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Endlager? 35 Jahre Suche und keine Lösung in Sicht Mein Leben in der Kooperative Longo maï: Eine Journalistin erzählt

Kind und Karriere – Agnetha Fältskog blickt zurück auf ihre Abba-Jahre

Nr. 311 | 18. bis 31. Oktober 2013 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


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Datum, Unterschrift 311/13

*gemäss Basic 2008-2. heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch Seite bitteMACH Anzeige:

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Titelbild: WOMM

Editorial Wir konnten nicht anders (sorry) BILD: ZVG

«Wenn du ein Haus baust, darf du die Toilette nicht vergessen» – sagt Ju Wang, Direktor des hochradioaktiven Endlagerprogramms der Volksrepublik China. Mitte der Fünfzigerjahre wurde in Calder Hall, Nordengland, ein neuartiges Haus gebaut. Eines, das Tag und Nacht billigen Strom lieferte, sauberen noch dazu, denn aus dem Kühlturm stieg nichts als harmloser Wasserdampf. Kein Wunder, löste es eine Euphorie aus, kein Wunder fand es bald Nachahmer auf der ganzen Welt. Was leider unterging in der Euphorie, war das mit der Toilette. So baute auch die sonst so auf Sauberkeit und Ordentlichkeit bedachte Schweiz mehrere dieser neuartigen Häuser, ohne Toilette. FLORIAN BLUMER

Bis heute hat man keine Lösung gefunden, den Atommüll sicher zu entsorgen. Ein REDAKTOR neuer Dokumentarfilm des Baslers Edgar Hagen – daraus stammt das eingangs erwähnte Zitat – zeigt eindrücklich auf, warum. Hagen begleitete den Atomphysiker Charles McCombie auf dessen unermüdlicher Suche nach einem sicheren Standort für hochradioaktiven Müll, er reiste mit ihm bis ans Ende der Welt. Auch nach 35 Jahren erfolgloser Suche ist Atombefürworter McCombie optimistisch geblieben – ganz im Gegensatz zu seinem Widersacher, dem Geologen und Atomgegner Marcos Buser. Wir baten die beiden zum Gespräch. Regisseur Hagen kam zum Schluss, dass wir als Gesellschaft vor einem riesigen Problem die Augen verschliessen. Tatsache ist, dass wir drauf und dran sind, unseren Kindern, Enkelkindern, Urenkelkindern und Urururururururururururururururururur- (usw., die Anzahl Urs würde rund zwei Heftseiten füllen) Enkelkindern eine Zeitbombe zu übergeben, die sie unter grossem finanziellem Aufwand permanent hüten müssen, damit sie ihnen nicht um die Ohren fliegt. Im Nachgang der Katastrophe von Fukushima beschränkte sich die Atomdiskussion fast gänzlich auf die Frage, ob wir Angst vor den laufenden Reaktoren haben müssen. Hagen bringt die zweite, nicht weniger unangenehme Frage wieder auf den Tisch: Wohin mit dem Müll? Geht es mit der Beantwortung dieser Frage im bisherigen Tempo weiter, stehen wir bald vor einer weiteren Frage: Wie sagen wir’s unseren Enkelkindern? Dass wir dachten, dass sie schon eine Lösung finden werden? Dass wir halt, wie die Atomlobby und ihre Parlamentarier gerne argumentieren, einfach nicht auf die Atomenergie verzichten konnten? Und deshalb lieber nicht so genau hinschauten? Ich wünsche eine anregende Lektüre, Florian Blumer

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@vereinsurprise.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. SURPRISE 311/13

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10 Atommüll Wir haben ein Problem Atombefürworter Charles McCombie und Atomgegner Marcos Buser wollten kein Streitgespräch führen. Zu sehr schätzen sich die beiden Atommüllexperten. Was nicht heisst, dass sie sich im Fachgespräch geschont hätten: So nannte Buser McCombie einen «hoffnungslosen Optimisten» – denn im Gegensatz zum Atomphysiker McCombie glaubt Geologe Buser nicht mehr daran, dass unsere Generation die Eröffnung des ersten hochradioaktiven Endlagers noch erleben wird.

14 Agnetha Fältskog «Gib niemals auf» Nach langen Jahren abseits des Rampenlichts veröffentlichte die ehemalige Abba-Sängerin Agnetha Fältskog dieses Jahr ein neues Soloalbum mit eigenen Songs. Exklusiv für die Strassenzeitungen blickt sie zurück auf ihre Jugend in der südschwedischen Provinz, die schwierigen Jahre zwischen Weltkarriere und Familie und erzählt, was sie als heute 63-Jährige der 16-jährigen Agnetha raten würde.

BILD: ZVG

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Inhalt Editorial Toilette vergessen Basteln für eine bessere Welt Atommania Briefe aus Zürich Amir ist zurück Zugerichtet Hasch und Limos Leserbriefe Integration, Kunst, Bevormundung Starverkäufer Jela Veraguth Porträt Blick in die Wolken Strassensport Team-Poster Schweizer Meisterschaft 2013 Wörter von Pörtner Schnittige Frisur, saubere Rasur Roman Islamisiertes Basel Kultur Comics von «A-Team» bis «Zorro» Ausgehtipps Hölle, Tod und 80s Pop Verkäuferporträt Roberto Vicini Projekt SurPlus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP Da läuft was Schals für die Strassen-WM

BILD: ANDREA GANZ

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BILD: JULIE TRUDEAU

18 Longo maï Meine 100-köpfige Familie

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Eines Tages packte die Basler Journalistin Katrin Faivre ihre Koffer und zog mit ihrem damals einjährigen Sohn in die Kooperative Longo maï in Südfrankreich. Zwei Jahre später zieht sie Bilanz: Wie ist das, mit 100 Leuten zusammenzuleben? Die Kinder gemeinsam zu erziehen? Kein eigenes Geld zu haben? Faivre gibt Einblicke in ein Leben abseits der gängigen Normen.

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ILLUSTRATION: SIMON DREYFUS | WOMM

1. Nehmen Sie 4 – 5 kleine Konservendosen (zum Beispiel Tomatenmark) und entfernen Sie das Etiketten-Papier.

2. Nehmen Sie ein gelbes Blatt Papier und schneiden Sie daraus ein neues Etikettenpapier.

3. Malen Sie mit schwarzem Filzstift das Atom-Symbol drauf und kleben Sie das Papier mit Alleskleber an der Dose fest.

Variante: Wenn Sie es noch dramatischer mögen, dann leeren Sie die Dose zuerst und füllen sie zum Schluss mit neongrüner Slimy-Glibbermasse.

Basteln für eine bessere Welt Atommüll-Minis Der orange Riese hat die nächste Sammelmanie ausgerufen, diesmal sollen unsere Kleinen Miniaturmodelle von Produkten aus seinem Sortiment sammeln. Man könnte dies als symbolisches Geschenk sehen, für die schillernd-pralle Konsumwelt, in die sie hineingeboren wurden. Damit sie wirklich gut auf die Zukunft vorbereitet sind, sollten wir die Produktepalette allerdings erweitern: Mit den Atommüll-Minis kann unser Nachwuchs schon einmal spielerisch nach Lösungen suchen, wohin er mit unserem Atommüll will. SURPRISE 311/13

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Brief aus Zürich Krass ist das VON AMIR ALI

Die Leute sind dann immer ganz aufgeregt. Ein Jahr unterwegs, jetzt wieder zurück: Krass sei das. «Oder nicht? Oder wie ist es?» Die Heimkehr, der Wiedereintritt in den Schoss des uns allen Gemeinsamen und Wohlbekannten – danach fragen die Leute zuerst. Sie hoffen, erwarten scheinbar geradezu, dass der Gereiste ihnen etwas über Daheim erzählt, was sie noch nicht wissen. Oder wieder vergessen haben. Sollte ich jetzt mein Land, meine Stadt und die Leute darin mit anderen Augen sehen? Mit einem entlarvenden Blick? Immerhin habe ich einen neuen Namen gefunden für meine Heimat. Er klingt ein wenig wie ein Indianerhäuptlingsname für einen Ort: Wo-die-grossen-Ungeheuerlichkeite-sichgut-verstecken. Wo immer ich durchkam, lag der Dreck offen auf der Strasse. («White trash» heisst ja soviel wie «weisser Dreck»; die Armen Amerikas, ob weiss oder schwarz, sind die Antithese zum amerikanischen Traum.) Wo ich durchkam, hing die schmutzige Wäsche für alle sichtbar vor den Häusern. (Wenn, wie in Marokko, kleine Jungs an Kreuzungen Windschutzscheiben putzen, gibt es nichts zu verstecken.) Wo ich durchkam, war der Verwesungsprozess zu riechen, der Gesellschaften von innen heraus zersetzt. (Wie sonst soll man den Grössenwahn der Eliten auf dem Balkan nennen?) Bei uns spielt sich das Ungeheuerliche hinter dicken Wänden ab. Oder nachts um drei, wie mir S. erzählte. Er erzählt viel und geht damit vielen auf die Nerven. Aber ich würde für S. bürgen – auch wenn er leicht erregbar ist. Was in Kombination mit seiner Trompete, die er wohlgemerkt mehr als passabel spielt, viele noch mehr nervt. Wie in jener Nacht des 1. August. «Das Geknalle ging mir auf die Eier», erklärte S. Darum spielte er dagegen an. Dort, wo sich Zürichs Alternative zum gepflegten Absturz treffen. Als S. mit seiner Trompete aufkreuzte, endete der Ausflug mit einer Ladung Tränengas und einer Wegweisung. Jeder kannte ihn – keinen kümmerte es. Die Geschichte wunderte mich kein bisschen. Und das ist krass. Dies war der letzte Brief von Amir Ali, der ein Jahr lang rund ums Mittelmeer und in den USA unterwegs war. Danke, Amir, für die Post!

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Zugerichtet Harter Stoff Mit dem Begriff «weiche Drogen» habe er seine Mühe, meinte der Gerichtsvorsitzende bei der Urteilseröffnung. Dies an die Adresse der Verteidigung, die geltend gemacht hatte, Cannabis führe bei den Konsumenten ja nicht wie harte Drogen zu schweren Schädigungen. Demnach seien Cannabisproduzenten auch keine Schwerverbrecher. Das Argument zog nicht: «Ich sehe hier genug Menschen, bei denen die Substanz zu psychischen Abstürzen geführt hat», so der Richter. Zudem sei das Zeug, das die beiden Angeklagten in ihren professionellen Plantagen gezüchtet hatten, hochpotent gewesen. Im wahrsten Sinne schwer wog auch die Menge: 130 Kilo wurden innert zwei Jahren umgesetzt, fast eine Million Franken Umsatz erzielt. Klar, bei so einer Anklage muss man sich warm anziehen. Vielleicht behalten die beiden Angeklagten auch deshalb ihre OutdoorFunktionsjacken von bekannten Marken auch indoor an. Wie Berufskriminelle oder Rastafari-Freaks sehen sie tatsächlich nicht aus mit ihren Halbschuhen und dem schütteren, schuppigen Haar. Die Brille des einen Beschuldigten ist von Fielmann, der Plastiksack, an den sich der zweite krallt, von der Migros. Geboren und aufgewachsen sind beide in Züri, und so klingt auch das Hochdeutsch des Brillenträgers, als wäre er in der Schule statt vor Gericht. Automech ist er, «ein Werkstattmensch, keiner der grossen Worte und Zahlen», sagt sein Anwalt. In stillem Widerspruch allerdings zum Umstand, dass sich in seinem Bankschliessfach Tausendernoten in der Höhe einer halben Million stapeln. «Ein Notgroschen», erklärt der Werkstattmensch. Der aber weder in einer

Buchhaltung noch in einer Steuererklärung auftauche, entgegnet der Richter. «Ging wohl vergessen», versichert der Angesprochene treuherzig, Cannabiserlöse seien das jedenfalls nicht. Er habe mit seiner Garage und seinem Luxuslimousinen-Service gut verdient. Sein Kompagnon, Hochbaupolier, nun wie sein Freund in der Stretchlimo-Vermietung tätig, kann sich einen gewissen Unternehmerstolz nicht verkneifen. «Aus 500 Pflanzen zehn Kilo zu produzieren, das ist fast Weltrekord!» Dabei hatte er seinen ersten und einzigen Joint im Teeniealter geraucht. Dasselbe behauptet auch sein Kollege von sich. Das mit den Hanfplantagen, nun ja, da sei man halt so reingerutscht. Der mit dem Plastiksack klagt, er könnte einfach nicht «Nein» sagen, schon gar nicht bei einem Bekannten mit Kreditschulden, der im Cannabisanbau einen Ausweg sah. Auch der Automech machte einen bedürftigen Freund geltend, er übernahm für diesen auch gleich die Federführung, weil er entsprechende Vorkenntnisse hatte. Bei ihm hat sich das mit dem Drogenhandel nämlich schon zum dritten Mal «ergeben», gar in den Betrieb eines Hanfshops hat er sich vor einigen Jahren «hineinziehen lassen». Die Wohltätigkeitsgeschichten kamen nicht gut an. Der Polier kam als Ersttäter noch mit einer bedingten Strafe weg. Die erneute Delinquenz des Brillenträgers nannte der Richter aber «eine beispiellose Dummheit», und die Strafe von vier Jahren, 60 000 Franken Geldstrafe und eine Ersatzforderung von 380 000 Franken «mild». Dazu kommen die Prozesskosten von mehreren 10 000 Franken. Das mit dem Notgroschen hatte sich der Verurteilte wohl etwas anders vorgestellt. YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 311/13


Leserbriefe «Ein offensichtlich schreiender Unsinn» «Können wir Schweizer daran was ändern?» Ich habe Ihren Artikel im Surprise mit Interesse gelesen. Was Sie über Ihre Kultur und die Frage der Identität schreiben, kenne ich von meinen türkischen Freunden. Über das Rote Kreuz Baselland habe ich in den letzten Jahren mit Migranten, die bei uns Asyl erhalten haben, Kontakt gehabt. Bei Türken, die schon länger hier wohnen, habe ich festgestellt, dass sie auch zwischen zwei Welten hin und her «pendeln» und fast nicht wissen, wo sie jetzt eigentlich dazugehören. Können wir Schweizer daran was ändern? Donat Oberson, Gelterkinden «Geborgenheit trotz Weder-hier-noch-dort-Sein» Ich habe Ihre Kolumne «Transit» im Surprise gelesen: Hut ab. Danke für die einfühlenden und sehr aufschlussreichen Mitteilungen, es wäre gut, könnten wir Originaleidgenossen solche Szenarien am eigenen Leibe erleben, vielleicht wäre vieles etwas einfacher – leider aber wohl auch nur vielleicht, denn weder Wissen allein noch die Erkenntnis allein machen die Welt besser, es ist nur die tätige Anwendung der eigenen Erfahrung, die Wurzeln schlägt. Ich hoffe sehr, dass sie trotz Ihres Weder-hiernoch-dort-Seins auch Momente haben, in denen Ihnen Heimat nicht nur eine Floskel ist, sondern Beschaulichkeit, Zufriedenheit und Geborgenheit. Ihre Sprache als eine Seconda ist bewundernswert, die geht manchem «Eingeborenen» hier in der Schweiz ab! Barbara Munz, per E-Mail Editorial/Dieter Meier: «Kunst ist die einzige Möglichkeit zu leben» «Nichts ist nichts anderes als Nichts» Der ehemals Obdachlose, der im Editorial erwähnt wird, kommt «zum Schluss, dass das Leben nur dann tiefer erfahrbar sei, wenn man nichts anderes mehr habe». Ich könnte nicht behaupten, dass ich das Leben tiefer erfahren habe, als ich als junger Mann den Pfarrer um Geld angehen musste, als ich es jetzt erfahre – als normalbegüterter 66-jähriger

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 (0)61 564 90 99, redaktion@vereinsurprise.ch

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AHV-Bezüger, der problemlos den täglichen Geschäften nachgeht. Das Leben an sich ist ein unergründliches Mysterium. Beim Artikel über Dieter Meier handelt es sich um ein Sammelsurium von Klatsch und Tratsch, Worthülsen und Floskeln auf hohem Niveau. «Kunst ist die einzige Möglichkeit zu leben», so Dieter Meier. Ein geradezu offensichtlich schreiender Unsinn. Die grosse Mehrheit der Leute betrachtet sich nicht als Künstler oder gibt nicht vor, mit Kunst zu tun zu haben, und lebt trotzdem. «Wenn ich das Nichts vergolde, vergolde ich das einzig Wertvolle.» Auch hier, salva venia, ein heilloser Schrott, denn ein Nichts ist nichts anderes als Nichts: das Gegenteil von Etwas. Dieter Meier tut sich schwer mit dem Terminus «Verwertbarkeit», und er ist bei ihm negativ besetzt. Verwertbarkeit bleibt jedoch integraler Bestandteil des Lebens. Jedes menschliche Individuum verwertet laufend Gedanken, Eindrücke wie Gefühle, Worte, Klänge und Nahrung. Christian Scherler, Renan BE

Nr. 311: Böse Banane Editorial: «Bevormundung beim Znüni» «Skrupellos und unmenschlich» Auch ich will keine unmündigen Bürger und keinen Überwachungsstaat, doch Sie blenden eine Tatsache aus, über die es keine zwei Meinungen gibt: Es gibt leider sehr viele ungebildete Menschen. Sie bekommen zuhause keine Bildung, es bleibt also nur die Schule/Kindergarten, um sie zu schützen vor ihren manchmal ahnungslosen Eltern. Ich leite ein Programm für adipöse BerufsschülerInnen. Diese Menschen leiden brutal! Ihr Schlusssatz, dass Sie lieber ein paar übergewichtige Kindergärtner in Kauf nehmen als eine Gesellschaft von Unmündigen, ist also sehr skrupellos und unmenschlich. Sehen Sie es doch mal so: Die grossen Nahrungsmittelkonzerne, werden so ein bisschen weniger Gewinn auf Kosten der schlecht gebildeten, zumeist armen Bevölkerung machen. Das wäre doch sicher auch in Ihrem Sinne. Diese sind ja auch eine Art Obrigkeit – und zwar die viel schlimmere. Denn bei denen steckt nun gar keine gute Absicht mehr dahinter. Andrea Naegeli, Zürich

BILD: ZVG

Nr. 308: Wunderbares Nichts Fremd für Deutschsprachige: Transit

Starverkäuferin Jela Veraguth Gabi Einsele aus Stallikon schreibt: «Ich nominiere Jela Veraguth, die vor der Migros am Zürcher Limmatplatz Surprise verkauft, als Starverkäuferin. Sommers wie winters preist sie das Heft mit einem Lächeln und ihrer unaufdringlichen, festen Stimme zum Verkauf an und gibt so dem anonymen Einkaufscenter ein Gesicht.»

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Porträt Ein Leben nach dem Wetter Als Bäuerin war Hildegard Hug jahrelang jedem Wetter ausgesetzt. Auch als Seniorin bestimmt das Wetter noch immer ihren Tagesablauf: Für den amtlichen Wetterdienst Meteo Schweiz misst sie jeden Tag um dieselbe Zeit den Niederschlag. VON MANUELA DONATI (TEXT) UND RUBEN HOLLINGER (BILD)

noch machen soll», sagt sie. «Aber ohne das tägliche Messen würde mir etwas fehlen. Ich betrachte immer noch regelmässig den Himmel.» Doch nicht nur anhand des Himmels deutet Hildegard Hug, wie das Wetter wird. Nach einem Ritual ihrer Grossmutter sagt sie jeden Heiligabend das Monatswetter für das nächste Jahr voraus: Sie träufelt ein wenig Salz in zwölf Zwiebelschalen, eine für jeden Monat des Jahres, und lässt sie über Nacht stehen. Je feuchter das Salz am nächsten Tag ist, desto mehr wird es im jeweiligen Monat regnen. Die Prognosen werden aufbewahrt und dann mit den eigenen Niederschlagsmessungen verglichen. «Bis jetzt hat es immer gut gestimmt», stellt sie zufrieden fest. Nach ihrem Wetter-Dienst nimmt sich Hildegard Hug Zeit für Frühstück und Zeitung, gut und gerne eine Stunde liest sie ihr Lokalblatt von vorne bis hinten durch. Es ist die einzige ruhige Stunde im Tag der rüstigen Seniorin – in ihrer gemütlichen Stube mit Kachelofen und Eckbank sitzt sie nur selten. «Bei mir muss immer etwas gehen. Selbst der

Sieben Uhr morgens, der Wecker klingelt, wie jeden Tag bei Hildegard Hug. Wie jeden Tag zieht sie sich an, feuert den Holzofen ein, isst einen Apfel, nimmt den Käse aus dem Kühlschrank. Dann, es ist etwa zwanzig vor acht, manchmal auch viertel vor – aber nie später –, geht sie in den Garten zu ihrer mobilen Wetterstation. Manchmal muss sie sich die wenigen Meter durch Sturm und Regen kämpfen, im Winter einen Weg durch den Schnee schaufeln. Bei ihrer Wetterstation, einem unauffälligen kleinen Tank, der mitten in ihrem Gemüsegarten auf einem Pfahl thront, entnimmt sie einen Behälter, in dem sich der Niederschlag des letzten Tages gesammelt hat. Seit 1969 beobachtet Hildgard Hug im solothurnischen Herbetswil das Wetter für Meteo Schweiz, davon zeugen 42 braune Notizhefte. Für ein kleines Entgelt ist sie sozusagen freiwillige Aussendienst-Mitarbeiterin von Meteo Schweiz, eine von wenigen Privatpersonen, die manuelle NiederschlagsAn Heiligabend träufelt Hildegard Hug Salz in zwölf Zwiebelschalen. messungen machen. In den Büchlein hat sie Je feuchter das Salz am nächsten Tag ist, desto mehr wird es im 42 Jahre lang Tag für Tag die Stimmungen des jeweiligen Monat des nächsten Jahres regnen. Himmels festgehalten, in fein säuberlicher Schönschrift: wie viel es regnete, wann es zu blitzen und donnern begann, ob es hagelte oder stürmte. Das alles Hof und die Töchter hielten mich nicht davon ab, überall dabei zu sein», muss sie jetzt nicht mehr notieren, dafür ist eine neue Aufgabe dazuerinnert sie sich lachend. So war sie 25 Jahre lang Kassiererin im Arbeigekommen: SMS schreiben. Hildegard Hug, die sich noch an Zeiten ohterinnen-Verein und genauso lange Präsidentin des Turnvereins Herne eigenes Telefon erinnert – als sie, wollte sie ihren Eltern etwas mitbetswil. teilen, nur vom Apparat der Nachbarn aus die Nachbarn ihrer Eltern Jetzt, mit 82, geht natürlich nicht mehr alles so schnell wie früher. anrufen konnte und diese dann eine Viertelstunde übers Land laufen Damit sie sicherer laufen kann, behilft sie sich mit einem Stock. Arthromussten, um die Nachricht zu überbringen –, hat dank ihren Enkeln se in der Hand hindert sie daran, wie bisher für ihre ganze Familie – Hilgelernt, per SMS die Niederschlagsmenge an Meteo Schweiz zu überdegard Hug hat drei Töchter, neun Enkel und fünf Urenkel – Socken, mitteln. Ein wenig stolz drauf ist sie schon, sie gibt es nicht zu, aber Pullover und Schals zu stricken. Deswegen Trübsal zu blasen oder gar es ist ihr anzumerken, dass es sie freut, mit 82 Jahren noch mithalten zu jammern kommt für die Solothurnerin aber nicht infrage. «Das nützt zu können. nüt», sagt sie energisch – und mit derselben Energie bestellt sie ihren Hildegard Hug, ältestes von fünf Kindern, lebte als Bauernkind schon Gemüsegarten, neben dem Nüsslisalat wachsen Randen, die bald geimmer nach dem Wetter. Einen Beruf hat sie nie erlernt, nach der Schuerntet werden wollen. Sie trifft sich mit den Frauen aus dem Dorf zum le half sie auf dem Hof mit, und zwar «nicht wie es sich eigentlich für Jassplausch und turnt einmal in der Woche mit dem Turnverein – notaein Mädchen gehört hätte im Haus», nein, sie war immer draussen, ging bene Seite an Seite mit ihrer 32-jährigen Enkelin. dem Vater zur Hand. Als sie mit 22 Jahren heiratete, einen Bauern naAuch vom Reisen lässt sich Hildegard Hug nicht abhalten, entdeckte türlich, warnte die Mutter sie vor der vielen Arbeit, die sie haben würsie diese Leidenschaft doch erst spät: Der Hof, die Kinder und schliessde. Genau so warnte Hildegard Hug ihre eigenen Töchter, als zwei der lich der Reise-unfreudige Ehemann – «Er wollte nichts davon wissen, er drei ebenfalls einen Bauern heirateten. «Überlegt’s euch gut, es wird schlotterte schon, wenn er auf einen Sessellift musste» – immer kam etstreng», habe sie ihnen gesagt. «Aber sie wollten nicht hören. Jänu, ich was zwischen Hildegard Hug und ihre Ferienpläne. Dann, sie ist 51, reist habe ja damals auch nicht auf meine Mutter gehört», meint sie lachend. sie mit dem jahrelang Ersparten und ihrer jüngsten Tochter für zehn TaHeute hat sie es ruhiger: Vieh und Felder wurden nach dem Tod ihge nach Israel, besichtigt Jerusalem und das Tote Meer. «Diese Reise hatres Mannes vor 15 Jahren verkauft oder verpachtet. Das Wetter aber ist te ich schon immer im Kopf, es war unglaublich eindrücklich.» In den geblieben, eine Konstante im Leben der 82-Jährigen. Es bestimmt durch letzten 31 Jahren seit ihrer ersten Reise hat sie Europa entdeckt und ist das tägliche Messen immer noch ihren Tagesablauf. Dabei ist das Noschon zweimal zu ihrem Gottenkind in die USA geflogen. Eben ist sie tieren des Niederschlags mehr als eine Struktur, es ist liebgewonnener von einer Pilgerreise in Bayern zurückgekommen, bald steht die nächAlltag geworden. «Ich frage mich manchmal schon, wie lange ich das ste Tour an: Im November geht es in die Jassferien. ■ SURPRISE 311/13

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Atommüll Die unendliche Suche Seit 35 Jahren sucht Atomphysiker Charles McCombie im Auftrag von Staaten nach Orten für die Endlagerung radioaktiver Abfälle. Bis heute erfolglos. Trotzdem bleibt er optimistisch – ganz im Gegensatz zu seinem Widersacher, dem Geologen und Atomgegner Marcos Buser. Wir baten die beiden zum Gepräch.

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VON STEPHAN MICHEL (INTERVIEW) UND ANDREA GANZ (BILDER)

Herr Buser, Sie wollten kein Streitgespräch mit Herrn McCombie führen, sondern einfach ein Gespräch unter Fachleuten. Weshalb? Marcos Buser: Streiten kann ich mit Ideologen. Mit Charles kann ich diskutieren, auch wenn unsere Weltanschauungen verschieden sind. Charles McCombie: Wir sind unterschiedlicher Meinung über die Nutzung der Kernenergie, aber wir sind uns einig, dass man radioaktive Abfälle sicher endlagern muss. Buser: Ich war besonders zu Beginn der Anti-AKW-Bewegung ziemlich alleine mit meiner Überzeugung, dass wir das Problem der Endlagerung lösen müssen, auch wenn wir gegen AKW sind. Das verstanden viele nicht, und auch heute hören es gewisse AKW-Gegner nicht gern. Herr McCombie, Sie suchen seit 35 Jahren nach Standorten für atomare Endlager. Weltweit konnte noch immer keines gebaut werden. Was ist so schwierig daran? McCombie: Technisch ist es relativ einfach. Die Schwierigkeiten sind gesellschaftlich. Es genügt nicht, die Abfälle nur sicher lagern zu können, die Leute, die in der Nähe wohnen, müssen auch dafür stimmen. Warum tun sie das nicht? McCombie: Man hat sie lange Zeit zu wenig in den Entscheidungsprozess einbezogen. Wenn man das tut und mit ihnen über Vor- und Nachteile eines Endlagers diskutiert, hat man grössere Chancen, einig zu werden. In einigen Ländern hat sich die lokale Bevölkerung sogar um ein Endlager beworben, zum Beispiel in Schweden, Finnland und Frankreich. Aus diesem Grund halte ich es für falsch, dass man in der Schweiz das Kantonsveto in dieser Frage abgeschafft hat. Wenn die Leute das Gefühl haben, dass sie gar nicht gefragt werden, dann werden sie alles tun, um das Endlager zu verhindern. Sind die Anwohner der Grund, weshalb immer noch kein Endlager gebaut werden konnte? McCombie: Zum Teil, aber es gibt auch technische Gründe. Die Vorbereitungszeit ist lang: zehn bis 20 Jahre Standortabklärung und bis zu zehn Jahre für den Bau. Zudem müssen Brennelemente und andere hochaktive Abfälle 40 bis 50 Jahre gekühlt werden, bevor man sie endlagern kann. Es macht keinen Sinn, ein Endlager in Betrieb zu nehmen, wenn man noch kaum Abfälle dafür hat. Buser: Gorleben in Deutschland ist ein Beispiel für den erfolgreichen Widerstand der Bevölkerung. Das Bergwerk Asse, ebenfalls in Deutschland, zeigt dagegen den Pfusch der Planer. Auch in der Schweiz ist das

Charles McCombie (68), ist Nuklearphysiker und dezidierter Atombefürworter. Von 1978 –1999 entwickelte er in der Schweiz das hochradioaktive Endlagerprogramm für die Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle). Heute initiiert er mit einer eigenen Firma in Baden multinationale Endlagerprojekte in Europa, Afrika, Asien und Südamerika und berät nationale Endlagerprogramme. SURPRISE 311/13

so: Das «Projekt Gewähr»* und das «Kristallin-Projekt»** sind in erster Linie an planerischen Defiziten und Fehlern gescheitert, das Wellenberg-Projekt in Kanton Nidwalden sowohl an strategischen und geologischen Defiziten wie auch am Widerstand der Bevölkerung. Welche Voraussetzungen muss der Standort eines Endlagers für radioaktive Abfälle erfüllen? McCombie: Wir brauchen einen Ort, an dem sich die Bedingungen über Hunderttausende von Jahren nicht ändern. Das ist im Weltall und sehr tief im Boden der Fall. Wenn man tief hinuntergräbt, das weiss Marcos besser als ich, findet man Bedingungen, die gleich sind wie vor Jahrmillionen. So einfach ist es aber offensichtlich nicht. McCombie: Es gibt eine Reihe anderer Kriterien, die erfüllt sein müssen, es darf kein Wasser hindurchfliessen, keine tektonischen Störungen geben. Über die grundlegenden Kriterien ist man sich einig. Schwierig ist es nachzuweisen, dass ein Endlager wirklich sicher ist. Man kann es nicht ausprobieren. Ein Endlager baut man einmal und dann muss es funktionieren. Buser: Alles beruht auf Annahmen, auf Erkenntnissen aus der Vergangenheit, die man auf die Zukunft anwendet. Es sind Modelle. Herr McCombie, Sie haben eine Reihe von Endlagerstandorten für geeignet erklärt. Fast alle scheiterten am Widerstand der Bevölkerung. Gibt es einen Ort, den Sie heute noch für geeignet halten? McCombie: Ich bin überzeugt, dass man an vielen Orten eine sichere Endlagerung machen kann. Es gibt nicht einen besten Standort, sondern verschiedene, die machbar sind und in denen vor allem der Nachweis machbar ist. In fast allen Ländern, in denen ich gesucht habe, lassen sich Standorte finden. Auch in der Schweiz? McCombie: Auch in der Schweiz, geologisch eines der kompliziertesten Länder, lassen sich Standorte finden, die sicherheitstechnisch gut wären. Ich bin aber auch nicht so wählerisch wie die Geologen. Buser: Ich bin weniger optimistisch, was die Schweiz anbelangt. Es gibt Gesteine, die mir eindeutig sympathischer sind, und alle Gesteinsarten haben auch ihre Nachteile. Das Weinland ist sicher am ehesten geeignet. Es gibt aber auch da noch offene geologische Fragen. Wichtig ist zudem, wie ein Lager gebaut wird. Auch eine gute Geologie kann man zerstören, wenn man ein Gestein beschädigt, sodass Wasser reinläuft. Darum muss man die Konzeption eines Endlagers und die Art, wie es ins Gestein gebaut wird, hinterfragen. Wie man ein Lager sicher verschliessen kann, damit hat man praktisch keine Erfahrung.

Marcos Buser (64) arbeitet als Geologe in der unabhängigen Endlagerforschung und ist dezidierter Atomgegner. Seit den Achtzigerjahren kritisiert er öffentlich die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Widersprüche der Endlagerpläne, die McCombie für die Schweizer Endlagerorganisation Nagra verfolgte. 2012 verliess er unter Protest die Kommission für Nukleare Sicherheit (KNS), der er bis dahin angehört hatte.

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Noch mehr Kernkraftwerke bedeuten noch mehr radioaktiven Abfall. Wird die Situation nicht langsam brenzlig? McCombie: Es gibt kein Mengenproblem. In einem vernünftigen Endlager könnten wir zweimal mehr lagern, als die Schweiz produziert. Angst machen mir nicht Länder, die einen ganzen Park an Kernkraftwerken bauen, sondern einzelne Staaten, die ein einziges Kraftwerk bauen wollen wie Marokko, Libyen, Ägypten oder Jordanien. Ein Endlager kostet etwa gleich viel wie ein ganzes Kernkraftwerk. Wenn man wie die USA 100 KKW hat, dann so what? Aber wenn man nur eines baut, dann verdoppelt das Endlager die Kosten. Deshalb arbeite ich an einer multinationalen Lösung. Trauen Sie Staaten wie Libyen keine sichere Endlagerung zu? McCombie: Es gibt noch ein anderes Problem: den Terrorismus. Früher ging man davon aus, dass niemand radioaktive Abfälle missbraucht, weil die so stark strahlen, dass man dabei selber sterben würde. Davon kann man mit dem heutigen Terrorismus nicht mehr ausgehen. Herr McCombie, glauben Sie nach 35 Jahren erfolgloser Suche immer noch, dass Sie einen Endlagerstandort finden werden? McCombie: Diese Frage wird mir ungefähr einmal pro Woche gestellt. Ja, ich glaube immer noch daran. Wenn die betroffene Bevölkerung anerkennt, dass sie ein gemeinsames Problem hat, und daran glaubt, dass sie es gemeinsam lösen kann, dann kann man Vor- und Nachteile der möglichen Standorte diskutieren. Buser: Du bist ein hoffnungsloser Optimist, Charles (Buser lacht). Ich bin da sehr viel pessimistischer. Wo wir uns treffen, ist bei der Notwendigkeit, mit der Endlagerung vorwärtszumachen. Wir müssen die Fragen und Zweifel mit Experimenten aus der Welt schaffen. Das braucht viel Zeit. Wir haben Experimente, die 20, 30 oder mehr Jahre dauern.

Gibt es etwas, das Sie positiv stimmt auf McCombie: «Auch in der Schweiz lassen sich Standorte Ihrer Suche nach einem Endlagerstandort, finden, die sicherheitstechnisch gut wären. Ich bin aber Herr McCombie? auch nicht so wählerisch wie die Geologen.» McCombie: Die Endlagerung hat einen riesigen Vorteil: Wir haben sehr viel Geld zur Verfügung. Der viele Strom, den die AKW generieren, produziert sehr wenig Abfall. Herr Buser, können Sie sich vorstellen, ein Endlagerprojekt gutBuser: Meine Erfahrung ist eine andere: Abfall ist Abfall. Damit will zuheissen? man möglichst wenig zu tun haben und möglichst wenig Geld dafür Buser: Es gibt keinen Grund, weshalb ich ein Endlager nicht gutausgeben. Und die Kosten explodieren auch im Nuklearbereich. Der heissen könnte. Aber ich werde das nicht tun, weil ich längstens geBund verpflichtet die Kraftwerksgesellschaften zu massiven Rückstelstorben bin, bis man einen Standort gefunden hat. Und Sie auch, Herr lungen. Zusätzlich müssen sie nachfinanzieren bis zum Verschluss des Michel. Endlagers. Und die Pflicht kann verlängert werden auf die Überwachung und Betreuung des Endlagers während 100, vielleicht auch während 500 Wie lange wird denn das noch dauern? Jahren. Da kommen Kosten auf uns zu, die gar nicht mehr kalkulierbar Buser: Die Nagra guckte in der Vergangenheit stets durch die rosa sind. Investoren sind nicht mehr bereit, 10 oder 15 Milliarden Franken Brille. Keiner ihrer Zeitpläne ist auch nur annähernd eingehalten worin ein AKW zu investieren, und der Staat ist nicht mehr bereit, ein neuden. Die laufenden Zeitkorrekturen zeigen schwerwiegende Planungses Atomprogramm zu fördern. defizite und sind kein gutes Zeichen für die Qualität der Arbeiten. McCombie: Ich muss da mal eingreifen in diese Schwarzmalerei … Buser: Für mich geht die Kernenergie dem Ende entgegen, zumindest Glauben Sie, dass Sie es noch erleben werden, Herr McCombie? so, wie wir sie in der Vergangenheit entwickelt haben. In erster Linie aus McCombie: Die Standortwahl könnten wir noch erleben. ökonomischen Gründen, und da gehört die Entsorgung dazu. McCombie: Deine Ansichten sind die einer Minderheit. Nur das Bis jetzt werden die Atomabfälle zwischengelagert, anscheinend deutschsprachige Europa will aus der Kernenergie aussteigen. China sicher. Warum lässt man sie nicht einfach, wo sie sind? will 30 KKW bauen, Saudiarabien 16, die Emirate acht. Die USA haben McCombie: Ich finde, das ist keine Lösung. Wenn diese Technologie seit 30 Jahren zum ersten Mal wieder ein KKW gebaut. Und warum? Abfälle produziert, dann finde ich es nicht vertretbar, diese einfach unWeil man die Energie braucht und keine andere Lösung hat, sie zu proseren Enkelkindern zu überlassen. duzieren.

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Buser: «Ich bin weniger optimistisch, was die Schweiz anbelangt. Alle Gesteinsarten haben ihre Nachteile. Und wie man ein Lager sicher verschliessen kann, damit hat man praktisch keine Erfahrung.» Buser: Ich bin auch gegen das Hüten der radioaktiven Abfälle. Man kann das nicht 300 oder noch mehr Jahre bezahlen. Auch ein Endlager enthält noch viele Jahre Hüten. Unter optimistischen Annahmen dauert es 150 Jahre, bis ein Endlager definitiv verschlossen wird, unter pessimistischen 300 Jahre. Angesichts dieser Zeiträume machen nationale Lösungen überhaupt keinen Sinn. Denken Sie 100 Jahre zurück, wo da die Grenzen waren und was im 20. Jahrhundert alles passiert ist. Und: Man muss nicht nur die Menschen vor dem Endlager schützen, sondern auch das Endlager vor den Menschen, vor ihrer Unvernunft, ihrer Neugier. Wieso sollten künftige Generationen nicht mehr wissen, wie sie mit endgelagerten radioaktiven Abfällen umgehen müssen? Buser: Es gibt gesellschaftliche Bruchsituationen. Wenn es Krieg gibt, dann hören die Aufzeichnungen auf. Wie soll die Erinnerung über Tausende und Tausende von Jahren erhalten werden? Das ist eine der ungelösten Kernfragen der Endlagerung. McCombie: Viele Bauwerke überdauern Generationen. Die Staudämme stehen auch schon lange und werden weiterhin gewartet. Aber man zieht immer noch Nutzen aus ihnen. Ich sehe keinen fundamentalen Unterschied zwischen Staudämmen und der Endlagerung. Buser: In historischen Bruchsituationen passieren die grossen Dummheiten und Unfälle. Schon jetzt werden in Deutschland giftige chemische Abfälle in alte Bergwerke gestellt. Man kippt sie einfach möglichst billig weg. Angenommen, man hätte in der Schweiz einen sicheren Standort definiert. Was würden Sie den Leuten dort sagen, um sie positiv zu stimmen? McCombie: Ich würde Ihnen sagen, dass sie schon lange einen Vorteil geniessen: billigen und sauberen Strom. Konsequenz davon ist, dass wir uns um den Abfall kümmern müssen. Diejenigen, die das Endlager bei sich aufnehmen, tun etwas für die ganze Gesellschaft und sollen entsprechend dafür belohnt werden. Wie bringen Sie die Anti-Atombewegung dazu, ein Endlager zu akzeptieren, Herr Buser? Buser: Das kann ich nicht sagen, weil ich die Anti-Atombewegung nicht repräsentiere. Ich gehe aber davon aus, dass sie eher zum Dauerhüten tendiert als zu einer definitiven Endlagerung. Wie künftige Generationen damit umgehen werden, darüber können wir keine Prognosen machen. Aber ich bin dafür, dass wir gezielt vorwärtsmachen. Es kommt wahnsinnig viel auf die nächsten Generationen zu. McCombie: Wenn wir eine Technologie zur Endlagerung entwickelt haben, von der genügend Leute überzeugt sind, und wenn wir das nötige Geld und einen Standort haben, dann kann ich zurückstehen. Dann hat meine Generation ihre Pflicht getan. ■

* Verpflichtung zum Nachweis, dass Atomabfälle sicher endgelagert werden können. ** Studie, die das kristalline Grundgebirge der Nordschweiz als potenzielles Gestein für ein Endlager auswies. SURPRISE 311/13

Die Reise zum sichersten Ort der Erde heisst der neue Dokumentarfilm des Baslers Edgar Hagen. Er zeigt Charles McCombie auf seiner bislang erfolglosen, weltweiten Suche nach Standorten für ein hochradioaktives Endlager. Nebst anderen Verantwortlichen und Kritikern kommt darin auch Marcos Buser als atomkritischer Geologe zu Wort. Der Film zeigt auf, wie sich der Umgang mit den radioaktiven Abfällen verändert hat, von der Atomeuphorie der Fünfziger bis heute, wo noch jedes Projekt am Widerstand der Bevölkerung gescheitert ist – wenn es nicht schon aus technischen Gründen wieder aufgegeben wurde. Im packenden Erzählton einer beklemmenden Sachlichkeit führt der Film vor Augen, welch gigantisches Problem sich die Menschheit mit der Nutzung der Atomkraft aufgeladen hat. 350 000 Tonnen hochradioaktiven Mülls haben sich bis heute angesammelt, 10 000 Tonnen kommen jedes Jahr dazu. Zu seinem Film meint Regisseur Edgar Hagen: «Wir als Gesellschaft müssen uns mit der Atommüllfrage beschäftigen und dazu eine Kompetenz aufbauen. Wir müssen entscheiden, ob wir der Beweisführung glauben. Wir dürfen nicht einfach denjenigen vertrauen, die sagen: ‹Es kommt schon gut› – sonst bleibt die Frage nach der sicheren Endlagerung eine Fiktion oder eine Glaubensfrage.» Kinostart: 31. Oktober (fer).

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BILD: ZVG

Agnetha Fältskog «Ich war eine sehr vorsichtige junge Dame» Agnetha Fältskog war das eine A in Abba. Schon davor veröffentlichte sie Soloalben mit eigenen Liedern, dieses Jahr erschien ihr Comeback-Album «A». Grund genug für eine Rückschau auf die Anfangsjahre ihrer Karriere.

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AUFGEZEICHNET VON VICKY CARROLL

erst ein Jahr alt und jeder wollte uns haben. Wir hatten zwar immer gute Menschen, die sich um sie kümmerten, aber ich hatte kein gutes Gefühl dabei, sie zurückzulassen. Als mein Sohn 1977 geboren wurde, waren wir schon auf der ganzen Welt bekannt. Es war nicht einfach, alles zur gleichen Zeit unter einen Hut zu bringen: Weltkarriere, heiraten, in diesen Jahren zwei Kinder bekommen, dann die Scheidung ein Jahr nachdem mein Sohn geboren wurde. Das war sehr, sehr schwierig. Es gab eine Zeit, in der ich dachte: Ich weiss nicht, ob ich das schaffe. Nach einer Weile fühlte ich, dass es so nicht weitergehen kann. Ich beschloss, nicht länger als 14 Tage am Stück weg zu sein und dann zurückzukommen und für eine Weile zu Hause zu sein. Ich war schon immer in der Lage, meine Verpflichtungen aufzuteilen. Das war in den Verhältnissen, in denen ich lebte, auch notwendig. Wir gingen nach Australien, wir traten in der Wembley Arena in London auf, das war fantastisch. Dann kehrt man zurück nach Hause und ist ein normales menschliches Wesen. Ich ging von Luxus-Suiten direkt über zum

«Mit fünf Jahren fing ich an, Klavier zu spielen, mit einer Hand. Ich entdeckte, dass ich Melodien spielen konnte, das war fantastisch! Ich lieh mir das Klavier unserer Nachbarn, und als ich dann sieben oder acht Jahre alt war, kauften mir meine Eltern ein eigenes. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Ich sang mit Freundinnen zusammen, und als ich zehn oder zwölf Jahre alt war, fing ich an, selber Lieder zu schreiben. Musik war schon immer in mir. Ich glaube, das habe ich von meinem Vater. Er schrieb Liedtexte und hatte seine eigene Band und trat rund um Jonköping auf, der Gegend in Südschweden, in der ich aufgewachsen bin. Ich hörte damals sehr viel Musik, am Radio und auf meinem Plattenspieler. Ich erinnere mich an die ersten Singles die ich besass: ‹Mr. Lonely› von Bobby Vinton und ‹Bye-Bye Birdie› von Ann-Margret, einem schwedischer Film-Star, der in Amerika lebte. Ich hörte viel Musik aus ganz Europa und Amerika, italienische und britische Sänger, Elvis, die Beatles natürlich. In «Könnte ich zur 16-jährigen Agnetha sprechen, würde ich ihr der Ortschaft, in der ich aufwuchs, war das unsagen: Mach dir nicht so viele Sorgen!» üblich. Als ich 15 war, sang ich für eine Band vor. Ich bekam den Job und begann, in ganz Geschirrabwaschen und dem Leben mit meinen Kindern zuhause. Das Schweden zu touren. Wir schickten Little Gerhard, einer schwedischen war wirklich wunderbar – ich fühlte, dass ich das im Griff hatte und Rockgrösse, eine Tonaufnahme. Er antwortete, er würde gerne zusamschätzte die Zeit zuhause sehr. men mit der Sängerin eine Platte aufnehmen – am Rest der Band war er Solch ein Leben gibt einem viel, aber es zehrt auch an einem. Man nicht interessiert. Dies bedeutete, dass ich die Zusammenarbeit mit iharbeitet nicht nur während der Stunden, in denen man auf der Bühne nen beenden musste, was mir sehr leid tat. Aber ich flog dann zusamsteht, sondern auch davor, wenn man alles plant, die Kleidung, das Mamen mit meinem Vater nach Stockholm und nahm zwei meiner eigenen ke-up, die Haare, alles soll perfekt sein. Man will sein Bestes geben, für Songs als Singles auf. Das war der Moment, als alles wirklich begann. die Fans, für die Welt, für jeden, der einen liebt. Und man darf nie krank Zu dieser Zeit arbeitete ich noch in einem Büro, so hart, dass ich eiwerden. Wir sagten, glaube ich, nur zwei Konzerte ab in all den Jahren nes Tages im Büro ohnmächtig wurde. Da meinte meine Mutter, ich mit Abba. müsse mich entscheiden: Entweder du machst mit dem Singen weiter Könnte ich zur 16-jährigen Agnetha sprechen, würde ich ihr ans Herz oder mit einem richtigen Job. Ich musste nicht lange überlegen! legen, vorsichtig zu sein, da es in diesem Geschäft sehr einfach ist, etMeine ersten zwei Singles wurden veröffentlicht, als ich 18 war, und was zu nehmen, nur um sich zu entspannen. Ich denke, ich kann mich ich war ungeheuer dankbar dafür, es war genau das, was ich schon imsehr glücklich schätzen, weil ich eine Menge Hilfe von verschiedenen mer machen wollte. Aber ich war auch eine sehr schüchterne und vorMenschen um mich herum bekomme, denen ich sehr vertraue und auf sichtige junge Dame – ein wenig angespannt und sehr unsicher. Als ich die ich mich verlassen kann. Und ich würde der 16-jährigen Agnetha sazum ersten Mal in das Studio kam und hörte, dass sie meine Songs spiegen: Mach dir nicht so viele Sorgen! Ich bin ein sehr vernünftiger len, fühlte ich mich, als würde ich auf Wolken schweben! Mensch. Manchmal etwas zu sehr vielleicht. Ich sorge mich oft, und das Die erste Single erreichte gleich Platz eins in den Charts – und dies ist schlecht, weil es einem eine Menge Energie raubt. Aber ich glaube, mit meinem eigenen Lied. Es war fantastisch. Ich lebte nicht wirklich eiich habe es heute besser im Griff. nen Rock’n’Roll-Lebensstil, aber ich war sehr erfolgreich und wurde Als ich darüber nachdachte, ob ich ein neues Album aufnehmen soll, innerhalb Schwedens sehr berühmt. Sie wollten, dass ich es auch in oder nicht, sprach ich auch mit meiner Tochter darüber. Sie sagte: Deutschland versuche, weil jede Menge schwedischer Sänger dort im«Willst du dich da wirklich wieder hineinstürzen? Überleg dir das lieber mer beliebter wurden, und so flog ich, als ich etwa 19 oder 20 war, sehr zweimal!» Das tat ich. Und dann machte ich es! viel zwischen Stockholm und Frankfurt, Hamburg und Berlin hin und Mit 16 wusste ich, dass ich viele Lieder in mir hatte. Aber ich wusste her und veröffentlichte sieben oder acht Singles dort, aber sie schlugen nicht, dass ich so viele davon hatte, dass ich jetzt immer noch Songs nicht wirklich ein. schreiben kann. Allerdings habe ich keine Lust, Konzerte zu geben, das Es war etwa in dieser Zeit, um das Jahr 1970, als ich Björn (Ulvaeus) ist nicht meine Stärke. Ich bin selbstbewusst genug, um zu sagen: Wir kennenlernte. Wir machten beide in derselben Fernsehsendung mit. Gekonzentrieren uns auf dieses Album, das reicht. Das Studio ist in Wirktroffen hatten wir uns davor nie, aber ich hatte von ihm gehört und fand lichkeit mein zweites Zuhause. ihn wirklich süss. Er hatte mich im Fernsehen gesehen und wusste, dass Der Rat, den ich der 16-jährigen Agnetha zum Thema Romantik geich selbst Songs schrieb, das hat ihm mächtig Eindruck gemacht. ben würde, lautet: Gib niemals auf! Und vertraue auf dich selbst. Es ist Ich hatte keine Ahnung, dass dieses Treffen mein Leben verändern so einfach, ein schlechtes Selbstwertgefühl zu entwickeln, es kann so würde. Er und Benny (Andersson) kannten sich bereits und hatten leicht passieren, auch ich habe darunter gelitten. Jeder braucht jemanschon gemeinsam Lieder geschrieben, zusammen mit Bennys Freundin den, der einem sagt, dass man gut ist, dass man besser ist, als man Frida (Anni-Frid Lyngstad), die Jazz-Sängerin war. Von Anfang an fühlselbst denkt. Das ist wichtig.» te sich die Zusammenarbeit gut an und wir hatten sehr viel Spass im ■ Aufnahmestudio. Wir hatten schon vor ‹Waterloo› einen kleinen Hit, das Lied hiess ‹Ring Ring›. Zu dieser Zeit war ich mit dem ersten Kind von Björn und mir schwanger, ich war damals 23 – ziemlich jung. Der Sieg beim Eurovision Song Contest mit ‹Waterloo› im Jahr 1974 war natürlich etwas vom Fantastischsten, was man als Sängerin erreiÜbersetzung: Kamilla Dominika Biskup chen kann. Aber er brachte auch Probleme mit sich. Meine Tochter war www.street-papers.org / The Big Issue UK SURPRISE 311/13

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Surprise Strassensport Die Liga 2013 Auch der Strassensport hat im Surprise-J ubiläumsjahr besonderen Grund zum feiern: 18 Teams nahmen dieses Jahr an den Strassenfussball-Turnieren teil – das ist Rekord! Alles zur Liga und zur Nationalmannscha ft: www.strassensport.ch

eisterschaft vom Resultate Schweizerm ndesplatz in Bern. 29.9.2013 auf dem Bu Kategorie A: 1. Haudenäbe Schwyz 2. AFG Boys Basel sel 3. Schahin Planet 13 Ba 1 ch Ho 4. Zürich 5. Schnell Zug 6. Djavanan Biel 7. Surprise Basel 8. S.S.T. Elim Basel

Kategorie B: rau 1. CSA Teamplayers Aa l sta Lie 2. Street Dogs orf 3. Barracudas Frenkend 4. Team Olten aner Lörrach 5. Schwarzwald Brasili r Basel olo 6. Team AVRB Multic ach 7. Obstikickers Romb 8. Gassechuchi Luzern n 9. TASCH Schaffhause 10.Surprise Zürich

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Longo maï Meine Familie hat 100 Mitglieder Vor zwei Jahren zog die Schweizer Journalistin Katrin Faivre mit ihrem Sohn in die weltweit grösste und älteste Longo-maï-Kooperative – sie feiert dieses Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum. Für Surprise erzählt Faivre, vor welche Schwierigkeiten sie das Gemeinschaftsleben im französichen Limans stellt – und warum es sich für sie trotzdem lohnt, zu bleiben. VON KATRIN FAIVRE (TEXT) UND JULIE TRUDEAU (BILDER)

Das Auto windet sich bergauf über eine schmale Strasse zwischen knorrigen kleinen Bäumen, Ginster und weissem Kalkstein. Über einen holprigen Weg erreichen wir Grange Neuve, die Longo-maï-Kooperative in Limans im Südosten Frankreichs. Hier wohne ich seit zwei Jahren mit meinem dreijährigen Sohn. Nicht allein, sondern zusammen mit vielen Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen aus verschiedensten Ländern. Und ja, manches läuft hier anders, als wenn ich mit Kolya in einer Wohnung in Basel leben würde, wo ich zuvor studiert und gearbeitet hatte. Hier teilen wir unseren Alltag mit rund 100 Menschen, manche stehen uns nahe, andere treffen wir nur selten an. Die Grösse des Kollektivs ist in allen Bereichen zu spüren. Sei es in der Weitläufigkeit des Geländes, in der Einrichtung der Häuser oder in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Am engsten sind wir mit den anderen jungen Familien verbunden. Kolya wohnt mit zwei Mädchen desselben Alters in einem grossen Zimmer, ich ein Stück entfernt in einer Jurte. Wir Eltern organisieren uns gemeinsam und betreuen die Kinder abwechselnd halbtageweise. Wenn ich etwa die Nacht bei den Kindern schlafe, verbringe ich auch den Morgen mit ihnen. Brot und Kaffee fürs Frühstück hole ich in der Grossküche, den Rest bewahren wir im Zimmer in einem kleinen Campingkühlschrank auf. Sobald alle angezogen sind, ziehen wir los auf einen Spaziergang mit den Laufvelos. Die Kooperative in Limans liegt an einer Hügelflanke, das 300 Hektar grosse Gelände umfasst drei Höfe und andere kleinere Wohngelegenheiten, verschiedenste Ställe, Gärten und Werkstätten. Die meisten Leute arbeiten in der Landwirtschaft, aber auch im Büro, wo politische Kampagnen betreut werden und die gemeinsame Kasse verwaltet wird, oder SURPRISE 311/13

schliesslich zuoberst auf dem Hügel im Radiostudio. Beliebteste Destination der Kinder ist jedoch das grosse Trampolin, manchmal gehen wir auch zum Pferdestall, zu den Hühnern oder in den Gemüsegarten, um ein bisschen mitzuhelfen. Alles liegt weit auseinander. Erst am Mittag kommen wir auf den mittleren Hof, wo das Essen für alle gekocht wird. Leicht erschöpft und hungrig sind wir dann und die Mädchen in Erwartung, endlich wieder Mama oder Papa zu sehen. Am Nachmittag wird dann jemand anderes die Kinder betreuen und ich werde einige Stunden im Büro meinen Aufgaben nachgehen. Ein neues Dach fürs Kinderzimmer Den Alltag mit anderen Kindern und Eltern teilen zu können, war für mich ein wichtiger Beweggrund, nach Longo maï zu ziehen. Ich wollte nicht, dass Kolya als Einzelkind aufwächst und in einer Kindertagesstätte betreut wird, während ich arbeite. Ausserdem wollte

brauchte. Das war aber der einfachere Teil. Die tägliche Organisation, die Entwicklung gemeinsamer Erziehungsvorstellungen und die gegenseitige Wertschätzung unter den Eltern sind viel anspruchsvollere Aufgaben. Völlig unterschätzt hatte ich, dass ich die zwei Mädchen in unserer Kindergruppe nicht nur hüte, sondern eine wichtige Bezugsperson für sie werde – was viel Aufmerksamkeit erfordert. So dauerte es ein gutes Jahr, bis Thilo und ich uns mit unserer Kindergruppe und in dem grossen Kollektiv richtig wohlfühlten. Kurz vor dem Mittagessen vibriert der Stress in der Küche. Für 100 Personen zu kochen, ist viel Arbeit und Verantwortung. Wir haben eine Kochliste, auf der sich jeder eintragen kann – was ich etwa einmal im Monat tue. Zweimal täglich wird ein warmes Essen gekocht. Gemüse, Fleisch und Brot produzieren wir möglichst selbst. Ziegenkäse und Eier gibt es je nach Saison. Das Essen ist meist einfach, manchmal lecker gekocht, manchmal weniger,

Im Alltag bleibt mein Portemonnaie oft tagelang in der Schublade. ich, dass Kolya in einer Umgebung mit viel Natur und Tieren aufwächst, in der er sich frei bewegen darf. Und für mich als Mutter war es wichtig, Anschluss an andere Eltern zu finden. Früher habe ich mich in vielen Dingen mit anderen gemeinsam organisiert. Elternschaft zu teilen, scheint aber schwieriger zu sein, und ich beobachte viele junge Eltern, die trotz aller guten Angebote für Familien ziemlich allein sind. Bei unserer Ankunft auf der Kooperative waren die Eltern der beiden Mädchen bereit, die Kinderbetreuung gemeinsam zu wagen. Unser erstes gemeinsames Abenteuer war die Renovation des Kinderzimmers, das ein neues Dach und innen eine Generalüberholung

je nach Können der Kochequipe. Gut kochen und essen ist ein Luxus, den ich mir früher immer geleistet habe, auch wenn ich wenig Geld hatte. Bevor ich das erste Mal zu dieser Kooperative kam, bereitete es mir schon ziemliche Sorgen, abhängig zu sein von einer Grossküche ohne die Möglichkeit, mich selbst zu ernähren. So hatte ich in meinen Rucksack viele Notvorräte gepackt – von Tofu über Getreideriegel bis Schokolade. Mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt, zu essen, was auf den Tisch kommt und mich dabei nicht bevormundet zu fühlen. «Essen wir zusammen?» – «Was nimmst du mit aus der Küche?» Wild gehen die Fragen durcheinander. Gedeckt wird tischweise. Acht, zehn Leute organisieren sich

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zusammen, nehmen Gedecke, Schüsseln und Wasserflaschen mit in den Saal und essen gemeinsam. Ein gemütliches Essen ist selten möglich. Ständig wird man unterbrochen, weil jemand vorbeikommt, um etwas zu fragen oder zu organisieren. Denn die Essenszeiten sind gleichzeitig der Moment, wo das gemeinsame Leben organisiert wird. Und organisiert werden muss einiges, da wir viele Bereiche des Alltags wirklich zu 100 gemeinsam leben, sei es die Arbeit, das politische Engagement zu Migrations- und Landwirtschaftsthemen oder der Haushalt bis hin zum gemeinsamen Geld. Ein Beispiel: Möchte ich eine Reise machen, frage ich im Vormonat ein Reisebudget an. Wir schauen dann gemeinsam, ob wir genug Geld haben für alle angemeldeten Ausgaben. Dann muss ich die Fahrkarte am Bahnhof kaufen, dazu brauche ich das Geld, das mir die Verantwortliche gibt und ein Auto, das ich vorher reserviert habe. In meinem früheren Leben ging das einfacher: Ich habe meine Kreditkarte gezückt und ein Billett im Internet gekauft. Ein gemeinsames Konto mit 100 anderen zu haben, ist gewöhnungsbedürftig, es bringt aber gleichzeitig Freiheiten mit sich. Politik auf dem Bauernhof Im Alltag bleibt mein Portemonnaie oft tagelang in der Schublade. Ich brauche es nur, wenn ich auf Reisen gehe, oder alle zwei Wochen in die nahe gelegene Ortschaft fahre, um kleine Besorgungen zu machen. An Geld habe ich vor allem die 15 Euro Taschengeld wöchentlich. Damit gehe ich Kaffee trinken oder Eis essen. Alle Einnahmen von unserem Hof gehen in eine gemeinsame Kasse, wir haben keinen individuellen Lohn. Wenn ich eine grössere Ausgabe machen möchte, frage ich ein Budget an. Dieses System scheint kompliziert, aber es sorgt dafür, dass ich am Monatsende keine Angst vor ausstehenden Rechnungen haben muss. Zum Beispiel gibt es das Thema Handyrechnung in meinem Leben nicht mehr: Erstens kommt mit dem Taschengeld nur ein Sparflammen-Prepaid-Handy infrage

und zweitens haben wir auf der Kooperative sowieso fast keinen Empfang. Die gemeinsame Kasse hat mich auf die Zusammenhänge von Lohn, Belohnung und Anerkennung aufmerksam gemacht. Die Befriedigung, wenn Ende Monat der Lohn aufs Konto kommt und ich die geleistete Arbeit in Zahlen vor mir sehe, gibt es nicht mehr. Und auch samstägliche Shoppingausflüge gehören der Vergangenheit an. Dadurch hat sich mein Bezug zur Arbeit verändert. Früher war mein Leben in Lohnarbeit und Freizeit eingeteilt. Auch wenn ich meistens interessante Jobs hatte, waren es doch Angestelltenverhältnisse mit der Formel Arbeit gegen Geld. Das implizierte eine Art von sinnlosem Zwang, der die Arbeit für mich trist machte. Wenn Arbeit nicht entlöhnt wird, muss sie von sich aus Sinn machen. Wir haben in Longo maï keinen Chef, und niemand sagt mir, was und wie viel ich zu arbeiten habe. Das muss ich selbst wissen. Es kann sein, dass ich für meine Tätigkeit Anerkennung von den anderen erfahre – oder aber auch nicht. All das wirft mich zurück auf die Fragen: Ist meine Arbeit sinnvoll und macht sie Freude? Wie setze ich meine Ziele nicht zu hoch an und wie verzettle ich mich nicht? Und wie kann ich mit ihr zufrieden sein ohne Anerkennung von aussen? In der Arbeit einen Sinn zu finden, der in ihr selbst liegt, ist übrigens sehr anregend. So steigen manche Tätigkeiten in der Wertschätzung – zum Beispiel gibt es für Kochen und Putzen viel Anerkennung, andere wiederum haben nicht mehr so viel Prestige. Öfters werde ich gefragt, wie das denn funktioniere, wenn niemand die Arbeit verteilt und einteilt: Es funktioniert, weil es in unserer gemeinsamen Verantwortung liegt, dass es der Kooperative gut geht. Nachmittags, wenn Thilo seinen Mittagschlaf macht und ein anderer Elternteil die Betreuung übernimmt, schultere ich meinen kleinen Rucksack und spaziere durch den Wald zum Büro. Zurzeit arbeite ich viel am Computer, um die Ausstellung «40 Jahre Longo maï» mit vorzubereiten. Ich freue mich, in einer so schönen Umgebung arbeiten zu können, und

doch finde ich es komisch, dass ich auf einem grossen Hof lebe und fast keine Landwirtschaft mache – zumindest nicht im Moment. Aber das ist Longo maï, wir betreiben eine Hofwirtschaft und verfolgen politische Projekte. Wenn die Ausstellung vorbei ist, werde ich wieder mehr draussen arbeiten, vielleicht im Gemüsegarten, oder ich lerne endlich, wie man Autos repariert. Ballast zurückgelassen Spätabends steige ich den schmalen Weg hinauf zu meiner Jurte. Stimmen und Lachen klingen nach, Bruchstücke von Musik sind zu hören, sonst nur die Stille. Die Stille der Natur, in der mal ein Ast knackt, mal ein Rascheln zu hören ist. Die Kaugeräusche der Pferde auf der naheliegenden Koppel und über mir der unglaublich weite Sternenhimmel, der in Basel nie zu sehen war. In Longo maï zu leben heisst für mich, viele Vorstellungen vom Leben zu ändern. Einiger Ballast aus meinem früheren Leben ist abgeworfen, und ich fühle mich aufgehoben und leicht in der grossen Gruppe. Ich bin viel wacher und offener für andere Menschen geworden. Die Grenze von Mein und Dein hat sich dabei verschoben, und mir ist bewusster geworden, wie viel ich verändern kann.

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40 Jahre Longo maï 1973 suchte eine Gruppe von Lehrlingen, Schülern und Studenten aus Basel und Wien in europäischen Randgebieten, die von der Abwanderung betroffen waren, neue Freiräume. Die erste Kooperative gründeten sie auf 300 Hektar Brachland in Limans, in der französischen Provence. Seither sind auf der Basis von Solidarität, Handwerk und Landwirtschaft weitere freie, selbstverwaltete Gemeinschaften entstanden: neun Kooperativen in Frankreich, der Schweiz, Österreich, Deutschland und in der Ukraine. Die Idee der Selbstverwaltung geht auf die Utopien der 68er-Bewegung zurück, verknüpft mit alten Formen der Gemeinwirtschaft wie Genossenschaft und Allmende. In Longo maï gibt es keine Lohnarbeit und keinen Chef, es ist politisch unabhängig und religiös nicht gebunden. Heute leben über 200 Erwachsene aus drei Generationen und aus elf verschiedenen Ländern auf den Kooperativen. Dieses Jahr feiert Longo maï sein 40-jähriges Bestehen. Die Ausstellung zum Jubiläum «Die Utopie der Widerspenstigen – 40 Jahre Longo maï» ist im Oktober im Ackermannshof in Basel zu sehen, danach auch in Zürich, Bern, Genf und Lausanne. www.prolongomai.ch SURPRISE 311/13

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BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Haareschneiden Oft wird nach dem Nutzen der Einwanderung gefragt. Einen, den uns die Einwanderung gebracht hat, ist die Wiedereinführung des Herrenhaarschnitts als Handwerk. Man kommt ohne Anmeldung, wenn es Leute hat, setzt man sich kurz hin und lauscht den Gesprächen, von denen man kein Wort versteht. Dann nimmt man auf dem Stuhl Platz, nennt seine Wünsche, wird frisiert, bezahlt einen durchaus günstigen Preis und steht wieder auf der Strasse, mit einer sitzenden Frisur, die keineswegs dem entspricht, was die Amerikaner einen «Ten Dollar Haircut» nennen. Die meisten Männer, die ich kenne, haben wie ich eine Odyssee hinter sich, ehe sie in diesen Salons eine Zuflucht finden. Als Kind wurde man im Dorf zum Coiffeur geschickt, der nicht gross nach Wünschen fragte. Danach wurde man in der Schule einen

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Tag lang ein bisschen gehänselt und verspottet, da aber jeder früher oder später an die Reihe kam, waren das keine traumatischen Erlebnisse. Die Verbrecher, die Generationen von Buben mit Haargel und Igelifrisuren verunstalteten, waren noch nicht im Geschäft. Ab etwa zwölf liess ich die Haare wachsen, was damals noch auffällig war und dazu führte, dass ich von Erwachsenen ständig gefragt wurde, ob ich ein Bub oder ein Meitli sei, und wenn ich sagte ein Meitli, dann wussten sie natürlich, dass das nicht stimmte, weil es war nicht als Frage sondern als Beleidigung gemeint gewesen. Metrosexualität war noch lange nicht erfunden, und unter Fussballerfrisur verstand man nicht die aufwendigen Gockeleien heutiger Sportler. Dann kam der Punk, und man schnitt und färbte sich gegenseitig die Haare, fräste einander zum Spass tiefe Schneisen in den Hinterkopf. Einmal schnitt mir eine Bekannte am Theaterspektakel mit der Nagelschere die Haare und die Leute dachten, es sei eine Performance. Als ich wieder zum Coiffeur ging, hatte sich die Welt verändert. Ich ging von einem zum andern, aber da konnte man sich nicht einfach hinsetzen, man musste einen Termin haben. Die Salons glichen teuren Bars, es wurden Frisuren kreiert, die aufwendiger Pflege bedurften. Als ich endlich einen Coiffeur fand, der tipptopp war, meine Wirbel und sein Handwerk beherrschte, ein angenehmer und sehr

netter Mensch war, der keine Show abzog, war ich glücklich. Dann hörte er auf und liess sich umschulen. Die Odyssee begann von Neuem, ich liess mir vor allem im Ausland die Haare schneiden, mal besser, mal weniger gut, aber doch immer unaufgeregt und ohne Voranmeldung. Nur in Grossstädten wie Paris oder San Francisco traf ich Coiffeure, die als Künstler in einem durchgestylten Atelier zu trendiger Musik ihren Beruf zelebrierten, und ich verliess diese Läden selten zufrieden. Das Coiffeurhandwerk ist ein anspruchsvolles, daran besteht kein Zweifel. Darin lauert denn auch die Tücke des Erfolgs dieser einfachen, aus Familien- oder Einmannbetrieben hervorgegangenen Einwanderersalons. In meiner Heimatstadt hat eines dieser Unternehmen in kurzer Zeit mehrere Filialen eröffnet, und beim Besuch einer solchen traf ich auf einen regelrechten Grobian, der es sichtlich als Zumutung empfand, dass ich eigene Vorstellungen über die gewünschte Haarlänge hatte. Vielleicht geht die Odyssee bald wieder los.

STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: MILENA SCHÄRER (MILENA.SCHAERER@GMX.CH) SURPRISE 311/13


Buch Moscheen statt Münster Felix Bornhauser nimmt sich in seinem Roman «Basel 2040» gelassen bis glossenhaft der Zukunftsängste vor einem islamisierten Basel an.

«Ich selber habe keine Angst vor der Islamisierung, aber durchaus Respekt davor, was mit den Leuten passiert, die Angst haben», erzählt Bornhauser am Holztisch einer Kleinbasler Quartierbeiz. Das Interieur und die wenigen anderen Besucher lassen eher an die Vergangenheit denken als ans Jahr 2040. Doch in genau solchen Spunten keimte beim schreibenden Pensionär die Idee für sein zweites Buch. Als passionierter Beizengänger liest er hier gerne Zeitung und schnappt, neben einem Bier, auch die Gespräche andere Gäste auf. Mehr oder minder fiktive Stammtisch-Diskussionen und Schlagzeilen der letzten Jahre sind denn auch die Fixpunkte in den knapp 120 Seiten von «Basel 2040». Bornhauser setzt sie als Rückblenden in die Vergangenheit ein, auf die er eine «sozialkritische wie satirische Vision» für seine geliebte Heimatstadt spinnt. «Im Jahre 2040 des gleichen und doch etwas anderen Herrn sah es in Basel so aus, wie es rechte Politiker und die allgegenwärtigen Experten einst befürchtet und vorausgesagt hatten», startet das Buch. Doch Sanddünen bei den Rheinsalinen Schweizerhalle, Steinigungen von Hooligans des Fussballclubs FCB Al Heini auf dem zum Taksim- umbenanten Claraplatz und Kamelrennen auf der Pferderennbahn Schänzli übersteigen selbst die Wahnvorstellungen des Rechtsaussen-Enfant-Terribles der Basler Politik, Erich Weber. Immerhin hat es der skandalträchtige Kleinbasler mit seiner unglücklich inszenierten «Flucht» nach Abu Dhabi in ein Stammtisch-Gespräch des Buches geschafft: «Du mainsch dängg dr Wäber wo si Fiidle in d’Kamera gheebt het im Interview mit dr Basler Zytig. Y ha mir das uf youtube aagluegt. Dä Maa isch e absoluti Bombe, aber är sott in Abu Dhabi explodiere und nit do bi uns!» Baseldeutsch nutzt Bornhauser immer wieder, wenn er die Bebbi von heute oder in der Zukunft reden lässt, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Protest-Grafittis des Islam-Widerstandes gegen die Schliessung des Rotlichtviertels wie «doo gheere Wyber ane – nundefahne» lesen sich dabei wie Laternen-Versli an der Basler Fasnacht. Kein Wunder, ist der Autor doch selbst aktiver «Pfyffer». Die Fasnacht kann er darum wohl auch nicht sterben lassen. Nur findet sie nun im abgedunkelten Säli des Basler Vereins 2015 statt. Der Morgestraich beginnt allerdings erst um Sieben Uhr, nach dem Morgengebet. Gespielt wird der «Arabi». In den ihm vertrauten Gefilden – dazu zählt auch das Jazz-Milieu, in welchem sich seine Protagonistin Wanda Bieder bewegt – ist das Buch denn auch präzise. Ansonsten bedient sich Bornhauser gerne bei Klischees und gibt auch unumwunden zu, kein Islam-Fachmann zu sein: «Alles was ich wissen musste, hab ich gegoogelt.» Sein Anliegen ist es, die Islam-Diskussion etwas unverkrampfter, ja locker anzugehen. «Man muss nicht erst studieren, um Missstände im eigenen Revier zu erkennen. Gerade im Kleinbasel ist es offensichtlich, dass sich viele Leute vor einer Islamisierung fürchten. Und ob nun berechtigt oder nicht: Die SURPRISE 311/13

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VON OLIVIER JOLIAT

Wer hat Angst vor dem Islam?

Quartierbewohner haben ein Recht darauf, Angst zu haben. Die Politiker gehen jedoch nicht darauf ein, sondern nutzen oder negieren die Ängste – je nach Gesinnung.» Um den Puls der Leute zu spüren, hat er 20 Menschen, von der Kindergärtnerin über den Studenten bis zum Rentner, einen Fragebogen ausfüllen lassen. Bornhauser erkennt in den Antworten «eine diffuse Angst vor Übergriffen». Wie brisant das Thema ist, merkte Bornhauser auch bei seiner Werbetour für die Buchvernissage durchs Kleinbasel. Seinem türkischen Coiffeur wie auch dem Kulturbüro Basel waren die Flyer zu heikel. Genau solche sich abschottende Parallelgesellschaften, sagt Bornhauser, seien ihm ein Gräuel. Man kann dem Buch vorwerfen, dass die Rahmenhandlung von Wanda Bieder und ihrem syrischen Secondo-Partner Eblis Jabbar ziemlich simpel gestrickt ist und mit offenen Maschen endet. Dass dieser rote Faden wohl einfach dazu dient, die überdrehten und so durchaus amüsanten Zukunftsvisionen aneinanderzureihen. Aber das Buch macht weder politisch noch religiös wirklich wertende Aussagen. Vielmehr fordert «Basel 2040» dazu auf, existierende wie kommende kulturell bedingte Probleme mit gesundem Selbstbewusstsein und Humor zu begegnen. Das Buch ist kurz und die Sprache weder verkopft noch blöd. So spricht «Basel 2040» vielleicht auch weniger Literaturbeflissene an. Und gerade beim Thema Islamophobie ist der eine oder andere Schenkelklopfer in der Beiz allemal besser als die Faust im Sack. ■ Buchvernissage «Basel 2040», 26. Oktober, 14 Uhr, Restaurant Klybeck Casino, Basel.

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Kultur

Der Fernseher: Quelle des Lichts und der geistigen Nahrung.

Ein gemütliches Picknick im Grünen fühlt sich anders an.

Magazin Generation Mattscheibe

DVD Unbehagliches Dorfleben

Die Herbstausgabe des Comicmagazins Strapazin ist eine frechnostalgische Hommage an die Fernsehserien.

«La Lisière» ist ein mysteriöser Psychothriller mit ausgeprägtem Kunstwillen. Am Rand des Waldes wird bloss ahnbar, was in seinem undurchdringlichen Inneren passiert.

VON CHRISTOPHER ZIMMER VON ANDRE WILLIMANN

Flimmerkiste oder Pantoffelkino, Glotze, Röhre oder Mattscheibe … Nomen ist hier Omen und spiegelt die Haltung zum Phänomen TV wider, je nachdem, ob man eine erklärte Couch-Potato oder ein abgeklärter Medienkritiker ist. Was bereits 1886 mit einem ersten Patent begann, spaltet noch heute die Gemüter und hat nichtsdestotrotz einen rasanten Siegeszug durch die Wohnstuben der Welt hinter sich – und einen heftigen Verdrängungskampf vor sich. Vorbei die Zeiten, in denen sich Familien und halbe Dörfer vor dem magischen Bilderrahmen versammelten. Schon sind die Inhalte nur noch eine Datenquelle unter vielen für die mobile Gemeinde der Singlekonsumenten. Ade, du heile Fernsehwelt! An dieser Wende der Seh- und Konsumgewohnheiten wirft das Comicmagazin Strapazin einen Blick zurück. In die Zeit, als der Fernseher noch der Nabel der Medienwelt war, als Edgar Wallace, WeihnachtsVierteiler und Mondlandungen noch die Strassen leerfegten. Die Einstiegsdroge Nummer eins für den Blick durch das «Fenster zur vorgetäuschten Realität» war die TV-Serie, und ihr simples, aber bewährtes Erfolgsrezept (bis heute): «Jedes Mal neu, aber in Wahrheit jedes Mal dasselbe.» 150 Kunstschaffende folgten dem Aufruf von Strapazin, am Ende gab der Server ob der Flut der Einsendungen den Geist auf. Einzige Vorgabe war, die Lieblingsserie in nur einem Strip vorzustellen. Manche Serien schafften es mehrmals ins Heft, Spitzenreiter ist «Twin Peaks» mit vier dieser Kürzest-Comics. Die chronologische Abfolge der Resultate, die von «A-Team» bis «Zorro» reichen, beginnt mit «Lassie» von 1954 und endet bei Serien, von denen, wie die Herausgeber gestehen, «wir Alten noch nie gehört haben». Diesen medialen Lackmustest kann jeder für sich selbst machen. Ein zwiespältiges Erlebnis für den, der vieles (wiederer)kennt: wehmütige Freudenschauer angesichts der Helden der Jugendtage versus leises Grausen darüber, wie viel und wer da alles zur eigenen (Ver-)Bildung beigetragen hat. Da tut es gut, dass vier Autoren zwischendurch die eigenen Kindheits-TV-Erfahrungen schildern. Man ist nicht allein. Die Generation Mattscheibe ist nicht minder ein Massenphänomen wie das Objekt ihrer Begierde. Strapazin. Vierteljährlich erscheinendes Comicmagazin. Nr. 112, September 2013:

Der junge Arzt François hat soeben sein Medizinstudium beendet und zieht aus der Grossstadt in eine ländliche Retortensiedlung namens Beauval. Dort trifft er auf eine in ihre merkwürdigen Geheimnisse verstrickte Gemeinschaft und muss sich in einem Geflecht aus erotischen Angeboten, offener Ablehnung und subtilen Machtspielen behaupten. Während die Mädchen des Dorfes sich krank stellen, damit der junge Arzt mitten in der Nacht von den Eltern an ihr Bett gerufen wird, legt auch der Hauptinvestor der örtlichen Ökonomie und inoffizielle Bürgermeister des Dorfes ein sonderbares, dominantes Verhalten an den Tag. Das Dorfleben ist geprägt von einer seltsamen Intimität der Bewohner untereinander. Beinahe scheint es, als würde die Gemeinschaft ein tendenziell inzestuöses Geheimnis teilen und schützen. Jede Nacht trifft sich die mit Mofas motorisierte Dorfjugend am Waldrand, um sexuell konnotierte Spiele zu spielen. Als während einer Mutprobe ein junges Mädchen auf einer Waldstrasse zu Tode gefahren wird, kommt der Arzt und Sportwagenliebhaber François in den Verdacht, der Fahrer des Wagens gewesen zu sein. Der Film ist sehr ruhig und in einer fast spürbar unterkühlten Stimmung gefilmt. Gesagtes verweist auf Unausgesprochenes, Taten verweisen auf Gewalt und Verwilderung. Handlungen und Sprache dienen nur der Andeutung und Täuschung, das Unbehagen ist allgegenwärtig. Als Bild dafür dient der Waldrand, welcher den schmalen Grat bildet zwischen dem industriell errichteten Ödland des Pseudo-Wohlfühldorfes Beauval und der Wildnis des Waldes. Leider untergräbt diese seltsame Mischung aus realistischer Darstellung und permanenter symbolischer Überhöhung die Glaubhaftigkeit der Charaktere. Das grosse Geheimnis wird allzu sehr hochbeschworen, die Motivation der Figuren bleibt nebulös. Als Erstlingswerk der Jungregisseurin Géraldine Bajard ist der Film dennoch interessant, und zwar vor allem für Menschen mit kreativer Ader: «La Lisière» stellt eine eindrückliche Sammlung an künstlerischer Methodik und handwerklichen Kniffen dar. Géraldine Bajard: «La Lisière – am Waldrand», D/F 2010, 100 Min., mit Melvil Poupaud, Audrey Marnay, Hippolyte Girardot u. a. Mit freundlicher Unterstützung von Les Videos, Zürich: www.les-videos.ch

Fernsehserien. 12 CHF.

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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Schweiz 1952: Die Mittelschicht sammelt erste Erfahrungen im Sonnenbaden. 01

Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

Fotografie Schweiz im Aufbruch

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VXL Gestaltung und Werbung AG, Binningen

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Proitera GmbH, Basel

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advocacy ag, communication and

Das Museum im Bellpark Kriens macht das Archiv des Magazins «Heim und Leben» der Öffentlichkeit zugänglich: Ein starkes Stück Schweizer Presse- und Zeitgeschichte.

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BEVBE Ingenieurbüro, Bonstetten

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Margareta Peters Gastronomie, Zürich

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Gemeinnütziger Frauenverein, Nidau

consulting, Basel

VON MONIKA BETTSCHEN

Es ist bis heute ein ungelöstes Rätsel, wie das in Schachteln verpackte Archiv des Luzerner C.J. Bucher Verlags in die Bestände des Museums im Bellpark gelangt ist. Geschätzte 3000 Pressefotografien von den Dreissiger- bis Sechzigerjahren, die mehrheitlich in der Zeitschrift «Heim und Leben» abgebildet waren, schlummerten einen Dornröschenschlaf, bevor sich die Verantwortlichen der aktuellen gleichnamigen Ausstellung, Museumsdirektor Hilar Stadler und Archivar und Co-Kurator Ralf Keller, damit beschäftigten, ein passendes Ausstellungskonzept zu finden. «Uns faszinierte die hohe Qualität dieser Bilder und deren Aussagekraft über eine Schweiz im Wandel Richtung Modernisierung», erzählt Ralf Keller. Während der zeitintensiven Sichtung sind die beiden Männer oft auf grosse Namen der Pressefotografie jener Jahre gestossen, zum Beispiel auf Theo Frey, Arnold Odermatt, Paul Senn oder Monique Jacot. «Wir machten es uns zum Ziel, eine Ausstellung zu schaffen, in der einerseits die Ästhetik der Bilder für sich spricht, andererseits dem Betrachter die Möglichkeit gegeben wird, den Zeitgeist jener Jahrzehnte zu erspüren», so Keller. Abgesehen von den Titelblättern, die nach einiger Zeit in Farbe gedruckt wurden, publizierte «Heim und Leben» alle Fotografien in Schwarzweiss, wobei das Tiefdruckverfahren eine gute Qualität ermöglichte. In der Ausstellung wird erfahrbar, wie sich der Blick der Fotografen auf ihr Land langsam veränderte. Steht in den Dreissigerjahren der reine Nachrichtenwert eines Fotos im Vordergrund, prägt ab den Fünfzigern der Lifestyle-Gedanke die Sujets. Presse- und Werbefotografie kommen sich in einer wachsenden Konsumgesellschaft zum ersten Mal sehr nahe. Das zeigt sich etwa auf dem Foto von einem Pärchen beim Sonnenbaden, «Beine» genannt, von Fernand Rausser 1952. Der Fotograf zeigt nur einen Ausschnitt dieser Szene, nämlich die genüsslich gestreckten Beine mit modisch beschuhten Füssen, und macht diese zu Zeichen eines bescheidenen Wohlstands. Die Fotografie einer «Strassenüberführung fürs Vieh» von Arnold Odermatt aus dem Jahr 1964 macht deutlich, wie Konsum und Fortschritt das Gesicht der Schweiz veränderten und wie erstaunlich aktuell die Themen von damals bis heute sind, wo Mobilität und Zersiedelung die Gemüter erhitzen.

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Schweizer Tropeninstitut, Basel

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VeloNummern.ch

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Scherrer & Partner GmbH, Basel

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Applied Acoustics GmbH, Gelterkinden

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Buchhandlung zum Zytglogge, Bern

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hervorragend.ch, Kaufdorf

14

Kaiser Software GmbH, Bern

15

Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

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Coop Genossenschaft, Basel

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Cilag AG, Schaffhausen

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Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Ottenbach

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Novartis International AG, Basel

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Solvias AG, Basel

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Ernst Schweizer AG, Metallbau, Hedingen

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confidas Treuhand AG, Zürich

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ratatat – freies Kreativteam, Zürich

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G.A.T.E.S., Hôteliers & Restaurateurs SA, Basel

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Claude Schluep & Patrick Degen, Rechtsanwälte, Bern

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

Ausstellung «Heim und Leben», noch bis 3. November im Museum Bellpark in Kriens. 311/13 SURPRISE 311/13

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Ausgehtipps

Pure 80s: DJ Kaisi, das Mandat und JR Ewing himself.

Ein Elefant? Martin Moffon erzählt Geschichten.

Basel Völlig losgelöst

Basel Geschichten aus Afrika Schön, wenn schon im Pressetext zu einer Veranstaltung mit Klischees aufgeräumt wird. «Es ist auch in Afrika so, dass die mündliche Erzählkultur immer weniger gelebt und von anderen Medien verdrängt wird», heisst es in den Unterlagen zur Erzählnacht im Basler Quartiertreffpunkt Lola. Trotzdem gibt es auch heute noch Geschichtenerzähler, die eine Kultur pflegen, die zurückgeht auf eine Zeit vor der Schrift. Martin Moffon (Bild) aus Kamerun erzählt mit Stimme, Gestik und Trommel von Elefanten, Löwen und Affen. Daneben gibt es auch Geschichten vom in Basel lebenden Senegalesen Oumar Diouf sowie von Paul Strahm und Erna Dudensing. Das Publikum bleibt bei der Erzählnacht nicht auf die Zuhörerrolle beschränkt, denn es gibt auch Musik und Tanz, die zum Mitmachen einladen. Gehen Sie hin, dann haben Sie nachher etwas zu erzählen. (ash)

«dr Tod, eine Ausstellung zwischen Diesseits und

Alles begann im Jahre 1999. Eine Dekade hatte sich zwischen die Achtzigerjahre und die Gegenwart gelegt und der Grunge hatte mit gitarrengewaltiger Gründlichkeit die SynthiePop-Wölkchen vertrieben. Da fanden ein paar Studenten und –innen in Basel, man könnte es wagen, sich der Sehnsucht nach der nun mal in den Achtzigerjahren verlebten Teeniezeit hemmungslos hinzugeben. Zum Glück war einer unter ihnen, der sich mit Hits auskannte wie kein zweiter. Man erzählte sich, dass man ihn danach fragen konnte, wer im April 1987 auf Platz 3 der Charts war – und umgehend die richtige Antwort bekam. Sie nannten ihn DJ R. Ewing (nach dem Bösewicht der ehemaligen Lieblingsserie der Mutter eines der Studenten), die Party im Tresor beim Sommercasiono tauften sie «Solid Gold», als Motto wählten sie «Jetzt wird wieder gepoppt». Und die Nostalgiker rannten ihnen die Bude ein. «Solid Gold» ist Geschichte, doch die Achtziger leben, genauso wie DJ R. Ewing. Seit nunmehr zehn Jahren ist er mit «das Mandat» und DJ Kaisi im Raumschiff Apollo 80s unterwegs und poppt die Basler Tanzhäuser von Carambar bis Sud. Als Zückerchen gibt es zum Sound auch gleich die Videos. Keine falschen Hemmungen also beim Styling: Haare auftoupieren, Neonstirnband umbinden, T-Shirt verknoten – du wirst nicht allein sein. (fer)

Jenseits», jeweils sonntags und feiertags

«Apollo 80s» mit das Mandat und DJ R. Ewing,

14 bis 17 Uhr oder auf Anfrage, noch bis 24. November,

Fr, 1. November (jeden ersten Freitag im Monat),

Regionalmuseum Schwarzwasser,

ab 21 Uhr, Sud, Basel.

Anfang und Ende: Stein-Ei auf dem Friedhof Bümpliz.

Schwarzenburg/ Bümpliz Schaurig humorvoll In der Region Bern geht der Tod um. Zum einen im fribourgischen Schwarzenburg, wo ihm das Regionalmuseum Schwarzwasser eine vielseitige Ausstellung widmet. Neben Exponaten mit Gruseleffekt gibt es auch Hintergrundinfos zu dem einen Thema, das jeden betrifft. Zum Beispiel zum Umgang mit dem Tod in den verschiedenen Weltreligionen, die, wie Kurator Urs Rohrbach betont, dank der Migration alle in der Region vertreten sind. Dazu gibt es Aussenstationen, die zu einem Herbstspaziergang ins wunderschöne Schwarzenburgerland einladen. So erfährt man auf der Grasburg, wie dem Landvogt das letzte Stündlein geschlagen wurde und in der Kirche Guggisberg, welches Ende Vrenelis tragische Liebe zu Simes Hans-Joggeli nahm. Eine einzige Aussenstation ist die Ausstellung «Übersetzen», die sich ums selbe Thema dreht: Sie findet auf dem Friedhof Bümpliz statt. Dort sind Werke von Künstlern zu sehen, die dem Tod auch seine verspielte und gar seine humorvolle Seite abgerungen haben. (fer)

Sa, 2. November, 19 Uhr, Quartierzentrum Lola, Lothringerstr. 63, Basel.

Anzeige:

www.regionalmuseum.info

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Helldorado spielen räudigen Rock und Mörderballaden.

Kunst ohne Anstrengung: Julia Holter.

Auf Tour Leder und rote Lippen

Winterthur/St. Gallen Faszinierende Soundcollagen

Die Zeiten sind hart, die Liebe schmerzhaft, und der Whisky schmeckt auch nicht mehr recht. Das Schöne an Klischees ist ja, dass sie einen des Sinnierens und Reflektierens entheben. Manchmal tut das gut. Ein Mindestmass an Geschmack darf man aber auch in solchen Momenten wahren, und darum ist es gut, gibt es Helldorado. Die verhandeln nämlich die eingangs angesprochenen Themen in Musik zwischen Morricone und Tarantino, räudigem Rock und Mörderballade. Die Norweger schreiben seit gut zehn Jahre stilsichere Themen-Songs, sind damit in der Türkei zu Stars geworden und spielen nun angeführt von Wahnsinnssänger Dag Vagle ein paar Club-Shows in der Schweiz. Eine gute Gelegenheit, die Lederjacke aus dem Schrank zu holen, die Stiefel zu putzen und später an der Bar eine Schönheit mit dunklen Locken und roten Lippen mit geistigen Getränken und geistreichen Bemerkungen zu bezirzen. Wenn das nicht so Ihr Ding ist: Jeans und Luftgitarre tuns auch. Hauptsache, Sie haben Spass. Und denken nicht zuviel nach. (ash)

«Kaliforniens schönste Stimme», nannte sie der deutsche Rolling Stone. Aber Obacht: Julia Holters Songs sind wenig sonnig. Zwar liess sich die studierte Komponistin für ihr drittes Album erstmals auf Produzenten und Mitmusiker ein, konventionelle Lieder bietet «Loud City Songs» aber kaum. Dafür faszinierende Soundcollagen, mulmig machende Bläserklänge und gespenstische Pianos, irrlichternde Saxophone und Strassenlärm. Keine leichte Kost, die der 28-Jährigen Vergleiche mit Laurie Anderson und John Cage eintrugen. Allerdings gehört Holter nicht zu jenen Musikern, die in ihrem Kunststreben anstrengend wirken. Dafür betört sie in Songs wie «In The Green Wild» und «This Is A True Heart» mit sachtem Groove und einer Stimme, die distanziert und freundlich und unvergesslich klingt. (ash) So, 27. Oktober, 20 Uhr, Salzhaus, Winterthur; Sa, 2. November, Palace, St. Gallen.

Mi, 23. Oktober, 19.30 Uhr, Eldorado, Zürich; Do, 24. Oktober, 20 Uhr, Senkel, Stans; Fr, 25. Oktober, 21 Uhr, ISC, Bern.

Anzeigen:

— www.theater-basel.ch, Tel. +41/(0)61-295 11 33 — SURPRISE 311/13

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SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, U-Abonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Andreas Ammann Bern

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René Senn Zürich

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Fatima Keranovic Basel

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Jovanka Rogger Zürich

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1 Monat: 500 Franken

311/13 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 311/13

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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.

Ich möchte Surprise abonnieren!

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.

24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–

Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden vom Verein Surprise geführt. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.

Geschenkabonnement für: Vorname, Name Impressum Strasse

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Herausgeber Verein Surprise, Postfach, 4003 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Reto Aschwanden, Florian Blumer (Nummernverantwortlicher), Diana Frei, Mena Kost redaktion@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Amir Ali, Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Monika Bettschen, Vicky Carroll, Manuela Donati, Katrin Faivre, Andrea Ganz, Ruben Hollinger, Stephan Michel, Julie Trudeau, André Willimann Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 17 000, Abonnemente CHF 189, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Christian von Allmen

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Alfred Maurer, Bruno Schäfer, Pappelweg 21, 3 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99 Paloma Selma, p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Biert (Leitung), Olivier Joliat (Medien), David Möller (Sportcoach) l.biert@vereinsurprise.ch, www.strassensport.ch Vereinspräsident Peter Aebersold Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen.

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Surprise Da läuft was Strassensport Schals für Sieger Im Frühling dieses Jahres riefen wir dazu auf, Fanschals mit Schweizerkreuz zu stricken, als Freundschaftsgeschenke unseres Nationalteams an ihre Gegner am Homeless World Cup in Polen. Zehn Schals wurden uns zugeschickt – einer gar aus Australien. Sie wurden vor den Spielen den Captains unserer jeweiligen Gegner feierlich überreicht. Allen Strickerinnen und Strickern: Vielen Dank! Unser Team kürte auch den schönsten Schal. Ruth Liechti aus Esslingen erhielt dafür einen Fussball mit Originalunterschrift von Fussballexperte Gilbert Gress, gespendet vom Surprise-Strassensport-Hauptsponsor Hyundai. Ihr Schal wurde im letzten Spiel dem Captain des Teams aus Kanada überreicht. Er brachte Glück: Unsere Nati gewann das Spiel im Penaltyschiessen 5:4.

Die Surprise-Nati Ausgabe 2013 präsentiert stolz die von Leserinnen und Lesern gestrickten und mit dem Nati-Emblem versehenen Schals.

Wollen auch sie unsere Fussball-Nati nächstes Jahr mit einem Schal unterstützen? Strassensport-Leiterin Lavinia Biert gibt Auskunft über die stricktechnischen Details: l.biert@vereinsurprise.ch.

Tagescaptain Louis Nké überreicht in Polen dem Captain des kanadischen Teams den Schal …

… den Surprise-Leserin Ruth Liechti gestrickt hat. Der Ball, den sie damit gewann, ist nun im Besitz ihres fussballbegeisterten Enkels.

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