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Fabian träumt vom Einräumen /// Der «Soziale Stadtrundgang» in Zürich ///
«Sozialhilfe neu definieren» /// In der Notschlafstelle /// Unbequemer Filmer: Fernand Melgar
Nr. 335 | 3. bis 23. Oktober 2014 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
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Vorname, Name
Telefon
Strasse
PLZ, Ort
Datum, Unterschrift
Anzahl Taschen
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Titelbild: WOMM
Eine Sonderausgabe zum Thema «Armut in der Schweiz» bräuchte eigentlich keinen besonderen Anlass. Dieses Heft hat dennoch einen: Nach über 370 Führungen in Basel startet der «Soziale Stadtrundgang» von Surprise jetzt auch in Zürich. Ab dem 3. Oktober zeigen sechs Surprise-Stadtführer die andere Seite der Boom- und Bankenstadt. Ab Seite 16 erzählen sie, wie sie auf der Gasse gelandet sind – und was sie dazu motiviert hat, ihre Anonymität zu verlassen, um der Armut in Zürich ein Gesicht zu geben. Das Thema «Armut» ist in der Schweiz wieder auf dem Tisch. Oder zumindest die Frage, wer für die Leute aufkommen soll, die es nicht schaffen, genügend Einkommen zu generieren. Die Zahlen, die die Städteinitiative Sozialpolitik diesen Sommer veröffentlicht hat, machen klar: Die Schweiz verändert sich ganz unten gewaltig. Die AMIR ALI Wirtschaft bietet immer weniger Nischen für niedrig Qualifizierte und Behinderte. REDAKTOR Die Politik hat IV und Arbeitslosenversicherung saniert – sprich zusammengestrichen. Wer auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hat, fällt immer öfter durch alle Netze. Und landet bei der Sozialhilfe, die eigentlich als vorübergehende Überbrückung gedacht ist. Seit 2006 hat sich die durchschnittliche Bezugsdauer um ein halbes Jahr verlängert. Damit hat sich auch die finanzielle Last verschoben – weg von Kantonen und Bund, hin zu den Gemeinden. Unter ihnen entwickelt sich zurzeit eine Art Wettbewerb darum, wer am wenigsten attraktiv für sozial Schwache ist. Das hat weniger mit Ideologie zu tun als mit Buchhaltung: Viele Gemeinden fürchten, die soziale Rechnung bald nicht mehr stemmen zu können. «Armut in der Schweiz ist unsichtbar», hört man oft. Will heissen: Man sieht sie nicht, die Armut und die Armen. Müsste aber heissen: Man will sie nicht sehen. Armut in der Schweiz ist nicht einfach unsichtbar – sie wird unsichtbar gemacht. Weggezaubert, verdrängt, totgeschwiegen. Das liege an unserer «Fixiertheit» auf die Arbeit – und sei ausserdem «gesellschaftspolitisch so gewünscht», sagt Carlo Knöpfel, Dozent für Soziale Arbeit in Basel (siehe Interview Seite 20). In der Schweiz, einem der reichsten Länder der Welt, können sich Menschen keine Wohnung leisten, frühstücken in der Gassenküche und schlafen in der Notschlafstelle. Dem sehen wir ungern in’s Auge. Dieser Unwille mündet mitunter in Zensur: Präsenz Schweiz, die bundeseigene PR-Agentur, die Schweizer Filme an internationale Festivals schickt, wird laut ihrem Chef Nicolas Bideau das neuste Werk von Fernand Melgar wohl nicht unterstützen. Wenn Sie das Interview mit Melgar ab Seite 24 lesen, verstehen Sie, warum. Ich wünsche Ihnen eine entzaubernde Lektüre Amir Ali
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@vereinsurprise.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise SURPRISE 335/14
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BILD: WOMM
Editorial Weggezaubert und totgeschwiegen
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Inhalt Editorial Die Schweiz ganz unten Wörter von Pörtner Über Nacht dumm und faul Porträt Herr Sieber und seine Schäfchen Aufgelesen Ein Muslim bei den Juden Zugerichtet Herren und Mädchen Hausmitteilung Die Schlange beisst sich in den Schwanz Starverkäuferin Saba Tsegay Arbeit Der Traum Obdachlosigkeit Eine Nacht in der Notschlafstelle Verkäuferporträt Mit 80 wie mit 40 In eigener Sache Impressum INSP Surprise – Mehr als ein Magazin Erfolg in Amsterdam
10 Armut «Bei uns gilt: Ich arbeite, also bin ich» BILD: DOMINIK PLÜSS
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Unsere Fixiertheit auf die Arbeit sei schon fast eine Verkrampfung, sagt Carlo Knöpfel, Sozialwissenschaftler und Co-Autor des «Neuen Handbuchs Armut in der Schweiz». Das sei vor allem deshalb gefährlich, weil der Arbeitsmarkt immer mehr Menschen ausschliesse oder prekäre Anstellungen biete, die nicht mehr zum Leben reichten. Unser Sozialstaat halte mit der Entwicklung nicht Schritt. Knöpfel fordert deshalb ein Umdenken, insbesondere bei der Sozialhilfe, die mit ihren neuen Aufgaben überfordert sei.
14 Stadtrundgang Obdachlos in der Bankenstadt BILD: ANDREA GANZ
Hinsehen und zuhören statt verdrängen: Dass es in der Schweiz durchaus Menschen gibt, die bereit sind, sich mit der Armut in ihrem reichen Land auseinanderzusetzen, zeigt der Erfolg des «Sozialen Stadtrundganges» in Basel. Über 370 ausgebuchte Touren leiteten die Surprise-Stadtführer bisher am Rheinknie. Jetzt startet das Projekt auch in Zürich. Im Fokus stehen die Altstadt und das Langstrassenquartier, in das sich die Drogenszene seit der Räumung des Platzspitzes zurückgezogen hat.
24 Kino Der Bunker ist voll
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BILD: ROLAND SCHMID
Als Regisseur Fernand Melgar («La Forteresse», «Vol spécial») mit seinem kleinen Sohn jeweils frühmorgens spazieren ging, traf er auf Menschen, die auf Parkbänken schliefen. Als er bemerkte, dass sie wegen ihm nervös wurden, fragte er nach. Sie zeigten ihm die versteckte Welt der Obdachlosen. Entstanden ist daraus sein Film «L’Abri», der Einblick in den allabendlichen Kampf um einen Schlafplatz in der Lausanner Notunterkunft gibt.
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BILD: GUIDO SÜESS
Wörter von Pörtner Arme und Reiche Eigentlich ist es ganz einfach: Was Arme von Reichen unterscheidet, ist der Mangel an Geld. Man bräuchte den Armen also nur Geld zu geben und schon wäre das Problem gelöst. Tatsächlich gibt es Entwicklungshilfe-Projekte wie Give Directly, die genau dies versuchen: Sie wählen Menschen nach speziellen Kriterien aus und geben ihnen Geld. Damit können sie machen, was sie wollen. Noch ist es zu früh, um zu sagen, ob das System funktioniert. Es sieht aber so aus, als würden die Armen durchaus nicht stante pede den unerwartet hereingeschneiten Geldsegen auf den Kopf hauen, sondern es in nützliche Dinge investieren, die mitunter sogar ein Einkommen generieren. Das widerspricht der Überzeugung, dass die Armen an ihrer Armut grundsätzlich selber schuld sind. Auch wenn es, zumindest bei uns, SURPRISE 335/14
nicht offen gesagt wird, ist es doch das, was viele denken. In Indien liegt es daran, dass sie in einem früheren Leben etwas falsch gemacht haben, bei uns eher, dass sie in diesem Leben etwas falsch machen, wahrscheinlich faul oder dumm sind. Geld kann dieses Problem nicht lösen, darum wurden vielfältige Formen des Almosenwesens eingeführt. Almosen sind dazu da, die Armut zu lindern, nicht aber sie zu beseitigen. Besser, das Geld fliesst direkt an den Vermieter oder die Krankenkasse, also an Leute und Institutionen, die alles andere als arm sind. Wenn die Armen an ihrer Armut selber schuld sind, so ist es das Verdienst der Reichen, dass sie reich sind. Sie sind klug und fleissig. Leistung wird belohnt, und wer zu wenig Lohn hat, leistet zu wenig. Dass der Grossteil der vermögenden Menschen in der Schweiz und weltweit durch Erben reich geworden ist und – abgesehen von Ausnahmen, die über die Stränge schlagen – im Verlauf ihres Lebens noch reicher werden, egal ob sie viel leisten oder nicht, widerspricht dieser Ansicht, die dadurch aber nicht geschwächt wird. Der Aufstieg aus armen Verhältnissen in die Sphäre der Reichen ist in den letzten Jahrzehnten wieder schwieriger geworden, blutjungen Internet-Milliardären zum Trotz. Schon wird die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der das einfacher möglich war, als historische Ausnahmesituation betrachtet. Dem damals
geschaffenen Mittelstand droht der Abstieg in die Armut. Und trotzdem scheint gerade dort der Widerwille, Armen Geld zu geben, am grössten. Die Vorstellung, dass schon bei der Geburt klar ist, wer arm und wer reich ist und das nichts mit der Person zu tun hat, ist schwer zu ertragen. Verarmen bedeutet nicht nur den Verlust von Geld, sondern den der positiven Eigenschaften, die Reiche von Armen trennen. Bei der letzten Finanzkrise wäre es beinahe einer Menge Menschen so ergangen. Sie wären über Nacht dumm und faul geworden und selber schuld gewesen. Wer zu viel Profit sucht, ist dumm, wer sein Geld ohne Arbeit vermehren will, faul und wer investiert, weiss um das Risiko und ist darum selber schuld, hätte man argumentieren können. Doch die Politik sah es anders, der Staat schritt ein und verhinderte grosses Unheil. Es ist offenbar wichtiger, Reiche vor der Armut zu bewahren, als Arme. Doch offiziell ist es natürlich, frei nach Otto Waalkes, egal, ob ein Mensch arm oder reich ist – Hauptsache er hat Geld.
STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT (SAVVE@VTXMAIL.CH)
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Porträt Mit Sportsgeist für die Verlierer Christian Siebers Herz schlägt für die Skurrilen und Schrägen mit den «struben Lebensläufen». Im «BrotEgge» der Sozialwerke seines Namensvetters Pfarrer Sieber kümmert er sich um die Gescheiterten und Gestrandeten – und stürzte dabei selber fast ab. VON YVONNE KUNZ (TEXT) UND PHILIPP BAER (BILD)
nehmen und zu ihrer Chance hinführen», sagt Sieber. Und es sei seine Gabe, diese Leute aufrichten zu können. Dabei sei vor allem eines wichtig: Dass man glaubt, was man sagt. «Ich bin ein grosser Optimist, ein lebensfreudiger Mensch. Ich bin in einem vertrauensvollen Umfeld aufgewachsen. Davon kann ich jetzt viel weitergeben.» Über die Jahre hat Christian Sieber 70 bis 80 Menschen begleitet. Sein Herz schlägt für Einzelgänger mit «struben Lebensläufen», für skurrile, schräge Leute. Ihre Biografien seien fast allesamt filmreif, daran teilzuhaben sieht Christian Sieber als seinen Reichtum: «Was hinter den Menschen alles für Geschichten stehen! Die Brüche, dann aber auch die Wunder!» Er erzählt von einem ehemaligen Kadermitarbeiter, der erst seinen Job, dann alles verlor. Oder von der Frau, die durchbrannte und ihre Familie und ihren Laden einfach zurückliess und sich irgendwann im Brot-Egge wiederfand. Es gibt Fälle ohne Perspektive, aber manche fangen sich wieder. Der Kadermitarbeiter hat inzwischen ein Buch geschrieben, und die ehemalige Ladenbesitzerin arbeitet heute im Kleiderladen des «Brot-Egge». In den Geschichten, sagt Christian Sieber, erkenne er auch sich selbst. «Auch ich bin einer, der gerne gegen den Strom schwimmt. Auch ich habe das Querschlägerische in mir drin, das Draufgängerische, das Selbstzerstörerische.» Es dauerte nicht wie von Pfarrer Sieber befürchtet sechs Monate, sondern sechs Jahre – aber Christian Sieber brannte aus. Es war ein schleichender Prozess. Er, der lebenslange Fussballfanatiker, gab seine zehnjährige Tätigkeit als FCZ-Korrespondent für eine Sportagentur auf und verbrachte immer weniger Zeit mit seiner Frau und den beiden Kindern. Es folgte der körperliche Kollaps, doch nicht mal der reichte, um ihn zur Vernunft zu bringen. Rückblickend schockiert ihn am meisten, dass er
«Leute mit Helfersyndrom können wir nicht brauchen. Die sind nach sechs Monaten ausgebrannt», sagte Pfarrer Sieber vor elf Jahren beim Bewerbungsgespräch zu Christian Sieber. Dass sie Namensvettern sind, ist Zufall. Dass sie sich begegnet sind, nicht: Auf der Suche nach einer sinnvollen Tätigkeit besorgte sich Christian Sieber über den Wirt seiner Stammbeiz die Nummer des bekannten «Armenpfarrers». Der gelernte KV-Angestellte jobbte sich damals noch durch Banken, Handel und Industrie. Aber ihm fehlte die persönliche Begegnung mit Menschen. «Immer ging es nur um Waren, Gewinn und Bilanzen, das war mir irgendwann zu wenig Lebensinhalt.» Heute sitzt Christian Sieber im Sitzungszimmer des «Brot-Egge», einer Anlaufstelle für Bedürftige am Rande Zürichs, am Rande der Gesellschaft. Aus dem Praktikum ist längst eine Festanstellung im Betreuungsteam der Sieberwerke geworden. Dort kümmert sich der heute 45-Jährige um Bevölkerungsgruppen, die in der öffentlichen Wahrnehmung als Ärgernisse oder lästige Kostenfaktoren vorkommen, wenn überhaupt: Süchtige, Obdachlose, Ausgesteuerte, psychisch Angeschlagene, Ex-Knastis. Seit zwei Jahren sind es immer öfter auch gestrandete Wanderarbeiter und Alte, deren Rente nicht zum Leben reicht. Wenn er von seinen «Schäfchen» erzählt, spricht er auch von «Herzenswärme». Ein Wort, das sich im merklich abgekühlten gesellschaftlichen Klima wie ein Fremdkörper anfühlt. Für das, was Christian Sieber macht, gibt es keine Berufsbezeichnung. Ein Seelsorger ist er jedenfalls nicht. Obwohl er einen tiefen Glauben hat, ist er kein regelmässiger Kirchgänger. «Der Pfarrer im Religionsunterricht in der Primarschule gab mir jeweils eins auf’s Ohr», lacht er. Jedes Mal In den Geschichten seiner Schützlinge erkennt sich Christian nämlich, wenn klein Christian ihn nicht mit Sieber selbst. «Auch ich habe das Querschlägerische in mir drin, dem Pfarrerstitel ansprach. «Was lustig ist, das Selbstzerstörerische.» weil ich in meinem Alltag nun sehr oft ‹Herr Pfarrer› sage, denn auch Pfarrer Sieber besteht darauf.» Auch Sozialarbeiter ist Christian Sieber nicht. Das merkt man seine wichtigste Kraftquelle einfach aus den Augen verlor: die Familie. nur schon daran, dass er seine Schützlinge nicht «Klienten» nennt, son- Seine Frau habe auf ihn eingeredet, aber er habe sie nicht gehört. Bis eidern «eusi Mänsche». Für seine Arbeit, sagt er, reiche ein bestimmtes ner seiner besten Freunde zu ihm sagte: «Wenn du deine Frau verlierst, Schema nicht, es brauche einen breiteren Horizont. «Ich setze mich für weil du so ein sturer Tubel bist, rede ich nie wieder ein Wort mehr mit Menschen ein, die zu wenig Gehör bekommen.» Sieber sieht sich als dir.» – «Das hat mich wachgerüttelt. Das wird mir nie mehr passieren.» «Anwalt des Lebens». Sieber pausierte und erkannte aus der Distanz: «Um anderen helfen Gerade in der reichen Schweiz fehle es an Verständnis für Menschen, zu können, muss es einem selbst gut gehen.» Heute achtet er darauf, die scheitern. Man stemple sie ab als faule Schmarotzer, die selber «dass es aufgeht». Er verbringt wieder viel Zeit mit der Familie und schuld sind an ihrer misslichen Lage. Sieber sieht in ihnen etwas ande- seiner zweiten grossen Leidenschaft: dem Fussball. Wenn er einen «kores: «So unterschiedlich unsere Menschen auch sind, die meisten haben mischen Tag» hat, pflegt er zu sagen: «Ich wäre besser Fussballer geschwierige Lebensläufe, konnten beim Aufwachsen nicht auf Sicherheit, worden!» An Talent fehlte es ihm nicht, doch auch bei seiner FussVertrauen und Geborgenheit zählen.» Wer dieses Glück aber hatte, kön- ballkarriere setzte Christian Sieber die Prioritäten konsequent auf das ne sich kaum vorstellen, wie wenig Bekannte, Freunde oder Familien zu Zwischenmenschliche: «Mir war es wohl in der 2. Liga. Einfach mit den Leuten halten, mit denen er es zu tun habe. «Es sind oft Menschen Freunden z’tschutte war mir wichtiger als Pokale.» Dennoch ist es bis mit wenig Selbstwertgefühl, die sich in ihren Wohnungen verkriechen heute der Sportsgeist, der ihn lehrt: «Es geht auch darum, verlieren zu und vereinsamen. Schliesslich landen sie auf der Strasse und man können. Am meisten lernt man aus Niederlagen, aus schwierigen Proschickt sie zu uns.» Pro Tag kommen durchschnittlich zwischen 70 und zessen. Dann macht man die Erfahrungen, die einen weiterbringen.» ■ 100 von ihnen in den «Brot-Egge». «Man muss die Leute an der Hand
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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Luxusburg Wien. Acht Prozent der weltweiten Privatvermögen – gegen 8000 Milliarden Euro – liegen zwecks Steuervermeidung in Steueroasen. 80 Prozent der weltweiten Offshore-Vermögen werden nicht deklariert. Den Sozialstaaten entgehen so jährlich geschätzte 130 Milliarden Euro. Neben der Schweiz ist Luxemburg gross im Geschäft. Das Grossherzogtum hat als souveräner Staat Vetorechte in EU-Gremien – und bestimmt so die Rechtslage in Finanzfragen entscheidend mit. Es stellt sich die Frage nach der Demokratie: Ist Luxemburg noch ein Staat – oder eine Plattform der Finanzindustrie?
Ashraf im Synagogenasyl Hamburg. Die jüdische Gemeinde Pinneberg bei Hamburg hat, als erste in ganz Deutschland, einem Flüchtling Kirchenasyl – oder besser: Synagogenasyl – gewährt und ihn damit vorerst vor der drohenden Abschiebung gerettet. Dass Ashraf aus dem Sudan Muslim ist, war Wolfgang Seibert, dem Vorsitzenden der Gemeinde, egal. «Schliesslich wissen wir genau, wie es ist, Flüchtling zu sein und irgendwo illegal zu leben. Da muss man doch helfen.» Juden schützen einen Muslim: Das ist, bei aller Selbstverständlichkeit, ein starkes Zeichen.
Fett verdient Kiel. Dicke Männer sind beruflich besonders erfolgreich, haben die Forscher am Institut zur Zukunft der Arbeit herausgefunden. Sie verglichen bei 18 000 Probanden den BodyMass-Index – das Verhältnis von Körpergrösse und Gewicht – mit dem Einkommen. Das Resultat: Füllige bis stark übergewichtige Männer verdienen am meisten. Ob sie mehr verdienen, weil sie dick sind – oder dick sind, weil sie mehr verdienen, darüber sagt die Studie nichts. Bei den Frauen verhält es sich übrigens genau umgekehrt: je schlanker die Frau, desto höher der Lohn.
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Zugerichtet Neugier und Scham Im Nationalrat war man sich Anfang Monat einig: Einstimmig wurde in der grossen Kammer ein Grooming-Verbot verlangt. Das heisst: Das Anbandeln Erwachsener mit Kindern im Internet zwecks sexuellen Austauschs jeglicher Art soll strafbar werden. Wenn nun auch der Ständerat zustimmt, könnte die Polizei künftig eingreifen, wenn sie entsprechende Kontakte feststellt. Und solche gibt es offenbar zuhauf. Die Bundes-Koordinationsstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität (KOBIK) geht laut dem Tages-Anzeiger gar davon aus, dass in Chatforen für unter 16-Jährige zwei Drittel der Teilnehmer erwachsene Männer sind. Der Sprecher der Stadtpolizei Zürich, Marco Cortesi, sagte der Zeitung, ein Mädchen werde in einem Chatroom nach durchschnittlich zwei Minuten von einem erwachsenen Mann angesprochen. Unklar bleibt noch, wie man diesen Männern überhaupt auf die Spur kommen will. Denn offenbar sind sie auch schwer zu fassen, lange nachdem sie die Grooming-Phase hinter sich gelassen haben. Dies verdeutlicht ein Fall, der kürzlich vor dem Zürcher Bezirksgericht verhandelt wurde. Ein Mann mittleren Alters hatte in Internet-Chats Dutzende ahnungsloser Mädchen zwischen zehn und 15 Jahren dazu animiert, Bilder von ihren Geschlechtsteilen anzufertigen und sie ihm zu schicken. Er sammelte und katalogisierte Hunderte davon und schickte sie in Einzelfällen auch an einen Gesinnungsgenossen weiter. Sieben Jahre lang blieb er unentdeckt. Und hätte er nicht an seinem Arbeitsplatz einen inkriminierenden Datenträger verloren,
würde er wohl noch heute als Teeniemädchen getarnt durchs Internet geistern. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass eine Gesellschaft ihre Kinder besonders schützen will. Durch ihre Unbedarftheit sind sie einfacher zu manipulieren – gerade wenn sie dabei sind, ihre Sexualität zu entdecken. Für viele eine heikle Zeit, in der sie auf einem Grat zwischen Neugier und Scham balancieren. Die Frage, die man sich dabei auch stellen muss: Wie schützt man die Kinder am besten? Das Strafrecht ist eine Möglichkeit – ob sie effektiv ist, bleibt umstritten. Es geht im Kern um die grundsätzlichere Frage, ob gesellschaftliche Entwicklungen per Gesetz gelenkt werden können – oder doch eher durch eine offene Debatte. Dass die meisten Teilnehmenden in Chats für junge Mädchen ältere Herren sind, ist beklemmend. Ein Grooming-Verbot erscheint als natürlichste Sache der Welt. Aber gerade deshalb muss man sich auch eingestehen: So einfach kann es nicht sein. Ein Argument für das Grooming-Verbot zielt auf die Rechtssicherheit für die potenziellen Täter ab: Sie wüssten dann klipp und klar, dass ihr Tun verboten ist. Dadurch, so die Hoffnung, würden sie abgeschreckt. Nur ist sehr zu bezweifeln, dass auch nur einer der sich heute im Internet tummelnden Männer davon ausgeht, dass seine Aktivitäten völlig unbedenklich sind. Auch sie balancieren auf einer Grenze zwischen Neugier und Scham, wenn sie ihren pädosexuellen Neigungen nachgehen. Der Mann, der vom Bezirksgericht zu einer viereinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, sagte vor den Schranken: «Ich bin froh, dass es vorbei ist.» YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 335/14
Hausmitteilung Armut ist real – aber nicht naturgegeben
Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 (0)61 564 90 99 redaktion@vereinsurprise.ch
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BILD: DOMINIK PLÜSS
Staat zahlt. Weil jede, die wirklich will, auch eine Arbeit findet. Das war vielleicht einmal so. Doch heute bietet der Arbeitsmarkt längst nicht mehr genug Stellen für Niedrigqualifizierte oder Menschen mit Teilleistungsfähigkeiten. Der Weg in die Armut ist kürzer, als uns lieb ist: eine Krankheit, ein Unfall, eine Restrukturierung in der Firma, und schon kann es kritisch werden. Die neue Armut ist strukturell bedingt, und es braucht neue Antworten darauf. Dazu braucht es erst einmal ein Bewusstsein für Armut und Ausgrenzung. Denn Armut ist in der Schweiz oft nicht sichtbar. Surprise gibt ihr seit über 15 Jahren ein Gesicht und eine Stimme. Vor allem geben wir Betroffenen die Möglichkeit, einen Job auszuüben und so wieder ein Mitglied dieser Gesellschaft zu werden. Mit den «Sozialen Stadtrundgängen» bieten wir zusätzlich einen Blick hinter die Fassade. Über 4000 Menschen haben in Basel bereits daran teilgenommen. Sie waren vom Erlebten berührt und betroffen. Diesen Herbst startet Surprise mit brandneuen Rundgängen auch in Zürich. Unseren Kampf gegen die Armut führen wir ganz ohne staatliche Gelder. Denn wir wollen, wie unsere Verkäufer, unsere Strassensängerinnen und unsere Strassenfussballer, selbstbestimmt und unabhängig entscheiden können. Zu rund 65 Prozent können wir uns durch den
Heftverkauf, die Inserate und die Stadtrundgänge finanzieren. Für die weiteren 35 Prozent sind wir auf Ihre Solidarität und Ihre Spende angewiesen. Danke, dass Sie mit uns Armutsbetroffenen neue Perspektiven ermöglichen.
Herzlich Paola Gallo, Geschäftsleiterin Verein Surprise
BILD: ZVG
Eine Million Menschen leben in der Schweiz unter oder an der Grenze zur Armut – das ist jede achte Person. Armut ist also kein Randphänomen, sondern ein gesellschaftliches Problem. Surprise-Verkaufende wissen, was es heisst, armutsbetroffen zu sein. Es ist mehr als eine momentane finanzielle Notlage. Es geht nicht darum, einmal auf einen Kinobesuch zu verzichten. Sondern um die Entscheidung, nicht zum Arzt zu gehen, weil das Geld fehlt. Oder die Entscheidung, diesen Monat entweder die Miete oder die Krankenkasse nicht zu bezahlen, weil es nicht für beides reicht. Armut in der Schweiz ist real und belastet die Betroffenen. Der tägliche Existenzkampf hinterlässt Spuren: Er macht krank, einsam und ist mit grosser Scham behaftet. Armut ist aber nicht etwas Naturgegebenes. Es ist unsere Gesellschaft, die Armut produziert. Versuchen Sie zum Beispiel einmal, als alleinerziehende Mutter einen subventionierten Kindertagesplatz zu erhalten: Wenn Sie keine Arbeit haben, haben Sie keinen Anspruch auf Subventionierung, wenn Sie keinen Krippenplatz haben, sind Sie für das Arbeitsamt nicht vermittelbar. Da beisst sich die Schlange in den Schwanz. Nach wie vor herrscht in der Bevölkerung die Meinung vor, wer arm und randständig ist, sei selber schuld. Und zudem faul, weil man ja nur die hohle Hand machen muss und der
Starverkäuferin Saba Tsegay Surprise-Leserin Margrit Stalder-Hunziker aus Burgdorf schreibt: «Als ich heute kurz nach Bern fuhr, um einige Einkäufe zu tätigen, begrüsste mich vor der Migros Marktgasse wieder eine junge Frau mit strahlendem Lächeln. Schon vor einiger Zeit ist sie mir dort begegnet, wo sie Surprise zum Verkauf anbietet. Mit ihrem Lächeln zaubert sie südliche Sonnenstrahlen ins oft so miese Schweizer Wetter! Ich wünsche der Frau, Saba Tsegay aus Eritrea, viele ermutigende Begegnungen und Erfahrungen in unserem Land und natürlich auch den verdienten Verkaufserfolg mit Surprise!»
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Armut «Nicht mehr menschenwürdig» Carlo Knöpfel, Armutsexperte und Mitautor des «Neuen Handbuchs Armut in der Schweiz», findet klare Worte: Der Staat muss für einen zweiten Arbeitsmarkt sorgen, der auch weniger Qualifizierten und nicht voll Leistungsfähigen Arbeitsmöglichkeiten bietet. Denn der erste Arbeitsmarkt tut das immer weniger – weshalb auch das Anreizsystem für Sozialhilfeempfänger oft ins Leere läuft.
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VON FLORIAN BLUMER (INTERVIEW) UND DOMINIK PLÜSS (BILDER)
Als Angehöriger des Mittelstands mit einem durchschnittlich bezahlten Job: Wie hoch ist mein Risiko, in die Armut zu fallen? Es gibt zwei Hauptrisiken: Das eine ist, dass Sie Ihre Stelle verlieren und nicht so schnell wieder eine finden, was wiederum auch von Ihrem Alter abhängt. Das andere, wenn Sie in einem Familienhaushalt leben und sich trennen. Wenn Sie dann noch kleine Kinder haben und Alimente zahlen müssen, kann es passieren, dass Sie aufgrund der Scheidung verarmen. Was droht mir dann? Was heisst Armut in der Schweiz heute? Oft ist es ein ganzes Spektrum von Problemen, die sich gegenseitig verstärken: Ich kann mir nur eine lärmige Wohnung leisten, deshalb kann ich nicht gut schlafen, ich bekomme Probleme am Arbeitsplatz, weil ich mich nicht konzentrieren kann, betäube ich mich mit ein paar Flaschen Bier, deshalb gibt’s zu Hause wieder Ärger … Das ist ein klassischer Fall aus der Sozialberatung. Aber vielleicht die gravierendste Folge ist, dass Armutsbetroffene oft keine Perspektive mehr haben. Bei einem geschiedenen Mann über 50, der in der Sozialhilfe ist, passiert mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht mehr viel. Er findet keine Stelle mehr, die Sozialhilfe hat kaum Ressourcen, um ihn zu fördern.
Hat sich dieses Problem in den letzten Jahren verschärft? Ich glaube Ja, weil auf dem Arbeitsmarkt die Ansprüche gestiegen sind. Vor 20 Jahren konnte eine Person mit einer minimalen beruflichen Ausbildung durchaus noch eine Stelle zu finden, die ein anständiges Auskommen einbrachte. Heute haben wir in diesen Branchen – Gastronomie, Hotellerie oder Detailhandel – eine Wettbewerbssituation, in der es nur eine marginale Lohnentwicklung und kaum Aufstiegschancen gibt. Und in Branchen mit unvergleichlich höheren Durchschnittssalären wie der Chemie, den Versicherungen, den Banken oder auch dem Staat kommt man ohne qualifizierten Abschluss nicht rein. Das war früher nicht so. Nun werden heute politisch gerade mehr Wettbewerb und mehr Anreize in der Sozialhilfe als Lösungen des Problems gefordert. Kann das funktionieren? Seit einigen Jahren wenden die meisten Gemeinden ein Bonus-MalusSystem an, wie es die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS vorschlagen: Wer zusätzlich arbeitet, darf einen Teil des Geldes behalten, wer sich Massnahmen verweigert, bekommt Abzüge. Es zeichnet sich in der Praxis aber immer mehr ab, dass diese Anreize so gar nicht wirken können: Es nützt mir nichts, ein tolles Anreizsystem zu haben, wenn der Arbeitsmarkt keine Arbeitsmöglichkeiten bietet. Dann haben wir in der Schweiz ein Vordringen der Dienstleistungsgesellschaft. Dies bedeutet, dass es immer mehr Jobs gibt, die direkten Kundenkontakt verlangen. Wer die dafür notwendigen sozialen und
Was bedeutet es konkret für die Betroffenen, wenn es an Geld fehlt? Das Problem ist, dass das einerseits zu Verzichtübungen führt, die sich zum Beispiel negativ auf die Lebenschancen der Kinder auswirken können: dass sie die nötige schulische Förderung nicht bekommen, auf Freizeitaktivitäten wie «Vor 20 Jahren konnte eine Person mit einer minimalen berufSport und anderes verzichten müssen. Oder lichen Ausbildung durchaus noch eine Stelle zu finden, die ein dass die Betroffenen Schulden machen, indem sie die Steuern, die Krankenkassenprämie oder anständiges Auskommen einbrachte.» die Miete nicht zahlen. Damit kommen sie noch tiefer in den Schlamassel. Mich berührt sprachlichen Kompetenzen nicht hat, aus welchen Gründen auch imes vor allem dann, wenn Kinder betroffen sind. Ihnen gegenüber hat die mer, der hat grosse Schwierigkeiten. Gesellschaft eine Verantwortung, dass sie in würdigen Verhältnissen gross werden und die gleichen Chancen haben wie andere auch. Hat der Büezer in der Schweiz keine Zukunft mehr? Es gibt zwar heute immer noch viele Stellen mit tiefer Qualifikation, Armut ist in der Schweiz in der Öffentlichkeit kaum sichtbar … aber offensichtlich reichen sie nicht, um allen, die hier sind, eine Mög… und das ist gesellschaftspolitisch so gewünscht. Wenn zum Beispiel lichkeit zur Arbeit zu geben. Wir haben in der Schweiz 290 000 Menirgendwo Obdachlosigkeit sichtbar auftritt, versucht man sofort, die schen, die von der Sozialhilfe leben, das ist im internationalen Vergleich Leute von der Strasse zu holen. In vielen Fällen ziehen sich Armutsbeimmer noch eine niedrige Quote. Aber die Schweiz hat grosse Mühe, mit troffene natürlich auch selbst zurück, aus Angst vor Stigmatisierung diesem Problem umzugehen, weil sie sich als Arbeitsgesellschaft verund Diskriminierung. Ihre Not wird nur punktuell sichtbar, wenn zum steht. Es gilt: Ich arbeite, also bin ich. Zudem hängt bei uns auch die soBeispiel die Kinder nicht ins Schullager mitgehen können oder wenn ziale Sicherheit, vom Taggeld der Arbeitslosenversicherung über die IV man die Zahnarztrechnungen nicht zahlen kann. bis zur AHV-Rente, im Wesentlichen vom verdienten Lohn ab. Diese Fixiertheit auf die berufliche Integration ist schon beinahe eine VerIm «Neuen Handbuch Armut in der Schweiz» schätzen Sie, dass rund krampfung. Sie führt dazu, dass wir so schwer akzeptieren können, die Hälfte der Menschen, die ein Anrecht auf Sozialhälfte hätten, diedass es Leute gibt, die es nicht mehr schaffen und denen man Alternase nicht beantragen. Warum? tiven bieten muss zum ersten Arbeitsmarkt. Das sind einerseits die klassischen Working-Poor-Familien, die sich knapp unter der Armutsgrenze gerade so durchbringen und lieber so leErgibt das denn Sinn, wenn der Staat künstlich Stellen schafft? Ein ben, als zur Sozialhilfe zu gehen. Andererseits sind es die Ausländer, die Surprise-Verkäufer, der in einer Behindertenwerkstätte arbeitet, wissen: Wenn ich zur Sozialhilfe gehe, riskiere ich, die Aufenthaltsbemeinte kürzlich, dass er sich nicht besonders wertvoll fühlt, wenn willigung zu verlieren. er etwas macht, das es eigentlich nicht braucht. Das kommt ganz auf die Stellen an. Wenn zum Beispiel in einer GeWie gross ist heute die Chance, der Armut zu entkommen? meinde im Rahmen des zweiten Arbeitsmarkts eine Tagesstätte für älteWenn wir über die einkommensärmsten zehn Prozent der Haushalte rere Menschen aufgemacht wird, dann wäre das für alle von Vorteil. Solden, dann zeigen die Daten: Die Chance, sich da nachhaltig rauszuche Angebote wurden in den letzten Jahren aber abgebaut, weil sie sich bringen, ist sehr klein. Es kann schon sein, dass man eine Stelle findet, nicht rechneten. Die Frage ist: Ist es besser, wenn man die Leute veraber in der Regel ist das dann eine prekäre Beschäftigung, wo man der sauern lässt? Die neusten Zahlen zeigen, dass die Verweildauer in der Erste ist, der wieder fliegt, wenn es der Firma grad nicht mehr so gut Sozialhilfe immer länger wird. Bei einem Drittel der Bezüger liegt sie geht. Es ist mehr eine oszillierende Entwicklung: Mal ist man in der Somittlerweile bei drei bis fünf Jahren. Das ist eine Verrentung in der Sozialhilfe drin, dann wieder draussen. Dass man aber in die Mittelschicht zialhilfe, nix anderes. Um diese Leute kümmert sich niemand mehr, aufsteigt … das kommt vor, ist aber nicht die Regel. SURPRISE 335/14
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Die SVP will die finanziellen Probleme der Gemeinden mit massiven Kürzungen bei der Sozialhilfe lösen. Sie sagt: Für eine allein lebende Person sind 600 Franken pro Monat plus Miete und Krankenkasse genug. Es gibt keine wissenschaftlich objektive Messmethode, mit der man diese Zahl bestimmen könnte, das ist ein politischer Entscheidungskampf. Aus meinem persönlichen Verständnis von Menschenwürde sind 600 Franken klar zu wenig. Das mag das Überleben sichern, aber wenn wir wollen, dass auch arme Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, dann muss es mehr sein. Wenn wir wollen, dass sie sich von der Sozialhilfe lösen, dann können wir sie nicht dermassen ausschliessen und meinen, am nächsten Tag können sie dann wieder ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden. Die SKOS spricht bei ihren 986 Franken Grundbedarf von einem sozialen Existenzminimum. Das bedeutet, dass man noch ein paar Franken übrig hat, um mal eine Zeitung kaufen, in der Beiz ein Bier trinken oder auch einen Vereinsbeitrag zahlen zu können.
«Es braucht eine gesamtschweizerische Gesetzesgrundlage»: Carlo Knöpfel.
man gibt ihnen einfach das Geld und fertig. Es kann sein, dass der eine oder andere froh ist, dass er seine Ruhe hat. Es kann aber auch sein, dass Leute völlig abstürzen: depressiv werden, suizidgefährdet, Suchtprobleme entwickeln und und und.
Im Neuen Handbuch Armut findet sich eine internationale Rangliste der Vermögensverteilung. Die Schweiz befindet sich dort auf dem drittletzten Rang – nur in Singapur und Namibia ist das Vermögen ungleicher verteilt als in der Schweiz. Warum? Die tiefen Steuern haben viele sehr reiche Menschen in die Schweiz gelockt. Das verzerrt die Statistik extrem. Dann gibt es vor allem bei den Banken eine Entwicklung, die neuen Reichtum geschaffen hat, indem dem Topmanagement Einkommen gewährt werden, die jenseits von Gut und Böse sind. Gleichzeitig haben wir in der Mitte eine breite Masse, die kaum Vermögen bilden kann, und am anderen Ende eine Gruppe, die sogar verschuldet ist. Problematisch ist dies dann, wenn Vermögen zur Durchsetzung politischer Interessen eingesetzt wird. Dazu lautet ein wichtiger Grundsatz unserer Arbeitsgesellschaft: Leistung lohnt sich. Heute haben wir jedoch eine Generation, die reich wird nicht, weil sie eine Leistung erbracht, sondern weil sie geerbt hat. Sie kritisieren im Buch, dass die Umverteilung von Reich zu Arm im Sozialstaat Schweiz nicht funktioniert. Was läuft schief? Die Reichen zahlen zwar mehr Steuern, wir stellen aber fest, dass die Krankenkassenprämien, die eben nicht einkommensabhängig erhoben werden, die tiefen Einkommen übermässig belasten, sodass sich das Ganze ausgleicht. Dazu gibt es so viele Möglichkeiten, Steuern zu sparen, dass unter dem Strich keine Umverteilung von oben nach unten
Im Handbuch schreiben Sie: Die Entwicklung des Sozialstaats konnte mit dem gesellschaftlichen Wandel nicht Schritt halten. Wo hinkt er hintendrein? Man spricht schon seit Jahren von der soge«Heute gibt es zwischen den Gemeinden einen Wettbewerb nannten neuen Armut. Gemeint ist damit das nach unten, wer die unattraktivere Sozialhilfe anbietet. Das ist Problem der Working Poor. Auf Bundesebene einfach nicht mehr menschenwürdig.» hat der Sozialstaat darauf nicht reagiert, es gibt keine Sozialversicherung dagegen, dass jemehr stattfindet. Es gibt einen Punkt, ab dem Ungleichheit auch aus mand arbeitet und doch nicht genug zum Leben hat. Man hat einfach volkswirtschaftlicher Sicht schädlich ist. Dazu muss eine gesellschaftligesagt: Die Sozialhilfe soll das machen. Es war ein schlichtes Abschieche Diskussion geführt werden, in welchem Mass die Ungleichverteiben an die Kantone und Gemeinden. Dasselbe gilt für Armut aus Scheilung noch akzeptabel ist. dung und Trennung. Was braucht es konkret? Die Sozialhilfe muss neu definiert werden. Die Zeiten sind vorbei, wo sie «eine vorübergehende Hilfe in individuellen Notlagen» war, wie es heute noch in der Selbstbezeichnung heisst. Es sind ganz neue Klientengruppen dazugekommen wie junge Erwachsene ohne Berufsausbildung, Alleinerziehende, über-50-jährige Langzeitarbeitslose. Man kann darüber diskutieren, ob der Bund mitzahlen soll. Auf jeden Fall braucht es eine vernünftige gesamtschweizerische Gesetzesgrundlage. Heute gibt es zwischen den Gemeinden einen Wettbewerb nach unten, wer die unattraktivere Sozialhilfe anbietet. Das ist einfach nicht mehr menschenwürdig.
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Die 1:12-Initiative, die wollte, dass der höchste Lohn in einem Betrieb nicht mehr als zwölfmal höher sein darf als der niedrigste, wurde haushoch verworfen … Die Mehrheit hat offenbar das Gefühl: So, wie es heute ist, das verträgt es noch. Vielleicht liegt die Toleranzgrenze nicht bei 1:12, sondern bei 1:50 – sicher liegt sie nicht bei 1:500. Ich glaube, dass die Wirtschaft gemerkt hat: Wenn wir nicht aufpassen, kommt irgendwann eine solche Initiative durch.
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Die Caritas möchte gemäss eigenen Angaben die Armut in der Schweiz bis 2020 halbieren. Ist das nicht ein völlig illusorisches Ziel? Bei einer Kampagne muss man die Sache auf den Punkt bringen. Es geht darum zu zeigen: Armut ist nicht einfach gegeben, man kann etwas dagegen tun. Die Caritas hat ein paar Punkte genannt: Chancengleichheit für Kinder, Nachholen der Bildung für Erwachsene, steuerliche Entlastungen für Leute am Existenzminimum. Es gibt einen ganzen Katalog von Massnahmen, die dazu beitragen könnten, dass Menschen nicht mehr in Armut leben müssen. Dass man die Armut nicht völlig aus der Welt schaffen kann, ist auch der Caritas klar. Angesichts des aktuellen Drucks auf die Sozialhilfe und den Sozialstaat im Allgemeinen: Wie optimistisch sind Sie, dass die Armut in zehn Jahren vielleicht nicht halbiert, aber doch merklich zurückgegangen sein wird? Es könnte etwas in diese Richtung gehen, weil wir eine andere gesellschaftliche Entwicklung haben, die hier Druck erzeugt. Und das ist die Demografie. Wir haben zunehmend weniger Personen im erwerbsfähigen Alter. Wenn das noch mit einer Einschränkung der Migration verknüpft wird, heisst das ja nichts anderes, als dass wir noch mehr schauen müssen, dass alle in der Schweiz eine gute Ausbildung machen können. Die Entwicklung verweist darauf, dass wir gut daran tun, eine Familien- und Bildungspolitik zu kreieren, mit der wir möglichst wenig Leute auf der Strecke lassen. In unserem ureigensten Interesse. ■
Carlo Knöpfel (55) ist Dozent am Institut Sozialplanung und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit in Basel. Seine Schwerpunkte sind der gesellschaftliche Wandel und die soziale Sicherheit, Armutsfragen und der Beitrag der Zivilgesellschaft zur beruflichen und sozialen Integration. Knöpfel arbeitete 19 Jahre bei Caritas Schweiz, wo er Mitglied der Geschäftsleitung war. Daneben wirkte er als Dozent an verschiedenen Universitäten und leitete Forschungsprojekte für die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS. Von 2007 bis 2010 war er zudem Surprise-Präsident. Seine Kolumne «Die Sozialzahl» erscheint einmal pro Monat im Strassenmagazin.
Das dieses Jahr erschienene und von Caritas Schweiz herausgegebene Neue Handbuch Armut in der Schweiz von Claudia Schuwey und Carlo Knöpfel ist die neu bearbeitete Auflage des «Handbuchs Armut in der Schweiz» aus dem Jahr 2006. Es bietet einen umfassenden Überblick zum Thema mit theoretischen Überlegungen, den aktuellen Zahlen, Beschreibungen von Ursachen und Folgen der Armut sowie sozialpolitischen Überlegungen – das Buch ist ein Must für jeden und jede, der und die sich mit Armut in der Schweiz beschäftigt.
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Stadtrundgang Das andere Zürich Nach mehr als 370 Führungen in Basel startet der «Soziale Stadtrundgang» von Surprise auch in Zürich. Unsere sechs Stadtführer stellen sich vor und erzählen, was man bei ihnen zu sehen und hören bekommt.
loren hatte, lebte ich unter anderem ein halbes Jahr in der Notschlafstelle. In der ‹Zuflucht› leben gut 20 Leute, die meisten Männer, viele mit Suchtproblemen. Ich selber habe mit den Drogen angefangen, nachdem ich mit 26 aus der Ostschweiz nach Zürich gekommen war. Ich war lange drin, insgesamt 13 Jahre, am Ende war ich schwerstabhängig. Von daher kenne ich vieles von dem, das wir auf unserem Rundgang zeigen, aus eigener Erfahrung: die K&A zum Beispiel, wo ich früher hin bin, um zu konsumieren. Oder die Zürcher Fachstelle für Alkoholprobleme, wo ich zurzeit noch in ambulanter Behandlung bin. Ich kam ins Methadonprogramm und schaffte danach den Entzug. Ich bin vielleicht doch etwas eine Ausnahme, denn ich habe immer gearbeitet, auch als ich süchtig war. Aktuell habe ich eine 100-Prozent-Stelle im ersten Arbeitsmarkt. In den letzten paar Jahren habe ich es geschafft, meinen Schuldenberg aus der Drogensucht abzubauen. Mir geht es wirklich gut, und ich bin im Vergleich mit anderen sehr schnell aus den Drogen herausgekommen. Ich hatte grosses Glück. Der Stadtrundgang ist für mich eine Möglichkeit, etwas zurückzugeben. Und ich glaube, dass das auch den Leuten etwas bringt, mehr über das Leben eines Schwerstsüchtigen zu erfahren. Sie sollten wissen, was das für ein Elend ist – halt einfach eines, das man nicht sieht.»
Daniel Stutz, 41 Jahre «Sucht ist eine der Hauptursachen für Armut, und darum geht es auf dem Rundgang, den ich führe. Es ist eine grosse Herausforderung, denn Armut ist ein heikles Thema und Sucht noch mehr. Auch wenn ich heute sehr gut dastehe und die Drogen hinter mir habe: Das ist nichts, was man gerne an die grosse Glocke hängt. Dass ich trotzdem mitmache, hat mehrere Gründe: Zuerst einmal ist es ganz einfach eine gute Abwechslung zur Arbeit als Surprise-Verkäufer, wo ich warte, bis die Leute zu mir kommen. Ich bin unterwegs, bewege mich in der Stadt und bin aktiv. Dann glaube ich, dass ich damit dazu beitragen kann, Vorurteile abzubauen und den Leuten etwas zu zeigen, das sie sonst nicht sehen. Zürichs Drogenprobleme sind seit dem Platzspitz nicht einfach verschwunden. Sie sind lediglich verborgen. Unsere Tour führt unter anderem zu Wohnangeboten wie der Franziskanischen Gassenarbeit oder den Sunneegge von Pfarrer Sieber, zur Zürcher Fachstelle für Alkoholprobleme und zum medizinischen Ambulatorium im Zeughaushof. Ebenfalls auf dem Plan stehen die ARUD und die K&A, wo Süchtige ungestört und sauber Drogen konsumieren können. Manche der Institutionen, die wir zeigen, kenne ich aus eigener Erfahrung, und ohne sie wäre ich heute bestimmt schlechter dran. Ich freue mich darauf, dass die Rundgänge in Zürich starten. Aber ich habe auch grossen Respekt. Es kostet mich Überwindung, auch weil es sehr persönlich ist. Gleichzeitig sehe ich die Auseinandersetzung damit als gute Chance, meine Vergangenheit zu bewältigen.»
BILDER: ANDREA GANZ
Marcel Lauper, 39 Jahre «Unsere Tour startet sozusagen bei mir zu Hause: Seit fünfeinhalb Jahren lebe ich im ‹Haus Zuflucht› der Franziskanischen Gassenarbeit im Kreis 5. Nachdem ich meine Wohnung ver-
Ewald Furrer, 48 Jahre «Ich wurde vom Workaholic zum Alkoholiker. Jahrelang hatte ich mehrere Jobs gleichzeitig, arbeitete Tag und Nacht: wies in einem Kino Plätze an, sortierte Telex in einem Büro, war Pressefotograf. Um das zu bewältigen, trank ich über den Tag verteilt drei Flaschen Wodka. Jeden Tag. Irgendwann sagte ich mir: So geht es nicht weiter. Heute würde man das wohl Burnout nennen. Ich gab alles auf und reiste mit dem Velo monatelang durch Südeuropa, das war Ende der Achtzigerjahre. Ich lernte das Leben draussen zu schätzen. Ich empfand es als die letzte Freiheit, die man hier noch hat. Seither lebte ich in Zürich auf der Gasse, erst seit einigen Monaten habe ich wieder ein Zimmer in einer Notunterkunft. All die Zeit habe ich nie Sozialhilfe bezogen, irgendwie schlug ich mich durch. Darum geht es mir auch beim Stadtrundgang: Die Leute sollen sehen, dass man ohne Geld in dieser reichen Stadt leben kann. Dass man dabei immer beschäftigt ist: Wo kann ich schlafen, wo waschen, wo bekomme ich Kleider? Klar geht das meist auch ohne Institutionen, aber mit ihnen ist es sehr viel sicherer. Die SIP, die wir auf unserer Tour auch besuchen, haben mir einmal im Winter das Leben gerettet. Wie genau, das erzähle ich auf dem Rundgang. Nervös bin ich nicht, ich habe früher Theater gespielt und bin es mich gewohnt, vor Leuten zu stehen. Was mir Mühe macht: Man sieht es mir vom Äusseren her nicht an, dass ich obdachlos bin, darauf habe ich immer geachtet. Aus dieser Anonymität trete ich als Stadtführer heraus. Aber dieses Opfer ist es mir allemal wert.»
Marcel Lauper (l.) und Daniel Stutz.
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ich. Ich möchte die Leute damit zum Nachdenken anregen. Etwas nervös bin ich schon, aber ich bin sicher, es wird gut gehen.»
Ewald Furrer (l.) und Hans Peter Meier.
Hans Peter Meier, 56 Jahre «Ich kenne beide Seiten des Lebens: den Überfluss und die Strasse. Früher war ich IT-Spezialist. Bei meiner letzten Arbeitsstelle betreute ich Börsenhandelsapplikationen bei verschiedenen Banken. In dieser Zeit genoss ich das Leben in vollen Zügen. Damals flog ich schon mal über Ostern nach Singapur oder schmiss grosse Partys. Dann kam eine Reorganisation, und ich verlor meinen Job. Ich ging erstmal für längere Zeit in die Ferien und hoffte, dass sich die Krise legen würde. Irgendwann hatte ich alle meine Ersparnisse aufgebraucht und stand noch immer ohne Job da. Auf meinem Rundgang kommen wir auch an einer Institution vorbei, die Leute einschätzt, wenn sie nach langer Zeit aus dem Ausland zurückkommen: Die Zentrale Anlaufstelle ZAV klärt ab, wer in der Stadt Zürich Anspruch auf Sozialhilfe hat. Sie kann aber auch auf die Schnelle einen Notschlafplatz organisieren oder kümmert sich um die Resozialisierung von Leuten, die jahrelang auf der Strasse gelebt haben. Gleich daneben ist der Gassentierarzt. Dort kommen auch Leute vorbei, die sonst mit niemandem Kontakt haben ausser mit ihrem Tier. Ich selbst war, abgesehen von einer sechsmonatigen Überbrückung, nie vom Amt abhängig. Ich habe mich durch Jobs durchgeschlagen, die ich über soziale Institutionen bekam: Stadtreinigung, Zügeln, Festreinigung oder Standbewirtschaftung. Heute lebe ich voll und ganz vom Surprise-Verkauf. Ich möchte den Leuten mit auf den Weg geben, dass man auch mit wenig Geld in Würde leben kann. Nervös bin ich nicht. Ich habe früher in der ganzen Welt ITPersonal geschult und bin es gewohnt, vor Leuten zu sprechen.» Peter Conrath, 50 Jahre «Ich war nie offiziell obdachlos. Aber es kam doch öfter mal vor, dass ich draussen übernachtete. Unser Rundgang führt durch die Zürcher Altstadt und deren Umgebung. Bei der Urania zeigen wir den ‹Bogen›, das ist eine Stelle, an der lange ein Obdachloser schlief. Jetzt nicht mehr, sonst hätten wir das nicht in die Tour aufgenommen. Die Plätze verrät man nicht. Das Niederdorf kenne ich gut, ich arbeitete dort früher jahrelang als Securitas-Nachtwächter und später an einem Würstlistand. Meine Probleme begannen nach einem schweren Unfall mit dem Motorroller. Ich war zu dem Zeitpunkt selbständig erwerbend und hatte keine Taggeldversicherung. Bis heute habe ich Schulden, und mein Lohn wird gepfändet. Das möchte ich so schnell wie möglich abarbeiten. Ich hätte in der Zeit Sozialhilfe beziehen können, aber das liegt mir nicht. Ich mag meine Freiheit, und wenn man um nichts bittet, ist man auch nichts schuldig. Ich habe da sicher einen gewissen Stolz. Mittlerweile habe ich zum Glück wieder eine Stelle: Ab Oktober bin ich zu 80 Prozent in der Produktion bei einem Lebensmittelgrossisten angestellt. Da arbeite ich aber im Keller in der Grossküche und habe keinen Kontakt mit Menschen. Deshalb – und um etwas dazuzuverdienen – verkaufe ich weiterhin Surprise und mache auch den Stadtrundgang. Der Rundgang ist für mich eine Herausforderung, und das mag SURPRISE 335/14
Ruedi Kälin, 56 Jahre «Jeder ist schon mal an den Alkis und Punks beim ‹Taubenschlag› vorbeigehastet. So nennen wir den kleinen Flecken am Ende der Brücke zwischen dem Central und dem Hauptbahnhof. Aber die wenigsten Leute wissen, was es damit auf sich hat – auf unserem Rundgang kommen wir auch dort vorbei. Daneben stehen viele Institutionen im und um das Niederdorf auf dem Programm: das Begegnungscafé Yucca der Stadtmission, die Gassenküche Speak Out oder die Bahnhofskirche. Auch die Caritas-Läden neben der Kaserne stehen auf dem Programm. Dort kann man mit der entsprechenden Karte günstig Lebensmittel und Kleider kaufen. An meinem Verkaufsplatz bei der Sihlpost erzähle ich natürlich etwas über Surprise, das ich mittlerweile schon seit vielen Jahren verkaufe. Ich komme ursprünglich aus dem Bündnerland und habe schon alles Mögliche gearbeitet in meinem Leben, am Skilift, in der Druckerei, bei einem Sanitär-Unternehmen. Irgendwann landete ich in Zürich und hier bald auf der Gasse, insgesamt sieben Jahre. Aber ich habe immer für mich selbst gesorgt. Leute durch die Stadt zu führen ist eine neue Herausforderung, was mir sehr entspricht. Bei mir muss immer etwas gehen. Mir geht es vor allem darum, dass die Leute realisieren, dass auch in Zürich nicht alles rosig ist. Und ihnen eine Seite ihrer Stadt zu zeigen, die sie sonst nicht zu sehen bekommen. Wer weiss zum Beispiel schon, dass es unter der Szene-Bar Xenix einst einen Schlafbunker gab?» ■ AUFGEZEICHNET VON AMIR ALI.
Peter Conrath (l.) und Ruedi Kälin.
Das soziale Zürich In Zusammenarbeit mit rund 20 Zürcher Sozialinstitutionen und mit Unterstützung durch die Arcas Foundation organisiert der Verein Surprise den ersten «Sozialen Stadtrundgang» in Zürich. Sechs Stadtführer erzählen auf sechs Touren durch das Langstrassenquartier und die Altstadt aus ihrem Alltag als Ausgesteuerte, Obdachlose und Armutsbetroffene. Auf den zweistündigen Rundgängen besuchen sie Anlaufstellen für sozial Benachteiligte und stellen die Arbeit dieser Einrichtungen vor. Die Besuchergruppen erhalten einen Einblick in den Alltag von Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Weitere Informationen und Anmeldung ab 6. Oktober: www.vereinsurprise.ch/stadtrundgang
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Stadtrundgang «Dinge, die es wert sind, gesehen zu werden» Was macht ein Surprise-Stadtführer? Welche Rolle spielt seine Biografie auf dem Rundgang? Und wie wird man vom Armutsbetroffenen zum Experten? Daniel Stutz war jahrelang heroinabhängig, am 3. Oktober führt er seine erste Besuchergruppe durch das Zürcher Langstrassenquartier. Mit Surprise-Projektleiterin Sybille Roter spricht er über Humor, Offenheit und das Verlassen der Opferrolle.
INTERVIEW: REDAKTION SURPRISE
Sybille Roter, du hast den «Sozialen Stadtrundgang» vor zwei Jahren in Basel aufgebaut und nun auch das Projekt in Zürich zusammen mit der Theaterpädagogin Nicole Stehli betreut. Was sind die wichtigsten Eigenschaften, die ein Stadtführer mitbringen muss? Sybille: Die Anforderungen sind hoch. Es braucht Zuverlässigkeit, eine gewisse Tagesstruktur und natürlich Ausstrahlung. Daran kann man arbeiten. Dann braucht es die Bereitschaft, die eigene Vergangenheit zu reflektieren und in die neue Rolle als Experte für Armut und Randständigkeit zu schlüpfen. Das ist nicht ohne: Man ist irgendwann im Leben abgerutscht und aus der Gesellschaft gefallen, und jetzt soll man sich vor eine Gruppe von Leuten hinstellen und eine Geschichte erzählen. Daniel: Der Einstieg in die Tour ist enorm wichtig. Da muss man die Leute packen. Sybille: Man muss die Leute auch unterhalten und berühren, darf sie aber nicht mit einer Opferhaltung langweilen. Wir wollen nicht missionarisch sein. Daniel: Gerade wenn es, wie in meinem Fall, um das Thema Sucht und Drogen geht, passiert es schnell, dass man Vorurteile zementiert. Was ja das Gegenteil ist von dem, was wir wollen. Daniel, die Texte für den Rundgang habt ihr selbst erarbeitet, unterstützt von Sybille und Koordinatorin Nicole Stehli. Worauf hast du da geachtet? Daniel: Sucht ist ja eine der grossen Ursachen für Armut. Wir haben darauf geachtet, Sucht nicht nur im Bezug auf harte Drogen zu thematisieren. So zeigen wir: Das Problem sind nicht einfach die Süchtigen auf der Strasse, und der Rest der Welt ist in Ordnung. Harte Drogen unterscheiden sich, abgesehen von der Illegalität, in ihren Auswirkungen nicht von anderen Süchten wie Alkohol oder Spielsucht. Dessen sind sich viele Menschen nicht bewusst. Würden wir nur über harte Drogen sprechen, hätten wir dieses Wahrnehmungsdefizit womöglich noch verstärkt. Sybille: Es geht uns auch darum, zu zeigen: Es sind verschiedene Faktoren, die dazu führen, dass jemand in der Armut landet. Bei den
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einen sind es harte Drogen oder Alkohol, bei anderen steht eine Scheidung dahinter oder der Verlust der Arbeitsstelle. Am Ende landen alle diese Menschen auf der Strasse. Was bedeutet das, wie überlebt man dort, wie wird man von der Gesellschaft angeschaut – das alles zeigt der Soziale Stadtrundgang. Die Stadtführer repräsentieren mit ihren persönlichen Lebensgeschichten verschiedene Facetten von Armut. Habt ihr die Personen gezielt danach ausgewählt? Sybille: Für uns war entscheidend: Wer kann überhaupt etwas repräsentieren? Wer ist motiviert? Wer kann diese Leistung sprachlich und kognitiv erbringen? Und vielleicht am wichtigsten: Es braucht eine gewisse Lernfähigkeit, um in dieses neue Bewusstsein der Expertenrolle hineinzukommen.
Sybille: Die Opferrolle zu verlassen heisst aber nicht zu sagen: Du bist selbst schuld. Es geht auch darum zu sehen: Ich bin nicht der Einzige. Es gibt in der Schweiz je nach Schätzung rund eine Million Armutsgefährdete. Das sagt zwar nichts darüber aus, warum jemand in die Sucht gerät oder den Job verliert. Aber es sagt durchaus etwas darüber aus, wie man leben muss, wenn man erst einmal aus der Gesellschaft gefallen ist. Daniel: Ich glaube, es braucht einen gewissen Grad an Selbstverschulden, damit man an diesen Punkt kommt. Wenn man sich zusammenreisst, hat man in unserer Gesellschaft die Möglichkeit, dranzubleiben. Sybille: Das stimmt, und gleichzeitig reicht in unserer Leistungsgesellschaft manchmal ein minimes Manko, um zu scheitern. Ich sehe das bei Leuten, die hatten gut bezahlte Jobs und
«Es braucht einen gewissen Grad an Selbstverschulden, damit man an diesen Punkt kommt. Das zu akzeptieren, ist der Anfang.» Daniel Stutz, Stadtführer
Was braucht es, um diesen Rollenwechsel zu vollziehen? Sybille: Unsere Aufgabe ist die intensive Begleitung, ein Coaching auf dem Weg aus der Opferrolle heraus in ein Bewusstsein über strukturelle Armut. Was heisst das? Sybille: Manche Armutsbetroffene sagen: Die Gesellschaft ist schuld. Oder der Unfall, den ich hatte. Oder die Tatsache, dass ich meinen Job verloren habe. Diesen Rechtfertigungskreislauf muss man knacken. Solange man ein Opfer bleibt, kommt man nicht weiter. Für die Betroffenen ist das schmerzhaft, weil die Opferrolle auch eine Schutzfunktion hat. Daniel: Diesen Schritt habe ich zum Glück schon früh gemacht. Ich war früher nicht nur drogenabhängig, sondern auch spielsüchtig. Viele geben dem Automaten die Schuld, wenn sie verlieren. Mir war schon damals klar: Ich bin der Idiot, weil ich ja das Geld da reingeworfen habe.
machten Ferien in Florida. Und irgendwann stehen sie plötzlich auf der Strasse. Es braucht wenig, um rauszufallen. Und: Meistens ist es eine Kombination aus mehreren Ursachen, die einen in die Armut abrutschen lässt: Jobverlust, ein bestimmtes Alter, eine Scheidung, Todesfälle, Sucht. Daniel: Jedenfalls kann man nicht einfach sagen: Die Gesellschaft ist schuld. Irgendetwas hat man auch selbst nicht ganz richtig gemacht. Das zu akzeptieren, ist der Anfang des Weges. Daniel, vor einem knappen Jahr begann deine Ausbildung zum Stadtführer. Was war für dich das Schwierigste? Daniel: Das richtige Mass an Offenheit zu finden. Zu entscheiden, was ich den Leuten von mir erzähle. Ich bin auf gewisse Dinge in meinem Leben nicht besonders stolz. Mich damit noch einmal auseinanderzusetzen, die Vergangenheit wieder aufzurollen, das ist sicher schwierig. Und: Ich komme plötzlich wieder in SURPRISE 335/14
Kontakt mit der Szene, zum Beispiel in der Anlaufstelle K&A, wo ich früher Drogen konsumiert habe. Wie reagieren die Leute aus der Szene, wenn du plötzlich mit der roten Stadtführer-Jacke dastehst? Daniel: Viele wollen wissen, was das sei. Wenn ich es ihnen dann erkläre, reagieren sie aber durchwegs positiv. Und viele sagen, sie könnten sich nicht so vor die Leute stellen und etwas erzählen. Sybille, wie habt ihr die Stadtführer dabei unterstützt, in ihre neue Rolle zu kommen? Sybille: Unsere wichtigste Technik ist die Biografiearbeit. Das heisst, dass wir unsere Stadtführer erstmal dazu bringen, sich intensiv mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Da stösst man auf Widerstände, es heisst
Sybille: Am meisten beeindruckt hat mich ihr schwarzer Humor, den sie sicher ein Stück weit auch brauchen, um zu überleben. Und ich habe grossen Respekt bekommen vor ihren Lebensentscheidungen. Dem Basler Stadtführer Rolf Mauti versuchte ich zum Beispiel lange, zu einer Wohnung zu verhelfen, als er noch auf der Strasse lebte. Irgendwann verstand ich: Der will das nicht, der braucht das nicht, und das muss ich respektieren. Daniel: Ich glaube, wir alle müssen unser Leben vor uns selbst rechtfertigen. Ich lebe so und so und will das nicht anders: Das sagt sich der Obdachlose genauso wie der Manager, der 16 Stunden am Tag arbeitet. Zum Schluss: Worauf können sich Besucher des Stadtrundgangs freuen? Sybille: Meine Erfahrung auch mit Basel zeigt, dass die Führungen eine äusserst hu-
Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
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Maya-Recordings, Oberstammheim
02
Coop Genossenschaft, Basel
03
Fischer & Partner Immobilien AG, Otelfingen
04
Fast4meter, Bern
05
Axpo Holding, Baden
06
Stoll Immobilien Treuhand, Winterthur
«Solange man Opfer bleibt, kommt man nicht weiter. Das ist schmerzhaft, weil die Opferrolle auch eine Schutzfunktion hat.»
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Kaiser Software GmbH, Bern
08
mcschindler.com, Online-PR-Beratung, Zürich
09
archemusia Musikschule, Basel
10
BEVBE Ingenieurbüro, Bonstetten
Sybille Roter, Projektleiterin
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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen
12
Lions Club, Zürich Seefeld
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Schweizerisches Tropen- und Public Health-
schnell: Das geht dich nichts an. Aber am Ende sollten sie ja fähig sein, den Leuten etwas über Armut zu erzählen, auch anhand der eigenen Biografie. Dazu müssen sie sich outen. Man kann die Leute nur berühren, indem man sich berühren lässt. Hinzu kommt ein Wissen über strukturelle Armut, das die Stadtführer auf der Tour weitergeben. Damit erhält das Erzählte neben der eigenen, individuellen Geschichte eine gesellschaftliche Relevanz. Die Stadtführer haben auch eine Aufklärungsfunktion. Daniel: Ich muss mir während diesen zwei Stunden immer sehr bewusst sein, was ich wann erzähle und wie ich es ausdrücke. Daneben muss ich das ganze Hintergrundwissen immer abrufbereit haben. Der Rundgang braucht eine gute Choreografie.
morvolle Angelegenheit sind. Die Stadtführer strahlen eine Leichtigkeit aus, die wirklich erstaunlich ist. Daniel: Es wird natürlich keine Stadtführung im herkömmlichen Sinn, auf der man das Grossmünster abklappert und die Informationen dazu gibt. Unsere Touren beruhen nicht bloss auf Fakten, sondern vielmehr auf dem, was wir erlebt haben. Es geht weniger um Bauwerke als um Menschen. Keine Sehenswürdigkeiten, aber sicher Dinge, die es wert sind, einmal gesehen zu werden. ■ Anzeige:
Institut, Basel 14
VXL Gestaltung und Werbung AG, Binningen
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Scherrer & Partner GmbH, Basel
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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau
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Velo-Oase Erwin Bestgen, Baar
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Bruno Jakob Organisations-Beratung, Pfäffikon SZ
19
Balz Amrein Architektur, Zürich
20
Supercomputing Systems AG, Zürich
21
Kultur-Werkstatt – dem Leben Gestalt geben, Wil SG
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Schluep Degen Rechtsanwälte, Bern
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Anyweb AG, Zürich
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A. Reusser Bau GmbH, Recherswil
25
Verlag Intakt Records, Zürich
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Wie sind die verschiedenen Touren entstanden? Daniel: Am Anfang haben wir uns ganz einfach mit einem Stadtplan hingesetzt und uns angeschaut, was überhaupt vom Weg her in diesen zwei Stunden machbar ist. Und dann haben sicher unsere individuellen Lebensgeschichten eine Rolle gespielt. Für mich war von Anfang an klar, dass ich Armut aus dem Blickwinkel der Sucht heraus thematisieren wollte. Sybille, was hast du während dieses Prozesses gelernt, bei dem du die Stadtführer begleitet hast? SURPRISE 335/14
sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
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Arbeit Der Traum Dilek Kara ist von der Sozialhilfe abh채ngig, Fabian Schl채fli von der IV. Beide haben einen Traum: Sie wollen auf eigenen Beinen stehen. Vielleicht ist es tats채chlich eine Zukunftsvision, vielleicht aber bloss ein Wunschtraum. Jedenfalls setzen sie alles daran, dass er nicht einfach zerbricht.
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VON DIANA FREI (TEXT) UND RAHEL NICOLE EISENRING (ILLUSTRATION)
Vor der Ehe ist es ja auch gegangen, sie hatte in einer Schokoladefabrik gearbeitet, Halba in Wallisellen, und bei Carrefour an der Kasse. Was es jetzt für eine Arbeit sein könnte, spielt keine Rolle. Küche, Altersheim, Büro, Kinder, Organisieren, Administratives, egal: «Es sind ja immer wieder Jobs ausgeschrieben. Aldi und Lidl suchen manchmal 20 Prozent Wochenaushilfe und die Migros am Zürich HB auch.» Felix Wolffers, Co-Leiter der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS und Leiter des Sozialamts Bern, meint: «Wenn jemand mit gesundheitlichen oder auch sprachlichen Defiziten selber eine Stelle suchen muss und keine Unterstützung hat, dann ist es sehr schwierig. Wenn solche Einschränkungen hinzukommen, sind die Arbeitslosenversicherung, die IV und die Sozialhilfe gefordert. Zu beachten ist auch, dass die Erwerbslosenquote bei Personen ohne Berufsabschluss – welche in der Sozialhilfe häufig anzutreffen sind – gesamtschweizerisch bei etwa zehn Prozent liegt und damit bedeutend höher ist als die offizielle Arbeitslosenquote.» Anfang Jahr ist der OECD-Bericht «Psychische Gesundheit und Arbeit: Schweiz» erschienen, und er hält fest: Etwa jeder dritte Bezüger von Arbeitslosengeld, Invalidenversicherung oder Sozialhilfe leidet an einer psychischen Störung. Die Empfehlungen der OECD sind deutlich: So sollte die psychiatrische Versorgung sich stärker darauf ausrichten, die Leute wieder in den Arbeitsmarkt zurückzuführen. «In der Schweiz basiert die Anstellung von Leuten mit Einschränkungen auf der Freiwilligkeit einzelner Firmen» sagt Wolffers. «Dadurch ist die Stellensuche sehr aufwendig, und wir sind vom Goodwill der Unternehmen abhängig.» Weitreichende Ansätze, das zu ändern, gibt es nicht. Die Stadt Bern bezahlt Firmen zwar während einer beschränkten
Dilek Kara hat mit 17 Jahren geheiratet, einen Sohn bekommen und nie eine Ausbildung gemacht. Jahrelang half sie im Restaurant ihres Mannes und ihres Schwagers in La Chaux-de-Fonds mit. Die Ehe wurde geschieden, sie stand mit dem Kind da, mit Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, aber ohne Job. Heute ist sie von der Sozialhilfe abhängig und arbeitet jeden Vormittag in der Küche des Gemeinschaftszentrums Oerlikon in Zürich: in einem sozialen Einsatzprogramm, bei dem sie maximal 300 Franken im Monat zusätzlich verdient. Nebenher verkauft sie Surprise. «Mein Ziel ist, eine Ausbildung zu machen oder eine Stelle zu finden. Ich will einfach auf eigenen Beinen stehen können», sagt Dilek. «Was ich brauche, ist Stabilität. Hätte ich eine Arbeit, könnte sich die ganze Situation beruhigen. Und die ist ja mit meinem psychischen Zustand verknüpft.» Zurzeit besteht ihre Woche aus: Psychiaterin, Sozialarbeiterin, Arbeit in der Küche, Arbeit bei Surprise, Sohn, Papier- und Nervenkrieg mit den Ämtern, Kontoauszüge vorlegen. Während sich andere zur Entspannung Shoppingtouren gönnen, füllt sie Anträge an das Sozialamt aus. «Wenn ich mein Wochenpensum mit Arbeit, administrativem Aufwand und meinen Gesprächsterminen anschaue, sind das mehr als 100 Prozent. Dann ist es auch realistisch, dass ich meine Energie umleiten kann auf 100 Prozent Arbeit.» Ihre Psychiaterin weiss, dass Dilek eine Ausbildung machen will, die Sozialarbeiterin weiss es auch. Die Schwierigkeit ist, dass sie immer wieder psychische Zusammenbrüche mit Klinikaufenthalten hat. Die Schwierigkeit ist aber auch, dass sie sich nicht unterstützt, nicht ernst genommen fühlt an ihren Anlaufstellen. «Sie können nicht gut mit mir umgehen, weil sie «Mein Sohn ist 15 und kommt auch an den Punkt, eine Ausbildung immer Angst haben, dass ich wieder zuanzufangen. Die Chance ist wirklich gross, dass wir das Sozialsammenbreche.» Dilek hat eine Ergotherapie amt jetzt loswerden können.» mitgemacht, sie hat gemalt und gestrickt, und dabei ist es ihr nur noch schlechter gegangen, Zeit Einarbeitungszuschüsse, wenn sie Sozialhilfebezüger anstellt: Der weil das etwas ist, das sie konkret keinen Schritt weiterbrachte. «Es wäArbeitgeber erhält während sechs Monaten 40 Prozent des Lohnes rückre doch einen Versuch wert, einfach zu arbeiten beginnen und dann erstattet, wenn es zu einer Anstellung kommt. Das ist eine relativ erweiterzusehen. Das haben wir noch nie gemacht. Und die Sehnsucht folgreiche Massnahme, aber sie greift doch nur in Einzelfällen. nach einer Arbeit oder Ausbildung wird immer grösser. Langsam habe ich keine Lust mehr, immer nur zu warten und nachzugeben. Mein Genug vom Rattenfutter Sohn ist jetzt 15 und kommt langsam auch an den Punkt, eine AusbilFabian Schläfli hatte als Zweijähriger eine Hirnhautentzündung und dung anzufangen. Diese Woche schnuppert er als Maler. Wir sind langist seither geistig behindert. Die IV hat ihn 90 Prozent arbeitsunfähig sam reif und können uns auf den Weg machen. Die Chance ist wirklich eingestuft, er bekommt die volle Rente. Die will er eigentlich aber nicht. gross, dass wir das Sozialamt jetzt loswerden können.» Zu 60 Prozent arbeitet er in einer Behindertenwerkstatt, am Abend und an den freien Tagen verkauft er Surprise. «Seit sechs Jahren versuche ich Klinik statt Bewerbungsdossier nun, eine Stelle in der freien Marktwirtschaft zu bekommen. Das ProWas es für Dilek Kara zuerst aber bräuchte, ist ein Bewerbungsdosblem ist natürlich: Ich habe mit Lesen und Schreiben total Mühe. Durch sier. Sie hat ihre Bezugspersonen um Hilfe angefragt, irgendeine Andie Hirnhautentzündung ist alles flöten gegangen. Aber ich wäre froh, laufstelle müsste es doch geben, aber alle fanden, das sei doch jetzt ich wäre nicht von Ämtern abhängig. Darauf habe ich keine Lust mehr.» nicht das Dringendste für sie. Da kam der Zusammenbruch diesen SomDie VEBO Breitenbach, wo Fabian Schläfli arbeitet, bietet Firmen mer, drei Wochen Klinik. «Wenn du dein Ziel nicht verfolgen kannst, Outsourcing für Produkte an, die hier an geschützten Arbeitsplätzen sondern etwas machst, das keinen Sinn hat, kommst du nicht lange klar. weiterverarbeitet werden. Es gibt die Montageabteilung, Konfektion, Du drehst und drehst, wirst müde und dann sitzt du ab. Aber ich will mechanische Werkstatt, Verpackung, es werden Aktionsverpackungen nicht jedes Mal in eine Klinik gehen müssen, um mich aufzutanken.» SURPRISE 335/14
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Hat er etwas darüber gesagt, wie realistisch das ist? für Migros und Coop gemacht, für Auftraggeber in der Industrie werden Nein. im CNC-Verfahren Teile gefertigt, Prototypen, Kleinserien à 20 bis 50 Stück oder grössere bis 1000. Es werden Necessaires bestückt, PromoAber er hat gesagt, man könne es probieren. tionsartikel zusammengestellt, für Kundengeschenke Bonbons assorJa. tiert, Teebeutel in Schachteln gefüllt. In der Aktenvernichtung arbeiten Leute, die weder lesen noch schreiben können: «Ein Paradebeispiel daWas könnte dich beim Regale-Auffüllen oder in einer Küche allenfür, wie wir versuchen, eine Einschränkung in eine Ressource zu verfalls stressen? wandeln», sagt Werkstättenleiter Andreas Gugger. Fabian Schläfli ist in In der Küche fast nichts. Aber beim Regale-Auffüllen, wenn man dann der Montageabteilung. Dort schrumpft er oft. Was heisst: Zwei Produketwas lesen muss, das Verfallsdatum oder so. Da fängt es dann an. te, die zusammen verkauft werden, aufs Einlegeband legen, in die Maschine hineinfahren, Plastik drum, dann in den Schrumpftunnel, wo die Früher gab es etliche Hilfsjobs, Laufburschen etwa. Mit jeder WirtFolie durch Wärme zusammengezogen wird, dann etikettieren, in Karschaftskrise sind aber Jobs weggefallen, weil man rationalisiert hat. ton verpacken, auf die Palette beigen. «Diese Stellen kommen nicht mehr zurück, weil sich die Anforderungen Fabian Schläfli arbeitet seit eineinhalb Jahren bei der VEBO, vorher der Wirtschaft verändert haben und weil viele Aufgaben im unqualifiwar er an anderen geschützten Arbeitsplätzen, hat Futter für Zuchtratzierten Bereich direkt an den Konsumenten ausgelagert worden sind», ten abgepackt, die für Tierversuche verwendet werden, oder Abstimmungscouverts bestückt. «Gewechselt habe ich, weil ich nach fünf Jahren mal wieder neue «Meine Idee ist, dass man den IV-Leuten in der freien MarktwirtLeute kennenlernen wollte», sagt Fabian Schläfschaft mehr Chancen gibt, damit sie eine Stelle finden können. li. Jetzt will er wieder wechseln, aber diesmal Ich merke, dass das Interesse eigentlich besteht, nur glaube ich, in den ersten Arbeitsmarkt. «Ich kann jetzt 14 dass sie zu wenig Geduld haben.» Tage in einer Arbeitsintegration schnuppern. Da merke ich, dass in der freien Marktwirtsagt SKOS-Co-Leiter Felix Wolffers. Das Self-Checkout etwa, das die schaft eigentlich Interesse besteht, nur glaube ich, dass sie zu wenig GeKassiererin ersetzt. Den Job also, den Dilek Kara vielleicht bekommen duld haben. Heute muss alles zack-zack-zack gehen. Meine Idee ist, hätte. Während es einen Fabian Schläfli, der die Einkäufe einpacken dass man den IV-Leuten in der freien Marktwirtschaft mehr Chancen könnte, schon lange nicht mehr gibt. Als bei der 6. IV-Revision vor vier gibt, damit sie eine Stelle finden können.» Jahren grössere Unternehmen mit mehr als 250 Arbeitsplätzen verpflichtet werden sollten, ein Prozent ihrer Arbeitsplätze für Behinderte Auf die Chance hoffen freizuhalten, hat sich der Nationalrat gegen die Quotenpflicht gewehrt. Werkstättenleiter Andreas Gugger hat Verständnis für Fabian SchläfDas Gespräch mit Werkstättenleiter Andreas Gugger findet ein paar lis Wunsch. «Wenn unsere Leute den Schritt in den ersten Arbeitsmarkt Tage nach unserem Interview mit Fabian Schläfli statt. Die 14 Tage machen möchten, unterstützen wir sie dabei. Oft bauen wir über Jahre Schnuppern bei der Arbeitsintegration haben sich nach vier Tagen behinweg Fähigkeiten auf, und der eine oder andere findet nachher sogar reits erledigt: «Sie haben Herrn Schläfli einen Dämpfer gegeben. Sie haeine Stelle.» Es sind etwa ein Prozent, denn es gibt viele, die auch eine ben ihn zurückgeschickt und gesagt, sie sähen keine Chancen, ihn in Stelle suchen und keine Einschränkung haben. Trotzdem sagt Gugger: den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.» Andreas Gugger bekommt es «Die Chance ist immer da. Es kann sein, dass wir bei jemandem im sehr direkt mit, wenn der Lebenstraum eines seiner «Mitarbeiter mit Betrieb Fähigkeiten fördern, die genau zu einem Basisjob einer Firma Rente», wie er sagt, ein Stück weit zerbrochen ist. «Das wird in Gespräpassen, für die wir arbeiten. Vielleicht sagen die sich: Statt dass ich chen immer wieder thematisiert. Das tut gut und fängt auf. Die RückInserate schalte, kenne ich ja den Fabian Schläfli, und der könnte das meldung von uns ist dann vielleicht: Es ist ja kein Drama, wenn es nun auch erledigen.» doch nicht geklappt hat. Du machst hier so viel Gutes.» Es gibt sicher Es gab zum Beispiel den Herrn, der nach einer Hirnverletzung in der solche, die Ambitionen haben, es gibt aber auch diejenigen, die sich VEBO Teile zum Verpacken abgezählt hat. «Das stimmte nie richtig», irgendwann sagen: Was stresse ich mich damit, im ersten Arbeitsmarkt sagt Andreas Gugger. «Er musste 50 Teile in eine Schachtel legen, und einen Platz zu finden, wo ich unter Umständen wieder nicht genüge? das waren einmal 48, das nächste Mal 52.» Trotzdem hat er in einer FirWas habe ich davon, wenn die anderen sagen: Das ist der Langsamste, ma, die Solarpanels vertreibt, eine Teilzeitstelle gefunden. Jemand anden wir hier haben? ders ging auf einen Reithof und hilft heute in der Pferdebetreuung mit. Andreas Gugger weiss, dass diese Fragen nicht abwegig sind. Er sagt: Oft kommen die Leute in kleineren Unternehmen unter, die einen Hand«Menschen wie Herr Schläfli, die den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt langer brauchen oder das Lager aufräumen müssen. vielleicht nicht schaffen, haben bei uns eine Arbeit. Und zwar nicht Malen, Basteln oder etwas Sortieren, das am Abend wieder in den Topf Fabian, wo würdest du gerne arbeiten? zurückgeworfen wird. Sondern sie stellen ein Produkt her, das von der Entweder Migros oder Coop. Oder in einer Küche. Industrie nachgefragt wird. Das sind Tätigkeiten, die dem ersten Arbeitsmarkt entsprechen. Nur gäbe es dort niemanden, der die Zeit und Was würdest du bei Migros oder Coop machen? die Geduld hat, um mit Herrn Schläfli dieses Produkt herzustellen.» Regale auffüllen (zögert). Das ist wahrscheinlich die einzige MöglichAls Fabian Schläfli erfährt, was der Werkstättenleiter gesagt hat, läkeit, die es im Moment gibt. chelt er müde. «Er versteht vielleicht meine Lebenssituation nicht ganz. Wegen der Hirnhautentzündung bin ich halt in Behindertenwerkstätten. Und in der Küche? Aber meine Frage ist: Warum kann ich nicht einfach normal sein? WieRüsten und kochen. Und servieren, wenn es geht. so kann ich nicht arbeiten wie jeder andere auch?» ■ Hast du schon mal mit deinem Vormund darüber geredet? Ja, und er meint, ich solle dort, wo ich jetzt bin, weitermachen, und er schaut mit der IV wegen einer Möglichkeit in der Migros oder im Coop.
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Obdachlosigkeit Im Wartesaal des Lebens Der Junkie im Park hat als Stereotyp f端r den obdachlosen Menschen ausgedient. Verlieren Menschen in der Schweiz heute ihre Wohnung, hat das vielf辰ltige Gr端nde. Ein Besuch in der Z端rcher Notschlafstelle zeigt: Unser Sozialsystem wird immer grobmaschiger.
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Immer mehr Menschen mit schweren psychischen Störungen landen in der Schweiz auf der Strasse. 96 Prozent der Obdachlosen in der Stadt Zürich sind psychisch krank. Fachpersonen sind sich einig: In der Schweiz fehlt es an Langzeit-Pflegeplätzen.
VON ADRIAN SOLLER (TEXT) UND PASCAL MORA (BILD)
Auch der Mann, der neben seinem grossen Rucksack im Gemeinschaftsraum der Notschlafstelle sitzt, fällt immer wieder durch dieses grobmaschige Netz. Nennen wir ihn Moritz. Irgendwann springt Moritz plötzlich auf, als eilte er einem einfahrenden Zug entgegen. Aber der 51Jährige geht bloss eine Zigarette rauchen. Seine Geschichte beginnt an einem Herbsttag im Jahr 1975 an einem Maroni-Stand. Als Moritz dort das erste Mal kiffte, war er gerade einmal zwölf Jahre alt. Er hatte den Verkäufer so lange angebettelt, bis ihn der Mann an seinem Joint ziehen liess. Bald darauf begann Moritz regelmässig zu kiffen, später kamen LSD-Erfahrungen hinzu. Wahrscheinlich hätten die Drogen, erzählt Moritz mit einem Lächeln, etwas mit seinem Gehirn gemacht.
Wir könnten uns auch in einem Wartesaal eines Schweizer Vorstadtbahnhofes befinden. Jemand liest Zeitung, ein anderer spielt mit seinem iPhone, ein dritter sieht etwas gehetzt auf die Uhr. Jeden Moment, so scheint es, könnte er seinen grossen Rucksack packen, aufspringen und vorbei an dem Mann im grauen Businessanzug und der Konferenzmappe unter dem Arm den Raum verlassen. Doch die Menschen hier warten nicht auf den Zug. Sie gehen nirgends mehr hin. Sie sitzen im Gemeinschaftsraum der Notschlafstelle an der Zürcher Rosengartenstrasse. Stellen wir uns einen Obdachlosen vor, kommen sie schnell hoch, die Stereotypen: Wir denken an den «Alki», der auf einer Parkbank schläft Mit schweren Störungen auf der Strasse – oder an den Junkie, der um einen «Schnägg für d’Notschliifi» bettelt. Im Jahr 1980 lieferte man Moritz ins Burghölzli ein, die Zürcher PsyDie Betreuerinnen und Betreuer in der Zürcher Notschlafstelle aber sind chiatrie. Diagnose: Hebephrenie. Bei dieser Form der Schizophrenie sich einig: «Wohnungslose Menschen sind in der Schweiz längst keine kommt es vor allem zu sogenannten Affektstörungen, zu krassen Verklar eingrenzbare soziale Gruppe mehr.» Die Gründe, wieso Menschen änderungen der Stimmungslage also. Mal weint Moritz, mal ist er heute hierzulande wohnungslos werden, sind so vielfältig wie die Menaggressiv, mal besonders heiter. Nach eineinhalb Jahren im Burghölzli schen selbst. Was sie aber alle gemeinsam haben: Sie alle sind irgendbegann ein Marathon: Klinik Rheinau, Zentrum Hard, Klinikum Rosenwann, irgendwie durch unserer soziales Netz gefallen. heim. Und zwischen seinen Klinikaufenthalten habe er immer mal Da wäre beispielsweise jener Mann, der in seiner Zeitung nun eine wieder auf der Strasse übernachtet. Seite weiterblättert, nennen wir ihn Gabriel. Gabriel hat den Tages-AnImmer mehr Menschen mit schweren psychischen Störungen landen zeiger schon seit Jahren abonniert, am liebsten liest er den Kultur-Bund. in der Schweiz auf der Strasse. Das belegt eine neue Studie der PsychiaUnd wie für die meisten hier gibt es auch für ihn ein Datum, das er eintrisch-Psychologischen Poliklinik der Stadt Zürich PPZ. Demnach sind 96 fach nicht mehr vergessen kann. Bei Gabriel ist es der 12. April 2013. Wie jeden Tag stand der selbständige Reinigungsfachmann auch an jenem FrühlingsmorNur ein einziges Mal habe er vergessen, seine Miete zu bezahlen, gen auf, um zu duschen. Doch noch bevor der behauptet Xaver. Wer in Zürich eine kostengünstige Wohnung heute 54-Jährige die Dusche betrat, begann sich alles zu drehen. Es drehte sich «wie in eiverliert, hat es schwer, je wieder eine zu finden. nem Karussell, das du nicht mehr steuern kannst». Prozent der Obdachlosen in der Stadt Zürich psychisch krank, die meisDerart heftig überkam Gabriel an jenem Morgen der plötzliche Drehten von ihnen schwer. Die Fachpersonen aus verschiedenen städtischen schwindel, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich zwanzig MinuWohnintegrations-Projekten sind sich darum einig: In der Schweiz fehlt ten am Lavabo festzuklammern. Und als der Schwindel endlich wieder es zunehmend an Langzeitpflege-Plätzen für psychisch Schwerkranke. weg war, ging auch Gabriel. Der selbständige Reinigungsfachmann hatGestützt wird dieser Befund von einer weiteren Studie des schweizete einen dringenden Putz-Auftrag zu erledigen. Unterwegs zu seinem rischen Gesundheitsobservatoriums Obsan. Diese zeigt: Die Anzahl der Job aber brach der sonst immer gesunde Mann zusammen. Ein BlutgeLangzeit-Hospitalisationen hat sich zwischen den Jahren 2000 und 2006 rinnsel hatte eine Arterie in seinem Kleinhirn verstopft: Hirnschlag. um rund einen Viertel verringert. Die Schweizer Kliniken setzen in der psychiatrischen Versorgung zunehmend auf ambulante Behandlung. Das Amt lässt sich Zeit Was von den einzelnen Institutionen als betriebswirtschaftlicher ErHeute kann Gabriel wieder gehen. Etwas schneller müde wird er folg gefeiert wird, ist volkswirtschaftlich höchst bedenklich. Zwar ist einoch als früher, kann nicht mehr so viel arbeiten. Er sei wie ein Mercene ambulante Behandlung für die Klinik günstiger als eine stationäre. des mit einem 20-Liter-Tank, erklärt er. Und zusammen mit seiner ArLanden die Patientinnen und Patienten allerdings nach der Behandlung beitsleistung sind auch Gabriels Einkünfte zusammengebrochen. Der auf der Strasse, fallen die Kosten einfach anderswo an, in den städtiZürcher verdient heute noch 1800 Franken im Monat. schen Wohneinrichtungen nämlich. David Briner, Leiter der Obsan-StuEine bezahlbare Wohnung in Zürich zu finden sei für ihn darum «etdie und PPZ-Chefarzt, sagte im Tages-Anzeiger: «Die Wohneinrichtunwas schwierig». Immerhin: Gabriel hat wohl Anrecht auf eine IV-Rente. gen übernehmen faktisch die Akut- und Langzeitpflege eines grossen Beantragt hat er diese schon lange, die IV-Stelle des Kantons Zürich Teils von psychisch Schwerkranken.» nimmt sich für die Abklärung aber Zeit. Wie in vielen anderen KantoZudem zeigt eine frühere Obsan-Studie aus dem Jahr 2008: Je kürzer nen auch entscheidet das Zürcher Amt über eingehende IV-Anträge oft schwerkranke Psychiatriepatienten behandelt werden, desto schneller erst 24 Monate nach dem Schadenfall. Offenbar geht man davon aus, kommen sie wieder in die Kliniken zurück. Zwischen 2000 und 2006 dass Antragstellende Lohnfortzahlungen oder Krankentaggelder erhalnahm zwar die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Klinik um ten. Wer aber – wie Gabriel – selbständig arbeitet und sich eine private zwei Tage ab. Dafür stieg die Zahl der Wiedereintritte im selben ZeitKrankentaggeldversicherung nicht leisten kann, der fällt zwischenzeitraum um 30 Prozent. lich durch’s soziale Auffangnetz.
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Als Moritz wieder vom Rauchen zurückkommt, setzt er sich neben einen Mann Mitte fünfzig. Der Mann, der sein genaues Alter nicht verraten will, möchte Xaver genannt werden. Der Name gefällt ihm, und so wurde er damals von seiner heute verstorbenen Mutter genannt. An seinem Stuhl sind zwei Krücken angelehnt. Xavers Geschichte ist die Geschichte eines Töffunfalles. Seit dem Unfall im Jahr 2000 leidet Xaver nachts an Albträumen – und tagsüber trinkt er. Ein Alkoholproblem aber habe er nicht, findet er. Vier, vielleicht fünf Halbliter-Dosen Bier am Tag seien es ja nur. Irgendetwas müsse er ja machen, tagein, tagaus. Seit dem Unfall ist der ehemalige Maschinenschlosser arbeitsunfähig. Er erhält eine IV-Rente von rund 4000 Franken. Jeder trägt seine eigene Geschichte mit ins Bett Eigentlich, sagt Xaver, sei dies genug gewesen, um seine Dreizimmerwohnung zu bezahlen. Auch nur ein einziges Mal habe er vergessen, seine Miete zu bezahlen, behauptet er. Viel zu schnell habe ihn der Vermieter rausgeschmissen. Selbst wenn der Vermieter wohl eine andere Version der Geschichte erzählen dürfte: Wer in Zürich eine kostengünstige Wohnung verliert, so viel steht fest, hat es schwer, je wieder eine zu finden. Nur 471 Wohnungen standen laut dem Zürcher Präsidialdepartement im Juni dieses Jahres leer. Und nicht nur in Zürich gibt es zu wenige Wohnungen. In einer Studie des Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) heisst es: 80 Prozent der befragten Städte und Gemeinden beurteilen die Wohnungsmarktlage als «angespannt». Vor allem an preisgünstigen Wohnungen fehle es. Xaver sucht schon seit Monaten eine für ihn bezahlbare Wohnung. Xaver wird müde und geht schlafen. Zusammen mit fünf anderen wird er sich auch heute Nacht wieder ein Zimmer teilen. Der Gemeinschaftsraum der Zürcher Notschlafstelle leert sich allmählich. Und nicht nur Xaver, Gabriel und Moritz tragen ihre Geschichte mit ins Bett. Auch Thabo, der Mann im Businessanzug beispielsweise, der vielleicht ein Bewerbungsgespräch hinter sich hatte; oder Said, der in seinem Heimatland Architektur studiert hat und heute schwarz für eine Zügelfirma arbeitet; oder Rolf, der zurück in die Schweiz kam, nachdem ein Tsunami sein Hotel in Thailand zerstört hatte; oder Susanna, die als Kind von ihrem Vater missbraucht wurde. Sie alle wollen nicht mit ihrem richtigen Namen in einem Artikel erscheinen, sie alle wollen ihre Geschichte nicht im Detail in einer Zeitung lesen. Es ist kurz vor halb eins. Im Raum, der eben noch ein belebter Wartesaal eines Schweizer Vorstadtbahnhofes hätte sein können, wird es seltsam still. Erst morgen wird sich der Gemeinschaftsraum der Zürcher Notschlafstelle wieder mit Menschen füllen. Auch sie werden alle ihre ganz eigene Geschichte mit sich herumtragen. Auch sie sind irgendwann, irgendwie durch unser soziales Netz gefallen. Und auch sie warten morgen darauf, irgendwo wieder einsteigen zu können. ■
Ein Bett für eine Nacht Die städtische Notschlafstelle an der Zürcher Rosengartenstrasse bietet Obdachlosen für fünf Franken ein Bett, Verpflegung und eine Waschgelegenheit. Grundsätzlich ist sie als Unterkunft für eine Nacht gedacht. Menschen mit Wohnsitz in der Stadt Zürich können die Einrichtung jedoch bis zu vier Monate benützen. Auswärtige werden in ausgewiesenen Notlagen für eine Nacht aufgenommen. Das Fachpersonal vor Ort betreut und berät die Leute und sucht mit ihnen eine langfristige Wohnlösung. SURPRISE 335/14
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Kino «Es braucht einen Film, um zu merken, dass es um uns herum Armut gibt» Fernand Melgars letzter Film «Vol spécial» war offenbar so gefährlich, dass die SVP ihn an Schulen verbieten wollte. Jetzt läuft sein neuster Dok «L’Abri» an. Er erzählt vom Leben der Obdachlosen – und zwar speziell von Wirtschaftsflüchtlingen. Der Lausanner mit spanischen Wurzeln sagt, wieso die Schweiz auch sie nicht einfach aussperren darf.
VON DIANA FREI (TEXT) UND ROLAND SCHMID (BILDER)
ze Familie zu wecken. Hier lagen jeweils Leute in Schlafsäcken auf den Bänken. Als ich auftauchte, wachten sie sofort auf und wurden nervös. Irgendwann sprach ich sie an. Sie hatten gedacht, ich wäre von der Polizei, und erzählten mir dann, dass sie Angst vor einer Busse hätten. Es gibt ein Gesetz, das Campieren auf der Strasse verbietet. Man wird gebüsst und beim dritten Mal mitgenommen und registriert. Damit wird man zum Fall für die Justiz. Oder mit anderen Worten: zum Kriminellen.»
Gestern war Premiere von «L’Abri» im Lausanner Kino Capitole, die meisten der obdachlosen Protagonisten waren da, ebenso wie die Vertreter der Stadt. «Es war schön zu sehen, wie die Behördenvertreter mit der Roma-Community zusammen Apéro-Häppchen assen», sagt Fernand Melgar auf dem Weg von der Produktionsfirma zu seinem Auto, mit dem er uns zum Schauplatz seines Doks bringt: zur Notunterkunft von Lausanne, oder eben zu «L’Abri» – dem «Obdach». Oder zum Bun- «Sonst holen wir den Knüppel!» Die Sozialdienste schätzen, dass es in Lausanne 300 Obdachlose gibt, ker, wie ihn die meisten nennen. «Ich versuche, diesen Ort als Metapher zu benutzen», sagt Melgar. «Als Bild für unsere Gesellschaft, die ver- 100 von ihnen finden nachts jeweils in einer Notunterkunft Platz, die sucht, das Elend der Welt von sich fernzuhalten. Wie in Lampedusa, wo restlichen 200 schlafen jede Nacht auf der Strasse. Aber man sieht sie man versucht, die Leute zurückzuschicken, die nach Europa kommen. nicht, weil sie sich verstecken, wo sie noch können. Parkhäuser werden Wir, die im Reichtum leben, sagen den Armen: Bleibt, wo ihr seid. Mein mittlerweile geschlossen, öffentliche Toiletten ebenso. Einer der Parkplatzschläfer nahm Fernand Melgar mit, er führte ihn durch die Stadt Film ist eine Reflexion über diese Frage. Voilà.» Melgar geht es um den Menschen und dessen Würde, über der kein und zeigte ihm die Orte, wo sie sich alle aufhalten, die Afrikaner, Roma, anderes Interesse stehen kann. Denn letzten Endes handeln alle seine Spanier. Melgar, in Lausanne aufgewachsen, sah eine Welt, die er zuvor Filme von der grundsätzlichen Frage, in was für einer Welt wir leben nicht gekannt hatte. Sein Film zeigt nun eine Parallelwelt der Armut, die normalerweise wollen. Und mit welchen ethischen Grundsätzen. Seine Filme zeigt er an Schulen, um zukünftigen Stimmberechtigten unsichtbar bleibt: eine Menschenmenge, die wie eine Viehherde am Gezu zeigen, dass ihre Entscheidungen an der Urne Konsequenzen haben: hege steht und Einlass in die Notunterkunft verlangt. Die Leute werden «Ich will den Leuten die versteckten Realitäten zeigen. Denn heute nei- weggeschoben, man wird auch mal handgreiflich, es hat keinen Platz gen gewisse politische Parteien dazu, die Wirklichkeit zu verleugnen.» Die SVP versuch«Es lagen Leute in Schlafsäcken auf den Bänken. Als ich aufte mit einer Motion im Waadtländer Grossen tauchte, wachten sie sofort auf und wurden nervös. Es gibt ein Rat zu verhindern, dass Melgars letzter Film Gesetz, das Campieren auf der Strasse verbietet.» «Vol spécial» – der einen Ausschaffungsflug dokumentiert – an Schulen gezeigt werden konnte. «Das ist Zensur. Sie wollen nicht, dass meine Filme Gegenstand für alle, sie werden hinter die Abschrankungen zurückgeschoben, sie staatsbürgerlicher Reflexion sind», sagt Melgar. Er selber ist zurzeit im- drängeln. «Aufhören, sonst holen wir den Knüppel!», schreit José, einer mer wieder mit der Caritas unterwegs, um «L’Abri» an Fachtagungen zu der Angestellten, und später sagt er zu einem der Obdachlosen: «80 Leute stehen hier, aber wir können nur 45 reinlassen. Versetz dich in meine zeigen, wo über Armut debattiert wird. Wir gehen auf dem Weg zum Zivilschutzbunker an einem kleinen Lage. Es ist herzzerreissend.» Drinnen herrscht ein Gewimmel, lautes Park vorbei. Ein paar Bäume, ein paar Bänke. «Das ist der Ort, wo die Stimmengewirr. Neonlicht, grüner Boden, blassgelbe Wände, langer ganze Idee ihren Anfang nahm», sagt Melgar. «Ich habe einen kleinen Gang. In ein Heft wird eingetragen: «44 Aufnahmen, sechs Frauen und Sohn und gehe manchmal frühmorgens mit ihm raus, um nicht die gan- drei Kinder, 20 abgewiesen.» SURPRISE 335/14
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«Habt ihr eine Einladung für die Filmpremiere bekommen?» Melgar kennt die Leute von der Militärpolizei gut, sie haben den Bunker für das Interview extra geöffnet.
Später im Film sitzt ein spanisches Paar in «Das Fernsehen verdeckt die Gesichter, um heikle Situationen der Volksbibliothek über den Wörterbüchern zu filmen. Für mein Verständnis nimmt das den Menschen aber und übt die Aussprache von «travailler», «arihre Würde und Integrität.» beiten». Die beiden Ausgewanderten, die von der Krise in Spanien Ausgespuckten, drehen den Kopf und sehen vorsichtig in den Raum, als ob sie Angst davor hätHerr Melgar, war es schwierig, eine Dreherlaubnis für den «Bunten, hier die Wahrheit zu sehen, die Situation, wie sie wirklich ist statt ker» zu bekommen? so, wie sie es sich erhofft haben. Der Senegalese Amadou sitzt an einem Nein. Lausanne ist eine Stadt mit einer linken Mehrheit, eine soziale anderen Tisch, auch er schläft im Bunker, auch er sucht Arbeit. Die beiStadt. Und eine multikulturelle Stadt, die extrem gut funktioniert. Es den flüstern sich besorgt zu: «Es gibt sehr viele wie wir hier.» gibt keine Ghettos, es gibt kaum Gewalt. Lausanne vereint die Ideale, die Am Abend abgewiesen worden zu sein, heisst für die meisten: mehich anstrebe, sozusagen in sich. Die Verantwortlichen der Stadt haben rere Nächte draussen. Es ist minus 11 Grad Celsius. «Schlaft gut», sagen bisher auch an jeder Vorstellung des Films teilgenommen. die Angestellten und bringen Schlafsäcke hinaus. «Wo?», fragt einer zurück. «Ich weiss auch nicht. Vielleicht am Bahnhof oder in einer Bar.» Wie haben die Obdachlosen im «Abri» auf die Kamera reagiert? Ein warmer Lüftungsschacht wird noch empfohlen als Hilfe gegen die Ich weiss nicht, was passiert wäre, wenn ich einfach eines Abends Kälte. Die Kamera geht mit Amadou mit. Er liegt im Schlafsack unter eimit der Kamera vorbeigekommen wäre. Ich habe sechs Monate mit den nem Bretterverschlag und ruft seine Mutter an. «Ja ja, ich arbeite immer Obdachlosen verbracht, habe ihr Vertrauen gewonnen, und nachher hanoch als Sicherheitswächter.» «Wenn du keine Aufenthaltsbewilligung be ich sechs Monate lang gedreht. Im Gegensatz zu meinen Filmen werbekommst, komm zurück», sagt sie und weiss weder, dass ihr Sohn keiden am Fernsehen zum Beispiel die Gesichter unkenntlich gemacht, um nen Job hat noch, dass er auf der Strasse nächtigt. «Komm zurück, beheikle Situationen zu filmen, denn die Leute wollen selbstverständlich vor ich sterbe.» nicht gefilmt werden. Für mein Verständnis nimmt das den Menschen Seit der Polemik, die Fernand Melgars Film ausgelöst hat, beraten die aber ihre Würde und Integrität. Wenn man einen Obdachlosen oder eiBehörden darüber, unter dem Jahr einen zusätzlichen Ort für Obdachnen Asylsuchenden ohne Gesicht sieht, denkt man, der hat etwas zu lose zu eröffnen. «Es braucht einen Film, um zu merken, dass es um uns verbergen. Für mich ist es daher sehr wichtig, dass die Protagonisten herum Armut gibt», sagt Fernand Melgar. Jetzt, nur ein paar Wochen mit dem Projekt einverstanden sind. Ich sage ihnen: Mein Film wird bevor «L’Abri» für die Wintermonate wieder geöffnet wird, ist es am euer Leben nicht verändern. Aber es ist wichtig, dass ihr euch zeigt und Schauplatz des Doks ganz still. Draussen scheint die Sonne noch, aber eure Meinung sagt. drinnen im Bunker sind die Wände fahl wie im Film. Drei kleine Schlafräume, gefüllt mit Kajütenbetten, ein Ess- und Aufenthaltsraum in einem. Einzige Rückzugsorte sind die Dusche und das Klo.
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In einer Szene zählt Dani, der Gründer von «L’Abri», in aller Ausführlichkeit sein Weihnachtsmenü mit Austern und Foie Gras auf, während der Bunker voll von Obdachlosen ist. Nicht gerade sympathisch. Wieso zeigen Sie das? Ich glaube, das ist in etwa das Weihnachtsmenü jedes Durchschnittsschweizers. Vielleicht bekommt nicht jeder ein Menü wie Dani, aber die meisten haben an Weihnachten zu viel zu essen. Die Frage nach dem Menü habe nicht ich gestellt, sondern eine der Angestellten. Aber als er zu erzählen begann, dachte ich plötzlich: Dani, das sind wir selber. Die Szene hält uns den Spiegel vor. Und es nervt uns, weil wir zugeben müssen: Wir sind im Grunde wie er. Er ist eine Projektion des unsensiblen Zuschauers. Ja, aber im Grunde hat Dani ein Herz aus Gold. Er weiss ganz genau: «L’Abri» ist wie ein Rettungsboot inmitten eines Sturms. Und er muss dafür sorgen, dass das Rettungsboot nicht kippt. Er ist der, der dafür kämpft, dass dieser Ort überhaupt existiert. Man denkt sich zwar: Was für ein fieser Kerl! Aber Dani ist nicht fies. Er wendet nur die Gesetze an, die das Volk gewollt hat. Er tut, was in der Schweiz gefordert wird: Er schliesst die Türen zu.
Die Arbeitslosen, der Student, die alleinerziehende Mutter, die Homosexuellen. Das stoppt nicht plötzlich. Denn diese Denkweise ist ein Monster. Dieser Hass braucht immer ein Opfer. Wenn ich mir heute Sorgen mache darüber, dass man die Ausländer verfolgt, dann mache ich mir Sorgen, weil ich mich frage: Wer sind die Nächsten auf der Liste? Und deshalb hatten Sie auch keine Scheu, Wirtschaftsflüchtlinge zu zeigen, obwohl die im Allgemeinen wenig Mitleidsbonus haben? Die meisten der Wirtschaftsflüchtlinge im Film sind Leute, die arbeiten. Es gibt 150 000 Personen in der Schweiz, die heimlich arbeiten, die das Land aber braucht. Sie arbeiten bei Bauern, in der Hotellerie, auf Baustellen, und ohne sie könnten etliche Betriebe schliessen. Aber es ist interessant für eine Partei der extremen Rechten, einen Feind benennen zu können. Nur ist der eigentliche Feind in der heutigen Schweiz der Finanzplatz. Er nutzt die Dritte Welt aus. Die grossen Diktatoren plazieren ihr Geld in der Schweiz und tragen zur Armut in Drittweltländern bei. Wozu führt das? Zu Armen, die nach Europa wollen, um zu überleben. Ich finde es unglaublich, dass das ein Land zulässt, das das humanitäre Recht erfunden hat.
«Heute jagt man die Ausländer. Aber wenn man die Ausländer
Diesen Einlass am Abend sieht man mehrhinausgeworfen hat, wer sind die Nächsten? Die Nächsten sind mals. Es wird gedrängelt und geschoben. die Armen.» Wie in einem Viehstall. 1942 hat Bundesrat Eduard von Steiger geWelche Geschichten der Leute im «Abri» haben Sie persönlich am sagt: «Das Boot ist voll». Und er beschloss, die Grenzen zu schliessen. meisten mitgenommen? Für mich befindet man sich im «Abri» in dieser Metapher. Man befindet Amadou, der junge Afrikaner. Er ist ehrlich, korrekt, er sucht Arbeit, sich in einem Moment, als sich ein Land entschliesst, die Türen zu findet eine, aber er will nicht schwarz arbeiten und bemüht sich um eischliessen, während draussen eine Welt einstürzt. ne Arbeitsbewilligung. Am Ende bekommt er keine Bewilligung, obwohl er eine Arbeit gefunden hat. Was schrecklich ist, denn weil er so lange Um in der Metapher zu bleiben, muss man nun fragen: Was ist denn darauf gewartet hat, ist er zu lange in der Schweiz geblieben und hat seinun voll – die ganze Schweiz oder nur die Lausanner Notunterkunft? ne Aufenthaltsbewilligung für Spanien verloren. Damit ist er zum SansDie Schweiz ist heute eines der reichsten Länder der Welt. Aber gePapier geworden. nau dieses Land war vor 150 Jahren eines der ärmsten in Europa. Das darf man nicht vergessen. 20 Prozent der Schweizer sind ins Ausland Wo ist er jetzt? ausgewandert, weil es nicht genug zu essen gab. Dieses Land konnte Er ist in Spanien. Das ist eine Geschichte, die mir wirklich weh getan überleben, weil Leute im Ausland Schweizer aufgenommen haben. Und hat. heute versucht man uns weiszumachen, dass die Leute, die in die Schweiz kommen, unser System missbrauchen. Lebt er dort auf der Strasse? Nein, er ist einer, der nicht aufhört zu arbeiten. Er verkauft jetzt SonWelches sind die Momente im Film, die Ihnen menschlich am wichnenbrillen am Strand und schafft es auf etwa 30 Euro am Tag. Er kann tigsten sind? sich Essen kaufen und eine Unterkunft bezahlen. Aber wenn ihn die PoJosé, der die Menschen an der Tür abwimmelt, und fünf Minuten lizei aufgreift, fliegt er aus Spanien raus. später sieht man ihn im Krankenzimmer, wo er einem Mädchen ein Pflaster an den Finger klebt. Auch José hält sich einfach an das RegleSie sind selber ein spanischer Immigrant. Was sind Ihre Gefühle, ment. In der Präambel der Bundesverfassung steht, dass sich die Stärke wenn Sie ein spanisches Paar filmen, das vielleicht wieder zurück des Volkes am Wohl der Schwachen misst. Die Schweiz von 1848, die muss? moderne Schweiz ist auf Werte der Solidarität aufgebaut. Wenn man Alle meine Filme sind im Grunde autobiografisch. Wenn ich von anJosé sieht, der die Leute abweist, stellt das die Grundsätze dieses Landes deren rede, rede ich an sich von mir, von meiner Geschichte. Das spainfrage. nische Paar, das sind meine Eltern. Sie sind in den Sechzigerjahren hierhergekommen, und ihr Neubeginn hier war sehr schwierig. Sie waren Nun kann man natürlich mit Blocher sagen: Die Afrikaner und SpaSaisonniers, und sie hatten mit ihrem Status nicht das Recht, mit ihren nier, die man in «L’Abri» sieht, sind nicht unser Volk und auch nicht Kindern hierherzukommen. Als ich hier ankam, war ich illegal. José im unsere Schwachen. Sie sind Ausländer. Sie sind selber schuld, dass Film ist auch ein Sohn von spanischen Einwanderern. José, das bin alsie hier sind. so ich. Er befindet sich heute auf der richtigen Seite der Abschrankung Blocher ist ein Lügner. Ein Heuchler. Er ist einer, der daran ist, das und muss seine Landsleute abweisen. In meinem Kino geht es immer Land mit seinen Ideen zu verdüstern. Er sagt, man müsse die Türen zu auch um meine eigenen Fragen und Dämonen. Europa schliessen, aber gleichzeitig hat er eine Fabrik, die Europäer ■ braucht, damit sie funktioniert. Er ist einer, der von seiner Macht und seinem Egoismus lebt und damit ein ganzes Land krank macht. Das führt dazu, dass das Land erstickt und man die Armen zu verfolgen beginnt. Heute jagt man die Ausländer. Aber wenn man die Ausländer hinFernand Melgar: «L’Abri», Schweiz 2014, 101 Min. Der Film läuft ab 9. Oktober in den ausgeworfen hat, wer sind die Nächsten? Die Nächsten sind die Armen. Deutschschweizer Kinos. http://climage.ch/films/labri SURPRISE 335/14
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Verkäuferporträt «Er sorgt für mich» Markus Thaler (44) verkauft Surprise in der ganzen Deutschschweiz. Die Bibel sei mehr als nur ein Buch, ist er überzeugt. Das erlebe er immer wieder in seinem Alltag, den er für uns mit der Kamera dokumentiert hat. AUFGEZEICHNET VON AMIR ALI
«Ich habe den perfekten Job: Beim Surprise-Verkaufen bin ich nah an den Menschen. Ich komme mit Leuten in Kontakt, kann ihnen zuhören und im Gegenzug etwas von mir erzählen. Viele berichten mir in Gesprächen von ihren Schwierigkeiten, ob sie nun den Job verloren haben, krank geworden sind oder sonst irgendetwas nicht rund läuft. Ich habe das Gefühl, einem Surprisler gegenüber sind die Leute offen. Sie sehen: Das ist einer, der nicht einfach alles hat. Bevor ich bei Surprise anfing, verkaufte ich an einem Stand Rosen. Das lief gut, ich schrieb stets schwarze Zahlen. Aber dem Besitzer war die Rendite nicht hoch genug, und er gab das Geschäft auf. Surprise war dann ein Glücksfall, ich wollte um jeden Preis selbständig bleiben und nicht vom Amt abhängig sein. Die Leute, die ich beim Verkaufen antreffe, laden nicht nur ihre Sorgen bei mir ab, sie hören mir auch zu. Ich strahle Zufriedenheit aus und begegne ihnen auf Augenhöhe, nicht von oben herab. Das schafft gleich ein gewisses Vertrauen. Was ich den Leuten mitgebe? Meine eigenen Erfahrungen mit dem Leben – und mit dem Glauben. Wer nur an das Geld und seinen Job glaubt, der baut auf Sand. Du wägst dich in Sicherheit, aber das kann dir von einem Tag auf den anderen weggenommen werden. Der Glaube hingegen ist ein Fels. Wenn du Gott hast, dann kann der Sturm kommen, und du wirst dennoch getragen. Ich hatte oft Gewaltausbrüche. Die Leute fragten mich jeweils: Willst du mich töten mit deinem Blick? Ich habe lange gesucht in meinem Leben, beschäftigte mich mit Magie und Wahrsagerei, sogar die Fremdenlegion zog ich in Betracht. Dass ich damals nicht abgestürzt bin, verdanke ich dem Sport: Ich spiele Fussball, boxe und gehe regelmässig Joggen. Mit Mitte zwanzig fand ich zum Glauben. Ich erlebe viele Dinge, die mir beweisen: Es ist nicht einfach nur ein Buch, da ist mehr dahinter. Ich weiss nie, wie ich am Ende des Monats meine Rechnungen bezahlen werde. Was ich aber immer weiss: Er sorgt für mich. Ich hatte schon Couverts im Briefkasten mit Geld drin, ich weiss nicht einmal, von wem. Einmal hat jemand mir und meiner Frau die Reise ins Heilige Land, nach Israel bezahlt. Ein anderes Mal spendierte uns jemand eine ganze Wohnungseinrichtung. Auch beim Verkaufen von Surprise lasse ich mich von Ihm leiten. Als es eines Tages nicht gut lief, stellte ich mich woanders hin. Irgendetwas aber sagte mir: Geh wieder zurück. Also ging ich zurück, und kaum stand ich wieder da, steckte mir jemand im Vorbeigehen ein Hunderternötli zu. Einfach so. Glauben heisst für mich: Dem Beispiel Jesu folgen, ein Jünger sein, beten, mit Ihm kommunizieren, fragen und Antworten erhalten. Ich bin viel in der Natur, ich mag die Weite. Das beruhigt und gibt Frieden. Beim Spazieren habe ich Zeit zum Nachdenken und gehe ins Zwiegespräch mit Gott. Die Stadt ist das Gegenteil dazu, aber auch dort bin ich sehr gerne. Ich verkaufe Surprise in Aarau, Chur, Luzern, Schaffhausen und Zürich.
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Ich mag es, in der Stadt zu sein. Ich beobachte gerne die Menschen, zum Beispiel am Zürichsee bei der Chinawiese. Wir sind so verschieden und vielseitig, und doch leben wir alle zusammen. Kaleb aus dem Alten Testament sagte: Mit 80 sollst du sein wie mit 40. Für mich heisst das: Mit 40 so sein wie mit 20. Dreimal die Woche trainiere ich, renne acht bis 14 Kilometer, mal Hartplatz, mal Waldboden. So kommt immer eine andere Muskulatur dran. Dazwischen gehe ich ins Fitness. Mit der Surprise-Fussballnati war ich 2012 in Brasilien am Homeless World Cup und davor in Polen an der EM. Das sind wunderbare Erfahrungen, ich hatte spannende Begegnungen mit interessanten Menschen. Das verdanke ich Surprise, auf den Ämtern hätte ich so was nie erleben dürfen. Sowieso: Bei Surprise fühlt man sich gebraucht, und jeder Tag ist neu und interessant. ■
«Sport ist mir wichtig. Ich spiele Fussball, jogge und gehe ins Fitness.» SURPRISE 335/14
BILDER: MARKUS THALER
«Ruedi ist eigentlich unser Goalie, hier aber übt er schiessen.»
«Ich mag Elefanten. Der hier gehört zum Circus Knie, der in Windisch gastierte.»
«Mit dem Team Zürich spiele ich in der Surprise Strassensport Liga.»
«Bei mir in der Nähe gibt es eine Rehzucht. Die Tiere sind gar nicht scheu.»
«Die Kraft der Natur ist gewaltig: Hochwasser auf meiner Joggingstrecke.»
«Meine Arbeitstage beginnen und enden jeweils am Bahnhof Windisch.»
«Am Winterthur Marathon habe ich am 10-Kilometer-Lauf mitgemacht.»
«Wenn das neue Surprise in Zürich angeliefert wird, helfe ich beim reintragen.»
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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.
Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–
Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.
Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden vom Verein Surprise geführt. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.
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Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami, Heftverantwortlicher), Florian Blumer (fer), Diana Frei (dif), Mena Kost (mek) redaktion@vereinsurprise.ch leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Philipp Baer, Andrea Ganz, Pascal Mora, Dominik Plüss, Roland Schmid, Adrian Soller Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 26 750, Abonnemente CHF 189, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke
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Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. SURPRISE 335/14
Surprise Mehr als ein Magazin
Die Surprise Strassensport Nationalmannschaft konnte auf Einladung des europäischen «Life Long Learning Programme», das Austausch und Entwicklung der europäischen Strassenfussball-Projekte fördert, an ein Turnier nach Amsterdam reisen. Die Schweizer Nati nutzte diese Chance und bewies mit dem 2. Schlussrang, dass sie in Form ist für den Homeless World Cup, der am 19. Oktober in Santiago de Chile angepfiffen wird. Die Schweizer bezwangen grosse Fussballnationen wie England oder Gastgeber Holland. Nur gegen die Deutschen verloren sie im Finale knapp mit 2:3. «Wir hatten in jedem Match deutlich mehr Spielanteile. Ich kann eigentlich nur die Toreffizienz bemängeln», resümierte Coach David Möller zufrieden. Als effizientester Torjäger entpuppte sich der neueste Nati-Spieler William (rechts im Bild). Die Integration in die bunt gemischte Gruppe ist nicht nur spielerisch geglückt, so Möller: «Der Teamgeist lebt. Die Spieler setzen sich auch nach dem Abpfiff füreinander ein», so Möller. Das Hauptziel des letzten Trainingslagers in urnerischen Seedorf ist damit gesetzt: Torschuss-Training, bis alle jubeln: Tor, Tor, Tor! Denn das sportliche Ziel der Nati 2014 ist es, die bislang stärkste Platzierung eines Schweizer Teams, den 28. Platz beim HWC 2011 in Paris, zu übertreffen. Marco Zanni, der damals als Abwehrchef grossen Anteil am Erfolg hatte und im Rahmen des «Life Long Learning Programme»
FOTO: JOANA FRIETAS
Strassensport 2. Rang am Test-Turnier in Amsterdam
nun zum ersten Coach-Assistent der Surprise Nati ausgebildet wird, ist sich jedenfalls sicher: «Das Team hat sogar das Potenzial, es als erste Schweizer Nati in die obere Tableau-Hälfte der 48 Nationen beim Homeless World Cup zu schaffen.» (ojo) Mehr zur Nati und ihrer HWC-Mission in Chile unter: www.facebook.com/SurpriseStrassensport
Am 4. September fand in der Aktienmühle mit grosszügiger Unterstützung durch den Lions Club Basel das diesjährige Surprise Sommerfest statt. Zugleich durfte der Surprise Strassenchor sein 5-jähriges Bestehen feiern. Seit einem halben Jahrzehnt haben Surprise-Verkaufende, aber auch Menschen aus anderen sozialen Organisationen die Möglichkeit, regelmässig zu musizieren. Gegenwärtig zählt der Chor rund 20 Sängerinnen und Sänger, die diese Möglichkeit nutzen. Im Hinblick auf das Jubiläum war für die Sängerinnen und Sänger des Strassenchors bereits Ende August ein besonderer Workshop organisiert worden. Unter der Leitung der Musiker Peter Stöckli und Lukas Oberascher erarbeitete der Chor einen massgeschneiderten Song mit verschiedenen Stilelementen. Der Surprise Strassenchor hat damit einen eigenen, unverwechselbaren Song erhalten, der den besonderen Charakter des Chors hörbar macht. Er ist daran, ihn einzuüben – und wird hoffentlich schon bald Premiere feiern. Zudem war der Musiker und Dozent Aaron Bebe Sukura aus Ghana an einer Probe zu Gast (siehe Bild). Spontan übte er mit den Sängerinnen und Sängern verschiedene Lieder aus seiner Heimat ein. (pse)
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FOTO: PALOMA SELMA
Strassenchor Fünf Jahre: Wir feiern!
Bis Ende des Jahres absolviert der Chor noch 14 Auftritte. Hast nicht auch du Lust, mitzusingen? Dann melde dich direkt bei Paloma Selma unter 061 564 90 40 oder p.selma@vereinsurprise.ch
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Eine Tasse Solidarität! Machen Sie mit: Zwei bezahlen, eine spendieren. Café Surprise gibt es hier: In Basel Café-Bar Aktienmühle, Gärtnerstrasse 46 Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstrasse 10 Café Restaurant Haltestelle, Gempenstrasse 5 Post Bar, St. Johanns-Vorstadt 80 Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstrasse 96 In Bern Restaurant Genossenschaft Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17 Café Kairo, Dammweg 43 Café Tscharni, Waldmannstrasse 17a Luna Llena Gelateria Restaurant Bar, Scheibenstrasse 39 In Thun Joli Mont, Bälliz 60 In Zürich Café Zähringer, Zähringerplatz 11
Weitere Informationen: www.vereinsurprise.ch/cafesurprise Ein Projekt des Verein Surprise.