Grosse Bühne Statisterie als eigener Kosmos Richtig Abschied nehmen – Der Tod als Quell des Lebens
Wohnen mit 2000 Watt – Wie Energiesparen vom Sofa aus möglich ist
Nr. 261 | 21. Oktober bis 3. November 2011 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
Macht stark.
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Titelbild: Nicole Pont
Editorial Sich gegenseitig warm geben BILD: ZVG
Fragt man die Statisteriechefin am Theater Basel, welche Eigenschaften der ideale Statist habe, kommt es wie aus der Pistole geschossen: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und – Kollegialität. 40 Leute können nur dann zusammen auf der Bühne stehen, wenn sie auch in der Kantine miteinander gut auskommen. Es geht nicht darum, dass man auf der Bühne persönlich zu Ruhm und Ehre kommt. Sondern um die Produktion, zu der alle ihren Teil beitragen. Nur so ist Theater möglich. Auch die 2000-Watt-Gesellschaft ist ein Gemeinschaftswerk, zu dem alle ihren Teil beitragen müssten. Die Mieter des sogenannten 2000-Watt-Hauses in Zürich haben einen Vertrag unterschrieben, in dem sie sich verpflichten, ihren Energieverbrauch auf jährlich 2000 Watt zu reduzieren. Es ist ein Vertrag mit dem Rest der Welt, und DIANA FREI er ist natürlich symbolisch gemeint, provokativ. Ein Zürcher SVP-Gemeinderat hat REDAKTORIN sich denn auch provozieren lassen und gemeint, der ökologische Wohnungsbau entspreche einer «Ostblockmentalität». Wir finden: Vielleicht sind globale Ziele nun mal nur mit ein wenig «Ostblockmentalität» zu erreichen. Auch wenn wir den Ausdruck unglücklich gewählt finden – immerhin haben 2008 die Zürcher Stimmberechtigten dem Legislaturziel der Stadt zugestimmt, welches bis 2050 die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft erreichen will. Man wird nicht gezwungen, sich gegenseitig warm zu geben. Aber es ist zwingend, sich gegenseitig zu unterstützen, damit alle weiterhin warm haben. In den Tod dagegen muss jeder allein. Nach dem Abgang von der irdischen Bühne muss man sich nicht mehr mit Kollegen in die Kantine setzen. Die Journalistin Eva Rosenfelder stellt in ihrem Text über den Umgang mit dem endgültigen Abschied aber fest, dass es für Trauernde einfacher wird, mit dem Tod umzugehen, wenn sie dabei begleitet werden – von Freunden, von professionellen Trauerbegleitern. Der gemeinschaftliche Umgang mit dem Verlust hilft. Statisterie, Wohnungsbau, Trauer: Wir vereinen in diesem Heft Themen aus den verschiedensten Lebensbereichen. Und kommen im Zeitalter des Individualismus doch zu einem gemeinsamen Schluss: Was wir tun, ist für andere wichtig, was andere tun, ist für den Einzelnen wichtig. Und falls wir uns täuschen sollten, erreicht der genannte Gemeinderat die Zürcher Legislaturziele vielleicht ja auch im Alleingang. Wir wünschen Ihnen gemütliches Beisammensein in der Herbstzeit. Diana Frei Übrigens: Die Rubrik Zugerichtet zählt zu den meistgelesenen Heftinhalten. Die Autorin Isabella Seemann absolviert bis Ende Jahr einen Auslandaufenthalt. Bis zu ihrer Rückkehr wird sie von der Zürcher Gerichtsreporterin Yvonne Kunz vertreten.
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Strassenmagazin Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, redaktion@strassenmagazin.ch. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 261/11
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10 Palästina Im neuen Nahen Osten BILD: ISTOCKPHOTO
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Inhalt Editorial Zusammenrücken Basteln für eine bessere Welt Gute Miene zum bösen Spiel Aufgelesen Freude auf dem Friedhof Zugerichtet Shopping an der Bahnhofstrasse INSP-Kampagne Selbstbestimmtes Leben Porträt Einsatz für Niedrigqualifizierte Trauer Heilige Momente Kurzgeschichte Dorothee Elmiger: Über den Pass Le mot noir Milchbüchleinrechnung Culturescapes Politische Tänze Kulturtipps Farbstift für Jacques Tati Ausgehtipps Schandfleck von Bern Verkäuferporträt Zukunft für die kleinen Söhne Programm SurPlus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP
Ende September verlangten die Palästinenser vor der UNO die Anerkennung als Staat. Daraus wird vorläufig nichts, doch der Vorstoss brachte neue Dynamik in einen alten Konflikt. Nach den Umstürzen in den arabischen Staaten werden die Karten neu gemischt. Die Palästinenser verlangen vehement mehr Selbststimmung, während sich Israels Beziehungen zu Ägypten und der Türkei verschlechtern. Kommt es zu einer neuen Intifada? Oder ist nun endlich Frieden möglich? Stimmungsbilder aus einem Land vor einer völlig ungewissen Zukunft.
12 Theater Zahnrädchen in der Oper BILD: NICOLE PONT
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In der Oper stehen Liebende, Getriebene und Mordende im Rampenlicht, tiefe Emotionen werden verhandelt und grosse Themen. Das Volk dagegen tummelt sich in Wirtshäusern, auf Volksaufläufen. Dazu braucht es Statisten, oft und oft massenhaft. Am Theater Basel ist mit den Jahren in der Statisterie eine Gemeinschaft zusammengewachsen, für die das Theater zur Heimat geworden ist. Emotional, intellektuell.
BILD: ANDREA GANZ
18 2000-Watt-Gesellschaft Ostblock oder Öko-Luxus?
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Die Stadtzürcher Bevölkerung hat sich vor drei Jahren per Abstimmung das ehrgeizige Ziel gesetzt, eine 2000-Watt-Gesellschaft zu werden. Während die einen noch darüber debattieren, ob das überhaupt realistisch ist, wohnen andere bereits in «2000-Watt-Häusern». Das Auskommen mit einem Minimum an Energie ist dort erklärte Pflicht, rechte Politiker wittern «OstblockMentalität». Wir wollten wissen: Wie lebt es sich tatsächlich im Energiesparhaus?
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ILLUSTRATION: WOMM
1. Schneiden Sie – nicht bevor Sie die darauffolgende Seite mit unserer beliebten Gerichtskolumne und den aktuellen Berichten aus der Welt der Strassenmagazine gelesen haben – die Maske entlang der Umrisse aus. 2. Kleben Sie sie auf ein Stück dünnen, biegsamen Karton (z. B. die Frühstücksflockenschachtel) und schneiden sie noch einmal entlang der Umrisse aus – auch die Augen. 3. Machen Sie mit einer Ahle zwei Löcher an den bezeichneten Stellen und knüpfen Sie ein Gummiband dran, sodass Ihnen die Maske weder herunterrutscht noch die Luft zum Atmen nimmt. 4. Sie könnten nun sogar bedenkenlos in der SF-«Arena» auftreten.
Basteln für eine bessere Welt Als aufmerksame Leser der Weltverbesserungsseite sind Sie von uns in den letzten Wochen gezielt an die Urne geführt worden. Fairerweise lassen wir Sie nun auch mit den Folgen nicht alleine. Das Prinzip «Gute-Miene-zum-bösen-Spiel» gehört bei den Politikern ja zum 1 × 1. Sollte Ihnen jedoch die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben stehen, dass schon wieder die Falschen gewählt wurden, setzen Sie sich in den Tagen des Wahlkaters beim Gang in die Öffentlichkeit doch einfach unsere Gute-Miene-Maske auf. SURPRISE 261/11
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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Geprellte Taglöhner München. In der Stadt der Schickeria gibt es immer mehr türkischstämmige Bulgaren, die auf der Strasse leben. Sie kommen als Taglöhner und werden von Kleinunternehmern schamlos ausgebeutet. Wenn sie Glück haben, bekommen sie zehn Euro für fünf Stunden Packarbeit. Wenn sie Pech haben, werden Sie auch noch um ihren Hungerlohn geprellt. Werden sie zurückgeschickt, kommen sie kurz darauf meist trotzdem wieder. Denn in ihrer krisengeschüttelten Heimat erwarten sie auch nur Arbeitslosigkeit, Gewalt und Diskriminierung.
Wie auf dem Strich Düsseldorf. Rumänische Verkäuferinnen der Strassenzeitung FiftyFifty werden von vielen Passanten offenbar als Freiwild betrachtet. Sie werden unverfroren angeglotzt, müssen sich schmierige Komplimente anhören oder werden mit Sprüchen angemacht wie «Wie viel die Stunde?», «Komm ficken, ich gebe dir Geld dafür» oder einfach «Ficki Ficki». Die meisten Roma-Verkäuferinnen sind tiefgläubig und empfinden die Angriffe nicht nur als Demütigung, sondern auch als Schande. Die jüngste von ihnen ist 16 Jahre alt.
Umarmung für den Mörder Kiel. Eine positive Erfahrung machte ein Lübecker Häftling bei seiner ersten «Ausführung», obwohl ihm diese aus Anlass des Todes seiner Mutter gewährt wurde. Auf dem Friedhof schloss ihn eine Ex-Nachbarin ohne zu zögern in die Arme, obwohl sie wusste, dass er seine Freundin ermordet hatte. Dies habe ihm die Zuversicht gegeben, dass es ein Leben nach dem Gefängnis gibt. Der 41-Jährige ist einer der Häftlinge, die ihre Erfahrungen in der Schreibwerkstatt verarbeiten, die «Hempels» im Lübecker Gefängnis eingerichtet hat.
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Zugerichtet Schlecht gepokert Richter sind bestimmt verdammt gute Pokerspieler. Richterinnen natürlich auch. Damit soll nicht gesagt sein, sie wären charakterschwache Spielernaturen. Ein Pokerface ist bei ihnen quasi eine déformation professionnelle. Wenn ihre Blicke auf den Angeklagten ruhen, ist ihren Mienen nichts zu entnehmen, das irgendwelche Rückschlüsse darauf zuliesse, was dahinter vorgeht. Selbst dann nicht, wenn sich ein Beklagter um Kopf und Kragen redet oder ein Verteidiger völligen Stuss von sich gibt. Nicht mal dann, wenn eine Staatsanwältin aus- und abschweifend mit monotoner Stimme ein Plädoyer abliest, das auch als Foltermethode geeignet wäre. Dass dann gerade die Richterin mit dem verständnisvollen, gar mitleidigen Gesicht oft knallharte Strafen verhängt oder umgekehrt der Richter mit dem bohrenden, stets leicht angewiderten Blick regelmässig Milde zeigt, ist immer wieder erstaunlich. Noch erstaunlicher war deshalb, was sich vor kurzem vor einem Zürcher Gericht abspielte. Vorsitzender war der Angewiderte, auch die Mitleidige war dabei und einer, der es in Vollendung schafft, überhaupt keinen Ausdruck zu haben. Doch an jenem Tag schimmerte bei allen drei ein Hauch Ungläubigkeit durch. Die Angeklagte, erstinstanzlich des Betrugs und der Urkundenfälschung in 81 Fällen schuldig gesprochen und zu 36 Monaten Haft verurteilt, beharrte auf einem Freispruch. Das war noch nicht alles; Gründe zur Ungläubigkeit gab es in diesem Fall zuhauf. Was in der Anklageschrift steht, würde sich auch in einem Klatschheft gut machen. Demnach soll die erheblich jüngere Freundin eines schwerst alkoholkranken Mannes die-
sen in dessen letzten Lebensmonaten um rund 650000 Franken erleichtert haben. Auf Checks habe sie seine Unterschrift gefälscht und mit dem Geld unter anderem die Leasing-Raten für den BMW ihres Ex berappt und sich ein paar Extras gegönnt. Wer nun «Klischee!» denkt, stellt sich wohl eine etwas zu gebräunte Frau mit etwas zu blonden Haaren und etwas zu viel Make-up vor. Und Schwindel erregend hohe Absätze, sehr grosse Brüste, eher kleines Hirn. Wer über einen Sinn fürs Detail verfügt, komplettiert das Klischee mit künstlichen Fingernägeln, schulterfreiem Top und ordinärer Sprache. Und hätte bis ins letzte Detail recht. «Also, noch mal», sagte der Gerichtspräsident, nicht mehr nur ungläubig, sondern verständnislos. «Wie schafften Sie es, Monat für Monat so viel Geld auszugeben?» Darauf die Angeklagte, ebenfalls verständnislos: «Gehen Sie doch mal an die Bahnhofstrasse, dann wissen Sie, wie schnell 10000 Franken weg sind.» Nicht mal ihr Anwalt schien ihr zu glauben, dass sie die Checks in vollem Einverständnis des Verstorbenen gefälscht hatte. Geradezu empört war der Staatsanwalt. Hätte sie sich nicht erdreistet, das Urteil weiterzuziehen, hätte er die Sache auf sich beruhen lassen. Nun aber verlangte er eine Strafverschärfung auf 48 Monate. Das Verdikt des Gerichts hätte klarer nicht sein können. «Frech, eiskalt und glasklar schuldig.» Es erhöhte die Strafe von 36 auf 47 Monate. Fazit: Wer schlecht pokert, sollte seine Einsätze niedrig halten.
YVONNE KUNZ (YVONNE@REPUBLIK.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 261/11
Menschenwürde Armut Mehr als sechs Millionen Menschen in 40 Ländern stimmen für Menschenwürde statt Armut, indem sie Strassenzeitungen kaufen. Damit unterstützen sie die Verkäufer auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben. Im Gegenzug erhalten sie unabhängige Magazine, die man gerne liest. Wer Strassenmagazine kauft, setzt ein Zeichen für eine bessere Welt.
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Ihre Stimme für die Menschenwürde.
Sechs Millionen Stimmen für die Menschenwürde Josiane Graner: «Jedes Mal, wenn ich ein Exemplar von Surprise verkaufe, verdiene ich 2.70 Franken. Dank diesen Einahmen kann ich meinen Lebensunterhalt ein Stück weit selbständig bestreiten», sagt die 59-jährige Strassenverkäuferin. Trotz der täglichen Schwierigkeiten ist Josiane Graner zufrieden, denn der Verkauf des Strassenmagazins hat ihr Leben verändert und Hoffnung zurückgebracht. Josiane Graners Geschichte ist kein Einzelfall. Seit 1994 haben mehr als 200000 Menschen auf der ganzen Welt die Möglichkeit bekommen, durch den Verkauf eines Strassenmagazins ein Einkommen zu verdienen. Dahinter steckt ein Konzept, das soziales Unternehmertum mit unabhängigem Journalismus verbinSURPRISE 261/11
det, um Armutsbetroffenen zu helfen. Das Geschäftsmodell ist einfach: Verkäufer erwerben die Magazine zu ungefähr der Hälfte des Magazinpreises und verkaufen das Heft anschliessend an ihre Kunden. Die Leser der Strassenmagazine helfen den Verkäufern, ein würdiges Einkommen zu verdienen und ihre Armut zu lindern. Das ist die Schlüsselbotschaft der 2011er-Kampagne «Ihre Stimme für die Menschenwürde» – geleitet vom Internationalen Netzwerk der Strassenmagazine (INSP). INSP wurde 1994 gegründet und blickt auf eine erfolgreiche Geschichte zurück. Heute lesen 6,2 Millionen Menschen in 40 Ländern 112 Magazine. Strassenmagazine bieten hochwertigen, unabhängigen Journalismus, der nur für eine Gruppe Partei nimmt: die Schwachen. David Schlesinger, Vorsitzender von Thomson Reuters China, ist Ehrenpräsident von INSP. Er sagt: «Reisen Sie durch die Welt und kaufen Sie ein Strassenmagazin oder eine Strassenzeitung und Sie tun nicht nur Gutes, Sie bekommen auch etwas Gutes.» Lisa Maclean, Geschäftsführerin von INSP, fügt hinzu: «Die INSP-Strassenmagazine sind in der einzigartigen Position, Geschichten, Meinungen und Themen zu publizieren, die in den Massenmedien normalerweise nicht erscheinen. Sie sind unabhängig, treten als starke Stimme für den sozialen Wandel auf und hinterfragen den Status quo.»
In Europa und Nordamerika gehören Strassenmagazine vielerorts zum Stadtbild. Auch in Ländern wie Argentinien, Sambia, Malawi und auf den Philippinen etablieren sie sich langsam. Gerade sind in Taiwan und Südkorea neue Zeitschriften auf den Markt gekommen. Weitere werden demnächst in Nigeria, Griechenland und Finnland folgen, denn INSP expandiert weltweit. Über INSP und die vielsprachige Onlinenachrichtenagentur Street News Service (SNS) tauschen die einzelnen Strassenmagazine Erfahrungen, Ideen und Artikel aus. Im nächsten Jahr wird INSP in einer globalen Aktion Spenden und Werbegelder generieren. Zudem sollen mit SNS die Möglichkeiten des digitalen Austauschs verstärkt werden. All diese Aktionen dienen den Bedürfnissen und Rechten der Verkäufer auf der ganzen Welt. Diese Menschen sind und bleiben der Mittelpunkt unserer Arbeit, Menschen wie Josiane Graner. Unterstützen Sie weiterhin den Verkäufer Ihres lokalen Strassenmagazins und geben Sie Ihre Stimme für die Menschenwürde. ■
www.streetnewsservice.org
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Porträt Weiterbildung für alle Ein halbes Arbeitsleben lang setzte sich André Schläfli als SVEB-Direktor für die Weiterbildung ein und erntete dafür internationale Anerkennung. Bis er seine eigene berufliche Bestimmung fand, musste er allerdings einige Kehrtwendungen nehmen. VON MONIKA BETTSCHEN (TEXT) UND DAVIDE CAENARO (BILD)
Das Eckbüro im obersten Stock ist hell und funktional möbliert: ein grosser Schreibtisch, ein Besprechungstisch mit vier Stühlen, zwei Zimmerpflanzen. Die vielen Ordner und Dokumente in den Regalen an der Wand zeugen von unermüdlichem Einsatz und Wissensdurst. Keine Frage: André Schläfli, seit 19 Jahren Direktor des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung SVEB, lässt sich nicht gerne vom Wesentlichen ablenken. Neben der Tür hängt seit diesem Frühling die silbern glänzende Auszeichnung, die ihm von der «International Adult and Continuing Education Hall of Fame» der University of Oklahoma für seine Verdienste im Bereich der Weiterbildung verliehen wurde. «Es ist eine grosse Ehre, als erster Schweizer dort aufgenommen worden zu sein», sagt Schläfli. Zeit, etwas zurückzulehnen also? «Nein! Man muss sich bewusst sein, dass es in der Weiterbildungslandschaft jede Menge Baustellen gibt und dass beispielsweise die Weiterbildungsforschung in der Schweiz noch in den Kinderschuhen steckt», entgegnet Schläfli und fügt an: «Hier schlummert ein riesiges Potenzial, an dessen Entwicklung ich weiterhin mitwirken will.» Zwei Millionen Menschen besuchten in der Schweiz jährlich eine Weiterbildung und private Anbieter würden Tausende verschiedener Zertifikate und Diplome vergeben. Besonders am Herzen liegt Schläfli die gezielte Förderung von Niedrigqualifizierten: «Wissen und Weiterbildung sollten für alle Menschen gleichermassen zugänglich sein. Wenn etwa ein 40-jähriger Maurer jahrelang sehr gute Arbeit geleistet hat, sich aber beruflich nicht weiterentwickeln kann, bloss weil er über keinen Abschluss verfügt, bedeutet dies für den Betroffenen Frust.» Gleichzeitig gehe volkswirtschaftlich sehr viel Potenzial verloren. «Schon 1998 hat der Verband den Anstoss gegeben, dass auch jemandem mit einer einfachen Ausbildung weiterführende Möglichkeiten offen stehen», sagt Schläfli. Seit 2007 setzt der Bund nun entsprechende Massnahmen um. Die Interessenvertretung der schweizerischen Weiterbildungsinstitutionen gegenüber Bund, Kantonen und Privaten ist eine der vielen Aufgaben des SVEB-Direktors. «In Bezug auf meine politische Haltung bin ich für andere Menschen vermutlich nicht einfach einzuschätzen», sagt Schläfli. «Ich tendiere zu linken Ansichten, vertrete aber auch liberale Werte. Das ist prägend für meine Arbeit.» Reines Kosten-Nutzen-Denken ist Schläfli fremd: «Weiterbildung ist nicht nur Mittel zum Zweck, sondern auch etwas Bereicherndes, ein Stück Lebensqualität.» Auch für ihn selbst war und ist Weiterbildung eine feste Konstante im Leben. «Während des Psychologiestudiums hatte ich einen Kurs bei einem Laufbahnberater, der bei der Suche nach dem richtigen Berufsweg nicht einfach auf ein Modell zurückgriff, sondern verschiedene Ansätze
heranzog. Das war damals, Anfang der 70er-Jahre, noch relativ neu und hat mich geprägt.» Die erste Stelle fand Schläfli gleich im Anschluss an die Universität als Laufbahnberater im Freiburger Seebezirk. Es folgte ein Jahr in Minnesota und an der Harvard University in den USA, wo ihn besonders die Verbindung der Psychologie mit der Werterziehung interessierte. Als er mit dem Doktortitel in der Tasche am Zürcher Universitätsspital als Neuropsychologe zu arbeiten begann, merkte er aber, dass die Medizin nicht seine Welt ist: «Die hierarchischen Strukturen dort empfand ich als starr. Zudem gingen mir die Einzelschicksale der Patienten, die durch Tumore, Unfälle oder Blutungen schlimme Schädigungen am Gehirn erlitten hatten, sehr nahe.» Es folgte der Schritt in die Wirtschaft. Schläfli wurde Leiter der Management- und Lehrlingsausbildung in der UBS. Dies sei während sechs Jahren eine lehrreiche und vielfältige Aufgabe gewesen. Aber: «Mit dem Produkt Geld konnte ich mich auf die Dauer nicht identifizieren, deshalb strebte ich eine neue Herausforderung an.» Seine Suche nach dem richtigen Job endete mit der Bewerbung auf die Stelle als Direktor des Weiterbildungsverbands: Seit 1992 blieb er dieser Aufgabe treu. Unter Schläfli als Direktor wurden im Dachverband der Weiterbildungsinstitutionen zahlreiche Grossprojekte geplant und auch umgesetzt: die Entwicklung des SVEB-Zertifikats, das Lehrkräften ihre Qualifikation bestätigt, die Ausarbeitung des Qualitätsstandards eduQua gemeinsam mit dem Bund, die Vorbereitung eines Weiterbildungsgesetzes auf Bundesebene. Der Verband wuchs in seiner Zeit als Direktor von sechs auf 24 Mitarbeitende. Was Schläfli zusätzlich entsprach: «Ich musste keine klassische Verbandsfunktion ausüben, sondern konnte den SVEB mehr wie ein Unternehmen führen – mit einzelnen Bereichen, die wirtschaftlich arbeiten mussten.» Hinzu kam die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie der Unesco, der OECD oder der EU. Einen Ausgleich zur Arbeitswelt findet der Vater von zwei erwachsenen Kindern ab und zu bei einem Opernbesuch zusammen mit seiner Frau. «Und übrigens mag ich auch das Phänomen der Zürcher Street Parade», fügt er an. «Die Unterschiedlichkeit von Oper und Techno fasziniert mich.» Gibt es für einen Mann, der das Thema Weiterbildung mit jeder Faser lebt, über-
«Ich tendiere zu linken Ansichten, vertrete aber auch liberale Werte.»
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haupt noch unentdeckte Interessengebiete? «Ich bin der Meinung, dass man nie ausgelernt hat», sagt Schläfli. «Ich möchte mich zum Beispiel mehr mit Philosophie beschäftigen, mit aktuellen Grundsatzfragen wie: Warum gibt es Krieg? Oder: Warum ist der Reichtum ungerecht verteilt?» 60 Jahre alt, seit 19 Jahren glücklich als Direktor beim SVEB. Da wird sich beruflich nicht mehr viel verändern. Oder? «Mal sehen», meint André Schläfli lächelnd. «Da bin ich mir noch nicht so sicher.» ■
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BILD: ISTOCKPHOTO
Konfrontation im Westjordanland: Ohne Lösung der Palästinafrage kann es in Nahost keinen Frieden geben.
Palästina Gefährliches Schachspiel Der Gang der Palästinenser vor die UNO war ein Befreiungsschlag. Ob er den Auftakt für eine Lösung im Nahen Osten bildet oder noch mehr Schaden anrichtet, ist ungewiss. Sicher ist: Die Situation in der Region ist so fragil wie nie zuvor. VON AMIR ALI
«Wir sind nicht gegen eine friedliche Lösung. Aber wir glauben einfach nicht daran», sagte Abdullah Hawaja an jenem Sonntag einer Reporterin der «New York Times». Der 30-Jährige war einer von Tausenden Palästinensern, die im Zentrum von Ramallah zusammengekommen waren, um Mahmoud Abbas zu feiern. Der Palästinenserpräsident kehrte aus New York zurück, wo er vor der UNO seine historische Rede gehalten und die Anerkennung eines palästinensischen Staates verlangt hat-
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te. «Israel wird nicht aufgeben. Dieses Land kann nur durch Krieg befreit werden. Was uns mit Gewalt genommen wurde, können wir nur mit Gewalt zurückholen», sagte Hawaja der amerikanischen Zeitung noch. Diese schockierenden Worte sind Ausdruck der Hoffnungslosigkeit und des fehlenden Vertrauens in die internationale Gemeinschaft. Und die Palästinenser haben allen Grund dazu. Von einem eigenen Staat sind sie auch nach dem Gang vor die UNO weit entfernt. Und darum dürfte es ihnen auch nicht in erster Linie gegangen sein. Für Mahmoud Abbas und seine Palästinensische AutonoSURPRISE 261/11
miebehörde war die diplomatische Offensive ein Befreiungsschlag – eine Tour de Force, die den Nahostkonflikt wieder auf die Agenda gebracht hat. Nur diesem Druck ist es zu verdanken, dass das NahostQuartett – die USA, die EU, die UNO und Russland – umgehend einen neuen Fahrplan für einen Frieden hervorzauberte. Nun ist Phase zwei des palästinensischen Planes eingetreten: das Ringen um Verhandlungen mit Israel. Die Rede, die Premierminister Benjamin Netanyahu am selben Abend vor der Generalversammlung hielt, war nicht die Antwort aus Jerusalem auf den palästinensischen UNO-Antrag. Die wahre Antwort kam einige Tage später, als die Regierung grünes Licht gab für den Bau von 1100 Wohnungen in Ostjerusalem. Ein Schlag für all jene, die gerade nicht an eine notwendigerweise gewalttätige Auseinandersetzung mit Israel glauben. Die Diplomatie verfolgt bestimmte Interessen gezielt. Wer zu einem derart entscheidenden Zeitpunkt die Gegenseite blossstellt, entlarvt sich selbst. Dass Israel wirklich Frieden will, scheint unglaubwürdig angesichts der Weigerung, den Siedlungsbau zumindest einzufrieren. Mit seiner Politik spielt der jüdische Staat all jenen in die Hände, die ihn von der Landkarte tilgen wollen. Doch auch die Palästinenser entziehen den Kooperationswilligen auf der anderen Seite der Grenzmauer den Boden unter den Füssen. Denn diese gibt es durchaus, auch ausserhalb der pazifistischen Kreise. «Wenn ich Netanyahu wäre, würde ich einen Palästinenserstaat anerkennen. Danach könnten wir über Grenzen und Sicherheitsfragen verhandeln», sagt der Ex-General und Ex-Minister Benjamin Ben-Eliezer. Dass Netanyahu dies nicht tat, liegt auch an den Palästinensern. Sie schaffen es noch immer nicht, die Existenz Israels zumindest als Realität anzuerkennen. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Wortlaut der Erklärung vor der UNO, in der die Palästinenser Ostjerusalem als ihre Hauptstadt beanspruchen. Westjerusalem als israelische Hauptstadt sucht man darin vergeblich. Diese Art von Zeichen hätte das Ansehen und die Verhandlungsposition Ramallahs gestärkt. Doch für solche Zugeständnisse scheint Abbas’ politische Position zu schwach.
sieht antiisraelische Rhetorik als Schlüssel zur Popularität», sagt sie. «Erdogan hat nicht verstanden, dass kein nicht-arabisches Land die Region anführen kann.» Und doch zeigt das selbstbewusste Auftreten des einstigen «kranken Mannes am Bosporus»: Der Friede mit Ankara wird Jerusalem in Zukunft mehr kosten – vor allem Zugeständnisse, die sich im Buhlen um die Gunst der arabischen Strasse in bare Münze umwandeln lassen. Erst die alte Garde, dann die Grenzzäune Diplomatie ist wie Schach: berechenbar, solange man die Züge des Gegners richtig vorwegnimmt. Liegt man daneben, verliert man die Kontrolle. Die Hektik, die Abbas’ Gang vor die UNO in Jerusalem und Washington ausgelöst hat, zeigt: Die dominanten Kräfte im Nahostkonflikt sind auf dem besten Weg, ihren Einfluss auf dem Brett zu verspielen. Die westlichen Mächte sehen sich einer erstarkten Türkei gegenüber, die für ihre Politik gegenüber Iran, aber auch Syrien immer wichtiger wird. Dass niemand den aggressiv auftretenden und offensichtlich Grenzen auslotenden Erdogan zurückpfiff, spricht Bände. In Washington sitzt ein Präsident, der sich einst als Brückenbauer feiern liess und den Friedensnobelpreis auf Vorschuss verliehen bekam. Nun, mehr als zwei Jahre und eine Revolution später, steht er vor der fast unlösbaren Aufgabe, die US-Interessen im neuen Nahen Osten zu sichern, ohne dabei gegenüber Israel eine härtere Gangart anzuschlagen.
Palästinenser, die noch weniger zu verlieren haben als zuvor, sind unberechenbar. Und ein bedrängtes Israel ist ein gefährliches Israel.
Der neue Nahe Osten Die Israelis sind nervös wie nie. Ihre Welt hat sich in den letzten Monaten fundamental verändert. Mubarak, der Fixstern israelischer Regionalpolitik, ist verglüht – und mit ihm die Gewissheit um einen Frieden mit Ägypten, der nie ein Friede des Volkes war. Aussenpolitik wird in Kairo zur Innenpolitik. Der regierende Militärrat ist vom Retter der Revolution zum neuen Feindbild des Tahrir-Platzes mutiert. Er wird keine Möglichkeit auslassen, um sein angeschlagenes Image aufzubessern – oder zumindest nicht unnötig weiter zu verschlechtern. Dass die Sicherheitskräfte den hässlichen Mob nicht am Sturm auf die israelische Botschaft in Kairo hinderten, war kein Zufall. Und auch für den Fall, dass die Ägypterinnen und Ägypter demnächst die ersten freien Wahlen begehen: Das macht es für Israel nicht gemütlicher. Wer gegenüber dem verhassten Nachbarn einen schärferen Ton anschlägt, hat bessere Chancen, gewählt zu werden. Die Zeiten des mit amerikanischen Dollars bezahlten Schweigens gegenüber Israel sind in Ägypten zu Ende. In dieser Atmosphäre täte der jüdische Staat gut daran, sich von einer versöhnlicheren Seite zu zeigen und damit die vernünftigen Kräfte im bevölkerungsreichsten und wichtigsten arabischen Land zu stärken. Mit der Türkei hat Israel den zweiten wichtigen muslimischen Verbündeten innert weniger als einem Jahr verloren. Die Istanbuler Publizistin Nuray Mert glaubt zwar nicht, dass die türkisch-israelische Suppe dereinst so heiss gegessen wird, wie sie Erdogan und Netanyahu gekocht haben: «Die Türkei sucht eine Führungsrolle in der Region und SURPRISE 261/11
Robert Fisk, der Grand Old Gentleman des Nahostjournalismus, sieht diese Chance gar bereits vertan: «Die USA können ihren Besitzstand in Nahost nicht wahren. Der ‹Friedensprozess›, die ‹Road Map›, die ‹OsloVerträge›: Der ganze Tanz ist vorbei.» Wer die Lücke füllen wird, ist nicht absehbar. Umso wichtiger sind die unmittelbaren Reaktionen. Und die bieten allen Grund zu Pessimismus. Palästinenser, die noch weniger zu verlieren haben als zuvor, sind unberechenbar. Ein schwacher Abbas ist ein guter Abbas für die Hamas. Und ein bedrängtes Israel ist ein gefährliches Israel. Exponenten der israelischen Rechten haben in einem Brief an Premier Netanyahu dargelegt, wie das Land aus ihrer Sicht auf den Antrag vor der UNO reagieren soll: Israel müsse nach dem «einseitigen Schritt der Palästinenser» die – bis anhin als illegal geltenden – Siedlungen annektieren. Ansonsten werde Israel «seine Abschreckungskraft verlieren und die Palästinenser zu weiteren Aktionen gegen Israel auf der internationalen Bühne ermutigen». Dass die Palästinenser einen solchen Schritt ohne weiteres über sich ergehen lassen würden, ist unwahrscheinlich. Eine erneute Eskalation mit den Palästinensern wäre jedoch verheerend. Die nächste Intifada ist immer wieder ein Thema. Und viele im Westjordanland sind überzeugt, dass sich der Aufstand diesmal zuerst gegen die eigene alte Garde in Ramallah wenden würde, bevor er sich an die Grenzzäune Israels aufmachen würde. Ein neuer Krieg in Nahost hätte weitreichende Folgen. Er würde dem vom eigenen Aufstieg berauschten Erdogan den Weg zurück zu einer versöhnlicheren Politik versperren. Er würde unmittelbar die Entwicklung in Ägypten beeinflussen, und dies nicht zugunsten der liberalen Kräfte. Die Kettenreaktion, die falsch vorhergesehene Züge des Gegners dann auslösen würden, hätte Konsequenzen weit über den Rand des Schachbretts hinaus. Weiterhin gilt: Der Nahostkonflikt ist die Mutter aller Probleme in der Region. Wer den Islamismus eindämmen, wer Ruhe in der islamischen Welt schaffen will, muss Frieden zwischen Israel und den Palästinensern schaffen. ■
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Theater Das Volk, das donnern hilft Sie singen keine Arien und kennen trotzdem etliche Opern in- und auswendig. Sie stehen bei jeder Vorstellung auf der Bühne, tauchen aber in keiner Besetzungsliste auf. Sie warten stundenlang und sind für alles zu haben: Statisten und Statistinnen. Ein Blick hinter die Kulissen.
VON DIANA FREI (TEXT) UND NICOLE PONT (BILDER)
Theater Basel, «Wozzeck»-Hauptprobe auf der Grossen Bühne, Abend. Statistinnengarderobe. Ein langer Kleiderständer mit Kostümen. Langer Tisch in der Mitte, darauf ein Koffer mit Stecknadeln und Nähzeug der Ankleiderin. Auf dem Tisch Ersatzstrümpfe in mit Nachnamen versehenen Plastiksäckchen. Statistinnen, die sich in Bademänteln auf Stühlen sitzend unterhalten. Einige ziehen sich um, suchen in BH und Unterhose gekleidet nach ihren Kostümen. Inspizient über den Lautsprecher: «Bis zum Beginn sind es noch 45 Minuten». Eine Statistin: «Es ist ein Witz, dass wir so früh da sein müssen. Das nächste Mal muss ich ein Buch mitnehmen.» Ankleiderin (in besänftigendem Ton): «Man muss immer ein Buch mitnehmen. Man nimmt sich die Zeit zu lesen ja sonst oft nicht.»
ten und Berufstätige, wenn sie flexibel genug sind. Jutta, 65, war Chemieingenieurin, als sie vor mehr als zwei Jahrzehnten als Statistin anfing. Irène will in der Statisterie ihre Fühler wieder ausstrecken in Richtung Kunst, Musik. Sie ist Cellistin, hat Rhythmik gemacht und Bewegungsarbeit. Nach einigen gesundheitlichen Rückschlägen «fühlt sie sich wieder topfit» und hat «Lust, wieder Gas zu geben». Heidi hat im Haus Theaterpädagogikkurse besucht und war als Foyerverantwortliche für die Garderobièren und Platzanweiser zuständig – nun steht sie seit acht Jahren als Teil des Volkes auf der Bühne. Doris kam in den 90er-Jahren von einem sechsjährigen USA-Aufenthalt zurück, eine Freundin nahm sie in die Statisterie mit, in die Pufferzone, die den Kulturschock des Alltags auffangen half. Josephine, 19, das Nesthäkchen hier, will Gesang studieren. Statistinnen, Chorherren, Solisten – im Theater sind alle per Du. In der Statisterie sind viele schon seit 25 Jahren dabei, Rosmarie, Charlotte, Ruth. Und spielen als Rentnerinnen immer mal wieder leichte Mädchen.
Auf dem Tisch liegt ein Buch über Max Reinhard, den Theatererneuerer und Vorreiter des modernen Musiktheaters mit Hang zu grossen Zu Animierdamen aufgestiegen Statistenchören. « ‹Die Hurenformation zum Auftritt›, hat der Inspizient das letzte Mal Orchesterklänge sind zu hören. Man geht in die Maske, eine nach der eingerufen», sagt Ruth, 70, «man hört das über den Lautsprecher bis in anderen. Flur entlang, Tür auf ins Treppenhaus, Treppe hoch, Tür auf, die Kantine. Das war nicht gerade schön.» Statisten dürfen nicht zimGänge, Gegenverkehr: Orchestermusiker, «Hallo! Hello! Guten Abend!» perlich sein. «Wenn dir das Wort ‹Animierdame› schon wehtut, dann Flur entlang, Einbiegen zur Maske. Warten. Schminken. Flur, Tür auf, musst du es gleich ganz vergessen», findet sie. Sie selber kann sich zwar Orchestermusiker, Tür zu, Garderobe. Ein Labyrinth scheinbar, aber jemit ihrer schwarzen Perücke im «Wozzeck» «eigentlich auch nicht abder weiss, wo es langgeht. Eine einzelne Arie über Lautsprecher. finden»: «Ich bin ja nicht mehr ich selber. Aber das ist ja Theater, es geDie Statistinnen spielen Frauen vom Lande, die mit den Männern im hört dazu.» Auch Jutta sagt: «Berührungsängste habe ich überhaupt keiWirtshaus sitzen, trinken. «Und nachher gehen wir mit ihnen mit», sagt ne. Wir spielen zwar nicht nur zwielichtige Gestalten, eigentlich eher zu eine von ihnen, sie sind zum Anschaffen gezwungen. Im Unterrock werden sie später für die ärztliche Kontrolle im Wartezimmer desselben Arztes sitzen, der Statisterie, das ist nicht MusicStar. Hier gibt es keine BusWozzeck für seine Experimente missbraucht. chauffeusen, die plötzlich Arien schmettern. «Wir teilen alle die gleiche Begeisterung fürs Theater», sagt Statistin Carmen, 21, «das selten. Ich würde fast alles ohne irgendwelche moralischen Vorbehalte verbindet, auch wenn man aus völlig verschiedenen Lebenswelten spielen. Das bin nicht ich auf der Bühne, sondern ich bin ein Teil der gekommt und in ganz anderen Lebensphasen steckt.» Sie studiert Theasamten Produktion.» terwissenschaft und hat ihren Namen von der Oper «Carmen» von BiDie Statistinnen und Statisten sind nackte Sklavinnen in «Turandot» zet, natürlich. Die meisten ihrer Kolleginnen könnten ihre Grossmutter genauso wie versunkene Matrosen mit warzenbesetzten Plastikmasken sein – neben Studierenden haben Pensionierte am ehesten Zeit für Proim «Fliegenden Holländer». Es liegt in der Natur der Sache, dass sie ben und Vorstellungen. Auch Hausfrauen sind in der Statisterie vertreSURPRISE 261/11
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Statistinnen am Theater Basel: Irène, Carmen, Jutta (von oben links nach unten), Rosmarie, Danielle, Doris, Ruth (rechtes Bild v.l.n.r).
nicht Helden spielen, sondern gewöhnliches In der Statisterie sind viele schon seit 25 Jahren dabei. Volk. Säufer, Dirnen, Sklaven, Tote, FestgesellUnd spielen als Rentnerinnen leichte Mädchen. schaft oder einfach Menschenmasse. Aber sie sind die Zahnrädchen, ohne die die TheaterEine rabiate Grossmutter (Rosmarie) geht mit ihrem Enkel zum Arzt. maschinerie nicht laufen würde. Sie werden auch für technische AufgaDer Bub ist grün und blau, weil er zu Hause geschlagen wird, und auch ben hinter der Bühne eingesetzt, sie bedienen die «Verfolger» – die madie Grossmutter geht nicht zimperlich mit ihm um. Der Arzt untersucht nuellen Scheinwerfer, die die Darsteller auf der Bühne verfolgen. Sie steihn oberflächlich, macht weiter nichts und schickt sie nach Hause. Die hen bei Beleuchtungsproben als Doubles auf der Bühne, bis Technik Grossmutter sieht, wie Wozzeck vom Arzt bezahlt wird, weil er ihm für und Regie die passende Lichtstimmung eingerichtet haben, und überseine Experimente hinhält. Auch sie streckt die Hand hin, um Geld zu nehmen die Betreuung von Kinderstatisten. bekommen, und kriegt natürlich nichts. Georg Büchner hat mit seinem Dramenfragment «Woyzeck», auf dem Abgang. Rosmarie schlägt sich an der Wendeltreppe der Kulisse den Alban Bergs Opernlibretto basiert, zum ersten Mal überhaupt einen AnKopf an. Hinterbühne. gehörigen der Unterschicht ins Zentrum des Geschehens gestellt. «Ich Rosmarie: «Was für eine Hitze.» glaub’, wenn wir in Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen», sagt Woyzeck. Im Theater sind es die Statisten, die manchmal donnern Einschlafen auf der Hinterbühne helfen müssen. Es sei schon so, dass man sich als Statistin selber von einer anderen Seite kennenlerne, findet Jutta. Rein äusserlich schon: Schülerinnen Garderobe. Rosmarie steht mit dem Mantel in der Hand am Lautwerden in ihre ersten High Heels gesteckt, Hausfrauen klimpern mit falsprecher und hört der Musik zu. schen Wimpern, Versicherungsangestellte schlurfen in zu grossen StieRosmarie: «Das ist die dritte Szene mit dem Bub. Wenn sie Bum-Bumfeln herum. Ruth wurde in den «Soldaten» vom Regisseur aus der hinBum singt.» tersten Reihe für einen Soloauftritt als Tänzerin herausgepickt. Nicht, Die Ankleiderin steht mit dem Zeitplan neben ihr. dass sie eine tiefere Ahnung vom Tanzen gehabt hätte – aber sie lernte Ankleiderin: «Bei mir steht 21.19 Uhr. Jetzt ist es 21.20. Geht doch schon es. Einfach, weil sie der gesuchte Typ war. mal.» «Ich traue mich Sachen zu machen, welche ich normalerweise nie Inspizient: «Herr Lawrence zum Auftritt bitte, die Animierdamen bitte…» tun würde, und ich geniesse sie», sagt auch Jutta, «und das erst noch coAlle Statistinnen: «Aaahh! Animierdamen! Wir sind aufgestiegen!» ram publico, vor Leuten, die ich zum Teil kenne. Da ich stark unter LamGrosse Bühne, Auftritt Rosmarie.
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Einblick von der Hinterbühne aus: Die Frauen haben sich für die Männer schön gemacht.
penfieber leide, kommt mir jeder Auftritt wie ein kleiner Sieg über mich selber vor.» Über den Lautsprecher sind die Vorstellungen jeweils im ganzen Haus zu hören. «Bis am Ende einer Produktion kennt man jede Note, das fasziniert mich. Ich kenne jede Oper, bei der ich mitgemacht habe, fast auswendig», sagt Carmen. Lotti Bürgler rennt bei ihren Lieblingsarien nicht selten aus dem Büro auf die Hinterbühne, um zuzuhören: «Das entschädigt für alle Momente, die manchmal ein bisschen stressig sind.» Die schätzungsweise 300 Statisten in der Kartei sind die einzigen Laien im Theater, und die Statisteriechefin muss sich auf sie verlassen können. Wer eine Stunde vor Auftritt nicht im Haus ist, muss anrufen, sonst wird er ersetzt. Lotti Bürgler ist auf Menschenkenntnis angewiesen. «Es kamen schon Neue bei mir ins Büro, da hatte ich das Gefühl: Ich weiss nicht. Und sehr oft kamen genau jene nicht an Proben, fehlten bei Vorstellungen. Manchmal habe ich ein Gespür für Leute – es erschreckt mich fast.» Statisten müssen warten können. Es kommt vor, dass die Statisten vier Stunden lang zur Bühnenorchesterprobe im Haus sind. Sie kämen gegen Schluss irgendwann dran, aber der Dirigent wiederholt eine Stelle. Und er wiederholt sie. So lange, dass die Statisten um 23 Uhr nach Hause gehen, ohne eine Minute im Einsatz gewesen zu sein. Es kommt vor, dass die Statisten alle Proben mitmachen, und nach der Hauptprobe heisst es dann: «Wir brauchen doch keine Statisten.» Es kommt vor, dass sie beim Warten auf der Hinterbühne einschlafen. Statisterie, das ist nicht «MusicStar». Es geht nicht um die Hoffnung, entdeckt zu werden. Hier gibt es keine Buschauffeusen, die plötzlich Arien schmettern. Werden spezielle Voraussetzungen und Fähigkeiten SURPRISE 261/11
verlangt, werden zwar auch Castings gemacht. In solchen Momenten ahnt Lotti Bürgler, was Selbstüberschätzung heissen muss. Für «My Fair Lady» gab es ein Casting. Bedingung: Man muss Walzer tanzen können. «Da war ein Paar, totale Amateure. Man hat ihnen gesagt: Das geht so nicht», sagt die Statisteriechefin, «beim zweiten Mal kreuzten sie wieder auf. Die gleichen zwei, die einfach nicht tanzen können.» 20.35 Uhr. Garderobe. Die Statistinnen sitzen in Kostümen und Maske auf den Stühlen. Jemand isst einen Apfel, andere knabbern Vollkornkekse. Auftritt Lotti Bürgler. Statistin: «Dürfen wir uns jetzt umziehen?» Lotti: «Nein. Es kann immer sein, dass er plötzlich etwas wiederholen will.» Statistin: «Falls was ist, sagen wir, du hättest von nichts gewusst. Du hast es nicht erlaubt.» Lotti Bürgler macht ein Handzeichen, das ein bestimmtes Nein andeuten soll: «Die Probe dauert ja nur noch zehn Minuten.» ■
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BILD: ISTOCKPHOTO
Trauer Die Kunst des Abschieds Zu Allerheiligen werden viele Menschen ihrer verstorbenen Angehörigen und Freunde gedenken. Für einmal setzen sie sich mit dem Tod auseinander, einem Thema, das in unserer Gesellschaft meist verdrängt wird. Doch aus dem Verlust lässt sich auch Kraft schöpfen.
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VON EVA ROSENFELDER
Als Samantha Guerini* die Nachricht erhielt, dass ihr damals 20-jähriger Sohn Silvio* Suizid begangen hatte, lag schon eine lange Wegstrecke hinter ihr. Die Pflegefachfrau hat sich bereits Jahre vorher immer wieder mit dem Tod auseinandergesetzt, sterbende Menschen betreut und sich auch mit Sterbebegleitung befasst. Als sie das eigene Kind verlor, war ihr die Unterstützung einer einfühlsamen Trauerbegleiterin von unschätzbarem Wert. «Für mich das Wichtigste und Hilfreichste war die ‹Entschleunigung›, welche meine Begleiterin bewirkte. Sie war es auch, welche die Bestatter davon abhielt, meinen Sohn sogleich wegzubringen. Sie machte ihnen klar, dass ich von meinem Beruf her gewohnt sei, mit Verstorbenen umzugehen, und dass ich meinen Sohn selber waschen und herrichten möchte.» Die Zeit, die Samantha Guerini so geschenkt wurde, ermöglichte ihr, das unerwartet Geschehene langsam zu erfassen, den Schmerz darüber zu fühlen und ihn ganz langsam anzunehmen. «Wir haben Silvio aufgebahrt – alle seine Freunde sind gekommen, um von ihm Abschied zu nehmen, ihm letzte Zeichen mitzugeben in den Sarg. Es war für uns alle so beruhigend zu sehen, dass er friedlich aussah.» In der ersten Nacht nach Silvios Tod hat sie ihren Sohn sehr stark wahrgenommen, sie fühlte seinen Schock: «Was hab ich da nur gemacht?», schien er zu sagen, und es kam ihr vor, als könne er seinen Weg nicht weitergehen. «Es ist Hilfe da, du musst nur darum bitten», sagte ihm Samantha Guerini, ein Satz, den sie sich auch für sich selbst immer und immer wiederholte. Die Trauerbegleiterin ging mit Silvios Freunden in die Aufbahrungshalle, die ihm alle in Gedanken Kraft gaben, seinen Weg weiterzugehen. Plötzlich fühlte Samantha, wie etwas aufging, als würde eine dunkle Wand sich öffnen und Licht kommen. Es war ein heiliger Moment für sie. «Jeder Tod, den ich miterlebt habe, hat etwas Heiliges. Ich denke, oft versagen wir uns diese Gefühle. Wir weigern uns, in einen heftigen Schmerz hineinzugehen, und nehmen uns dadurch auch diese heiligen Momente. Heute glaube ich, dass wir nur leben können, wenn wir auch sterben können.»
die Sterbekrise meist weniger heftig, diese aber gelte es zu überwinden, und dabei bleibe keine Zeit für Maskenspiele. «Sterbende können sehr direkt sein», meint Maya Signer, «doch auch hier gibt es keine Regeln, als Begleiter gilt es, immer wieder hinzuschauen: Was macht Trauer und Tod mit mir? Jemanden zu begleiten, berührt oft die eigene Trauer, die ja jeder Mensch irgendwo in sich trägt.» Man solle versuchen, alles ins Leben zu nehmen. «Wir sterben, wie wir leben.» So gebe es manche Menschen, die sich bewusst mit ihrem Leben und Tod auseinandersetzen möchten, während andere erst bereit seien, das anzuschauen, wenn
«Weil der Tod in unserer Kultur verdrängt wird, macht er Angst.»
«Wir sterben, wie wir leben» «Sterben ist ein langer Prozess», sagt Maya Signer, Leiterin der Schule für Sterbe- und Trauerbegleitung Jemanaja, «in gewissem Sinne beginnt er ja auch schon bei der Geburt. Wenn ich auf die Welt komme, sterbe ich in gewisser Weise, lasse ich doch die Geborgenheit des Mutterleibs unwiderruflich hinter mir zurück. Später erleben wir Verluste, Trennungen, Umzüge. In so vielen Situationen gibt es Schwellenerlebnisse, bei denen wir etwas zurücklassen müssen.» Dieses ganz natürliche Verbundensein mit dem Fluss des Lebens versucht Signer an ihrer Schule zu vermitteln, auch durch Gastdozenten aus verschiedensten Kulturen. Das Wichtigste bei einer spirituellen Begleitung Sterbender oder Trauernder aber sei es, zu sehen, wo man als Mensch überhaupt selbst stehe. Kann der natürliche Prozess, der da geschieht, bejaht werden? Signer hält es dabei für wichtig, Raum zu schaffen für das Geschehen, die Persönlichkeit der Begleitenden bleibe dabei im Hintergrund. «Oft muss man sich dabei zuerst mit seiner eigenen Angst konfrontieren. Weil der Tod in unserer Kultur sehr verdrängt wird, macht er Angst. Wir sind ja nicht mehr gewohnt, damit umzugehen, wir sehen niemanden mehr sterben, es gibt keine öffentlichen Leichenzüge mehr, Verstorbene werden normalerweise nicht mehr aufgebahrt.» Der Tod soll möglichst schnell verabschiedet werden. Das erschwert auch das Trauern. Oft nehmen sich die Hinterbliebenen zu wenig Zeit, um ihren Schmerz und die Traurigkeit zu verarbeiten. Das erschwert das Abschiednehmen. Im Sterbeprozess verliert man laut Signer alle festen Rollen, jegliche Kontrolle. Es gelte, alles zu verlassen, auch seinen eigenen Körper. Wer bin ich? Was bleibt von mir? Warum gerade ich? Warum gerade jetzt? Befasse man sich mit der Vergänglichkeit schon zu Lebzeiten, verlaufe SURPRISE 261/11
es so weit sei. «Für manche ist Verdrängen richtig. Das alles hat seine Berechtigung. Präsent sein und einen Menschen so zu nehmen, wie er ist, das heisst für mich Begleitung.» Der Tod als Quell des Lebens Für die meisten Menschen trägt der Tod ein bedrohliches Gesicht, was oft durch bildliche Darstellung vom Sensemann noch verstärkt wird. In Wahrheit ist es nicht der Tod, der uns erstarren lässt, sondern die Angst vor dem Tod. Sterben ist neben der Geburt unser grösster Prozess. Für Maya Signer ist es ein grosses Geschenk, wenn ein Mensch sie daran teilhaben lässt. «Wohl werde ich jedes Mal mit meiner eigenen Trauer konfrontiert, doch wenn ich sie aushalte, kommt auch eine tiefe Freude. In der Stille ist eine unermessliche Lebendigkeit, im Tod ein ganz starker Quell des Lebens.» Auch Samantha Guerini hat diese Erfahrung gemacht. «So tragisch der Tod meines Sohnes ist, so sehr ich ihn immer wieder vermisse, oft fühle ich so viel Leichtigkeit, Kraft und Humor von ihm. Manchmal stärkt er mir auch den Rücken, wenn ich zweifle.» Ganz unverhofft fühle sie dann seine Präsenz und er spreche mit ihr in seiner gewohnt lässigen Art und voller Heiterkeit: «Hey, Mutter, geh vorwärts...!» Für die Mutter ist es nicht immer ganz einfach, diese Art von geistigem Gespräch mit Silvio zuzulassen: «Manchmal ist es sogar, als würde ich mich verschliessen, weil mir die Kraft oft noch fehlt, mich mit dem Schmerz zu konfrontieren, den diese intensive Begegnung im Nachhinein auslöst. Ich muss das alles dann auch wieder auf den Boden der Realität bringen können, wo ja auch noch mein ganzer Schmerz ist, den ich nur in kleinen Schritten verarbeiten kann. Nicht immer kann ich mich in diese Tiefen begeben.» Wir leben in einer Zeit, in der viele Leute nicht mehr mit der Kirche verbunden sind. Die Folge davon ist das Fehlen von Ritualen, die aber ganz wesentlich sind, wenn der Schmerz eines endgültigen Abschieds auf die Seele einstürmt. Samantha Guerini wusste auf Anhieb, dass für ihren unangepassten, «wilden» Sohn keine normale Abdankung infrage kam, auch kein Begräbnis auf einem Friedhof. «Auch hier gab mir meine Begleiterin immer wieder Rückhalt und das Gefühl, dass wir Zeit hätten, uns alles in Ruhe zu überlegen. Wir fanden eine unkonventionelle Pfarrerin, die stimmige Worte sprach. Wir trafen uns am Fluss, wo wir ein Feuer entzündeten, Freunde spielten Musik, alle Trauernden legten ein Holz ins Feuer mit ihren Gedanken für Silvio. Begleitet von brennenden Kerzen, streuten wir einen Teil von Silvios Asche in den Fluss. Den anderen Teil werden wir, wenn wir innerlich bereit sind, in seine geliebten Wälder ins Tessin bringen, wo er mit Freunden tagelang in der Wildnis gelebt hat.» Samantha Guerini fühlte sich getragen in einem Netz vieler Menschen. «Am meisten aber hat mir geholfen, in diesem Prozess meine Zeit zu haben und die Zeit, die wir alle brauchten, um auf unsere Art von ihm Abschied zu nehmen. Das Achten, Respektieren und Wachsamsein meiner Begleiterin war ein grosses Geschenk.» ■ * Name geändert
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2000-Watt-Gesellschaft Grüner Wohnen «2000-Watt-Häuser» sind nicht nur mit ressourcenschonender Technik bestückt. Ihre Besitzer halten die Mieter auch zu ökologischem Verhalten an – eine Selbstverständlichkeit für die einen, Diktatur für die anderen. Ein Hausbesuch. VON STEFAN MICHEL (TEXT) UND ANDREA GANZ (BILDER)
Das Haus fällt auf, auf den zweiten Blick. Von weitem möchte man Architekt Raphael Frei noch zustimmen, der sagt: «Es passt sich den umliegenden Häusern mit ihren Erkern und Zinnen an.» Dann sieht man etwas genauer hin. Der beige Bau mit den goldenen Fensterrahmen scheint aus Wellkartonschachteln gestapelt. Und dann das: «Die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Hauses verpflichten sich, ihren gesamten stetigen Energieverbrauch auf maximal 2000 Watt pro Jahr zu reduzieren. Bei Vertragsbruch hat der Rest der Welt Anspruch auf Aus-
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gleich oder Schadenersatz.» Dieser Vertrag prangt an der Fassade. «Schrecklich», findet Käthi Grieder, die wie Architekt Frei zu den in die Pflicht genommenen Bewohnerinnen und Bewohnern zählt. «Die Typografie ist schlecht, und wer sich nicht an den Vertrag hält, hat nichts zu befürchten.» Dass die prominent platzierte Vereinbarung nur symbolischen Wert hat, bestätigt auch Rolf Hefti von der Baugenossenschaft Zurlinden. Diese hat das Wohnhaus mitten in Zürich bauen lassen, getrimmt auf die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft. «Das ist Kunst am Bau», erklärt er, «kontrollieren kann die Öffentlichkeit den Energieverbrauch der BewohSURPRISE 261/11
die angenommene Parkplatzvorlage der Stadt Zürich mit einer Bener natürlich nicht.» Doch der Baugenossenschaft ist es durchaus ernst schwerde. Sie sehen übergeordnetes Recht verletzt und wollen den Wegmit dem Schonen der Ressourcen. Wer in das Haus unweit des Albisfall von Parkplätzen in der Stadt nicht hinnehmen. Freie Parkplätze für riederplatzes einzog, unterschrieb das genannte – symbolische – Abfreie Bürger, sozusagen. kommen als Zusatz zum Mietvertrag. Für Käthi Grieder ist das überflüssig, weil sie, so lange sie sich erinHeizen mit Abwärme der Migros nern könne, darauf achte, die Umwelt möglichst wenig zu belasten. Nach kommunistischer Verknappung sieht die zweistöckige Vier-ZimDoch sie relativiert ihre Kritik: «Das ist Klagen auf hohem Niveau. Die mer-Wohnung nicht aus, die Raphael Frei zusammen mit seiner LebensWohnung ist toll und die Umgebung gefällt mir.» Wie sich der Appell auf partnerin bewohnt. Auf zwei Seiten lassen raumhohe Fenster viel Licht das Verhalten aller Bewohner des Hauses auswirkt, ist nicht entscheiherein, Parkett und gestrichene Tapete vermitteln einen Hauch von Altdend. Dank der Bauweise und der Haustechnik kommen alle quasi bau. Neben den Fenstern befinden sich diskrete Holzgitter – Raumlüfter, automatisch mit weniger Energie aus. Anders gesagt: Bei gleicher Ledie Frischluft einströmen lassen, ohne dass die Fenster auf die verkehrsbensweise verbraucht man weniger Energie und produziert weniger reiche Strasse hinaus geöffnet werden müssen. Geheizt wird unter andeEmissionen als in einem weniger effizienten Haus. Niemand hindert rem mit der Abwärme der Migros im Parterre. Oft reicht die Sonne, die einen jedoch daran, täglich ein Vollbad zu nehmen, bei Dauerlüftung durch die grossen, südseitigen Fenster wärmt. Frei berichtet: «Im Februzu heizen oder elektrische Apparate permanent laufen zu lassen. ar, als es relativ warm war und oft die Sonne schien, wurde uns selbst «2000-Watt-Haus» haben die Medien das Gebäude an der Badenerbei ausgeschalteter Heizung zeitweise zu warm in der Wohnung.» strasse 378/380 getauft. Das ist etwas irreführend, da sich diese Energiemenge auf Menschen bezieht und nicht auf Bauwerke. 2000 Watt pro Person und Jahr, so Der durchschnittliche Energieverbrauch der Schweizer haben ETH-Wissenschaftler errechnet, ist der liegt bei mehr als 6000 Watt pro Jahr. Verbrauch, der die natürlichen Ressourcen langfristig erhält oder – plakativer formuliert – Über 40 Prozent der Haushalte in den grössten Städten der Schweiz den Planeten im Gleichgewicht belässt. Die Bevölkerung der Stadt Zühaben kein Auto. Die Abstellplätze im Parkhaus unter der Badenerrich hat sich 2008 per Volksentscheid verpflichtet, bis 2050 eine 2000strasse 378 und 380 sind alle an Leute vermietet, die dort wohnen. «Dass Watt-Gesellschaft zu werden. Aktuell liegt der durchschnittliche Enerin der Stadt immer mehr aufs Auto verzichten, beobachten wir nicht», gieverbrauch der Schweizerinnen und Schweizer bei mehr als 6000 Watt erklärt Rolf Hefti. Dennoch baut die Baugenossenschaft Zurlinden in Züpro Jahr. rich-Leimbach eine autofreie Siedlung. Deren Mieter werden sich verpflichten, keinen Wagen zu besitzen. Dafür erhalten sie ein AbonneDer Parkplatz als Bürgerrecht ment für den öffentlichen Verkehr im ganzen Kanton Zürich. Zudem Einen nicht unwesentlichen Anteil daran hat die sogenannte graue werden den 140 Haushalten zwei Car-Sharing-Autos zur Verfügung steEnergie, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorhen. Bereits bewohnt ist die autofreie Siedlung Burgunder in Bern Bümgung von Produkten benötigt wird. Dazu zählt auch der Bau der Häupliz – dank einer Ausnahmeregelung, denn auch in Bern gilt eine geser, in denen wir leben. Der Wohnkomplex an der Badenerstrasse besetzliche Mindestanzahl Parkplätze für jedes Wohnhaus. Die Mietenden steht zum grössten Teil aus Fertigelementen aus Holz. Der Rohstoff der Siedlung Burgunder haben unterschrieben, auf ein eigenes Auto zu wuchs in der Umgebung von Zürich. Vom Material über die Transporte verzichten. Der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät betonte bis zur nötigen Bauzeit achtete die Bauherrschaft darauf, dass Emisgegenüber dem Schweizer Fernsehen: «Wenn sich herausstellen sollte, sionen reduziert und Energie gespart wurde. Um die gute Absicht mit dass der Vermieter den Verzicht aufs Auto nicht durchsetzt, werden wir Zahlen zu belegen, liessen die Verantwortlichen den künftigen Enerverlangen, dass er die Parkplätze nachbaut.» gieverbrauch der Bewohner hochrechnen. Die graue Energie des WohnAn der Badenerstrasse muss niemand aufs Auto verzichten. Im hauses (inklusive dessen Abbruch in ferner Zukunft) floss ebenso in die Gegenteil. Die ressourcenschonende Bauweise gibt ihnen gewissermasKalkulation ein wie die zu erwartende Mobilität der Mieter. Zwischen sen einen Startvorteil, brauchen sie doch fürs Wohnen wesentlich weAlbisriederplatz und Stadion Letzigrund gelegen, ist das Gebiet vom öffentlichen Verkehr bestens erschlossen. Die 35 Parkplätze für die 54 Wohnungen entsprechen dem vorgeschriebenen Minimum im Verhältnis zur Wohnfläche. Das Resultat: Das Gebäude erfüllt die Zielwerte, welche für das Erreichen der 2000-Watt-Gesellschaft nötig sind. Berechnet hat das ein auf Nachhaltigkeitsfragen spezialisiertes Architekturbüro in Zürich. Mietern eine umweltfreundliche Lebensweise nahezulegen, das mag einigen als Schritt in die richtige Richtung erscheinen. Aber nicht allen. Eine «Ostblockmentalität» erkennen rechte Kreise im ökologischen Wohnungsbau. Der Begriff stammt vom Zürcher SVP-Gemeinderat Bernhard im Oberdorf. Für ihn steht fest, dass die Menschen in solchen Häusern gezwungen werden, grüne Ideale zu befolgen; inklusive Denunziantentum bei Verstoss. Hintergrund dieser Aussage ist ein weiterer Entscheid der Stadtzürcher Stimmbevölkerung: Sie reduzierte die vorgeschriebene Mindestzahl an Parkplätzen pro Wohnfläche und erhöhte jene der Veloabstellplätze. Wo die öffentlichen Verkehrsanschlüsse gut sind, darf gänzlich auf Autoparkflächen verzichtet werden. Bereits ist die Wohnüberbauung Kalkbreite an zentraler Lage mit gerade mal zwei Behindertenparkplätzen bewilligt worden – bei 88 Wohnungen. Die Zürcher Sektionen von Gewerbeverband, Autoclub der Schweiz, Durch die diskreten Holzgitter strömt Frischluft. Hauseigentümerverband und die Zürcher City-Vereinigung bekämpfen SURPRISE 261/11
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Raumhohe Fenster, ein Hauch von Altbau: Raphael Frei wohnt zweistöckig.
Der Vertrag als Kunst am Bau – die Mieter haben ihn aber unterschrieben.
Rechte Kreise erkennen im ökologischen Wohnungsbau eine «Ostblockmentalität».
niger Energie als die Mehrheit. Ein Freipass für Intensivautofahrer und Vielflieger ist das allerdings nicht. Raphael Frei hat seinen persönlichen Energieverbrauch mithilfe eines Onlinerechners abgeklärt. «Ich kam auf etwas unter 4000 Watt. Dann begann ich Werte einzugeben, nach denen ich mich einschränken müsste. Was ich auch tat, ich kam nicht unter 3000 Watt.» 2000 Watt pro Person sind ein langfristiges Ziel. Um es zu erreichen, sind wesentliche technische Fortschritte und wohl auch Verzicht auf gewisse Annehmlichkeiten nötig. Das Paul Scherrer Institut bezeichnet 3500 Watt pro Jahr als den tiefsten realistischen Wert. Weniger sei nur mit deutlichen Komforteinbussen zu erreichen. Mehr Wohnraum pro Person Ein anderer ökologisch ungünstiger Trend macht auch vor dem vorbildlichen Wohnhaus an der Badenerstrasse nicht Halt: Die Wohnfläche pro Person steigt. Mehr Raum heisst mehr Heizenergie, mehr Beleuchtung, mehr elektrische Apparate. Nicht zuletzt bedeuten grössere Wohnflächen mehr verbauten Boden. Begnügten sich die Schweizerinnen und Schweizer nach Angaben des Bundesamtes für Statistik 1980 noch mit 34 Quadratmetern pro Person, waren es 2000 schon deren 44. Neuere Werte liegen noch nicht vor. Hält das Wachstum an – und davon ist angesichts des Bodenverbrauchs auszugehen –, dann liegen Raphael Frei und seine Lebenspartnerin im aktuellen Schnitt: Ihre Vierzimmerwohnung misst 98 Quadratmeter. Bescheidener ist Käthi Grieder, die sich mit
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ihrer Partnerin drei Zimmer und gut 80 Quadratmeter teilt. Sie leben sozusagen in den Neunzigern. Wie steht es denn nun mit dem prophezeiten tiefen Energieverbrauch an der Badenerstrasse? Die Mieterinnen und Mieter sind erst im Mai 2010 eingezogen, es ist also noch sehr früh für ein Fazit. Die Genossenschaft hat soeben die Nebenkosten für das erste Jahr abgerechnet. Hefti erklärt nicht ohne Stolz: «Obwohl wir die Nebenkostenakonti deutlich unter dem Durchschnitt angesetzt haben, müssen wir unseren Mietern einen wesentlichen Teil zurückzahlen.» Konkret: Im Schnitt bezahlen die Mieter einer Vierzimmerwohnung im ersten Jahr 650 Franken für Heizung, Kalt- und Warmwasser sowie die Fensterreinigung auf der Strassenseite. Zum Vergleich: In einer anderen, gut zehnjährigen Überbauung der Baugenossenschaft Zurlinden werden in einer gleich grossen Wohnung jährlich alleine fürs Heizen 1300 Franken fällig. Gegen tiefere Heizkosten hat ausser den Ölverkäufern wohl niemand etwas. Aber natürlich belasten einige lieber die Umwelt stärker, als sich bevormunden zu lassen. Öko-Wohnhäuser sind für sie Feindesland. Und es gibt die anderen, die genau so leben wollen – es sind mehr, als die Wohnungen aufnehmen können, die in den nächsten Jahren gebaut werden. Auch das könnte man Ostblock nennen. ■ SURPRISE 261/11
Kurzgeschichte Über den Pass VON DOROTHEE ELMIGER
Wem gehören diese Berge? Mein Bruder sagt, dabei handle es sich ja nur um aufgeschobenes Gestein. Der Vogel pfeift: die alte Leier. Und Franz Abdu? Er sitzt in einem Sessel und schläft. Das ist der Schlaf des Dichters!, flüstert da jemand, er denkt jetzt wohl an die Winde hier an diesem Ort, denkt an Flussfahrten, an Saumpfade, an Dichtung und Wahrheit, an Schall und Krawall, die Verzweigungen der Täler, das Rauschen der Autobahn, an die Zeit und die Mühsal der Menschen: Was ist jetzt aus ihnen geworden? Woran ein Dichter so denkt in seinem Schlaf, flüstert da jemand. Als er aufwachte, sprach Franz Abdu von einer längeren Wanderung, im Schlaf sei ihm der Gedanke gekommen von einer landeskundlichen Reise, auf die er sich nun zu begeben gedenke. Die Flüsse als Verkehrsnetz, schlug ich vor. Der Boxer Michael Ibo Sperberbaechel stand beim Fenster mit dem schweigsamen Vogel auf seiner Schulter und schlug stattdessen eine Überquerung der Pässe vor. Ja!, rief mein Bruder, die Pässe sind sehr naheliegend! Pass wie in Passage, notierte Franz Abdu. Michael Ibo Sperberbaechel schob das Auto leicht an, der berühmte Trompeter Hans-Peter Finsterhaus stand daneben auf dem Trottoir und blies ein leises fare well, darüber des Boxers Vogeltier. Wir sind also über den Pass gefahren. Es war ein Schweizer Pass, er unterschied die Schweiz von Italien, das eine von dem anderen Land. Einmal vorwärts sind wir über den Pass gefahren und dann wieder zurück. Die Vögel pfiffen hell begeistert aus ihren Verstecken. Einige Bäume neigten ihre Wipfel, nickten, ja ja, sie hatten sich ihre Ruhe bewahrt. Auf dem Rücksitz Franz Abdu, Marie-Louise Ach und Marion Jacobo, neben mir mein Bruder, der schlief. Und wir fuhren, wir fuhren, wir fuhren zusammen über den Pass, unmerklich: Es passierte nichts. Es wehte kein einziger Wind, ein paar Tiere gingen in der Ferne. Franz Abdu las auf dem Rücksitz ein Gedicht zur Feier des Tages. Über die Bedeutung des Schweizer Passes, heisst es – so sagte er und seine Stimme zitterte ein wenig, als er merkte, dass wir alle feierlich lauschten. Das Gedicht war lang und es wurde deutlich, dass Franz Abdu diese Fahrt sehr ernst genommen und von allen Seiten beleuchtet hatte. Es endete mit der Frage, ob die Schweizer Pässe verschwinden würden, führe man nur lange genug immer wieder darüber hinweg. Aber, sagte Franz dann noch, das Gedicht hätte genauso gut den Titel Bezweiflung der Schweizer Pässe tragen können. Verzweiflung, sagte Marie-Louise. Es gibt Täler, die sich immer weiter verzweigen, wisst ihr das? Seht ihr die Fabriken am Rande des Flusses stehen? Glaubt ihr eigentlich, dass hier früher die Postkutschen fuhren? Ist das der Eingang zur Alpenfestung? Könnte man hier leben? Wie heisst das kleinste Tier, das sich von Fleisch ernährt? Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann? Wem gehören diese Berge? Mein Bruder sagt, dabei handle es sich ja nur um aufgeschobenes Gestein. Auf dem Parkplatz beim Aussichtspunkt sassen wir lange Zeit still im Auto. Es hing eine kleine Schweizer Fahne reglos an der Stange. Fast schliefen wir ein, ruhig wie die Bäume, hatten wir keine Angst. Ein Passant kam einmal vorbei und rief uns zu: Ist er nicht schön, dieser Pass? Seht ihr, wie die heimatliche Strasse sich windet? Seht ihr die Gämsen, die flanieren? SURPRISE 261/11
Mein Bruder, der von dem Lärm aufgewacht war, drehte das Fenster herunter und rief zurück, einige von uns hätten mit eigenen Augen noch nie einen Schweizer Pass gesehen. Der Mann rief, ja, das sei bedauerlich, aber nicht allen vergönnt, auch er hätte ausländische Freunde. Aber wie stellen Sie sich das vor, rief er weiter, die Strassen wären sofort überlastet, wir blieben auf der Strecke, auf der Strecke, kämen nirgends mehr hin, sässen fest in unseren Fahrzeugen, die Gämsen machten sich aus dem Staub und die Steinböcke auch. Ja, die Steinböcke, rief er zum Schluss noch, ein gutes Beispiel! Sie seien nämlich unbedingt zu schützen, ja, die Steinböcke hätten nämlich auch schon bessere Zeiten gesehen und es gäbe doch in diesem Land eine Tradition der Hilfestellung. Aber eben, den Steinböcken würde es auch nicht helfen, wenn immer mehr Leute über diese Pässe führen oder womöglich sogar kurzerhand die Alpen überquerten auf eigene Faust und so durch das ganz natürliche Habitat der Tiere marschierten. Franz Abdu machte sich auf dem Rücksitz Notizen und mein Bruder sagte, das Wandern sei des Müllers Lust. Was er sich denn da immer aufschreibe, der auf dem Rücksitz, rief der Passant schliesslich noch über den Parkplatz. Mein Bruder hub schon an zu einer Antwort, da legte ihm Franz die Hand auf die Schulter und stieg aus, er blätterte in seinem Notizheft und las laut vor: Ich kam aus einer Waldstätte. Es trug mich ein Windstoss aus dem Fenster der Charité. In Dakar betrat eine schwangere Frau das Spital (Hôpital Principal). Oder war es doch am Mittelmeer, wo ich der Mutter entwischte. Es gibt ein Tal, ’s heisst: Elendstal, wer weiss, wer weiss wo. Und ich ziehe mit dem Wetter und den besten Absichten, einmal war alles terra continens, jetzt hab ich längst mehr als drei Staaten durchschritten, oha!, wer weiss, wer weiss wo und die Vögel, sie sind doch meist unterwegs. Wir sassen da und betrachteten die Wechsel des Lichts auf dem Pass. Mein Bruder war wieder eingeschlafen, sein Schlaf war tief. Kaum Geräusche mehr: Wir hatten es über diesen Schweizer Pass geschafft und die Ruhe bewahrt, aber heimlich erwarteten wir ein Gewitter. Wir studierten die Bäume an dieser Stelle der Strasse und ich schlug vor, sie Pinien zu nennen. Zedern, sagte Marion mit leiser Stimme, um den Bruder nicht zu wecken, und Weiden. Zypressen, sagte Marie-Louise noch, Maulbeerbäume, rief Franz, kurz vor dem ersten Regen, Blitz und Donner. Und dann schwiegen wir, als der Wind aufkam, als die Bäume nun doch noch die Ruhe verloren und wir mit ihnen. ■ Zur Person: Dorothee Elmiger wurde 1985 in Wetzikon geboren und wuchs in Appenzell auf. Sie lebt heute in Berlin und in der Schweiz. Ihr erstes Buch «Einladung an die Waghalsigen», das 2010 erschien, wurde mehrfach ausgezeichnet.
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BILD: ANDREA GANZ
Le mot noir Solider Return Kürzlich samstags im Café. «Keine Ahnung wie ich das Freddy beibringen soll», wedle ich mit einer Zeitung vor mich hin. «Du meinst, dass er aufhören muss, in deinem Wohnzimmer rumzuhängen?», stiert meine Jugendfreundin Nina in ihren Kaffee. «Ist doch ein totales No-Go, oder?» «Nein, ein totales No-Go ist, dass keiner mein Projekt kaufen will!» «Versteh ich nicht», bin ich ehrlich überrascht. «Seit wann machst du denn auf Loser?» «Dabei ist es ein wunderbares Projekt! Für die Alten und Kranken und deren Angehörige!», regt sich Nina auf Knopfdruck auf. «Eine Entlastung für unser Sozialsystem!» «Klingt doch gut», nicke ich mit, damit der Kaffee auf dem Tisch bleibt. «Und wo ist das Problem? Sterben die Kunden weg, bevor sie zahlen können?» «Überhaupt nicht! Es macht nur nicht riesig viel Profit!… Scheisse! Dabei stimmen
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die Zahlen, nichts gefälscht, das Projekt ist gesund, aber will es einer haben? Nein!» «Vielleicht liegt da das Problem», wage ich mich langsam vor. «Du bist zu ehrlich und zu gut?» «Ich klaue hier manchmal die Zeitung», zischt Nina den Tränen nah über den Tisch. «Okay, das ist ein bisschen daneben», gebe ich zu. «Und wenn du dir abguckst, wie andere sowas machen? Die Banken zum Beispiel. Da wird Profit sogar verzockt, und trotzdem reitet keiner auf ‹sozial› herum. Wäre vielleicht eine Idee?» Aber Nina rührt weiter in ihrem Kaffee. «Ich werde schon ein Grounding nie verstehn», brütet sie. «Ich meine, kennst du eine Hausfrau, die ein paar Milliarden Minus locker in ihrem Milchbüchlein verbucht?» «Nein», grinse ich. «Aber wenn die dann sagt, ‹Hey, wir sind ein bisschen knapp, tretet mal auf die Bremse!, heisst es, sie versteht den Return nicht. Oder sie sabotiere den Bubentraum!» «Soziales Prestige ist heute nichts mehr wert», heult Nina jetzt wütend in ihren Kaffee. «Dabei kittet das doch die Gesellschaft!» «Und wenn dus einfach umdrehst?», überlege ich vor mich hin. «Der Mörtel dem Backstein sagt, wo er hingebaut wird?» «Kannst du mit deinen Metaphern warten, bis das Projekt in guten Händen ist?», schüttelt Nina nur den Kopf. «Okay, dann vielleicht noch einen Kaffee?» «Das Projekt hat wirklich Zukunft!», heult Nina weiter. «Und das für alle, meine ich!» «Oder
nur ein Croissant?», nicke ich. «Kein Croissant – ich weiss nicht, was ich machen soll!» «Du könntest vielleicht ein paar Hausfrauen anfragen?», denke ich nach. «Dann legen alle zusammen und päppeln dein Baby auf, bis es gross und stark ist. Das nennst du dann ‹mit soliden Erfahrungswerten handeln› oder so. Könnte attraktiv sein!» «Meinst du, sowas geht?», schöpft Nina wieder Hoffnung. «Und wenn wir das machen, haben wir dann diesen Return?» «Hast du ein Milchbüchlein?», grinse ich. «Vielleicht nehme ich doch einen Kaffee.» Eine halbe Stunde später in der Papeterie. «Wer ist dieser Freddy überhaupt?», will Nina wissen. «Ich lüfte, er huscht ins Wohnzimmer! Ist doch ein No-Go, oder!», bin ich rapido am Anschlag. «Redest du von diesem Igel», grinst Nina endlich zum ersten Mal. «Und ich dachte schon, ich bin der Loser.»
DELIA LENOIR LENOIR@HAPPYSHRIMP.CH ILLUSTRATION: IRENE MEIER (IRENEMEI@GMX.CH) SURPRISE 261/11
Culturescapes Kulturlandschaften Israel ist das diesjährige Gastland des Kulturfestivals Culturescapes. In Musik, Theater, Film und etlichen anderen Kunstdisziplinen bildet sich die Gesellschaft des Landes ab. Und wird hörbar, sichtbar, begreifbar.
Macht Kultur das Land? Oder macht das Land Kultur? Und wie würde wohl die Landkarte einer Kulturlandschaft aussehen? «Ich suche nach einer Wurzel, warum es Kunst und Kultur braucht», sagt der Initiator und Festivaldirektor von Culturescapes, Jurriaan Cooiman. Keine einfache Aufgabe. Culturescapes nimmt dafür seit 2003 jedes Jahr ein Land unter die Lupe. «Ursprünglich wollte ich ein Musikfestival in der Schweiz durchführen, mit dem Schwerpunkt: Was ist das kreative Milieu um Musik herum zu dem Zeitpunkt, in dem sie entsteht?», blickt Cooiman zurück. Aus dem Musikfestival ist ein spartenübergreifendes Kulturfestival entstanden: In 27 Schweizer Städten finden dieses Jahr über 40 Veranstaltungen aus den Disziplinen Musik, Kunst, Theater, Film, Tanz und Literatur statt. Das Gastland heisst Israel. Die israelischen Produktionen sind stark geprägt von der Geschichte des Landes mitsamt seinen Traumata. Für Israel hat sich Cooiman entschieden, weil er bei seinen Reisen dorthin feststellte, unter welchem Druck in diesem Land die Kultur entsteht. «Dieser Druck ist im ganzen Land spürbar – es gibt keine definierten Grenzen, das Land besteht aus Hunderten von Nationen, aus einer langen Geschichte von Zuwanderung, unter einer wahnsinnigen Kluft zwischen Reich und Arm, unter der Utopie von Einheit und Sozialismus», erläutert Cooiman seine Wahl. Und was macht die Kunst mit diesen Landeseigenheiten? Der Festivalleiter sei auf drei Muster gestossen, wie israelische Künstler mit der Geschichte ihres Landes umgehen: Die einen laufen weg vom Thema, andere instrumentalisieren es. Und Dritte versuchen, das Geschehene zu verarbeiten. Letztere gehören zu den Künstlern, die den thematischen Schwerpunkt von Culturescapes bilden. Diejenigen, die ihren Rucksack mit dabeihaben. Und hierin liegt für Cooiman auch ein Teil der Antwort, wo die Wurzel von Kunst und Kultur zu finden ist: in der Verarbeitung von Geschehenem. Die Kultur als Spiegel der Gesellschaft. Die Opla Companya und Daniel Landau beispielsweise geben in «reside 1.1 – Jessy Cohen» Einblicke in ihren Rucksack: Sie kombinieren Live-Performance und Dokumentarfilm und thematisieren dabei Beziehungen zwischen Migranten und der Gesellschaft, in welche sie einwandern. Jessy Cohen heisst ein Migrantenquartier in Holon bei Tel Aviv. Viele soziale Konflikte Israels bilden sich in Jessy Cohen ab, weil neue Einwanderer Tür an Tür mit Migrationsveteranen in einer angespannten Realität leben. Eine ganz andere Form der Verarbeitung hat Yasmeen Godder gewählt: In ihrer Tanzvorführung «Storm End Come» geht es um eine Gefühlswelt, um persönliche Antworten der Tänzer und Tänzerinnen auf SURPRISE 261/11
BILD: ITZIK GIULI
VON FABIENNE SCHMUKI
Menschen, die zucken und zittern: «Storm End Come» von Yasmeen Godder.
die Frage nach ihrer Identität vor einer sozialen Ordnung. Das Zucken und Zittern der tanzenden Körper zeigt den Überfluss an Energie, die nach draussen will. Die innere Unrast einer Person, einer Generation wird verbildlicht. Erstmals findet 2011 auch eine «Gegenveranstaltung» im Gastland statt. Die Swiss Season, die von Oktober bis November dauert, bringt 35 Schweizer Kulturveranstaltungen nach Israel. Darin werden weniger landesspezifische Konflikte thematisiert als vielmehr europäische Themen in den Fokus gestellt. Ziel der Swiss Season sei der «interkulturelle Austausch», so schreibt Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey, die 2011 das Patronat für das Festival übernommen hat, in ihrem Grusswort. «Die Swiss Season erlaubt Schweizer Künstlern, Partnerschaften mit israelischen Künstlern zu schliessen, und es ergeben sich Einblicke in andere Gesellschaftskulturen», erläutert Cooiman. Spielt man damit vielleicht auch auf eine fehlende Weltoffenheit der Schweizer Bevölkerung an? Das Bild sei vielleicht etwas naiv, meint Cooiman weiter, aber wenn wir uns alle mehr herauswagen würden, in alle Richtungen, dann könnte man das Zusammenleben grenzübergreifend besser gestalten. Ein fortschrittlicher Gedanke, und auch mutig. Aber, so Cooiman: «Kultur darf das wagen.» ■
Culturescapes, noch bis Ende November in Basel, Bern, St. Gallen, Zürich und anderen Orten in der Schweiz. www.culturescapes.ch
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BILD: ZVG
BILD: ZVG
Kulturtipps
Nicht nur Ramsch: Auf dem Flohmarkt gibt es sogar stumme Männer.
Der Magier, das Mädchen und die Macht der Magie.
Buch Klangkarte einer Stadt
DVD Magie und Zeichentrick
Neunmal ist Rafik Schami erzählend um die Erde gereist. Nun erinnert sich der 65-Jährige, wie er zum Erzähler wurde.
Sylvain Chomet, der Macher von «Les Triplettes de Belleville», adaptierte für «L’Illusioniste» ein Script von Jacques Tati: die Geschichte eines Magiers und eines Mädchens. Und vom Verfliegen des Zaubers.
VON CHRISTOPHER ZIMMER
2321 Lesungen und 362 723 Reisekilometer sind es gewesen, wie Rafik Schami dank seiner Steuerberaterin weiss. Zeit für ihn, um zurückzublicken und über die prägenden Erlebnisse zu schreiben, die ihn dazu gebracht haben, einen scheinbar wahnsinnigen Schritt zu tun: eine sichere, hochdotierte Stelle als Chemiker aufzugeben und den unsicheren Beruf des Erzählers zu ergreifen. Und das in einer fremden Sprache! Geboren in Syrien als Suheil Fadél, nannte er sich, um seine Familie zu schützen, nach seiner Flucht ins ferne Deutschland Rafik Schami: Damaszener Freund. Seiner Heimatstadt blieb er verbunden, auch wenn er seit 40 Jahren nicht mehr dort war und nicht nur in Damaskus unwillkommen ist – in politischen nicht weniger als in akademischen Schriftstellerkreisen. Die Stadt, die in seinen Erzählungen lebendig wird, ist immer auch bedrohte Vergangenheit – nicht zuletzt, weil die arabische Kultur sehr wortbetont ist. Schamis Erzählkunst wurzelt in der mündlichen Überlieferung. Er selber sieht sich als Nachfolger der arabischen Geschichtenerzähler. Selten liest er aus seinen Büchern vor, in der Regel erzählt er frei. Dass er seinen Werdegang nun schriftlich festhält, ist ein notwendiger Widerspruch. Und so erzählt er von seinem Grossvater, der den Siebenjährigen auf den Flohmarkt mitnimmt, wo eine Frau ihren schweigsamen Mann verkauft – weshalb sich der junge Schami schwört, den Frauen Geschichten zu erzählen, damit sie ihn nie verkaufen. Oder von den Geschichten aus 1001 Nacht, die im syrischen Radio gelesen werden und ihn die Kraft der Märchen spüren lassen. Das Damaskus seiner Kindheit ist von den Geschichten und den Düften des Orients erfüllt, der Strassenplan eine Klang- und Duftkarte der Stadt. Daneben finden sich auch ein lesenswerter Essay über Märchen und der Abdruck der Rede zur Brüder-Grimm-Professur an der Uni Kassel. Das ist mitunter recht anspruchsvoll, aber es gelingt Schami, der Theorie das Sperrige zu nehmen, indem er sie fliessend ins Fantastische übergehen lässt. Wie selbstverständlich tritt etwa Don Quijote auf, um ihn, gegen alle Kritik, in seiner Lebensmission zu bestärken. Denn «Erzählen gleicht dem Leben, Schweigen dem Tod».
VON NILS KELLER
Rafik Schami: «Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte.
Der titelgebende Magier ist ein alternder Gentleman, der Ende der 50erJahre gezwungen ist, die grosse Bühne für Rock’n’Roll-Bands freizumachen. So landet der Franzose schliesslich in einem Kaff an der schottischen Küste. Sein Auftritt zur Feier des frisch gelegten Stromanschlusses verzückt das jugendliche Mädchen Alice. Er lässt aus dem Nichts – in ihren Augen – ein Paar rote Lackschuhe erscheinen, woraufhin sie sich bei seiner Abreise an seine Fersen heftet. Zusammen gelangen sie nach Edinburgh, wo sich zwischen ihnen eine harmonische Freundschaft entwickelt: Er zeigt seine Tricks vor schwindendem Publikum, während sie den gemeinsamen Haushalt im lokalen Hotel des kauzigen Vaudeville-Volks führt. Doch lange werden Zaubertricks und das einfache Bühneneinkommen nicht reichen, um ihr sorgenfreies Leben aufrechtzuerhalten. Wie die Geschichte erahnen lässt, hat Chomet hier in keiner Weise einen geistigen Nachfolger zu seinem Hit «Les Triplettes de Belleville» gesucht. Der selbst nach Edinburgh ausgewanderte Franzose kam über Tatis Tochter zum Script. Die Regielegende Tati – dessen bürgerlicher Name «Tatischeff» auch der Bühnenname des Protagonisten ist – hatte die Geschichte als Hommage an seine Tochter geschrieben, jedoch nie verfilmt. Solchen Stoff heutzutage im handgezeichneten Stil der Disneyfilme der 60er auf die Leinwand zu bringen, mag gewagt scheinen. Chomet und einer Heerschar von Zeichnern ist in fünfjähriger Arbeit das Kunststück jedoch bravourös gelungen. Episodenhaft erleben wir die Gezeiten des Vater-Tochter-Gespanns – gespickt mit liebevoll überzeichneten Nebenfiguren wie dem dickleibigen, weissen Kaninchen des Magiers. In ruhigen Einstellungen bleibt genügend Zeit für das Farbenspiel der Landschaften oder slapstickartige Auftritte. Mit kaum einer Zeile Dialog – ausser dem kauderwelschen Gebrabbel des benachbarten Bauchredners – wird das Publikum zum staunenden Beobachter. «L’Illusioniste» selbst ist als Film ein stilvoller Gentleman, unter dessen ergrauten Augenbrauen ein Schalk leuchtet, der mehr vom Leben erzählt, als es Worte je könnten.
Oder wie ich zum Erzähler wurde.» Hanser 2011, 25.90 CHF.
«L’Illusioniste» (FR, UK 2010), 80 Min. Original, Untertitel in Deutsch Extras: Behind The Scenes, Trailer, Fotogalerie http://lillusionniste-lefilm.com
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Die Fährfrau bricht das Eis: Sabine Brönnimann spricht über den Abschied.
Erzählabend Alles wahre Geschichten Denise Meili und Mathias Kippe bieten im Erzählcafé eine Plattform für Geschichten aus dem Leben. Mitreden dürfen alle. Zuhören sowieso. VON FABIENNE SCHMUKI
Geschichten, die das Leben schreibt, sind bekanntlich die besten. So vielfältig wie die Menschen selbst, so unterhaltend wie ihre Erzähler. Was gibt es also Besseres als einen Geschichtenabend voller Zeugenberichte und Schicksalserzählungen? Die Idee stammt aus Berlin: Im Erzählcafé wollte man nach dem Mauerfall die Ost- und Westberliner einander näherbringen, indem sie sich Geschichten aus ihren Leben erzählten. Und siehe da: So unterschiedlich die historischen Gegebenheiten, so verschieden die gesellschaftlichen Strukturen, so sehr ähneln sich die Geschichten von Liebeskummer, Heimweh oder Kinderstreichen. Seit 2005 moderiert das Schauspielerduo Denise Meili und Mathias Kippe im Zentrum Karl der Grosse in Zürich ebensolche Erzählcafé-Abende. Das Erzählcafé hat immer ein fixes Thema und einen Überraschungsgast. Dieser eröffnet den Abend mit einer passenden Geschichte. Danach ist die Bühne frei für das Publikum. Funktioniert das? «Auf jede Eröffnungsgeschichte des Überraschungsgastes folgt eine Pause von vielleicht zehn Sekunden, das muss man aushalten. Dann aber kommt immer jemand mit einer Geschichte. Wahrscheinlich will niemand dem anderen zuvorkommen», weiss Kippe. Höflichkeit statt Schüchternheit also im Schweizer Publikum. Die Gästeliste präsentiert sich vielfältig: Wolfgang Nägeli von der Nägeli Umzüge AG sprach über den «Umzug in ein neues Zuhause». Martha Regli, die Autorin von «Hummer und Haschguezli», erzählte zum Thema «Erste Liebe» die Geschichte aus ihrer Kindheit, als sie im Namen der Liebe einen Bahnhof abgefackelt hat. Zum ersten Erzählcafé-Abend im Herbst 2011 war Fährfrau Sabine Brönnimann zum Thema «Abschied» geladen. Geschichten können emotional tiefschürfend sein – oder im Gegenteil, sagt Kippe: «Die Erfahrung zeigt, dass es gerade bei Themen, die auf den ersten Blick belanglos scheinen, auch mal Tränen geben kann. Und Themen, die einen stark emotional gefärbten Eindruck machen, können ganz lockere Abende zur Folge haben.» Der Abend im Erzählcafé ist also vor allem eines, nämlich unvorhersehbar. Wie das Leben selbst, und die Geschichten, die es schreibt.
Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
01
Philip Maloney, Privatdetektiv
02
VXL gestaltung und werbung ag, Binningen
03
Scherrer & Partner GmbH, Basel
04
Balcart AG, Carton Ideen Lösungen, Therwil
05
KIBAG Bauleistungen
06
responsAbility, Zürich
07
Odd Fellows, St. Gallen
08
Coop
09
Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Ottenbach
10
Velo-Oase Bestgen, Baar
11
Schweiz. Tropen- und Public Health-Institut, BS
12
Augusta-Raurica-Loge Druidenorden Basel
13
Druckerei Hürzeler AG, Regensdorf
14
Klinik Sonnenhalde AG, Riehen
15
Stellenwerk AG, Zürich
16
www.bauernschlau.ch, Hof, Web, Kultur
17
Axpo Holding AG, Zürich
18
AnyWeb AG, Zürich
19
Niederer, Kraft & Frey, Zürich
20
Gemeinnütziger Frauenverein Nidau
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Knackeboul Entertainment, Bern
22
Locher Schwittay Gebäudetechnik GmbH, Basel
23
Kaiser Software GmbH, Bern
24
Responsability Social Investments AG, Zürich
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Lions Club Zürich-Seefeld
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Strassenmagazin Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
Erzählcafé, immer am letzten Dienstag im Monat, 18.30 Uhr. 25. Oktober: Thema «Mein Schmuck», Zentrum Karl der Grosse, Zürich. www.improundcontra.ch
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BILD: ZVG
BILD: ZVG BILD: EDOUARD RIEBEN
Ausgehtipps
Ehemänner als freischwebende Astronauten.
Biel / Solothurn Wortschlachten unter Karrieristinnen Plots, Thesen, Botschaften? Interessieren Felicia Zeller nicht. «Wenn ich Thesen hätte, würde ich sie an die Kirchtür schlagen», sagt die angesagte Dramatikerin aus Berlin-Neukölln. Ihr Stück «Gespräche mit Astronauten» war eigentlich eine Auftragsarbeit für das Theater Freiburg, nur hatte man dort ein Schauspiel mit Botschaften erwartet. Solche könne man bei ihr aber nicht bestellen, sagte sie dem «Spiegel» im Interview. Also liess sie ihr Stück am Theater Mannheim uraufführen, mit grossem Erfolg. Zeller interessiert sich für die Oberfläche, sprich, die Sprache. Ihre Protagonisten spielen mit Worten, ja regelrechte «Wortschlachten» lässt sie sie aufführen. Ihr neuster Wurf dreht sich um Karrierefrauen, die sich Au-pairs als Billiglohnkräfte halten. Ihre Männer sind grösstenteils abwesend, schweben wie Astronauten um sie herum. Wenn sie Kontakt zu den Au-pairs aufnehmen, dann, um sie anzumachen. Laura Koerfer stellte in ihrer Inszenierung konsequenterweise die Sprache in den Vordergrund, die Aufführung überzeugt aber ebenso mit pantomimischen, tänzerischen und körpersprachlichen Elementen. Das Premierenpublikum war begeistert. (fer)
Kein Platz für Helden: T. Raumschmiere im Dachstock.
Groove, Humor und Grössenwahn: Balthazar.
Bern Reitschule feiert!
Winterthur / St. Gallen Lässige Melange
«Reitschule bietet mehr», hiess die Parole, als im Herbst vor einem Jahr lokale SVP-ler wieder einmal den – erfolglosen – Versuch unternahmen, den «Schandfleck von Bern» wegzuputzen. Nun ist man in der Regel gut beraten, Abstimmungsslogans nicht für bare Münze zu nehmen. Doch das Berner Kollektiv-KulturParty-Politik-Integrations-und-so-weiter-Wunder ist eine Ausnahme, auch in dieser Hinsicht. Das soll Ende Oktober wieder einmal ordentlich gefeiert werden – DIE Gelegenheit, sich von dessen Angebot überzeugen zu lassen, sich reinzustürzen und darin zu verlieren. Im Tojo-Theater gibt es zum Beispiel ein «MusikRoboter-Objekt-Theater-Spektakel» namens «Six Freaks Under», im Kino lädt «Zaffaraya 3.0» zu einer «Reise in die Innenräume anarchistischer Subkultur in Bern», im «Sous le Pont» wird «fein gegessen» und katergefrühstückt, und in Dachstock und Frauenraum wird natürlich fast rund um die Uhr zu Live- und DJ-Musik abgetanzt. Wen angesichts des wilden Volks in der Reitschule noch Berührungsängste plagen oder wer einfach endlich mal eine Übersicht über den sozialen und kulturellen Wildwuchs gewinnen möchte, der kann sich zum Auftakt einer Führung anschliessen. Diese sei auch Zeitgenossen ans Herz gelegt, die Alternativkultur immer wieder mit Flecken auf einem Postkartenbild verwechseln. (fer)
Sein erstes Album «Applause» nennen, das setzt Grössenwahn und/oder Humor voraus. Beide Eigenschaften bilden nicht die schlechteste Voraussetzung für gute Musik. Vereint findet man die Attribute öfter bei Bands aus Belgien. Denken Sie an Triggerfinger. An Deus. An Ghinzu. Und bald werden Sie an Balthazar aus Gent denken, die hierzulande noch zu entdecken sind. Ganz so überdreht wie Deus oder Ghinzu gehen Balthazar auf dem erwähnten Erstling nicht ans Werk, ihren Indierock mit saftig groovendem Bass spielen sie betont beiläufig. Eine Portion Nonchalance darf sein, denn das machen Spoon auch so. Jawohl Spoon, denn diese ewig unterschätzte USTruppe liefert die offensichtlichste Referenz für Balthazars lässig gespielte Melange aus Blues, Soul, Rock und Elektro. Tanzmusik für Genauhinhörer. (ash) Donnerstag, 3. November, Gaswerk, Winterthur; Freitag, 5. November, Palace, St. Gallen.
Anzeige:
Reitschulfest 2011, Reitschule Bern. Vom 28. Oktober, 18 Uhr (Führung), bis 30. Oktober 5 Uhr (Katerfrühstück). www.reitschule.ch
«Gespräche mit Astronauten», Schweizer Erstaufführung, Theater Biel Solothurn. Solothurn: 28. Oktober, 30. November, Biel: 9., 18., 19. November, jeweils 19.30 Uhr, am 19. November 19.00 Uhr.
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Putzzeug als Zirkusutensilien: Silvanellas Seiltanz.
Kunstpause: Mit dem Laptop in der Lounge.
Auf Tournee Seiltanz und Schneckendressur
Basel Stimmen auf dem Drahtseil
Kinder lieben den Zirkus und träumen von Auftritten in der Manege. Und manchmal erwachen bei den Grossen die alten Träume neu. So wie bei Milly und Silvie, zwei Frauen im besten Alter, die ihren Kindertraum verwirklichen und einen Zirkus gründen. Ein Zelt haben sie zwar nicht, dafür Putzutensilien, Kartonschachteln, Klebebänder und auch einen alten Kassettenrekorder. Nach nur zwei Proben feiert das Duo seine Premiere. Die stärksten Frauen der Welt treten auf, tanzen auf dem Seil und präsentieren eine einmalige Schneckendressur! Alma Jongerius und Anne-Marie Hafner liefern wortkarges, bildstarkes Kindertheater mit Geschichten um Angst, Mut und grosse Träume. (ash)
Sa 5. November, 16.00 Uhr, Kellertheater im
«Of Birds and Wires – Stimmen unter Strom» heisst das diesjährige Thema von Shift, dem Festival für elektronische Kunst. Was geschieht, wenn wir die menschliche Stimme und die einer Maschine nicht mehr klar unterscheiden können? Wie haben die digitale Kultur und die technologischen Entwicklungen die Wahrnehmung von Stimmen verändert? Solche Fragen stellt man sich im Haus für elektronische Künste Basel. Die Festivalausstellung wirft einen Blick auf die Mediengeschichte von künstlichen und bearbeiteten Stimmen zwischen Kriegstechnologie und Popkultur, untersucht die Inszenierung der Stimme in politischen Reden und präsentiert die titelgebenden Vögel mit Stimmen, die wir von ihnen so nicht gewohnt sind. Auch die elektronische Musik darf nicht fehlen: Denn auf der Clubbühne lassen sich Kunst und Ausgang perfekt aufeinander abstimmen. (dif)
Vogelsang, Altdorf; So 6. November, 17.00 Uhr, Gong,
Shift, 27. bis 30. Oktober, Dreispitzareal Basel und
Aadorf TG; So 13. November, 15.00 Uhr, Gottfried
Schaulager Münchenstein
Keller-Zentrum, Glattfelden. Weitere Termine:
www.shiftfestival.ch
Silvanellas Seiltanz, Kindertheater, So 30. Oktober, 15.00 Uhr, Bibliothek im Singsaal Breiti, Turbenthal;
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www.silvanella.ch
Zürich und Region In der Bücherstadt Ausgerechnet das angeblich so hektische Zürich lädt zum sinnlichen Verweilen zwischen Buchdeckeln ein: Demnächst am Buchfestival «Zürich liest ’11» mit über 100 Veranstaltungen in und um Zürich. Im «Odeon» zum Beispiel, dem berühmten Kaffeehaus am Bellevue werden Texte und Brunch im gleichen Gang serviert. Die Chronik «Café Odeon» erzählt die Geschichte des Kaffeehauses und seiner Gäste: Klaus Mann, Albert Einstein, Max Frisch, Hugo Loetscher, Else Lasker-Schüler – da läuft dem Germanisten am Sonntagmorgen das Wasser im Mund zusammen. (dif) Zürich liest ’11: Buchfestival, 27. bis 30. Oktober, www.zuerich-liest.ch
Im Odeon den Geist der Intellektuellen einatmen. SURPRISE 261/11
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Verkäuferporträt Verkäufer, Putzmann, Hausabwart BILD: ZVG
Der Äthiopier Dessalegne Melaku (30) verkauft Surprise seit gut vier Jahren in Konolfingen. Im Moment bleibt für den Verkauf nicht viel Zeit, weil er ein Hauswartspraktikum absolviert und sich am Wochenende um seine beiden Buben kümmert. AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN
«Ich bin im Frühling 2007 mit meiner Frau und unserem Sohn Josef, der damals noch ein kleines Baby war, in der Schweiz angekommen. Meine Heimat Äthiopien habe ich wegen politischer Probleme verlassen. Ich stamme aus dem Norden des Landes, aus Gonder, der ehemaligen Hauptstadt von Äthiopien. Vor der Flucht habe ich viele Jahre als Kleider- und Schuhhändler gearbeitet. Im benachbarten Sudan habe ich die Waren eingekauft und sie dann in Äthiopien verkauft. Hier in der Schweiz bin ich ebenfalls Verkäufer, ein Surprise-Verkäufer. Sehr bald nach unserer Ankunft im Durchgangszentrum Halenbrücke in Herrenschwanden, etwas ausserhalb von Bern, suchte ich nach Arbeit. Als neu angekommener Flüchtling hatte ich nicht viele Möglichkeiten, aber Surprise verkaufen durfte ich. Weil wir in dieser Zeit eine Wohnung in Biglen bekamen, fing ich an, die Hefte in Konolfingen zu verkaufen. Diese Dörfer liegen so ungefähr in der Mitte des Dreiecks Bern, Thun, Langnau. Eine Zeit lang hatte ich noch einen Standplatz in Ostermundigen, aber die Reise dorthin wurde im Vergleich zu meinem Verdienst zu teuer. Zudem hatte ich nicht mehr so viel Zeit für den Verkauf, weil ich mit Arbeitseinsätzen bei Bernmobil anfing. Eineinhalb Jahre habe ich dort in einem Integrationsprojekt der Stadt Bern mitgearbeitet. Wir haben die Haltestellen geputzt, das heisst die Unterstände inklusive Fahrpläne, Anzeigetafeln und Billettautomaten. Zuerst mussten wir immer auf den Bus oder das Tram warten, bis wir zur nächsten Haltestelle fahren konnten. Doch dann gab es neu das Veloteam, bei dem ich auch mitmachen konnte, und wir fuhren direkt von einer Haltestelle zur nächsten. Das war super. Nun bin ich einen Schritt weiter und absolviere gerade ein dreimonatiges Praktikum in einer Firma, die unter anderem Hauswartsarbeiten macht. Wir mähen für Kunden den Rasen, schneiden Bäume, putzen Treppenhäuser und kontrollieren die Lampen. Die Arbeit gefällt mir sehr gut, besonders diese elektrischen Sachen interessieren mich. Hätte ich den Führerausweis, wären meine Chancen grösser, dass ich in dieser Firma weiterarbeiten könnte. Aber bis ich mir Fahrstunden leisten kann, geht es wahrscheinlich noch eine Weile. Und sowieso: Vor dem Autofahren muss ich noch besser Deutsch lernen. Wenn ich am Wochenende frei habe, hole ich die beiden Kinder ab. Ein Jahr nach Josef kam unser zweiter Sohn Daniel zur Welt. Der Grössere ist jetzt im Kindergarten, der Kleinere geht in die Spielgruppe. Leider hat die Ehe nicht gehalten. Aber meine Ex-Frau und ich kümmern uns beide um unsere Söhne. Ich gehe mit ihnen spazieren, auf den Spielplatz, schwimmen, Fussball spielen – ich bin sehr gerne mit ihnen zusammen. Als wir noch als Familie zusammenwohnten, hatten wir oft Besuch. Nun, wo ich alleine wohne, lade ich eigentlich niemanden mehr ein.
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Kontakt habe ich ab und zu mit äthiopischen oder auch eritreischen Kollegen. Um die Eritreer zu verstehen, musste ich zuerst ein bisschen ihre Sprache Tigrinya lernen. Meine Muttersprache ist Amharisch. Obwohl wir die gleiche Schrift haben, verstehen wir einander nicht einfach so. Landsleute von mir treffe ich auch ab und zu am Sonntag im äthiopisch-orthodoxen Gottesdienst. Danach gibt es manchmal unser traditionelles Gericht Injera, Sauerteigfladen mit verschiedenen Fleischund Gemüsesaucen. Das Leben hier kann recht schwierig sein, wenn man nur sehr wenig Geld zur Verfügung hat. Gerade wenn die Kinder einen Wunsch haben, den ich nicht erfüllen kann, macht es mich traurig. Trotzdem möchte nicht zurück nach Äthiopien. Ich habe dort keine Familie mehr, meine Eltern und mein Bruder leben nicht mehr. Ich sehe meine Zukunft hier, vor allem wegen meiner Buben.» ■ SURPRISE 261/11
Eine Chance für alle! Werden Sie Surprise-Götti oder -Gotte Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten als andere. Menschen, die sich aber wieder aufgerappelt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt Struktur und wieder einen Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Die Surprise-Strassenverkäuferinnen und -verkäufer helfen sich
Bob Ekoevi Koulekpato Basel
Ausserdem im Programm SurPlus: Marika Jonuzi, Basel Fatima Keranovic, Baselland Jovanka Rogger, Zürich Jela Veraguth, Zürich
selber. Das verdient Respekt und Unterstützung. Regelmässige Verkaufende werden von Surprise gezielt unterstützt. Die Teilnehmer am Programm SurPlus sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit). Mit der Programmteilnahme übernehmen die Surprise-Verkaufenden mehr Verantwortung; eine wesentliche Voraussetzung dafür, wieder fit für die Welt und den Arbeitsmarkt zu werden.
Josiane Graner Basel
Andreas Ammann Bern
Wolfgang Kreibich, Basel Kurt Brügger, Basel Anja Uehlinger, Baden Peter Hässig, Basel Marlies Dietiker, Olten
Tatjana Georgievska, Basel Peter Gamma, Basel René Senn, Zürich
Ja, ich werde Götti/Gotte von: 1 Jahr: 6000 Franken
1/2 Jahr: 3000 Franken
1/4 Jahr: 1500 Franken
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1 Monat: 500 Franken
261/11 Talon bitte senden oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 261/11
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.
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Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.
24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–
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Herausgeber Strassenmagazin Surprise GmbH, Postfach, 4003 Basel www.strassenmagazin.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@strassenmagazin.ch Geschäftsführung Paola Gallo, Agnes Weidkuhn (Assistenz GF) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@strassenmagazin.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Reto Aschwanden, Florian Blumer, Diana Frei (Nummernverantwortliche) redaktion@strassenmagazin.ch Ständige Mitarbeit texakt.ch (Korrektorat), Yvonne Kunz, Delia Lenoir, Irene Meier, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Amir Ali, Monika Bettschen, Davide Caenaro, Dorothee Elmiger, Andrea Ganz, Nils Keller, Stefan Michel, Isabel Mosimann, Nicole Pont, Eva Rosenfelder, Fabienne Schmuki Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 15 000, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 61 Theres Burgdorfer, t.burgdorfer@strassenmagazin.ch
Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden von der Strassenmagazin Surprise GmbH geführt, die vom gemeinnützigen Verein Strassenmagazin Surprise kontrolliert wird. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.
Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83, M +41 79 428 97 27 Zoë Kamermans, Patrick Würmli, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@strassenmagazin.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, zuerich@strassenmagazin.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@strassenmagazin.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99 Paloma Selma, p.selma@strassenmagazin.ch Strassensport T +41 61 564 90 10, F +41 61 564 90 99 Lavinia Biert (Leitung), Olivier Joliat, David Möller l.biert@strassenmagazin.ch, www.strassensport.ch Trägerverein Strassenmagazin Surprise Präsident: Peter Aebersold Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen.
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Dazu passend: Leichtes T-Shirt, 100%Baumwolle, für Gross und Klein.
Schön und gut. Grosses Badetuch 100 x 180 cm aus sehr langlebigem Zwirngarn, 100% handgepflückte Baumwolle. Mit Surprise-Logo eingewebt und von A bis Z in der Schweiz hergestellt. Vorder- und Rückseite verschiedenfarbig: vorne kühles Aquablau, hinten heisses Rot.
Herren CHF 25.– S (schmal geschnitten) Kinder CHF 20.– XS S Alle Preise exkl. Versandkosten.
Strandtuch (100 x 180 cm) CHF 65.–
50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute.
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*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Strassenmagazin Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@strassenmagazin.ch
Ist gut. Kaufen! Wer etwas verkauft, braucht Geld. Schlichte Wahrheit – gute Sache. Denn 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute. Alle Preise exkl. Versandkosten.
Surprise Zeitungs-Taschen (34 x 36 cm); CHF 37.50 neon-orange schwarz
Surprise City-Taschen (24,5 x 35,5 cm); CHF 40.– rot blau schwarz
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Surprise Rucksäcke (32 x 40 cm); CHF 89.– schwarz rot
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