beim Campingplatz an und dann, endlich,
finden wir eine Wohnung, die genau zu dir passt! Und was machst du? Du schleppst mich in diese – Bude! Ohne Landkarte!» «Nichts ist perfekt», gehe ich in die Defensive. «Im Keller liegen rostige Flinten!», wird Patrick jetzt laut. «Da muss es doch bei dir klingeln! Ich meine, wahrscheinlich braucht man so was hier auch! Die Tannen da fallen fast auf das Haus! Den Hund müssen wir im Auto lassen, weil er sonst abhaut, weil da auch kein einziger Zaun ist! Was wiederum heisst, dass du Kilometer lang Pflöcke einschlagen wirst!» «Ich finde, du bist ein bisschen streng», seufze ich. «Zieh in die perfekte Wohnung! Ich trag dir auch deine Handtasche! Okay?!» «Okay», sinke ich auf die bröckelige Treppe. «Ich versuchs anders: Vielleicht falle ich hier auf die Schnauze. Vielleicht ist das hier zu anstrengend, aber wenn ich es nicht versuche, werde ich das nie wissen!» Patrick sieht mich schweigend an. «Manchmal», kontere ich mit Bambiblick, «ist perfekt einfach das Falsche!»
DELIA LENOIR LENOIR@HAPPYSHRIMP.CH ILLUSTRATION: IRENE MEIER (IRENEMEI@GMX.CH) SURPRISE 245/11
Singen Männer gegen Vorurteile Der Schwule Männerchor Zürich, schmaz, feiert seinen 20. Geburtstag. Dirigent Karl Scheuber ist von Anfang an mit dabei.
Jetzt, wo «der Karren läuft», sei die beste Zeit, um einen Abgang zu machen. Karl Scheuber ist Gründer und Dirigent des Schwulen Männerchors Zürich, kurz: schmaz, und gibt nach 20 Jahren die Leitung ab. «Es ist ein schönes Gefühl, einen Klangkörper nach so vielen Jahren mit gutem Gewissen weitergeben zu können», sagt der 68-Jährige. Ein Nachfolger ist bereits bestimmt. Und trotzdem: «Es wird komisch sein, am Montagabend für einmal ins Kino statt in die Chorprobe zu gehen.» Der Chor hat Auftritte im Opernhaus und in der Tonhalle absolviert, reist regelmässig an internationale schwullesbische Chorfestivals nach London oder Paris; die Jubiläumskonzert-Reihe «schmaz jubiliert» – eine Art Best-of-Programm der letzten Jahre – ist ein Grosserfolg. Das Repertoire reicht von von Schubert über Schweizer Volkslieder und Balladen bis zu amerikanischen Ohrwürmern und Zeitgenössischem. schmaz hat ein breites und treues Publikum gefunden. «Das war nicht immer so», erinnert sich Scheuber: «Als Schwule mussten wir uns doppelt beweisen. Wir wollten nicht einfach ein weiteres ‹Männerchörli› sein, sondern ein Chor mit qualitativ hohen Ansprüchen.» Anfang der 90er-Jahre sei eigentlich der ideale Zeitpunkt für die Gründung eines Schwulen Männerchors gewesen: «Vieles war im Umbruch: Der Fall der Berliner Mauer, die erste Abstimmung für eine Schweiz ohne Armee, die Wahl Josef Estermanns zum Zürcher Stadtpräsidenten, und zum ersten Mal wurde ernsthaft über eingetragene Partnerschaften diskutiert.» Trotzdem mussten die Chorproben anfangs noch «halb im Versteckten» stattfinden: Der Abwart des Schulhauses, in dem die ersten Proben stattfanden, schrieb sie als MCZ (Männer Chor Zürich) ein. schmaz musste sich noch gedulden. «Heute sind die Zeiten liberaler geworden. Zürich ist sowieso ein schwulenfreundliches Pflaster. In der Agglomeration sieht es zum Teil aber immer noch anders aus.» Ob Auftritte in Amriswil oder Walzenhausen: Aufgebrachte Leserbriefe als Reaktion auf Konzerte seien keine Seltenheit. Oft sind religiöse Ansichten Grund für schwulenfeindliche Reaktionen: Von einem geplanten Konzert 1994 in der Klosterkirche Einsiedeln wurde schmaz kurzerhand wieder ausgeladen, da der Chor in der Ankündigung auf das «schwul» im Namen beharrte. «Die Kirche muss offener werden», so Scheuber. Der jetzige Abt, Martin Werlen, habe sich dann auch bei ihnen für den damaligen Eklat entschuldigt. Ähnlich erging es schmaz drei Jahre zuvor auch am Eidgenössischen Gesangsfest Luzern. Auch dort sollte der Chor nur unter reduziertem Namen auftreten. Scheubers Männer schlugen den Veranstaltern jedoch ein Schnippchen, in dem alle T-Shirts mit dem Aufdruck «Schwuler Männerchor Zürich» trugen. «Es gab ja keine Kleiderregelung. Andere traten in Trachten auf, wir in unseren schmaz-T-Shirts.» «Die Provokation haben wir nie gesucht», so der Dirigent, «wir wollen niemanden abschrecken, sondern auf schwule Anliegen aufmerksam machen. Subtil oder auch ironisch. In dem wir zum Beispiel in unseren Inszenierungen auch mal Schwulen-Klischees verbraten.» SURPRISE 245/11
BILD: THOMAS ALDER
VON SARAH STÄHLI
Sorgten auch schon für Aufregung: Die Sänger vom schmaz.
Überhaupt sei es nie das Ziel gewesen, dass der Chor nur «im Kuchen», innerhalb der Schwulenszene, bestehe. «Wir haben immer ein gemischtes Publikum angestrebt.» Für einige sei der Eintritt in den Chor, der mittlerweile rund 40 Mitglieder zählt, sicher auch ein Art Coming-out-Ersatz gewesen. «Wenn du sagst, du singst im schmaz, ist der Fall klar.» Und wie in jedem Chor sind auch im schmaz schon Liebschaften entstanden. Manchmal leidet darunter sogar die Probe: «Wenn ein gutaussehender Neuer dazukommt, haften alle Blicke auf ihm. Ich muss dann wieder um Konzentration bitten», lacht Scheuber. Das Geheimnis eines gut funktionierenden Chors? «Nach einem mühseligen Arbeitstag kann die abendliche Chorprobe richtiggehend beflügeln», schwärmt Scheuber, der neben dem schmaz unter anderem auch noch einen Altersheimchor und den Psychor – ein Chor für Psychoanalytiker und Psychotherapeuten – leitet. Die Schwingungen, der Chorklang, das sei schon etwas sehr Spezielles. Doch das Schönste am gemeinsamen Singen sei die Solidarität: «Es gibt stärkere und schwächere Stimmen, aber niemand wird ausgegrenzt, alle werden von den anderen Sängern mitgetragen.» ■ Jubiläumskonzerte 2011 – «schmaz jubiliert»: Sa, 5. März, 20.30 Uhr, St. Moritz, Laudinella/Konzertsaal; Mi, 9. März & Do, 10. März, 20 Uhr, Theater Rigiblick, Zürich. www.schmaz.ch
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BILD: ZVG
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Kulturtipps
Dora blickt gleichzeitig in die Abgründe der Vergangenheit und in die Verheis-
Weder altersmilde noch lebenslustig: der Grossvater.
sungen der Zukunft.
Buch Niemandes jemand In ihrem Debütroman erzählt Sylvie Neeman Romascano von einer Reise zurück in die Kindheit – und von der Liebe zweier zögerlicher Menschen.
Kino Ein Tyrann tritt ab Filme wie «Die Herbstzeitlosen» (2006) oder «Young@heart» (2008) handelten von lebenslustigen Senioren. Die unschönen Seiten des Alterns wie Gebrechlichkeit und Starrsinn wurden darin ausgeblendet. «La dernière fugue», der neue Film von Léa Pool, markiert hier eine Trendwende.
VON CHRISTOPHER ZIMMER VON THOMAS OEHLER
«Weder Tochter noch Mutter noch Frau», so beschreibt sich die junge Dora. Ohne Halt ist sie, alles an ihr Frage, Entscheidung, Zerrissenheit. Hochsensibel lauscht sie auf die Welt, «wie ein Blinder ihr lauschen würde». Als ein Anruf sie mitten in der Nacht erreicht, ahnt sie, dass es wichtig ist. Nun ist sie auf einer Zugreise, den Stätten einer schmerzlichen Kindheit entgegen, dorthin, wo der Vater im Sterben liegt. Irgendwo hinter Rom und Neapel, «wo die Zeit nicht mehr dieselbe Bedeutung» hat. Das entschuldigt auch jede Verzögerung, die sie fürchtet und zugleich herbeisehnt. Zu viel Unbewältigtes wartet am Ziel der Reise auf sie. So scheint es wie selbstverständlich, dass sie mit Francesco, den sie im Speisewagen kennen lernt, unterwegs aussteigt und mit ihm eine Nacht verbringt. Dass sie dann zu spät im Haus des Vaters ankommt, dieser schon begraben und die Verwandtschaft abgereist ist, erleichtert sie eher. So bleibt ihr viel erspart. Vor allem der Hass des Bruders auf den Vater, der den Selbstmord der Mutter nicht verhindert hat. Doch der Erinnerung kann sie nicht entgehen. Auf der Rückfahrt ist sie sich bewusst, wie symbolträchtig das Gewicht der nun mit Fotoalben gefüllten Reisetasche ist. Und das Kinderarmband mit den goldenen Glücksbringern ruft den Augenblick wieder wach, in dem der hilflose Vater den Verlust der Mutter mit einem «Es ist nichts!» aus der Welt zu reden versucht hat. Seitdem leidet sie unter diesem Nichts, daran, dass alles weitergeht, dass man nichts tun, nichts verhindern kann. Wie soll man darauf ein Leben aufbauen, eine Beziehung eingehen? Sylvie Neeman Romascano (Jg. 1963) erzählt in ihrem Roman vielerlei Geschichten: Die einer Familie, einer Reise, von der Gleichzeitigkeit der Geschehnisse – und eine Liebesgeschichte, deren Fort- und Ausgang im Ungewissen bleibt, weil die beiden Menschen, die einander begegnen, vor dem entscheidenden Schritt zurückscheuen. So verharren sie im Zustand des Vorläufigen und Nichtendgültigen, wie bei einer Zugreise, die, zumindest solange sie dauert, von aller Verantwortung entbindet.
Die Familie versammelt sich zum typischen Weihnachtsfest: Die Kinder spielen, die Eltern – mitten im Berufs- und Beziehungsleben stehend – kreisen hauptsächlich um sich selbst, Grossmama serviert wie stets den Cranberry-Pudding. Nur das Familienoberhaupt fällt aus der Rolle: Grossvater sabbert, spuckt und zittert, kann kaum die Gabel zum Mund führen. Er hat Parkinson. Er wird zunehmend zum Pflegefall, dessen Ernährung streng kontrolliert werden muss. Mit erhitzten Gemütern diskutiert seine Entourage, wie mit dem alten Patriarchen nun zu verfahren sei. Ins Heim oder nicht? Nur Enkel Sam findet: «Ist das ein Leben? Lasst ihn doch sterben!» Was in «La dernière fugue» zur Debatte steht, ist die Frage nach der Mündigkeit der Alten, wenn sie aus Pflegebedürftigkeit zu Kindern der eigenen Kinder mutieren. Und es geht um die Würde angesichts des körperlichen Zerfalls: Wie lange ist das Leben noch lebenswert und wann ist es vielleicht besser, «zu gehen»? Und wer darf das bestimmen? Vor allem, wenn es wie hier, Bilanz zu ziehen gilt, war doch der Grossvater einst ein tyrannischer, vom Leben enttäuschter Vater und Ehemann. Anklage muss also noch erhoben werden, es braucht ein Schuldeingeständnis und Verzeihung. Es sind grosse zwischenmenschliche Themen, denen sich der Film annimmt. Und es wird nicht mit grossen Gefühlen gespart. Tränen fliessen und Zuneigungskundgebungen werden gemacht. Wäre es Hollywood, wäre es Kitsch. Aber hier haben wir es mit Léa Pool («Emporte-moi», «Maman est chez le coiffeur») zu tun, also mit einer Regisseurin, die es versteht, Nuancen zuzulassen – dank sensiblen und manchmal auch humorvollen Dialogen. Die uns das Altern schmerzlich nachvollziehen lässt mit Hilfe überzeugender Schauspieler und einer Kamera, die grausam auf der Hilflosigkeit der Gesichter verharrt. Und die letztendlich offenlässt, ob der Grossvater beim Sterben den Egoisten hinter sich lässt. Oder nicht.
Sylvie Neeman Romascano: «Nichts ist geschehen». Rotpunktverlag 2010, CHF 30.–.
«La dernière fugue», 91 Min., Französisch mit deutschen Untertiteln. Der Film läuft zurzeit in den Deutschschweizer Kinos.
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BILD: GERI BORN
Brigitta Schrepfers «Eigenbrötler» lassen Konventionen ins Wanken geraten.
Tanz Daneben benehmen Die 15. Produktion der Compagnie Somafon ist ein Plädoyer für die menschliche Artenvielfalt. Brigitta Schrepfers «Eigenbrötler» schieben einen Cafétisch herum und rütteln an fest genagelten Konventionen. VON DIANA FREI
Die Servierdüse scheint etwas widerspenstig zu sein. Anstatt ein Mineralwasser mit Kohlensäure zu bringen, zählt sie lieber die Punkte auf der Tischdecke, und vom Wackelpudding zeigt sie sich dermassen fasziniert, dass sie nicht davon ablässt, daran herumzuwackeln. Das Betragen, muss man sagen, ist nicht ganz «comme il faut». Nicht nur der Pudding, sondern ein ganzes Gerüst an Konventionen und Erwartungen gerät hier ins Wanken. Brigitta Schrepfer denkt mir ihrem neuen Stück «Eigenbrötler» über Leute nach, die ein ganzes Leben lang gegen den Strom schwimmen und damit gerne auch ihre Zeitgenossen irritieren. Ausgegangen ist sie vom Luzerner Stadtoriginal Emil Manser, einem gesellschaftlichen Grenzgänger, der 2004 verstorben ist. Zusammen mit ihrer Tanzpartnerin Christiane Loch lässt sie ihre Figuren aus der Reihe tanzen, ohne je einen moralischen Unterton anzuschlagen. Vielmehr ironisiert das Duo in einer eigenwilligen Mischung aus Tanz, Pantomime und gesprochenen Textfetzen einen Alltag, in dem die Regeln relativ eng gefasst sind. Im Café muss nur wenig schieflaufen, damit gleich alles verrückt scheint. Gleichzeitig bietet der Schauplatz eine Bühne für alle Register normierten Verhaltens: Hier wird stereotyp geflirtet und gescherzt, das Lächeln friert ab und zu ein, und mit vielsagenden Blicken beobachtet man die anderen. Immer wieder schiebt sich aber eine getanzte Alternativrealität ein. Der Körper verselbstständigt sich, und die Figuren des Stücks scheinen sich selber darüber zu wundern, dass er sich plötzlich so daneben benimmt. Diese surrealen Tanzsequenzen werden zur Möglichkeitsform der Wirklichkeit: Hier wird ausgereizt, was im Alltag unter dem Deckel gehalten wird – da darf auch mal gegrunzt werden. Und die Frage drängt sich auf, ob man sich zum Anderssein entscheiden kann, oder ob es einfach mit einem geschieht. Die Musik von Markus Schönholzer («Die Schweizermacher – Das Musical») deckt von jazzigen Klängen bis zur lüpfigen Marschmusik ein breites Spektrum ab und strukturiert den getanzten Bilderbogen treffsicher. Urs Wehrli von «Ursus & Nadeschkin» begleitet die Produktion dramaturgisch, und eine gewisse Verwandtschaft mit dem Humor und der Beobachtungsgabe des bekannten Kabarettduos ist durchaus spürbar.
Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
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AnyWeb AG, Zürich
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Niederer, Kraft und Frey, Zürich
03
Gemeinnütziger Frauenverein Nidau
04
Knackeboul Entertainment, Bern
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Locher Schwittay Gebäudetechnik GmbH, Basel
06
Kaiser Software GmbH, Bern
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Responsability Social Investments AG, Zürich
08
Lions Club Zürich-Seefeld
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TYDAC AG, Bern
10
bewegstatt.ch, Janine Holenstein, Frauenfeld
11
VXL gestaltung und werbung ag, Binningen
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Scherrer & Partner GmbH, Basel
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D. Heer Geigenbau, Winterthur
14
KIBAG Kies und Beton
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Weblotion Webagentur, Zürich
16
OEKOLADEN Theaterpassage, Basel
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commilfo Isabelle Wanner, Baden
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atelier111.ch, Basel
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Zürcher Kantonalbank, Zürich
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Philip Maloney, Privatdetektiv
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Brother (Schweiz) AG, Baden
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Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf
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IBZ Industrie AG, Adliswil
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Alfacel AG, Cham
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Thommen ASIC-Design, Zürich
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
«Eigenbrötler», Dauer ca. 60 Min.; Premiere: Do, 10. März 2011, Vorstadttheater Frauenfeld; Zürcher Premiere: Mi, 16. März 2011, Bühne S. Weitere Vorstellungen, siehe: www.somafon.com SURPRISE 245/11
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Ausgehtipps
Ob die beiden Jäger heute noch zum Schuss kommen?
Zu einem Jugendkultur-Festival gehört auch ein Nachwuchsband-Wettbewerb.
Zürich Im Zeichen der Jugend Kunst ist nicht nur für Erwachsene da – auch Kinder und Jugendliche sollen in den Genuss von Film, Kunst, Literatur, Musik, Tanz und Theater kommen, die ihrem Geschmack entsprechen. Fündig werden sie vielleicht am Blickfelder-Festival. Was früher ein reines TheaterFestival war, ist zu einem umfassenden Kunst-Festival für ein junges Publikum geworden. Die Organisatoren haben ein Programm auf die Beine gestellt, das für alle Altersklassen verlockend klingt: Von renommierten einheimischen Künstlern wie Franz Hohler oder Linard Bardill über ausländische Künstler bis zur Nachwuchsband tanzen, spielen, lesen oder singen während 14 Tagen Kulturschaffende an zwölf verschiedenen Orten in Zürich. (juk)
Auf Tournee Mensch im Visier Ein friedlicher Herbstnachmittag, liebliche Landschaft: Feld, Wald, Wiesen. Kletterer versuchen sich am nahe gelegenen Felsen, im Wald warten die Wildschweine auf die Abenddämmerung – und auf dem Hochsitz am Rand der Lichtung: die Jäger Frank und Bänz. Sie üben sich in Geduld, eine Sau ist nicht in Sicht. Dafür Menschen. Bei ihrem Anblick kommen den Jägern makabere Gedanken, und mit dem Zwielicht der Dämmerung nimmt die schwarze Phantasie der beiden mehr und mehr Gestalt an. «Weidmannsheil» heisst das preisgekrönte Theaterstück der deutschen Autorin Susanne Hinkelbein, gespielt wird es vom Schweizer Künstler-Duo Strohmann-Kauz: Die rabenschwarze Komödie nimmt gesellschaftliche Tendenzen aufs Korn und die dunklen Seiten ins Visier. (mek) «Weidmannsheil» von Strohmann-Kauz. Fr, 4. März, 19 Uhr, Kulturfabrikbigla, Biglen/BE; Fr, 11. März, 20.15 Uhr, Kulturm, Solothurn; Sa, 12. März, 20 Uhr, Schälismühle, Oberbuchsiten/SO. Weitere Daten: www.strohmann-kauz.ch
Blickfelder – Künste für ein junges Publikum, von Mo, 14. bis So, 27. März in verschiedenen Zürcher Kulturlokalen. Details: www.blickfelder.ch
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— www.theater-basel.ch, Tel. +41/(0)61-295 11 33 — 26
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Eine gute Kleidertauscherin fängt früh an!
Bern Tauschen statt kaufen Nebst dem gemeinsamen Toilettengang ist das Kleidertauschen ein Frauending, das gerne klischiert und belächelt wird. Aber es stimmt, wir schauen gerne, was unser weibliches Umfeld so trägt, und wenns uns dann auch noch gefällt, möchten wirs auch haben. Also bedienen wir doch für einmal das Klischee und stürzen uns ins fröhliche KlamottenTauschen: Mit Altbekanntem hin, mit Neuergattertem weg. Und dann gleich den Freundinnen präsentieren. (juk) Amie – die Frauenkleidertauschbörse, Sa, 12. März, 14 bis 16 Uhr, Frauenraum,
Cowboys from Hell: Alexander Hacke und Danielle De Picciotto.
Auf Tour Surrealistische Revue
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Als das Showbusiness noch unschuldig war, gab es die schöne Einrichtung der Revue: Eine Art bunter Abend mit Auftritten verschiedener Künstler. Diese Tradition greift die «Burn Baby Burn Tour» auf. Die Beteiligten entstammen dem Untergrund, geniessen bei ihrem Publikum aber Legendenstatus. Unvergessen etwa Julee Cruise, die in David Lynchs Serie «Twin Peaks» traumhafte Melodien aus dem Albtraumland sang. Ebenfalls mit dabei: Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten, der mit seiner Partnerin Danielle De Picciotto auf dem neuen Album «Hitman’s Heel» Balladen und Italo-Western-Sounds mit surrealistischen Visuals verbindet. Dazu kommen der Blues-MC Khan sowie Kid Congo Powers, der als Gitarrist der Cramps und dem Gun Club ein Stilspektrum von Punk bis Country entwickelte. Neben Einzelauftritten wird die Burn-Baby-Burn-Crew einige Nummern gemeinsam aufführen. Eben: Eine Revue, und zwar eine ganz besondere. (ash) Sa, 12. März, 21 Uhr, Dampfzentrale, Bern; So, 13. März, 20.30 Uhr, Stall 6, Zürich; So, 20. März, 19.30 Uhr, Kaserne, Basel.
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Verkäuferporträt «Raus aus dem Zeug» BILD: FREDI MAURER
Aschi Aebersold (53) ist in seinem Leben schon ein paar Mal ‹z’Loch ab gheit› und jedes Mal wieder aufgestanden. Geholfen haben ihm dabei Gott und Surprise. Heute dreht der einstige Verdingbub seine Runden in Burgdorf. AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN
«Ich verkaufe Surprise jetzt das sechste Jahr in Burgdorf. Normalerweise arbeite ich am Vormittag ein paar Stunden und von vier bis sieben Uhr noch einmal. Wenn ein Schnellzug kommt, stehe ich am Bahnhof Burgdorf. Da kommen die meisten Leute. Danach gehe ich zu Fuss zur Post, von dort zum Coop, manchmal zur Migros. Für den nächsten Schnellzug kehre ich zum Bahnhof zurück. Am Samstag beliefere ich ein paar Stände auf dem Markt und einen Kleiderladen. Auch in ein paar Restaurants und in eine Metzgerei bringe ich das Heft persönlich. Aufgewachsen bin ich in Bern und im Jura. Mein Vater ist sehr früh gestorben, und wir waren fünf Kinder zu Hause. Deshalb kam ich als Zehnjähriger zu einer Bauernfamilie in Tramelan, im Berner Jura. Vor der Schule, um halb sechs, gings jeweils in den Stall, wo wir die Kühe von Hand molken. Zuerst war ich alleine dort, dann kam ein Bruder von mir nach. Wenn wir schulfrei oder Ferien hatten, arbeiteten wir immer auf dem Hof. Für mich war es kein Müssen, denn ich kannte nichts anderes. Zudem war ich sehr gerne bei den Tieren. Heim durften wir selten, etwa zu Weihnachten. Obwohl ich oft ‹Längizyti› hatte, war es auszuhalten. Es waren sehr nette Leute. Nach dem zehnten Schuljahr bin ich nach Bern zurückgekommen und habe bei der SBB eine Lehre als Betriebsarbeiter gemacht. Rangieren, Wagenreinigung, Gepäck sortieren – das waren so die Aufgaben. Das Verrückte ist nur, dass man das nach der Ausbildung nicht brauchen kann, ausser man arbeitet weiter bei der Bahn. Weil wir ständig zu wenig zu tun hatten, ist es mir verleidet. Ich kündigte und fing an, temporär auf dem Bau und in der Reinigung zu arbeiten. Schliesslich war ich über zehn Jahre lang Hilfskoch im Restaurant Beaulieu im Berner Länggassquartier. Ich hatte einen guten Küchenchef und war am Nachmittag immer alleine für die Küche verantwortlich. Nur mit den Patrons auszukommen, war etwas schwierig. So war ich, als ich eines Tages wegen angeblichen Personalabbaus die Kündigung erhielt, gar nicht so traurig, von dort wegzugehen. Danach arbeitete ich wieder temporär, unter anderem als Dachdeckergehilfe – bis der Chef die Leiter falsch angestellt hatte und ich ‹z’Loch ab gheit› bin. Die Verletzungen waren nicht so schlimm, aber ich hatte von da an einfach Angst vor der Arbeit auf dem Dach. Gefallen bin ich danach trotzdem wieder – und zwar im Leben, und das tief. Meine damalige Freundin schmiss mich aus der Wohnung, ich fand keine Arbeit mehr, begann zu trinken, Drogen auszuprobieren, trieb mich immer mehr am Bahnhof herum. Als ich schon ziemlich im Sumpf stand, kam einmal einer vorbei, der fragte, ob ich nicht das Strassenmagazin Surprise verkaufen wolle. Das war Fredi, der Berner Vertriebsleiter von Surprise. Über ein halbes Jahr kam er immer wieder, um mich zu überzeugen, dass das etwas für mich wäre.
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In dieser Zeit habe ich meine Frau Beni kennengelernt. Sie war ähnlich unterwegs wie ich. Gemeinsam wollten wir wegkommen von dem Ganzen und zusammen etwas aufbauen. Eines Tages sagte ich zu mir: Jetzt ist fertig, Aschi, raus aus dem Zeug, sonst ist es zu spät. Ich ging ins Surprise-Büro und meldete mich für den Heftverkauf. Weil Beni und ich zuvor beschlossen hatten, aus Bern weg und nach Burgdorf zu ziehen, fragte ich, ob ich dort verkaufen könnte. Und das klappte. Mittlerweile kenne ich sehr viele freundliche Leute in Burgdorf und habe eine grosse Stammkundschaft. Auch die Leiterin des Kirchenchors kauft das Heft regelmässig. Deswegen bekam ich die Gelegenheit, Surprise beim vergangenen Weihnachtssingen vorzustellen. Ich selber gehe nicht oft in die Kirche, schaue aber am Sonntagmorgen jeweils «Hour of Power», den Fernsehgottesdienst aus den USA. Zudem lese ich regelmässig in der Bibel. Nach dem, was ich alles erlebt habe, glaube ich nämlich, dass ‹Er› mir schon oft geholfen hat.» ■ SURPRISE 245/11
Eine Chance für alle! Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten als andere. Menschen, die sich aber wieder aufgerappelt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wieder einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassenverkäuferinnen und –verkäufer helfen sich
Peter Gamma Basel
selber. Das verdient Respekt und Unterstützung. Regelmässige Verkaufende werden von Surprise gezielt unterstützt. Die Teilnehmer am Programm SurPlus sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit). Mit der Programmteilnahme übernehmen die Surprise-Verkaufenden mehr Verantwortung; eine wesentliche Voraussetzung dafür, wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarkt zu werden.
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René Senn, Zürich Wolfgang Kreibich, Basel Marika Jonuzi, Basel Anja Uehlinger, Baden
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Ausserdem im Förderprogramm SurPlus: Bob Ekoevi Koulekpato, Basel Peter Hässig, Basel Marlies Dietiker, Olten Jela Veraguth, Zürich
Ja, ich werde Götti/Gotte von: 1 Jahr: 6000 Franken
1/2 Jahr: 3000 Franken
1/4 Jahr: 1500 Franken
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245/11 Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 245/11
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.
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Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.
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Herausgeber Strassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel www.strassenmagazin.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@strassenmagazin.ch Geschäftsführung Paola Gallo, Agnes Weidkuhn (Assistenz GF) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@strassenmagazin.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Reto Aschwanden (verantwortlich), Julia Konstantinidis, Mena Kost, redaktion@strassenmagazin.ch Freie Mitarbeit Amir Ali, Diana Frei, Michael Gasser, Lucian Hunziker, Delia Lenoir, Irene Meier, Katrin Meier, Isabel Mosimann, Thomas Oehler, Angel Sanchez, Isabella Seemann, Sarah Stähli, Priska Wenger, Christopher Zimmer Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 29 400, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 61 Theres Burgdorfer, t.burgdorfer@strassenmagazin.ch
Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden von der Strassenmagazin Surprise GmbH geführt, die vom gemeinnützigen Verein Strassenmagazin Surprise kontrolliert wird. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.
Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83, M +41 79 428 97 27 Markus Hurschler, Zoë Kamermans, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@strassenmagazin.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, zuerich@strassenmagazin.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@strassenmagazin.ch Chor/Kultur T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99 Paloma Selma, p.selma@strassenmagazin.ch Strassensport T +41 61 564 90 10, F +41 61 564 90 99 Lavinia Biert (Leitung), Olivier Joliat, David Möller l.biert@strassenmagazin.ch, www.strassensport.ch Trägerverein Strassenmagazin Surprise Präsident: Peter Aebersold Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen.
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