Surprise 345

Page 1

Gut geölt Unsere Beziehungen zum Regime in Aserbaidschan Keine fremde Richterin: Helen Keller vom Strassburger Gerichtshof im Interview

Kriegerische Eidgenossen – warum es in Marignano und Morgarten nichts zu feiern gibt

Nr. 345 | 6. bis 19. März 2015 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


Anzeigen:

Hier kรถnnte Ihre Werbung stehen. Werfen Sie Ihr Werbegeld nicht auf die Strasse. Investieren Sie es dort. Anzeigenverkauf, T +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch


Editorial Menschenrechte unter Druck BILD: ZVG

Die Pressefreiheit ist in Gefahr. Nein, hier ist nicht die Freiheit gemeint, religiöse Figuren zu zeichnen, sondern die Pressefreiheit im allgemeinen Sinne: Journalisten, die für kritische Berichterstattung über ihre Regierung um ihr Leben oder ihre Freiheit fürchten müssen. «Reporter ohne Grenzen» sprechen in einer Meldung von Mitte Februar von einem «drastischen Rückgang» der Pressefreiheit weltweit im letzten Jahr: In zwei Dritteln der Länder ging sie zurück. Haben Sie irgendwo einen Aufschrei gehört? Während die Anschläge von Paris einen wahren Medientsunami ausgelöst haben, erzeugte diese Meldung nicht einmal einen Sturm im Wasserglas. Nun könnte man sagen, dass in Paris unsere direkten Nachbarn leben, die französische Hauptstadt nur ein paar Zugstunden von der Schweiz entfernt ist. Und fra- FLORIAN BLUMER gen, was wir zum Beispiel mit Aserbaidschan, Rang 160 von 180 auf dem Presse- REDAKTOR freiheits-Index, am östlichen Rand von Europa zu tun haben? Die Antwort: Mehr als uns lieb ist. Der regimekritische aserbaidschanische Journalist Emin Huseynov hatte mehr Glück als viele seiner Berufskollegen. Er schaffte es, in die Schweizer Botschaft in der Hauptstadt Baku zu flüchten und so vorerst dem Horror von Gefängnis und Folter zu entgehen. Dass er sich dort aufhält, wurde geheim gehalten, bis die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens vor Kurzem darüber berichtete. Denn die Angelegenheit ist heikel: Die offizielle Schweiz bemüht sich schon seit Jahren um gute Beziehungen zu Präsident Ilham Aliyevs autoritärem Staat. Der Grund dafür ist simpel: Wir brauchen sein Öl und sein Gas. Die Bemühungen waren bis jetzt äusserst erfolgreich – lesen Sie die Recherche unserer Redaktorin Sara Winter Sayilir und erfahren Sie darin, was das Auftanken an einer Socar-Tankstelle in der Schweiz oder der Kauf einer Tiefkühlpizza im dortigen Migrolino-Shop mit den Menschenrechten im fernen Kaukasus zu tun haben könnten. Eine vehemente Verteidigerin der Menschenrechte im Herzen von Europa ist Helen Keller. Die Zürcher Rechtsprofessorin ist die einzige Schweizer Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Die tägliche Auseinandersetzung mit Verbrechen an der Menschlichkeit, sagt sie, raube ihr manchmal den Schlaf. Doch statt Respekt erntet sie für ihre Arbeit aus der Schweiz oft Kritik – weil sie die Menschenrechte über nationale Interessen stellt. Diese Logik umdrehen will die SVP mit ihrer Initiative «Landesrecht vor Völkerrecht» und stellt damit auch die Mitgliedschaft der Schweiz in der Menschenrechtskonvention zur Disposition. Helen Keller bereitet dies grosse Sorge, auch weil dieses Spiel mit dem Feuer für die Schweiz selbst böse Folgen haben könnte. Warum, lesen Sie im Interview mit Helen Keller ab Seite 14. Ich wünsche eine erhellende Lektüre, Florian Blumer

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@strassenmagazin.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise SURPRISE 345/15

3


06 06 07 07 08 20 22 23 24 26 28 29 30

10 Socar Tiger im Tank Aserbeidschan machte jüngst Schlagzeilen, weil ein regimekritischer Journalist sich in der Schweizer Botschaft vor staatlicher Verfolgung in Sicherheit brachte. Dazu rüstet die Kaukasusrepublik in jüngster Zeit auf, Zwischenfälle an der Grenze lassen einen neuen Krieg mit Armenien befürchten. Derweil macht der staatliche Ölkonzern Socar mittels einer Tochterfirma gute Geschäfte in der Schweiz, mit freundlicher Unterstützung der Behörden. Ein guter Deal? Wir haben genauer hingeschaut.

14 Menschenrechte «Es ist eine tägliche Gratwanderung» Die Zürcher Rechtsprofessorin Helen Keller ist die einzige Schweizer Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Sie entscheide nicht für oder gegen die Schweiz, sagt sie im Hinblick auf die Kritik aus rechtskonservativen Kreisen, sondern als unabhängige Richterin. Im Interview erzählt sie, was sie an ihrer Arbeit belastet und warum die SVP-Initiative «Landesrecht vor Völkerrecht» für Schweizer Bürger im Ausland dramatische Folgen haben würde.

BILD: SABINE DREHER

05

Inhalt Editorial Menschenrechte hier und dort Basteln für eine bessere Welt Gerüstet für die Schlacht Aufgelesen Armes Berlin Zugerichtet So oder ganz anders Kommentar Von wegen reiche Arme Starverkäufer Ralf Rohr Porträt Ein buntes Leben Morgarten und Marignano Geschichtsverzerrung zum Jubiläum Wörter von Pörtner Alles fährt Ski Jeans for Jesus Berner Rock mit Biss Kultur Schweiz auf Eis Ausgehtipps Krieg ohne Krieg Nachruf Andreas «Res» Ammann Projekt SurPlus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP

BILD: ZVG

03

BILD: ZVG

17 Film Die Gewalt der Freiheit

4

Matteo ist 15, macht Probleme und wird von seinen Eltern ins Time-out auf die Alp geschickt. Dort gerät er erst recht in einen Strudel der Gewalt und findet sich auf fiebrigen Trips voller Aggression wieder. Im Interview zum Film «Chrieg» erzählen zwei der jungen Darsteller, wieso ihr eigenes Leben gar nicht so weit von der Filmhandlung entfernt ist. Und Regisseur Simon Jaquemet sagt, wie die Alp Horror und Befreiung zugleich sein kann.

SURPRISE 345/15


ILLUSTRATION: | WOMM

Basteln für eine bessere Welt Mit Bahren in die Schlacht Die Freunde historischer Gemetzel mobilisieren für den Herbst des Jubeljahrs 2015, um die runden Jährungen von Marignano 1315 und Morgarten 1515 mit Hellebarden-Aufmärschen und fröhlichen Gedenkschiessen zu feiern (siehe S. 20). Bei so viel Säbelgerassel sollten sich Weltverbesserer besser auch fürs Gefecht rüsten – und mit Tragbahren aufmarschieren, um daran zu erinnern, dass sich unsere Vorfahren nicht nur als besonders brutale, käufliche Soldaten einen Namen gemacht haben, sondern es auch mal einen Eidgenossen gab, der mit dem Roten Kreuz eine bessere Idee auf dem Schlachtfeld hatte.

1. Nehmen Sie zwei Besenstiele und tackern Sie ein altes Bettlaken daran fest.

2. Malen Sie gut sichtbar ein rotes Kreuz in die Mitte des Lakens.

3. Auf in die Schlacht! Am 13. September wird in Campo dei Morti bei Mailand aufmarschiert (Marignano), am 15. November im Ägerital bei Morgarten.

SURPRISE 345/15

5


Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Arm und überhaupt nicht sexy Berlin. Bis zu 4000 Menschen sind in der deutschen Hauptstadt obdachlos, Tendenz steigend. Die Hilfsangebote wurden derweil in den letzten Jahren abgebaut. Was fehlt? 2000 Notschlafplätze zum Beispiel, Spezialplätze für junge schwangere Obdachlose oder Hygieneeinrichtungen. Der Chef der Mission am Bahnhof Zoo schätzt die nötigen zusätzlichen Kosten auf über 20 Millionen Euro – und die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung ist wohl nicht sehr hoch. Das ist, frei nach Bürgermeister Wowereit: Arm, aber überhaupt nicht sexy.

Eins und eins Hannover. Statistiken lösen keine Probleme, aber sie geben den Blick auf Zusammenhänge frei. Zum Beispiel diesen: Laut dem deutschen Bundesamt für Statistik wünschen sich 3,1 Millionen Erwerbslose in Deutschland Arbeit – und weitere 3,2 Millionen Unterbeschäftigte mehr Arbeitsstunden. Gleichzeitig würden rund 870 000 Überbeschäftigte gerne ihre Arbeitsstunden reduzieren und würden dafür auch Einkommenseinbussen in Kauf nehmen. Man zähle eins und eins zusammen.

Gute Gene London. Der Wunsch, anderen zu helfen, ist dem Menschen angeboren. Der Biologe David Sloan Wilson hat herausgefunden, dass sich Altruismus aus der evolutionären Auswahl von Menschengruppen herausgebildet hat. Denn wer weiterkommen will, muss zusammenarbeiten. Und der Neurologe Donald Pfaff glaubt, spontane Güte sei eine menschliche Standardeinstellung, vorgegeben von Hormonen, den Genen und dem Gehirn. Wir sind also von Natur aus Gutmenschen.

6

Zugerichtet Aufregung im Hallenbad Es war ein Mittwochnachmittag im November. Perfekt für einen Ausflug ins Hallenbad, fanden Frau X, ihre 11-jährige Tochter und deren gleichaltrige Freundin. Frau X nuschte gerade in ihrer Tasche, als ein Mann in die unverriegelte Umkleidekabine der Tochter trampte. Sie wies ihn kurz zurecht. Als sie mit ihren Kindern den Raum verliess, sass der Mann auf der Bank in der Mitte der Garderobe. Im Bad traf sie eine Nachbarin, man hielt einen Schwatz, die beiden Mädchen tollten herum. Kurz darauf kamen sie aufgeregt zurück und berichteten, der Mann in der Kabine habe ihnen sein «Ding» gezeigt. Frau X informierte den Bademeister, dass ein Mann in der Umkleidekabine herumlungere und Mädchen belästige. Der Angeklagte war an diesem Tag in lausiger Verfassung. Neben den chronischen Rückenschmerzen machten ihm vor allem die Wunden zu schaffen, die nach einer Weisheitszahnoperation in seinen Mundhöhlen klafften. Seine Frau meinte, er solle zur Entspannung ins Hallenbad gehen. In jenem ihrer Heimatgemeinde habe es einen Pool mit Massagedüsen. Gegen Mittag quälte sich der Mann aus dem Bett, er wollte den Rat seiner Frau befolgen. Beim Packen seiner Sporttasche sah er, dass seine Badehose ganz ausgeleiert war. Er packte ein weiteres Paar Shorts zum Drüberziehen ein und fuhr los. In der Garderobe, einer von nur zwei gemischten im Kanton, wollte er sich in einer Kabine umziehen. Es herrschte Hochbetrieb, nur eine schien frei. Als er rein wollte, war ein Mädchen drin und eine Mutter herrschte ihn an: «Isch imfall bsetzt!» Er liess sich also auf eine Bank nieder und zog sich um. Ihm

war duselig von all den Schmerzmitteln, aber schliesslich glitt er ins warme Nass und liess sich vom Wasser massieren. Nach 20 Minuten wurden die Schmerzen in seinem Mund so heftig, dass er in die Kabine ging, um eine Tablette zu nehmen. Dann hockte er sich wieder auf die Bank. Sollte er nochmals baden oder doch lieber nach Hause ins Bett? Er entschied sich für Letzteres. Wieder waren alle Kabinen besetzt, wieder zog er sich im offenen Bereich um. Noch bevor er die Schuhe anhatte, wurde er verhaftet. Erst wurde zwei Jahre lang wegen sexueller Handlungen mit Kindern ermittelt, dann Anklage wegen Exhibitionismus erhoben. Der Beschuldigte beteuerte stets seine Unschuld, mit Erfolg. Schon die erstinstanzliche Richterin glaubte: «Es ist durchaus möglich, dass die Mädchen das entblösste Glied nur zufällig aufgrund des ausgeleierten Badeslips oder während des Umziehvorgangs wahrgenommen haben.» Der Staatsanwalt war aber überzeugt von einer sexuellen Motivation und fragte auch vor Obergericht: «Warum geht ein erwachsener Mann ausgerechnet am Mittwochnachmittag allein ins Hallenbad?» Diese Frage, entschieden nun auch die Oberrichter, habe der Angeklagte schlüssig beantwortet. In ihrem umfassenden Freispruch monierten die Richter den tendenziösen Polizeirapport. Zudem sei behauptet worden, der Beschuldigte sei nie im Wasser gewesen, sondern habe sich nur in den Garderoben aufgehalten – was Videoaufnahmen eindeutig widerlegten. So bleibt noch die Geschichte nach dem Urteil, was der Angeklagte immer gesagt hatte: ein tragisches Missverständnis. YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 345/15


Kommentar Der einarmige Staatsbandit Der Mittelstand wird durch die Umverteilung zugunsten der Unterschicht geschröpft. So lautet die Botschaft einer neuen Stiftung, die just im Wahljahr die politische Bühne betritt. Darin sitzen Milliardärsversteher mit Gespür für die Befindlichkeiten der breiten Masse.

Der soziale Frieden ist mal wieder in Gefahr, wie im Tages-Anzeiger zu lesen war: «Haushalten mit tiefen Einkommen geht es besser als dem Mittelstand», titelte das Blatt. Genau das, was die Leser in der S-Bahn lesen wollen. Empörung zieht immer, auch frühmorgens. Unter dem Titel zeigten farbige Balkendiagramme: Einmal ziehen am Hebel des einarmigen staatlichen Umverteilungs-Banditen, und schon verfügt eine Person mit einem Jahreslohn von 12 000 Franken über ein Einkommen von 66 800 Franken. Und steht besser da als jemand, der 100 000 Franken im Jahr verdient, dem aber wegen der vielen Abgaben und Steuern nur knapp 65 000 Franken bleiben. Veröffentlicht hat die Zahlen eine Stiftung namens Fondation CH2048, die sich den Kampf «für eine global wettbewerbsfähige und verantwortliche Schweiz» auf die Fahne geschrieben hat. Gegründet wurde CH2048 vom Basler Ökonomen und SP-Mitglied Christoph Koellreuter. Im Stiftungsrat sitzen namhafte Sozialdemokraten, etwa die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch, der basel-städtische Sozialvorsteher Christoph Brutschin und der Berner Stapi Alexander Tschäppät. Daneben finden sich so illustre Persönlichkeiten wie Domenico Scala, einst Syngentaund Nobel-Biocare-Manager und heute Vorsitzender der FIFA-Buchprüfungskommission. Ja, jene FIFA, die bei der letzten WM in Brasilien vier Milliarden Franken Gewinn eingefahren hat, auf die sie an ihrem Sitz in Zürich kaum Steuern zahlt. Ebenfalls im Stiftungsrat: Adriano Imfeld, bis 2007 Obwaldner CVP-Nationalrat und heute Briefkastenfirmenvertreter. An seiner Adresse in Sarnen waren 2012 gleich mehrere Milliardenkonzerne gemeldet. Die Studie war ein gefundenes Fressen für die Medien. Ein «Aufreger», wie man das auf Journalistendeutsch nennt. Potenzielle Adressaten: Alle, die nicht arm sind und nicht reich, also die grösstmögliche An-

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 (0)61 564 90 99 redaktion@vereinsurprise.ch

SURPRISE 345/15

zahl Menschen im Land. Das ist in einer direkten Demokratie ganz nebenbei auch die politisch relevante Masse. Das Problem: So schön die Geschichte vom nach unten ausblutenden Mittelstand auch klingt – sie stimmt nicht. Das sagte CH2048-Chef Koellreuter höchstpersönlich der Basler Zeitung: Die Feststellung, dass die untersten Einkommen nach Umverteilung über mehr Geld verfügten als die nächsthöheren, sei «wahrscheinlich der Methodik geschuldet». Und gegenüber der NZZ räumte er ein, dass die Studie die Zusammenhänge stark vereinfache, weil es bisher dazu kaum Forschung gebe. Noch einmal ganz langsam. Die Frage: Steht der Mittelstand am Ende schlechter da als die Unterschicht, weil der Staat sein hart erarbeitetes Geld umverteilt? Die Antwort: Man weiss es nicht. Aber es klingt gut, verdammt gut. Und bunte Balken sind immer verlockend. Sie vermitteln dem Leser, dass er hier Fakten bekommt. Pikantes Detail am Rande: Fast zeitgleich veröffentlichte das Bundesamt für Statistik eine Analyse, die zeigt, dass die Umverteilung bei den Erwerbshaushalten zurückgegangen ist. Er sei erfreut, diese Debatte angestossen zu haben, sagte Koellreuter der NZZ. Anders gesagt: Der Schaden ist angerichtet. Es stellt sich nur noch die Frage, wem der Keil am meisten nützt, der auf diese Weise in den gesellschaftlichen Zusammenhalt getrieben wird. Klar ist nur: Der soziale Friede ist in Gefahr. ■

BILD: ZVG

VON AMIR ALI

Starverkäufer Ralf Rohr Denise und Walter Gossweiler aus Zürich schreiben: «Am Bürkliplatz oder bei der Coop-Filiale in Wiedikon erwartet uns Herr Rohr immer mit einem fröhlichen Gesicht und einer sehr freundlichen Begrüssung. Er gibt uns mit seiner zuvorkommenden Art jedes Mal etwas Wichtiges für den Alltag mit. Wir werden ihm als Kunden treu bleiben.»

7


8

SURPRISE 345/15


Porträt Und jetzt erst recht Vor vier Jahren stürzte Simon Hitzinger bei einer illegalen Party in Basel zwölf Meter in die Tiefe. Er überlebte nur knapp, seither sitzt er im Rollstuhl. Nach dem Unfall stellte er sich der Frage, ob es für ihn weitergeht – er entschied sich fürs Leben. VON CLAUDIA SPINNLER (TEXT) UND LUCIAN HUNZIKER (BILD)

wie ein modisches Accessoire. Er sei sehr froh um ihn, sagt er, und: «Ich mag ihn auch.» Sein Freund sei der Rollstuhl deshalb trotzdem nicht, so wie es früher sein geliebtes Fahrrad gewesen war, das er «mein Baby» nannte. Einen Perspektivenwechsel erlebt Hitzi aber nicht nur durch sein Kameraobjektiv. Seit er im Rollstuhl sitzt, sieht er die Welt auch im wörtlichen Sinn aus einem anderen Blickwinkel. Früher war er 180 Zentimeter gross, jetzt, im Rollstuhl, ist er ganze 40 Zentimeter kleiner. Daran musste er sich zuerst gewöhnen. «Mit meinen 140 Zentimetern blicke ich jetzt hauptsächlich auf Hintern – was positiv und negativ sein kann», sagt er schmunzelnd. «Und beim Fotografieren habe ich eine ganz neue Perspektive für mich entdeckt. Plötzlich nehme ich ganz andere Dinge wahr, was sehr spannend sein kann.» Doch nicht immer läuft alles so, wie er es sich vorstellt. «Nach dem Unfall dachte ich: In ein paar Monaten kann ich wieder laufen, kein Ding.» Dieser Wunsch hat sich bis anhin nicht erfüllt. Grund für Frust und trübe Gedanken? Nein, das ist nicht sein Ding. Vielmehr sucht er nach dem Sinn dafür, und den findet er, wie so oft, in sich selbst. «Es dauert so lange, wie es dauert, mit dem Gehen. Ich sehe das Ganze als persönliche Lernphase. Anscheinend braucht es noch ein wenig, bis ich wieder gehen werde.» Hitzis Diagnose lautet: Querschnittslähmung. Da sein Rückenmark bei dem Sturz nicht vollständig durchtrennt wurde, besteht die Möglichkeit, dass es sich erholt und er in Zukunft tatsächlich wieder gehen kann. Willensstark sei er schon immer gewesen. «Mir macht es teilweise richtig Freude zu kämpfen – zum Beispiel wenn ich um vier Uhr nachts total kaputt vom Club nur ins Bett fallen will, mich aber noch mit meinem Handbike ewig durch den Regen quälen muss – ist doch irgendwie geil.» Spontaneität und Freiheit waren zwei wichtige Wörter in Hitzis früherem Leben. Und er lässt sich diese auch im Rollstuhl nicht nehmen. «Früher war ich total frei, jetzt kann ich eben nicht mehr einfach so in einen Zug einsteigen. Heute muss ich vieles vorplanen und organisie-

Laute elektronische Musik dröhnte von Weitem von dem Areal des ehemaligen Basler Kinderspitals. Der milde Frühlingsabend zog viele Besucher an die illegale Party. Simon Hitzinger sass auf einem der Balkongeländer. Als er sich ein Stück zu weit nach hinten neigte, stürzte er zwölf Meter in die Tiefe. Hilfe kam schnell. Im entscheidenden Moment waren die richtigen Menschen vor Ort, die Reha-Pflegerin und die Sanität, die zufälligerweise ganz in der Nähe war. Dank diesen glücklichen Umständen stösst Hitzi – wie er genannt werden will – gleich zweimal im Jahr auf seinen Geburtstag an. Am 1. Mai feiert er jeweils seinen «Wieder-Geburtstag», wie er ihn nennt. An diesem Tag im Jahr 2011 wurde sein Leben auf den Kopf gestellt. Zweimal mussten ihn die Ärzte wiederbeleben. «Nach dem Unfall habe ich realisiert, dass sich das Leben innerhalb von Sekunden komplett drehen kann», sagt Hitzi und nimmt einen Schluck von seinem Cappuccino. Mittlerweile sind vier Jahre vergangen. Hitzi ist heute 21 Jahre alt, arbeitet bei Radio X in Basel und macht daneben die KV-Nachholbildung. Er mag es bunt, nicht nur bei seinen Kleidern. Schwarz-Weiss-Denken hat in seinem Leben keinen Platz. Seit seinem Unfall, sagt Hitzi, lebe er den Moment noch ein Stück intensiver und bewusster. Auch Sorgen um die Zukunft mache er sich keine: «Wozu auch? Mein Leben ist doch superschön!» Entscheidend für ihn war die Zeit nach dem Unfall. «Glücklich sein ist eine Entscheidung. Vor vier Jahren musste ich mich entscheiden. Entweder ich packe mein Leben und mache es richtig, oder ich scheiss auf mein Leben und gebe auf.» So sei auch lernen, wieder zu laufen für ihn kein Traum, sondern vielmehr ein konkretes Ziel: «Es ist doch viel anstrengender, schwarz zu denken, als darauf zu vertrauen, dass es gut kommt. Das öffnet einem so viele Türen.» Hitzi nennt das praktisches Denken. Er habe dies vom Buddhismus gelernt, erzählt er. Obwohl er nicht mehr täglich meditiere, sei seine positive Einstellung mittlerweile tief in ihm verankert. Und wenn die schlechten Gedanken doch einmal kommen, seien diese auch schnell wieder weg. «Dann frage ich mich: Bringen die dich «Wenn die schlechten Gedanken kommen, frage ich mich: Bringen jetzt weiter, Hitzi? Die Antwort ist immer Nein.» die dich jetzt weiter, Hitzi? Die Antwort ist immer Nein.» Er schmunzelt und richtet sich auf. «Keep Smiling» hat er seine Facebook-Seite benannt. Dort postet er positive Gedanken und Lebensweisheiten. «Es ren.» Er gibt zu, lästig könne das schon sein. Mühe macht ihm auch seifreut mich, wenn ich meine positive Einstellung weitergeben kann. Vielne Spastik, die durch die Querschnittslähmung entstanden ist. «Natürleicht hilft es ja sogar einigen Menschen in gewissen Situationen. Das lich kommen die Zuckungen immer im falschen Moment. Es nervt, gewäre schön.» gen deinen eigenen Körper anzukämpfen.» Immer wieder richtet er Der Blick fürs Positive – diese Lebenseinstellung widerspiegelt sich sich auf, um seinen Rücken zu dehnen – von den Zuckungen bleibt er besonders gut in Hitzis Lieblingsbeschäftigung. «Durch das Fotografieim Verlauf unseres Gesprächs aber verschont. ren kann ich verschiedene Blickwinkel auf etwas Bestimmtes einnehHitzi ist ein selbstbewusster junger Mann. Auch dass er momentan men und auch mein Leben einfangen – sowohl die Gefühle als auch die keine Freundin hat, stört ihn nicht: «Ich glaube, zurzeit ist es besser so. Vielseitigkeit. Die Welt ist so, wie du sie siehst.» Hitzis Sinn für ÄstheIch bin mich gerade sehr am Weiterentwickeln, und das kann ich am tik und der Blick fürs Schöne drücken nicht nur beim Fotografieren besten alleine.» In Hitzis Leben zählt das Jetzt. Und das weiss er ofdurch. Auch sein Rollstuhl wirkt mit seinem knallpinken Schutzblech fensichtlich zu geniessen. ■ SURPRISE 345/15

9


BILD: ZVG

Socar Gute Gesch채fte in Helvetistan

10

SURPRISE 345/15


Politik ist Politik, Geschäft ist Geschäft: Während sich in der Schweizer Botschaft in Aserbaidschan ein verfolgter Journalist versteckt hält, macht der staatliche Ölkonzern Socar hierzulande Millionenumsätze. Die offizielle Schweiz pflegt mit dem Staat mit miserabler Menschenrechtsbilanz seit jeher gute Beziehungen. VON SARA WINTER SAYILIR

zum Beispiel in Zürich Oerlikon, in Visp oder in Sarnen. Weithin sichtbar leuchtet an 160 Schweizer Tankstellen das Logo von Socar, der State Oil Company of Azerbaijan Republic, des staatlichen Ölkonzerns von Aserbaidschan: eine Flamme in den aserbaidschanischen Nationalfarben Grün-Rot-Blau auf erdölschwarzem Grund. 64 Tankstellen gehören dem Konzern direkt, die restlichen sind Partnerstationen. Für satte 330 Millionen Franken übernahm der Konzern im Jahr 2012 das Tankstellennetz von Esso Schweiz. Das ist knapp doppelt so viel, wie der Gesamtwert der Schweizer Exporte nach Aserbaidschan 2014 betrug. Socar ist der einzige Staatskonzern auf dem Schweizer Erdölmarkt und die Schweiz das einzige westeuropäische Land, in dem konzerneigene Tankstellen stehen. Betrieben werden sie durch die Socar Energy Switzerland GmbH, eine hundertprozentige Tochter des Staatsbetriebes. Diese deckt ausserdem je ein Viertel des Kerosinbedarfs an den Flughäfen Zürich und Genf und füllt in Wangen bei Olten Gasflaschen ab. Ob wir in die Ferien fliegen, mit dem Auto fahren oder Cervelats auf den Gasgrill legen: Socar ist dabei. Konkrete Umsatzzahlen gibt Socar Energy Schweiz nicht bekannt. Klar ist aber: Laut Eidgenössischer Zollverwaltung importierte die Schweiz 2014 Erdöl und Erdölprodukte aus Aserbaidschan im Gesamtwert von mehr als 300 Millionen Franken.

Emin Huseynov hatte sich die Haare blond gefärbt, um europäischer auszusehen. Er gab sich als Schweizer Bürger aus, nur so kam er an den aserbaidschanischen Wachleuten vorbei, die das Gelände der Schweizer Botschaft in Baku bewachen. Das war im August 2014, seither lebt der verfolgte Journalist und Aktivist auf wenigen Quadratmetern Schweizer Boden in der Bakuer Altstadt, wie das Schweizer Fernsehen SRF kürzlich publik machte. Huseynov ist kein Einzelfall. Das autoritäre Regime von Präsident Ilham Aliyev unterdrückt die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit systematisch und im grossen Stil. Rund 130 politische Gefangene zählte die lokale NGO «Aserbaidschanisches Institut für Frieden und Demokratie» letztes Jahr. Zum elften Mal in Folge stufte die NGO Freedom House den aserbaidschanischen Staat 2014 als «unfrei» ein, auf dem Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen rangiert die Kaukasus-Republik auf Platz 160 von 180. Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet die Schweizer Botschaft zum sicheren Hafen im Unrechtsstaat wird. Denn Aserbaidschan ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz in der Region Südkaukasus. Mehrere Schweizer Grossunternehmen, darunter Holcim (unter dem Namen Garadagh Sement), die Pharmamultis Novartis und Roche und der Magistraler Kuschelkurs Rohstoffkonzern Glencore geschäften dort teils mit eigenen NiederlasDie Geschäftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Aserbaidsungen. Vor allem aber ist Aserbaidschan einer der wichtigsten Öl- und schan werden seit Langem auf höchster politischer Ebene gefördert. Gaslieferanten der Schweiz. Und Europas zentrale Alternative zu russi2007 unterschrieben der damalige Energieminister Moritz Leuenberger schen Energielieferungen durch das Kriegsgebiet in der Ukraine. und sein Amtskollege Natiq Aliyev eine Absichtserklärung zur engeren Man nehme Aserbaidschans Entwicklung «mit grosser Besorgnis» wahr und äussere diese regelmässig in bilateralen und internationalen Foren, lässt das EidSocar ist der einzige Staatskonzern auf dem Schweizer Erdölgenössische Departement des Äusseren (EDA) auf Anfrage verlauten. Weil Aserbaidschan markt und die Schweiz das einzige westeuropäische Land, in dem aber reich an Öl und Gas ist, bleibt es bei verSocar-Tankstellen stehen. haltener Kritik. Schliesslich war es unter anderem aserbaidschanisches Öl, das beim AusZusammenarbeit, vor allem im Energiebereich. Wie wichtig Aserbaidbleiben libyscher Lieferungen zwischen 2009 und 2011 verhinderte, dass schan der Schweizer Regierung ist, zeigt sich an der Liste der persöndie Schweizer froren oder ihre Autos stehen lassen mussten. Und ab lichen Neujahrskarten, die Doris Leuthard im Jahr 2010 als Bundesprä2018 soll aserbaidschanisches Gas durch die Trans-Adriatic-Pipeline TAP sidentin verschickte. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev nach Europa gelangen. An der TAP ist auch der Schweizer Energieriese war einer von gerade einmal 29 glücklichen Adressaten. Im November Axpo mit fünf Prozent beteiligt. 2011 reiste Leuthard als Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) zu GespräGrillieren mit dem Staatskonzern chen auf höchster Ebene in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku. Weit weg scheinen die Hänge des Kaukasus, wo die kleine Republik Vor ihr und Moritz Leuenberger waren schon Pascal Couchepin und Mivon der Grösse Österreichs mit ihren gut neun Millionen Einwohnern cheline Calmy-Rey dortgewesen. Ziel der Gespräche war stets die Förzwischen Russland, dem Iran, Georgien, Armenien und der Türkei liegt. derung privatwirtschaftlicher Initiativen im Energiesektor. Im SchleppUnd doch steht Aserbaidschan buchstäblich direkt vor unserer Haustür: SURPRISE 345/15

11


tau von Leuthard reisten damals auch Vertreter der Privatwirtschaft mit nach Baku. Genaue Angaben zur Zusammensetzung der Delegation sind nicht zu bekommen. Anzunehmen ist jedoch, dass auch Vertreter der Axpo mit dabei waren, die das Sekretariat der Parlamentarischen Gruppe Schweiz-Aserbaidschan stellt. Einen Tag nach Leuthards Besuch von 2011 gab der Staatskonzern Socar die Übernahme von Esso Schweiz bekannt. Nach offizieller Lesart des EDA und des UVEK sei dies reiner Zufall gewesen. Die Zeichen magistraler Wertschätzung halten auch in jüngster Zeit an: Nachdem Bundespräsident Ueli Maurer und Aussenminister Didier Burkhalter Aliyev im Januar 2013 am WEF in Davos getroffen hatten, reiste im April desselben Jahres Wirtschaftsminister Johann SchneiderAmmann nach Baku. Weitere Besuche aserbaidschanischer Regierungsvertreter bei Schneider-Ammann sowie ein Besuch Burkhalters im Rahmen des Schweizer OSZE-Vorsitzes 2014 in Baku zeigen, wie ernst es den beiden Kleinstaaten miteinander ist. Sie sind schliesslich auch anderweitig aufeinander angewiesen: Zu klein, um sich im Alleingang beim Internationalen Währungsfonds und bei der Weltbank Gehör zu verschaffen, bilden die Schweiz und Aserbaidschan im Zusammenschluss mit anderen zentralasiatischen Ländern die Stimmrechtsgruppe «Helvetistan».

richts vom 11. Februar nun öffentlich bestätigen, dass sich ein aserbaidschanischer Staatsbürger seit einem halben Jahr in der Bakuer Botschaft versteckt hält. Weiter wollte sich das EDA dazu nicht äussern. Klar ist, die SRF-Geschichte war in Absprache mit Huseynov entstanden, denn zuvor war der Aufenthaltsort des Regimekritikers gut geheim gehalten worden. Selbst Emin Huseynovs jüngerer Bruder, der populäre Blogger Mehman Huseynov, wusste bis zum SRF-Medienbericht nicht, wo sich der Verfolgte aufhält, wie er gegenüber Surprise via Skype bestätigte. Huseynov ist nicht der einzige Menschenrechtsfall in Aserbaidschan, der für Schlagzeilen sorgt. Spätestens seit der Auflösung der Proteste gegen die Parlamentswahlen 2010 geht das Regime mit harten Bandagen gegen Kritiker im Inland vor. Dazu zählen Einschüchterungskampagnen, fingierte Anklagen und die strikte Einschränkung der Bewegungs- und Handlungsfreiheit von NGOs mit nicht-aserbaidschanischen Geldgebern. Allein 2014 wurden laut Human Rights Watch mehr als 30 Regierungskritiker festgenommen, darunter die bekannte investigative Journalistin Khadija Ismayilova, Preisträgerin des renommierten Gerd-BuceriusPreises für freie Presse in Osteuropa der deutschen ZEIT-Stiftung. Aber auch Menschenrechtler wie Leyla Yunus und Intiqam Aliyev wurden im vergangenen Jahr inhaftiert. Während es in Aserbaidschan schon lang keine unabhängigen Massenmedien mehr gibt, schloss die Regierung im Dezember mit Azadliq Radiosu, dem lokalen Büro des mit Geldern des US-amerikanischen Kongresses finanzierten Radio Free Europe/Radio Liberty, zudem eine der letzten Bastionen freier Berichterstattung in aserbaidschanischer Sprache überhaupt. «Die Schliessung von Azadliq Radiosu ist der schwerste Schlag für Aserbaidschans Medienlandschaft seit der Unabhängigkeit 1991», sagt der Fotograf des Senders, Abbas Atilay. Er ist mittlerweile in die Schweiz geflohen und wartet im Aargau auf einen Asylentscheid. «Nun gibt es viele Leser, die nicht mehr wissen, woher sie ihre Informationen beziehen sollen, denn was in Aserbaidschans Zeitungen und Onlinemedien steht, darauf kann man sich nicht verlassen», so Atilay im Gespräch mit Surprise. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was mit dem Geld geschieht, das Socar in der Schweiz verdient. Ein Teil davon fliesst zurück nach Aserbaidschan. «Das Volk sieht davon allerdings nur wenig», sagt Fotograf Atilay, «das meiste verschwindet irgendwo im korrupten Sys-

In der Schweiz dank Steuerdeal Die Schweiz ist für Ilham Aliyev und seine Machtclique nicht nur wegen des Umsatzes der Socar-Tankstellen wichtig. Finanziell bedeutender ist eine weitere hundertprozentige Tochtergesellschaft des Staatskonzerns mit Sitz in Genf: Die Socar Trading AG ist die internationale Handelsplattform des Mutterkonzerns. Sie generiert auf dem wichtigen Rohstoffhandelsplatz die Haupteinnahmen für Aserbaidschans Staatsbudget. 75 Prozent des aserbaidschanischen Rohöls auf dem Weltmarkt werden laut Socar Trading über Genf verkauft. Auch aserbaidschanisches Gas, Flüssiggas und andere Erdölprodukte finden hier ihre Käufer auf dem internationalen Markt. Der Unternehmenswert von Socar Trading liegt laut einer Schätzung von Ende 2013 bei umgerechnet knapp 400 Millionen Franken. Wie Socar-Trading-CEO Arzu Azimov freimütig gegenüber der Genfer Wirtschaftszeitung L’Agefi zugab, profitiert die Firma in Genf zudem von einem attraktiven Steuerdeal. Das Entgegenkommen des Kantons habe 2008 dazu geführt, dass man sich hier niedergelassen habe – und nicht etwa in London oder Dubai, so Azimov weiter. Die Journalistin, die aufdeckte, dass von den Socar-Millionen Die Socar-Gesellschaften in der Schweiz stellen ein Geflecht von Abhängigkeiten und vor allem die Elite profitiert, wurde danach verhaftet. Geschäftsbeziehungen dar. Die Tankstellenbetreiberin Socar Energy Switzerland GmbH resitem oder in den Taschen von Staatsbeamten.» Dass vor allem die mächdiert in Zürich an der Uraniastrasse. Sie ist im vollständigen Besitz der tige Elite um den Präsidenten direkt profitiert, ist unter anderem seit Socar Energy Holdings AG, die an derselben Adresse eingetragen ist und einschlägigen Recherchen von Journalistin Ismayilova ein offenes Geihren Geschäftssitz zuvor im Steuerparadies Zug hatte. Was die Holding heimnis und gilt als eigentliche Ursache ihrer Verhaftung. Um wie viel zum Umzug nach Zürich bewogen hat, ist nicht bekannt. Geld es sich dabei genau handelt, ist schwer herauszufinden. Auf dem Geleitet wird die Holding von Zaur Gahramanov, der in der Socarinternationalen Korruptionsindex von Transparency International ranGruppe zuständig ist für Auslandsinvestitionen. Gahramanov fungiert giert Aserbaidschan auf Rang 126 von 175. zudem als Finanzchef von Socar Trading in Genf. Und im Verwaltungsrat der Zürcher Holding sitzt ausserdem prominenterweise der oberste Aserbaidschan rüstet auf Chef des Konzerns, Socar-Generaldirektor Rövnaq Abdullayev. Leichter nachzuzeichnen ist, was Socar in Aserbaidschan mit dem Rein formell sind die Socar-Töchter in Genf und Zürich Schweizer offiziellen Teil seiner Gewinne anstellt: Sie fliessen direkt ins StaatsFirmen. Der CEO von Socar Trading in Genf, Arzu Azimov, sprach allerbudget. Rund 2,3 Milliarden Franken brachte Socar der Staatskasse im dings die Nähe zum Mutterkonzern und zur aserbaidschanischen ReJahr 2014 ein, knapp doppelt so viel wie ein Jahr zuvor. De facto bilden gierung im Interview mit L’Agefi offen an: Socar Trading sei stark von die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft mehr als die Hälfte des Bakus diplomatischen Beziehungen abhängig. «Das politische Risiko ist Staatsbudgets. Die Regierung investiert durchaus in das Strassennetz enorm hoch für uns», so Azimov. und das Bildungswesen. Im grossen Stil aber profitiert die boomende Auch der in die Schweizer Botschaft geflüchtete Journalist Emin HuBaubranche Bakus mit Prestigebauten wie dem höchsten Gebäude des seynov dürfte zu diesen politischen Risiken zählen, die das gute GeKaukasus: dem im Bau befindlichen Socar-Hauptsitz, einem Glasturm schäftsklima bedrohen. War der Fall bisher hinter verschlossenen Türen in Flammenform. Auch Imageprojekte werden mit Ölgeldern finanziert, verhandelt worden, so musste das EDA aufgrund des SRF-Medienbe-

12

SURPRISE 345/15


BILD: KEYSTONE

Traditionell gute Beziehungen: Die damalige Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey 2011 bei Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev.

wie die ersten Europa-Spiele – eine Art Olympische Spiele für ein erweitertes Europa, an denen im kommenden Juni auch die Schweiz mit rund 150 Athleten vertreten sein wird. «Doch in allererster Linie fliesst das Geld in Waffen», sagt ein lokaler Kenner der Ölbranche und Kritiker des Regimes, der lieber anonym bleiben will. Um 27 Prozent auf über vier Milliarden Franken hat Aserbaidschan sein Verteidigungsbudget dieses Jahr angehoben, das sind 17,8 Prozent des Staatshaushaltes. Waffen liefert die Schweiz zwar nicht nach Aserbaidschan. Mit dem Ölgeld rüstet sich Baku aber gegen Kriegskontrahent Armenien auf. 2012 lagen die Militärausgaben Aserbaidschans noch bei knapp der Hälfte des heutigen Betrags. Seit über 20 Jahren befinden sich die beiden Südkaukasus-Republiken im Konflikt um die umstrittene Region Bergkarabach. Trotz des seit 1994 bestehenden Waffenstillstandes kommt es immer wieder zu bewaffneten Konfrontationen. Thomas de Waal, Kaukasus-Sicherheitsexperte beim Carnegie Endowment for Democracy and Peace, hält es für wahrscheinlich, dass trotz enormer Nachteile, die ein neuer Krieg beiden Ländern bringen würde, eine Fehlkalkulation auf der einen oder anderen Seite bereits zu schweren Kämpfen führen könnte. Denn: «Was früher eine matschige Zone von Schützengräben und schlecht bewaffneten Soldaten war, strotzt heute vor schweren Waffen und Kampfflugzeugen», so de Waal. Kein Kommentar, kein Interview Das politische Gewicht des «Ölministeriums im Unternehmensgewand», wie der oben zitierte Branchenkenner Socar betitelt, lässt sich auch anhand des Führungspersonals ablesen: Der heutige Staatspräsident Ilham Aliyev, Sohn des vorherigen Präsidenten, war als Vize-Präsident des Konzerns massgeblich am sogenannten Jahrhundertvertrag SURPRISE 345/15

beteiligt – jenem Öldeal der aserbaidschanischen Regierung mit einem internationalen Konsortium, der 1994 die ökonomische Erholung der ehemaligen Sowjetrepublik einleitete. Auch der heutige Industrie- und Energieminister Natiq Aliyev war einige Zeit Präsident von Socar, und der derzeitige Mann an der Spitze, Rövnaq Abdullayev, ist ein Vertrauter des Präsidenten und Abgeordneter der Regierungspartei YAP. Zu all dem möchte sich Socar Schweiz nicht äussern. «Socar Energy Switzerland ist ein Schweizer Unternehmen und handelt auch entsprechend im Bereich Corporate Governance mit einer vorbildlichen Betriebsführung und gemäss den Schweizer Regulationen», lässt Pressesprecher Urs Knapp per E-Mail verlauten. Zu Menschenrechtsfragen und Politik gebe man grundsätzlich keine Kommentare ab. Man sei schliesslich ein rein privatwirtschaftliches Unternehmen. Auch ein Interviewtermin mit CEO Edgar Bachmann war nicht zu bekommen. Ebenso wenig möchte der an 55 Standorten in die Socar-Tankstellen integrierte Migrolino, der Convenience-Shop der Migros, mit Aserbaidschans schlechter Menschenrechtsbilanz in Verbindung gebracht werden. Immerhin spricht Migrolino-Pressesprecherin Marie-Louise Baumann die Problematik an: «Migros und Migrolino verurteilen jegliche Art von Menschenrechtsverletzungen. Das haben wir auch gegenüber Socar klar geäussert.» Die Kooperation zwischen Migrolino und Socar betreffe nur Schweizer Convenience-Shops, die hier auf eine verantwortungsvolle Weise geführt würden, so Baumann weiter. Es ist auch in diesem Fall, wie es schon immer war: Politik ist Politik, Geschäft ist Geschäft. Socar hat derweil das eigens für den Schweizer Auftritt von der Werbeagentur Jung von Matt entwickelte Logo auch in Aserbaidschan übernommen. Nun sehen sogar die Tankstellen in Baku genauso aus wie in Genf, Zürich oder Rorschach – nur der Migrolino fehlt. ■

13


Menschenrechte «Es gibt Fälle, die mich bis in den Schlaf verfolgen» Die Zürcher Völkerrechtsprofessorin Helen Keller ist Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg. Im Interview gibt sie einen persönlichen Einblick in ihre Arbeit und erklärt, warum sie die SVP-Initiative «Landesrecht vor Völkerrecht» für sehr gefährlich hält.

VON JUDITH HOCHSTRASSER (TEXT) UND SABINE DREHER (BILD)

Helen Keller, Sie und Ihre Kollegen am Gerichtshof in Strassburg werden von konservativen Politikern in der Schweiz gerne als «fremde Richter» bezeichnet. Regt Sie das auf? Ich empfinde mich selber nicht als fremde Richterin. Ich bringe in Strassburg die Schweizer Sichtweise ein, auch in den Schweizer Fällen. Ich muss zum Beispiel häufig die föderalistischen Strukturen erklären, weil sie für viele Leute fremd sind. Ausserdem: Wir sind ein europäischer Gerichtshof, der die europäischen Werte vertritt, die auch in der Bundesverfassung verankert sind. Sie arbeiten seit drei Jahren am EGMR. Wie steht es um die Menschenrechte in Europa? Der Gerichtshof hat sehr viel erreicht. Der Zugang zur Justiz in der Türkei ist viel besser geworden. Auch in Russland gibt es viele kleine Verbesserungen. Aktuelles, zum Beispiel die Ereignisse in der Ostukraine, wird erst mit einer gewissen Verspätung bei uns auf dem Tisch landen. Und es gibt Fragen, bei denen wir auf Granit beissen. Zum Beispiel? Tschetschenien. Die Russen zahlen zwar, wenn wir den Opfern Entschädigungssummen zusprechen, aber wenn wir auf tieferliegende Probleme hinweisen, zum Beispiel dass es keine gründlichen Aufklärungen der Todesfälle gibt, ist die Antwort Schweigen. Doch selbst wenn sich am Grundlegenden nichts ändert: Es zählt auch das individuelle Urteil. Für die tschetschenische Mutter, die ihren Sohn verloren hat und von keiner russischen Behörde je Recht bekommen hat, ist es wichtig, wenigstens von uns Recht zu bekommen, auch wenn die zwanzigtausend Euro ihren Sohn nicht wieder lebendig machen.

Wie steht es in der Schweiz um die Menschenrechte? Generell sehr gut. Wichtig ist die gefestigte rechtsstaatliche Struktur. Das Bundesgericht trägt wesentlich dazu bei, dass der EGMR nur in sehr wenigen Fällen Menschenrechtsverletzungen feststellt. Letztes Jahr betraf das insgesamt etwa ein Prozent aller Fälle. Darum verstehe ich manchmal nicht, dass die hiesige Presse so aufschreit, wenn mal ein Urteil kommt. Es hat aber immer wieder Probleme bei Ausschaffungen gegeben. Ja, aber da haben wir Fortschritte gemacht. Natürlich gibt es manchmal Zwischenfälle. Dass wir diese untersuchen müssen, ist von der Schweiz akzeptiert. Zudem gibt es Menschenrechtsorganisationen, die die Ausschaffungen begleiten. Da bereiten mir beispielsweise die Haftbedingungen in der Strafanstalt Champ-Dollon mehr Sorgen. Auch das Bundesgericht hat entschieden, dass die Situation dort unhaltbar ist. Bei der Minarettinitiative, der Verwahrungsinitiative oder der Ausschaffungsinitiative wird kritisiert, dass sie menschenrechtswidrig seien. Was sollte höher gewichtet werden, die Einhaltung der staatlichen Souveränität oder die Einhaltung der Menschenrechte? Darauf kann man keine allgemeine Antwort geben. Das Initiativrecht ist etwas vom Wichtigsten, das wir haben, weil es sehr kreativ ist. Ich möchte das nicht missen. Aber es ist kein Freipass. Stellen Sie sich mal vor: Es kommt zu einem schlimmen Sexualdelikt. Sofort wird eine

«Ich bin unabhängige Richterin – ich entscheide nicht für oder gegen die Schweiz.»

Sie sind oft mit schlimmen Schicksalen konfrontiert. Wie gehen Sie damit um? Das ist häufig schon sehr belastend. Es gibt Fälle, bei denen mir schlecht wird beim Lesen und es gibt Fälle, die mich bis in den Schlaf verfolgen. Es ist nicht einfach. Haben Sie eine Strategie, um sich davon zu lösen? Man muss es versuchen, sonst raubt es einem den Schlaf. Es ist auch die Masse, die belastet. Wir haben jedes Jahr 80 000 neue Beschwerden. Da muss man schauen, dass man nicht zu abgebrüht wird und findet: Ach, schon wieder! Schliesslich steht immer ein menschliches Schicksal dahinter. Es ist jeden Tag eine Gratwanderung.

14

Volksinitiative zur Verurteilung von Sexualstraftätern im Schnellverfahren auf die Beine gestellt. Natürlich käme diese Initiative durch, weil die Leute aufgewühlt wären. Aber: Auch ein Sexualtäter hat ein Anrecht auf ein faires Verfahren. Ich müsste als Verfassungs- und Menschenrechtlerin sagen: Da darf die Initiative keinen Vorrang haben. Sonst fangen wir an, Menschen in verschiedene Kategorien einzuteilen. Die SVP hat die Volksinitiative «Landesrecht vor Völkerrecht» lanciert, die ausdrücklich vorsieht, dass die Schweiz gegebenenfalls aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austritt. Da müssten Ihnen die Haare zu Berge stehen, oder? Ja, jedes einzelne! Was die SVP macht, ist sehr gefährlich. Es ist ein Frontalangriff – nicht nur gegen die Konvention, sondern auch gegen das Völkerrecht. Viele Menschen sind sich nicht bewusst, wie wichtig das Völkerrecht ist. Stellen Sie sich vor: Ihr Sohn fliegt nach Thailand SURPRISE 345/15


SURPRISE 345/15

15


in die Ferien und kifft ein bisschen am Strand. Dann wird er erwischt. Aufgrund des Völkerrechts darf er Kontakt aufnehmen mit dem Schweizer Konsulat, dieses besorgt ihm einen Dolmetscher und hilft ihm, einen Anwalt zu finden. Wehe ihm, wenn das Völkerrecht nicht gilt! Dann gilt thailändisches Recht. Und ob das einen fairen Prozess garantiert ...

schreiben. Mit diesen «Dissents» exponiert man sich extrem und sie bedeuten viel Arbeit. Man muss sich gut überlegen, ob es sich lohnt. Aber sie werden weltweit gelesen. Der Gerichtshof ist ein Trendsetter in Menschenrechtsfragen. Mit einem Dissent sagt man: Achtung, Menschenrechtsgemeinschaft! Es gibt Sachen, die man auch anders sehen kann! Das kann dazu führen, dass ein anderes Gericht anders entscheidet.

Was wären die politischen Konsequenzen? Die Initiative ist auch eine Katastrophe, weil die Schweiz in der Folge nicht mehr im Europarat dabei sein könnte. Wir haben in vielen Ländern Wirtschaftskrisen. Und Krieg in Europa: Die Ukraine ist nicht weit weg. In dieser Situation zu sagen, die Schweiz brauche den Europarat nicht, ist extrem gefährlich und naiv. Und die Schweiz soll auch ihren Beitrag zur Friedenssicherung leisten.

Sind Sie eine gute Verliererin? Man muss in diesem Job andere Meinungen stehen lassen können, auch wenn man sie menschlich und rechtlich nicht teilt. Nach den Beratungen muss man das Dossier zumachen können und darf nicht nachtragend sein. Wir müssen jede Woche wieder mit den anderen Richtern und Richterinnen zusammensitzen und neue Fälle entscheiden.

Haben Sie Angst, dass die Initiative durchkommt? Nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative muss man mit allem rechnen. Ich werde mich aber dagegen engagieren, soweit das mein Amt am Gerichtshof erlaubt. Die Schweiz ist wichtig für den EGMR. Sie ist nicht irgendein Land. Weil hier der Menschenrechtsstandard so hoch ist, sind wir auch glaubwürdig auf dem internationalen Parkett. Wird diese Glaubwürdigkeit nicht schon alleine durch die Initiative erschüttert? Man fragt mich im Ausland schon, was da eigentlich läuft. Was sagen Sie dann? Es ist schwierig, aber wir hoffen, dass die Initiative nicht durchkommt.

Gab es einen Fall, bei dem es Ihnen besonders wehgetan hat, dass Sie verloren haben? Ja, der Fall Janowiec gegen Russland, der hat wehgetan. Es ging um die Ermordung von über zwanzigtausend polnischen Offizieren im Jahr 1940. Der Gerichtshof hat relativ einfach argumentiert: Die Menschenrechte würden erst seit 1950 gelten und die Russen seien der Konvention sogar erst 1998 beigetreten. Das ginge den Gerichtshof gar nichts an. Er hat völlig ausgeblendet, dass das ein Kriegsverbrechen war und damit unverjährbar. Für Polen ist dieses Massaker ein Trauma. Sogar die russische Duma hat die getöteten Offiziere 2010 als Opfer des Stalinismus anerkannt. Das russische Verfassungsgericht entschied aber, das sei alles geheim, und das Verfahren wurde eingestellt. Es hätte also auch Anknüpfungspunkte in der näheren Vergangenheit gegeben. Wofür ist der Gerichtshof da, wenn nicht für die Aufarbeitung solch schlimmer Verbrechen?

Wie beeinflusst Sie die Kritik der Schweizer Medien am EGMR, an Sie betrachten das als falsches Signal? Ihrer Arbeit? Ja. Ich habe das auch so geschrieben. Der Entscheid verkennt völlig, Kritik darf durchaus sein, aber häufig ist sie sehr unsachlich. Bei den dass wir bei solchen Traumata eine Grundlage schaffen müssen, damit Ausschaffungsfällen, die der EGMR als menschenrechtswidrig beurteilt, die Nationen wieder Frieden schliessen können. Vergangenheitsbewälwird in der Presse nie gesagt, dass die Kinder des Betroffenen eine wetigung ist in so einem Fall extrem wichtig, sonst lässt sich Hass zwisentliche Rolle gespielt haben. Es heisst immer: Der kriminelle XY darf schen Nationen leicht wieder schüren. Man muss den Opfern eine Anin der Schweiz bleiben. Aber dass Kinder bei uns Beschwerdeführer sind und dass sie ein Recht darauf haben, ihren Vater in ihrer Nähe zu haben, darüber wird nie «Stellen Sie sich vor, Ihr Sohn fliegt nach Thailand und kifft ein bissgeschrieben. Vor einigen Jahren habe ich in chen am Strand. Wehe ihm, wenn das Völkerrecht nicht gilt!» Polen gearbeitet. Wenn der EGMR entschieden hat, dass dort ein Menschenrecht verletzt wurerkennung geben, symbolisch oder finanziell. Es ging ja nicht darum, de, dann hiess es nicht «Polen ist verurteilt worden!», sondern «XY hat die russischen Schützen zu finden, sondern um die Frage, wie die RusRecht bekommen!» Einseitige und aufgebauschte Kritik nagt an einem. sen mit den Angehörigen der getöteten Offiziere umgehen. Aber meine tägliche Arbeit am Gerichtshof ist davon nicht betroffen. Bundesrat Ueli Maurer stellte sogar den Antrag, dem Parlament formell die Kündigung der EMRK vorzulegen. Fühlen sich gewisse Kreise vom EGMR primär angegriffen? Maurers Antrag war ein Angriff auf die Justiz. Glücklicherweise war dieser Antrag im Bundesrat chancenlos, und ich hoffe, er wird es auch bleiben. Es wäre ein Armutszeichen für die Schweiz, die so stolz ist auf ihre humanitäre Tradition, wenn sie bei der weltweit wichtigsten Menschenrechtsinstitution nicht mehr dabei wäre.

Was wäre für Sie ein wichtiger Schritt zu mehr Gerechtigkeit? Viele Menschenrechtsprobleme könnten gelöst werden, wenn staatliche Behörden die Menschenwürde im Hinterkopf behalten würden, egal wen sie vor sich haben. Hier gibt es eine Déformation professionnelle. Wenn sie den x-hundertsten Drogendealer anhören, der Sie anlügt, dann haben Sie irgendwann genug, sei das als Polizist oder als Strafrichterin. Das ist etwas, das auch mich als Menschenrechtlerin begleitet. Ich muss immer ein Warnglöcklein im Kopf behalten. ■

Wenn eine Richterin am EGMR eine von der Mehrheit abweichende Meinung hat, muss sie diese schriftlich begründen. Führt das nicht dazu, dass man auch mal gegen die eigene Überzeugung stimmt? Ich werde oft gefragt: Warum stimmen Sie nicht für die Schweiz? Aber ich bin unabhängige Richterin und nicht die Vertreterin der Schweizer Regierung. Ich entscheide nicht für oder gegen die Schweiz. Das ist eine völlig falsche Kategorie. Ich gehöre zu den Richtern, die relativ viele sogenannte Dissenting Opinions (abweichende Meinungen, Anm. d. Red.)

16

SURPRISE 345/15


Film Angekettet im Königreich Der 15-jährige Matteo wird im Film «Chrieg» zwecks Besserung zum Arbeiten auf eine Alp geschickt und gerät dort in einen Strudel der Gewalt. Im Interview erzählen die Darsteller Benjamin Lutzke und Sascha Gisler, wieso ihre eigenen Geschichten gar nicht so weit von der Filmhandlung entfernt sind. Und Regisseur Simon Jaquemet sagt, wieso er es beruhigend findet, wenn Leute seinen Film brutal finden. INTERVIEW VON DIANA FREI

Benjamin Lutzke, Matteo ist 15. Sie waren 16, als Sie vor zwei Jahren von Regisseur Simon Jaquemet am Hauptbahnhof Zürich angesprochen und danach für die Rolle besetzt wurden. Trifft der Film Ihr persönliches Lebensgefühl? Benjamin Lutzke: Nein, mein Lebensgefühl trifft er nicht. Aber er trifft Gefühle, die ich in meiner Jugend auch erlebt habe. Zum Beispiel mit meinen Eltern oder in der Schule. Die Aggressionen, die Wut gegen alles. Du kannst gar nicht klar sagen, auf was du wütend bist. Das trifft die Teeniezeit schon sehr genau.

Und was war das? Gisler: Das kann man nicht recht beschreiben. Entweder man spürt es, oder man spürt es nicht. Gewisse Menschen beschreiben es mit Gott oder Liebe. Für mich ist es eher ein Gefühl, der Moment des Augenblicks. Das klingt ähnlich wie in «Chrieg». Als Matteo auf die Alp geschickt wird, gerät er in eine Spirale der Gewalt. Auf dem Berg ist man dem Alltag enthoben, in einer Mischung aus Horror und BeBILD: ZVG

Sascha Gisler, Sie spielen den serbischen Secondo Dion, einen der jungen Delinquenten. Hat die Rolle etwas mit Ihnen zu tun? Sascha Gisler: Ja, sicher. Ich habe meine Wurzeln auch im Balkan und

hatte schon als Kind Schwierigkeiten, mich in der Welt zurechtzufinden. Das grösste Problem war, dass ich die Reglemente und Regeln nicht verstand oder nicht annehmen wollte. In der Schule oder auch zuhause. Und je mehr man sich wehrt, desto härter werden die Konsequenzen. Geschlossene, Heim, all das Zeug. Ich war auf der Suche nach etwas, was eigentlich schon lange da war.

SURPRISE 345/15

17


freiung. Simon Jaquemet, was ist die Alp für ein Ort? Simon Jaquemet: Ich bin selber auf einem Bauernhof aufgewachsen, der aber nicht so abgelegen war. Das war ein kleines Paradies. Wir hatten einen ganzen Park für uns allein. Die Freiheit und die Spielplätze, wo man tun kann, was man will. Irgendwann habe ich das aber verloren, weil wir in die Stadt gezogen sind. Vielleicht ist deshalb so eine Sehnsucht in dieser Story drin. Diese Alp, wie ein Königreich.

Wie kamen Sie zu Ihrer Rolle in «Chrieg»? Gisler: Durch Simon Jaquemet und meine Jungs, die mit mir in Zürich im Kreis 3 chillen. Meine Jungs sind berüchtigt für Innenhöfe. Wir waren also in einem Innenhof am Rappen und haben mitgekriegt, dass dort ein Tonstudio einer Filmproduktion war. Das haben wir mal angeschaut. Da hiess es, es werde noch jemand für eine Filmrolle gesucht, und ich solle mal ans Casting gehen.

Aber anfänglich ist sie ein Ort des Schreckens. Matteo wird gedemütigt, angekettet, in den Zwinger gesperrt, muss Hund spielen und Scheisse essen. Jaquemet: Durch dieses Horrorszenario muss er durch, um zur Freiheit zu gelangen. Zur Utopie der anderen Lebensform. Ich denke, es gibt einige Momente, in denen man fast hoffen möchte, dass die das irgendwie schaffen dort oben. Das finde ich sehr wichtig. Sie kommen ein paarmal nahe daran heran, aber sie scheitern doch immer wieder. Letzten Endes vielleicht an sich selber.

Sie haben selber keine Gewalttaten verübt, Benjamin Lutzke. Trotzdem haben Sie auch Aggressionen oder Ohnmachtsgefühle der Teeniezeit beschrieben. Hatten Sie nie Lust, einfach dreinzuschlagen? Lutzke: Doch, schon. Aber bei mir hat das eher andere Formen angenommen. Ich habe als Jugendlicher immer mein Zimmer demoliert, wenn ich wütend war. Oder ich bin wütend abgehauen und habe niemandem was gesagt. Ich wusste, dass dann alle voll durchdrehen und mich suchen. Das habe ich ausgekostet.

Sascha Gisler, in einer Szene erinnert sich Dion daran, wie schön es war, als ihm die Grossmutter früher in Serbien das Essen zubereitete. Kennen Sie diese Art von Sehnsucht auch? Gisler: Ja, sicher. Nur ist sie heute mit Angst verbunden. Ich habe im echten Leben Grosseltern, bei denen ich schon als Kleinkind wusste, dass sie mich akzeptierten und für mich sorgten, egal, wie sehr ich geschrien oder geweint habe. Das vermisse ich sicher bis heute noch. Aber jetzt ist die Sehnsucht an die Frage gekoppelt: Wie sehen sie mich unterdessen? Der erwachsene Sascha ist vermutlich nicht das, was sie damals im Baby sahen.

So ähnlich wie Matteo im Film, der seinen Babybruder aus dem Wagen nimmt und mit ihm in den Wald abhaut. Daraufhin wird er auf die Alp ins Time-out geschickt, wo seine neuen Kollegen ihn anfänglich wie einen Hund behandeln. Bellen müssen, angekettet sein, in den Zwinger eingesperrt sein: Wie ging es Ihnen dabei? Lutzke: Das ganze Angekettetsein draussen, es war megakalt, unter zehn Grad, ich war im T-Shirt, 21 Takes lang: Da hatte ich wirklich kei-

«Ich bin selber auf einem Bauernhof aufgewachsen. Das war ein kleines Paradies. Vielleicht ist deshalb so eine Sehnsucht in dieser Story drin.»

Wie sah Ihr Lebensweg denn bisher aus? Gisler: Meinen Lebensweg kann man mit den Simon Jaquemet, Regisseur Bergen vergleichen: rauf und runter. Ich war in psychiatrischen Anstalten, um abzuklären, was nen Bock mehr. Die Szene, in der ich wie ein Hund bellen und Scheismit mir los war, und danach in mehreren Heimen. Weil ich immer wiese essen musste, habe ich nur dreimal gemacht, dann konnte ich nicht der geflüchtet bin, war ich oft obdachlos. Da schaute ich auf der Strasse mehr. Das hat mich psychisch zu sehr belastet. selber, wie ich mir etwas zu essen beschaffen konnte. Dann kam ich in Jaquemet: Wir haben chronologisch gedreht. Das heisst, er war drei Taeine geschlossene Anstalt, zum Eigenschutz und zum Schutz von ange lang an der Kette. deren. Etwas zwischen Heim und Massnahmenzentrum. Und nach dem Lutzke: Irgendwann kam dann der Moment, als die Kette weg war. Das Massnahmenzentrum kommt meistens – ja, Knast. war ein Gefühl der Erlösung – wie im Film. Von da an war ich frei. Was haben Sie denn verbrochen? Finden Sie den Film brutal? Gisler: Mit Diebstahl hat es begonnen, Jacken für Kolleginnen, weil wir Jaquemet: Man kann sich überlegen: Was passiert denn tatsächlich im kein Geld hatten. Später waren es Einbrüche, Gewalttaten auf der StrasFilm? Es stirbt niemand, es wird niemand schwer verletzt. Dafür ist alse zusammen mit anderen. Ich geriet immer mehr in den Scheiss hinles sehr realistisch dargestellt. Wenn man nun Hollywoodfilme nimmt ein. Drogenkonsum, Partyszene, Sprayen, aus Dummheit, Doofheit. oder einen «Tatort», passieren da bestialische Dinge. Aber es wird mit einer Distanz gezeigt, sodass man es als Unterhaltung konsumieren In «Chrieg» gibt es auch Zerstörungsaktionen und Überfälle, die kann. Das ist die Art von Gewalt, die ich fragwürdig finde. die Jugendlichen auf ihren Trips in die Stadt verüben. Was passiert in einem solchen Moment? In «Chrieg» geht es um Machtverhältnisse und Erniedrigung. Und Gisler: Wenn man es überhaupt noch wahrnimmt, ist es am Anfang sinicht zuletzt um normale Menschen. Es sind keine Verbrecher, cher mal das Adrenalin, das Machtgefühl. Man weiss, dass das funktiosondern Buben, die in den Strudel der Gewalt hineingeraten. niert. Man kann es fast wie ein Wissenschaftler vorausberechnen. Ich Jaquemet: Die Gewalt findet auf einem niedrigen Level statt, sie wird habe es aber aus dem Moment heraus getan, weil es einfach dazu geaber drastisch dargestellt. Ich glaube, es ist gut, wenn Leute «Chrieg» als kommen ist. Wichtig ist letzten Endes, was danach passiert, die Zubrutal empfinden. Denn wenn man so tut, als ob Gewalt nicht weh tun kunft. würde, finde ich es schwierig. An der arbeiten Sie jetzt. Was machen Sie zurzeit konkret? Es stehen einerseits Gefühle von Teenies im Zentrum, die offenGisler: Zurzeit mache ich gemeinnützige Arbeit für meine Graffitis. Ich bar die meisten kennen. Auf der anderen Seite stecken grössere hätte sonst Freiheitsstrafe, wegen Sachbeschädigung. Ansonsten habe Themen in der Geschichte: Freiheit, der Zwang zur Normierung, ich nun gelernt, mich selbständig zu organisieren. Ich mache wahrdie Ritalingesellschaft. Das sind Punkte, die unser Zusammenlescheinlich noch eine Lehre als Maler oder Logistiker, je nachdem, was ben charakterisieren. ich finde.

18

SURPRISE 345/15


BILD: PHILIPP BAER

Simon Jaquemet (links) hat seine Darsteller an ungewöhnlichen Orten gefunden: Benjamin Lutzke (Mitte) am HB Zürich, Sascha Gisler (rechts) in einem Quartier-Innenhof.

Jaquemet: Sie sind wohl gerade für die Schweiz durchaus charakteristisch. Dadurch dass das Land sehr reich ist und einem vorgemacht wird, es stehe einem alles offen. Aber letzten Endes ist es eben doch nicht so einfach. Das, was für gut befunden wird, hat viel damit zu tun, die Menschen zu guten Konsumenten zu erziehen. Und was ich selber als Jugendlicher, aber auch in Gesprächen über den Film immer wieder empfunden habe: Oberflächlich ist alles in Ordnung, und doch ist man nicht recht zufrieden. Irgendetwas stimmt nicht, aber es ist schwer zu beschreiben, weil kein Feind greifbar ist. Auch für Sie selber nicht? Jaquemet: Als Teenager hatte ich noch viel klarere Bilder von Gut und Böse. Je älter ich wurde, desto mehr hat sich das in einer grauen Suppe aufgelöst, in der alles so kompliziert ist, dass man die Dinge nicht mehr klar benennen kann. Ich glaube, das wird auch im Film ein Stück weit sichtbar: Für Matteo sind noch sehr stark seine Eltern das Feindbild, vor allem sein Vater. Am Schluss löst sich das irgendwo auf, und er steht vor dem Nichts. Vor einer Leere. Das orientiert sich an meiner eigenen Entwicklung, und ich habe diesen Prozess beim Schreiben nochmals durchgemacht: In den ersten Fassungen des Drehbuchs habe ich noch eher versucht, einen Schuldigen zu benennen.

Benjamin Lutzke, Sie sind recht unvermittelt zu diesem Film gekommen, und jetzt stehen Sie plötzlich im Rampenlicht. Sie sind am Max Ophüls Festival und in Marrakesch als bester Darsteller ausgezeichnet worden und sind nun auch für den Schweizer Filmpreis nominiert. Auch das kann einen Druck aufbauen. Was macht das mit Ihnen? Lutzke: Der Film hat mir völlig neue Perspektiven eröffnet, was ich machen will im Leben. Ich sehe mich wegen Schauspielagenturen um und schreibe selber an einem Film. Im August beginne ich meine Lehre als Krankenpfleger. Die will ich gar nicht als Backup beschreiben, weil Krankenpfleger wirklich etwas ist, das ich sehr interessant finde – genauso wie Schauspiel und Film. Ich versuche, beides zu machen. Trotzdem: Sie sind erfolgreich eingestiegen, und dadurch ergibt sich eine gewisse Fallhöhe. Macht Ihnen das keine Sorgen? Lutzke: Ich glaube, man muss definieren, was Erfolg ist. Erfolg ist für mich nicht, dass ich Preise gewinnen will. Da setze ich gar nicht an. Für mich ist der Erfolg, in dem Film mitgemacht und das erlebt zu haben. ■ Simon Jaquemet: «Chrieg», CH 2014, 100 Min., Schweizerdeutsch. Der Film ist in fünf Kategorien für den Schweizer Filmpreis nominiert, der am 13. März

Wer war denn der Schuldige anfänglich? Jaquemet: Ich sah die Ursachen wie Matteo viel mehr bei den Eltern. Ich dachte, dass die Eltern und die Gesellschaft an allem schuld seien. Wahrscheinlich sind es tatsächlich gewisse Zwänge, die uns stören. Aber letzten Endes sind wir es ja selber, die diesen Zwang gemeinsam aufbauen. SURPRISE 345/15

vergeben wird – unter anderem als bester Film. Der 18-jährige Benjamin Lutzke hat eine Nomination als bester Darsteller. «Chrieg» läuft zurzeit in den Deutschschweizer Kinos.

19


BILD: KEYSTONE/SIGI TISCHLER

Den Krieg feiern: Alljährlich (hier im November 2013) ziehen die «alten Schwyzer» am Morgarten noch einmal symbolisch gegen die Habsburger.

Morgarten und Marignano Es gibt nichts zu feiern Es ist Wahljahr, und da kommen EU-Gegnern die Schlachtenjubiläen am Morgarten und in Marignano gerade recht. Doch deren Interpretation der Ereignisse hält der Historiker und ExOffizier Hans Ulrich Jost für Geschichtsverdrehung. Eine Polemik.

20

SURPRISE 345/15


VON HANS ULRICH JOST*

Eidgenossenschaft um die 300 000 Mann in «fremde Dienste». Eidgenossen fand man auf praktisch allen Schlachtfeldern Europas. Von Abkehr vom Ausland und Neutralität kann keine Rede sein.

700 Jahre Morgarten, 500 Jahre Marignano: In diesem Jahr feiert die Schweiz ihre alten Schlachten. Für beide Ereignisse sind kostspielige Geburtsstunde der Banker Erinnerungsfeiern angesagt. Morgarten (1315) war das siegreiche GeAm Soldunternehmertum verdienten die Obrigkeiten und die grossen fecht der Schwyzer gegen eine Truppe von Rittern unter der Führung Herrschaften viel Geld. Korruption verbreitete sich und durchdrang von Herzog Leopold von Habsburg. Dieser hatte versucht, die Ordnung schliesslich die gesamte Oberschicht. Auch beim leichtfertigen Loswiederherzustellen, nachdem die Schwyzer das Kloster Einsiedeln schlagen in Marignano hatten Schmiergelder eine nicht unwesentliche überfallen, geplündert und verwüstet hatten. Marignano (1515) war eiRolle gespielt. Um Soldverträge wurde immer hemmungslos geschane der zahlreichen Schlachten, die Eidgenossen und Söldner in Oberchert. Das ist in gewissem Sinne auch die Geburtsstunde der Schweizer italien geführt hatten. Und zwar je nach Angebot im Auftrag von FrankBanker. Das Bankensystem löste das Söldnersystem ab. Über diese Zureich, dem Herzog von Mailand oder dem Papst. Der einzige Grund für sammenhänge werden uns die Feierlichkeiten aber nicht aufklären. diese Art von kriegerischen Auszügen lag darin, Geld und Kriegsbeute Dafür kommen sie genau zur rechten Zeit: Im nächsten Herbst sind zu ergattern. In Marignano holten sich die alten Eidgenossen allerdings eidgenössische Wahlen. Deshalb wird sich die nationalistische Rechte nur blutige Köpfe. mit Begeisterung auf Marignano und Morgarten stürzen. SVP-Anführer Es gibt also nichts zu feiern an Marignano und Morgarten. Es gäbe Christoph Blocher hatte schon vor fünfzig Jahren am damaligen Marighöchstens etwas aufzuklären. Doch die geplanten Erinnerungsfeiern nano-Manöver mitgemacht. Nun rüsten sich die Herren erneut mit der dienen nicht der historischen Aufklärung. Das zeigt ein Blick auf die Websites der Feierlichkeiten: Denkmal, Gedenkfeier, Gedenkschiessen und ein GalakonNach Marignano gab es keinen Rückzug aus Europa – im zert. Die geplanten Feiern stehen vielmehr in der Tradition einer manipulierten Geschichte, Gegenteil: Es folgten zahlreiche Allianzen und Verträge die die bürgerliche Rechte seit Jahrzehnten zemit anderen europäischen Staaten. lebriert. Zum Beispiel 1915: Während des Ersten Hellebarde für den Kampf, den Blick verklärt in die Vergangenheit geWeltkriegs lancierte der Generalstab der Schweizer Armee eine solche richtet. Wir hören schon jetzt das Halali: «Raus aus der EU, heim ins Rémanipulative Offensive. Er publizierte eine umfangreiche Schweizer duit national und stolz, ein Schweizer zu sein!» Kriegsgeschichte, obwohl dies überhaupt nicht in seine Kompetenzen Aus patriotischen Ritualen lassen sich leicht politische Schlagworte fiel. Sie bildete dann die Grundlage für eine Schulgeschichte, die die ableiten. Nur: Aufgewärmte alte Schlachten und historisch nicht haltSchüler und Schülerinnen jahrzehntelang pauken mussten. Die Gebare Erzählungen sind in etwa das Dümmste, was die Schweiz derzeit schichte der Schweiz war darin reduziert auf eine reine Aufzählung von betreiben kann. Angesichts der Probleme mit Europa, die sie sich mit Schlachten, deren Daten man auswendig zu lernen hatte. Eine wahrdem Ja zur SVP-Masseneinwanderungsinitiative selber eingebrockt hat, haftige Gehirnwäsche. Dieses Hohelied vom Schweizer Krieger nahm wären zukunftsgerichtete Ideen für eine soziale und offene Schweiz in kein Ende. der Welt gefragt. Marignano und Morgarten mit ihren Legenden vom Zum Beispiel 1939: Es war dies das Erscheinungsjahr des luxuriösen Rückzug aus Europa und von heldenhaftem Kampf gegen die Fremden Schinkens «Schweizer Wehrgeist in der Kunst». Die alten Schlachten ertreiben uns nur noch tiefer in den Schlamassel. schienen darin als grosse Kriegskunst. Und nicht weniger als drei ■ Bundesräte beteiligten sich an dieser Verherrlichung mit einem Vorwort. Zum Beispiel 1989: Das Militärdepartement finanzierte und organi* Hans Ulrich Jost (* 1940) war von 1981 bis 2005 Professor für Neuere Allgemeine sierte damals unter dem Stichwort «Diamant» ein 50-Jahr-Jubiläum zum und Schweizer Geschichte an der Universität Lausanne. Er machte sich einen NaAusbruch des Zweiten Weltkriegs. Sechs Millionen Franken Steuergelmen als kritischer Historiker, der Geschichtsmythen und insbesondere die Rolle der der setzte das Militärdepartement für diesen Anlass ein. Die offizielle Schweiz im Zweiten Weltkrieg hinterfragt. Jost war Offizier in der Schweizer Armee Schweiz feierte den Beginn eines Krieges, der bei unseren Nachbarn und Kampfjetpilot. Verwüstung, Tod und Massenmord gebracht hatte. Dieser Text erschien zuerst in der Gewerkschaftszeitung «work».

Versteckte Agenden Kommt dazu, dass FDP-Armeeminister Kaspar Villiger mit der «Diamant»-Offensive eine versteckte Agenda verfolgte. Auch wenn der Bundesrat dies zu verheimlichen suchte. Sie richtete sich gegen die Armeeabschaffungsinitiative der GSoA (Gruppe Schweiz ohne Armee), die sich damals im Abstimmungskampf befand. Trotz dieser Propagandaschlacht stimmten 38 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer der Initiative zu. Das zeigt: Mit Erinnerungsfeiern lassen sich leicht aktuelle politische Ziele verfolgen. Auch mit jener für Marignano. Sie soll zeigen, dass sich die Eidgenossen schon 1515, nach verlorener Schlacht, von Europa verabschiedet und in die Neutralität zurückgezogen hatten. So die Erklärung auf der Internetseite des Marignano-Komitees. Das ist schlicht Unsinn: Nach Marignano gab es keinen Rückzug aus Europa – im Gegenteil. Nur sechs Jahre nach der Schlacht kam es zu einer umfassenden, über 200 Jahre dauernden Allianz der Schweiz mit Frankreich, der zahlreiche Verträge mit anderen europäischen Staaten folgten. Der Solddienst, eine Art Waffenexport der vorindustriellen Zeit, wurde zum lukrativsten Exportgeschäft. Pro Jahrhundert exportierte die SURPRISE 345/15

Gedenkfeiern im Ägerital und bei Mailand Die Gedenkfeier zu Morgarten findet wie jedes Jahr am 15. November im Ägerital statt, durchs ganze Jahr hindurch werden aus Anlass der 500. Jährung diverse Veranstaltungen durchgeführt. Die Gedenkfeier zu Marignano findet am 13. September auf dem Campo dei Morti südöstlich von Mailand statt, die Feiern werden auch in die Weltausstellung 2015 in Mailand eingebettet sein, die am 1. Mai eröffnet wird. Durchs ganze Jahr hindurch plant der Verein «Pro Marignano» verschiedene Aktivitäten. (fer) www.morgarten2015.ch, www.marignano1515.ch

21


BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Sportferien Einmal mehr habe ich sie – trotz vermeintlich unumstösslicher Vorsätze – verpasst, die Sportferien, diese schweizerischsten aller Ferien. Sportferien heissen eigentlich Skiferien, aber wahrscheinlich hat damals, als sie von den zuständigen Gremien in irgendwelchen Amts- oder Gaststuben ersonnen wurden, kurz vor der Beschlussfassung ein Bedenkenträger Einspruch erhoben: «Was ist mit den Leuten, die nicht Ski fahren?» Also Sportferien. Es sind die einzigen Ferien, die nicht nach einer Jahreszeit oder einem Feiertag benannt sind und im Gegensatz zum hochdeutschen Pendant, dem Aktivurlaub, einen festen Platz im Kalender haben. Motivation für die Einführung der Sportferien war wohl die Förderung des Tourismus in den ehemals verarmten Bergregionen, die sich zu Feriendestinationen mauserten. Die Menschen im Flachland sollten gestaffelt Gele-

22

genheit bekommen, die frische Bergluft zu geniessen, die Menschen in den Bergen etwas Geld verdienen. Gelebte nationale Solidarität, sozusagen. Damit das Vergnügen allen Bevölkerungsschichten offenstand, wurden von karitativen Einrichtungen vor Ort zweckmässige Bauten errichtet, in denen Skilager abgehalten wurden. Sportferien bestanden in meiner weit zurückliegenden Kindheit aus langem Anstehen an Skiliften und in Selbstbedienungsrestaurants, Herumlaufen in drückenden Schraubstockschuhen aus Hartplastik, vergeblichen Versuchen, mit diesen Schuhen in die noch nicht zur vollen Blüte entwickelten Skibindungen zu steigen, Buckeln schwerer Latten mit messerscharfen Kanten über längere Distanzen in ebenjenen Schuhen. In der Skischule lernte ich, dass es nicht die Eskimos bzw. Inuit waren, die eine Menge Wörter für Schnee kannten, sondern die Skilehrer: Neuschnee, Tiefschnee, Nassschnee, Karst, Sulz, Pflotsch, Pickelhartschnee (auch Eis genannt), Bruchschnee und, besonders gefürchtet, Klebschnee, der sich in Blöcken an die Ski heftete und auf dem jegliches Fortkommen unmöglich war. Die Versuche, dagegen mit Wachs der Firma Toko in den Farben Gelb, Rot und Silber anzukommen, fruchteten wenig. Sessel- und Gondelbahnen blieben oft lange und ohne ersichtlichen Grund stehen, was einem Gelegenheit gab, die mysteriösen Spu-

ren im Tiefschnee zu bewundern, die sich während der Ferien multiplizierten, ohne dass je ein Mensch gesehen wurde, der solche Spuren zog. Die Skiliftspur war ausgefahren und barg allerlei Tücken, sodass das Herausfallen häufig war und langes Stapfen durch vielfältige Schneesorten nach sich zog. Die Pisten waren bucklig, eisig, mündeten in enge Wege oder führten über braunpflotschige Matten. Abgelegene, vereiste Steilhänge und direkte Falllinien ins Tal waren als schwarze Pisten markiert, und wer sich auf so eine verirrte, durfte weder Nachsicht noch Mitleid erwarten, wenn er stürzte oder nicht mehr weiterwusste. Kurzum: Es war, in retrospektiver Verklärung, grossartig und abenteuerlich. Selbst die Rückkehr in die Schule war spannend. Wen hatte es diesmal erwischt? Mindestens jemand kehrte mit einem Gipsbein zurück. Mit dem Übertritt ins Erwachsenenbillettalter und in die wirtschaftliche Selbständigkeit rückten die Sportferien aus Gründen der Unerschwinglichkeit aus dem Gesichtsfeld. Seither aber sehne ich mich nach ihnen. Und nächstes Jahr mache ich bestimmt welche.

STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT (SAVVE@VTXMAIL.CH) SURPRISE 345/15


Pop Tanzende Traurigkeit Die Berner Band Jeans for Jesus riss den Schweizer Mundartpop vor einem Jahr raus aus der Komfortzone. Nun ist eine Remix-Sammlung ihres Debüts mit viel Pop-Prominenz erschienen.

Es war der Sommer 2013, und die Schweiz suchte mal wieder einen Sommerhit – diese selten gewordene Spezies von Popsongs, die aus den Radios und anderweitigen Abspielgeräten dröhnen und das leichte Dasein während der Hitzezeit mit meist sinnfreien Slogans beschwören. Mitten in dieser Saison veröffentlichte die damals mysteriöse Berner Band Jeans for Jesus einen Song namens «Estavayeah», der im Refrain das Ausflugs- und Campingziel Estavayer-le-Lac am Neuenburgersee besingt und den Ortsnamen mit der Zeile «Bratwurscht am Meer» verbindet. Scheinbar hell und froh und unverschämt eingängig war dieser Song, der bei genauerem Hinhören dann doch einiges geschickter gebaut war als der gängige Sommerhit. Denn da war ein schattiges Erzähler-Gemüt zu vernehmen, das ganz am Schluss erschöpft feststellt: «Baby, i bi müed». Das Aufgeputschte, das dieser Song zunächst vermittelte, machte einer tanzenden Traurigkeit und Melancholie Platz, die so in der Geschichte des Mundartpops schon lange nicht mehr formuliert worden war. Seither ist vieles passiert: Die Band gab sich nach und nach zu erkennen, zwei weitere Singles akzentuierten das leicht depressive, verletzliche und sensible Element der vier Berner, vor einem Jahr veröffentlichten sie ihr Debüt. Es ist ein Album, das den arg gemütlich gewordenen Mundartpop gegen ungreifbare Pop-Pixelsounds eintauschte und Schwäche und Versagen in die Song-Gegenwart der Schweiz hineinschmuggelte. Wie genau und doch offen die Songs gebaut sind – und welchen Status sich Jeans for Jesus im vergangenen Jahr erarbeitet haben, das zeigt nun die eben erschienene, überaus üppige Sammlung an Remixes dieser Platte. Bekannte Rapper wie Greis und Baze fügen den Songs neue Strophen und Schnipsel bei, DJs und Electronica-Künstler wie Bit-Tuner, Saalschutz, Kalabrese oder die Round Table Knights zerren die Vorlagen auf den Dancefloor, während der Berner King Pepe das Lied «Finnland» ganz neu adaptiert. Neben vielen mysteriösen Namen wie MC Bösi Ouge oder Neulingen wie True ist auch die Popprominenz vertreten – in Form von Stephan Eicher, der die Bern-Flucht-Hymne «L.A.» in eine Piano-Ballade ummünzt. Was neben Grossartigkeiten auch die blasseren Beiträge verbindet: Sämtliche Involvierten nutzen die Jeans-forJesus-Songs als offenen Code, der ergänzt, neu adaptiert und auch gesprengt wird. Die Gegenwart: Sie scheint also glänzend zu sein für Jeans for Jesus. Doch Sänger und Texter Michael Egger wie auch Marcel Kägi, der musikalische Direktor und Produzent der Band, wiegeln ab. «Wir haben immer noch das Gefühl, dass die Veranstalter, die uns buchen, um jeden Konzertbesucher kämpfen müssen. Es fühlt sich für uns nicht wie ein Hype an, der in einer breiten Masse stattfindet – wir sind nicht die neuen Züri West, die, wo immer sie sind, vor fünfhundert Leuten gute SURPRISE 345/15

BILD: IRASCIBLE

VON BENEDIKT SARTORIUS

Jeans for Jesus: zu links, um in der ganzen Schweiz auftreten zu können.

Musik und Texte vortragen können.» Jeans for Jesus schmeissen sich auch nicht zwingend an die breite Masse ran – und positionieren sich als klar links. «Gewisse Teile der Schweiz sind so konservativ, dass es für einen Musiker mit klar links markierten Texten wahrscheinlich nicht möglich ist, im ganzen Land aufzutreten – was nötig wäre, um in der Deutschschweiz halbwegs von der Musik zu leben», sagt Egger. Doch Jeans for Jesus schrieben keine «dozierende Zeigefingermusik», meint er: «Das machen andere. Wir verstehen uns auch nicht zwingend als eindeutig politische Band – zumindest nicht mehr, als es jeder Kulturschaffende automatisch ist. Wir wollen Popsongs schreiben und versuchen, die Welt zu beschreiben, wie wir sie sehen. Dabei zeigen wir den Kritisierten – wie etwa den Grünliberalen im Song ‹Surprise› – oft einfach die Logik ihres Denkens auf.» Nach der Veröffentlichung der Remix-Sammlung beginnen nun allmählich die Arbeiten an einem zweiten Album. Wo dieses hingeht? «Wir werden uns musikalisch weiterhin mit aktuellen Popströmungen und Trends auseinandersetzen», sagt Marcel Kägi. «Es wird sicherlich weniger Liebesgeschichten als das Debüt enthalten, auch wenn ich diese am liebsten schreibe», so Egger. «Aber gerade in der heutigen politischen Lage finde ich es für Künstler wichtig, sich klar zu positionieren.» Jeans for Jesus: «Remix» (Irascible). Nur digital erhältlich via Bandcamp oder iTunes. www.jeansforjesus.net Konzerte: Fr, 6. März, Schüür, Luzern; Sa, 7. März, B-Scene Festival, Basel; Sa, 14. März, Selig, Chur; Do, 9. April, Rössli, Bern; Fr, 10. April, Stall 6, Zürich.

23


BILD: ZVG BILD: ZVG

Kultur

Pure Harmonie? Eyad ist zwischen Welten zerrissen.

Die Schweiz in gefrorenem Aggregatzustand.

Kino Der Seiltänzer von Jerusalem

Buch Das Gedächtnis des Eises

«Dancing Arabs» erzählt von einer Identitätssuche: Ein junger Palästinenser behauptet sich gegen die eigene arabische Herkunft – und gegen die jüdisch dominierte Gesellschaft, in der er lebt.

In «Aqua» richtet der Fotograf Beat Presser einen ganz persönlichen und biografischen Blick auf das Wasserschloss Schweiz.

VON THOMAS OEHLER

VON CHRISTOPHER ZIMMER

Beat Presser hat fast die ganze Welt bereist und schon von vielem mit seinen Bildern erzählt. Von Mode und Architektur, von Madagaskar und der Osterinsel, von den Pyramiden, vom Zirkus oder vom Buddhismus. Er hat als Standfotograf von Werner Herzog das Schiff fotografiert, das in «Fitzcarraldo» über einen Berg gezogen wird, Porträts von Klaus Kinski geschaffen und in den letzten Jahren begonnen, auf Sindbads Spuren den indonesischen Archipel mit Schiffen zu befahren. Und immer wieder hat es ihn auch in die heimischen Berge gezogen. Daraus ist 1998 der Fotoband «Alpentraum» entstanden, dem nun mit «Aqua» eine Hommage an das Wasserschloss Schweiz in all seinen Erscheinungsformen folgt, als Eispanzer, tosender Wasserfall, stiller See oder breiter Strom; Bilder, die in weiten Panoramen und aus nächster Nähe dem Kreislauf und dem Zauber von Wasser, Eis und Schnee nachspüren. Diesen fotografischen Blick verbindet Beat Presser mit einem biografischen, mit der Geschichte seines Grossvaters, mit dem er nicht nur die Leidenschaft für das Medium Fotografie, sondern auch die Faszination für die Berge teilt. Aus einem kleinen Ort am Fuss der Karpaten kam dieser Eduard Presser, ein wissbegieriger junger Mann, der zum Studium der Glaziologie nach Wien und über Basel, das später seine Heimat wurde, zu einer Forschungsreise in die Schweizer Alpen aufbrach. Ein Abenteuer, das in einem persönlichen Drama gipfelte, 1896, auf der Spitze der Jungfrau, wo er das Panorama zum Beweis der Besteigung fotografieren wollte. Doch das mitgebrachte Wasser war gefroren, die vor Ort nötige Entwicklung nicht möglich. Und Eduards Erfolg blieb nur als Familienmythos erhalten. In diese Lebensgeschichte ist ein kurzer Abriss der Eroberung und Erforschung der Alpen eingeflochten. So kommt zum Genuss an den Bildern noch eine weitere, eine historische Dimension, die eine Ahnung von den Zeiträumen vermittelt, die das Gedächtnis des Eises birgt. Und auch eine Vorahnung davon, was uns verloren geht, wenn diese Wunder durch den vom Menschen verursachten Klimawandel verschwinden.

Adoleszenz ist eh schon eine schwierige Zeit. Wie schwierig muss sie dann erst sein, wenn der Vater ein ehemaliger palästinensischer Widerstandskämpfer ist, wenn man selber aber als Araber an eine jüdische Eliteschule darf, der beste Freund Jude und querschnittgelähmt ist und, als ob das nicht genug wäre, sich auch noch in eine Jüdin verliebt? Dem jungen Eyad wird da einiges zugemutet. Und die Zuschauer werden gefordert. Hier wird ein ganzes Potpourri an Themen aufgetragen: IsraelPalästina-Problematik, Generationenkonflikt, Minderheiten-Diskriminierung, eine unmögliche Liebe und die Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung. Regisseur Eran Riklis verliert den roten Faden aber nicht aus den Augen, nämlich Eyads Coming-of-Age-Geschichte. «Es hat mich immer interessiert, in welchem Verhältnis das Individuum zu lokaler und globaler Politik, zu politischen Bewegungen, aber auch zu Familienangelegenheiten steht», so Riklis. Er verzichtet dabei auf hollywoodsches Pathos. Hier sprengen sich beispielsweise keine Selbstmordattentäter in die Luft. Das wäre zu effekthascherisch. Zu krass. Im Gegenteil: Israelis und Palästinenser scheinen sich oftmals so nahe, dass man sich zeitweise fragt, wo eigentlich das Problem ist. Doch die Bruchlinien sind da. Riklis zeichnet sie anhand alltäglicher Situationen nach. Sie zeigen sich darin, dass Araber nur schlecht bezahlte Jobs haben. Dass Strassensperren selbstverständlich sind. Dass sich Eyad nur heimlich mit seiner jüdischen Freundin treffen kann. Wir merken: Gerade die Alltäglichkeit macht die Gräben so unüberwindbar. Dass Eyad sie doch scheinbar tänzerisch überwinden und seine Identität finden kann, verdankt er seiner Disziplin, seinem Einfallsreichtum und seinem Einfühlungsvermögen. Und einer Lösung, die zwar einfach scheint, aber doch ein Balanceakt bleibt. Die sich auch nicht ganz über alle moralischen Bedenken erheben kann. Die aber dennoch auf eine einzigartige Weise wundervoll ist. Und die an dieser Stelle keineswegs verraten werden soll. Eran Riklis: «Dancing Arabs», Deutschland/Israel/Frankreich 2014, 105 Min., mit Tawfeek Barhom, Ali Suliman und Yaël Abecassis. Der Film läuft derzeit in den Deutschschweizer Kinos.

Beat Presser: Aqua. Wasser und Eis. Till Schaap Edition 2014. 58 CHF

24

SURPRISE 345/15


BILD: ZVG

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Endlich kann man auch in Saas-Fee Filme mit Charlotte Gainsbourg sehen.

Filmfestival Ski, Schnee und Kino Im März bringt das Saas-Fee Filmfest zum zweiten Mal Skitouristen, Einheimische und Kinofans zusammen. Nun sollen auch andere Walliser Gemeinden in den Event eingebunden werden.

01

mcschindler.com GmbH, Zürich

02

fast4meter, Storytelling, Bern

03

Maya-Recordings, Oberstammheim

04

Bachema AG, Schlieren

05

Kaiser Software GmbH, Bern

06

Ko Schule für Shiatsu GmbH, Zürich

07

Schweizerisches Tropen- und Public HealthInstitut, Basel

08

Lions Club Zürich-Seefeld, Zürich

09

Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

10

Privat-Pflege und Betreuung, Oetwil am See

11

Praxis Colibri-Murten, Murten

Vor gut sechs Jahren fiel das einzige Kino in Saas-Fee in den Dornröschenschlaf. Der Besitzer residiert mittlerweile im Altersheim, doch vom «Rex» lassen mag er nicht. Dank dem Saas-Fee Filmfest, kurz SFFF, kehrt jetzt wieder Leben in den ehrwürdigen Saal ein – wenngleich nur für ein paar Tage im Jahr. Festivalmanager Gabriel Zurbriggen, ein Schauspieler mit langjähriger Berlin-Erfahrung, ist in Saas-Fee aufgewachsen. Schon als Knirps habe er das «Rex» geliebt, sagt er. «Es ist mir deshalb ein Anliegen, das Haus zu erhalten.» Und als seine alte Heimat mit der Idee eines Filmfestivals an ihn herantrat, handelte er. Zusammen mit Stefan Fichtner als künstlerischem Leiter heckte er die Idee aus, experimentierfreudige und eigenwillige Filme aus der Schweiz und vier Nachbarländern zu zeigen und durch eine Jury auszeichnen zu lassen. Wenige Wochen vor Start der zweiten Festivalausgabe ist das Programm noch nicht bis ins letzte Detail bekannt. Eröffnet wird das diesjährige SFFF – so viel steht fest – durch Benoît Jacquots «3 Coeurs» mit Charlotte Gainsbourg und Catherine Deneuve in den Hauptrollen. «Wir sichten für den Event über 200 Filme», sagt Zurbriggen. Gefragt seien Filme, die herausstechen, nachwirken und berühren, weil sie sich etwas trauen. So wie das Werk von Jacquot, das von einer ebenso humorvollen wie dunklen Ménage à trois handelt. Es sei nicht weiter schwierig, Filmschaffende nach Saas-Fee zu locken, so der Festivalchef. «Wir haben viel Schnee, saubere Luft und nicht zuletzt kurze, autofreie Arbeitswege zu bieten», erklärt er in bester PR-Manier. Für die diesjährige Jury konnte unter anderem der österreichische Regisseur Markus Schleinzer («Michael») gewonnen werden, der sich lange Jahre als Casting-Direktor einen Namen gemacht hat – unter anderem für Michael Hanekes «Das weisse Band». Weil die Taufe des SFFF überraschend grossen Anklang fand, kooperiert man jetzt mit weiteren Gemeinden wie Visp oder Brig, wo einer der prämierten Filme gezeigt werden wird. Dennoch: Gibt es hierzulande nicht bereits viel zu viele Filmevents? Zurbriggen entgegnet: «Die anderen Festivals sind ein paar Stunden vom Wallis entfernt, haben keine Berge – und gute Filmfestivals kann es ohnehin nie genug geben.»

12

Schumann & Partner AG

13

Bruno Jakob Organisations-Beratung, Pfäffikon

14

VXL Gestaltung und Werbung AG, Binningen

15

Hofstetter Holding AG, Bern

16

Projectway GmbH, Köniz

17

OfficeWest AG, Baden

18

Scherrer & Partner GmbH, Basel

19

ArchitekturPlus, Zürich

20

Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

21

FC Basel 1883 U19 Team UEFA Youth League

22

Homegate AG, Zürich

23

GELD & SO MADLEN BLÖSCH, Basel

24

LS Real GmbH, Zürich

25

Echtzeit Verlag, Basel

2. Saas-Fee Filmfest, ab Mi, 18. März bis So, 22. März. www.sfff.ch

345/15

VON MICHAEL GASSER

SURPRISE 345/15

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

25


BILD: ISTOCK

BILD: ROLAND SOLDI

BILD: ZVG

Ausgehtipps

Die wollen doch bloss reden.

Zürich Im Leben schmökern

Hotel Annelie: So heilig ist das echte Leben.

Biel Kiss in der Kirche Was müsste an sich das Hotel der Armen sein? Richtig, die Kirche, die alle Bedürftigen aufnimmt. Und was war vor einigen Jahren das Hotel der Armen in München? Richtig, die Annelie. Das sagt jetzt wohl kaum jemandem was, aber so hiess ein Film über ein ehemaliges Hotel und seine späteren Bewohner, die allesamt randständig waren. Wir haben damals mit dem Regisseur Antej Farac gesprochen, dessen Produktionsfirma gleich gegenüber der Annelie beheimatet war, und der einen abgefahrenen Film über seine Nachbarn gedreht hat. Er redete davon, wie viel Kreativität er im Zuge der Dreharbeiten bei ihnen angetroffen habe und dass er auch noch eine zugehörige Kunstausstellung wolle. Nun, wir gingen nicht unbedingt davon aus, dass sie wirklich zustande kommen würde. Aber sie kam zustande! In einer Kirche, als multimediales Kunstprojekt mit Video-Art und Performances. Die modernen Schicksale der Alkis, Junkies und sonstwie Durchs-Netz-Gefallenen rütteln am Nerv des christlichen Glaubens, während grossformatige Leuchtkästen Psalm 23 verkünden: «Der Herr ist mein Hirte – nichts wird mir fehlen.» So soll es sein, und was sich die AnnelieBewohner eh nie nehmen lassen werden, ist ihre Liebe zur Rock-Band Kiss. Und die findet in der christlichen Ikonografie offensichtlich auch ihren Platz. (dif)

Wer versteckt sich hinter dieser Frisur?

Luzern Erste Begegnungen

«Hotel Annelie», Sa, 7. bis Di, 24. März, Kirche Bruder

Sollten Sie treue Surprise-Leserin oder treuer Surprise-Leser sein, dann kennen Sie Roland Soldi. Seit Jahren schon macht der Zürcher Fotograf schöne und oft aussergewöhnliche Bilder für unsere Porträtrubrik auf den Seiten 8/9. Nun gibt es Gelegenheit, eine ganze Porträtserie von ihm im Grossformat zu sehen. Die Idee hinter der Serie, sagt Soldi, ist die erste Begegnung mit einem Menschen, der Moment, in dem man noch nichts über ihn oder sie weiss, nur einen ersten optischen Eindruck hat. Die Porträts wirken so, als könnte auch jemand anderes hinter dem Gesicht stecken als zuerst vermutet. Ist das nicht eine berühmte Filmschauspielerin? Oder gar eine Fantasyfigur? Ergänzt wird die Ausstellung mit Werken des angesagten bildenden Künstlers Davix und des Origami-Artisten Sipho Mabona, der mit einer Crowdfunding-Aktion Aufsehen erregte, in der er (erfolgreich) für die Schaffung eines lebensgrossen Elefanten aus gefaltetem Papier sammelte. Für die Ausstellung in Luzern hat er angekündigt zu beweisen, dass man auch aus Zuckerguss Origami machen kann. Und wem das noch nicht genug künstlerische Vielfalt sein sollte: Akustisch wird das Ganze untermalt von Klanginstallationen von Franziska Meyer und Peter Färber. (fer)

Klaus, Alfred-Aebistrasse 86, Biel. Anlässlich der

Ausstellung von Roland Soldi, Davix und Sipho Mabo-

Vernissage am 7. März Podiumsdiskussion mit Felix

na, noch bis 23. Mai, Di bis Fr, 14 bis 18.30 Uhr und

Gmür, Bischof des Bistums Basel, Dorothee Guggis-

Sa, 12 bis 16 Uhr, Galerie Vitrine, Stiftstrasse 4, Luzern.

Die Human Libray ist genau das, was die deutsche Übersetzung verheisst: eine menschliche Bibliothek. Statt Bücher finden sich dort Menschen. Die sind natürlich nicht fein säuberlich in Regalen aufgereiht, sondern kommen ihrer Natur entsprechend als bunter Haufen daher. Die menschlichen Bücher stammen aus den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen und gesellschaftlichen Milieus. Was sie mit ihren Artgenossen aus Papier gemeinsam haben: Sie erzählen aus ihrem Leben und erweitern damit den Horizont. Die Human Library als Konzept will den Dialog fördern und Vorurteile abbauen. Die Idee stammt aus Dänemark, von wo aus sie sich mittlerweile in der ganzen Welt ausgebreitet hat. Und sie bietet in Zeiten der sich atomisierenden Gesellschaft eine Chance, sich im direkten Gespräch mit Menschen auseinanderzusetzen. Oder einfach ein wenig in fremden Leben zu schmökern. (ami) Human Library, So, 22. Feb., 20 Uhr, Café Zähringer, Zähringerplatz 11. www.zaehringer.ch

Anzeige:

berg, Geschäftsführerin Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS und Präsidentin Caritas Bern und Rolf Gilomen, armutsbetroffener Künstler. www.elpatrol.com

26

SURPRISE 345/15


BILD: «WAR & PEACE SHOW», BELTRING, KENT, ENGLAND, 2009 © MEINRAD SCHADE

BILD: ©YOLDAS GÜNDOGDU_WINTERTHUR

«Augenblick»: So sieht junges Filmschaffen aus Winterthur aus.

Vor, neben und nach dem Krieg – «War & Peace Show» in England.

Zürich Anfänger, die was können Barbara Terpoorten hat einen Nebenjob: Die Schauspielerin, bekannt aus der Fernsehserie «Der Bestatter», ist dieses Jahr Jurorin an den Schweizer Jugendfilmtagen. Vor fast 40 Jahren hat das Festival für Jungfilmer und -filmerinnen als bescheidener Videowettbewerb angefangen, unterdessen gibt’s Schulklassenprojekte und Handyfilme genauso zu sehen wie Abschlussarbeiten von Filmstudenten und freie Produktionen. Speziell im Fokus stehen die Kurzfilme von fünf Jungfilmern aus Südkorea. Das Programm, das vom Seoul International Youth Film Festival präsentiert wird, gibt Einblick in das koreanische Filmschaffen und wird von einem koreanischen Apéro begleitet. Die Jugendfilmtage kümmern sich aber auch neben der Leinwand professionell und verdienstvoll um den Nachwuchs. So kann man sich schon im Vorfeld am 14. März in einem Filmkritik-Workshop weiterbilden, und am Samstag, 21. März finden weitere Ateliers rund ums Filmschaffen statt: zu Animation, Schauspiel, Drehbuch und sogar Bewilligungen für den Filmdreh. Das Festival macht damit klar: Von nichts kommt nichts. Und es tut was dafür. (dif) 39. Jugendfilmtage, Mi, 18. März bis So, 22. März, Veranstaltungsorte Theater der Künste, Gessnerallee und ZhdK, Toni-Areal. www.jugendfilmtage.ch

Winterthur Dem Wahnsinn auf der Spur Krieg ohne Krieg – das ist das Spezialgebiet des Fotografen Meinrad Schade, geboren 1968. Er arbeitet seit über zehn Jahren an seinem Langzeitprojekt «Vor, neben und nach dem Krieg». Schade ist kein Kriegsfotograf im klassischen Sinn, er fotografiert nicht an den Brennpunkten kriegerischer Auseinandersetzungen. In seinen ausführlichen Reportagen befasst er sich mit ehemaligen, noch schwelenden und vielleicht wieder ausbrechenden Konflikten, zeigt deren Spuren in Städten, Dörfern und der Natur, weist auf seelische und körperliche Schäden betroffener Menschen hin und beobachtet jene, die heil davon gekommen sind und stolz ihre früheren Siege feiern. So reiste er 1999 auch nicht direkt ins Kriegsgebiet im Kosovo, sondern fotografiert die Flüchtlinge, wie sie in der Schweiz ankommen und durchs Aufnahmeprozedere geschleust werden, und Kriegs- und Folteropfer, die in der Schweiz medizinisch betreut werden. Er versucht Zusammenhänge zu ergründen und menschliche Schicksale darzustellen, die überall ähnlich sind, sei es in Osteuropa oder in Israel und Palästina. (ami) «Meinrad Schade – Krieg ohne Krieg», Sa, 7. März bis So, 7. Mai, täglich 11 bis 18 Uhr, Mi 11 bis 20 Uhr, Mo und Karfreitag geschlossen, Fotostiftung Schweiz,

BILD: ZVG

Grüzestrasse 45. www.fotostiftung.ch

Bern Fortschritt, Verfall, Arbeit und Liebe Wie wir leben wollen – nichts weniger als diese Grundsatzfrage will das Theater Bern in einer Diskussionsreihe klären, oder zumindest erörtern. Ausgelotet werden sollen die wachsenden Diskrepanzen zwischen Gesetzeslage und gesellschaftlicher Stimmung, in der Vorschau auf die Reihe erwähnt sind Ecopop und Pegida – Bewegungen, in denen sich frühere politische Gegensätze treffen und zu neuen paradoxen Allianzen mit bedrohlicher, weil fremdenfeindlicher Schlagkraft vermischen. Das klingt jetzt vielleicht etwas theoretisch, und so wird wohl das Gespräch in der ersten Runde vielleicht auch werden. Aber damit wohl nicht minder interessant: Denn es treffen die Philosoph Peter Sloterdijk und René Scheu, ebenfalls Philosoph, aber auch Chefredaktor der liberalen Zeitschrift Schweizer Monat und NZZ-am-Sonntag-Kolumnist, aufeinander, um über Fortschritt und Verfall zu debattieren. In der zweiten Runde sprechen die Schriftstellerin Sibylle Berg und Sängerin Sina über die Arbeit und die Liebe. Und damit das Ganze nicht zu sehr ins Feministische kippt, wird noch Polo Hofer zu ihnen stossen – als musikalischer Gast zwar, es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass er sich auch in die Diskussion einmischt. Und moderiert werden die Gespräche von Max Moor – genau, früher bekannt unter dem Namen Dieter Moor, als welcher er seine Redegewandtheit in der Talkshow Night Moor eindrücklich bewiesen hat. (fer) Berner Reden: Wie wir leben wollen. Mo, 16. März, 18 Uhr: Fortschritt und Verfall, Peter Sloterdijk und René Scheu,

Sybille Berg, bekannt für pointierte Kommentare. SURPRISE 345/15

Mo, 23. März, 18 Uhr: Arbeit und Liebe, Sibylle Berg und Sina. Moderation: Max Moor, Theater Bern, Eintritt frei.

27


Nachruf Erinnerungen an Andreas «Res» Ammann

Surprise hat Res Ammann viel zu verdanken – es gingen nicht nur zigtausend Hefte durch seine Hände, er machte das Magazin in Bern auch als «Nei-Merci-Zytig» stadtbekannt. Diese Verkaufsstrategie war zwar nicht ganz im Sinne von Surprise, gefiel hingegen vielen Leuten in Berns Gassen und Beizen. Res war ein guter und fleissiger Verkäufer, kam oft am ersten Heftausgabetag gegen Mittag ganz verschwitzt ins Vertriebsbüro zurück, holte Nachschub und wechselte noch rasch das T-Shirt. Wenn er dann nach einigen Tagen nicht mehr so viele Hefte verkaufte, wurde Res unzufrieden und stiess Passanten nicht selten mit einem gehässigen Spruch vor den Kopf. Auch die «Nei-Merci-Zytig» geht darauf zurück: So nannte er das Heft immer dann, wenn der Verkauf harzte und er deswegen gefrustet war. Als Res im Mai 2005 bei Surprise anfing, war schnell klar, dass er nicht der Typ für einen fixen Standplatz war. Er wollte unterwegs sein, zu den Leuten hingehen, in Beizen und Cafés seine Hefte verkaufen, sich auch mal hinsetzen und mit den Menschen reden. Deshalb war er in Bern viele Jahre der fliegende Verkäufer oder kurz: «dr Flüger». Unterwegs war Res aber auch auf der ganzen Welt gern. Seine Reisen, und vielleicht noch mehr seine jeweils lang gehegten Reiseträume, motivierten ihn auf seinen Verkaufstouren und trösteten ihn über ablehnende oder gar fehlende Reaktionen hinweg, die Surprise-Verkaufende oft einstecken müssen. Die meisten seiner Stammkunden – darunter waren Märit-Fahrer, Coiffeusen, Apotheker, Polizisten und sein Hausarzt, um nur einige zu nennen – waren in der Regel im Bild, wohin die nächste Reise gehen sollte. Mit dem Erlös des Heftverkaufs und Erspartem aus seiner Teil-IV-Rente reichte es etwa alle zwei Jahre für eine längere Reise, beispielsweise nach Vietnam oder auf die Philippinen. Kaum war er wieder zuhause, schmiedete er neue Pläne, las Bücher und unterhielt sich mit Kunden über deren Erfahrungen in fernen Ländern. Res wusste jedoch nicht nur über seine Reiseziele Bescheid, er las auch sonst viel und verblüffte die Leute im Gespräch oftmals mit seinem breiten Wissen. Erstaunt war sicher auch manch einer, der zum ersten Mal mit ihm Schach spielte. Wer hätte gedacht, dass dieser Sprüche klopfende Surprise-Verkäufer eine Zeit lang Mitglied im Schachklub war und vielerorts als gefürchteter Gegner galt? Ursprünglich hatte Res Ammann Bäcker-Konditor gelernt. Nach zwei Jahren auf dem Beruf wechselte er in die Industrie, wo er fast zwanzig Jahre Stahl- und Eisenteile für den Warenausgang zuschnitt und bereitstellte. Danach arbeitete Res sechs Jahre als Küchenhilfe in einer Beiz in Münchenbuchsee, wo er auch bis zuletzt wohnte. Als er genug von der monotonen Küchenarbeit hatte und im wahrsten Sinne des Wortes das Handtuch warf, war er fast fünfzig und vielleicht nicht gerade der einfachste Mitarbeiter. «Surprise war das Beste, was ihm passieren konnte», findet Res Ammanns Schwester rückblickend. So kam der gesellige Res fast täglich unter Leute und konnte sich die Arbeit selbständig einteilen. Beim Surprise-Verkaufen war er in seinem Element. Vor zwei Jahren traten bei Res vermehrt gesundheitliche Probleme auf. Das Gehen fiel ihm immer schwerer und damit auch seine Ver-

28

BILD: ZVG

(22. September 1955 bis 5. Februar 2015)

kaufstouren, die einen grossen Teil seines Lebensinhaltes ausmachten. Dazu belastete ihn der Tod seiner Mutter. «Dieser Verlust hat ihm wahrscheinlich den Boden unter den Füssen weggezogen», vermutet Res’ Schwester. Ende 2013 musste er seiner Gesundheit wegen eine Pause einlegen. Das Surprise-Team und er blieben jedoch in regelmässigem Kontakt. Res erkundigte sich bei Besuchen oder Telefonaten immer wieder, ob man ihn in Bern vermisse. Und das war tatsächlich so, es meldeten sich ab und zu Kunden und fragten nach. Das tat ihm gut und bestärkte ihn in seinem Vorhaben, wieder mit dem Heftverkauf anzufangen. Seine Verfassung machte ihm aber einen Strich durch die Rechnung – anstelle von Verkaufstouren durch die Stadt und Reisen in ferne Länder stand ihm ein Eintritt in ein Wohnheim bevor. Doch dazu sollte es nicht kommen. In der Nacht auf den 5. Februar, einen Tag vor der Besichtigung eines möglichen Wohnheims, setzten Magenblutungen ein, denen Res schliesslich erlag. Das ganze Team von Surprise, und mit uns sicher viele Menschen, die Res Ammann in Berns Gassen und Beizen begegnet sind, wird ihn sehr vermissen – nie mehr wird er uns die «Nei-Merci-Zytig» zum Kauf anbieten. (imo) ■ SURPRISE 345/15


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Elsa Fasil Bern

Kostana Barbul St. Gallen

Ralf Rohr Zürich

Marlis Dietiker Olten

Negasi Garahassie Winterthur

Josiane Graner Basel

Tatjana Georgievska Basel

Emsuda Loffredo-Cular Basel

Anja Uehlinger Baden

Fatma Meier Basel

Haimanot Ghebremichael Bern

Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken

1/2 Jahr: 3000 Franken

1/4 Jahr: 1500 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

1 Monat: 500 Franken

345/15 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 345/15

29


Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–

Geschenkabonnement für:

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen. Impressum

Vorname, Name

Strasse

PLZ, Ort

Rechnungsadresse: Vorname, Name

Strasse

PLZ, Ort

Telefon

E-Mail

Datum, Unterschrift 345/15

Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

30

Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami), Florian Blumer (fer, Heftverantwortlicher), Diana Frei (dif), Mena Kost (mek) redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Philipp Baer, Sabine Dreher, Michael Gasser, Judith Hochstrasser, Lucian Hunziker, Hans Ulrich Jost, Thomas Oehler, Benedikt Sartorius, Claudia Spinnler Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 20 150 Ex., Abonnemente CHF 189, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke

Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden vom Verein Surprise geführt. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an. Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Alfred Maurer, Bruno Schäfer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99 Paloma Selma, p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach) www.strassensport.ch Vereinspräsident Peter Aebersold

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen.

SURPRISE 345/15


Schön und gut. Ab sofort sind die trendigen Surprise-Caps und Surprise-Mützen mit eleganter Kopfwerbung wieder erhältlich. Beide Produkte in Einheitsgrösse. Jetzt Zugreifen! 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute.

Surprise-Cap CHF 16.– (exkl. Versandkosten) beige schwarz

Surprise-Mütze CHF 30.– (exkl. Versandkosten) rot schwarz

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

*gemäss MACH Basic 2008-2.

345/15

Ist gut. Kaufen! Die neuen Surprise-Taschen sind da! Gemeinsam mit dem Secondhand-Shop «Zweifach» aus Basel haben wir neue und schicke Surprise-Taschen entworfen! Die Taschen werden umweltfreundlich aus nicht mehr gebrauchten Lastwagenplachen genäht und mit Autogurten versehen. Sie sind geräumig und verfügen innen über ein grosses Zwischenfach. Erhältlich sind sie in den Farben Rot, Blau, Grün, Orange und Schwarz. Je nach Vorrat kann die Lieferung bis zu drei Wochen in Anspruch nehmen. Zweifach ist ein Betrieb der Eingliederungsstätte Baselland und bietet jungen und erwachsenen Menschen mit einer Behinderung die Möglichkeit, im beruflichen Alltag Fuss zu fassen. Tun Sie sich, Zweifach und auch Surprise etwas Gutes und bestellen Sie noch heute ihre Tasche in ihrer Lieblingsfarbe! Surprise City-Taschen (24,5 x 35,5 cm); CHF 45.– (exkl. Versandkosten) schwarz orange grün blau rot

Der Surprise-Schriftzug soll folgende Farbe haben schwarz weiss silber Anzahl Taschen

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift 345/15

*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch SURPRISE 345/15

31


Eine Tasse Solidarität! Machen Sie mit: Zwei bezahlen, eine spendieren. Café Surprise gibt es hier: In Basel Café-Bar Aktienmühle, Gärtnerstrasse 46 Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstrasse 10 Café Restaurant Haltestelle, Gempenstrasse 5 Post Bar, St. Johanns-Vorstadt 80 Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstrasse 96 In Bern Restaurant Genossenschaft Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17 Café Kairo, Dammweg 43 Café Tscharni, Waldmannstrasse 17a Luna Llena Gelateria Restaurant Bar, Scheibenstrasse 39 In Thun Joli Mont, Bälliz 60 In Zürich Café Zähringer, Zähringerplatz 11

Weitere Informationen: www.vereinsurprise.ch/cafesurprise Ein Projekt des Verein Surprise.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.