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Seid barmherzig Wieso Mitleid trotzdem ein verdächtiges Gefühl ist Essen aus dem Abfallcontainer: Ivo Adam macht einen Rezeptvorschlag

Liken, twittern, teilen: Wer Spenden einholen will, muss Geschichten erzählen können

Nr. 339 | 5. bis 18. Dezember 2014 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


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Gutes tun Sinnvoll schenken Surprise bietet armutsbetroffenen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe. Mit Geschenken von Surprise unterstützen Sie die Arbeit des Vereins.

Gibt andere Perspektiven: ein sozialer Stadtrundgang Die Surprise-Stadtführer erzählen persönliche Geschichten aus ihrem Alltag als Obdachlose und Armutsbetroffene in ihrer Stadt. Verschenken Sie einen anderen Blick auf Basel oder Zürich. Gibt warm: eine Surprise-Tasche oder eine Surprise-Mütze Eine Mütze für gute Köpfe und eine Tasche voller Sinn – schenken Sie Mehrwert von Surprise. Unsere Mützen und Taschen gibt es in diversen Farben. Gibt Einblicke: ein Surprise-Jahresabo Das Surprise Strassenmagazin liefern wir gerne alle zwei Wochen in den Briefkasten. Auch im Abo unterstützen Sie unsere Arbeit. JA, ich möchte sinnvoll schenken und bestelle ☐ Gruppe bis 20 Personen CHF 250 ☐ Gruppe bis 20 Personen CHF 300

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Titelbild: Keystone/WESTEND61

Bald gibt’s Geschenke. Würden Sie sich freuen, wenn Sie Asia-Blumenkohl im Einmachglas bekämen, dessen Zutaten aus dem Abfall gefischt worden sind? Würden Sie sich hintergangen fühlen, wenn Sie gar nicht davon erfahren würden? Starkoch Ivo Adam würde er jedenfalls schmecken, er hat uns sogar extra das Rezept für den eingemachten Blumenkohl mit Ingwer und Chilischoten geschrieben. Unsere Illustratorin Priska Wenger hat für die zugehörige Geschichte mit Leuten geredet, die «containern» gehen (also Essen aus dem Abfall von Grossverteilern holen), und uns daraus ein Interview in Comic-Form gezeichnet und geschrieben: siehe «Das Container-Menü» ab Seite 16. Priska Wenger wird übrigens auch unsere ganze nächste Ausgabe, eine Lesenummer für die Festtage, gestalten – was unterdessen eine jahrelange Tradition hat.

BILD: ZVG

Editorial Sagen Sie mal

DIANA FREI REDAKTORIN

Bald ist Zeit der Nächstenliebe. Der Barmherzigkeit, des Mitleids. Aber sagen Sie mal: Haben Sie Mitleid mit Menschen, die aus Ihrer Sicht selber schuld sind an ihrem Schicksal? Sind wir bessere Menschen, wenn wir Mitleid empfinden? Ist es überhaupt sinnvoll, Mitleid zu haben? Seit Jahrhunderten wird über das Mitleid nachgedacht. Von Aristoteles bis Schopenhauer wurden Thesen zu seinem Sinn und Zweck und Wesen aufgestellt. Es gibt dazu ganz viele Fragen und noch viel mehr Antworten. Wir haben uns einige dieser Fragen gestellt und damit einem zentralen menschlichen Wert nachgespürt. Siehe Seite 10. Bald werden die Spendeneingänge wieder ihr jährliches Hoch erreicht haben. Aus welchem Grund spenden Sie eigentlich? Weil Ihnen eine Organisation sympathisch ist? Weil Sie sich mit ihrem Zweck identifizieren können? Weil die Organisation eine besonders lustige Online-Kampagne fuhr? Jahrelang war klar, wie man Spenden generiert: mit schönen Broschüren, niedlichen Fotos und ganz vielen Bettelbriefen. Im digitalen Zeitalter funktionieren die alten Erfolgsrezepte aber nicht mehr. Neue Fragen tun sich auf. Aber diesmal zum Glück solche, die die Marketingbranche und nicht Sie beantworten müssen: Sie finden Sie ab Seite 13. Herzlich Diana Frei

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@strassenmagazin.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise Neu jetzt auch ganz einfach online spenden! http://www.vereinsurprise.ch/spenden-surprise/ SURPRISE 339/14

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10 Mitleid Zeit der Nächstenliebe BILD: ISTOCKPHOTO

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Inhalt Editorial Sagen Sie mal Basteln für eine bessere Welt Eingemachtes Schneegestöber Aufgelesen Hebammen haut’s den Nuggi raus Zugerichtet Lahmes Plädoyer für die Pressefreiheit Leserbriefe Wirtschaft versus Klima Starverkäufer Andreas Breu Porträt Einsichten aus Kristall Wörter von Pörtner Eingewanderte Yogakurse Pop/Rock Neues Wildes vom Genfersee Kultur Einmal «Him», einmal «Her» Ausgehtipps Häuptling Winkender Käfer Verkäuferporträt Eben war er noch Computerfachmann Projekt SurPlus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP

Was den Menschen zu Barmherzigkeit und Nächstenliebe führen sollte, ist das Mitleid. Aber allein die Definition ist schwierig. Philosophen beissen sich seit Jahrhunderten die Zähne daran aus, und die Kirche muss fürchten, dass es in einer Welt von Individualisten irgendwann nichts mehr zählt. Wer sich zudem ein paar persönliche Fragen dazu stellt, muss zugeben: Das Mitleid ist ein verdächtiges Gefühl. Und doch nötig.

14 Hilfswerke Geteilt ist nicht gespendet BILD: ISTOCKPHOTO

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SPENDEN

Die Zukunft ist online – auch wenn es darum geht, Geld für gute Zwecke zu sammeln. Gerade etablierte Hilfswerke suchen neue Formen, die Menschen für ihre Anliegen zu gewinnen. Virale Kampagnen also statt Bettelbriefe und Spendermagazine? So einfach ist es nicht. Zwar ist die Notwendigkeit, Neues zu versuchen, unbestritten. Doch nach wie vor spenden die Älteren am meisten. Die Branche ist im Umbruch: Alle kennen zwar die Richtung, und doch tappt man im Dunkeln.

16 Wiederverwertet Nachhaltigkeit in der Pfanne

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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

Ein Essen aus dem Abfall: klingt erst mal eklig. Es gibt aber Leute, die tatsächlich Lebensmittel aus den Containern holen, in denen es die Grossverteiler entsorgt haben. Martin B. ist so einer, der aus Überzeugung «containern» geht. Er ist eine gezeichnete Figur, aber er gibt Antworten, die aus realen Interviews stammen. Was er an einem Abend gefunden hat, hat Starkoch Ivo Adam in ein Menü verwandelt, das man auch Gästen aufzutischen wagen darf.

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Während in der internationalen Klimapolitik weiter Schwarzer Peter gespielt wird und der Umweltschutz-Verantwortliche im US-Senat wissenschaftliche Erkenntnisse über den Klimawandel mit Bibelzitaten bekämpft, erwärmt sich die Erde munter weiter. Unsere Prognose: Weisse Winterlandschaften im Unterland sind bald eine Erinnerung an gute, alte Zeiten. Kluge Bastler sorgen vor und machen sich ihre Winterstimmung im Konservenglas ein – glitzert fast so schön wie in echt.

1. Waschen und trocknen Sie ein Einmachglas gut aus. Verstreichen Sie weissen

3. Geben Sie Wasser und Glycerin (aus der Apotheke) im Verhältnis 1:1 ins Glas.

Fimo auf der Innenseite des Deckels und härten Sie diesen im Backofen (siehe Anleitung auf der Verpackung).

4. Zerschlagen Sie ein Ei, entfernen Sie das Häutchen auf der Innenseite und zerdrücken Sie die Schale in kleine Teilchen. Geben Sie sie zusammen mit Glitzer (aus

2. Leimen Sie Playmobil-Figürchen, Schlümpfe, Modelleisenbahnbäumchen, was

dem Bastelladen) in die Flüssigkeit.

immer Sie finden, auf den ausgekühlten Boden (oder, sollten Sie gestalterisch begabt sein: Machen Sie selbst Figürchen und Objekte aus Fimo und härten sie mit

5. Schrauben Sie den an der Schraubstelle mit Leim bestrichenen Deckel drauf.

dem Boden mit). SURPRISE 339/14

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ILLUSTRATION: SOPHIE AMMANN | WOMM

Basteln für eine bessere Welt Schnee für morgen


Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Alle Papst oder was? Melbourne. Die reichsten 85 Menschen haben gleich viel wie die ganze ärmere Hälfte der Menschheit, erklärte im Mai IWF-Chefin Christine Lagarde. Janet Yellen, Präsidentin der US-Notenbank, sagte im Oktober, die USA erlebten den «anhaltendsten Anstieg von Ungleichheit seit dem 19. Jahrhundert». Barack Obama meinte: «Unsere Aufgabe ist es, diesen Trend umzukehren.» Man fragt sich: Sind die alle Papst? Franziskus hatte im April getwittert: «Die Chancenungleichheit ist die Wurzel der sozialen Übel.»

Stau in der Boomstadt Hamburg. Hamburgs System der öffentlichen Unterkünfte kollabiert: Fast 13 000 Menschen leben in städtischen Einrichtungen. Dazu zählen Flüchtlinge, aber auch Wohnungs- und Obdachlose. Das Problem: Der Ausweg ist verstopft. Denn auf dem Wohnungsmarkt der Boomstadt gibt es kaum freie günstige Objekte. Nebenbei steigen auch die Sozialhilfekosten, die in Hamburg pro Kopf ohnehin die höchsten in ganz Deutschland sind. Hauptursache auch hier: zu wenig bezahlbarer Wohnraum.

Kein Geld für Hebammen Stuttgart. Die Hebamme hebt ins Leben – und ist auch nach der Geburt für die frischgebackene Familie da. Diesen Part übernehmen oft Freischaffende. In Deutschland ist eine flächendeckende Versorgung mit deren Diensten nicht mehr möglich. Der Grund: seit Jahren steigende Versicherungsprämien. «Ab Juli 2015 haben wir keinen Versicherer mehr, der die Haftpflicht zu einem finanzierbaren Preis übernimmt», sagt Baden-Württembergs Hebammenverband. Das bedeute de facto, «dass wir dann nicht mehr arbeiten dürfen».

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Zugerichtet In eigener Sache Obschon es um nichts weniger als die Pressefreiheit ging, war der 8-Uhr-Fall an jenem Morgen kein Kickstarter in den Tag. Der Vertreter der Anklage war gar nicht erst erschienen. Der Beschuldigte wirkte wie einer, der vor 10 Minuten erwacht ist und gerade gemerkt hat, dass er im Anzug geschlafen hat. Er beantwortete das Dutzend Fragen des Gerichts mit dem ihm grösstmöglichen Engagement, das aber allerdings im nicht wahrnehmbaren Bereich blieb. Sein Verteidiger, als solcher eigentlich Angehöriger einer Gattung notorischer Vielredner, beschränkte sein Plädoyer auf das Abhaken formeller Punkte in etwas mehr als 30 Minuten. Noch etwas kürzer fasste sich die Einzelrichterin, als sie nach einer knappen halben Stunde mit dem Schmäh einer wandelnden Akte ihr Urteil verkündete: Freispruch. Trotz Übertretung von Art. 239, der die Veröffentlichung von geheimen Akten unter Strafe stellt. Wenn nicht – wie in diesem Fall – das öffentliche Interesse an der Information höher zu werten ist als das Interesse des Staates an Geheimhaltung. Der Angeklagte Arthur Rutishauser war zum Tatzeitpunkt noch beim Tages-Anzeiger, inzwischen ist er Chef der SonntagsZeitung. Im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal in der Personalvorsorge des Kantons Zürich (BVK) hatte er in zwei Artikeln aus einem noch unter Verschluss gehaltenen Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zitiert. Zur Erinnerung: Rund acht Jahre lang hat sich der einstige Anlagechef der BVK, Daniel Gloor, mit 1,2 Millionen Franken bestechen lassen. Der Ins-

titution hat er einen Schaden von 45,7 Millionen Franken zugefügt. Besagte PUK bezifferte die Folgeschäden für die Allgemeinheit mit bis zu 1,5 Milliarden. Gloor kassierte dafür 2012 sechs Jahre Gefängnis. Journalist Rutishauser berichtete regelmässig über die Affäre, und so spielte ihm jemand den Bericht zu, aus dem er zitierte. Angezeigt wurde er vom PUK-Präsident höchstselbst. So richtig der Freispruch war, so irritierend war die genervte Gelangweiltheit, mit der hier die Pressefreiheit verteidigt wurde. Von einem Journalisten hätte man eine flammende Rede erwartet, eine Tirade auf Artikel 293, dessen Abschaffung Bundesbern seit Jahrzehnten diskutiert, zuletzt 2011. Dann doch beibehält, obwohl der Bundesrat den Wortlaut wenig geglückt findet. Es geht darin nicht um Staatsgeheimnisse von besonderer Tragweite, die sind durch einen zusätzlichen Artikel geschützt, sondern darum, dass jedes Gremium per einfachen Beschluss seine Arbeit geheim halten kann. Verurteilt werden nur Dritte, oft Journalisten, die das Geheimnis weiterverbreiten, während Beamte oder Parlamentarier, die das Geheimnis gebrochen haben, der Strafverfolgung entgehen. Das hätte man zu hören erwartet. Und kein naserümpfendes Erdulden der Zumutung, überhaupt hier zu sein. Die Pressefreiheit gibt es nicht einfach so, sie muss immer wieder erkämpft werden. Das gilt nicht nur für totalitäre Staaten, sondern auch für moderne Demokratien. Freier Zugang zu Information ist ein kaum zu überschätzender Faktor einer freien Gesellschaft, die die Meinungsfreiheit ernst nimmt.

YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 339/14


Leserbriefe «Schuld sind die nimmersatten Mächtigen in der Schweiz»

«Steuer- und Währungspolitik nicht im Interesse der Bevölkerung» Zu den im Artikel gemachten Ausführungen, mit denen ich voll und ganz einverstanden bin, möchte ich ergänzend noch auf zwei wirtschaftspolitische Massnahmen aufmerksam machen, mit welchen die Politik von Mitte links bis Mitte rechts das Wirtschaftswachstum auf fragwürdige Art und Weise schon seit Langem sehr erfolgreich antreibt. Das Wachstum der Inlandnachfrage wird durch das Anlocken ausländischer Firmen, aber auch reicher Privatpersonen mittels Dumpingsteuertarifen beschleunigt. Die Schweiz belegt beim Schattenfinanzindex nicht umsonst weltweit den unrühmlichen ersten Platz. Die Auslandnachfrage dagegen wird durch das Tiefhalten des Frankenkurses gegenüber dem Euro durch die Nationalbank, d.h. durch eine Exportsubventionierung zulasten der Konsumenten, auf ein volkswirtschaftlich und ökologisch grösser als sinnvolles bzw. verantwortbares Mass erhöht. Das Auslandvermögen der Schweiz beträgt heute schon annähernd 150 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die Aufgabe dieser überhaupt nicht im Interesse der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung liegenden Steuer- bzw. Währungspolitik würde das Wirtschaftswachstum auf ein ökologisch verantwortbareres und volkswirtschaftlich sinnvolleres Ausmass zurückführen. Zudem würde in der Folge ebenfalls die Zuwanderung unweigerlich abnehmen. Auch wenn der Verzicht auf diese Antriebskräfte des Wirtschaftswachstums eine radikale Anpassung unseres Lebensstils nicht überflüssig zu machen vermöchte, würde damit doch ein merkliche Wirkung zeigender erster Schritt in die richtige Richtung gemacht. Karl Egger, per Mail

«Wirtschaft wächst nur, wenn Arbeitskräfte vorhanden sind» Die Aussage von Florian Blumer ist völlig richtig, aber wie er schreibt, will sie niemand hören oder zur Kenntnis nehmen. Wenn wir und die Politiker den Klimawandel und den Umweltschutz ernst nehmen würden, müssten wir lernen, bescheidener zu leben und weniger Energie

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 (0)61 564 90 99 redaktion@vereinsurprise.ch

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und weniger Ressourcen zu verbrauchen. Die Wirtschaft wächst nur, wenn Arbeitskräfte vorhanden sind. In der Schweiz gibt es zu wenige, deswegen suchen sie die Firmen im Ausland. Die Ausländer bedrängen nicht die Schweizer, sie werden in die Schweiz geholt. Dies ist sicher eine Variante – aber dann müssen wir zustimmen, dass uns der Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und ausländische Arbeitskräfte wichtiger sind als Klimawandel und Umweltschutz. Dass die Wirtschaft für wichtiger gehalten wird, zeigt ein Beispiel vom «Klimaweltmeister Deutschland»: Minister Gabriel wehrte sich gegen eine Beschränkung des Co2-Ausstosses in der EU, da dann Mercedes, Porsche und Audi ihre guten und teuren Autos nicht mehr verkaufen könnten. Wolfgang Jeschki, Baden

«Firmen im Ausland bauen» Die an der masslosen Einwanderung interessierten Mächtigen in Wirtschaft, Politik und Medien haben es seit Jahrzehnten immer wieder fertiggebracht, Beschränkungsbemühungen mit emotionalen Schlagworten zu diskreditieren. Sicher, man kann die Initiative kritisieren, aber dass Surprise Werbung dagegen macht, hat mich sehr, sehr enttäuscht. Kaum jemand, der sich für die Ecopop-Initiative äussert, gibt den Ausländern die Schuld an den Zuständen in der Schweiz. Schuld sind die nimmersatten wirtschaftlich und politisch Mächtigen in der Schweiz, sie sind die wirklichen Fremdenfeinde und Menschenverächter. Mit viel Aufwand locken sie ausländische Firmen in die Schweiz. Diese benötigen ausländische Arbeitskräfte, um die Infrastruktur zu bauen und die Firma zu betreiben. Die Produkte müssen sie dann exportieren, die Waren und Lebensmittel für den Bedarf der hergeholten Menschen müssen importiert werden. Es wäre doch vernünftiger und menschlicher, wenn diese Firmen im Ausland gebaut würden, wo die Menschen in ihrer Heimat arbeiten und ein anständiges Auskommen finden könnten! Eine Beschränkung der Einwanderung ermöglicht diese längerfristige Lösung. Eine gerechtere Verteilung der Güter und Vermögen in der Schweiz und auf der Welt sollte auch Ziel unserer Bemühungen sein! Hans Sommer, Lenzburg

BILD: ZVG

Nr. 336: «Und wieder sind die Ausländer schuld» (Kommentar im Vorfeld der Abstimmung über die Ecopop-Initiative)

Starverkäufer Andreas Breu Surprise-Leser Guido Uebelmann aus Frauenfeld schreibt: «Andreas Breu, der am Bahnhof Frauenfeld Surprise verkauft, ist immer freundlich, immer zu einem Gespräch bereit. Ich schlage ihn deshalb zum Starverkäufer vor.»

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Porträt Im Bauch des Berges Alex Camathias, 72, dringt an Orte vor, die 100 Millionen Jahre lang verschlossen waren. Als Strahler findet er in den uralten Klüften der Surselva Kristalle – und seine Seelenruhe. VON NICOLE MARON (TEXT) UND ROLAND SOLDI (BILD)

sem Erlebnis hat Alex Camathias nie darüber nachgedacht, mit dem Strahlen aufzuhören: «Wenn ich in der Natur unterwegs bin, kann ich alles andere vergessen.» Die Toten der Verkehrsunfälle etwa und anderes, das er als Polizist erlebt habe. Die Kristalle seien für ihn nicht nur blosse Faszination. Er spüre auch, wie ihre Energie seinen Körper durchfliesse. «Auch in den Wintermonaten, in denen ich nicht strahlen gehen kann, bin ich stets von Kristallen und Mineralien umgeben. Deshalb bin ich so aufgeladen, dass ich die Energie auch auf andere Menschen übertragen kann.» Wenn er einem über die Arme, Beine und den Rücken fährt – manchmal mit blossen Händen, manchmal mit einem Kristall –, spürt man nicht nur grosse Wärme, sondern auch ein Zucken und Pochen. Er könne Energien aber nicht nur leiten, sagt Camathias, sondern auch ihren Fluss in anderen Körpern spüren. «Ich bin kein Heiler», betont er, «ich kann nur spüren, wo die Energieflüsse entlanglaufen und wo sie stocken.» Einem amerikanischen Touristen sagte er letztes Jahr, um dessen Hüfte stehe es sehr schlecht und er werde wohl kaum um eine Operation herumkommen.

Selber bezeichnet er sich als aufgeladen, verstrahlt im besten Sinn des Wortes. Alex Camathias, 72, war 40 Jahre lang Dorfpolizist in Arosa. Und seit ebenso vielen Jahren ist er als Strahler in den Bergen der Surselva unterwegs. So nennt man die Leute, die sich in die verborgenen Klüfte der Alpen wagen, um nach Kristallen zu suchen. Die Tiefen, in die sie vordringen, sind unberührt: 60 bis 100 Millionen Jahre alt sind die Klüfte, in denen sich durch den Druck und die Hitze bei den damaligen Verschiebungen der Kontinentalplatten Kristalle in den vielfältigsten Farben und Formen herausgebildet haben. Hunderttausende von Jahren hat es gedauert, bis sie ausgekühlt und fest geworden sind. «So etwas in der Hand zu halten, erfüllt mich jedes Mal mit grosser Ehrfurcht vor der Vielfalt der Schöpfung», sagt Camathias. Immer wieder treibt es ihn auf die Suche nach unentdeckten Klüften. «Man muss den Fels lesen können», erklärt er. Schon in der Enzyklopädie des römischen Naturkundlers Plinius sei zu erfahren, welche Zeichen auf eine Kristallkluft deuteten, sagt Camathias: «Wo der Berg eine Nase oder einen «Ich hörte, wie meine Rippen brachen, und dachte, jetzt ist alles vorbei.» Bauch hat sowie von Queradern durchlaufen Dann sah Alex Camathias ein grosses rotes Licht und dachte: «Das ist ist, lohnt es sich, genauer hinzuschauen.» die Hölle.» Um eine Kluft zu öffnen, muss Alex Camathias eine Dynamit-Sprengung vornehmen. Danach arbeitet er mit dem Brecheisen weiter, bis der Eingang gross genug Der Tourist stellte sich als Orthopäde heraus und bestätigte die Diagnoist, um einsteigen zu können – eine stundenlange, erschöpfende Arbeit. se: Er müsse direkt nach dem Urlaub ins Krankenhaus. «Er war fasziDann, im Moment des ersten Augenscheins, wird die Atemlosigkeit zu niert, aber auch entsetzt», erinnert sich Camathias. Der Mann habe geEhrfurcht. Es sind auch diese Momente, für die Camathias immer wiemeint: «Wofür brauchen wir die ganze wissenschaftliche Medizin, wenn der loszieht. Nicht in jeder Kluft befinden sich Kristalle, und die StrahSie mir mithilfe eines Kristalls sagen können, woran ich leide?» ler müssen in Kauf nehmen, dass der ganze Aufwand umsonst war. UmJe nach Wetter zieht Alex Camathias in den schneelosen Monaten bis so mehr Gänsehaut bekommt Alex Camathias aber, wenn er sieht: Diesheute nach Möglichkeit ein Mal pro Woche los. Der Verdienst ist dabei mal hat es sich gelohnt. Nebensache. Zwar verkauft Camathias seine Funde in seinem «KristallIm Überschwang der Gefühle darf die Sicherheit nicht vergessen geHüschi», einem kleinen Ausstellungs- und Verkaufsraum am Aroser hen. Einmal, nur einmal hat Camathias sich zu einer Unvorsichtigkeit Obersee, und auf dem Dorfmarkt. Aber was das Strahlen für ihn so unhinreissen lassen – und hat es fast mit dem Tod bezahlt. Es war 1975 im verzichtbar macht, ist die Ruhe, die er dabei findet – und das HochgeVal Sumvitg, und Camathias war wie üblich alleine unterwegs: «Ich öfffühl, wenn er eine neue Kluft öffnet. nete eine Kluft und kroch hinein, ohne die Decke vorher abzustützen. Sprengen sollte man in den frühen Morgenstunden. Deshalb muss Ein fataler Fehler.» Als er rücklings bereits halb drin lag, stürzte alles Alex Camathias jeweils am Vortag die Lage einer möglichen Kluft ausüber ihm zusammen, ein Hagel von Steinen und Felsstücken, die sich findig machen und verbringt die Nacht oben am Berg im Biwak. Es muss durch die Sprengung gelöst hatten. «Ich merkte sofort, dass das Gewicht alles stimmen. Stabiles Wetter ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, auf meiner Brust enorm war, und ich hörte, wie eine Rippe nach der andenn zu den Klüften führt kein anderer Weg als jener über senkrechte deren brach. Ich dachte, jetzt ist alles vorbei.» Was danach geschah, Felswände, die nur erfahrene Kletterer erklimmen können. «Im Gegenweiss Alex Camathias nicht mehr genau. Nur noch, dass er ein grosses satz zu Kletterern wählen wir Strahler allerdings nicht die herausforrotes Licht sah und dachte: «Das ist die Hölle.» Der Lebenswille überderndste Route, sondern die einfachste», betont Alex Camathias. Trotzwog, Camathias fand die Kraft, sich zu befreien. «Das Licht wurde dem verlangt der Aufstieg einiges an körperlicher Anstrengung. weiss, und irgendwie habe ich es da rausgeschafft.» Alex Camathias ist trotz seiner 72 Jahre topfit – doch er weiss, dass Unter Schock packte er seine Gerätschaften fein säuberlich zusamer nicht ewig strahlen gehen kann: «Man muss vernünftig sein. Sobald men und machte sich mit dem zwölf Kilo schweren Rucksack auf den man keinen sicheren Tritt mehr hat beim Auf- und Abseilen an den Felseineinhalbstündigen Abstieg. Er fuhr sogar noch mit seinem Auto los, wänden oder nicht mehr schwindelfrei ist, muss man aufhören.» Es bis er in Surein auf einen Menschen traf. Er hielt an und bat darum, zum klingt einfach, doch es wird wahrscheinlich einmal die schwerste EntArzt gefahren zu werden. Dann erst brach er zusammen. Schwer verscheidung seines Lebens sein. Auch wenn er mit den Kristallen, die ihn letzt verbrachte er die nächsten Wochen im Spital – doch auch nach dieumgeben, immer verbunden bleiben wird. ■

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BILD: KEYSTONE/SCIENCE PHOTO LIBRARY SPL BRITISH LIBRARY

Charles Dickens wusste, wie man die Menschen zu Mitleid bewegt: Die Geister der vergangenen Weihnacht bringen den Geizhals Ebenezer Scrooge in «Eine Weihnachtsgeschichte» auf den rechten Weg.

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Mitleid Ich, das arme Waisenkind An Weihnachten soll Barmherzigkeit herrschen. Je kälter es wird, desto mehr Mitleid liegt in der Luft. Zeit, sich zu fragen, was das eigentlich ist und was es mit uns macht.

VON DIANA FREI

dann dort am Körper den Schmerz, wo die verletzte Person den Schmerz selber fühlt. Wenn es sich aber eher um einen emotionalen Zustand handelt, ist es eine abstraktere Form des Sich-Hineinversetzens und damit nicht direkt von den Spiegelneuronen abhängig.» Sowohl beim physischen als auch beim psychischen Schmerz kann man sich aber fragen: Fühle ich mich wirklich in den anderen hinein? Ist es nicht eher so, dass ich den Schmerz einfach für mich selber spüre? Dass zwar der Schmerz des anderen zu meinem eigenen wird – aber dass mich der andere vielleicht letzten Endes dabei gar nicht mehr so interessiert? Denn es könnte sein, dass ich mich im anderen (also in Tiny Tim und dem armen Sterntaler-Waisenkind) sah – und dann unter der Bettdecke nur um mich selber weinte. Ein Kind hat schliesslich auch Mitleid mit dem Teddy, weil der den ganzen Tag alleine auf es warten musste. Versetzt man sich ernsthaft in einen Teddy hinein, findet man aber kaum mehr als Füllmaterial aus Polyester. Das sieht doch sehr verdächtig eher nach projizierten Verlassenheitsgefühlen und Selbstmitleid aus als nach Sich-Hineinfühlen. Zum Glück widerspricht Susanne Schmetkamp vom Philosophischen Seminar der Universität Basel meiner These: «Als Selbstmitleid würde ich das Gefühl, das Sie beschreiben, nicht bezeichnen.» Sie hat sich un-

Weihnachtszeit ist Mitleidszeit. Es wird grosszügig gespendet, die saisonalen Geschichten in den Buchhandlungen werden mitleiderregender, die Obdachlosen tun einem in der Kälte besonders leid. Der Advent ist in den Kalender gegossene Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Ich kann mich erinnern, dass mir jeweils im Dezember gewisse herzzerreissende Kinderbücher das Mitleid mit armen Geschöpfen regelrecht eingeimpft haben. Geblieben ist zum Beispiel ein tiefer Eindruck von Charles Dickens’ «Eine Weihnachtsgeschichte» («A Christmas Carol») und ihrer Hauptfigur, dem Geizkragen Ebenezer Scrooge. Besonders zu Tränen gerührt hat mich Tiny Tim, der kränkliche kleine Junge von Scrooges Angestelltem Bob Cratchit. Er geht an einer Krücke, und wenn sich die Lebensumstände der Cratchits nicht bessern, wird er sterben. Im viktorianischen Zeitalter zeigten sich die Folgen der industriellen Revolution, eine breite soziale Schicht von Armen hatte sich herausgebildet, Kinderarbeit war Alltag. Der soziale Realismus beschrieb die Zustände – um Mitleid und im Idealfall Massnahmen auszulösen. Auch im Dänemark des 19. Jahrhunderts entstanden herzzerreissende Geschichten, die die sozialen Verhältnisse beschrieben. In Hans Christian Andersens «Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern» verkauft ein Mädchen an der Stras«Wenn ich weiss, dass es sich nur um eine Fiktion handelt, bin ich ethisch se Schwefelhölzer und stirbt dabei langsam entlastet. Das Mädchen mit den Schwefelhölzern kann ich nicht retten.» den Kältetod. Dann waren da noch «Die Sterntaler» der Gebrüder Grimm: ein Märchen, das ter anderem auf die Philosophie der Gefühle im ästhetischen Kontext als Allegorie eines christlichen Menschen gilt, der barmherzig und spezialisiert, vor allem auf Mitgefühl und Liebe, und führt nun weiter grosszügig gibt, bis er selber nichts mehr hat. Ein armes Waisenkind hat aus: «Sie haben sich allenfalls vorgestellt, wie es wäre, wenn Sie selbst nichts als ein Stück Brot, verschenkt es aber genauso wie sein Röckchen in dieser bedauernswerten Situation wären und haben über sich in der und das Hemdchen. Bis ihm, zum Glück, Sterne als Silbertaler vom Rolle des Schwefelhölzer-Mädchens geweint. Und nicht über sich als Himmel in den Schoss fallen und die Welt für die kindlichen Leser oder Kind, das diese Geschichte liest.» Zuhörer wieder in Ordnung ist. Nun sind das alles ohne Zweifel bewegende Geschichten, aber die Frage drängt sich doch auf, wie sie zuminWieso habe ich mehr Mitleid mit erfundenen Geschöpfen? dest in der Kinderseele fast quälendes Mitleid auslösen konnten. Nicht Trotzdem: Es gibt noch etwas, das mein Mitleid verdächtig macht. nur Mitgefühl, sondern richtiges Mit-Leid. Nämlich, dass mein Mitleid mit Menschen, die erfunden sind, am grössten ist. Mitleid mit einer Filmfigur. Das ist, wie wenn man sich in ein Ist Mitgefühl bloss Selbstmitleid? Betriebssystem verliebt. «Mit fiktiven Figuren können wir Mitleid empDafür seien Spiegelneuronen verantwortlich, hat der Neuropsycholofinden wie mit realen Personen. In der Philosophie wird viel darüber ge Marco Iacoboni 2008 in seinem Buch «Woher wir wissen, was andediskutiert, ob das paradox ist, wenn wir doch wissen, dass alles fiktiv re denken und fühlen» erklärt: «Menschen besitzen die erstaunliche Fäist», sagt Philosophin Susanne Schmetkamp und sieht auch das enthigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, mitzufühlen, Absichten und spannt: «Wir üben in dieser Weise imaginativ Situationen ein und empHandlungen intuitiv zu verstehen. Seit einigen Jahren weiss man, dass finden auf dieser Grundlage Gefühle, die nicht irrational sind, da sie sich dies durch spezialisierte Nervenzellen im Gehirn, die sogenannten Spieauf Belange beziehen, die für die Wirklichkeit von Bedeutung sind. Allergelneuronen, ermöglicht wird.» Fragt man allerdings Professor Peter dings unterscheidet sich dieses Mitleid trotzdem entscheidend von dem Brugger, Leiter der Neuropsychologie an der Universität Zürich, macht mit realen Personen: Da ich weiss, dass es sich nur um eine Fiktion haner einen Unterschied zwischen körperlichem und emotionalem Mitleidelt, bin ich ethisch entlastet. Ich bin nicht zur Hilfe aufgefordert. Das den: «Wenn es um einen physischen Schmerz geht, zum Beispiel um die Mädchen mit den Schwefelhölzern kann ich nicht retten. Aber ich lerne Verletzung einer Hand, dann sind es die Spiegelneuronen, die es uns erdas Leiden anderer nachzuvollziehen und kann idealiter dieses Wissen möglichen, uns in die verletzte Person hineinzuversetzen: Wir fühlen SURPRISE 339/14

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für die wirkliche Welt verwenden.» Durch diese Handlungsunfähigkeit könnte es sein, dass sich Zuschauer und Leser auch oftmals stärker auf ihr Mitgefühl einlassen. «In der Wirklichkeit wehren sich manche dagegen, unter anderem, weil es sie moralisch gesehen etwas kosten würde.» Dass Geschichten Mitleid auslösen können, ist klar. Nicht umsonst spricht man schliesslich von Identifikation: Wenn sich der Zuschauer nicht in eine Figur hinein fühlen kann, wird ihn die Geschichte eher weniger interessieren. Während es heute aber eher um die überzeugende Story geht, bestand die zentrale Funktion der Literatur für den Aufklärer Lessing in der Vermittlung von moralischen Lehrsätzen. So sollte ein Trauerspiel beim Zuschauer auch Mitleid hervorrufen, um seine Seele zu reinigen – mit anderen Worten: um ihn zu einem moralisch besseren Menschen zu machen. Lessing bezieht sich damit auf Aristoteles’ Poetik, die dasselbe Ziel hatte. Auch im christlichen Sinn geht es beim Geschichtenerzählen natürlich nicht darum, Verkaufszahlen zu steigern, sondern um einen moralischen Anspruch. «Es gibt so etwas wie eine natürliche Neigung, vom Leiden anderer in irgendeiner Weise bewegt zu werden», sagt Christoph Ammann, Theologe am Institut für Sozialethik der Universität Zürich, und führt aus: «Diese Neigung muss aber kultiviert werden. Dazu gehört, dass wir lernen, in den richtigen Situationen Mitleid zu empfinden. Das lernen wir von unseren Bezugspersonen, aber auch durch Geschichten und Filme.»

moralisches Gefühl. Man kann sie aber als Voraussetzung für echtes Mitleid verstehen: «Nur indem ich mich in die Perspektive der anderen Person hineinversetze, vollziehe ich deren Situation nach und kann ein Mitgefühl entwickeln, das angemessen ist.» In den letzten rund 30 Jahren fokussiert sich die Philosophie verstärkt auf die Empathie und die Mitgefühle: «Vor allem in den Literatur- und Filmwissenschaften wurde in den letzten Jahren über verschiedene Formen des Mitfühlens, insbesondere mit fiktiven Charakteren, diskutiert», sagt Schmetkamp. Wann hat der Mensch Mitleid verdient? Das Mitleid mit erfundenen Figuren funktioniert ja ganz gut (unter anderem weil wir, wie gesehen, nicht helfend eingreifen müssen). Im Alltag hat doch manch einer Mühe damit, denn hier könnte / müsste / sollte geholfen werden. Und zwar so sehr, dass mancher es im Zweifelsfall doch lieber bleiben lässt. «Soll man Bettler unterstützen?», «Wann hat der Mensch Mitleid verdient?» und «Wie erreicht man umfassende Menschenliebe?» sind Fragen, die dem Psychoanalytiker und Satiriker Peter Schneider gestellt wurden, der im Tages-Anzeiger eine wöchentliche Kolumne zu Leserfragen schreibt. Schneider führte zu der letzten Frage «etwas ganz Schlichtes» an: «nämlich, sich spontanes Mitleid nicht zu verkneifen. Es nicht für eine Tugend zu halten, hart, aber gerecht zu sein. Und weder sich noch andere dafür zu verachten, wenn sie weich werden.» Menschen tendieren manchmal tatsächlich dazu, das Mitleid, sollte es denn spontan als Gefühl auftauchen, wegzurationalisieren. Und das Mitleid an das System zu delegieren. Man sagt sich: Die bekommen ja Sozialhilfe. Und bei den Ausländern: Die müssten ja nicht zu uns kom-

Sind wir bessere Menschen, wenn wir Mitleid haben? Glaube und Kirche haben allerdings stark an Bedeutung eingebüsst. Heute ist Religion individualistischer geworden, vielen Menschen geht es eher um eine individuelle Erfahrung von Spiritualität. Wie aber wirkt sich das auf das Mitleid aus? Auf die klassischen christlichen Werte wie Nächstenliebe «Es gibt so etwas wie eine natürliche Neigung, vom Leiden anderer in und Barmherzigkeit? «Für das Mitleid oder die irgendeiner Weise bewegt zu werden. Diese Neigung muss aber kultiviert Barmherzigkeit im christlichen Sinn scheint werden.» mir ein starker Individualismus die grösste Gefahr zu sein», sagt Christoph Ammann. «Wenn men. Und dass ein Junkie, auch wenn er, wenn man das finden will, seleine Weltsicht um sich greift, die eine Gesellschaft als eine Assoziation ber schuld ist, sich vielleicht trotzdem freut über zwei Franken, ist bei von unverbundenen Individuen versteht, dann bedeutet das, dass mich den meisten nicht der handlungsleitende Gedanke. Kommt hinzu, dass der andere grundsätzlich erst einmal nichts angeht.» Das habe dann ein entsprechender Akt der Barmherzigkeit unter Beobachtung der Mitaber wenig mit dem christlichen Verständnis von Barmherzigkeit zu tun. menschen stattfindet. Die einen dann für naiv halten. Weil man doch Man sieht: Mitleid, Nächstenliebe und Barmherzigkeit führen zu eiwissen sollte, dass der sich damit nur den nächsten Schuss setzt. Dass nigen Definitionsfragen: Ist Mitleid Leiden mit dem anderen, ist es Sicher selber schuld ist. Und dass die Sozialhilfe zuständig ist. Hineindenken? Ist Mitleid sinnlos, wenn ihm keine guten Taten folgen? Das Mitleid hat im Alltag einen schweren Stand. Vielleicht ist NietzSind wir bessere Menschen, wenn wir Mitleid empfinden? Ist Mitleid ein sche daran schuld, der finstere Absichten witterte, wenn jemand Mitleid Gefühl oder ein Akt der Vernunft? Es verwundert nicht, das sich schon erweckt: «Man beobachte Kinder, welche weinen und schreien, damit die klassischen Philosophen daran abgearbeitet haben. Im 17. und vor sie bemitleidet werden, und deshalb den Augenblick abwarten, wo ihr allem im 18. Jahrhundert avancierte das Mitleid zum zentralen sozialen Zustand in die Augen fallen kann; man lebe im Verkehr mit Kranken und Gefühl und wurde im Rahmen einer Ethik der Gefühle diskutiert. Geistig-Gedrückten und frage sich, ob nicht das beredte Klagen und Susanne Schmetkamp nennt den klassischen Philosophen Arthur SchoWimmern, das Zur-Schau-Tragen des Unglücks im Grunde das Ziel verpenhauer, der die sogenannte Mitleidsethik begründet hat, als wegbefolgt, den Anwesenden weh zu tun.» Lebte Nietzsche heute, er sähe reitend: «Bei Schopenhauer gründet das moralische Handeln auf Mitgebloss Sozialschmarotzer. fühl und nicht wie bei Kant – gegen den Schopenhauer vor allem Sollte das wahre Leben also irgendwann kein Mitleid mehr zulassen, anschreibt – auf vernunftgeleiteter Einsicht.» Friedrich Nietzsche war ein bleiben noch die Geschichten. Und es könnte sein, dass Bücher und FilKritiker des Mitgefühls nach Schopenhauer, der schottische Moralphilome doch nicht nur zur Unterhaltung, sondern tatsächlich zur moralisoph Adam Smith dagegen bezeichnete mit «Sympathy» das Mitfühlen schen Bildung beitragen würden. Nur holen «Die Sterntaler» vielleicht mit dem Leiden oder den Freuden anderer und sah darin eine Motivairgendwann niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Da erbarmen wir tion, das Leiden des anderen zu lindern oder die Freude zu teilen. uns und schenken allen auf die Festtage hin einen Tipp: Es ist der 25In der Philosophie, vor allem in der angelsächsischen, werde heutminütige Disney-Kurzfilm namens «Micky’s Weihnachts-Erzählung» aus zutage besonders über den Begriff der Empathie im Unterschied zu dem dem Jahr 1983: eine Adaption von Charles Dickens’ «Eine Weihnachtsder Sympathie diskutiert, sagt Susanne Schmetkamp. Eine Unterscheigeschichte». Immerhin heisst Dagobert Duck in sämtlichen Geschichten dung, die sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts etabliert habe: «Symim englischen Original Scrooge McDuck – in Anlehnung an Charles pathie – im Englischen gängiger als im Deutschen – steht für das, was Dickens’ Geizhals Ebenezer Scrooge. Und Donald, der kann einem eh wir alltagssprachlich mit Mitleid oder Mitgefühl bezeichnen, und hat jahraus, jahrein leid tun, nicht nur zu Weihnachten. Egal, ob wir wirkmoralische Implikationen: Mit wem ich Mitleid – oder Mitgefühl – habe, lich fähig sind, uns in eine Ente mit Matrosenanzug hineinzuversetzen dessen Wohlbefinden liegt mir am Herzen, dessen Leid will ich lindern.» – wir können bestimmt wieder lernen zu sagen: Donald, das bin ich. ■ Empathie, das Einfühlen in den anderen, sei dagegen noch kein solch

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BILD: KEYSTONE/ALEXANDRA WEY

Pro Infirmis landete einen Social Media-Hit mit Schaufensterpuppen an der Zürcher Bahnhofstrasse, die körperlich Behinderten nachempfunden waren: 17 Millionen Mal wurde das Youtube-Video der Aktion angeklickt.

Hilfswerke Digital herausgefordert Was Spenden bringt, war jahrzehntelang klar: massenhaft Bettelbriefe und schöne Broschüren. Aber die Generationen lösen sich ab, und das Geschäft verlagert sich in die sozialen Medien. Das ist neues Terrain: spannend, lustvoll – aber unerforscht. VON STEFAN MICHEL

Haben Sie schon gespendet? Bestimmt haben Sie in den letzten Wochen zumindest daran gedacht, denn Plakate, Inserate und aufwendig gestaltete Magazine erinnern Sie täglich daran. Der Dezember ist der Zahltag der Spenden sammelnden Organisationen: Gegen 40 Prozent der jährlichen Spendeneinnahmen fliessen dann auf die Konten mancher Schweizer Hilfswerke. Und es kommt noch besser, denn die gemeinnützigen Zuwendungen steigen seit Jahren. Die Schweizerische Zertifizierungsstelle Zewo meldet: Bald wird das Spendenvolumen wieder den Allzeit-Höchststand aus der Zeit nach dem Tsunami von 2004 erreicht haben. Was sich ändert, sind die Wege, die zum Geld führen. Gerade die grössten Non-Profit-Organisationen (NPO) sehen sich intensiv nach neuen Formen um, die Öffentlichkeit für ihre Sache zu gewinnen. SURPRISE 339/14

Bettelbriefe werden sie verächtlich genannt, die Zusendungen, in denen uns die Organisationen über die Probleme informieren, derer sie sich annehmen, stets gefolgt vom Spendenaufruf. Eingebürgert haben sich auch aufwendig gestaltete Magazine, in denen mit starken Bildern und deutlichen Worten gezeigt wird, weshalb es sinnvoll ist, etwas eigenes Geld in den Kampf gegen die Ausbeutung von Kindern, den Klimawandel oder die Ausrottung einer Tierart zu stecken. So funktioniert das seit Jahrzehnten. Die Frage ist: Wie lange noch? Andreas Freimüller arbeitet für das Kampagnenforum, eine Agentur, die unter anderem Kampagnen für Terre des Hommes und Blutspende Schweiz entwickelt hat. Er kennt die Herausforderungen der NPO: «Fast bei jeder Organisation heisst es: Unser Hauptspender ist eine Spenderin zwischen 50 und 70 Jahren. Diese Generation müssen sie ersetzen, denn die Jüngeren spenden anders.» Der erste Unterschied ist die Treue: Während die ältere Generation typischerweise während Jahrzehnten den

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BILD: REUTERS/CHRISTINNE MUSCHI

gleichen Organisationen Geld überwies, wechseln die Jüngeren die Adressaten häufiger. Noch wichtiger ist der Wandel, den das Internet gebracht hat. Daniel Graf, Berater für Online-Campaigning und Dozent an mehreren Schweizer Hochschulen, erklärt: «Die sozialen Medien sind für NPO eine grosse Herausforderung. Denn bis vor Kurzem sammelten sie ihre Spenden in einem geschützten Markt. Dank Internet und sozialen Medien kann jeder NPO spielen.» Worauf Graf anspielt, ist das alte Rezept des Fundraising: Man lasse in der ganzen Schweiz Plakate aushängen und verschicke einige hunderttausend Briefe, Kostenpunkt über eine halbe Million Franken, und hole so einige Millionen herein. Nur die grossen Organisationen konnten sich das leisten und räumten die grössten Stücke des Spendenkuchens ab. Heute ist es möglich, mit einer guten Idee und einem Handy-Bild zu minimalen Kosten innert Kürze Millionen Menschen zu erreichen. Kampagnen-Spezialist Freimüller nennt es «die Demokratisierung der Aufmerksamkeitsökonomie». Dass es billiger geworden ist, Botschaften an Menschen zu schicken, kommt auch den grossen, etablierten Organisationen zugute. Doch typischerweise operieren sie auch online teurer. So arbeiten sie monatelang zusammen mit einer PR-Agentur an einer Online-Kampagne, und ihre Spender-Magazine und Brief-Versände müssen sie weiterhin stemmen. Geteilt ist nicht gespendet «Der Anteil der über Online-Kanäle gesammelten Spenden liegt bei grösseren Schweizer Organisationen im einstelligen Prozentbereich», ordnet Andreas Cueni von Swiss Fundraising ein, dem Verband der Schweizer Fundraiser. Er fährt fort: «Seit 15 Jahren diskutieren wir, wann die Online-Kommunikation die Spendenbriefe ablöst. Bis heute ist das nicht geschehen.» Zu den 70-jährigen traditionellen Spenderinnen Promis nominierten sich gegenseitig für die ALS Ice Bucket Challenge: Kanadische meint er: «Mindestens einem Drittel der Pensionierten geht es finanziell Spitzenpolitiker machen das Spiel gleich nach einer Ratsversammlung mit. prächtig, und die Mehrheit entscheidet noch mit über 80 völlig selbständig. Da sind Spenden-Bereitschaft und Fähigkeit weit grösser als bei gerne teilen, beweist Graf selber mit Kampagnen, an denen er mitgejenen, die bis 50 immer noch eine Ausbildung anfangen.» wirkt hat. Etwa die fingierte FIFA-Website, auf der Sepp Blatter die soziAuch für Cueni ist jedoch unbestritten, dass die digitalen Kanäle alen Probleme Brasiliens schwungvoll wegtanzte. Hinter der Aktion wichtiger werden. Er verweist auf eine Spendenaktion eines der ältesstand Solidarsuisse. Sie forderte die User auf, sich mit dem Handy bei ten Hilfswerke: des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). Als Mitte Mai 2014 erste Nachrichten von grossen Überschwemmungen auf dem Balkan in der Schweiz Es geht um mehr als den Wechsel vom Einzahlungsschein zur Onlineeintrafen, meldeten sich viele beim SRK und Spende. Für Experte Freimüller zählt heute: Geschichten erzählen und fragten, was sie tun könnten – nicht nur per Tedem User darin eine Rolle geben. lefon, sondern auch per SMS, Facebook und Twitter. Das SRK, in den Balkan-Ländern gut einem Buh-Ruf zu filmen und diesen Clip an die Organisation zu senvernetzt, veröffentlichte auf der eigenen Website, Facebook und Twitter den. Mehrere hundert Buh-Filmchen gingen an Solidarsuisse und von eine Meldung mit einem Link, über den gespendet werden könne. Über dort weiter an die FIFA. die sozialen Medien verbreitete sich die Online-Spendenmöglichkeit raAufmerksamkeit und Spenden sind freilich zwei verschiedene Dinge. sant weiter. Innert drei Tagen spendeten vor allem Menschen mit AngeDas massenhafte Teilen von Videos und anderen Inhalten über soziale hörigen im Katastrophengebiet über 300 000 Franken. Interessant findet Medien bedeutet nicht, dass auch viele Spenden eingehen. «Über soziaCueni: «Sie schickten nicht Geld an ihre Verwandten, wie das viele Menle Medien kann man Menschen mit einer Botschaft erreichen, aber für schen mit Familien in einem anderen Land tun, sondern sie vertrauten Spenden sind sie völlig nutzlos», hält Campaigner Andreas Freimüller einem Schweizer Hilfswerk.» Das Vertrauen der potenziellen Spender ist fest. «Ein Fan wird nicht auf Facebook zum Spender. Dazu muss man die entscheidend, das weiss jede Mittelbeschafferin einer Organisation. Es Menschen auf die eigene Website holen und die Beziehung zu ihnen spendet nur, wer überzeugt ist, dass der Empfänger seines Beitrags davertiefen.» mit etwas Sinvolles tut. Das hindert die grossen Hilfswerke nicht daran, in grossem Stil in die Social-Media-Dozent Daniel Graf fügt einen Schlüsselbegriff hinzu: sozialen Medien zu investieren, in der Hoffnung, in ein paar Jahren Authentizität. «Ich finde gut, was meine Freunde gut finden, denen ich Spenden ernten zu können. Berater und Dozent Daniel Graf betont: vertraue», präzisiert er. Das Engagement erhält etwas Persönliches. Man «Auch die grossen Hilfswerke brauchen heute virtuelle Communities. macht mit, weil die Freunde mitmachen. Für Graf spricht das aber eher Aber ein Social-Media-Verantwortlicher allein kann das nicht erreichen. für neue, kleine Organisationen. «Authentisch ist etwas, dessen AbsenDazu muss man viel mehr Leute einbinden.» Leute ausserhalb der eigeder eine Person ist, der man nahe steht, und nicht eine grosse Organinen Organisation, wohlverstanden. sation.» Für die grossen Schweizer NPO sei es nicht einfach, diese AuWährend neue soziale Bewegungen als Facebook-Gruppe beginnen, thentizität zu erreichen. Dass auch die etablierten Hilfswerke Botschafversuchen die etablierten Hilfswerke, Teile der Öffentlichkeit zu ihren ten aussenden können, die junge Menschen über Facebook und Twitter

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Online, Blick Online oder Newsnetz darüber berichtet wird. Diese InBotschaftern zu machen. Helvetas beispielsweise tut das über die Webhalte finden bereits breite Beachtung und werden dann über Social-Mesite life-changer.ch. Dort wird man dazu animiert, selbst eine Spendendia-Kanäle geteilt. aktion zugunsten von Helvetas durchzuführen: sei es eine Party mit eiEinen Social-Media-Hit landete Pro Infirmis mit Schaufensterpuppen nem Sammeltopf, sei es, sich sauberes Trinkwasser zu Weihnachten zu an der Bahnhofstrasse, die körperlich Behinderten nachempfunden wawünschen oder indem man sich als Teilnehmer eines Sportanlasses mit ren. Kommunikationschef Mark Zumbühl ist die Zufriedenheit noch ein Spenden «sponsern» lässt. Jahr danach anzumerken: «Wir haben gehofft, dass die Aktion ein Er«Peer-to-Peer-Fundraising» wird das genannt, Mittelbeschaffung von folg wird, aber dass das Video auf Youtube 17 Millionen Mal angesehen Gleich zu Gleich sozusagen. Bei Helvetas ist Peter Haberstich dafür verwird, darauf kann man nicht hoffen.» Eine Vereinbarung zwischen Pro antwortlich. Er räumt ein, dass man mit dieser Form noch am Anfang Infirmis und 20 Minuten garantierte, dass am ersten Tag der Kampagne stehe. «Beim klassischen Fundraising hat man jahrzehntelange Erfahauf 20 Minuten Online darüber berichtet wurde. Am Mittag stand eine rung und weiss gut, was funktioniert. Wir aber betreten Neuland. Was TV-Equipe des deutschen Privatsenders RTL vor dem Schaufenster und wir tun, ist ein Experiment.» Haberstich versucht beispielsweise herfilmte. Bald berichteten Medien von Australien bis in die USA über die auszufinden, welche Inhalte besonders gerne in sozialen Netzwerken «handicapped mannequins». Die Aufmerksamkeit ging weit über das geteilt werden. Gebiet hinaus, in dem Pro Infirmis wirkt. Doch während man in der klassischen Spendenakquisition per BriefZumbühl betont: «Das war keine Spendenkampagne, sondern eine, Versand weiss, wie viele Briefe im Schnitt wie viel Rücklauf bringen, die für das Thema Behinderung sensibilisieren und Pro Infirmis ein jundass ein kleines Geschenk oder ein Magazin den Ertrag steigern, sind ges Image geben sollte. Nirgends war ein Spendenaufruf, ja nicht einmal die Daten, die das Internet liefert, viel schwieriger zu interpretieren. Haberstich gibt ein Beispiel: «Wenn jemand auf dem Handy den Like-Button klickt und dann Während die ältere Generation typischerweise während Jahrzehnten auf dem Heimcomputer eine Spende macht, den gleichen Organisationen Geld überwies, wechseln die Jüngeren die dann sehen wir diesen Bezug nicht.» So sind Adressaten häufiger. die Social-Media- und Peer-to-Peer-Abteilungen der Non-Profit-Organisationen heute in eine Konto-Nummer zu sehen.» Umso mehr freute er sich, dass schon der unangenehmen Lage, dass sie vor allem Geld kosten und sich nicht in den ersten vier Tagen über eine Million Menschen den Film gesehen nachweisen lässt, wie viel Spenden dank ihnen eingehen. Doch wer den hatten und gleichzeitig der Spendeneingang deutlich anstieg. «Der Film digitalen Zug heute verpasst, darüber sind sich die Experten einig, wird hat die Leute überzeugt, dass wir eine gute Arbeit machen. Dass sie in einigen Jahren ein grosses Problem haben. spendeten, ohne dass wir sie dazu aufgefordert haben, ist mir sogar noch sympathischer.» Wohltätiger Virus Facebook, Youtube, Twitter und andere soziale Medien können den Die höchste Stufe, die eine Online-Kampagne erreichen kann ist, dass Non-Profit-Organisationen Aufmerksamkeit verschaffen, wie sie sie sie «viral» wird, das heisst von Online-Medien und Einzelpersonen so oft noch nie hatten. Doch lässt sich die «Flughöhe» einer solchen Aktion geteilt wird, dass sie sich wie ein Virus im Netz verbreitet. Jüngstes und schwer voraussagen, ein Hype lässt sich kaum planen. Und wiederhoerfolgreichstes Beispiel ist die «Ice Bucket Challenge» der amerikanilen auch nicht. Graf ist überzeugt: «Würde heute jemand eine Kampagschen ALS Association ALSA, welche die Nervenkrankheit ALS zu stopne im Stil der Ice Bucket Challenge starten, würden das alle als billige pen versucht. Millionen schütteten sich diesen Sommer einen Eimer EisKopie abtun und nicht mitmachen.» Braucht es immer spektakulärere wasser über den Kopf, veröffentlichten einen Videofilm davon auf YouIdeen? Bleiben jene Organisationen auf der Strecke, die ohne Lärm zu tube und nominierten weitere Personen, die innert 24 Stunden das Gleimachen ihre gemeinnützige Arbeit verrichten? che tun mussten. Weil auch unzählige Prominente mitmachten (und «Nur den Clown zu spielen, ist keine kluge Strategie», findet Onlinestets weitere Prominente nominierten), berichteten die Medien täglich Campaigner Graf. Für Freimüller vom Kampagnenforum geht es darum, und verlinkten immer neue Filmchen von klatschnassen und nach Luft Geschichten zu erzählen und dem User darin eine Rolle zu geben – die schnappenden Celebrities. Der Eiskübel-Wettbewerb beweist zugleich, Arbeit der NPO und der Beitrag des Spenders als Fortsetzungsgeschichdass es möglich ist, mit einer Social-Media-Kampagne Geld zu sammeln te. Es geht um mehr als den Wechsel vom Einzahlungsschein zur Onli– und wie: Über 100 Millionen Dollar flossen innert weniger Monate auf ne-Spende. Es geht um eine neue Art, die Spendenden anzusprechen. das Konto der ALSA, ein Mehrfaches dessen, was die Organisation zuNoch finanziert die treue alte Spenderinnen-Generation die Hilfswerke vor während eines ganzen Jahres gesammelt hatte. – und deren Versuche, die digitale Generation zu gewinnen. Und auch «Wer als Berater einem Kunden eine virale Kampagne verkauft, der in den sozialen Netzwerken will ein einmal gewonnener Freund oder lügt», ist Daniel Graf überzeugt, «denn er verspricht etwas, das man gar Follower immer wieder von Neuem überzeugt werden, dass er oder sie nicht planen kann.» Reiner Zufall sei es aber auch nicht, wenn eine die richtige Organisation unterstützt. Gutes tun und darüber sprechen: Kampagne abhebe. «Als Faustregel gilt: Erst wenn die grossen OnlineIm Moment mag das noch ausreichen. Gutes tun und es immer wieder Medien mitziehen, kann eine Kampagne viral werden.» Deshalb verneu verpacken: Das ist die Zukunft. sucht Graf immer zu erreichen, dass in der Startphase auf 20 Minuten ■ Anzeige:

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Wiederverwertet Das Container-Menü Von Priska Wenger (Bilder und Text) Redaktion: Diana Frei

Martin B., 33 Jahre alt, Elektriker* * Martin B. ist eine fiktive Figur, aber aufgrund von realen Interviews mit Leuten entstanden, die «containern» gehen – also weggeworfenes Essen aus den Abfallcontainern fischen.

Ein illustriertes Interview

holt sich sein Abendessen am liebsten aus dem Abfall ... und zwar aus Überzeugung. «Es wird viel zu viel weggeworfen»

mit Martin B.

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Martin B., was findest du am häufigsten im Müll?

Wie frisch ist der Blumenkohl aus dem Abfall?

Das kommt ganz darauf an, wo man zum Containern hingeht. Bei einem Supermarkt sind es vor allem Gemüse und Obst, manchmal Backwaren. Die Auswahl ist zuweilen etwas eintönig. Dafür gibt es von einem Produkt dann gleich ganz viel. Die grossen Läden schmeissen meist alles raus, wenn sie eine neue Lieferung kriegen.

Hmmm … Ich weiss nicht, ob meine Freunde an einem Geschenk aus dem Abfall Freude hätten. Verrätst du die Herkunft deiner Gaben? Das Chutney ist gut angekommen und war auch wirklich lecker. Ich finde nicht, dass ich das sagen muss. Die Sachen sind einwandfrei. Zudem weiss mein Freundeskreis, dass ich containern gehe. Wenn das jemand nicht essen will, sollen sie es sein lassen.

Erstaunlich frisch! Klar, das eine oder andere ist angeschlagen, aber das kann rausgeschnitten werden. Die Verwertung solcher Funde braucht etwas Geschick und Kreativität. Mein Weihnachtsgeschenk an meine Familie letztes Jahr war ein hausgemachtes Gemüse-Chutney.

Wie weisst du denn, wie lange die Sachen schon im Container liegen?

Fruchtfliegen sind immer ein sicherer Hinweis.

… und sonst verlasse ich mich auf meine Sinne. Wurde dir schon mal schlecht vom Essen aus dem Container? Nein. Das letzte Mal, als es mir wirklich übel ging, war es wegen einem Sandwich. Und das hatte ich gekauft.

Salami, das geht ja noch, aber Rohfleisch aus dem Abfall! Das hört sich nun doch ziemlich riskant an!

Was sind richtige Glücksfälle?

Freunde von mir haben einmal Feinkostsalami von 130 Franken das Kilo gerettet. SURPRISE 339/14

Ich hab mal 4 kg Entrecôte aus dem Müll gezogen! Der Verkaufspreis war um die 60 Franken pro Kilo. Das gab einen schönen Grillabend!

Ja, klar, da muss man schon vorsichtig sein. Aber wenn das Vakuum der Verpackung okay und das Fleisch noch schön kühl ist, dann geht das schon. Aus ethischer Sicht ist es pervers, Fleisch wegzuwerfen! Wenn ich Fleisch kaufe, achte ich darauf, dass es aus artgerechter Haltung ist. Wenn es aber im Container liegt, spielt es keine Rolle, wo es herkommt. Dadurch, dass ich das Fleisch aus dem Abfall esse, gebe ich dem Tod dieser Tiere wenigstens einen Sinn.

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Du kaufst also kaum im Laden ein?

Gewisse Produkte kaufe ich nach wie vor. Das meiste, was ich verwende, ist aber Essen, das andere nicht mehr haben wollen.

Warum soll ich etwas kaufen, das eine halbe Stunde später gratis im Container liegt? Da hole ich es mir lieber dort und tue damit ökologisch etwas Sinnvolles. In der Schweiz landen rund 250 000 Tonnen Lebensmittel pro Jahr im Abfall.

Wo gehst du containern?

Ich gehe meist zu Supermärkten, da ist der Überschuss am grössten. Containern kann man jedoch überall dort, wo Lebensmittel im Abfall landen und dieser zugänglich ist. Containern macht Spass, man weiss nie, was man findet. Muss man dazu in den Container rein und richtig im Müll wühlen? Gibt es schon, aber wenn man sich ein bisschen auskennt, weiss man, wo und wann man hinkann. Oder man nimmt, was oben drauf ist. Und man darf sich in den Containern einfach so bedienen? Tja, nein, eigentlich nicht. Auch Müll gehört jemandem. Greift man in den Container, vergreift man sich am Eigentum eines anderen … und das ist bekanntlich illegal.

Helfen einem die Läden? Wissen die davon? Sie wissen davon, und sie mögen es nicht. Manche streuen Waschmittel auf die Lebensmittel, damit sie ungeniessbar werden. Andere sind toleranter.

Ich habe von einem Laden gehört, wo die Verantwortlichen wussten, dass bei ihnen Leute containern, aber sie störten sich nicht daran. Doch die Anwohner haben sich über die späten Besucher genervt und die Polizei gerufen. Der Laden wurde gezwungen, den Container einzuzäunen. So was ist schade.

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Worauf muss man beim Containern achten? Keine Sauerei hinterlassen. Diejenigen, die am Morgen den Müll wegräumen, sollen nicht mehr zu tun haben als vor meinem Besuch.

Keine Container aufbrechen. Respektvoll mit dem Besitz anderer umgehen. Leider gibt es Menschen, die immer wieder Sachen beschädigen.

Keinen Lärm machen, damit man niemanden stört, vor allem die Anwohner nicht.

Warum containerst du? Aus konsumkritischer Lebenshaltung, Geldmangel, Nervenkitzel?

Ganz klar aus einer konsumkritischen Haltung heraus.

Ich finde es absurd, wie viel weggeschmissen wird, und zwar im Allgemeinen – nicht nur auf Lebensmittel bezogen. Beim Containern geht es mir um eine ökologisch bewusste Haltung und nicht darum, Waren gratis in Unmengen zu horten. Klar kann damit auch Geld gespart werden. Es gibt bereits verschiedenste Projekte und Einrichtungen, die Lebensmittel nach abgelaufenem Verkaufsdatum abgeben, doch landet nach wie vor viel zu viel ungenutzt im Müll. Es muss doch einen Weg geben, dass diejenigen, die wollen, diese Waren nehmen können. Jedermanns Sache ist es nicht, sich das Essen aus dem Müll zu holen. Und das ist auch völlig in Ordnung so. Doch eine gewisse konsumkritische Haltung sollte jeder haben, das würde den Wegwerfwahn eindämmen. Was meinst du mit konsumkritischer Haltung genau? Dass zum Beispiel allzu strenge Richtlinien zu Frische und Verfalldaten einfach so angenommen werden, ohne sie zu hinterfragen.

Auch wenn das Verfalldatum abgelaufen ist, schmeckt das meiste noch einwandfrei, zumindest für eine Weile. Und wenn die Sachen dann wirklich scheusslich schmecken, dann geht’s ab in den Müll … bei mir zum zweiten Mal … Hahaha!

Ich finde es krass, was in Läden jahraus, jahrein angeboten wird. Ein riesiges Überangebot. Zudem wird das Zeug aus jeder Ecke der Welt eingeflogen. Echt! Wer braucht eine geschmacklose Erdbeere im Winter?

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Das Brot soll jederzeit frisch aus dem Ofen kommen und jede Karotte muss gleich lang sein? Ist das wirklich nötig? Ein Gemüse wegen der Form nicht zu verkaufen oder zu essen, ist für mich unverständlich.

Für die Läden ist es günstiger, einfacher und sicherer, Produkte wegzuwerfen. Meiner Meinung nach sollte es normal sein, Dinge wegzugeben, die nicht mehr gebraucht werden.

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Ivo Adam Die Rezeptidee vom Profi Nachdem Martin B. seinen Rucksack in einer Container-Nacht füllen konnte, haben wir die Zutaten dem Starkoch Ivo Adam übergeben. Er macht exklusiv für Surprise einen Rezeptvorschlag. Und sagt, ob er selber abgelaufene Lebensmittel kaufen würde. Herr Adam, Spitzenküche und abgelaufene Lebensmittel – das geht gar nicht zusammen. Hatten Sie keine Bedenken, für uns ein Rezept mit Zutaten aus dem Abfall zu kreieren? Was man als Koch schon früh lernt, ist der richtige und sparsame Umgang mit Lebensmitteln. So ist es wichtig, aus allen Teilen eines Lebensmittels etwas zu machen – zum Beispiel mit Knochen und den Rüstabfällen des Gemüses einen Fond anzusetzen. Natürlich ist

es bedenklich, wie teilweise mit Lebensmitteln umgegangen wird. Die Konsumenten haben sich enorm an die Perfektion von Lebensmitteln gewohnt. Einige Detaillisten versuchen, wieder natürliche Formen von Gemüse und Früchten in die Regale zu bringen. Ich weiss nicht, mit welchem kommerziellem Erfolg. Aber ich finde das gut: Der Apfel muss nicht immer die gleiche Grösse haben, und eine kleine Delle tut dem Geschmack keinen Abstrich. Es muss ein Umdenken stattfinden.

Wären Sie entsetzt, wenn Sie Martin B.s Chutney geschenkt bekämen? Nein, wieso? Man muss unterscheiden zwischen Abfall und abgelaufenen Lebensmitteln. Die Etikette sagt ja oft: «mindestens haltbar bis». Klar, es gibt Dinge, die schädlich werden, aber andere sind einfach nicht mehr 100 Prozent frisch. Bei einem Chutney sehe und schmecke ich das ja nicht. Wie läuft das in der Spitzengastronomie: Was wird nach einem Tag schon weggeworfen und was darf man länger verwenden? In der Gastronomie läuft das etwas anders als im Verkauf. Gerade in der Spitzengastronomie sind die Mengen viel kleiner. Zudem arbeiten wir so viel wie es geht à la minute. Es werden nur Lebensmittel zubereitet, die auch gleich verwendet werden. Auch die Anzahl zu verwendender Portionen lässt sich einfacher berechnen. Noch einfacher wird es, wenn man einzelne Menüs verkauft und nicht eine riesige À-la-carte-Karte anbietet.

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BILD:

Ivo Adam ist ein Aushängeschild der Schweizer Gastronomieszene. Mehrfach mit Auszeichnungen, Punkten und Sternen dekoriert, leitet der Unternehmer und Chefkoch mehrere Gastronomiebetriebe der Seven-Gruppe. Zudem ist er Autor mehrerer Kochbücher und reiste in seiner Fernsehsendung «Schwiizer Chuchi mit Ivo Adam» (SRF1) quer durch die Schweiz, um kulinarische Spezialitäten zu entdecken.

© 2013 IVO ADAM/GUZO.CH

Kommt bei Ihnen zuhause auch mal ein abgelaufenes Joghurt und trockenes Brot auf den Tisch? Bei Joghurt, Milch und Käse schmeckt oder sieht man sofort, wenn es nicht mehr geniessbar ist. Mit dem trockenen Brot kann man noch viele Dinge kochen, wie man auch hier in meinem Rezept sieht. Und sonst haben die Enten Freude am Brot. ■


*** «Lauchzwiebelkäsekuchen» als Apéro oder Vorspeise

*** «La Papa al pomodoro» mit Fenchelkäseschiffchen

*** Asia-Blumenkohl zum Einmachen

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Sie nehmen aus Martin B.s Rucksack: 2 Zwiebeln 500 g Lauch 200 g Hartkäse Sie kaufen dazu oder haben zuhause: 200 g Mehl 75 g gesalzene Butter 1 dl Wasser 1 EL Butter 4 Eier 2 dl Vollrahm 1 TL Salz wenig Cayennepfeffer Zubereitung: Mehl und gesalzene Butter in einer Schüssel von Hand zu einer gleichmässig krümeligen Masse verreiben. Wasser dazugiessen, rasch zu einem weichen Teig zusammenfügen, nicht kneten. Teig flach drücken, zugedeckt ca. 30 Min. kühlstellen. Butter in einer Pfanne warm werden lassen. Fein gehackte Zwiebeln und in feine Streifen geschnittenen Lauch ca. 5 Min. dämpfen, etwas abkühlen. Eier, Rahm und geriebenen Käse verrühren, würzen, mit dem Lauch mischen. Teig auf wenig Mehl rund (ca. 30 cm Ø) auswallen, in die vorbereitete Form legen. Boden mit einer Gabel dicht einstechen. Lauchmasse darauf verteilen. Etwa 40 Min. bei 220 Grad backen. Vorrat: Mengen verdoppeln und einen weiteren Kuchen backen und einfrieren.

Sie nehmen aus dem Rucksack: 600 g altes Brot (ohne Rinde) 1 kg reife und angeschlagene Tomaten 1,5 kg Fenchel ca. 500 g Käse Sie kaufen dazu oder haben zuhause: 4 Zehen Knoblauch etwas Basilikum 2 l Bouillon 6 EL Olivenöl Salz und Pfeffer Peperoncini Olivenöl

Zubereitung: Knoblauch fein geschnitten im heissen Olivenöl in grosser Pfanne anziehen, die in Würfel geschnittenen Tomaten dazugeben und ca. 5 Min. anziehen. Mit Bouillon ablöschen und 20 Min. köcheln lassen. Mit Peperoncini, Salz und Pfeffer abschmecken und alles gut mixen. Das alte Brot in kleine Würfel geschnitten dazugeben und 5 Min. ziehen lassen. Gut verrühren, gehackten Basilikum dazugeben und im Suppenteller servieren. Dazu servieren: Fenchel so präparieren, dass daraus kleine Schalen entstehen (Fenchel auseinandernehmen). Auf ein Kuchenblech legen, mit Olivenöl bepinseln, salzen. Im Ofen bei 200 Grad backen. Rausnehmen, mit reichlich geraffeltem Käse bestreuen, zurück auf die oberste Rille und volle Gratinstufe einstellen. Warten, bis der Käse braun wird. Mit Pfeffer abschmecken. Einmachen: Menge der Papa Pomodoro verdoppeln und die Hälfte einmachen, jedoch ohne Brot. Das alte Brot immer erst vor dem Servieren beigeben.

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Sie nehmen aus dem Rucksack: 1 grosser Blumenkohl 1 Zwiebel Sie kaufen dazu oder haben zuhause: 1 Einmachglas (8 dl Inhalt) 4 Knoblauchzehen 5 kleine Chilischoten Basilikum oder sonst irgendein frisches Gewürz 2 Stangen Zitronengras 1 Stück Ingwer (ca. 50 g) 1 EL Salz 1 EL Rohrzucker 2 dl Weissweinessig 1 Sternanis Zubereitung: Das Einmachglas samt Deckel mit kochendem Wasser ausspülen und umgedreht auf einem Küchentuch trocknen lassen. Den Blumenkohl putzen, waschen und in Röschen schneiden. Knoblauch und Zwiebeln schälen und grob hacken, Chilischoten waschen und trockentupfen. Basilikum waschen, gut trockenschütteln und die Blätter abzupfen. Zitronengras von den harten Aussenblättern befreien und so in Stücke schneiden, dass sie in das Glas passen. Ingwer gründlich waschen, trockentupfen und in Scheiben schneiden. In einem Topf 5 dl Wasser mit Salz, Zucker und Essig zum Kochen bringen. Blumenkohl, Knoblauch, Zwiebeln und Zitronengras 5 Min. darin kochen lassen. Herausnehmen und nun abwechselnd mit Basilikumblättern und Chilischoten in das vorbereitete Glas schichten. Zum Essigsud den Sternanis zufügen und bei starker Hitze aufkochen lassen. Den Sud sofort kochend heiss in das Glas giessen, sodass er das Gemüse vollständig bedeckt. Glas fest verschliessen. (Eine perfekte Beilage für die schlanke Linie: kein Fett, kaum Kalorien, dafür Chili und Ingwer, die den Stoffwechsel auf Touren bringen. Zusätzlich unterstützt Blumenkohl mit reichlich Vitamin C die Immunabwehr und stärkt mit Kalium die Arbeit von Herz, Nerven und Muskeln.)

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BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Zurück in die Zukunft Seit Neustem dürfen Sozialhilfeempfänger kein Auto mehr besitzen. Auch wenn nur zehn Prozent eines haben, so ist das doch ein wichtiger Grundsatzentscheid. Das Auto ist ein Symbol der Unabhängigkeit und Freiheit. Wer Geld vom Staat bezieht, ist Bittsteller und soll als solcher demütig und dankbar, mit gesenktem Haupt auftreten, den Hut in der Hand. So wie früher. Denn früher war alles besser, darüber sind sich inzwischen auch Leute einig, die ihre Menschenrechte verletzt sehen, wenn der Handyempfang im Bergrestaurant länger als zwei Minuten unterbrochen ist. Darum liegt es nahe, sich auf alte Traditionen zu besinnen, um aktuelle Probleme zu lösen und Kosten zu sparen. Früher gab es keine Sozialämter, sondern Armenhäuser. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis solche wieder gefordert und eingeführt wer-

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den, denn die Zuschüsse für Wohnungen kosten viel Geld. Ein Armenhaus, irgendwo weit draussen auf dem Land, wo der Boden billig ist, kommt da viel günstiger. Oder noch besser, die Armenhäuser werden im Ausland gebaut. Die Deportation von Armengenössigen hat eine lange Tradition. Gleichzeitig könnte damit das Problem der Nettozuwanderung gemindert werden, indem die Menschen ganz einfach ausgetauscht werden. Die Schweiz baut in einem Land wie Indien ein Armenhaus, wo für das Geld, das heute für die Sozialhilfe ausgegeben wird, ein hübsches Resort erstellt wird, in dem die Betroffenen viel besser leben als zuvor, sogar Yogakurse liegen drin. Im Gegenzug darf dieselbe Anzahl Haushaltshilfen und IT-Spezialisten einreisen. Angenehmer Nebeneffekt: Diese Leute, für die bekanntlich das Reisen im Innern eines Zuges schon als grosser Luxus gilt, werden sich kaum über volle S-Bahnen beschweren. Zudem können sie am Arbeitsplatz über Mittag oder am Feierabend Yogakurse anbieten. Allfällige Kinder der Umgesiedelten würden bei den Bauern untergebracht werden, womit die schöne Tradition des Verdingens wieder zum Leben erweckt und polnische Erntehelfer nicht mehr benötigt würden. Auch die eine oder andere Dorfschule könnte auf diese Art gerettet werden. Aber warum beim Sozialwesen aufhören? Die Armee, man weiss es, ist teuer und taugt nicht

viel. Hier könnte der ganze Auftrag ausgeschrieben und von einem privaten Militärunternehmen wie Academi (ehemals Blackwater) übernommen werden, das schon für die USA mit einigem Erfolg Kriege führt. Für diese Truppe könnten unter anderem Jugendstraftäter oder Asylbewerber aus Krisengebieten rekrutiert werden, die vom Kriegshandwerk gewiss schon bei Beginn der Ausbildung mehr verstehen, als es unsere RollköfferliRekruten je tun werden. Wenn in der Schweiz gerade kein Krieg herrscht, werden die Truppenteile an den Meistbietenden ausgeliehen. Damit wird die alte Schweizer Söldnertradition, das Reislaufen, wiederbelebt. Jenen, die dem Berufsrisiko anheimfallen, könnte das Bürgerrecht und eine offizielle Bestattung in der Schweiz zugesagt werden. Das wahrt die humanitäre Tradition und spart Platz. Die Möglichkeiten sind unendlich, und es ist klar: Die Zukunft ist die Vergangenheit. Einfach mit iPhone 6Plus, Glasfasernetz und Daten-Flatrate.

STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT (SAVVE@VTXMAIL.CH) SURPRISE 339/14


Pop/Rock Neues Leben am Léman Ein Jahrzent lang herrschte musikalische Ebbe in der Romandie. Jetzt kommt eine Flut an aufregenden Bands vom Genfersee aus in die ganze Schweiz.

Wer ins Bongo Joe auf einen Kaffee einkehrt, fühlt sich dem Mississippi näher als der Rhone. Die Einrichtung erinnert an Shops in New Orleans oder Louisiana, und in der Luft schwebt Cajun- und sumpfender Blues. «Let’s Go Cats Go» heult es aus den Boxen, und man weiss nicht genau, ob das Kratzen nur von der Plattennadel rührt oder auch zum Organ von Hell’s-Kitchen-Sänger Bernard Monney gehört. Der Song vom neuen Album «Red Hot Land» trifft jedenfalls ins Herz und durchaus auch den neuen Groove in Genf. Hier geht etwas, leidenschaftlich und inspiriert. Die Café-Betreiber Robin Girod und Cyril Yeterian wollen ihre Kundschaft denn auch nicht nur mit Koffein pushen. Die beiden Connaisseurs bieten Vinyl-Trouvaillen aus aller Welt feil und vermarkten die Genfer Bands ihres neu gegründeten Labels Moi J’Connais. Dazu gehören nebst ihrer eigenen Band Mama Rosin und Hell’s Kitchen auch Adieu Gary Cooper, Orchestre Tout Puissant Marcel Duchamp sowie Imperial Tiger Orchestra. Die Bands holen ihre Einflüsse aus dem Mississippi-Delta oder aus Afrika und touren auch in diesem Radius – nur eine Heimat hatten sie bis zur Gründung des Labels nicht. «Die Genfer Bandszene war mit der sukzessiven Schliessung der besetzten Häuser, die auch Kulturplattformen für Untergrundbands waren, fast zehn Jahre am Boden», resümiert Jakob Graf. Seit diesem Jahr hat sich der Genfer Manager und Veranstalter dem Kollektiv Moi J’Connais angeschlossen und amtet dort auch als Sprachrohr, wenn Girod und Yeterian mal wieder auf Tour sind. «Wir sind daran, die lokalen Kräfte zu bündeln, damit wir uns gegenseitig möglichst weit bringen können», so Graf. Mama Rosin sind dabei das Zugpferd. Mit ihren Melodeon-, Banjo- und Waschbrett-versetzten Cajun-Jauchzern erspielte sich das Trio in sieben Jahren eine grosse Fangemeinschaft. Dazu gehört auch Krach-Ästhetiker Jon Spencer, der das Genfer Trio nicht nur auf Tour mitnahm, sondern für die letzte Scheibe «Bye Bye Bayou» auch gleich als Produzent auftrat. So konnten die Genfer das schwierige Band-Terrain England erobern, spielten sowohl in der Jools Holland Show wie am nicht minder prestigeträchtigen Glastonbury Festival und locken auf der Insel bis zu 250 Leute an die Shows. Die meisten Schweizer Bands wären froh, sie hätten beim Heimspiel so viele Leute. In Genf spielten die Moi-J’Connais-Bands Ende September an der ersten Label-Nacht im letzten überlebenden Alternativ-Club L’Usine vor gut 600 Leuten, ausverkauft. Sehr zur Freude von Graf: «Es ist schön zu sehen, dass sich die Leute wieder mehr für lokale Bands interessieren. Aber das ist nicht nur unser Verdienst. Wir sind nicht allein.» Tatsächlich ist die Liste der Genfer Bands, die sich letztes Jahr ins Gehör spielten, so lang wie das Genre-Spektrum breit. Das reicht vom optisch opulent inszenierten Electro-Pop von Kadebostany über den munter lüpfigen Retro-Rock von The Animen bis zum im Duett gegrowlten Blackened Deathcore von Conjonctive. SURPRISE 339/14

BILD: DINO ZIZZARI

VON OLIVIER JOLIAT

So sehen Zugpferde aus der Romandie aus: Mama Rosin.

«Nach einer langen Phase des Klagens, dass nichts geht, herrscht nun eine inspirierende Atmosphäre des Aufbruchs», schwärmt die 26-jährige Sängerin und Gitarristin Lynn Maring. «Die Musiker jammen miteinander und tauschen nützliche Tipps aus. Dazu ist ein aktives Netz aus Veranstaltern sowie Labels entstanden, und dank Yvan Bings Kitchen Studio haben wir auch exzellente Aufnahmemöglichkeiten.» Zu Bings Kunden gehören am Léman ansässige Weltstars wie Phil Collins genauso wie die Local Heroes Mama Rosin. Lynn Maring nahm dort das Debütalbum «Venom Dish» ihres Grunge-Rock Trios Disagony auf. Doch so schön das Album rockt, die Band allein reicht nicht, um Marings Arbeitswut und Emotionen zu bändigen. Im Duo mit Drummerin Saskia Fuertes doppelte sie dieses Jahr als The Chikitas nach. «Distoris Clitortion» heisst das Album, und man kann sich dem Riot-Grrrl-Charme schwer entziehen, wenn sie in der post-pubertären Punk-Hymne «LaLaLaLa» gegen alle und alles schnauzen. Moi J’Connais wollte sie aber nicht. Lynn Maring: «Die sind – zum Glück! – sehr wählerisch, und ich bin für sie zu lärmig.» Maring hat für ihre beiden Bands Disagony und The Chikitas ein namhaftes deutsches Label gefunden und ist viel unterwegs. Doch selbst das reicht nicht, um ihre Musiklust zu stillen. «Ich nehme nun Schlagzeugunterricht, damit ich nächstes Jahr ein Solo-Album aufnehmen kann.» Die Flutwelle an neuer Musik aus Genf scheint nicht abzuflauen. Maring: «Es gibt immer zyklische Hochs und Tiefs. Aber der Zenit ist noch nicht überschritten. Dafür drücken zu viele junge Bands nach.» ■ www.moijconnais.com www.darksite.ch/disagony/ www.darksite.ch/chikitas/ Live: The Chikitas in der KuFa Lyss, 12. Dez. www.kufa.ch

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BILD: ZVG

BILD: ZVG

Kultur

Manchmal sieht aussen nüchtern aus, was innen drin wild ist.

Wann genau hat die Romantik einen Riss bekommen?

Buch Comeback eines Antihelden

Kino Ehedrama episch und intim

Der Rezensent macht seinen ersten eBook-Selbst-Test – und «Köbi der Held» von Stephan Pörtner bekehrt den Skeptiker.

Männer und Frauen erleben die Welt völlig unterschiedlich. Diese Kluft bildet die emotionale und strukturelle Basis für Ned Bensons «The Disappearance of Eleanor Rigby: Him & Her».

VON CHRISTOPHER ZIMMER VON YVONNE KUNZ

Über den Vor- und Nachteilen von eBooks haben Befürworter und Gegner oft genug die Klingen gekreuzt – und tun es nach wie vor. Das letzte Wort ist noch nicht auf Papier oder dem Display erschienen. Am Schluss siegt auch hier die Praxistauglichkeit über alle graue Theorie, sprich, muss jeder sein Urteil selbst fällen. Wie der Rezensent, der den eBook-Selbst-Test gewagt hat – mit gemischten Gefühlen. Zuerst war da einiges an Stirnrunzeln. Für Bibliophile ist so ein eBook nicht das Gelbe vom Ei. Immerhin hat die elektronische Lektüre eine Fahrt im überfüllten Zug erträglich gemacht – weil die Story packend war und weil Stephan Pörtner, dessen erste drei Köbi-Krimis jetzt als eBooks erschienen sind, den Skeptiker überzeugen konnte. Zum Beispiel mit seinem Erstling «Köbi der Held» von 1998. Der hat auch digital noch viel zu bieten: einen rauen Antihelden, eine schöne Frau, fiese Drogendealer, Goldküstenbewohner mit Leichen im Keller und Dreck am Stecken – und die berüchtigte Zürcher Langstrasse als nostalgische Kulisse. So reisserisch das klingt, so unspektakulär ist der Einstieg in die Story. Eher zufällig erhält Köbi, der sich sonst mit Gelegenheitsjobs durchschlägt, von einem alten Schulfreund den Auftrag, dessen verschwundene Halbschwester zu suchen. Das scheint leicht verdientes Geld zu sein, und schon ein paar Drogen und Discos später ist die Vermisste gefunden. Doch dann läuft alles aus dem Ruder, es gibt einen Toten, Köbi wird nicht nur von der Polizei, mordlustigen Gangstern und einem Immobilienhai gejagt, sondern er hat auch eher unfreiwillig seinen ersten Fall am Hals. Den packt der Hobbysportler so ungeschickt an, als würde er ständig Boxhandschuhe tragen. Kein Wunder, dass er den Fall nicht mit Sachverstand, sondern mit den Fäusten klärt und dabei reichlich selber einstecken muss. Das liest sich spannend, und die Hauptfigur wächst einem ans Herz. Nicht zuletzt dafür sollte man, auch als Büchernarr, dem eBook ein Kränzlein winden: Dass hier ein Antiheld, der auf Papier vergriffen ist, sein digitales Comeback gibt.

Das Drama um ein New Yorker Paar, das nach einer Tragödie auseinanderdriftet, entfaltet sich in über drei Stunden. Der Länge des Film erklärt sich damit, dass es eigentlich zwei sind. Die erste Hälfte, «Her», erzählt die Geschichte aus der Perspektive von Eleanor (Jessica Chastain), die sich nach ihrem Suizidversuch von ihrem Mann Conor (James McAvoy) trennt. Sie geht zu ihren Eltern und auf die Uni zurück und lässt sich durch ihre Erinnerungen treiben, im verzweifelten Versuch, für sich einen neuen Weg zu finden. Die zweite Hälfte, «Him», schildert Conors Sicht der Dinge – es ist die Perspektive eines ehrgeizigen, aber erfolglosen Gastronomen. Obwohl Eleanor ihn bittet, sie in Ruhe zu lassen, verfolgt er sie. Mit seiner Einfühlsamkeit verschafft der Film tiefe Einblicke in die Anatomie des Schmerzes, ohne sich in Details zu verlieren. Früh wird klar, dass der Bruch mit dem Tod ihres Kindes kam. Wie es gestorben ist, bleibt unbekannt, weil es auch kaum mehr eine Rolle spielt. Drehbuchautor und Regisseur Benson geht die Tragödie rein poetisch an – was sie für die Zuschauenden manchmal schwer zu fassen macht. Umso plastischer wird das gewaltige, tiefgreifende Drama einer Trennung, wie der Verlust eines Partners aussieht, wenn er zum alltäglichen Daseinszustand wird. In «Him» verbringt man viel Zeit in einer Bar, die Conor mit dem Koch und besten Freund betreibt. Er hat plötzlich all diese Freiheit, mit der er nichts anzufangen weiss. Er will nur Eleanor zurück, und seine bitterste Lektion ist, dass er sie gehen lassen muss, will er mit seinem Unterfangen auch nur den Hauch einer Chance haben. Wenn Conors proaktive Dringlichkeit auf Eleanors gepanzerte Passivität prallt, fängt der Film etwas Essenzielles ein über die unterschiedliche Art, wie Frauen und Männer trauern. «The Disappearance of Eleanor Rigby» schafft es, mit Sanftheit aufzurütteln. Als Eleanor und Conor sich ihren Dämonen endlich stellen, kommen die zwei Blickwinkel zu einem Duett über Verlust zusammen, das sich seine Tränen ganz leise verdient.

Stephan Pörtner: Köbi der Held. ePub. Edition Aisatore 2014. 11.90 CHF

190 Min, mit Jessica Chastain, James McAvoy, Ryan Eggold u. a. Der Film läuft ab

(auch erhältlich: «Köbi Krokodil» und: «Kein Konto für Köbi»)

11. Dezember in den Deutschschweizer Kinos.

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Ned Benson: «The Disappearance of Eleanor Rigby – Him & Her», USA 2014,

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© KANTON AARGAU, JÖRG BLUM BILD:

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Jassen Sie deutsch oder französisch?

Ausstellung Der Röstigraben, ein Kulturgut Das Vindonissa-Museum Brugg sammelt anlässlich einer Sonderausstellung Unterschriften, um den Röstigraben als immaterielles Kulturgut der Schweiz eintragen zu lassen. VON MONIKA BETTSCHEN

Zwischen den Schweizer Sprachregionen rumort es immer wieder. So hallte jüngst ein Aufschrei durch das Land, als einige Deutschschweizer Kantone ankündigten, Frühfranzösisch aus ihren Lehrplänen zu streichen. Einmal mehr entbrannten emotional geführte Debatten darüber, ob solche Massnahmen nicht den nationalen Zusammenhalt gefährden. Der Realität, dass heute Englisch die Arbeitswelt beherrscht, kann sich niemand mehr entziehen, doch inwiefern dessen Erwerb zulasten der Landessprachen gehen darf, darüber ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Inmitten dieser hitzigen Diskussionen ist auch ein alter Bekannter wieder in aller Munde: der Röstigraben. Da kommt eine Ausstellung, die unserer kulturellen Vielfalt mit archäologischem Gespür auf den Grund geht, gerade zum richtigen Zeitpunkt. «Röstigräben», die aktuelle Sonderschau im Vindonissa-Museum Brugg, erzählt die Geschichte der Schweiz mit Fokus auf die grossen Völkerbewegungen von der Steinzeit über die Germanen, Römer, Alemannen bis ins frühe Mittelalter. Sie zeigt anhand von Karten und Fundstücken, dass es, bedingt durch die Lage der Schweiz im Herzen Europas und durch zahlreiche Handelswege, die durch das Gebiet des Mittellandes führten, immer wieder zu engen Kulturkontakten kam. «Wir möchten verdeutlichen, dass es nicht eine starre Sprachgrenze im Land gibt, sondern dass der Röstigraben vielmehr die jüngste von vielen Sprach- und Kulturgrenzen ist. Darum ist der Name der Ausstellung auch im Plural gehalten», sagt Projektleiterin Chantal Odiet. «Das Schweizer Selbstverständnis ist auf der Grundlage gewachsen, sich trotz aller Unterschiede immer wieder neu zusammenfinden. Dieser Wille zur Einheit über die kulturellen Grenzen hinweg ist für unser Land derart prägend, dass wir im Rahmen der Ausstellung Unterschriften sammeln, um das Phänomen Röstigraben als schützenswertes immaterielles Kulturgut in die Liste der lebendigen Traditionen der Schweiz eintragen zu lassen.» Man wolle einen Denkanstoss geben, die Unterschiede zwischen den Landesregionen nicht zu negieren, sondern wahrzunehmen, und diese Vielfalt letztlich als unschätzbaren Reichtum zu begreifen.

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Schluep Degen Rechtsanwälte, Bern

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Hürzeler AG Regensdorf, klimaneutrale Druckerei, Regensdorf

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Claro Weltladen, Sissach

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PS: Immotreuhand GmbH, Zürich

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ApothekenConsulting, Wohlen

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Balzli & Fahrer GmbH Filmproduktion, Bern

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Anyweb AG, Zürich

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Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Ottenbach

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Balcart AG, Therwil

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Maya-Recordings, Oberstammheim

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Coop Genossenschaft, Basel

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Fischer & Partner Immobilien AG, Otelfingen

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fast4meter, Storytelling, Bern

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Axpo Holding, Baden

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Stoll Immobilien Treuhand, Winterthur

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Kaiser Software GmbH, Bern

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mcschindler.com, Online-PR-Beratung, Zürich

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archemusia Musikschule, Basel

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BEVBE Ingenieurbüro, Bonstetten

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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

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Lions Club, Zürich Seefeld

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Schweizerisches Tropen- und Public HealthInstitut, Basel

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VXL Gestaltung und Werbung AG, Binningen

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Scherrer & Partner GmbH, Basel

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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

«Röstigräben – Was die Schweiz zusammenhält», bis 27. September 2015 im Vindonissa-Museum Brugg, Museumstrasse 1, Tel. 056 441 21 84 www.vindonissa.ch SURPRISE 339/14

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BILD: CORNELIA KOCH

BILD: ZVG BILD: ZVG

Ausgehtipps

Hier gibt’s jeden Tag Überraschungen. Versprochen.

Zürich Geschenkte Zeit

Fünf-Tage-Woche? Geschnitzte Zeitrechnung.

Ist das Häuptling Winkender Käfer als Filmstar?

Birsfelden Zeit ist Holz

Zürich Legenden verfilmen

Haben Sie etwas auf dem Kerbholz? Was in der heutigen Redensart ein Grund ist, die Flucht zu ergreifen, war in der Frühzeit und im Mittelalter ganz alltäglich: Kerbhölzer dienten den Menschen lange vor der Erfindung der Schrift zur Aufzeichnung wichtiger Beobachtungen und Abmachungen – etwa um eine Schuld fälschungssicher zu dokumentieren. In abgelegenen Regionen Europas wurde die so simple wie geniale Technik bis ins 19. Jahrhundert genutzt. Keltische und mittelalterliche Varianten veranschaulichen die unterschiedlichen Zeitvorstellungen und Zeitrechnungen unserer Vorfahren. Wochen zu fünf statt sieben Tagen, 13‐Wochen‐Zählungen, lunisolare Zyklen von 19 oder 30 Jahren – hätten sie sich durchgesetzt, wie würden unsere Kalender und Agenden heute wohl aussehen? Thomas HuberWinter zeigt in der Ausstellung «Zeit Kerben» im Birsfelder Museum seine eigenhändig nachgeschnitzten Holzkalender des europäischen Mittelalters und seine in der Tradition der Kerbhölzer frei gestalteten keltischen Baumkalender – ein spezieller Zugang zum Ursprung und der Geschichte der Zeitrechnung. (ami)

Die Indianer und Inuit haben uralte Legenden, die endlich mal verfilmt sein wollen, und zwar von euch, liebe junge Menschen zwischen 10 und 16! Was es umzusetzen gilt, sind folgende Geschichten: «Shh! … hier kommt Tupilaq» (überliefert von den Inuit), «Diné Bahane» (die Navajo haben’s erfunden), «Die Regenmacher» (Idee: Zuni), «Die Geschichte der Lachs-Menschen» (die leben offenbar bei den Haida und Tlingit), und «Mitakuye Oyasin – Wir sind alle miteinander verwandt» (Drehbuch: Lakota). Stoff gibt’s also genug. Umgesetzt wird er mit modernen Trickfilm-Animationstechniken. Stop-Motion, Trickfilm-Technik, Praxinoskop, Rotoskopie, Daumenkino, animierte GIFs und Green-Screens kommen zum Einsatz. Tradition und digitale Kultur treffen aufeinander, und die Eltern sind jetzt schon gespannt auf die Resultate. Wenn die Indianer wüssten … (dif)

«Zeit Kerben»: Vernissage am Fr, 28. Nov., 19 Uhr;

www.nonam.ch

In den letzten Jahren hat sich in der Adventszeit im Schiffbau eine schöne Tradition etabliert: Jeden Tag gab’s für eine Stunde lang Besinnliches und Skurriles, Musikalisches und Theatrales. Dazu weissen Weihnachtspunsch, Guetzli und viel Stimmung. Dieser «Weihnachtssalon» war als Auszeit aus der Hektik des Vorweihnachtsalltags gemeint und hat genau das auch verlässlich geboten: spontan besuchbar, weil gratis, weil als Brauch des Schenkens gedacht. Dieses Jahr stellt das Junge Schauspielhaus Zürich etwas Ähnliches auf die Beine: Die Matchbox im Schiffbau wird zum Warteraum, gefüllt mit kleinen Aufmerksamkeiten – «ein Umschlagplatz der Liebenswürdigkeiten». Das klingt schon mal sehr verheissungsvoll. (dif) «Geschenkte Zeit»: noch bis zum 23. Dez. jeweils von 18 bis 19 Uhr und am 24. Dez. von 11 bis 12 Uhr, Schiffbau/Matchbox, Zürich. Eintritt frei, aber Reservation empfohlen unter Tel. 044 258 77 77. www.junges.schauspielhaus.ch

Anzeige:

Filmlabor im NONAM: Mi, 10. Dez. und im neuen Jahr einmal pro Monat: Mi, 18. März, Mi, 15. April, Mi, 20. Mai, Mi, 17. Juni, jeweils 14 bis 17 Uhr, Seefeldstr. 317, Zürich. Anmeldung unter filmlabor@nonam.ch oder 078 829 45 17.

Ausstellung bis So, 4. Jan., jeweils Mi, 16 bis 19 Uhr und So, 10.30 bis 16 Uhr. Mi, 24. Dez. geschlossen. Führungen jeweils So, 11 Uhr. Weitere Führungen auf Anfrage, auch für Schulklassen. Birsfelder Museum, Schulstrasse 29, Birsfelden, Tel. 061 311 48 30 birsfeldermuseum@gmx.net; www.birsfelden.ch

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BILD: BRUNO STREICH: S16, 2013; AUSSTELLUNGSANSICHT: KAMMERSPIEL 2014, KUNSTVEREIN OLTEN; LEE LI PHOTOGRAPHY

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BILD: NORMAN H. GERSHMAN

Gerettet! Ein Hoch auf den albanischen Ehrenkodex.

Regionale Künstler müssten sich eigentlich nicht verstecken.

Bern, Luzern Ehrenrettung

St. Gallen Ins Museum gespült

Muslime riskieren ihr Leben, um Juden vor dem Tod zu retten: Das gab der unter den Albanern gültige Ehrenkodex «Besa» vor, der besagt, dass man Schutzsuchende aufnimmt. So geschehen in Albanien während des Zweiten Weltkriegs, als Muslime ihre jüdischen Nachbarn bei sich vor den Nazis versteckten. Eine Wanderausstellung erzählt anhand von Porträts des US-Fotografen Norman Gershman und ergänzenden Texten davon. Dazu gibt es ein Begleitprogramm, unter anderem mit Führungen von unserer Kolumnistin Shpresa Jashari. (fer)

«Regionale» klingt überholt, und vielleicht scheint es beliebig, wenn man mal ein paar Künstler aus der Region zusammen ausstellt. Das ist es aber nicht. Denn die Regionale ist eine Talentplattform von jungen Leuten, die vielleicht zum ersten Mal in einem Museum ausstellen und es noch weit bringen werden. Gleichzeitig sind hier auch die älteren Semester vertreten, und so wird wieder einmal an die Oberfläche gespült, was in den Winkeln von St. Gallen und seinen Nachbarkantonen seit Jahren gedacht, gemalt und installiert wird. (dif)

«Besa – wie Albaner im 2. Weltkrieg Juden retteten», Wanderausstellung.

«Grosse Regionale» – 33 Kunstschaffende aus den Kantonen St. Gallen, Schwyz,

Kornhausforum Bern: Di, 9. Dez. bis So, 4. Jan; Kornschütte Luzern: Mo, 5. bis

Glarus und Zürich, noch bis 8. Feb., jeweils Mi bis Fr, 14 bis 18 Uhr, Sa und

Di, 27. Jan. Danach in Lausanne, St. Gallen und Fribourg. www.besa-expo.ch

So 11 bis 18 Uhr, Kunst(Zeug)Haus, Schönbodenstrasse 1, Rapperswil-Jona. www.kunstzeughaus.ch

Anzeigen:

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Strassensänger-Porträt «Singen ist wie Medizin für mich» Im Zuge der Wirtschaftskrise musste der Spanier Angel Luis Fragoso Ayuso (42) sein Computergeschäft schliessen. Weil er in seiner Heimat keine Arbeit mehr fand, beschloss er, in der Schweiz einen Neuanfang zu machen – und landete erst einmal auf der Strasse.

«Ich bin hier, um neu anzufangen. Vor vier Monaten beschloss ich, meine Heimat Extremadura im Südwesten Spaniens zu verlassen. Es war eine schwierige Entscheidung, denn das bedeutete einen steilen sozialen Abstieg. Doch jetzt gibt es für mich kein Zurück mehr. Mit 42 bin ich auf dem spanischen Arbeitsmarkt ein alter Mann, und mit der Wirtschaftskrise ist es sehr, sehr schwer geworden, eine Arbeit zu finden. Ich hatte 20 Jahre lang mein eigenes Computergeschäft, als die Krise kam, musste ich es schliessen. Um das Geschäft zu eröffnen, hatte ich damals mein Geschichtsstudium abgebrochen. Das war eine schlechte Entscheidung. Wenn sich meine Situation eines Tages verbessert, will ich mein Studium beenden. Ich muss es tun, für meine seelische Gesundheit. Ja: Ich werde es tun! Doch hier eine Arbeit zu finden ist schwieriger, als ich dachte. Ich spreche Englisch, Spanisch, Portugiesisch und Italienisch, ich habe zehn Jahre als Gärtner gearbeitet und auch Arbeitserfahrung in der Montage und als Bauer. Bevor ich mich entschieden habe, hierher zu kommen, habe ich in Spanien mit Leuten gesprochen, die viele Jahre in der Schweiz gearbeitet haben. Doch die Situation hat sich geändert, auch mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative. Und die Schweiz ist noch teurer, als ich dachte. Ich bin mit meinen ganzen Ersparnissen hierher gekommen, aber es hat nirgendwohin gereicht. So fand ich mich eines Tages auf der Strasse wieder. Dieses Leben habe ich vorher nicht gekannt. Aber die Erfahrung hat mich stark gemacht. Ich bin ein Mensch mit einem starken Willen, ich denke immer positiv. Ich bin hier für einen Neuanfang – und das funktioniert nicht mit negativem Denken. Das Leben auf der Strasse hat mich gelehrt, die einfachen Dinge zu schätzen: Einen Kaffee zu trinken und ein Gespräch zu führen ist zum Beispiel ein besonderer, wichtiger Moment für mich geworden. Als ich das erste Mal in Bern am Bahnhof übernachtete, griffen mich fünf betrunkene oder unter Drogen stehende Männer an, ich musste fliehen. Danach war mir klar, dass es so nicht weitergehen kann. Ich ging weiter nach Basel, und hier fand ich Leute, die mich an der Hand nahmen. Bei der spanischen katholischen Mission sagten sie mir, wo ich essen und schlafen kann. Und auch bei Surprise fand ich Leute, die mir Mut gemacht haben und mich unterstützen. Das Verkaufen des Magazins fällt mir allerdings schwer. Die Leute schauen mich oft mit finsteren oder abschätzigen Blicken an, das bin ich mir nicht gewohnt. Aber ich liebe es, im Strassenchor von Surprise zu singen! Ich freue mich die ganze Woche auf die Chorprobe am Dienstagabend, wir haben viel Spass zusammen. Singen ist wie Medizin für mich – so lautet der Titel eines unserer Lieder, und so ist es für mich. Auch bei den Proben für das neue Surprise-Theaterstück bin ich dabei. Ein Chormitglied hat mir sogar ein Zimmer in seiner Wohnung angeboten. Ich habe dankend angenommen: Dies ist ein weiterer Schritt nach vorne für mich, ich bin sehr glücklich dort. Die Schweiz ist ein fantastisches Land. Es ist nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, aber hier gibt es Möglichkeiten. Vieles ist anders als in Spanien: Das Volk kontrolliert die Regierung und nicht um-

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AUFGEZEICHNET VON FLORIAN BLUMER

gekehrt, man liest nicht täglich von neuen Korruptionsfällen. Die Leute in der Schweiz sind gut erzogen und sie halten sich an die Gesetze. Wenn Schweizer den Bus nehmen, kaufen sie ein Billett, obwohl meistens kein Kontrolleur kommt. Das finde ich fantastisch. Ich mag die Gesellschaft in der Schweiz. Ich hoffe, dass ich ein Teil davon werden kann. Nein: Ich bin sicher, dass es klappen wird!» ■

Nachtrag: Als Angel zum Gegenlesen des Texts auf der Redaktion erscheint, erzählt er, dass er soeben über eine Freundin einen 50-Prozent-Job bei der Diakonischen Stadtarbeit Elim bekommen hat, als Assistent in der Sozialarbeit. Er werde erst einmal nicht mehr Surprise verkaufen – beim Chor werde er aber auf jeden Fall dabeibleiben. SURPRISE 339/14


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Elsa Fasil Bern

Kostana Barbul St. Gallen

René Senn Zürich

Marlis Dietiker Olten

Negasi Garahassie Winterthur

Josiane Graner Basel

Wolfgang Kreibich Basel

Tatjana Georgievska Basel

Bob Ekoevi Koulekpato, Basel

Anja Uehlinger Baden

Ralf Rohr Zürich

Emsuda Loffredo-Cular Basel

Fatima Keranovic Basel

Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken

1/2 Jahr: 3000 Franken

1/4 Jahr: 1500 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

1 Monat: 500 Franken

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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen.

Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden vom Verein Surprise geführt. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.

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Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami), Florian Blumer (fer, Heftverantwortlicher), Diana Frei (dif), Mena Kost (mek) redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Ivo Adam, Monika Bettschen, Olivier Joliat, Nicole Maron, Stefan Michel, Roland Soldi, Priska Wenger Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 27 000, Abonnemente CHF 189, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Alfred Maurer, Bruno Schäfer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99 Paloma Selma, p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, Olivier Joliat (Medien), David Möller (Sportcoach) www.strassensport.ch Vereinspräsident Peter Aebersold

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. SURPRISE 339/14


Surprise Mehr als ein Magazin

Strassenchor Die Gefühlsqualität der Musik VON ARIANE RUFINO DOS SANTOS, CHORLEITERIN

BILDER: ROSARIO MAZUELA

Bereits zum zweiten Mal durfte der Surprise Strassenchor diesen November von Polina Shepherds beruflich bedingter Anwesenheit in Basel profitieren und drei kostbare Stunden mit ihr verbringen. Die in England lebende sibirische Sängerin und Chorleiterin hat nicht nur eine wunderschöne Stimme, sondern versteht es auch, die Chorleute in einer besonderen Art und Weise in die Gefühlsqualität des Gesungenen hineinzuführen. Denn beim Strassenchor ist nicht an erster Stelle musikalische Perfektion gefragt, sondern die Herzensqualität der Lieder und ihrer Interpretation. Polina Shepherd arbeitete mit dem Chor an zwei jiddischen Liedern, die dieser bereits letztes Jahr von ihr gelernt, aber noch längst nicht zur Vollendung gebracht hatte. Das eine Lied, «Sholem» (zu Deutsch «Friede»), wurde mit leisen Passagen gestaltet, die dem delikaten Gleichgewicht des Friedens gerecht wurden, um dann bei den

lauten Strophen die Dringlichkeit des Friedensappells hervorzustreichen. Auch die eigene Körperhaltung bei dem Ruf nach Frieden wurde erarbeitet. Die aufrechte Haltung, das Hinstehen für eine wichtige Sache, war eine gute Übung für unsere SängerInnen, die oft vom Leben gebeutelt werden, was mitunter auch in körperlichen Schieflagen zum Ausdruck kommt. Besonders gefreut hat uns die begeisterte Rückmeldung von Polina Shepherd, dass der Chor innert dieses Jahres nicht nur gewachsen, sondern auch viel besser geworden sei. Tatsächlich lernten alle auch das zweite Lied rasch, obwohl es nur fünf der 18 anwesenden Sängerinnen und Sänger bereits kannten. Beim Vorsingen spornte Shepherd mit ihrer fantastischen Stimme den ganzen Chor zu Höchstleistungen an. Durch ihr singendes Vorbild wirkte der Workshop wie eine Intensivspritze mit musikalischer Energie, deren Wirkung bestimmt noch eine gute Weile anhalten wird.

Zum Glück ist die sibirische Sängerin und Chorleiterin Polina Sheperd (kauernd in der Mitte) ab und zu beruflich in Basel unterwegs. Dann nimmt sie sich jeweils Zeit für einen Workshop mit dem Surprise Strassenchor.

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