Geld und Liebe Paare reden über ihre Finanzen Lemminge und Legehennen: ein Banker packt aus
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Jello Biafra über alles – ein Gespräch mit dem Paten des US-Punk
Nr. 314 | 29. November bis 12. Dezember 2013 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
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Titelbild: Karin Scheidegger
Editorial Tabuzone Portemonnaie
Entsprechend harzig ging es voran, als meine Kollegin Mena Kost loszog, um Leuten auf der Strasse die oben genannten zwei Fragen zu stellen. «Keine Auskunft», hiess es meistens, und das, obwohl sie eine anonyme Publikation zusicherte und an ein Foto nicht einmal zu denken wagte. Doch sie blieb beharrlich und fand schliesslich doch sechs Menschen, die ihr einen Einblick in ihre Tabuzone gewährten. Einen Mann traf sie dabei, der ganz offen erzählte, dass er arbeitslos sei, während seine Frau gut verdiene – und wie sehr ihn dies belaste. Er ist, bezeichnenderweise, Engländer.
BILD: ZVG
Wie viel verdienen Sie? Wer zahlt was in Ihrer Beziehung? Sollten Sie jetzt kurz zusammengezuckt sein, wären Sie in guter Gesellschaft. Geld scheint hierzulande nach wie vor das Tabu Nummer 1 zu sein. Oder wie 20 Minuten kürzlich titelte: «Schweizer reden eher über Sex als über Lohn».
FLORIAN BLUMER REDAKTOR
Warum tun ausgerechnet wir Schweizer uns so schwer, offen über Geld zu reden? Weil wir so unverschämt viel davon haben? Weil wir uns vor dem Neid der anderen fürchten? Oder vor allfälligen Begehrlichkeiten? Etwas mehr Transparenz und Offenheit in dieser Frage würde jedenfalls einer gerechteren Verteilung der Mittel kaum schaden. Ein Anfang ist gemacht: Im Abstimmungskampf zur 1:12-Initiative wurde immerhin schon mal über die Löhne der anderen geredet. Noch verschwiegener als Herr und Frau Schweizer sind die Vertreter der Finanzbranche, die in den letzten 20 Jahren, der Zeit der Finanzmarktliberalisierung, ihre ganz grosse Party gefeiert haben. Der ehemalige Investmentbanker Rainer Voss hat das Schweigen gebrochen: Er ist die Hauptperson in einem neuen Dokumentarfilm, der einen das Fürchten lehrt. Kalte Schauer laufen dem Zuschauer über den Rücken, wenn er erzählt, wie Börsenhändler heute die Macht haben, ganze Länder anzugreifen und in den Bankrott zu treiben. Und er auf die Frage, wer denn als Nächstes dran sei, eiskalt und bestimmt antwortet: «Frankreich. Frankreich.» Wir haben Voss zum Interview gebeten. Zuletzt etwas höchst Erfreuliches: Frank Begbie ist zurück! Der notorische Schläger und Choleriker aus dem Kultbuch «Trainspotting» von Irvine Welsh (und der nicht minder kultigen Verfilmung von Danny Boyle) hat einen grossen Auftritt in Welshs etwas anderer Weihnachtsgeschichte, die wir in diesem Heft erstmals auf Deutsch publizieren. Der schottische Erfolgsautor hat sie exklusiv für das internationale Netzwerk der Strassenzeitungen INSP geschrieben. Ein grosser Dank an dieser Stelle an das fantastische Team in Glasgow, das Irvine Welsh dazu als INSP-Botschafter gewinnen konnte. Ich wünsche eine schaurig schöne Lektüre, Florian Blumer
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@vereinsurprise.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise SURPRISE 314/13
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12 Partnerschaft Meins und Deins Alles in einen Topf werfen? Strikte Trennung und Ende Monat Zettelchen zusammenrechnen? Oder gleich mit einer ganzen Kommune teilen? Wir haben sechs Paare – in einem Fall ein Trio – gefunden, die uns über ihren Umgang mit Geld Auskunft gaben. Das Thema ist wichtiger, als manche wahrhaben wollen: Laut Paartherapeut Guy Bodenmann ist Geld eines der Top-3Streitthemen in der Beziehung.
BILD: KARIN SCHEIDEGGER
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Inhalt Editorial Intime Geständnisse Die Sozialzahl Platz da! Porträt Bünzli mit Hörnern Aufgelesen Kampf um alte Kleider Zugerichtet Missbrauch am Heiligabend Hausmitteilung Frust? Freude! Starverkäuferin Rada Holenweger Finanzmarkt Ein Investmentbanker packt aus Fremd für Deutschsprachige Den Weg gespurt Film 25 Jahre anderes Kino Kultur Zersiedelte Heimat Ausgehtipps Höllischer Country Verkäuferporträt Bruno Bölsterli Projekt SurPlus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP
16 Jello Biafra Adrenalin im Hirn BILD: MEHDI BENKLER
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Als Sänger der Dead Kennedys provozierte Jello Biafra schon mit der ersten Single «California Über Alles» das US-Establishment. Die Dead Kennedys gibt es schon lange nicht mehr, doch ihr Sänger ist bis heute einer der angriffigsten Aktivisten zwischen Musik und Politik. Im Interview spricht er über Geld als Politikerdroge, die Folgen von Occupy und den neuen Feudalismus und er erklärt den Zusammenhang zwischen Ladenketten und Kommunismus.
BILD: SARAH WEISHAUPT
19 Irvine Welsh Weihnachten bei Begbies
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«Trainspotting» ist Kult. Das Buch von Irvine Welsh und der Film von Danny Boyle aus den Neunzigern provozierten mit expliziten Drogenszenen, Trostlosigkeit und schottisch-britischem Humor. In Welshs exklusiv für die Strassenzeitungen dieser Welt geschriebenen Kurzgeschichte gibt Choleriker Frank Begbie ein fulminantes Comeback. Frisch aus dem Gefängnis zurück, taucht er am Weihnachtsfest seiner Familie auf – mit der einen oder anderen Überraschung im Gepäck.
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n pro Zimmer
0.7 Pers. 1980
0.63 Pers. 199 0
0.59 Pers. 20 00
Quelle: BFS, 20 13 Daten aus eidge nö
0.79 Pers. 1970
:
– 2000.
BewohnerInne
ssischen Volks zählungen 1970
Wohndichte: Wohnungen m it Anzahl Bew ohnerInnen pr Jahr bis 0.5 o Zimmer in Pr Pers. 0.51 –1 ozent Pers. 1.01 –1 1970 27.7 % .5 Pers. 1.51– 2 Pers. 2.01 53.4 % + Pers. 13.7 % 1980 36.7 % 2.1 % 53.2 % 3.1 % 7.8 % 1990 45.2 % 0.8 % 47.7 % 1.5 % 5.2 % 2000 53.5 % 0.5 % 40.6 % 1.4 % 4.2 % 0.5 % 1.3 %
Die Sozialzahl Mehr Platz – kaum daheim In der Schweiz werde es eng, wird gerne behauptet. Die Wohndichte ist in aller Munde , Verdichtung das Schlagwort der Stunde. Wenn mehr Men schen in der Schweiz leben, braucht es mehr Wohnungen. Und wo es in der Breite keinen Platz mehr hat, muss man halt in die Höhe bauen. Wer sich mit dieser Entwicklung etw as genauer befasst, stösst auf ein schwer erklärbares Para doxon. Wir brauchen immer mehr Platz und wir sind immer seltener daheim. Die Zahlen zu diesem Sachve rhalt sind dürftig. Sie basieren auf der Volkszählung, die letztmals im Jahr 2000 durchgeführt wurde. Auf aktu elle Daten muss weiter gewartet werden. Doch der Blic k zurück zeigt eine Dynamik im Wohnverhalten der Mensch en in diesem Land, die zu denken geben muss. Zwischen 1970 und 2000 ist die durchschnittliche Zahl von Bewohn erinnen und Bewohnern pro Zimmer von 0,79 auf 0,59 gesu nken. Im Detail zeigt sich, dass mehr und mehr Persone n zwei oder gar drei Zimmer für sich beanspruchen, wäh rend Doppelbelegungen von Zimmern, also zum Beispiel ein Zimmer für zwei Kinder, klar abgenommen haben. So ist der Anteil von Wohnungen mit bis zu 0,5 Bewohnern pro Zimmer von 27,7 Prozent (1970) auf 53,5 Prozent (2000) gestiegen, während der Anteil von Wohnungen mit einer Belegung von mehr als einer Person pro Zimmer von 18,9 Prozent (1970) auf 6 Prozent gesunken ist. Die Zahlen zeig en: Die Bevölkerung in der Schweiz möchte immer mehr Wohnfläche haben, allen voran die breite Mittelschicht. Nic hts spricht für die Annahme, dass sich dies in den letzten Jah ren geändert hätte. Dieser Entwicklung steht eine andere Dynamik gegenüber: Wir sind kaum noch zuh ause. Die Arbeitswelt wie die Freizeit und Erholung beansp ruchen mehr und mehr Zeit,
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gen. Die Arvier Wände verbrin rer se un lb ha er ss die wir au iten beinhalruchsvolle Tätigke sp An g. lan d sin nd. Die Erbeitszeiten n ins In- und Ausla ise Re e sig äs elm eln ten auch reg Arbeitskräfte pend Frauen steigt. Viele en eit elz nd werbstätigkeit der Pe und die und Arbeitsplatz, ein t fas n zwischen Wohnort ho heim ist sc n Mittagessen da Bewerden länger. Ei Vereinbarkeit von ch na igte Wunsch üsm ch sli Luxus. Der berecht Zeit, schlies sorbiert ebenfalls ab ilie d m Fa un d ht un ac f br ru den Hort ge r Krippe oder in zu er nd Ki die n se abgeholt werden. dort auch wieder ls ihren zeitlichen ng verlangt ebenfal ltu sta ge eit eiz Fr e Di lturelle Angebote sportliche oder ku um h sic es Ob t. Tribu nung statt. Wer es sserhalb der Woh au t de fin es all , handelt r Ferien daheim. ht auch kaum meh ac m , nn ka n ste sich lei ein verlängerr Kurzurlaube über de hl Za e Di : eil nt Im Gege s freiwillige Enstetig an. Bleibt da st ch wä e nd ne he tes Woc e wirkliche Abn die Zahlen kein ige ze er hi ch Au t: gagemen t ausser Haus Und all das finde s. nd wa uf ita Ze s nahme de statt. r und mehr Wohnspruchen wir meh gen? Doch warum bean it daheim verbrin immer weniger Ze and lst oh W raum, wenn wir n vo ichen ngen einfach ein Ze aubr er Od Sind grosse Wohnu n? Nutze bol ohne direkten ers es str gs und ein Statussym lta s vom Al um und Luft, um un se os gr ng lu chen wir mehr Ra se Entwick ? Fakt ist, dass die en nn kö er Le zu r len De t. ho verursach Wohnungsmarkt m de f au ne oh W lem ob rer Pr ll. Zahlba tendiert gegen nu wohnungsbestand en Einkommen, ist rig ed ni Familien mit r fü ers nd so be , raum ngen gehen unter n. Günstige Wohnu de fin zu r eh m kaum au hinkt der Dyna ziale Wohnungsb so r De g. we nd der Ha nmarkt hinterher. mik auf dem Woh L (C .K NO EP FE L@ CA RL O KN ÖP FE BI LD : WO MM
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Porträt Engel mit Hörnern Statt auszugehen und Party zu machen, verbrachte Sandy Caracciolo ihre Jugend mit arbeiten – sie sei halt ein Bünzli. Für die anderen Bünzli ist sie jedoch ein rotes Tuch. VON FLORIAN BLUMER (TEXT) UND SOPHIE STIEGER (BILD)
heisst: Die Kunden kennenlernen, einschätzen und nur Dinge machen, von denen sie überzeugt ist, dass es ihnen auch in ein paar Jahren noch gefällt. «Nicht, dass ich das Geld nicht gebrauchen könnte, ich komme mehr schlecht als recht durch. Aber ein reines Gewissen und ein guter Ruf sind mir wichtiger.» Die Mitarbeiter seien auch ihre Freunde, ihre Familie, sagt Caracciolo, das Studio ihr zweites Zuhause – «oder eher mein erstes: Ich bin eigentlich mehr hier als in meiner Wohnung.» Wenn sie einmal zuhause ist, dann strickt oder häkelt Sandy Caracciolo am liebsten. «Ich bin ein Megabünzli», sagt sie und zeigt beim Lächeln ihre Vampirzähne. Ausgehen sei noch heute kein Thema: «Ich meide grosse Menschenansammlungen, besonders mit Betrunkenen» – solche Veranstaltungen geraten schnell zum Spiessrutenlauf. Für ihre Heimatstadt findet sie in Sachen Toleranz kein gutes Wort: «Ein intolerantes Scheissloch, Züri gaht gar nööd!» Am liebsten würde sie nach London ziehen, doch die Familie und das Geschäft halten sie hier, wie sie sagt. Dennoch: Noch nie habe sie sich auch nur für einen Moment ihre «Bod Mods» weggewünscht. Schwierig findet sie allerdings, jemandem ihre Narben zu erklären, der durch einen Unfall entstellt sei. Und als sie
«Wieso haben Sie diese Hörner?» «Weil Sie mir gefallen.» «Es gefällt Ihnen also, der Teufel zu sein?» «Nein, mir gefallen Hörner.» «Dann gefällt es Ihnen, diabolisch auszusehen?» «Nein, ich habe gesagt: Mir gefallen Hörner.» «… dann wollen Sie also ein Vampir sein?» Sandy Caracciolo regt sich noch immer auf, wenn sie von diesem Gespräch mit einem Journalisten erzählt: «Er wollte mir gar nicht zuhören. Das isch mega unaständig!» Wo die 25-jährige Sandy Caracciolo sich in der Öffentlichkeit zeigt, trifft sie auf Unverständnis und erregt die Gemüter. Von jungen Frauen erntet sie zuweilen Bewunderung für ihren Mut, von Männern Komplimente. Viele Passanten schütteln aber einfach nur den Kopf, teilweise schlägt ihr blanker Hass entgegen. An ihrem Verhalten kanns kaum liegen: Beim Treffen in ihrem Piercing-Studio beantwortet sie geduldig und freundlich alle Fragen, in ihrem Auftreten ist keine Spur von Arroganz oder gar teuflischer Boshaftigkeit. Doch ihr Aussehen regt die Fantasie der Mitmenschen an. Tatsächlich gibt es keine zweite Frau in der Schweiz, die so aussieht wie Sandy Caracciolo: Neben den Silikon-Hörnern auf der Stirn hat sie eine gespaltene Zunge, Implantate auf den Handrücken und dem Brustkorb, gestreckte Ohrläppchen und ge«Ich fresse keine Katzen um Mitternacht auf dem Friedhof. spitzte Ohren (ergibt «Elfenohren»), VampirIch sitze zu Hause und stricke.» zähne, zwei Ziernarben zwischen Mund und Kinn, viele Piercings, natürlich, Tattoos sowieso, dazu Gewinde an den Handgelenken zum Anschrauben von sich einmal um eine alte Frau kümmerte, die auf der Rolltreppe gestürzt Schmuck und zuletzt, das mehr als Gag: einen Magneten im Ringfinger, war, sei sie sich «für die Frau blöd vorgekommen»: «Sie kommt wieder mit dem sie Büroklammern und Ähnliches hochheben kann. zu sich, und jemand wie ich schaut ihr ins Gesicht!» Doch als sie sich Für dieses Aussehen hat Sandy geschätzte 40 000 Franken hingedanach im Altersheim nach ihr erkundigte, habe sich die Frau herzlich blättert – und ist mit 15 von zuhause ausgezogen. Schon als Dreijähribedankt – Caracciolo war die Einzige, die ihr half. Mit ihrem Aussehen ge war sie begeistert, als ihr die Eltern, wie bei Italienern üblich, die erhabe sie kein Problem gehabt. sten Ohrringe stechen liessen. Bis 13 erstritt sie sich drei weitere Ringe Doch steckt hinter ihrem Auftreten tatsächlich keinerlei Lust an der pro Ohr plus ein Nasen- und ein Bauchnabelpiercing. Damit war für die Provokation, nicht doch der insgeheime Wunsch, aufzufallen? Sie verEltern endgültig Schluss. Sie hatten die Rechnung ohne Sandy gemacht: neint vehement. «The price you have to pay», nennt sie den Umstand, In einer Dokumentation hatte sie gesehen, dass sich Verrückte in den dass sie so viel Aufmerksamkeit erregt, sobald sie das Haus verlässt. Und USA Brandings, Piercings und andere Körpermodifikationen machen ihr Nebenjob als Fotomodell? «Das Modeln mache ich zwar gerne, ich liessen. Da wusste sie: Das will ich auch. Mit 15 sagte sie ihren Eltern: mag schöne Bilder und habe auch meine Lieblingsfotografen», sagt Ca«Wozu soll ich eine Lehrstelle suchen? Ich will Piercerin werden.» Sanracciolo. «Bei 0815-Jobs ist das Modeln aber ein oberflächlicher Scheiss, dy muss ein stures Kind gewesen sein. Mit ihrem Latein am Ende, ein Zurschaustellen, du bist ein Tier im Zoo.» Heute könne sie sich ihre meinten die Eltern: Wenn du das willst, musst du ausziehen. Sandy zog Jobs zum Glück aussuchen, die Anfragen um die ewig gleichen Clichéaus. Und kam zum Erstaunen der Eltern auch nicht mehr zurück – obBilder à la mit schwarzem Mantel auf dem Friedhof und Blut an den wohl sie sich mit ihnen ansonsten immer gut verstand, wie sie betont. Vampirzähnen absagen. «Das bin auch gar nicht ich: Ich fresse keine KatDenn nun hatte sie freie Bahn, ihren Traum zu verwirklichen: Sie arzen um Mitternacht auf dem Friedhof. Ich sitze zu Hause und stricke.» beitete tagsüber in einem Laden, nachts in einem Club an der GarderoDie Zukunft? Sandy Caracciolo will Familie, Haus und Hund (letztebe und liess sich nach und nach ihren Körper modifizieren. Daneben ren hat sie schon). Ein Kind möchte sie haben, und zwar ein Mädchen. lernte sie in einem kleinen Studio das Handwerk des Piercens. Mit 19 erSie hat sich das lange überlegt, denn natürlich ist sie sich der Schwierigöffnete sie ihr erstes kleines Geschäft in einem Szeneladen. Feiern und keiten für das Kind bewusst, mit einer Mutter mit Hörnern. Caracciolo ausgehen lag da nicht drin, weder zeitlich noch finanziell. «So früh selbist aber überzeugt, dass sich das Problem in Diskussion mit den Eltern ständig, das würde ich nicht mehr machen», sagt Caracciolo denn auch. der anderen Kinder lösen liesse. Ohrringe würde sie ihrer Tochter übriBereuen tut sie trotzdem nichts. Heute hat sie ihr eigenes Studio, «True gens nie machen, bevor diese nicht selbst den Wunsch danach äussert. Body Art», zusammen mit einer Tätowiererin, einem Tätowierer und eiViel Wertvolles mitgeben möchte sie ihr aber: Anstand und Respekt für nem Praktikanten. Hier kann sie nach ihren Vorstellungen arbeiten. Das die Mitmenschen, zum Beispiel. ■ SURPRISE 314/13
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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Schulstoff Obdachlosigkeit Hannover. Strassenzeitungen existieren mittlerweile auf der ganzen Welt, ein Schulbuch zum Thema Obdachlosigkeit gab es bislang aber noch nicht. Szenekenner aus Osnabrück haben das nun geändert: Ihr Buch «Ausweg Strasse» liefert in verschiedenen Modulen Einblicke ins Leben ohne festen Wohnsitz. Arbeitsblätter, Rollenspiele sowie Bildmaterial liefern Informationen – und wecken Gefühle. Co-Autor Thomas Kater sagt: «Das hat nicht erster Linie Faktenwissen zum Ziel, sondern Empathie.»
Städtische Kleidersammlung München. Mit ausrangierten Textilien lässt sich Geld verdienen. In der Schweiz streiten sich Texaid und Tell-Tex um Altkleider und weibeln bei Kommunalbehörden um die besten Plätze für Sammelcontainer. In Deutschland kämpfen Hilfswerke und gewinnorientierte Firmen noch deutlich härter um Kleider und Schuhe. Der Stadt München wurde das Treiben zu bunt, und darum übernimmt sie das Sammeln von Altkleidern nun selber. «Ein wichtiges Ziel ist für uns, dem bestehenden Wildwuchs von illegalen Altkleidersammlungen Einhalt zu gebieten», heisst es beim Abfallwirtschaftsbetrieb München.
Jubiläum im Norden Hamburg. Während Surprise dieses Jahr 15 wird, feiert Hinz&Kunzt in Hamburg bereits 20 Jahre Journalismus im Dienst der Ausgegrenzten. Die Jubiläumsausgabe steht unter dem Motto «Aufstehen statt aufgeben» und rückt die Verkaufenden in den Blickpunkt. Zusätzlich starteten die Kollegen eine Plakataktion mit Prominenten wie Alt-Kanzler Helmut Schmidt, der schreibt: «Glückwunsch zu 20 Jahren Durchhalten. Willen braucht man. Und Zigaretten.»
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Zugerichtet Schleichendes Seelengift Es spricht nicht viel für den Angeklagten. Schicksalsergeben sitzt er auf der Anklagebank, sein Blick irrt durch die flaschenbodendicken Gläser seiner Hornbrille im Leeren umher. Er war alkoholkrank und ist einschlägig vorbestraft wegen sexueller Nötigung (wildfremden Frauen griff er zwischen die Beine). Der Psychiater attestiert ihm eine verminderte verbale Intelligenz, seine Sätze kommen wie zäher Brei. «Weiss au nöd», antwortet Hans Huber* auf die Frage, was er mit seiner Berufung vor dem Obergericht Zürich bezwecke. «Freispruch wegen Vergewaltigung und eine Einstellung des Verfahrens wegen sexueller Handlungen mit Kindern infolge Verjährung», wirft sein Pflichtverteidiger ein. Huber war vom Bezirksgericht wegen sexueller Handlungen mit Kindern verurteilt worden. Auch die Staatsanwältin zieht das erstinstanzliche Urteil ans Obergericht weiter. Sie will Huber wegen Vergewaltigung von Kindern verurteilt sehen. Weihnachten vor 15 Jahren verbrachte Herr Huber, wie alle Weihnachten, bei seiner Schwester und ihrer Familie in Zürich. Wie gewohnt war er betrunken. Betrunken ging er ins Kinderzimmer, zerrte seine achtjährige Nichte Susi aufs Bett, berührte sie zuerst über den Kleidern, dann darunter, knetete ihre Brüste, zog seine eigene Hose und Unterhose runter – so stellt es die Staatsanwaltschaft dar – und drang schliesslich mit dem Penis in die Vagina des Mädchens ein. Es war nicht in der Lage, Widerstand zu leisten. «Du musst keine Angst haben», sagte er, «das ist ganz normal.» Für Susi aber wollte sich die Normalität bis heute nicht wieder einstellen. Sie befindet
sich wegen einer Borderline-Erkrankung in der psychiatrischen Klinik. «Fühlen Sie sich zu kleinen Mädchen hingezogen?», fragt der Richter. Hans Huber bleibt stumm. Zum Verständnis seines Charakters kann auch das psychologische Gutachten wenig Erhellendes beitragen. Nur soviel: Der 48Jährige konnte sich nie von seiner dominanten Mutter lösen, lebte immer mit ihr zusammen. Intime Kontakte zu Frauen hatte er nie. Des Verteidigers Plädoyer zielt darauf, die Aussagen der Borderlinerin Susi als unglaubwürdig hinzustellen. Borderlinerinnen gelten als wenig wahrheitsliebende Zeuginnen, sie sind manipulativ, hochsuggestibel und neigen dazu, sich mit Erfundenem interessant zu machen. «Mit acht Jahren haben Mädchen noch keine Brüste», sagt der Verteidiger, also habe sein Mandant diese auch nicht «kneten» können, wie die Geschädigte zu Protokoll gegeben hatte. Das Obergericht hält sich an das erstinstanzliche Urteil: eine bedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten wegen sexueller Handlungen mit Kindern und ein Freispruch von der Vergewaltigung. Die Geschädigte habe während der Untersuchung ausgesagt, sie sei auch von ihrem Vater missbraucht worden, weshalb nicht ausgeschlossen sei, dass sie real Erlebtes mit einer falschen Person verknüpft habe. Hans Huber hatte sein Opfer um ein Gespräch gebeten. Daran hatte es kein Interesse. Die Familie erteilte ihm ein Kontaktverbot. Er verlässt den Saal, wie er gekommen ist: schicksalsergeben. Zu Hause erwartet ihn niemand. Die Mutter ist kürzlich gestorben. * persönliche Angaben geändert ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 314/13
Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 (0)61 564 90 99, redaktion@vereinsurprise.ch
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Der Strassenchor von Surprise zählt inzwischen über 20 Sängerinnen und Sänger und erfreut sich immer grösserer Beliebtheit. Auch Surprise Strassensport ist auf Erfolgskurs: 18 Mannschaften spielten diese Saison an den Surprise-Streetsoccer-Turnieren mit – ein neuer Rekord. Und ich wurde dieses Jahr in den Vorstand des INSP gewählt, Surprise ist damit noch direkter mit dem Dachverband der Strassenmagazine weltweit verbunden. Erfolgserlebnisse über Erfolgserlebnisse! Wozu also sollte ich eine hohe Frustrationstoleranz brauchen? Zugegeben, zeitraubend und aufwendig waren die unzähligen Behördengänge, um die Arbeitsbewilligungen für vorläufig aufgenommene Flüchtlinge zu erhalten, ernüchternd ist die immer noch ergebnislose Überzeugungsarbeit beim Kanton Baselland. Fruchtlos blieben auch die vielen Bemühungen mit der Sozialhilfe in den verschiedenen Kantonen, die Freibeträge für Surprise-Verkäufer zu erhöhen – dies hält sie vom Verkauf ab und wirkt demotivierend. Surprise kämpft auch immer wieder mit den Finanzen. Aufgrund der behördlichen Restriktionen ist der Verkauf in den letzten sieben Jahren von 146 Heften pro Verkäufer und Ausgabe auf durchschnittlich 60 geschrumpft! Und wenn wir für einige Spieler keine Visa für die Reise an die Strassenfussball-WM in Polen bekommen, dann ist dies zum Verzweifeln. Unfassbar auch, dass wir unseren Verkäufern im Jubiläumsjahr kein Geldgeschenk machen können, weil ihnen dies von der IV oder der Sozialhilfe gleich wieder abgezogen würde. Ja, manchmal ist es zum Haareraufen!
Dennoch ist es nicht eine hohe Frustrationstoleranz, die ich und alle Mitarbeiter, Verkäuferinnen, Fussballer, Sängerinnen und Stadtführer von Surprise benötigen. Was uns in unserer täglichen Arbeit weiterbringt, ist Hartnäckigkeit und Zuversicht. Und die haben wir. Die grosse Unterstützung, die wir von verschiedener Seite erhalten, sowie die vielen kleinen, stetigen Erfolge bestätigen uns darin – und lassen uns mit Zuversicht und Hartnäckigkeit die nächsten 15 Jahre in Angriff nehmen. Herzlich, Paola Gallo Geschäftsleiterin Verein Surprise BILD: ZVG
Letztens war ich eingeladen. Ich unterhielt mich mit einer sympathischen Frau, die des Lobes voll war für Surprise, die tollen Verkäufer, die interessanten Artikel im Magazin. Sie wollte wissen, wie die Institution nach den Turbulenzen nun dasteht. Ich fasste ihr knapp die Entwicklungen der letzten drei Jahre zusammen. Nach meiner Erzählung sagte die Frau ganz bewundernd: «Sie müssen ja eine grosse Frustrationstoleranz haben!» Frustrationstoleranz? So hatte ich meine Aufgaben noch nie betrachtet. Ich liess gedanklich noch einmal das Jahr Revue passieren, das im Zeichen des 15-Jahr-Jubiläums stand. Im Mai feierten wir das 300. Heft, zeigten den neuen Imagefilm, dessen Produktion tpc, eine Tochterfirma der SRG, uns schenkte. Anfang Jahr führte das Sinfonieorchester Basel ein Benefizkonzert für uns durch. Im April starteten wir in Basel den sozialen Stadtrundgang. 37 Medien haben darüber berichtet, über 100 Führungen haben wir bereits durchgeführt und dabei mehr als 1500 begeisterten Besucherinnen und Besuchern das Thema Armut nähergebracht. Die Zahl der Verkaufenden steigt stetig: 400 Menschen verkaufen heute schweizweit das Strassenmagazin. Darunter sind in mittlerweile zehn Kantonen auch vorläufig aufgenommene Flüchtlinge – vor zwei Jahren hatten wir die Bewilligungen dazu erst in drei Kantonen. Die monatlich verkaufte Auflage des Magazins beträgt heute etwa 27 000 Exemplare, 3000 mehr als vor zwei Jahren. Welches andere Printmedium kann heutzutage steigende Auflagenzahlen vermelden?
BILD: DOMINIK PLÜSS
Hausmitteilung Frustrationstoleranz?
Starverkäuferin Rada Holenweger Andrea Courvoisier aus Basel schreibt: «Ich freue mich immer, mit Rada zu sprechen. Mit ihrer warmen und freundlichen Art strahlt sie mich an. Ein ganz besonderes Lächeln sehe ich jedes Mal in ihren Augen, wo ich Weisheit erahne und eine grosses Liebe, die ihr Herz sich trotz Schicksalsschlägen erhalten konnte. Rada berührt mich.»
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BILD: ZVG
Finanzmarkt Die Macht der Legehennen Rainer Voss packt aus: Einst Investmentbanker in führender Position, ist er nun Protagonist in Marc Bauders Dokfilm «Master of the Universe». Darin gibt er tiefe Einblicke in die Parallelwelt der Finanzinstitute. Im Interview sagt er, was schief läuft, warum er wütend ist – und wieso er seinen Kindern verbieten würde, Trader zu werden.
INTERVIEW: STEFAN MICHEL
Herr Voss, warum haben Sie sich entschieden, in dem Film mitzumachen? Es sind drei Gründe: Erstens wollte ich das Hamsterrad in meinem Kopf zum Anhalten bringen, das sich nach meinem Ausstieg weiterdrehte. Die unmittelbare Beschäftigung mit dem Thema habe ich mit dem Film abgeschlossen. Zweitens bin ich sehr, sehr wütend. Als ich 1979 meine Ausbildung auf der Bank begann, hatten Bankangestellte in Deutschland das höchste Renommee – wie Pfarrer oder Ärzte. Gucken Sie sich an, wo die Reputation des Berufes heute gelandet ist! Das Drit-
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te ist: Ich mache im Film einige apokalyptische Aussagen. Ich hoffe, dass es nicht so kommt, wie ich es beschreibe. Aber ich habe drei erwachsene Kinder, und ich möchte mir nicht in 20 Jahren anhören müssen, ich hätte nicht gewarnt. Sie wollen wachrütteln und aufklären? Ich möchte einen gesellschaftlichen Diskurs anstossen. Wir haben zwei Gruppen, die sich sprachlos gegenüberstehen: die Zivilgesellschaft und die Finanzwirtschaft sowie grosse Teile der Wirtschaft. Bei denen herrscht eine andere Logik, eine andere Moral.
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Wie unterscheiden sich die? Ich nenne Ihnen ein einfaches Beispiel: Wenn jetzt die Eigenkapitalregeln verschärft werden, um gewisse Geschäfte für die Banken unrentabel zu machen, dann denkt sich der Investmentbanker: Dann muss ich halt noch mehr Risiko eingehen, um die Rendite zu machen, die ich mir verspreche. Die Politiker wollen ein Risiko begrenzen, bewirken aber das Gegenteil.
litik, dann gilt: Was rechts ist, ist gut, was links ist, ist schlecht. Die Welt ist natürlich viel komplexer. Die Schweizer Privatbank Pictet zeigte in einer Untersuchung, dass nachhaltige Investments langfristig höhere Renditen abwerfen als nicht nachhaltige. Das ist eine Erkenntnis, die sich durchsetzen muss. Es muss sich durchsetzen, dass bestimmte Sozialprogramme für ein Land gut sind. Wenn etwas gut für ein Land ist, dann können die Kurse steigen.
Wie kommen wir da raus? Man muss erst mal aufhören zu sagen, die Finanzdienstleister seien alle Verbrecher. Was es bräuchte, wäre so etwas wie den hippokratischen Eid der Ärzte für Finanzdienstleister. Sie müssten sich verpflichten, die Instrumente, die sie haben, nicht zum Schaden der Gesellschaft einzusetzen. Wenn ich das sage, wird mir jeweils Blauäugigkeit vorgeworfen.
Sie sagten einmal, der Finanzmarkt sei so komplex geworden, dass niemand mehr durchblicke, wie sich die verschiedenen Geschäfte untereinander beeinflussen. Sitzen wir in einem Bus, der nicht mehr gestoppt werden kann? Ich bin zwar ein Freund der Apokalypse. Aber das scheint mir übertrieben. Auf jeden Fall müssen wir ganz dringend auf die Bremse treten.
Sie sagen im Film, die durchschnittliche «Händler sind Legehennen, die keine Ahnung davon Zeit, während der eine Aktie gehalten werhaben, wie das Bankgeschäft in die Gesellschaft einde, sei in den letzten 20 Jahren von vier Jahren auf 22 Sekunden gesunken. Ist der gebettet ist.» Computerhandel, der dies bewirkt, ein so schädliches Geschäft? Eine persönliche Frage: Wie haben Sie den Ausstieg aus der PaDer Hochfrequenzhandel hat keinen gesellschaftlichen Nutzen. Das rallelwelt Ihres Jobs erlebt? Argument, er diene der Liquidität der Unternehmen, halte ich nach 25 Das war ein tiefer Fall, der sich bei mir aber abgezeichnet hat, auch Jahren am Finanzmarkt für ziemlichen Blödsinn. Den Hochfrequenzdurch mein Alter. Was danach passiert, ist wie eine Resozialisierung. handel könnte man einfach verbieten. Oder man legt für Aktien eine Irgendwann kommt der Brief von der Lufthansa, man müsse seine VielMindesthaltedauer von ein paar Tagen fest. Das könnte man in die fliegerkarte abgeben. Da denkt man, die Welt höre auf, sich zu drehen. Systeme relativ einfach eingeben. Macht sie aber nicht. Wie sieht es bei Derivaten und Optionen aus? Damit wird auch Was tun Sie heute? viel Schaden angerichtet. Zunächst habe ich diesen Film gemacht. Ich halte Vorträge, gebe AusDerivate erfüllen eine wichtige Funktion. Eine Fluggesellschaft muss künfte. Dazu konnte ich an einem Konzept für eine Rating-Agentur für ihren Sprit mit Optionen oder anderen Geschäften kaufen, die das Risisoziale Projekte mitarbeiten und an einem für eine europäische Ratingko der Ölpreisschwankungen eliminieren. Sonst kann sie unmöglich kalAgentur. Eigentlich bin ich Müssiggänger. Ich fühle mich aber nicht asokulieren, wie teuer ihre Tickets zum Zeitpunkt des Fluges sind. Gleichzial dabei, ich liege ja niemandem auf der Tasche. zeitig kann man mit Optionen und Derivaten Spekulation, Preisausschläge und Unsicherheit erzeugen. Wir müssen die nützlichen Effekte Das Thema Familie klemmen Sie im Film ab. Man fragt sich: Hadieser Instrumente erhalten und die schädlichen Effekte eliminieren. ben Sie Ihre Familie nur selten gesehen oder hat sich Ihre Frau Das ist eine unglaublich schwierige regulatorische Aufgabe. von Ihnen getrennt? (Lacht) Man kann viel in diesem Film sehen. Ich habe mir überlegt: Sie beschreiben im Film eine Parallelwelt, in der die Bankhändler Was gehört Ihnen und was gehört mir. Ich habe mich entschieden, dass leben. Die reale Welt spiele für sie darin keine Rolle. Wie wirkt dieses Thema mir gehört. Da Sie der Erste sind, der mich nach meiner sich das auf ihr Handeln aus? Frau fragt, sage ich Ihnen: Wir haben uns 1976 beim Theaterspielen auf Händler sind Legehennen, die keine Ahnung davon haben, wie das der Schule kennengelernt. Und bis sie vor einer Viertelstunde aus dem Bankgeschäft in die Gesellschaft eingebettet ist. Ein Fliessbandarbeiter, Haus gegangen ist, war sie noch da. der 500 Mal am Tag einen Tacho in einen VW Golf einbaut, braucht nicht zu wissen, wie ein Auto insgesamt zusammengesetzt ist. Der Zuletzt: Empfehlen Sie jungen Leuten, zur Bank zu gehen, um als Händler aber, der das Verständnis fürs Ganze nicht hat, macht Dinge, Trader zu arbeiten? die unüberschaubare Konsequenzen haben. Wenn man nicht sieht, welMeinen Kindern würde ich es verbieten. Ich finde Banken eine tolle chen Schaden man auslöst, macht man es halt. Sache. Sie sind im Kapitalismus unverzichtbar, erfüllen eine wichtige volkswirtschaftliche Funktion und haben einen hohen sozialen Nutzen. Umgekehrt reagieren Händler aber auf die Politik. Wenn ein PoliNur nicht so, wie sie heute betrieben werden. tiker ein teures Sozialprogramm ankündigt, dann sinken die Bör■ senkurse. Das Faszinierende am Beruf des Händlers oder Investmentbankers ist es, zu beobachten, wie sich Kurse aufgrund politischer oder wirtschaftlicher Meldungen ändern. Ein Politiker sagt was und die Kurse ändern sich. Das ist total faszinierend. Der Markt setzt diese Nachrichten um wie eine Maschine. Sie schmeissen oben A rein und unten passiert B. Man kriegt den Eindruck, dass auf diese Art Politik gemacht wird. Es sind Menschen, die diese Entscheidungen fällen. Die suchen sich einfache Storys, nach denen sie kaufen oder verkaufen. Geht es um PoSURPRISE 314/13
Marc Bauder: «Master of the Universe», Dok., Deutschland 2013, 88 Min. Der Film läuft derzeit in Deutschschweizer Kinos.
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Partnerschaft Das liebe Geld Beim Geld hört die Freundschaft auf. Und wie ist es mit der Liebe? Surprise hat Paare zu ihrem Umgang mit den Finanzen befragt: Wer verdient wie viel, wer bezahlt – und warum?
VON MENA KOST (TEXT) UND KARIN SCHEIDEGGER (BILDER)
«Bei uns ist keiner abhängig» Karin,* 36, Ethnologin, arbeitet Teilzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin und verdient 31 200 Franken im Jahr. Ihr Partner Joachim, 33, arbeitet Vollzeit als IT-Supporter und hat ein Jahreseinkommen von 67 600 Franken. «Gestern hatten wir Jubiläum, elf Jahre sind wir jetzt zusammen. Zur Feier des Tages hat mich Joachim schick zum Essen eingeladen. Obwohl wir zusammenwohnen, haben wir strikt getrennte Kassen. Im Alltag zahlen wir beide, was gerade ansteht, und alle drei Monate machen wir einen Kassensturz. Dann wird fifty-fifty abgerechnet. Dass ich nur halb so viel verdiene wie mein Freund, ist in unserem Fall kein Problem: Früher war es umgekehrt. Aus dieser Zeit hat er bei mir Schulden – sonst wäre es mir nicht möglich, die Hälfte unserer Ausgaben zu bestreiten. Für ein paar Jahre sollte das so noch funktionieren, bis seine Schulden eben beglichen sind. Dadurch, dass wir alle Kosten korrekt aufteilen, kommt es bei uns nicht zu Streitereien ums Geld. Wir haben uns für dieses Modell entschieden, weil wir nicht wollen, dass einer vom anderen abhängig ist. Ausserdem kann es ja sein, dass wir uns irgendwann trennen. Ich kenne einige Paare, die sich darüber in die Haare geraten sind, wer was bezahlt hat: ‹Ich habe den Fernseher gekauft, das waren 500 Franken.› ‹Aber ich hab die Ferien auf Korsika bezahlt, die waren viel teurer› und so weiter. Das kann uns nicht passieren. Eine getrennte Buchhaltung hat aber noch einen anderen Vorteil: Wir können uns gegenseitig Geschenke machen oder zum Essen einladen. Und zwar mit eigenem Geld, nicht mit solchem aus der Gemeinschaftskasse.» «Wer mehr verdient, bezahlt mehr» Chris,* 44, arbeitslos, ist verheiratet mit Vicky, 36, Wirtschaftsanwältin mit einem Jahreseinkommen von 160 000 Franken. «Ich komme gerade von einem Vorstellungsgespräch. Es lief gut und ich hoffe sehr, dass es diesmal klappt. Seit wir in der Schweiz wohnen, bin ich arbeitslos. Vor rund einem Jahr sind wir von Manchester nach Basel gezogen, da meine Frau einen guten Job angeboten bekommen hatte. Also habe ich meine Stelle als Liegenschaftsverwalter gekündigt und wir sind mit unseren drei Katzen hierher gezogen. Das erste Jahr in der Schweiz war hart. Das Leben ist im Vergleich zu England teuer, SURPRISE 314/13
schon nur die vielen Versicherungsprämien, die man hier bezahlen muss … Unsere beiden Autos beispielsweise haben wir schon wieder zurückgeschickt. In England ist es normal, dass ein Paar ein gemeinsames Konto hat, mit dem es die gemeinsamen Ausgaben deckt, und je ein privates Konto für eigene Ausgaben. Seit wir in der Schweiz sind, haben wir allerdings ein anderes System: Da nur meine Frau verdient, haben wir auch nur ein Konto. Sie bezahlt alles – Rechnungen, Haushalt, Kleider. Wenn ich mir etwas Spezielles kaufen möchte, dann bitte ich sie um Geld. Das ist gewöhnungsbedürftig für mich. In England hatte ich mein eigenes Geld, habe umgerechnet rund 50 000 Franken im Jahr verdient. Aber die Arbeitslosigkeit hat auch ihre guten Seiten: Mir war noch nie so bewusst, wie teuer der Alltag ist und was wie viel kostet. Ich bin sparsam geworden, schliesslich möchte ich meiner Frau nicht zu sehr zur Last fallen. Zum Glück hat es auch schon Zeiten gegeben, in denen die Rollen umgekehrt waren: Während meine Frau studierte, habe ich für uns beide den Lebensunterhalt verdient. Bei uns gilt: Wer gerade mehr verdient, der bezahlt auch mehr. Aber es wäre schon entspannend, wenn ich wieder einen Job hätte und wir zu unserem früheren Lebensstil zurückkehren könnten. Wenn ich mit Freunden in England telefoniere, spreche ich nicht über unsere finanzielle Situation. Vielleicht macht das meine Frau, das könnte ich mir schon vorstellen. Aber wir Männer reden wohl nur über Geld, wenn wir gerade besonders viel verdient haben.» «Wir mögen uns nicht ums Geld kümmern» Suzanna,* 41, Performance-Künstlerin, macht gerade eine TeilzeitStellvertretung als Lehrerin. Ihre Einkünfte schwanken, das durchschnittliche Jahreseinkommen beträgt rund 40 000 Franken. Ihr Partner Fabian, 46, arbeitet Teilzeit als Bibliothekar und verdient 65 000 Franken. Eine vierjährige Tochter. «Wir sind eine Patchwork-Familie. Ich und mein Partner haben eine gemeinsame Tochter, die vier Jahre alt ist. Dann hat mein Partner noch zwei Kinder aus einer früheren Partnerschaft. Sie sind elf und zwölf Jahre alt und wohnen zu 50 Prozent bei uns. Deshalb bezahlt er auch den grösseren Teil der Miete. Für alle Ausgaben, die unsere Tochter betreffen, haben wir ein gemeinsames Konto, auf das jeder monatlich 100 Franken einzahlt. Ansonsten haben wir das Finanzielle strikt getrennt; jeder ist selbst für seinen Lebensunterhalt verantwortlich.
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Wenn’s knallt, geht’s oft ums Geld: Gatte sucht das Weite (gestellte Szene, Paar nicht im Text).
Bei gemeinsamen Unternehmungen oder bei den Lebensmitteln rechnen wir nie ab. Wer gerade an der Migros-Kasse steht, der bezahlt eben. Ich denke, das läuft bei uns so, weil wir uns nicht auch noch ums Finanzielle kümmern mögen. Grundsätzlich kann man sagen, dass Geld in unserer Beziehung keine Rolle spielt. Für mich persönlich ist Geld aber durchaus ein Thema. Ich muss mich darum kümmern, dass etwas reinkommt. Ich bin schliesslich selbständig und habe keinen Mann, der sowieso für mich schaut. Ich lebe bescheiden, habe mir meinen Studentenlebensstil beibehalten. Das muss man, wenn man Kunst machen will. Im letzten Jahr hat sich meine finanzielle Situation aber verändert: Ich habe einen Anteil an einer Immobilie geerbt. Die monatlichen Mieteinnahmen sind nun der Grundstock meines Einkommens. Das hat die Situation etwas entspannt. Es ist trotzdem ein komisches Gefühl, plötzlich etwas von materiellem Wert zu besitzen.» «Geld ist nicht wichtig» Joachim,* 59, Biologe, arbeitet in einem analytisch-medizinischen Labor und hat ein Jahreseinkommen von 120 000 Franken. Seine Partnerin Sarah, ebenfalls 59 und Biologin, arbeitet Teilzeit im gleichen Unternehmen in der Qualitätssicherung und verdient 45 000 Franken. Ein erwachsener Sohn. Meine Partnerin und ich haben zwei gemeinsame Konten sowie jeder ein eigenes Konto. Auf das erste gemeinsame Konto zahlt jeder von uns 1500 Franken pro Monat ein, das reicht für die Rechnungen, das Essen und den Ausgang. Das zweite Konto ist ein Sparkonto für Ferien und so. Dort zahlen wir ein, was wir Ende Monat von unserem privaten Geld übrig haben. Bei mir ist das jeweils mehr als bei ihr, aber ich
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verdiene ja auch mehr. Das haben wir schon immer so gemacht: Die laufenden Kosten bezahlen wir je zur Hälfte, das Sparkonto füttere hauptsächlich ich. Dafür hat meine Frau mehr zu unserem Sohn geschaut, als er noch klein war. Uns ist Geld nicht besonders wichtig. Das kann man natürlich leicht sagen, wenn man genug davon hat. Die Wohnung, in der wir leben, gehört uns. Streit über Geld hatten wir eigentlich nie. Höchstens darüber, was wir davon kaufen. Wir haben zum Beispiel einen sehr unterschiedlichen Geschmack in Einrichtungsfragen. Das sieht man unserer Wohnung an, wir leben kunterbunt. Aber wir fühlen uns wohl. Und das Wichtigste ist doch, dass wir noch immer zusammenleben.» «Sein Geld ist mein Geld» Severine,* 25, arbeitet Teilzeit im Service und hat ein Jahreseinkommen von 6000 Franken. Sie lebt zusammen mit ihren Partnern Moritz, 24, und Leo, 22, sowie vier weiteren Personen in einer Wohn- und Lebensgemeinschaft mit Gemeinschaftskasse. Moritz arbeitet ebenfalls Teilzeit im Service, Leo macht Gelegenheitsjobs. Beide verdienen 6000 Franken im Jahr. «Wir leben zu siebt von etwa 3000 Franken im Monat. Das geht, weil wir sehr günstig wohnen und alle wenig ausgeben: Wir kaufen uns keine neuen Kleider, sondern gehen in Brockis. Statt einzukaufen, holen wir die ausrangierten Lebensmittel, welche die Grossverteiler auf den Abfall werfen. Und wenn etwas kaputt geht, werfen wir es nicht weg, sondern flicken es. Unser Geld bewahren wir in einem Safe in unserer Wohnung auf: Darin ist immer so viel Geld, wie wir in einem Monat ausgeben möchten. Für den Fall, dass wir doch mehr brauchen als gedacht oder sich jemand etwas Grösseres anschaffen möchte, liegt im Safe auch SURPRISE 314/13
das Bankkärtchen. Vier von uns teilen sich einen Vollzeitjob im Service, die anderen machen Reinigungs- und Gelegenheitsjobs. Wer Geld verdient oder geschenkt bekommt, zahlt es aufs Gemeinschaftskonto ein. Wir haben kein privates Geld. Wer Geld braucht, schreibt den Betrag in ein Büchlein. Ab 100 Franken muss man die anderen fragen, ob sie der Anschaffung zustimmen. Wir haben regelmässig Sitzungen, in denen wir das Zusammenleben und das Finanzielle besprechen. Konflikte über Geld gibt es kaum, wir wollen alle so wenig wie möglich Lohnarbeit verrichten und so günstig wie möglich leben. Wer sein Geld in einer Gruppe teilt, bekommt einen anderen Blick darauf: Es wird weniger wichtig. Natürlich gibt es immer wieder Ungleichgewichte. Einmal arbeite ich mehr, einmal jemand anderes. Damit umzugehen muss man erst lernen. Aber man merkt bald, dass man nicht immer Gleiches mit Gleichem vergelten muss. Der eine zimmert gerade ein Bett oder hört sich die Sorgen des anderen an, der andere bringt mehr Geld nach Hause. Auch Existenzängste können in der Gruppe abgebaut werden. Wenn einer gerade nicht arbeiten kann, arbeitet ein anderer. Natürlich macht eine Gemeinschaftskasse vor allem Sinn, wenn man wie wir eine gemeinsame Zukunft plant. Mit meinen beiden Partnern habe ich keine Konflikte über Geld. Halt, stimmt nicht! Ganz am Anfang unserer Beziehung war Moritz einmal sauer, weil ich nie Geld dabei hatte und er immer alles bezahlen musste. Da er das Geld ja aus unserem gemeinsamen Safe hatte und sein Geld auch mein Geld ist, war es eher ein organisatorisches Problem: Er fand, ich solle mich nicht einfach darauf verlassen, dass er schon Geld dabeihabe.»
«Mein und Dein aufgelöst» Erika,* 48, Kioskverkäuferin, verdient im Jahr 36 000 Franken. Ihr Mann, Marius, 53, ist Tramchauffeur und verdient im Jahr 65 000 Franken. Das Paar ist seit 30 Jahren zusammen und seit sechs Jahren verheiratet. Drei erwachsene Kinder. «Mein Lohn und der von meinem Mann kommen beide in einen Topf. Das machen wir schon seit Jahren so. Streit ums Geld gibt es bei uns nicht, wir haben ähnliche Vorstellungen davon, für was man es ausgibt. Derzeit unterstützen wir vor allem unsere Kinder. Alle sind noch in Ausbildung oder machen eine Weiterbildung. Dass wir sie dabei unterstützen, ist für uns selbstverständlich. Die heutige Arbeitswelt ist brutal, es herrscht ein grosser Konkurrenzkampf, es gibt Mobbing und Burnouts. Da ist es uns wichtig, dass alle drei Kinder eine gute Ausbildung bekommen und sich auf diese konzentrieren können, ohne permanent Geldsorgen zu haben. Heute haben wir genug Geld, um gut zu leben. Als die Kinder klein waren, hatten wir es strenger. Mein Mann hat am Tag gearbeitet, ich am Abend. Damals hatten wir noch ein Haushaltskonto, auf das wir beide gleich viel einzahlten. Aber das haben wir nur die ersten zwei, drei Jahre so gemacht. Dann hat sich das Mein und Dein aufgelöst und wir haben zusammengelegt.» ■
*Alle Namen geändert.
BILD: ZVG
Partnerschaft «Eine Frage des Vertrauens» Guy Bodenmann, international bekannter Paarforscher und Professor für klinische Psychologie an der Universität Zürich, erklärt, welche Probleme Geld in Paarbeziehungen machen kann. INTERVIEW VON MENA KOST
Es war sehr schwierig, Paare zu finden, die über ihre finanziellen Verhältnisse Auskunft geben – trotz zugesicherter Anonymität. Warum? Guy Bodenmann: Man spricht nach wie vor nicht sehr gerne über sein Einkommen. Es gibt dafür kaum andere Gründe, als dass es gesellschaftlich als angemessen wahrgenommen wird, über seine Finanzkraft Diskretion walten zu lassen. Das ist bei Paaren nicht anders. Wird in Beziehungen viel über Geld gestritten? Ja, Konflikte bezüglich Finanzen gehören zu den drei häufigsten Konfliktthemen bei Paaren. Allerdings weniger bei jüngeren Paaren, sondern erst bei etablierten Paaren mittleren Alters. Häufig werden Konflikte wegen Geld auch im Zuge der Familienerweiterung relevanter, wo die Finanzen knapper werden und das Geld sorgfältiger ausgegeben wird. SURPRISE 314/13
Von den Paaren, die uns Einblick in ihre Finanzen gewährt haben, gab keines an, Konflikte zu haben. Wie erklären Sie sich das? Die Tatsache, dass diese Paare offen über ihre Finanzen sprachen, zeigt, dass sie ein entspanntes Verhältnis dazu haben und daher auch als Paar scheinbar angemessen damit umgehen können. Finanzen werden vor allem dann zum Konfliktpunkt, wenn sie knapp sind, sich aufgrund äusserer Umstände wie etwa Arbeitslosigkeit reduziert haben oder zum Konfliktaustragungsort für andere Spannungen und Bedürfnisdiskrepanzen werden.
Geld ist Macht – gilt das auch innerhalb einer Paarbeziehung? Ja, in vielen Beziehungen in westlichen Kulturen trifft dieser Satz zu. So zeigt sich, dass Paare stabiler sind, wenn die Frau finanziell vom Mann abhängig ist und kein eigenes Einkommen hat, das heisst, sich eine Trennung oder Scheidung nicht leisten kann, da sie nicht selber für sich sorgen könnte.
Ist Geld auch innerhalb einer Beziehung tendenziell ein Tabu-Thema? Während einige diesbezüglich zu Geheimniskrämerei neigen, sind andere offen oder haben sogar gemeinsame Konti und legen Einkommen und Erspartes zusammen. Letztlich ist es eine Frage des Vertrauens, wie offen man sein Einkommen dem Partner gegenüber legt.
Gibt es Konstellationen, die mehr Konfliktpotenzial bieten als andere? Prinzipiell gilt, dass es ‹ungünstiger› ist, wenn die Frau mehr verdient als der Mann und sich dieser seiner Partnerin finanziell unterlegen fühlt. Eine höhere Bildung und grösserer Verdienst der Frau wird von Männern nach wie vor als problematisch wahrgenommen. ■
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Jello Biafra «Es ist mein Job, den Chor anzufeuern» Jello Biafra prägte mit den Dead Kennedys den amerikanischen Polit-Punk wie kein Zweiter. Den Kampf gegen das Establishment führt der begnadete Provokateur auch mit Mitte 50 weiter. Messerscharf in der Analyse, bissig in der Argumentation und satirisch im Ton präsentiert sich Biafra auch im Interview.
VON OLIVIER JOLIAT UND RETO ASCHWANDEN (INTERVIEW) UND MEHDI BENKLER (BILDER)
Jello Biafra, als Polit-Aktivist und Anhänger der Grünen Partei: Stimmt es Sie euphorisch oder depressiv, dass sich die zwei Machtblöcke in den USA derzeit grotesk duellieren? Das ist bloss ein weiteres Beispiel dafür, dass Amerika untergeht wie das antike Rom. Die Faschisten und Neonazis von der Tea Party denken, wenn die Wirtschaft zusammenbricht, werden alle Ausgaben, sogar jene für die Schulen, gestrichen. Dann gibt es gar keinen Grund mehr für Steuern, und so müssten die Reichen noch weniger zahlen, als sie es nach Absprachen mit den beiden korrupten Parteien heute tun. Die Demokraten sprechen bewusst nicht darüber, dass Bushs Steuerpolitik das Land ruiniert hat und man die Steuern wieder anheben müsste, weil viele ihrer Entscheidungsträger selber reich sind oder für Reiche arbeiten. Die sogenannten Leitfiguren sind eine Bande von Crackheads, nur ist ihre Droge das Geld. Geld ist die gefährlichste und zerstörerischste aller Süchte. In Amerika ist sie ausser Rand und Band! Wo würden Sie ansetzen, um das zu ändern? Ich kenne die magische Formel leider nicht. Es müsste eine Lohnobergrenze von einer Million geben. Alles darüber wandert in den Steuertopf. So könnte man gratis Bildung, günstige Wohnungen sowie das Gesundheits- und Transportwesen finanzieren, und es bliebe sogar was übrig für die Kulturförderung. Nur müssten die Leute gebildet genug sein, um die Tea-Party-Leute abzuwählen. In den Achtzigern pflegten Sie einen Briefwechsel und Plattentausch mit Leuten aus verschiedenen Ländern, auch aus der Schweiz, um mitzubekommen, was in der europäischen Musik-
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szene abgeht. Informieren Sie sich genauso direkt über politische Vorgänge? Ich war immer ein News-Junkie und frage auf Tour stets, was wo geht. Ich lese auch diverse englischsprachige Zeitungen. Die Medien in Europa sind massiv weniger zensuriert als in den Staaten und berichten viel differenzierter und kritischer. Sogar Medien von Rupert Murdoch hier sind erstaunlicherweise besser als etwa die New York Times oder die Washington Post! Sie sprechen den renommiertesten US-Medien die Qualität ab? Die amerikanischen Medienhäuser gehören mittlerweile alle grossen Multis. Deshalb vergessen sie oft wichtige Aspekte einer Geschichte, manchmal sogar die ganze. Zappt man durch die amerikanischen News, inklusive dem sehr rechts gerichteten CNN, ist das vor allem Propaganda. Sie behaupten einfach so lange, dass der Iran die Atombombe angriffsbereit hat, bis die Leute glauben, es gebe keine Alternative zu einem Krieg. Wie beim Irak-Krieg. Angesichts der gleichgeschalteten US-Medien: Schaffen Sie es, als unabhängige Stimme die Masse und Andersdenkende zu beeinflussen, oder predigen Sie zum Chor? Mein Job ist es, den Chor anzufeuern. Denn ein grosser Teil des Chors ist momentan ziemlich entmutigt. Man muss die Bewegung Stein für Stein aufbauen. Aber wird der Chor auch grösser? Ich stimme mit Michael Moore überein, der sagt: Der Chor ist nicht die Minder-, sondern die Mehrheit. Viele Leute, die nun bei der Tea Party sind, haben doch einfach Angst, ihren Job und ihr Heim zu verlieren. Die hören auf die Massenmedien und noch schlimmer, auf all die rechtsSURPRISE 314/13
Jello Biafra über Jello Biafra: «Ein Wahnsinniger, bei dem man nie weiss, was er anstellt.»
orientierten Radiostationen, die im Wiederholungsmodus Ängste schüren und falsche Dinge verbreiten: Nein, nicht die Wall Street hat dein Geld gestohlen, es waren die Mexikaner! Ist es heute schwieriger, die Leute zu erreichen als zu Beginn Ihrer Karriere vor über 30 Jahren? Auf eine Art ist es einfacher, da ich doch einen beträchtlichen Teil der kritischen Leute begeistere. Und diese kritische Masse ist grösser, als es uns die Medien weismachen wollen. Sonst hätte ja nicht die Mehrheit Occupy unterstützt. Zwar hausten nur wenige in den Occupy-Zelten, aber die Unterstützung dahinter war immens.
was es gibt und wie viel es kostet. Dasselbe, wenn du eine Band bist. Du kannst nur für eine grosse Agentur wie Live Nation oder AEG spielen! Das ist doch wie bei den Kommunisten, wo man erst bei der Behörde vorspielen musste und die dann entschied, ob man öffentlich auftreten darf. Apropos, Sie machen wieder vermehrt Musik. Ich habe nie aufgehört, Musik zu machen, nur hatte ich keine eigene Band. Es ist schön, nun mit The Guantanamo School Of Medicine wieder dem Punk zu frönen, mit etwas Surf- und Psych-Einflüssen. Ich wollte schon immer die Basis der Stil-Pyramide etwas ausdehnen, neue Sounds in den Punk integrieren.
Ein «gefällt mir»-Klick bei der I-Like-Occupy-Gruppe auf FaceSie touren wieder mehr: Haben Sie den Bühnenkick des Rock’n’book oder die virtuelle Unterschrift unter einen Brief an die ReRoll-Sängers vermisst? gierung ist doch keine echte Unterstützung. Nun hört man nichts Natürlich! Nun bin ich 55 Jahre alt, und kaum einer macht, was ich mehr von Occupy. War das nicht bloss ein Strohfeuer? mache. Damit meine ich weniger, neue Songs zu schreiben, sondern der Solche Manifestationen halten nie lange an. Das ist, wie wenn man wahnsinnige Frontmann zu sein, bei dem man nie weiss, was er heute einen dicken Zementbrocken in den See wirft. Nach der grossen FontäNacht anstellt. ne breiten sich Wellen über den ganzen See aus. Viele Leute haben sich nun von Occupy gelöst und fokussieren sich auf ein Thema, das ihnen liegt. Meist sind es ja «In ländlichen Gegenden der USA entstehen Zustände wie in die kleinen, lokalen Projekte, die wirklich etder ehemaligen Sowjetunion: Walmart entscheidet, was es was bewirken. Es wächst eine neue Generation heran, die weiss, man soll nicht den grossen gibt und wie viel es kostet.» Firmen trauen und alles kaufen. In den Städten findet man bestimmt kleine Geschäfte mit regionalen Produkten. Aber wie ist das auf dem Land? Dort sind die kleinen Läden weg, sobald Walmart kommt. So entstehen Zustände wie in der ehemaligen Sowjetunion: Walmart entscheidet, SURPRISE 314/13
Praktizieren Sie noch immer Stagediving, den Sprung von der Bühne ins Publikum? Oh yeah! Kommt zur Show, dann wisst ihr, was geht!
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Wenn Bands wie Green Day heute Massenfestivals spielen und die dich feuern oder dein Gehalt kürzen, weil du nicht so billig bist wie vor 80 000 Vergnügungssuchenden über die US-Politik ablästern, ein chinesischer Arbeiter. ist das nur Show? Green Day wurde zu dem, was sie sind, weil sie gut sind in dem, was Gibt Obama genug Gegensteuer? sie tun. Like it or not. Der meiste Pop-Punk macht mich krank. Das ist Baracks Leute planen einen neuen Hochverrat, den sie Transpazifiwie die Eagles mit lauten Gitarren. Aber Bad Religion oder Rancid, die sche Partnerschaft nennen, mit Ländern wie Japan, Australien, Chile, gross wurden, als Punk in Amerika den Durchbruch schaffte, sind gute Bands. Die «Es ist beängstigend, wie wir vom Kapitalismus zum FeuSongs klingen nicht nach Klischeeformeldalismus wechseln. Nur sind die neuen Fürsten Firmen wie Dummbacken-Pop-Punk. Klar, ein paar der ElNovartis, Sony oder Apple.» ton-John-Piano-Balladen auf den neueren Green-Day-Alben gehören nicht zu meinen Lieblingssongs. Doch anstatt meine Zeit mit Motzen zu verschwenden, und auch China soll dazukommen. Dann wäre Game fucking over! gehe ich lieber eine kleine Band anhören, die mir gefällt, und schwärDenn die Idee dahinter ist, dass eine Firma, die in einem dieser Länder me davon. nicht zu ihren eigenen Bedingungen geschäften kann, das Land für all das Geld einklagen kann, das ihr verloren geht. Das ist Erpressung, weltBedeutet Underground zu sein wie Sie nicht auch, dass man nicht weit! Das einzig Gute am Shutdown-Drama war, dass Obama nicht an aus seinem Reservat herauskommt? den Asien-Gipfel reisen konnte, wo er den anderen Ländern Beine maEs war nie mein Ziel, in den Mainstream einzudringen. Klar, wenn chen wollte, damit die Transpazifische Partnerschaft schneller zustande sie mit mir sprechen wollen, antworte ich. Aber ich lehne es ab, in rechkommt. Die Ironie des Shutdowns ist also, dass der rechte Flügel den te Talkshows zu gehen. Da unterbrechen sie dich nur, schreien dich an neusten Wirtschafts-Coup sabotiert hat. So bleibt mehr Zeit, die Leute und missbrauchen dich als Puppe, um sich selbst besser aussehen zu zu informieren und das Ganze zu Fall zu bringen. lassen. Ein realsatirisches Debakel à la Jello Biafra! Ihre Lieblingswaffe ist, Kritik in messerscharfe Satire zu verpaTja. Ohne meinen Humor hätte ich wohl längst den Kurt Cobain gecken. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Leute zwar lachen, macht. ■ aber nicht weiter nachdenken? Ich will die Leute herausfordern. Ich mag es, wenn mir das Adrenalin ins Hirn schiesst und krude Gedanken entstehen lässt. Der ehemaliStachel im US-Establishment ge Dead-Kennedys-Gitarrist East Bay Ray meinte ja mal, er wünschte, Der 55-jährige Jello Biafra (bürgerlich Eric meine Texte würden zensuriert, weil sie für die Leute zu hochstehend Reed Boucher) ist das unermüdliche Enfant sind. Ein paar Monate später behauptete er dann plötzlich, wir hätten terrible der amerikanischen Polit-Punk-SzeTexte und Musik gemeinsam geschrieben. Wer weiss, was von seinem ne. Einen Namen machte er sich ab Ende der Gehirn noch übrig ist. Siebzigerjahre als Kopf der legendären Dead Kennedys («Too drunk to fuck», «Holiday in Nach 30 Jahren Punk und politischem Engagement: Gibt es DinCambodia»). Mit greller Gitarre und gellenge, die besser wurden? dem Gesang guselte Biafra in den Wunden Wir stecken dank dem Internet in der historisch besten Periode für der Gesellschaft. Zur Förderung anderer Musik und Kultur. Dank Napster und allem, was danach kam, findest du Punk-Bands gründete er das Label Alternatialles, was du hören willst. ve Tentacles und engagierte sich auch politisch. So kandidierte der «demokratische Anarchist» 1979 als Bürgermeister von San Francisco Aber weil sich die Leute die Musik gratis aus dem Netz laden, exiund wurde im Jahr 2000 gar als Präsidentschaftskandidat der Green stiert Ihre Plattenfirma, Alternative Tentacles, heute fast nur noch Party gehandelt. Viel Aufmerksamkeit brachte ihm der Kampf gegen als Kultlabel. die Zensur. 1986 musste er wegen eines angeblich jugendgefährdenKlar, die Leute sollten sich bewusst sein, dass sie kleinen Künstlern den Posters von H. R. Giger, das der Dead-Kennedys-LP «Frankenund Labels massiv schaden, wenn sie nur illegal downloaden. Alternachrist» beilag, vor Gericht. In diesem Kontext wurde Biafra zu einem tive Tentacles ist zerstört! Ich bin einfach dumm genug, mein letztes der ersten und bekanntesten Gegner des PMRC, einer Gruppe (geGeld darin zu verlochen. gründet unter anderem von der nachmaligen Vize-Präsidentengattin Tipper Gore), die gegen anstössige Musik vorgeht und die bekannten Welches sind in Ihren Augen politisch und sozial die wichtigsten Warn-Sticker «Parental Advisory, Explicit Content» initiierte. Veränderungen seit den Achtzigern? Nach dem Ende der Dead Kennedys 1986 musizierte und produzierte Es ist beängstigend, wie wir vom Kapitalismus zum Feudalismus er mit und für diverse Bands und Künstler wie The Melvins oder wechseln. Nur sind die neuen Fürsten Firmen wie Novartis, Sony oder Ministry. Dazu tourte er mit bissigem Spoken-Word-Programm, engaApple. Wir dienen ihnen mit jedem Produkt, das wir kaufen. Es entsteht gierte sich für die Anti-Globalisierungs-Bewegung in Seattle und zueine kommerzielle Weltherrschaft. Selbst die Leute, die wir politisch als letzt für Occupy. Um diese Bewegung dreht sich auch das aktuelle Leader wählen, sind nur Diener der Konzerne. Bill Clinton hätte nicht Album «White People & The Damage Done» seiner neuen Band Jello für unautorisiertes Würstchen-Befeuchten angeklagt werden sollen, Biafra And The Guantanamo School Of Medicine, mit der er seit fünf sondern wegen Hochverrats! Hätte er uns an den Iran oder Putin verJahren auch wieder musikalisch den Stachel in Amerikas Establishkauft, hätten ihn die Amerikaner durch die Strassen geschleift und in ment haut. (ojo) Stücke gerissen. Doch er hat unser Land an die Wall Street und Grosskonzerne verkauft, mit dem Argument: Das ist kein Monster, das euch Das Interview fand im Rahmen des Lausanne Underground Film & Music Festival zerstört, das ist nur freier Handel. Doch da ist gar nichts frei! Anstatt LUFF statt, wo Jello Biafra dieses Jahr eine Carte Blanche für Filmpräsentationen Steuern an den Staat zu zahlen, liefert man seinen Obolus an Konzerne, und Performances nutzte.
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Irvine Welsh Weihnachten bei Begbies VON IRVINE WELSH (TEXT) UND SARAH WEISHAUPT (ILLUSTRATION)
«Es klingt furchtbar», Elspeth füllte ihr Weinglas auf und ging hinüber zu den grossen Fenstertüren, «eigentlich will ich sie gar nicht hier haben, nicht einmal für einen Drink. Ich habe aufgehört nachzuzählen, wie viele Weihnachtsfeste sie schon ruiniert haben. Und es war doch so ein schöner Tag bis jetzt …» Sie wollte das Glas ihres Gatten Greg auffüllen, der schüttelte den Kopf. «Komm schon, Liebling, wir müssen da durch», seine Stimme reduzierte sich auf ein Flüstern und er blickte zum Flur, «für deine Mutter.» Elspeth wurde von heftigem Schluchzen ergriffen. «Ich weiss ... das könnte ihr letztes Weihnachten sein …» Greg betrachtete seine Frau, wie sie hinter dem grossen Weihnachtsbaum verschwand und das Fenster zum Innenhof öffnete, hinausging und sich eine Zigarette ansteckte. Greg schlotterte, als die kalte Luft von draussen den Raum einnahm. Er SURPRISE 314/13
schaute Elspeth zu, wie sie einen tiefen Zug nahm, gleich noch einen, und wie sich ihre Wangen nach innen zogen. Dann drückte sie die Kippe aus, nahm sie mit in die Küche, hielt sie unter den laufenden Wasserhahn und warf sie in den Müll. Zurück im Wohnzimmer bemerkte sie, wie Greg sie sorgenvoll-anklagend anschaute. «Ich weiss, ich weiss, ich habe wieder damit angefangen … Frank hat mich verdammt viele Nerven gekostet», erklärte sie, ihre Stimme nur noch ein Zischen, als Val Begbie, spindeldürr und zerbrechlich, ihre Chemo-Perücke schief auf dem Kopf sitzend, den Raum betrat. Elspeth half ihrer Mutter, fragil und wesenlos wie sie war, in den Lehnstuhl. «Sind die Jungs schon im Bett?», wollte Val mit krächzender Stimme wissen. Sie meinte damit ihre beiden Enkel George und Thomas. «Natürlich. Sie wollten aufbleiben, um ihre Onkel Joe und Frank zu begrüssen, aber das war ja schon zu Beginn klar, dass sie das nicht schaffen werden.»
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Val wollte gerade in einer Parteinahme, die sie eigentlich gar nicht fühlte, die Verlässlichkeit ihrer Söhne verteidigen, als es an der Türe klingelte und sie ihre beinah haarlosen Augenbrauen begnadigend in die Höhe zog. Elspeth öffnete die Türe und Frank stand vor ihr. Sie erwartete die übliche Haferbrei-Gefängnis-Blässe, aber er schien gebräunt und fit und vor allem – nüchtern. Was noch weniger zu erwarten war: Er kam in Begleitung. «Das ist Melanie», verkündete er und stellte eine atemberaubende, elegant gekleidete blonde Frau vor, die aussah, als wäre sie Ende zwanzig. «Freut mich, Sie kennenzulernen», sagte Melanie mit einem breiten amerikanischen Lächeln und dazu passendem Akzent. «Ebenso …» Elspeth nahm ihnen die Mäntel ab und führte sie ins Wohnzimmer. Als sie sich setzten und die Vorstellungsrunde durchlaufen hatten, stellte sie fest, dass Frank, genauso wie Melanie, den Drink ablehnte, den Greg ihnen offerierte, und sich beide stattdessen für Wasser entschieden. Als Melanie an ihrem Wasserglas nippte und Val und Greg sie unentwegt wortlos anstarrten, fühlte sich Elspeth als Gastgeberin verpflichtet, das Eis zu brechen. «Wo habt ihr zwei euch denn kennengelernt?» Die Frage war harmlos, aber der Ton versetzte Greg in Alarmbereitschaft. «Liebling, nicht ...» «Ist doch nur eine Frage!» Als sie sah, wie Melanie Frank anblickte, bemerkte Elspeth, dass die Amerikanerin, anders als seine früheren Gefährtinnen, sich nicht vor ihrem Bruder fürchtete. Er schien merkwürdig ruhig, ohne Anzeichen für das charakteristisch-düstere Chaos hinter seinen Augen. «Ist schon ok», sagte Melanie, «eine Freundin von mir ist Kunsttherapeutin im Gefängnis. Sie kuratierte die Ausstellung, in der auch einige von Franks Bildern ausgestellt wurden.» «Natürlich», Greg strotzte vor Enthusiasmus, «ich habe es im Scotsman gelesen. Fantastisch, Frank!» «Er konnte immer schon gut zeichnen», bemerkte Val zwar hörbar, aber mehr zu sich selbst, «als Kind.» Alle Augen im Zimmer richteten sich auf Frank, der immer noch schwieg und den Eindruck machte, als würde er mit etwas in seinem Inneren ringen. Seine Augen und sein Mund zogen sich zusammen. Melanie lächelte. «Mir hat die Arbeit Spass gemacht, und ich konnte das Interesse eines Kunstsammlers wecken, der die Bilder kaufte. Natürlich wollte dieser auch den Künstler kennenlernen und …» Sie blickte hinüber zu Frank. «Melanie hat mich im Gefängnis kennengelernt», erklärte Frank schroff. BILD: REUTERS/SHANNON STAPLETON
Irvine Welsh, geboren 1958 in Edinburgh, Schottland, gelang 1993 der Durchbruch als Schriftsteller bereits mit seinem ersten Roman «Trainspotting». Darin schildert er das Leben einer Gruppe junger Schotten, darunter Frank Begbie, deren Welt von Drogen geprägt ist. Das Buch provozierte unter anderem mit detaillierten Beschreibungen des Heroinkonsums; die Verfilmung von Danny Boyle mit Ewan McGregor in der Hauptrolle wurde zum Kultfilm. In seiner Jugend war Welsh Teil der Londoner Punkszene, hatte selbst mit Drogen zu kämpfen und lernte Gefängnisse von innen kennen. Seit «Trainspotting» verfasste er diverse weitere Romane, darunter «Porno», eine Wiederaufnahme der Geschichte der Charaktere aus «Trainspotting» zehn Jahre später, sowie jüngst «Skagboys» (noch nicht auf Deutsch übersetzt), welches die Vorgeschichte erzählt. Irvine Welsh ist Botschafter des Internationalen Netzwerks der Strassenzeitungen INSP, für das er diese Geschichte exklusiv schrieb. (fer)
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Elspeth verdrehte die Augen und füllte ihr Weinglas auf. «Und los geht’s …» Val spitzte geräuschvoll ihre trockenen, faltigen Lippen, während Greg seiner Frau einen bestürzten Blick zuwarf. «Dann durfte ich raus, in den offenen Vollzug», ergänzte Frank. «Dachte, ich würde dich dann etwas öfter zu sehen kriegen.» Val starrte ihren Sohn an. «Ich fürchte, das ist meine Schuld, Frau Beg… Val», sagte Melanie, «Frank hat viel Zeit mit mir in London verbracht.» «Hört her», sagte Frank «es ist der Moment, die Karten auf den Tisch zu legen», während er Melanies Hand in einer fast geräuschlosen, harmonischen Bewegung fand. «Wir heiraten, und wir ziehen nach Kalifornien.» Während Val ihre Unterlippe zurückzog, spuckte Elspeth ihren Wein aus und bekam einen Lachanfall. Sie bemerkte zum ersten Mal, dass ihr Bruder wütend zu sein schien, also schaute sie zu Melanie. «Tut mir leid … Du scheinst nur so gar nicht sein Typ zu sein!» «Na, herzliche Gratulation ihr beiden», säuselte Greg. «Wir sollten eine Pulle Schampus öffnen!» Melanie erwiderte Elspeths starren Blick. «Dann sag mir, bist du denn Gregs Typ?» Elspeth war bestürzt. Sie wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Greg lächelte und trällerte: «Na ja, zwei Kinder und eine mörderische Hypothek in der Beziehung, ich hoffe mal, dass wir schon zusammenpassen!» Genau in diesem Augenblick bekam Val einen Hustenanfall, ihre Tochter eilte ihr zu Hilfe. «Ganz ruhig, Mutter …» Während Vals Lungen quietschten und verzweifelt nach Sauerstoff rangen, drehte Elspeth ihren Hals zu den anderen rüber. «Was ist eigentlich mit Joe? Hat ihn keiner angerufen?» «Ich hab’s versucht», sagte Frank, «er nimmt nicht ab.» «Wie läuft’s denn mit der Bewährung, Frank? Geht dir der Bewährungshelfer …» Greg räusperte sich, zwinkerte Melanie zu und fuhr in schlechtem amerikanischen Besserwisser-Akzent fort, «… noch nicht auf die Eier?» Frank Begbie sah seinen Schwager an. «Worauf läuft das hinaus?» «Tut mir leid, habe wohl zu viel Sopranos geschaut. Habe die DVDBox – hast du sie auch gesehen?» «Nein, ich schaue nicht fern.» Dann klingelte es an der Tür und Elspeth hörte auf, ihre Mutter zu beruhigen und erhob sich, um Joe reinzulassen. Er sah ungekämmt aus und trug einen schmuddeligen Faserpelz, löcherige Jeans und abgelatschte Turnschuhe. Mit trüben Augen schaute er sich im Wohnzimmer um. «Ist ja gemütlich hier», sagte er spöttisch. Dann betrachtete er Val. «Wie geht’s meiner Mutter? Wie läuft’s mit der Chemo?» «Macht einen ganz schön fertigt», sagte Val, nachdem sie mühsam wieder zu Atem gekommen war. «Du bist eine Kämpfernatur, Mutter», sagte Joe knapp, dann fiel sein Blick auf Melanie, während Greg ihm eine Dose Stella-Lager-Bier in die Hand drückte. «Ich weiss doch, dass du der Typ Lager bist», lächelte Greg ihn an. «Was?», schnappte Joe streitlustig zurück, öffnete die Dose aber trotzdem. «Du hast gerade die ganzen Neuigkeiten von unserem Frank verpasst», sagte Elspeth, bemüht, die Wut ihres ältesten Bruders abzulenken. «Das ist meine Freundin, Melanie», bestätigte Frank, «sie ist Künstlerin aus Kalifornien. Wir werden heiraten, und dann werde ich ebenfalls rübergehen.» Er schaute zu Melanie, dann in die Gesichter seiner Familie. «Aber da gibt’s noch mehr ... es ist auch Nachwuchs unterwegs.» Elspeth betrachtete Melanie mit weit aufgerissenen Augen und schnappte nach Luft. «Allmächtiger! Ich glaube, ich bin bedient.» Melanie beachtete sie nicht und drückte Franks Hand. SURPRISE 314/13
«Kinder … Kalifornien … Kunstwerke …» Joe schloss ein Auge, während er Frank mit dem anderen fokussierte, «das ist es also, was wir dieses Jahr von dir bekommen, eh?» «Genau», sagte Frank mit weicher Stimme, und die Raumtemperatur schien zu sinken. «Und dieses Haus hier ... du ...» Joe zeigte mit dem Finger auf Elspeth. «Ich habe schon gemerkt, dass wir nicht gut genug sind, um mit euch Weihnachten zu feiern, ich und Frank und das California-Girl … aber für einen Drink, sobald die Kinder im Bett sind, sind wir noch gut genug …» «Das ist zu viel für Mutter!» «Hat sie etwas gesagt?» Val begann zu schluchzen: «Ich wollte es doch einfach nur schön haben diese Weihnachten …» Elspeth, von Joes kampfeslustigem Blick getroffen, schickte einen eiskalten Blick zurück und krächzte: «Du musst jetzt gehen. Sofort. Du machst Mutter verrückt.» «Was soll das?», brüllte Joe, dann torkelte er ein paar Schritte zurück und fiel mit einem mächtigen Aufprall durch den gläsernen Couchtisch. Glassplitter flogen in alle Richtungen, als die Metall-Füsse unter ihm einknickten. Chaos überall; dann kamen die beiden Jungs weinend die Treppe herunter. Frank und Greg kümmerten sich um Joe und Elspeth tröstete Val. Melanie ging auf die verstörten Kinder zu. «Hallo, ich bin Melanie …» Gespannt schauten die Buben Melanie an. «Ich werde bald eure Tante sein. Ich heirate euren Onkel Frank. Onkel Joe hatte einen Unfall und ist hingefallen, aber das wird schon wieder. Hört, ich will euch kennenlernen, Jungs! Wollt ihr mir eure Weihnachtsgeschenke zeigen?» Die Jungs nickten mit zurückhaltendem Enthusiasmus. Der jüngere, Thomas, erlaubte Melanie, ihn an der Hand zu nehmen und führte sie nach oben. Elspeth flüsterte ihr ein schuldhaftes, beschämtes «danke» zu, während sie verschwanden. Frank hatte Joe zurück auf die Füsse gebracht, stützte ihn und schob gleichzeitig Greg zur Seite. «Ich geh mit ihm nach draussen. Ein bisschen frische Luft, und dann besorg’ ich ihm ein Taxi». «Ich helfe», sagte Greg. «Schon gut. Ich schaff das alleine», sagt Frank steif und schnappte in Joes Richtung: «Komm schon, du!» «Wo bringst du ihn hin?» wollte Val wissen, von plötzlicher Panik ergriffen. «Nur nach draussen, die Strasse hoch», sagte Frank und Greg nickte, während er den beiden die Tür öffnete und den Abgang der Begbie-Brüder in die Nacht beobachtete. Elspeth ging nach oben, wo ihr Melanie half, die Buben zurück ins Bett zu bringen. Greg tröstete Val und begann die Scherben aufzuwischen. «Er ist obdachlos, unser Joe», schniefte Val, «er lebt nicht gerade auf der Strasse, aber auf den Sofas von Leuten.» Greg betrachtete den zerbrochenen Tisch, das zersplitterte Glas, dann den schmucken Weihnachtsbaum und das offene Kaminfeuer. Ganz knapp schaffte er es, Joe zu verzeihen. Frank blieb fast eine Stunde weg. Als er zurückkam, sassen alle angespannt im Wohnzimmer und Melanie erzählte von Kalifornien und ihrer Familie. Mit einer abrupten Bewegung drehte sich Val zu ihrem jüngsten Sohn um. «Was hast du unserem Joseph angetan?» «Nichts. Wie ich schon sagte, ich habe ihn einfach in ein Taxi gesetzt und ihm einen Zwanziger in die Hand gedrückt.» Frank zog die Schultern hoch. «Vielleicht nicht die beste Idee, einem Alki einen Zwanziger in die Hand zu drücken, der ist sicher schon wieder aus dem Taxi raus, in die nächste Kneipe gegangen und macht dort irgendwelchen Ärger. Ich wette sogar, der ist bereits in der Notaufnahme gelandet.» «Aber du … du hast deinen Bruder nicht verletzt, oder, Frank? Nicht an Weihnachten, mein Sohn! Nicht am letzten Weihnachten deiner Mutter!» SURPRISE 314/13
«Mach dir keinen Kopf, Mutter. Es ist alles in Ordnung», gurrte Frank sanft. Elspeth, Weinglas und Flasche in den Händen, starrte ihn an. «Du willst uns erzählen, dass du ihn nie zusammengeschlagen hast?» «Warum sollte ich so etwas tun?» Frank schüttelte den Kopf, als ob sie verrückt geworden wäre. «Er ist doch mein Bruder.» «Vielleicht, weil du du bist?» Elspeths Kinn ragte ihm trotzig entgegen. «Vielleicht, weil du das immer schon getan hast?» «Ehemalige Häftlinge werden schon genug stigmatisiert in der Gesellschaft», fuhr Melanie kopfschüttelnd dazwischen, «Frank ist einen langen, schwierigen Weg gegangen, um die Probleme mit seiner Wut und seinen Ängsten in den Griff zu kriegen. Ich finde schon, dass er etwas Unterstützung von seiner Familie verdient hätte.» «Tut mir leid», sagte Elspeth, «aber ich denke nicht, dass es an dir ist zu entscheiden, was er von dieser Familie verdient hat!» «Elspeth, bitte», flehte Greg seine Frau an. Elspeth blieb auf Melanie fokussiert. «Nicht, dass du mich falsch verstehst. Ich mag dich und auch meine Kinder mögen dich. Sicherlich bist du ein guter Mensch, und genau deshalb muss ich dich warnen», sie blickte hinüber zu Frank, «du weisst nicht, worauf du dich einlässt!» «Du bist betrunken», entgegnete Frank seiner Schwester, «und machst dich gerade lächerlich.» «Was willst du denn damit sagen? Dass du dich gebessert hast? Du hast dich nicht gebessert! Du wirst dich nie ändern!» «Das hättest du wohl gerne», sagte Frank ruhig. «Das würde dir gerade so passen, wenn ich nun eine Szene machen und ausrasten würde. Das würde deine schöne kleine Weltordnung bestätigen. Alki Joe, böser Bube Frank und das Engelchen Elspeth. Diesen Gefallen werde ich dir nicht tun, liebe Schwester. Mein ganzes Leben lang habe ich es so gemacht und es hat sich nicht bewährt, denn ich habe den grössten Teil meines Lebens im Gefängnis verbracht. Also mache ich nun mal was anderes, wie zum Beispiel Negativem aus dem Weg gehen. Alles nur für dich, liebe Elspeth ...», sagte er und erhob sich vom Sofa. «Geniess es!» Melanie stemmte sich ebenfalls aus dem Sofa hoch. «Ja, ich glaube, wir sollten mal los.» «Du solltest damit aufhören, Liebling», sagte Greg, als Frank und Melanie sich von der hustenden Val verabschiedeten und in die Nacht verschwanden. «Ach so, nun bin ich also die Böse!», schluchzte Elspeth. Draussen liefen Frank und Melanie eine Weile durch die feuchte Kälte, bevor sie auf der Hauptstrasse ein Taxi stoppten. «Frank», begann Melanie, «wir haben uns versprochen, dass wir nie Geheimnisse voreinander haben werden. Hast du Joe weh getan?» «Nein», sagte Frank Begbie und schaute Melanie direkt in die Augen. «Wie ich schon sagte – er ist mein Bruder! Lass dich von denen nicht aus der Fassung bringen», er umarmte sie innig. Melanie schlotterte, auch im Taxi war die Kälte von draussen noch zu spüren. «Ich sag dir was, ich bin froh, wenn wir endlich nach Kalifornien kommen», sagte Frank, «ist mir zu kalt hier.» ■ INSP/www.street-papers.org Übersetzung von Karin Scheidegger
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Fremd für Deutschsprachige Arbeitskraft Die meisten von uns leben in Häusern, bewegen sich durch Shoppingzentren und gehen über Brücken, die von anderen gebaut wurden. Die Kraft ihrer Körper, brutto ungefähr 20 bis 30 Franken pro Stunde wert, ist womöglich noch in den Balken, den Mauern, im Asphalt und Beton gespeichert. Einmal vom Körper abgegeben an den Bau, wird die Kraft darin unsichtbar. Was aber bleibt von den Menschen, wenn die Körper aufgebraucht sind? Und wer waren sie? Was sind ihre Geschichten? Eine dieser Arbeitergeschichten, die meines Grossvaters Xhevit Xhemaili, hat sich mir aus den Erzählungen meiner Mutter erschlossen. Sie spricht jeweils mit grosser Liebe und Achtung von ihrem Vater. Er sei ein Familienoberhaupt nach traditionellem Muster gewesen: Als ältester von vier vaterlosen Brüdern (dieser war im Krieg gefallen) war er in jungen
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Jahren schon verantwortlich gewesen für die Sippe, fleissig und streng, aber nicht ohne Humor. Für seine Gerechtigkeit sei er weit herum bekannt gewesen. Dazu hat meine Mutter eine besonders schöne Anekdote: Der etwa 40-jährige Xhevit arbeitete während des jugoslawischen Sozialismus als Vorarbeiter im Strassenbau. Als er in Montenegro einem Bauern klarmachte, dass ein Stück seines Landes der Strassenmodernisierung weichen müsse, bat dieser verzweifelt um die Verschonung wenigstens seines prächtigen Feigenbaums. Dem Erbe und Stolz seiner Familie. Xhevit hatte Mitleid mit dem Bauern, also begann er ein ganzes Stück wegaufwärts, noch weit vor der Stelle, wo dessen Hof lag, heimlich den Verlauf der Strasse um wenige Millimeter zu verschieben und rettete so den grossen Feigenbaum. Der Bauer, der ihm unendlich dankbar war, schenkte ihm sämtliche Früchte vom Baum und meiner Mutter dieses bildhafte Andenken an den Vater. An der mittlerweile ziemlich lädierten montenegrinischen Strasse, die heute noch am Feigenbaum vorbeiführt, erinnert nichts mehr an Xhevit. Mein Beitrag an seine erinnerte Geschichte besteht nur aus kleinen Fetzen, von denen man nicht einmal sicher sein kann, ob sie echt sind oder nur Abdrücke von Fotos in meinem Gedächtnis: das Lächeln, das die zusammengekniffenen Augen umwittert, das Haar, scheinbar immer schon weiss, und der graue
Schnauz. Dann ist da noch das Bild, wie er mir und meiner Cousine vor dem Schlafengehen das Haar zu Zöpfen flicht. Die rauen Fingerkuppen kratzen am Nacken, aber wir halten still. Seine Aufmerksamkeit adelt uns. Er war damals um die 50 und bereits nicht mehr arbeitsfähig; seine Lunge löste sich auf in rasselndem Husten. Er hatte sein Leben lang in Staatsbetrieben geschuftet, im Strassen- und später im Tunnelbau. Auf einem alten Schwarz-weiss-Foto sieht man ihn, die Arme über den Schultern zweier Kollegen, lächelnd. Alle drei sind von Steinstaub bedeckt, unter den Mündern hängen Stofftüchlein, ihr Atemschutz. Vielen seiner Kollegen ist es wie ihm ergangen. Sie sind krank geworden und gestorben, nicht lange nachdem der Tunnel eingeweiht war. Studentinnen und Studenten fahren heute von Kërçovë durch den Tunnel nach Tetova an die Uni. Sie schauen aus den Fenstern, und von den Arbeitern mit ihren staubigen Nasenhaaren und heiseren Stimmen ist weit und breit nichts zu sehen. Geblieben sind ein paar Witwenrenten und diese kleine Geschichte. SHPRESA JASHARI (SHPRESAJASHARI@HOTMAIL.COM) ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING (RAHELEISENRING.CH) Shpresa Jashari liest aus ihren Kolumnen: SchreinereiFest, Langstrasse 115 in Zürich, Fr, 29.11., 19 Uhr. SURPRISE 314/13
Film Das Kino aus Sand und Teer Vor 25 Jahren wurde der Verleih Trigon Film gegründet, er brachte hierzulande erstmals Filme aus fernen Ländern ins Kino. Damals wurde er dafür belächelt, heute ist das Weltkino auch auf grossen Festivals vertreten.
Die Kinolandschaft verändert sich permanent. Vor 25 Jahren war sie hierzulande vom amerikanischen Hollywoodkino überwuchert, es rankten sich ein paar europäische Filme hindurch, und am Rande spross ab und zu ein Werk aus Asien. Afrika existierte im Schweizer Kino nicht, Lateinamerika fast ebenso wenig. Bis 1988 Trigon gegründet wurde, ein Verleih, der vorzeigte, dass die mongolische Steppe und der ZenBuddhismus genauso ein Publikum finden wie «Zurück in die Zukunft». Das erste Werk im Programm war «Zan Boko» aus Burkina Faso. «Niemand hatte eine Ahnung, was das ist und was das soll», sagt Walter Ruggle, der Trigon seit 14 Jahren leitet, «der neue Verleih wurde als exotische Erscheinung belächelt.» Aber es stellte sich heraus, dass auch Exotisches markttauglich sein kann: «Einer der grössten Erfolge war ein sehr meditativer Film, an den hier damals kein Mensch glaubte: ‹Warum Bodhi Darma in den Orient aufbrach›», sagt Ruggle. Die Form der Erzählung war von einer ungewohnten Langsamkeit, die dem Thema entsprach – dem Zen-Buddhismus. Trotzdem gewann der Film in Locarno den Goldenen Leoparden und machte in der Folge 100 000 Eintritte. Doch der kommerzielle Erfolg ist nicht alles. Trigon Film ist eine Stiftung, die dafür sorgt, dass auch kleinere Filme gezeigt werden können, die wichtig scheinen: «Wir haben immer wieder Filme, die auch schmerzhaft sind. Wenn es darum geht, wie ein Kind den Irak-Krieg überlebt, dann ist das kein Feelgood-Movie», sagt Ruggle, «oder Filme, die formal spannend sind: Wir haben Alexander Sokurows ‹Russian Ark› herausgebracht, der in einer einzigen Einstellung gefilmt ist. Das ist allein filmgeschichtlich etwas Spezielles.» Und als Zuschauer wird man gefordert. Um sich in einem Film wie «Urga» in die Weiten der mongolischen Steppe vertiefen zu können, braucht es eine gewisse Bereitschaft, sich auf fremde Welten und eigenwillige Erzählformen einzulassen. Und da ist oft auch eine gewisse Langsamkeit. Aber keineswegs in jedem Film, betont Walter Ruggle: «Es gibt in den verschiedensten Regionen der Welt schnellere und langsamere Filme. Städtischeres Kino ist oft schneller als ländliches Kino. Wenn man ein Land nimmt, das viel Wüste hat, ist allein schon die Bewegung im Alltag eine andere, als wenn man Tokio nimmt. Das Leben ist zwangsläufig langsamer, wenn man in der Wüste einsinkt – auf dem Teer dagegen sinkt man nicht ein. Das gibt einen anderen Lebensrhythmus vor. Und das Kino ist eine gute Möglichkeit, das wahrzunehmen.» Höchstwahrscheinlich wäre die Schweizer Kinolandschaft ohne Trigon heute eine merklich andere. Unterdessen setzen auch andere Verleiher gerne einmal auf einen Film aus einer ferneren Weltregion. Gleichzeitig bekommt das sogenannte Weltkino auch international imSURPRISE 314/13
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VON DIANA FREI
Raum für Experimente: «Russian Ark», 99 Minuten, eine Kameraeinstellung.
mer mehr Beachtung und ist an den grossen Festivals präsent. Da sind zum einen Länder mit kolonialer Vergangenheit, die auch aus einer Pflicht zur Wiedergutmachung das Filmschaffen in ihren ehemaligen Kolonien unterstützen. Gerade Frankreich zeigt die Früchte dieser Zusammenarbeit gerne in Cannes. Zum anderen gibt es immer mehr Festivals, die darauf erpicht sind, möglichst viele Premieren bieten zu können. Und nach denen muss man zwangsläufig auch ausserhalb des nordamerikanischen Kinos suchen. «Heute passieren die filmisch spannendsten Sachen in Südkorea und Japan», sagt Ruggle, «ausserdem ist Nigeria die zweitgrösste Filmnation nach Indien – vor den USA –, auch wenn diese Filme fast nur lokal ausgewertet werden.» Als Drittwelt-Verleih will sich Trigon indes nicht verstanden wissen, Walter Ruggle stört sich bereits am Begriff: «Wir leben in einer einzigen Welt und nehmen die Unterschiede der Kulturen als wertvoll und elementar wahr.» Deshalb wird der Verleih unter anderem von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA unterstützt. «Die DEZA beteiligt sich, weil wir mit unserer Arbeit auch Strukturen in verschiedenen Ländern fördern», sagt Ruggle und betont: «Dies ist auch im Bereich der Kultur wichtig, nicht nur bei Grundlegendem wie Essen und Trinken.» ■ www.trigon-film.org
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Kultur
Späte Entdeckung: Joyces schräges Lügengespinst aus groben, farbigen Strichen.
Der Regisseur tritt dem Männerchor bei, um seinen Heimatort neu zu entdecken.
Buch Drei Legenden und ein Buch
Kino Im nebligen Herz der Schweiz
Entdeckung aus dem Archiv: In «Die Katzen von Kopenhagen» erfand James Joyce ein absurdes Lügengespinst um Katzen, Fische, Postboten und faule Polizisten.
Simon Baumanns «Zum Beispiel Suberg» ist eine präzise Dorfchronik, die die alarmierende Zersiedelung thematisiert. VON SARAH SARTORIUS
VON CHRISTOPHER ZIMMER
Im Café imaginaire, dort, wo sich die Legenden des Jenseits und des Diesseits treffen, sitzen drei ältere Herren, jeder mit einem Bier vor sich, in angeregter Unterhaltung um einen runden Tisch. Der eine, die tote Dichterlegende James Joyce, erzählt von seinem vierjährigen Enkel Stephen, dem er gerne diese mit Süssigkeiten gefüllten Katzen, die damals in Irland so beliebt gewesen seien, als Geschenk mitgebracht hätte, aus Kopenhagen, aber, weil es so was dort nicht gab, hätte er ihm eben einen Brief geschrieben, auch weil er Dänemark und die Dänen, diese wilden Menschen mit sanften Stimmen, wie er betonte, so gemocht habe, wie auch die roten Briefkästen dort und die Briefträger mit ihren roten Uniformen und die freundlichen Polizisten, und das alles sei unter seiner Feder zu einer recht verrückten Geschichte geworden. Und die lebende Legende Wolf Erlbruch zieht einen Skizzenblock aus der Tasche und Stifte und hält alles in groben, farbigen Strichen fest, während die lebende Legende Harry Rowohlt Notizen macht, wie das Gehörte am besten ins Deutsche zu übertragen ist. Und wie von ungefähr entsteht daraus ein Buch, das davon erzählt, dass es damals in Kopenhagen zwar keine Katzen, aber jede Menge Fische gab und Jungs in roten Kleidern auf Fahrrädern, die unentwegt Telegramme, Briefe und Postkarten zustellten, und zwar den Polizisten, die den ganzen Tag im Bett lagen und Zigarren rauchten und Buttermilch tranken und ihre Anweisungen mit Megafonen in die Stadt hinauskommandierten. Dabei wäre eine Katze doch viel billiger und könnte auch allen zeigen, was wie zu tun sei, und Fisch gäb’s ja für die Katze auch genug. Zugegeben, dieses imaginäre Stelldichein klingt ein bisschen fantastisch. Aber nicht weniger fantastisch als die Tatsache, dass dieser Brief von Joyce erst 2012 im Archiv entdeckt und veröffentlicht und von Wolf Erlbruch und Harry Rowohlt jetzt kongenial bebildert und übersetzt wurde. Herausgekommen ist dabei ein herrlich schräges Lügengespinst für Alt und Jung, das vor allem eines macht: mächtig viel Spass! James Joyce: Die Katzen von Kopenhagen. Illustriert von Wolf Erlbruch. Deutsch von Harry Rowohlt. Hanser 2013. 22.90 CHF
«Suberg ist ein Ort, wo es nichts zu sehen gibt»: Regisseur Simon Baumann findet wenig schmeichelhafte Worte für das Dorf, in dem er aufgewachsen ist und heute, 34 Jahre später, immer noch lebt. Das 600Seelen-Kaff im Seeland ist ein Durchfahrtsort, den man höchstens als vorbeirauschendes Niemandsland durchs Zugfenster wahrnimmt. Auch Baumann hat seinen Wohnort bislang grosszügig ignoriert. In Suberg kennt er kaum jemanden. Wie auch? Ein Dorfkern fehlt, die Post wurde geschlossen und die einzige Beiz ist zu einem Gourmettempel verkommen, den die Suberger demonstrativ meiden. Wie konnte aus einem Bauerndorf, einst von 14 Bauernbetrieben geprägt, ein Schlafdorf werden? Nach der Filmsatire «Image Problem» wagt der Berner Filmer erneut den Blick über pingelig genau geschnittene Hecken und rüttelt an verschlossenen Türen. Doch das Unterfangen ist diesmal ein viel Persönlicheres und wird zur melancholischen Reise ins neblige Herz der Schweiz. Simon Baumann ist kein Unbekannter in Suberg: Sein Vater Ruedi war Präsident und Nationalrat der Grünen, seine Mutter Stephanie SP-Nationalrätin – im Dorf machten sie sich mit ihrem politischem Engagement nicht nur Freunde. Wenn der Sohn im Film mit seiner scheinbar unbedarften Begrüssungsfloskel «Ich bin der Simon Baumann und wohne auch in Suberg. Wir kennen uns noch nicht» bei seinen Nachbarn klingelt, wird ihm einmal sogar mit dem Gewehr gedroht. Die Bewohner Subergs suchen den Austausch nicht. Ins Pendlerparadies kehrt man nach der Arbeit nur zurück, um zu schlafen. Durch die Hintertür findet Baumann doch noch einen Zugang zu den Dorfbewohnern: Er tritt einem Verein bei. Im Männerchor lernt er nicht nur den richtigen Ton zu treffen, er empfindet auch zum ersten Mal so etwas wie Zugehörigkeit – zu einer Gemeinschaft, die er jahrelang gemieden hat. Neben der sorgfältig komponierten Bildsprache begeistert vor allem auch der präzise Off-Kommentar Baumanns: Von der Beerdigung seines «gschäftigen» Grossvaters, die das Ende einer Epoche anzeigte, bis hin zur alarmierenden Zersiedelung der Landschaft. Ihm gelingt ein berührender Einblick in das Innenleben eines typischen Schweizer Dorfes, das nichts mehr im Innern zusammenhält. Ein Dorf, das stellvertretend für viele steht. Simon Baumann: «Zum Beispiel Suberg», Dok., CH 2013, 90 Min. Der Film läuft derzeit in Deutschschweizer Kinos.
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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
Noch besser als süsse Hostien im Gottesdienst: der Panettone.
Piatto forte Antonios Brot Diese Kolumne heisst «Piatto forte», da sie einen Hang zu italienischen Rezepten hat. Da ist es mehr als logisch, dass sie zum Advent von Antonio, dem Bäckerlehrling aus Mailand, handelt. VON TOM WIEDERKEHR
Wieso zur Adventszeit mehr Süsses als unter dem Jahr gebacken wird, ist nicht endgültig geklärt. Die christlich-weihnachtliche Tradition, in der Adventszeit spezielles Gebäck zu reichen, hat ihren Ursprung wahrscheinlich in den mittelalterlichen Klöstern, welche begonnen haben, die Hostien für die Gottesdienste in der Weihnachtszeit etwas süsser zu backen. Ziemlich sicher ist jedoch, dass im 15. Jahrhundert in Mailand in der Adventszeit im Hause des Fürsten Sforza ein grosses Fest gegeben wurde. Allerdings verbrannte das geplante Dessert im Ofen, und es musste subito ein Ersatz her. Der Bäckerlehrling Antonio kreierte mit dem, was er grad zur Hand hatte, einen Ersatz: etwas Sauerteig, Mehl, ein paar Eier, Butter und ein paar schon vergorene Fruchtstücke. Nicht mal ganz fertig gebacken, wurde der Kuchen serviert. Und so kamen die Gäste des Fürsten in den Genuss des «Pane di Antonio». Heute heisst dieser Kuchen Panettone und hat mit seinem Original nur noch gemein, dass er zu Weihnachten gebacken wird. Lebensmittelgesetze und Bequemlichkeit haben ihren Beitrag dazu geleistet. Heute ist es kommerziellen Herstellern nicht mehr erlaubt, mit vergorenen Früchten zu arbeiten. Deshalb werden kandierte Früchte verwendet. Und nicht ganz fertig gebacken dürfen sie natürlich auch nicht verkauft werden: Damit sie dennoch so feucht sind wie Antonios Original, werden sie mit mehr Butter hergestellt oder mit süssen Weinen getränkt. Der Sauerteig schliesslich steht heute auch nicht mehr in jedem Haushalt parat. Diese Bakterienkultur braucht ihre Pflege und Bewirtschaftung. Hinzu kommt, dass, wer einen Sauerteig hat, in der Regel einen Roggensauer hat. Für süsse Anwendung braucht es jedoch eine Basis aus Weizensauer. Daher verleihen dem Kuchen heute Hefebakterien den notwendigen Auftrieb. Trotz aller Modifikationen seit seiner Erfindung ist ein selbstgemachter Panettone immer noch um Längen besser als ein industriell gefertigter. Ein einfaches, aber erprobtes Rezept gibt es wie immer auf dem Blog. Und statt den süssen Wein darüber zu giessen, wird er besser einfach dazu getrunken. Ein noch nicht ganz vergorener Wein mit etwas Restsüsse wie ein Moscato d’Asti passt wunderbar.
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Gemeinnütziger Frauenverein, Nidau
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Applied Acoustics GmbH, Gelterkinden
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Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Ottenbach
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Novartis International AG, Basel
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Solvias AG, Basel
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Ernst Schweizer AG, Metallbau, Hedingen
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confidas Treuhand AG, Zürich
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ratatat – freies Kreativteam, Zürich
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Ausgehtipps
Als Reliquie verehrt: der Schleier von Manoppello.
Zürich Schleierhaft Der Schleier und vor allem das Kopftuch gelten heute bekanntermassen als Reizwörter. Da tut es vielleicht gut, einen Schritt zurück zu machen und das feine Tuch wieder neu zu entdecken. Die aktuelle Ausstellung in der Pädagogischen Hochschule Zürich tut es, indem sie die vielen Facetten des Kleidungsstücks entfaltet und schaut, was es denn durch die Jahrhunderte und Kulturen so auf sich hatte mit diesem Tuch – dem Stoff, der so leicht und fast flüchtig daherkommt und schwerwiegende Ressentiments und Bedenken auslöst. Es darf festgehalten werden: Den Schleier und das Kopftuch gibt's schon lange und es gab sie in den unterschiedlichsten Kulturen. Die Ausstellung zeichnet ein differenziertes Bild mit umfangreichem Begleitprogramm: Podiumsdiskussionen, Workshops und ein Referat des Philosophen Ludwig Hasler. (dif)
Mit einem Wisch – ist alles weg.
Liebe auf Berndeutsch: Lenz wärmt Winterherzen.
Zürich /auf Tour Seelenputz
Bern Liebesgschichte
Charles Lewinsky ist ja ein recht produktiver Zeitgenosse, und so hat er wieder mal ein neues Stück geschrieben, zusammen mit seinem Lieblingskomponisten Markus Schönholzer, den auch wir lieben. «Weg damit!» heisst das Stück, in dem die Putzfrau Klara im Altersheim das Zimmer eines Verstorbenen für den nächsten Bewohner herrichten soll und darüber ins Nachdenken verfällt. Obwohl – es wäre keine neuartige Aufgabe für sie, den Job hat sie schon hundertmal gemacht. Diesmal findet sie aber Erinnerungsstücke, auch ein Tagebuch. Und weil sie, statt alles wegzuwerfen, sich auf die Geschichte des Verstorbenen einlässt, wird sie mit dem Putzmittel in der Hand auf sich selber zurückgeworfen. (dif) «Weg damit!» Ab Mi, 11. Dez. im Theater Rigiblick,
Eigentlich ist die Spitzmarke etwas gelogen, ja, sagen wir, ein bisschen geschwindelt. Denn «das Gestalterei» («das», weil -ei wie Ei) befindet sich eigentlich in Ittigen. Gleich beim RBSBahnhof um die Ecke allerdings und nur ein paar Minuten am Wankdorf vorbei mit dem Velo. Der Weg lohnt sich: In dem Gestalterei findet man ein Gemeinschaftsatelier von Siebdruckern, Filmern, Metallwerkern und mehr, die Gäste mit offenen Armen empfangen und mit lokalem Bier und Cola aus Hamburg bewirten. Und grosse Kultur im familiären Rahmen bieten: im Dezember zum Beispiel Pedro Lenz, der aus seinen «Liebesgschichte» erzählen und die Herzen derjenigen erwärmen wird, die mit Kappe, Mütze und Velolichtern unter dem Arm aus der Kälte und Dunkelheit hereinkommen. (fer)
Zürich. Dazu Vorstellungen im Theater Schauwerk
Pedro Lenz liest aus seinem Buch «Liebesgschichte»,
Schaffhausen (So, 12. Jan.), Bistro Philosophe
Sa, 7. Dezember, 20.15 Uhr, das Gestalterei, Papier-
Dielsdorf (Sa, 18. Jan.), Theaterstudio Olten (Fr und Sa,
mühlestrasse 153, Ittigen, www.dasgestalterei.be
31. Jan. und 1. Feb.), Neues Theater am Bahnhof Dornach (Do bis Sa, 13. bis 15. Feb.), Theater (uri)
Anzeige:
Tellspielhaus Altdorf (Fr, 7. März), weitere Vorstellungen in Langnau a. A., Stein am Rhein, Zug, Wädenswil, Bremgarten. www.theater-rigiblick.ch
CHF 126.–
Schleier & Entschleierung: Zur Kulturgeschichte, Erscheinung und Deutung. Noch bis Sa, 14. Dezember, Mo bis Fr 7 bis 22 Uhr, Sa 7 bis 17 Uhr, Pädagogische Hochschule Zürich, Lagerstrasse 2, Zürich. www.phzh.ch/schleier
Damenschuhe aus Istanbul. Tolle Formen und Farben, sehr gut verarbeitetes Rindsleder. Moderate Preise dank Direktimport. Online-Shop oder Schau-Raum in Basel. www.stanbul-schuhe.ch
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BILD: ZVG
BILD: MEK
Ex-Trucker mit eindrücklichem Bariton: Daughn Gibson.
Zürich Postmoderner Country
Bring & Nimm: Sinnvoll tauschen statt Neues kaufen.
Basel Zeugs tauschen Zeugs, überall Zeugs! In der Wohnung, im Keller, auf dem Dachboden, in den Geschäften, unter dem Weihnachtsbaum. Deshalb: Kurz vor der jährlichen Materialschlacht ein Tipp, wie Sie Ihr Zeugs sinnvoll loswerden – oder zu neuem Zeugs kommen, ohne dabei die Zeugsproduktion weiter anzukurbeln. Zum Beispiel zu einer gefütterten Regenjacke (schwarz), zu Rollerblades (Grösse 28), zu zwei Packungen Windeln (6 bis 9 Kilo), zu einer Nachttischlampe (im anthroposophischen FilzLook), zu diversen Büchern und DVDs. All das und noch mehr steht und hängt derzeit nämlich im «Tauschkasten», der seit Ende September durch Basels Quartiere wandert. Der grosse gelbe Kasten auf Rädern ist ein mobiler Bring & Nimm-Tauschmarkt: Alle sind eingeladen, etwas hineinzustellen oder sich etwas auszusuchen. Damit der Kasten immer weiterziehen kann, wird laufend nach Paten gesucht, die sich seiner annehmen und ihn für eine Weile an einen neuen Ort stellen.
Die Geschichte geht so: Daughn Gibson wurde im Dorf Nazareth im Bundesstaat Pennsylvania geboren. Ein paar Jahre spielte er Drums in der Heavy-Rock-Band Pearls & Brass. Dann wurde er Trucker und hörte in der Fahrerkabine so lange Country, bis er diese Musik irgendwie gut fand. 2012 veröffentlichte Gibson sein Solo-Album «All Hell». Diesen Juli legt er mit «Me Moan» nach, und noch immer bastelt er seine Songs mit Gitarren, Drumcomputern der ersten Generation und Samples aus christlichen Folk-Songs. Darüber singt Gibson mit eindrücklichem Bariton. Das Ganze wirkt erst mal recht schräg, mit der Zeit zeigt sich aber, dass Gibson ein paar wirklich gelungene Songs parat hat. Aus dem dengelnden Groove von «Kissin On The Blacktop» oder dem Klingel-Pop von «Won’t You Climb» spricht seltsamerweise so was wie Soul. Daughn Gibson führt die Country-Musik in die Postmoderne und fabriziert dabei Songs, die man entweder bireweich oder faszinierend und fesselnd finden kann. (ash) Do, 5. Dezember, 20.30 Uhr, Rote Fabrik, Zürich.
Mobiler Bring & Nimm-Tauschkasten Basel, momentane Position zu finden unter: www.bringundnimm.ch
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Verkäuferporträt «Deshalb habe ich keine Freunde» Über 30 Jahre lang war der Basler Surprise-Verkäufer Bruno Bölsterli (60) Trompeter in der Guggenmusik. Die Gugge gab ihm Halt, dort hatte er seine Freunde – vermeintlich. Nach einem gesundheitlichen Ausfall war er nicht mehr willkommen.
«Mein 60. Geburtstag war das traurigste, was ich je erlebt habe. Ich war alleine im Restaurant, habe etwas gegessen, um neun Uhr war ich zuhause. Nicht einmal meine Tante oder die Guggenmusik haben sich gemeldet; keine Karte, null, nichts. Mein Bruder liess über einen Kollegen alles Gute ausrichten. Ich bin nur froh, dass dies nicht in der Phase meiner Depressionen passiert ist. Dann hätte es mich bestimmt anders erwischt. Selbst die Guggenmusik, bei der ich seit 1980 dabei war und die ich in meinem letzten Verkäuferporträt vor zwei Jahren noch so gelobt habe, wie sie meinen Fünfzigsten organisiert hatten (‹Das sind echte Freunde›, Surprise 259), liess mich fallen. Ich hatte eine Weile gefehlt, erst wegen eines Unfalls, bei dem ich mir die Hand gebrochen hatte, dann wegen Depressionen. Ich hatte mich natürlich abgemeldet. Aber als ich zurückkommen wollte, sagten sie mir, ich würde bei den Trompetern nur stören. Das wussten die ja nicht, aber ich hatte zuhause geübt, auch mit dem Gips. An der Fasnacht musste ich dann ‹Nümmerli azeige›, das heisst anzeigen, welches Stück als Nächstes gespielt wird, wie ein Schuelbueb. Das war die grösste Niederlage für mich: Andere Guggen, die mich kennen, haben das natürlich auch gesehen. Ich hätte mir so gewünscht, an dieser Fasnacht, meiner letzten vielleicht, Dirigent zu sein. Aber da hiess es: ‹Meinst du, wir laufen einem Junkie hintendrein?› Das hat mich getroffen. Dabei hatte ich im Cliquenkeller oder an Auftritten nie Cola oder Heroin dabei. Ich weiss, was sich gehört und was nicht. Gewisse in der Gugge finden aber nichts dabei, sich vor den Augen der Kinder einen Joint zu drehen. So etwas macht mich richtig sauer. Das mit den harten Drogen fing an, als sich meine Frau von mir scheiden liess, 45 war ich damals. An die Hochzeit lud ich die ganze Guggenmusik ein, sämtliche Kollegen, heilandsiech, und kaum waren wir verheiratet, kommt sie mit den Scheidungspapieren. Da ging sie bereits mit einem anderen. Und dann kam auch noch aus, dass die Tochter nicht von mir war. Ich hatte niemanden, dem ich das hätte anvertrauen können, ohne dass es gleich ganz Basel gewusst hätte. Es ist leider so: Es gibt nicht viele Leute, denen man etwas anvertrauen kann. Es ist traurig, aber deshalb habe ich eigentlich keine Freunde. Aber ich habe danach weiter Drogen genommen, drei Jahre habe ich den Seich gemacht. Dafür habe ich mit Trinken aufgehört – im Prinzip machte ich eine Suchtverlagerung. Ich war vorher jeden Abend im Braunen Mutz, habe insgesamt sicher ein Auto versoffen. Nun habe ich noch Valium und meine Ketis, die Methadon-Tabletten. Diese möchte ich jetzt auch noch abbauen. Ich nehme sie seit sicher zehn Jahren, und sie machen einen schlapp. Doch der Entzug von Ketalgin ist schlimmer als der von Heroin.
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BILD: FER
AUFGEZEICHNET VON FLORIAN BLUMER
Gegen die Depressionen hat mir der Arzt Antidepressiva gegeben, aber die vertrug ich nicht: Ich konnte nicht mehr aufstehen am Morgen, musste oft erbrechen, konnte nicht mehr raus, um Surprise zu verkaufen. Ich merkte: Alter, du schliesst dich ja nur noch ein! Ich sagte dem Arzt: Entweder wir schaffen es ohne Pillen oder gar nicht. Und wir haben es geschafft ohne. Anfangs war es hart, doch ich habe ja seit zwölf Jahren meine Katzen. Die haben gemerkt, dass es mir nicht gut ging. Sie sassen eng bei mir, wie wenn sie meine Kinder wären, eine links, eine rechts von mir, das hatte ich noch nie erlebt. Sie haben mich so motiviert, die beiden Katzen. Zur Geschichte mit der Guggenmusik muss ich noch sagen: Schlussendlich überwiegt für mich das Positive. Man sagt ja, nichts geschieht ohne Grund. Ich hatte zwar zu nagen daran, aber ich habe etwas dazugelernt. Und ich habe gehört, dass unterdessen ein gutes Drittel der Mitglieder ausgetreten ist. Ich habe mich nun ans Weihnachtsessen angemeldet. Mal sehen, vielleicht gibt es ja noch eine Chance.» ■ SURPRISE 314/13
SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin
verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, U-Abonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!
Andreas Ammann Bern
Jela Veraguth Zürich
René Senn Zürich
Marlis Dietiker Olten
Kurt Brügger Basel
Fatima Keranovic Basel
Josiane Graner Basel
Wolfgang Kreibich Basel
Tatjana Georgievska Basel
Bob Ekoevi Koulekpato, Basel
Marika Jonuzi Basel
Peter Gamma Basel
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Jovanka Rogger Zürich
Ralf Rohr Zürich
Anja Uehlinger Aargau
Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken
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314/13 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 314/13
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.
Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–
Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.
Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden vom Verein Surprise geführt. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.
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Herausgeber Verein Surprise, Postfach, 4003 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Reto Aschwanden, Florian Blumer (Nummernverantwortlicher), Diana Frei, Mena Kost redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Mehdi Benkler, Olivier Joliat, Stefan Michel, Sarah Sartorius, Karin Scheidegger, Sophie Stieger, Sarah Weishaupt, Irvine Welsh Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 23 000, Abonnemente CHF 189, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Christian von Allmen
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Surprise Da läuft was Surprise Strassenchor «Lieder kennen keine Grenzen und verbinden Herz mit Herz» Ein Highlight im grauen November für den Strassenchor! Die britische Sängerin, Komponistin und Chorleiterin Polina Shepherd kam auf Besuch und führte einen Workshop durch – Freude und Begeisterung waren gegenseitig. «Lailailai» und «Jabadaibai» – Nigunim, alte Lieder und Gebete jüdischer Migranten aus Osteuropa, kommen ohne Wörter aus. Ohne Wörter und ohne Noten einfach drauflossingen, das war ganz nach dem Geschmack des – sprachlich heterogenen – Strassenchors. Besonders, als sie dazu aufgefordert wurden, eigene Variationen der gegebenen Melodien zu entwickeln, besonders natürlich auch, weil sie dabei von jemandem wie Polina Shepherd begleitet wurden! Die heute in Brighton lebende und arbeitende Sängerin, Komponistin und Chorleiterin wurde 1973 in Sibirien geboren und wuchs in Tatarstan auf, in einer Familie, in der das Singen zum Alltag gehörte. Nach ihrer klassischen Musikerziehung wandte sie sich vermehrt der Volksmusik zu. Heute gibt sie weltweit Konzerte und Workshops, teils auch im Duo mit ihrem Mann, einem bekannten Klezmer-Klarinettisten. Ihr Gesang ist eine charmant-explosive Mischung aus russischer Volksmusik und Zigeunerweisen, garniert mit einem guten Schuss jiddischer Musiziertradition. Sie ist Trägerin verschiedener Festivalpreise. Die Sängerinnen und Sänger des Strassenchors lernten auch jiddische Lieder und wurden dazu aufgefordert, in freier Improvisation Melodievarianten und musikalische Ornamente zu entwickeln. Und nicht nur sie hatten Freude: Polina Shepherd zeigte sich sehr erfreut über die Begeisterungsfähigkeit des Strassenchors – die Gruppe sei besonders offen und emotional im Vergleich zu manchmal eher etwas zugeknöpfteren Leuten in anderen Workshops. Entsprechend sprühte sie vor Lebenslust und ansteckender Singfreude. Auch die wohlverdienten Pausen mit selbstgemachten Empanadas, Schoggikuchen, Süssmost und warmem Tee wurden wie immer sehr genossen. Doch das Singen machte derart Spass, dass sie einigen zu lang erschienen. Allen war klar, dass eine Künstlerin wie Polina Shepherd so bald nicht wiederkommen wird. Ariane Rafino dos Santos, Chorleiterin Strassenchor
www.polinashepherd.co.uk www.naturalvoice.net
Der nächste Auftritt des Surprise Strassenchors findet am 14. Dezember 2013 zwischen 14.00 und 16.00 Uhr während des Zimtmarkts vor der Basler Matthäuskirche statt.
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Ein Auftritt des SurpriseStrassenchors
Ein sozialer Stadtrundgang Die Surprise-Stadtführer Markus, Rolf und Wolfgang erzählen persönliche Geschichten aus ihrem Alltag als Obdachlose und Armutsbetroffene und zeigen die Stadt aus ihrer Perspektive. Schenken Sie Ihrem Team einen anderen Blick auf die Stadt.
Wenn Sie Ihr Umfeld auf musikalischem Wege überraschen möchten, empfehlen wir Ihnen, einen Auftritt des Surprise-Strassenchors zu schenken. Unter professioneller Leitung gibt der Chor fidele Lieder aus aller Welt zum Besten und sorgt garantiert für heitere Stimmung!
Ein Surprise-Jahresabo Eine Surprise-Tasche oder Surprise-Mütze.
Schenken Sie statt einer gewöhnlichen Weihnachtskarte ein Surprise-Jahresabonnement! Oder wünschen Sie Ihren Kunden alles Gute per Inserat – macht das ganze Jahr über Freude.
Auch unsere Surprise-Artikel werden immer wieder gerne verschenkt! Damit ist man für die täglichen Herausforderungen gerüstet. Es stehen Ihnen Surprise-Taschen und -Mützen in diversen Farben zur Auswahl.
Immer die gleichen Weihnachtskarten? Schon wieder schlechter Wein? Schenken Sie Ihren Liebsten, Freunden und Geschäftspartnern doch mal etwas Überraschendes. Sie tun sowohl ihnen als auch den Menschen, die gar nichts haben, etwas Gutes. Genauso vielseitig wie unser Magazin sind nämlich auch unsere Weihnachtsgeschenke.
Wir informieren und beraten Sie gerne über das beste Geschenk. Sie erreichen uns unter 061 564 90 50. Oder auf www.vereinsurprise.ch