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«Geld muss mir egal sein»: Wie es sich als Schriftsteller in der Schweiz lebt

Nr. 349 | 8. bis 21. Mai 2015 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

«Aus dir wird nichts»: Wie ein Verdingbub Gemeindepräsident wurde


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Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

Anzahl Taschen

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*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch


Titelbild: WOMM

Es gibt viele Gründe, weshalb wir heute mehr denn je einen guten Journalismus brauchen. Genauso viele wie Fragen, auf die wir in unserem immer komplexer werdenden Menschsein Antworten brauchen. Fragen wie: Wird es die AHV in 40 Jahren noch geben? Sind Schlepper schlechte Menschen? Hat die EU-Kommission Werte und Moral? Ist Wasser ein Menschenrecht? Will uns der Islamische Staat an den Kragen? Werden die Reichen immer reicher? Auf wessen Kosten? Wir alle sind heute mehr denn je auf verlässliche Information angewiesen, als Bürgerinnen, Konsumenten, Eltern – als Menschen. Ohne Journalismus keine Demokratie, und erst recht keine demokratische Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Das bedingt, dass Journalisten gute Arbeit machen können, die das Vertrauen der Öffentlichkeit verdient. AMIR ALI Die Realität sieht anders aus. Seit den Achtzigerjahren werden die Redaktionen zu- REDAKTOR sammengestrichen, um die Renditen der Medienkonzerne zu maximieren. Dann kam das Internet und liess das jahrzehntelang florierende Geschäft mit Werbekunden implodieren. Heute arbeiten Journalisten auch in der Schweiz in Nachrichtenfabriken – den sogenannten Newsrooms, die uns die Konzerne als Weg in die Zukunft verkaufen. Die Einführung dieser Newsrooms sei meist mit Sparmassnahmen verbunden, hält der Fribourger Medienwissenschaftler Manuel Puppis in einer kürzlich publizierten Studie fest, mit dem lakonischen Kommentar: «Aber weniger kann nie mehr sein.» Fakt ist: Viele Journalisten haben heute nicht die Ressourcen, um sorgfältig zu arbeiten. Einige von ihnen haben unserem Autor Christof Moser aus der schönen neuen Medienwelt erzählt – lesen Sie seinen Bericht ab Seite 10. Wir Journalisten sollen dem Staat auf die Finger schauen. Wir dürfen aber auch aufzeigen, was wir der Bürokratie verdanken – gerade in Zeiten, da der Ruf nach «mehr Freiheit, weniger Staat» wahlkampfbedingt wieder lauter wird. Die in der Schweiz lebende paraguayische Regisseurin Arami Ullón pflegte schon als Kind ihre schwerkranke Mutter, das Gesundheitssystem in Paraguay sah es so vor. Für Ullón hätte mehr Staat mehr Freiheit bedeutet – lesen Sie das Interview mit ihr ab Seite 16. Dass weniger durchaus mehr sein kann, findet der Berner Schriftsteller Christoph Simon. Anlässlich der 37. Solothurner Literaturtage haben wir ihm die Frage gestellt: Wie lebt es sich in der Schweiz vom Schreiben? Seinen sehr persönlichen Text darüber lesen Sie ab Seite 14. Ich wünsche Ihnen eine vertrauensbildende Lektüre. Amir Ali

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@strassenmagazin.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise SURPRISE 349/15

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BILD: WOMM

Editorial Mehr ist mehr


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10 Medien Irrsinn mit System Die Medien berichten immer schneller – und werden dabei immer ungenauer. Sogar an der Berichterstattung über einen Brand im Quartier scheitern Journalisten. Das hat Folgen: Immer mehr Menschen glauben nicht mehr, was sie lesen, hören und sehen. Eine Analyse des selbstauferlegten Geschwindigkeitsrausches – und seltene Einblicke in ein System, das sich selbst und uns alle immer wieder in die Irre führt.

14 Literatur Da steht der Künstler drüber Zum 37. Mal finden ab kommender Woche die Solothurner Literaturtage statt. Die Schweiz, die sich allgemein schwertut mit ihren Intellektuellen, feiert die schreibende und somit reflektierende Zunft. Wie aber lebt es sich als Autor im reichsten Land der Welt? Der Berner Christoph Simon ist freier Schriftsteller und darf von sich behaupten, es zu etwas gebracht zu haben. Seine Antwort: «Geld muss mir egal sein.»

BILD: DIETER GRAF

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Inhalt Editorial Das Vertrauen der Öffentlichkeit Basteln für eine bessere Welt Zeit zum Lesen Porträt Ein Reh im Bett Aufgelesen Zweimal vom Glück getroffen Zugerichtet Devisenhandel, «sooo krass!» Hausmitteilung Mächtig was los Starverkäuferin Amina Mohamed Verdingt Comeback eines Prügelknaben Wörter von Pörtner Der See des Anstosses Theater Kritische Leidenschaft Kultur Rousseau kochen Ausgehtipps Chinesen im Biwak Fussballer-Porträt Als Arbeitsloser im Asylbewerberheim Projekt SurPlus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP Surprise – Mehr als ein Magazin Mit Schweiss getauft

BILD: WOMM

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16 Pflege Cineastische Selbsttherapie

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BILD: ZVG

Schon als Kind kümmerte sich Arami Ullón in Paraguay um ihre Mutter, die an Parkinson und Epilepsie leidet. Das Gesundheitssystem in ihrer Heimat liess ihr keine Wahl – gute Pflege ist in Paraguay teuer, und ins staatliche Pflegeheim darf nur, wer keine Angehörigen mehr hat. Heute ist Ullón 36 und lebt als Filmemacherin in der Schweiz. Ein Gespräch über ihren neusten Film «El Tiempo Nublado», mit dem sie ihre eigene Geschichte aufarbeitet.

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Tempo bestimmt die Medienwelt: Nicht nur die Journalisten werden gehetzt, auch die Leserinnen werden dazu angehalten, immer mehr in immer kürzerer Zeit zu konsumieren. Klar, dass einem so in der Eile entstandene Fehler in der Berichterstattung nicht auffallen. Wir raten zur Entschleunigung: Nehmen Sie sich wieder Zeit zum Lesen. Und googeln Sie auch mal nach, sollte Ihnen etwas nicht ganz koscher vorkommen. Wenn Sie sich dann auch noch die Zeit nehmen, der betreffenden Redaktion mitzuteilen, dass Ihnen korrekte Fakten wichtiger sind als Schnelligkeit – dann haben Sie damit einen kleinen Beitrag zu einer besseren Medienwelt geleistet.

1. Kleben Sie die Deckel von zwei PET-Flaschen mit Sekundenkleber zusammen. Stechen Sie in der Mitte mit einer Ahle ein Loch, sodass Sie einen Strohholm hindurchstecken können. Schneiden Sie den Strohhalm unten und oben ab.

2. Füllen Sie etwa 250 Gramm feinen Sand in die eine Flasche. Schrauben Sie die gefüllte sowie eine leere Flasche auf die Deckel. Nehmen Sie zwei Bierdeckel und schneiden Sie diese je vier Mal ein. Kleben Sie die Bierdeckel auf die Flaschenunterseiten und stecken Sie vier Kartonstreifen in die Ritzen.

3. Eichen Sie die Sanduhr, indem Sie mit einer Stoppuhr messen, wie lange es dauert, bis der Sand in die zweite Flasche gelaufen ist.

4. Stellen Sie die Sanduhr beim Zeitung lesen und legen Sie Ihre Lektüre nicht vor 20 Minuten wieder ab. Sollten Sie schneller mit der ganzen Zeitung durch sein, entscheiden Sie sich nächstes Mal für eine mit mehr Seiten und längeren Artikeln.

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ILLUSTRATION: RAHEL KOHLER | WOMM

Basteln für eine bessere Welt Mehr Zeit für die Zeitung


Porträt Rebellische Tiermutter Monica Spoerlé teilt Haus und Hof mit 150 Tieren. Seit über 20 Jahren kämpft sie für den Erhalt ihres Gnadenhofs in Kaisten im Kanton Aargau – bis zur Selbstaufgabe. VON CLAUDIA SPINNLER (TEXT) UND DOMINIK PLÜSS (BILD)

es Vertrauen in die Menschen fassen. Einige seien dabei sogar handzahm geworden. So zum Beispiel die getigerte Katze, die heute wieder schnurren kann, wenn man sie hinter den Ohren streichelt, und nicht wie bei ihrer Ankunft aus lauter Angst vor Menschen verstört zurückschreckt. «Es ist einfacher, mit Tieren zu leben als mit Menschen», sagt Spoerlé. «Sie sind weniger kompliziert. Sie sind nicht berechnend und erwarten nichts.» Doch nicht alle heissen diese Art der Tierhaltung gut – insbesondere bei den Wildtieren. Vor zwei Jahren entzog der Veterinärdienst des Kantons Aargau Spoerlé das geliebte Rehkitz Sebastian. Die Begründung: Der junge Bock hätte mit der Zeit zur Gefahr für Mensch und Tier werden können. «Das war das schrecklichste Erlebnis meines Lebens», erzählt sie. Dabei laufen ihr Tränen über das Gesicht. «Sie haben Sebastian einfach mitgenommen und wieder ausgewildert. Für mich war das wie ein kleiner Tod.» Sarah hingegen durfte sie behalten – sie war schon zu lange unter Menschen, als dass man sie noch hätte auswildern können. Spoerlés Gnadenhof, Ausdruck falsch verstandener Tierliebe? Beim Veterinärdienst ist man nicht dieser Meinung. Kantonstierärztin MarieLouise Bienfait sagt, der Tierlignadenhof Kaisten sei ein funktionierender Betrieb. Unterstützt wird Monica Spoerlé bei ihrer Arbeit von einem

Beim Betreten von Monica Spoerlés Schlafzimmer bietet sich ein skurriles Bild. In jeder Ecke dieses Raumes im 200 Jahre alten Bauernhaus haben sich über ein Dutzend Katzen eine gemütliche Nische geschaffen und dämmern wohlig vor sich hin. Sarah hat sich ihr Plätzchen gar in Spoerlés Bett eingerichtet. Sarah ist ein Reh. Und sie hat zwar das stolze Aussehen eines ausgewachsenen Rehs, ihr Verhalten gleicht aber mehr dem eines Hundes, der schützend über die Katzen wacht. Kein Wunder: «Ich habe sie in einem Hunderudel grossgezogen», sagt Spoerlé. «Sarah würde auch bellen, wenn sie könnten.» Spoerlé lacht und zündet sich in der Küche eine Zigarette an. «Tiere waren schon als Kind meine besten Tröster. Sie üben eine besondere Kraft und Energie auf uns Menschen aus», ist sich die Ostschweizerin sicher. Auf dem Tierlignadenhof Kaisten, wie die Einrichtung offiziell heisst, geben Spoerlé und ihr Team heimatlosen, vergessenen und misshandelten Tieren seit über 20 Jahren ein neues Zuhause in der Nähe der Aargauer Gemeinde Frick. Ihr Lebenswerk verlangte der heute 68-Jährigen viel ab. Für sich und ihre Gesundheit blieb da wenig Raum. Das hat nun Spuren hinterlassen: Spoerlé ist mit ihren Kräften am Ende, sie ist müde und ausgelaugt. Täglich kämpft sie mit starken Rückenschmerzen, auch der Darm und «Sie haben Rehkitz Sebastian einfach mitgenommen und wieder der Magen machen ihr Probleme. «Heute sagt ausgewildert. Für mich war das wie ein kleiner Tod.» man dem wohl Burnout. Aber ich nehme es hin – ich mache daraus kein Drama», sagt sie. Team, bestehend aus zwei ausgebildeten Tierpflegerinnen und einer Während des Gesprächs steht oder läuft sie umher, das sei besser als sitHandvoll freiwilligen Helfern. Über Jahre kämpfte Spoerlé um das fizen oder liegen. Gibt es eigentlich auch Momente ohne ihre Tiere? Ja, nanzielle Überleben. Spendengelder hielten den Betrieb, der seit 2006 sagt Spoerlé, morgen müsse sie dringend zum Zahnarzt, das mache sie als Stiftung eingetragen ist, immer nur knapp über Wasser. Über einen alleine. Sie lacht. Aufruf auf Facebook und Medienberichte kamen grosszügige Spenden Es ist der Kampf gegen die Ungerechtigkeit, der Spoerlé antreibt. herein, nun ist der Betrieb des Hofes wieder gesichert, zumindest für «Das war schon als kleines Mädchen so. Ich habe mich immer für die das nächste Jahr. Schwachen eingesetzt.» Nein zu sagen falle ihr schwer, nicht nur bei «Ich war früher schon eine Rebellin und bin es heute noch», sagt die den Tieren. Ihre Offenheit und Gutmütigkeit schätzen auch die Menselbsternannte «Hausmutter der Tiere» über sich. Ohne Vater aufgeschen: Viele kommen und holen sich Rat bei ihr. wachsen, lernte sie bereits früh zu kämpfen. Mit 17 Jahren wurde sie Ein Lieblingstier hat Spoerlé keines: «Ich mag die am liebsten, denen das erste Mal schwanger, das zweite Mal ein Jahr später, von einem anes am schlechtesten geht.» Und von dieser Sorte gibt es auf dem Hof genug. Aus allen Ecken starren einen Katzenaugen an, und man muss deren Mann. Die beiden Töchter zog sie zusammen mit ihrer Mutter dauernd aufpassen, nicht auf eine Hundepfote zu treten. Aber Platz ist gross. «Ich war damals ja selbst noch ein Kind», sagt sie rückblickend. genügend vorhanden. Im Haus ist es sauber und die Stimmung ist friedDie grosse, beständige Liebe hat sie bis heute nicht gefunden. lich, trotz der vielen Tiere – oder gerade wegen ihnen. Da ist zum BeiAls Jugendliche lebte Monica Spoerlé von der Hand in den Mund, ein spiel Cäsar der Ochse, welcher eigentlich beim Metzger landen sollte, richtiges Zigeunerleben sei das gewesen. Eigentlich wollte sie Modeoder Joker das Wildschwein, Purzel der Fuchs, der mehrheitlich im zeichnerin werden, einen Abschluss hat sie aber nie gemacht. «Mich hat Wohnzimmerschrank lebt, und natürlich Sarah das Reh, das den Füchdas Leben ausgebildet», sagt Spoerlé. Sie hat früher in vielen verschiesen regelmässig die Ohren putzt und sich den Hunden als treue Spieldenen Funktionen gearbeitet: im Restaurant, auf Banken, als Rahmengefährtin in Form von grosszügigen Rückentransporten anbietet. Leben vergolderin. und leben lassen, das scheint in dieser Tiergemeinschaft gut zu funk«Alle sind bei uns willkommen», sagt Spoerlé und meint damit nicht tionieren. Monica Spoerlé gelingt es, sich unter den vielen Tieren ganz nur die Tiere. Der Betrieb ist für die Öffentlichkeit zugänglich. So kann natürlich zu bewegen und dabei eine Ruhe auszustrahlen, die sich ofdas Team vielen Menschen, die sie seit Jahren unterstützen, einiges zufensichtlich auf das idyllische Zusammenleben mit den Tieren auswirkt. rückgeben. Besonders samstags besuchen viele Familien den Hof. «Mit «Die Tiere verstehen uns sehr genau, wir müssen uns nur Zeit für sie Tieren zusammen zu sein», sagt Monica Spoerlé, «ist das Beste für die nehmen», sagt sie denn auch. Viele Tiere auf Spoerlés Hof konnten neuPsyche. Es ist besser als jede Therapie.» ■

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Aufgelesen News aus den 90 Strassenmagazinen, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Immer mehr mit Minijob Kiel. Mehr als 2,4 Millionen Menschen sind in Deutschland laut Bundesagentur für Arbeit finanziell auf einen Nebenerwerb angewiesen. Das sind fast doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren, die neben ihrem Haupterwerb noch einem sogenannten Minijob nachgehen. Minijobs werden mit höchstens 450 Euro im Monat entlöhnt und sind zum grossen Teil abgabenbefreit. Meist sind dies Tätigkeiten im Handel, in der Gastronomie oder als Leiharbeiter. Mehr als 230 000 Menschen in Deutschland haben sogar zwei steuerpflichtige Jobs.

Wenn das Glück einschlägt London. Ein Pärchen aus Scunthorpe, England, hat zweimal in Folge die Lotterie Euromillions gewonnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand dieses doppelte Glückslos zieht, liegt bei 283 000 000 : 1. Im Vergleich dazu ist es geradezu einfach, einen Royal Flush beim Poker zu haben (30 939:1), zweimal vom Blitz (300 000 : 1) oder von einem Meteoriten getroffen zu werden (250 000 : 1).

Arbeitskampf hinter Gittern Stuttgart. Die Arbeit von Gefangenen soll ordentlich entlöhnt werden, meinen Insassen der Justizvollzugsanstalt in Berlin-Tegel und gründeten die Gefangenen-Gewerkschaft. Die bisher 450 Mitglieder in 40 Gefängnissen fordern den Mindestlohn von 8,50 Euro auch für die deutschlandweit 45 000 arbeitenden Häftlinge. In Anstalten in Italien und Österreich sei der Mindestlohn bereits eingeführt. Gefangene in der Schweiz bekommen im Durchschnitt 26 Franken pro Tag für ihre Arbeit.

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Zugerichtet Gut gegelt Von hinten macht der Angeklagte keine schlechte Falle. Er trägt Anzug und die Haare artig zurückgekämmt, wenn auch sehr grosszügig pomadisiert. Seine Ausführungen haben den typischen Klang eines selbstsicheren Jungunternehmers, der sich für ein bisschen schlauer hält als der Rest der Menschheit. «Sie wissen ja, wie das ist», sagt er zum Oberrichter. Als handle es sich um ein vertrautes Gespräch am Bartresen eines hippen Lokals, versucht er das Gericht davon zu überzeugen, dass er das Opfer eines neidischen Konkurrenten sei. Die illegalen Transaktionen und Datenbeschädigungen, die ihm vorgeworfen werden, könne er gar nicht ausgeführt haben. Warum das so klar sein soll, leuchtet überhaupt nicht ein, denn digitale Spuren sind schwer zu verwischen. Und die fanden sich sowohl auf seinen privaten wie auch den Computern seiner IT-Firma. Dennoch bleibt der Angeklagte während der langen Befragung durch das Gericht bei seinen luftigen Unschuldsbeteuerungen. Fest stand schon vor der Verhandlung, dass der junge Mann kein Schwerstkrimineller ist, sondern ein schwererziehbarer Schlaumeier. Nichtsdestotrotz: Die erste Instanz sah es als erwiesen an, dass er im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit im elektronischen Devisenhandel einen seiner Auftraggeber geschädigt hatte. Zum einen habe er unbefugt auf zwei Konten zugegriffen, mit Devisen gehandelt und so einen Verlust von 9000 Franken verursacht. Zudem habe der Beschuldigte auf zwei Börsen-Webseiten unter einem Pseudonym Mitteilungen veröffentlicht, in denen er behauptete, sein Auftraggeber täti-

ge unlautere Geschäfte. Dabei gab er vor, als dessen Kunde bei Anlagegeschäften betrogen worden zu sein. Stichhaltige Beweise fehlten ebenso wenig wie ein schlüssiges Motiv: Die eingeklagten Taten erfolgten, nachdem der Geschädigte dem IT-Unternehmer gekündigt hatte. Süsse Rache also. Ungeschickterweise versendete der Angeklagte zu den Tatzeiten aufschlussreiche SMS an seinen Geschäftskollegen: «Mier sind sooo krass!», fast sekundengenau, als die verleumderischen Mitteilungen im Makler-Forum gepostet wurden. Der Gerichtsvorsitzende hört geduldig zu und gibt dem Jungspund wiederholt die Möglichkeit, doch noch reinen Tisch zu machen. Doch der denkt gar nicht daran. Er redet sich so weit ins Abseits, dass sich der Richter an seine Anwältin wendet und vorschlägt, sie solle mit ihrem Klienten die Verteidigungsstrategie überdenken. Gesagt, getan. In der Folge sagt er gar nichts mehr, und die Verteidigerin versucht zu retten, was zu retten ist. Immerhin: Die achtmonatige Freiheitsstrafe der Vorinstanz wird in eine Geldstrafe umgewandelt: 10 500 Franken für mehrfache Datenbeschädigung und unlauteren Wettbewerb. Mit den Gerichtskosten von mehreren Tausend Franken kommt eine beträchtliche Summe zusammen. Sie wird schmerzen: Die IT-Firma des 23-Jährigen ist inzwischen pleite. Als er den Gerichtssaal verlässt, hat sich der selbstsichere Start-up-Manager in einen pickeligen Jungen mit hängenden Schultern in einem zu grossen Anzug aus billigem Polyester verwandelt. Es ist zu hoffen, dass er künftig mit breitspurigen Worten – und dem Haargel – sparsamer umgehen wird.

YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 349/15


Hausmitteilung Surprise im Aufwind

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 (0)61 564 90 99 redaktion@vereinsurprise.ch

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BILD: DOMINIK PLÜSS

Von aussen weniger sichtbar ist die grosse Energie, die wir seit einiger Zeit in die Optimierung der Vertriebs- und Betreuungsarbeit fliessen lassen. Unsere Vertriebsangestellten treffen unsere Verkaufenden auch immer wieder im Rahmen von regelmässigen Verkäuferfrühstücken, gemeinsamen Ausflügen oder gemeinsamen Essen. Dabei entsteht jeweils eine familiäre Atmosphäre, in der die Verkaufenden auch von ihren Sorgen und Nöten erzählen. Durch professionelle Triage und fachkompetente Unterstützung in den verschiedensten Bereichen ist Surprise für sie eine unerlässliche Hilfe im Alltag – nicht zuletzt bei der Bewältigung bürokratischer Hürden. Die Sozialbilanz in unserem soeben erschienenen Jahresbericht zeigt dies eindrücklich. Durch Aktionen wie den Rollentausch, bei dem im Februar Leserinnen und Leser für einen halben Tag zu Verkäuferinnen und Verkäufern wurden, erhielt Surprise eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit. Anfragen von Fachhochschulen in Belangen von Armut oder Ausgrenzung zeigen, dass wir vermehrt als Kompetenzzentrum für diesen Themenbereich wahrgenommen werden. Und die berührenden Reaktionen auf Todesfälle von Verkaufenden in Basel und Bern, die wir dieses Jahr zu beklagen hatten, zeigten uns auf, wie verankert Surprise in der Bevölkerung ist. Wir wollen weiterhin für all jene eine Familie sein, die das möchten und brauchen, und ihnen den Weg bereiten, damit sie das Beste

aus sich herausholen können. Ob Sie mit den Verkaufenden plaudern, das Strassenmagazin kaufen, an einem Stadtrundgang teilnehmen oder uns mit einer Spende unterstützen – helfen Sie uns weiter dabei, unsere Arbeit zu machen. Auf dass wir in Zukunft noch mehr hören dürfen: Bei euch ist ja echt was los!

Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung Paola Gallo, Geschäftsleiterin

BILD: SURPRISE

Als ich vor viereinhalb Jahren bei Surprise anfing, hörte ich immer wieder die gleiche Frage: Wie steht es denn nun mit Surprise? Diese Frage wurde in letzter Zeit abgelöst von der Aussage: Bei euch ist ja echt was los! Ja, bei uns ist was los, und zwar mächtig. Immerhin haben wir 2014 rund 360 000 Strassenmagazine verkauft – 2,3 Prozent mehr als 2013. Und unser Hoch hält weiterhin an: In den traditionell verkaufsschwachen Monaten Januar bis März haben wir dieses Jahr sage und schreibe 23 Prozent mehr Hefte verkauft als in der gleichen Periode im Vorjahr. Wie ist dieser Aufschwung zu erklären? Dafür gibt es mehrere Gründe: Wir erhalten vermehrt begeisterte Leserzusendungen oder mündliche Rückmeldungen, die uns signalisieren: Das Strassenmagazin bietet echten journalistischen Mehrwert. Wir werden also immer besser. Ein zweiter, nicht minder wichtiger Grund: Die sozialen Stadtrundgänge in Basel sind konstant ausgebucht, unsere Stadtführer haben im Jahr 2014 in mehr als 300 Führungen über 4000 Menschen an die Brennpunkte der Stadt geführt. Dieser Erfolg geht in Zürich weiter: Im Oktober letzten Jahres fiel der Startschuss für die sozialen Stadtrundgänge in der Bankenstadt. Auch hier sind die Touren heiss begehrt. Und die Rückmeldungen unserer Verkaufenden zeigen: Viele, die bei einem sozialen Stadtrundgang waren, bleiben beim nächsten Strassenmagazin-Verkäufer stehen, plaudern mit ihm und kaufen ihm oft auch ein Heft ab.

Starverkäuferin Amina Mohamed Anna Schweizer aus Winterthur schreibt: «Sicher zweimal pro Woche düse ich mit dem Velo in den Grüze Markt Winterthur, immer mit wenig Zeit und Einkäufen im Gepäck. Und immer (wirklich immer!) sehe ich die freundliche Surprise-Verkäuferin vor dem Gebäude stehen, deren Name ich leider nicht kenne. Ich möchte ihr für ihre Arbeit danken! Zudem nehme ich mir fest vor, häufiger die Surprise bei ihr zu kaufen!»

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Live und atemlos berichteten die Onlinemedien von einem Feuerball ‌

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Medien Mit Vollgas in die Vertrauenskrise Warum glauben wir unseren Medien nicht mehr, wenn sie uns die Welt erklären? Arbeiter aus den Newsfabriken erzählen, wie die grossen Medienhäuser den Journalismus abschaffen.

VON CHRISTOF MOSER

der deutsche öffentlich-rechtliche WDR eine halbe Stunde nach der ersten Absturzmeldung zu einem Bild des Ankunftsgates am Düsseldorfer Flughafen. «Das ist eine dieser furchtbaren Eigenarten des Onlinejournalismus», kritisiert der bildblog.de treffend: «Dass die Portale in den ersten Stunden nach Grossereignissen alles rausjagen, was sie zwischen die Finger kriegen, egal wie irrelevant, spekulativ oder nichtssagend.» Wer dem Publikum unablässig Irrsinn vorsetzt, nur noch selten von relevanten Bruchstücken unterbrochen, kann irgendwann den Sinn seines Informationsangebots nicht mehr erklären und damit auch nicht mehr die Funktion des Journalismus in der Gesellschaft legitimieren.

Da war der Feuerball, der keiner war. Als im Februar das Zürcher Kino Houdini brannte, berichtete das Onlineportal von 20 Minuten – gestützt auf Bilder eines Leserreporters – live und atemlos von «Flammen, die zu sehen sind». Wer durch die Bilderserie klickte, erhielt den Eindruck, das Betongebäude an der Kalkbreite sei aus Zunder gefertigt und die Flammen würden der Feuerwehr bis aufs Trottoir hinaus entgegenschlagen. Erst die offiziellen Pressebilder von «Schutz & Rettung» rückten die dramatischen Szenen später wieder ins richtige Licht. Der angebliche Feuerball – nichts weiter als der Lichtkegel einer Lampe, der sich in Rauchschwaden reflektierte. Eine Petitesse, gewiss. Nichts, was Eine Krise mit Ankündigung den Lauf der Welt verändert – eine lokale Medien-Posse. Und doch ein Und es ist ja nicht so, dass dies niemand hat kommen sehen, ganz im Sinnbild für die Vertrauenskrise, in der die Medien und ihre Macher Gegenteil. «Die offensichtliche Qualitätsmisere und der damit verbunstecken. Warum sollte das Publikum der Berichterstattung zum unüberdene Reputationsverlust der Medien führt dazu, dass heute jeder fröhsichtlichen Krieg in der Ukraine Glauben schenken, wenn die Journalilich und folgenlos Medienbashing betreiben kann. Einem breiteren Pusten bereits bei einem simplen Brand vor der eigenen Haustüre versagen? blikum ist der Respekt für die Rolle des Journalismus in der Gesellschaft Wie sollen sie uns helfen, die Welt zu verstehen, wenn sie nachweislich fremd geworden», konstatierte der inzwischen verstorbene Mediensoan den einfachsten Aufgaben scheitern? ziologe Kurt Imhof bereits 2013, also noch bevor der Vertrauensverlust «Wegelagerer», «Schmierfinken», «Schreibnutten»: Journalistinnen des Publikums in die Medien definitiv nicht mehr zu übersehen war. Der und Journalisten werden geschmäht und kritisiert, seit es Medien gibt. bekannte britische Journalist Nick Davies warnte in seinem legendär geDoch jüngst hat sich die Stimmung zwischen Medienmachern und Publikum dramatisch Wer dem Publikum unablässig Irrsinn vorsetzt, kann irgendwann die verschlechtert. Spätestens mit dem UkraineFunktion des Journalismus in der Gesellschaft nicht mehr legitimieren. Krieg scheint sich ein abgrundtiefer Graben zwischen Journalisten und ihren Lesern, Zuschauern und Zuhörern aufgetan zu haben. Manipulativ und verlogen, wordenen Sachbuch «Flat Earth News» bereits 2008 eindringlich vor käuflich und unmoralisch: Nie zuvor waren die Vorwürfe an die Medem Niedergang des Journalismus. In einem Interview mit der Wochendienschaffenden massiver und schärfer. zeitung Die Zeit sagte er damals: «Der Journalismus liegt, fürchte ich, Das zeigte sich auch daran, was über die Medien hereinbrach, als sie bereits in den letzten Zügen. Journalisten waren einmal Spürhunde. Sie Mitte März nach dem mutmasslich vorsätzlich herbeigeführten Absturz haben alle Informationen, an die sie gelangten, sorgfältig überprüft und der Germanwings-Maschine den Namen des Co-Piloten publizierten: erst dann in ihren Berichten weitergegeben. Jetzt haben Budgetzwänge, ein Sperrfeuer der Kritik, aus allen Rohren, auf allen Kanälen und in der Verlust von Ressourcen und der Zeitdruck, unter dem sie in den ausEchtzeit. Da ist etwas heftig verrutscht im Verhältnis zwischen Medien gedünnten Redaktionen stehen, dazu geführt, dass sie in Nachrichtenund Medienöffentlichkeit, und dies nicht zugunsten des Journalismus. fabriken wie an einem Fliessband sitzen und immer häufiger unkontrolDie Aufklärung und Einordnung, die das Publikum offenbar noch imliert weitertransportieren, was ihnen zugetragen wird.» mer von seinen Medien erwartet, wird von diesen mitunter in einem Jüngstes Beispiel für diesen Befund war ein Feuerball, der tatsächlich Meer aus Nonsens ertränkt. «Hier sollten die Passagiere von Flug einer war – und sich dann trotzdem als veritabler Medienflop entpupp4U9255 nach der Landung herauskommen», vermeldete zum Beispiel te. Als Mitte März ein Meteor als gleissende Kugel den Schweizer NachtSURPRISE 349/15

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… der sich später als Lichtkegel im Rauch entpuppte.

Das Meteor-Beispiel illustriert den Fluch der schnellen Onlinemehimmel erleuchtete, gierten die Newsrooms des Landes nach Bildmatedien: Social-Media-Material wird von Journalisten ungeprüft übernomrial. Nur Minuten, nachdem das süddeutsche Onlineportal Regio-akmen, weil die Zeit für die Verifizierung fehlt. Fehler verbreiten sich tuell24 ein besonders spektakuläres Leserbild der Himmelserscheinung innerhalb weniger Minuten, weil jedes Medium haben will, was das anpubliziert und dann via Twitter in die mediale Umlaufbahn geschossen dere Medium auch hat. Es dreht sich alles um Geschwindigkeit, weil Gehatte, prangte das Foto auch als Aufmacherbild auf tagesanzeiger.ch schwindigkeit Reichweite ist und Reichweite Geld. und den angehängten Seiten des Tamedia-Newsnet. Blick.ch und WatEinen selten transparenten Einblick in diese mediale Wirklichkeit lieson zogen sofort nach, selbst SRF3 twitterte das Bild. Die Journalisten ferte kürzlich Watson-Chef Hansi Voigt in einem Dialog mit einem Leser, taten dies offensichtlich ohne rudimentärste Prüfung. Das angeblich aktuelle Bild des Meteors wurde in Wirklichkeit 2009 in den Niederlanden aufgenommen und «Wer erst dann berichtet, wenn es niemanden mehr interessiert, hat machte bereits 2014 in den Medien als falsches ökonomisch verloren.» Foto einer Meteor-Sichtung die Runde, wie eiHansi Voigt, Chef von Watson ne simple Google-Recherche noch in derselben Nacht zutage förderte. Symptomatisch waren der wissen wollte, warum das Onlineportal bei aktuellen Grossereigdie Reaktionen der Redaktionen auf den Fehlerhinweis. «Die Aufregung nissen wie dem Germanwings-Absturz auch ungeprüfte Informationen um das falsche Meteor-Bild ist übertrieben», liess ein Watson-Journalist veröffentliche: «Dient das den Klicks? Möchte man gegenüber anderen via Social Media verlauten. Newsportalen nicht ins Hintertreffen geraten?» Antwort Voigt: «Ja, naDiese Aussage deutet tendenziell auf eine Identitätskrise hin, die türlich spielen das enorme Interesse, beziehungsweise Klicks, bezienicht wenige Redaktionen auf der Jagd nach Klicks für ihre Onlineporhungsweise der Ansturm der Leser eine Rolle. Wer erst dann berichtet, tale erfasst hat: Was sind noch harte Nachrichten, bei denen Fakten zähwenn es niemanden mehr interessiert, hat ökonomisch verloren.» len, was ist bereits Unterhaltung, bei der alles keine Rolle mehr spielt? In diesem ökonomisch bedingten Geschwindigkeitswahn ist der masWatson war dann allerdings auch die einzige Redaktion, die sich tags senmediale News-Journalismus gefangen und rast in die Vertrauenskridarauf bei den Leserinnen und Lesern für den Fehler entschuldigte. se, bis nichts mehr von ihm übrig bleibt. «Journalismus ist nurmehr ein SRF3 – immerhin ein öffentlich-rechtlicher SRG-Radiokanal mit behohles Gefäss, in das jeder füllt, was er mag oder was er meint, im Aufsonders hohem Qualitätsanspruch – verpasste dem Tweet nachträglich, trag seiner Nutzer einfüllen zu müssen», schrieb vor einigen Wochen ein still und leise einen Archivbild-Hinweis. Heimlich korrigierte sich auch frustrierter deutscher Journalist in einem öffentlich publizierten Abder Tages-Anzeiger: Am nächsten Morgen war das falsche Bild flugs aus schiedsartikel aus seinem Beruf. «Es ist ein sich selbst immer wieder bedem Artikel verschwunden. Leider tauchte es dann am Abend auf Telefeuerndes System, das sich gelöst hat von Werten, das sich einzig und Züri wieder auf.

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Silvio Berlusconi: «Die ‹Breaking News› war schon draussen, als sich allein orientiert an dem, was der Kunde angeblich will. Alles ist darauf herausstellte, dass das Urteil nur erstinstanzlich und die Haftstrafe abgestellt, dieses System rotieren zu lassen. So etwas erzeugt eigene wegen Berlusconis fortgeschrittenem Alter sowieso zur Bewährung ausZwänge, eigene Gesetzmässigkeiten. Moral wird dabei neu definiert. gesetzt war.» Zwei-Quellen-Regel? Wird kaum noch beachtet: «Die PushOder anders gesagt: Moral ist das, was Klicks bringt.» Die bekannte deutsche Reputations-Agentur Edelmann, die für ihren jährlichen «Trust Barometer» mittels Eine weltweite Studie stellt «einen klaren Zusammenhang» zwischen weltweiten, repräsentativen Umfragen auch den «erheblichen redaktionellen Einsparungen» und dem Verlust der das Vertrauen in die Medien misst, stellt in ihGlaubwürdigkeit fest. ren jüngsten Studienergebnissen von Januar 2015 «einen klaren Zusammenhang» zwischen Meldung über den Absturz eines F/A-18-Kampfjets der Schweizer Armee den «erheblichen redaktionellen Einsparungen sowie der damit verbunim Oktober 2013 basierte auf einer einzigen Quelle, die Luftwaffe wolldenen gesunkenen Medienqualität» und dem Glaubwürdigkeitsverlust te den Flugzeugtyp zunächst nicht bestätigen. Es war mehr Glück als der Medien fest. «Früher brauchte eine Story zwei Quellen. Heute brinVerstand, dass sich die News dann später als richtig herausstellte.» gen viele Medien die Geschichte schon, auch wenn sie nur eine Quelle Angesichts dieser Schilderungen kaum zu glauben: Das halsbrechehaben. Der zeitliche Druck ist so gross, dass alles sofort veröffentlicht rische Tempo in der Newsproduktion soll weiter erhöht werden. Ab werden muss», stellt Agentur-Inhaber Richard Edelmann in einem InterSommer 2015 werden zwei neue Teams unter dem Namen «Newsview mit dem deutschen Branchendienst Meedia nüchtern fest. Die Folexpress» alle Tamedia-Newsplattformen mit kurzen, digitalen News gen sind dramatisch: Nur noch 45 Prozent der Befragten halten Journaversorgen. Dazu werden sogenannte Flankenteams gebildet. Das Anlisten für glaubwürdig. forderungsprofil für Journalisten des Flankenteams: «Wir brauchen Redaktoren, (…) nicht immer jede Entscheidung auf die Goldwaage legen Der erstbeste Experte und eine permanent abwartende Haltung einnehmen», heisst es in eiDie Vertrauenskrise des Journalismus verwundert niemanden, der nem internen Tamedia-Papier, das Surprise vorliegt. sich von früheren wie gegenwärtigen Journalisten in den Newsrooms die Arbeitsbedingungen schildern lässt. «Als Qualität gilt in erster Linie Die falsche Kritik Schnelligkeit, alles andere wird diesem Mass aller Dinge untergeordJournalistisches Versagen? Ja, das Publikum ist zu Recht kritisch genet», sagt ein ehemaliger Mitarbeiter des 20 Minuten-Newsdesks, der worden. Aber versagen auch die Journalisten? «Flat Earth News»-Autor gekündigt hat, weil er unter Journalismus etwas anderes verstanden hat Nick Davies sagte schon 2009: «Natürlich muss man auch den einzelnen als seine Chefs. «Die Nachrichtenselektion und -gewichtung hatte nichts Journalisten in die Pflicht nehmen. Aber meist sind sie selbst Opfer eimehr mit meinem Begriff von Relevanz zu tun – die Klickrate ist Gott.» nes Systems, in dem die Interessen und die Gewinnerwartungen grosser Ein aktueller Mitarbeiter sagt: «Ich sehe 20 Minuten als Resultat der Medienkonglomerate weit über dem stehen, was man früher journalitechnischen Beschleunigung, in Verbindung mit dem Auftrag, Geld zu stisches Ethos, also Fairness und Zuverlässigkeit in der Berichterstatgenerieren, einer nur auf messbare Leistungen abzielenden Führungstung, nannte. Heute geben Medienmultis den Ton an, in denen profitkultur und einer naiven Leserschaft, die sich nur allzu gerne von reisorientierte Manager das Sagen haben. Die interessieren sich für den serischen Titeln anlocken lässt.» Unvergessen bleibt mehreren befragten Aktienkurs, nicht für den Inhalt einer Nachricht.» Auch die von SurpriMitarbeitern die Jagd nach der Selfie-Sekretärin im Bundeshaus – nachse befragten Newsroom-Journalisten weisen darauf hin, dass selten die dem die NZZ eine anonymisierte Geschichte dazu publiziert hatte, sei «einfachen Redaktorinnen und Redaktoren» das Problem seien. «Die zwischen 20minuten.ch und blick.ch ein erbitterter Wettbewerb ausgemeisten möchten einen guten Job machen und wären auch fähig dazu», brochen, wer sie als Erstes identifizieren kann und an die Bilder kommt. sagt ein Newsnet-Journalist. Das Problem sei auf Stufe Verlag und Chef«Die Chefs, die eigentlich die Einhaltung von ethischen Leitplanken redaktion zu finden, «die beide rein ökonomisch denken und die unteüberwachen sollten, peitschten uns Journalisten zu einer regelrechten ren Chargen durch den viel zu engen Korridor der Reichweite jagen». Zu Hetzjagd an», sagt ein Newsdesk-Mitarbeiter, der den Mechanismen des den grossen Fehlern des Publikums gehört, dass es häufig Journalisten Onlinejournalismus seither «kritisch» gegenübersteht. «Ethische Bedenattackiert, wo Kritik am kaputten Mediensystem nötig wäre – und sein ken», erzählt er, «sind mit dem Hinweis weggewischt worden, damit Mediennutzungsverhalten zu wenig reflektiert und mit seiner Kritik in schmälere man nur die Reichweite.» Ähnlich beschreiben auch JournaÜbereinstimmung bringt. Zu den grossen Fehlern der Journalisten gelisten anderer Onlinemedien die Situation. «Es dominiert die Angst, hört, dass sie sich nicht entschieden und öffentlich gegen das kaputte langsamer zu sein als eines der anderen Newsportale. Das hat sich zu System stellen, in dem sie arbeiten. Und die grosse Tragik ist, dass Joureiner Art Rausch der Geschwindigkeit entwickelt», sagt zum Beispiel ein nalisten im angebrochenen Social-Media-Zeitalter, das eigentlich nie da Mitarbeiter von tagesanzeiger.ch/Newsnet. «Die Reflexion bleibt nicht gewesene Möglichkeiten des Dialogs mit dem Publikum bietet, auf vornur auf der Strecke, sie ist sogar unerwünscht – weil sie zu viel Zeit kogebrachte Publikumskritik mit Rückzug oder Gegenkritik reagieren, statt stet», sagt ein anderer, der beim Tages-Anzeiger inzwischen gekündigt das Publikum zu Verbündeten zu machen. Denn am Ende wird kein Weg hat. «Diskussionen über Themen und Artikel finden kaum oder gar daran vorbeiführen: Journalisten müssen damit beginnen, den Journanicht statt.» Dafür fehle schlicht die Zeit: Tagesreporter müssen bis 8:15 lismus gegen seine Feinde zu verteidigen. Zu diesen gehören auch die Uhr wissen, auf welches Thema sie aufspringen. Die Anzahl dieser inMedienkonzerne, bei denen sie heute noch angestellt sind. Sobald sie tern so genannten 1C-Artikel (aus der Tagesaktualität zur Publikation das tun, klappt’s auch wieder mit dem Publikum – vielleicht. für denselben Tag) sind fix eingeplant – «egal, ob die Geschichte dann ■ etwas hergibt oder nicht. Die Tagesleiter wollen Resultate sehen. Das führt dazu, dass oft nichts anderes übrig bleibt, als den erstbesten Experten mit dem erstbesten Dreh einer Geschichte zu kombinieren – und fertig ist der Artikel.» Oberstes Ziel: Push-Meldungen, die dem User Eilmeldungen direkt auf sein Handy oder Tablet drücken. Sie jagen die Zugriffsraten in die Höhe. Ein Mitarbeiter erinnert sich an die Push-Meldung nach einem GeChristof Moser ist Redaktor und Medienjournalist bei der Schweiz am Sonntag der richtsurteil im Fall des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten AZ Medien AG, die auch Watson.ch finanziert. SURPRISE 349/15

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BILD: ADRIAN MOSER

Literatur Von der Hand in den Mund An den Solothurner Literaturtagen wird die Schweizer Autorenszene gefeiert. Doch wie lebt es sich hierzulande vom Schreiben? Schriftsteller Christoph Simon über Lesungen vor zwei Leuten, Dennerwein, Kleider von H&M – und sein unverschämtes Glück. VON CHRISTOPH SIMON

Ich komme aus dem vergangenen Jahrhundert. Aus den freudlosen Achtzigerjahren. In der Disco im Luftschutzkeller gedachten wir kummervoll der Apartheid in Südafrika. Die Sowjets und die Amis bauten Mittelstreckenraketen; ein Dichter konnte keinen Vers veröffentlichen, ohne seiner Sorge Ausdruck zu verleihen, Ronald Reagans zittrige Finger könnten den roten Knopf drücken. Die Männer meiner Generation würden sich für immer vor Frauen fürchten – wegen Meg Ryan in «When Harry Met Sally» und Glenn Close in «Fatal Attraction». Rage Against the Machine katapultierte mich freudlos in die Neunzigerjahre. Mir wurde beigebracht, was ein Vektor ist, was ein Passé Simple. Ich konnte in 90 Minuten einen wohlstrukturierten Aufsatz schreiben und ohne Google Translate eine Seite von Jane Austen ins Englische übersetzen. Aber wozu? Wohin sollte das führen? Ich war jung, gesund und hatte keinen Schimmer, was ich mit all den Privilegien anfangen sollte. Während eines sinnlosen Psychologie- und Wirtschaftsstudiums reiste ich in den Semesterferien nach New York. Da war ich also, ein

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junger Mann, stand auf der Plattform des World Trade Center, verzweifelt und verloren. Da ging mir auf, dass ich hierhergekommen war, um den eigenen roten Knopf zu drücken. Benommen und betäubt lief ich durch die Wall Street und war völlig überfordert damit, eine Selbstmordtechnik aus den tausend Selbstmordtechniken in New York zu wählen – du kannst springen, du kannst einen Polizisten provozieren, oder die einfachste Methode: Du läufst quer über die Brooklyn Bridge, ohne links-und-rechts zu schauen. Ich wusste nicht, ob ich wirklich sterben wollte oder ob ich bloss keine Ahnung hatte, wie ich leben wollte. Mutlos und von meinen dunklen Gefühlen überwältigt fand ich mich in einer Buchhandlung wieder, bei Barnes & Noble am Union Square, und griff aus dem Stapel der Bücher nach dem Buch «Hand to Mouth» von Paul Auster. Das Buch handelt davon, wie ein junger Mensch nach Paris geht, um Schriftsteller zu werden, und dort beinahe verhungert und erfriert. Alles in allem ist die Geschichte eine Warnung und keine Ermunterung, aber völlig fehlgeleitet dachte ich: «Das muss ich auch! Fühlen, denken, erzählen!» Es war eine Erleuchtung. Es spielte keine Rolle, ob ich’s mir überhaupt zutraute. Ich musste es versuchen. Lieber SURPRISE 349/15


werfen. Die Kinder kosten weniger als befürchtet, noch sind keine Rechals gescheiterter Möchtegernschriftsteller sterben denn als Student. Ich nungen für Reitunterricht und Maltherapien zu bezahlen. Die Gleichflog zurück, enthusiastisch und schaffensdurstig. Verliess die Uni, die stellung befreit mich davon, für jedes Nachtessen aufzukommen, wenn Freundin und die Stadt und gab mir genau drei Jahre, um etwas Eigenes die Gefährtin und ich ausgehen. Was täte ich, wenn ich unvermuteterfür jemand anderen als mich selbst zu schaffen. Nie mehr seither bin ich weise einen Bestseller landete? Eine Moto Guzzi ersetzt die Einlegesohin einer Tätigkeit so aufgegangen wie in diesen drei Jahren. Ich machte len, der Rest wird gespart. Dank meinem erfolgreichen Kabarett-ProWochenpläne, trank literweise Johanniskrauttee, verdiente mir das WGgramm werde ich in diesem Jahr erstmals in meiner Karriere mehr Leben mit verschiedenen Jobs – als Aushilfe bei der Paketpost, als Idiotfür-alles bei einer Bank – und versank vollkommen im Schreiben. Als ich fertig zu sein Geld muss mir egal sein. Ich verachte mich, wenn ich Zeit an etwas verglaubte, schickte ich das Manuskript dem Zytschwende, das mir nicht am Herzen liegt. glogge-Verlag in Gümligen. Hugo Ramseier wollte es nicht drucken, aber sein Lektor Daverdienen als damals auf der Paketpost als Aushilfe. Aber Geld muss mir niel Imboden nahm sich Zeit für den Text und machte mich auf den Bilegal sein. Ich verachte mich, wenn ich einen Auftrag des Geldes wegen gerverlag in Zürich aufmerksam. Zwei Tage, nachdem ich diesem das annehme und also Zeit an etwas verschwende, das mir nicht am Herzen Manuskript geschickt hatte, rief mich der Verleger und Buchhändler Ricliegt. Und wenn wir schon dabei sind: Natürlich ist mir auch Anerkenco Bilger an. Er habe vor Begeisterung nicht aufhören können mit Lesen nung vollkommen egal. Ruhm und Ehre. Der Literaturbetrieb, das lite(so seine Legende, die ich gern für bare Münze nehme), seine Buchraturwissenschaftliche Seminar. Heute müssen Literaturprofessoren behandlung sei an diesem Morgen geschlossen geblieben. haupten, sie fänden Mundartliteratur superliterarisch. Vor 20 Jahren wurde jeder Furz einer schreibenden Frau hochgejubelt, heute winken Ich könnte mich dran gewöhnen sie alles Dialektische durch. Moden. Da steht der Künstler drüber. Mein Geschenk an die Menschheit erschien auf den Tag genau drei Jahre nach meiner Erleuchtung in New York, in Form eines Romans Zwei Monate auf einer Chaiselongue über einen jungen, gesunden und lebensunfrohen Mann namens Franz. Wenn ich von widerspenstigen Jugendlichen gefragt werde: «Was Ich war mir sicher, nun würde mich der Blitz erschlagen oder eine Flutbringt denn das, eine Geschichte schreiben?», dann beginne ich davon welle über mir einstürzen, aber offenbar hatten die Götter weitere drei zu reden, wie der Schreibende in sich hineinhöre. Sich seinen WünJahre für mich vorgesehen und nochmals drei und so fort. Ich könnte schen und Ängsten stelle. Diese in Bilder und Figuren und Szenen fasmich dran gewöhnen. se. Wie er sich dabei selber verstehen lerne und so ganz nebenbei GeÜber meinen ersten Roman erschien eine seitenlange Buchbesprefühle der Unzulänglichkeit überwinde («Vielleicht bin ich gar nicht nur chung in der NZZ. Was damals tatsächlich noch den Verkauf ankurbelte. dumm»). Was einen mental stärke und beim bevorzugten Geschlecht Ich konnte alle Jobs an den Nagel hängen und zog als «neue Stimme» interessant mache. Mir selber muss ich keine Motivationsreden halten. durchs Land. Alle paar Jahre veröffentlichte ich ein Buch und lernte die Ob ich nun an einem Text zweifle oder verzweifle, oder ob ich miterleschönen Seiten meines Berufs kennen (Buchhändlerinnen, Rauschdichben darf, wie sich Kreativität mühelos entfaltet und wie von Geisterter), aber auch die Kränkungen und Verdriesslichkeiten. Das Radiogehand eins ins andere fällt – ich liebe das Schreiben. Das Fühlen, das spräch, bei dem die erste Frage lautet: «Weshalb ist Ihr zweites Buch Denken, das Erzählen. Was gibt es Schöneres, als sich den Luxus leisten nicht so erfolgreich wie das erste?» Verwandte, die sich über die hohen zu können, zwei Monate lang auf einer Chaiselongue liegend NotizbüBuchpreise verbreiten und implizit oder explizit Rabatt verlangen. Nicht cher vollzudichten, in einer eher düsteren Gemütslage? Die Nachbarn in einer Anthologie vertreten zu sein. In einer Anthologie vertreten zu hören dich klagen, dass nichts von dem, was du schreibst, etwas wert sein, aber dein Name wird in der Rezension nicht erwähnt. Vor zwei sei, und dass es keine Hoffnung gebe, an diesem Zustand je etwas zu Leuten zu lesen – der Inhaberin der Buchhandlung und einer Freundin ändern. Der Wohnkollege verdeutlicht dir sanft die Kräfte der Erinnevon ihr, die so freundlich ist, so zu tun, als sei sie eine interessierte Zurung und des Alkohols. Irgendwann raffst du dich auf und bringst den hörerin. Schüler im erzwungenen Schreibatelier, die dich sofort respekRoman zu Ende. «Planet Obrist», erschienen 2005. Ein Roman, den heutieren würden, wenn sie dich nur einmal im Fernsehen gesehen hätten. te auch schon wieder niemand mehr kennt, den du aber damals für ein Und dich das eine Mal, wo du im Fernsehen warst, nicht gesehen haben. Jahrhundertwerk des Schelmenromans gehalten hast. Ein hoch verehrter Autorenkollege taucht an der Lesung auf und sitzt Nur der Prozess zählt. Der nächste Satz. Der Eigensinn. Schaffenszeit während der gesamten Zeit kopfschüttelnd in der ersten Reihe. Leute, ist das Kostbarste, was mir immer wieder geschenkt wird. Ich habe undie behaupten, viel zu lesen und dann deinen Namen nicht kennen. verschämt viel Glück. Buchhandlungen, die deine Bücher nicht führen. Buchhandlungen, die Vor zwei Jahren weilte ich stipendienhalber in New York. Sieben Büdeine Bücher führen, aber sie offenkundig nicht verkaufen. Ganze cher nach meiner Erleuchtung hörte ich im Barnes & Noble am Union Landstriche und Kontinente, die dich ignorieren. Square Paul Auster lesen. Am Ende der Lesung gab ich ihm die engliIch lebe vom Schreiben. Wähle meine Themen und Termine selbst. sche Ausgabe meines Romans «Spaziergänger Zbinden» und eine Tafel Bin frei. Ich verdanke diesen Erfolg meinen Leserinnen. Den BuchSchweizer Schokolade. Endlich konnte ich mich bei ihm bedanken für händlerinnen, den Bibliothekarinnen und den Journalistinnen. Ich versein «Hand to Mouth», das mitgeholfen hatte, meinem Leben Sinn und danke ihn meinem Verleger und meinen Schriftstellerfreunden und LekFreude zu geben. toren Urs Mannhart und Lorenz Langenegger. Ich verdanke ihn meiner ■ Gefährtin, die ihre eigene Arbeitszeit und unser Familienleben um meine Auftritte und Schulwerkstätten herum zirkelt. Ich verdanke ihn der Pro Helvetia und der Literaturkommission des Kantons Bern und diverChristoph Simon (42) lebt als freier Schriftsteller in Bern. Für seinen sen Writer-in-Residence-Programmen. Ich verdanke ihn meiner SprachRoman «Spaziergänger Zbinden» (2010) erhielt er den Literaturpreis versessenheit, meiner Naivität und der richtigen Prioritätensetzung. des Kantons Bern. Simons Bücher sind in fünf Sprachen übersetzt. Das Geld? Was an Steuern rausgeht, kommt als KrankenkassenpräZurzeit ist er unterwegs mit seinem ersten Kabarett-Programm in Bermienverbilligung wieder rein. Ich lebe in billigen Zimmern mit genügner Mundart: «Wahre Freunde». Im Rahmen der Literaturtage tritt er samen Wohngenossen. Trinke Dennerwein. Die wenigen Kleidungsstüim Büchertram mit seinem Spoken-Word-Programm «Glück ist» auf. cke, alle von der Firma Hennes & Mauritz, lassen sich über einen Stuhl www.christophsimon.ch SURPRISE 349/15

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Pflege «Es ist ein bisschen schizophren» Schon als Kind pflegte Arami Ullón ihre schwerkranke Mutter – das Gesundheitssystem in ihrer Heimat Paraguay liess ihr keine Wahl. Heute ist Filmemacherin Ullón 36 und lebt in der Schweiz. Mit «El Tiempo Nublado» hat sie ihre Geschichte aufgearbeitet – und sich selbst therapiert.

INTERVIEW VON SARA WINTER SAYILIR

Arami Ullón, die Frage, was mit einem pflegebedürftigen Elternteil geschieht, stellt sich den meisten von uns erst im Erwachsenenalter. Wann waren Sie erstmals damit konfrontiert? Es fühlt sich an, als begleite mich die Frage schon mein ganzes Leben, zumindest soweit ich mich zurückerinnern kann. Als ich sieben war, hatte meine Mutter ihren ersten offensichtlichen Epilepsie-Anfall. Da war sie 42, also ein paar Jahre älter als ich jetzt. Erkrankte Ihre Mutter zeitgleich an Epilepsie und Parkinson? Nein. Zunächst erkrankte sie an Epilepsie. Sichtbar wurde es aber erst mit diesen sehr dramatischen Anfällen, bei denen sie das Bewusstsein verliert und zittert. Wann genau Parkinson diagnostiziert wurde, bin ich nicht ganz sicher. Aber da war sie wohl schon über 50.

Gab es Momente während der Dreharbeiten, wo sie abbrechen wollte? Nein. Aber sie hat uns immer wieder mal gebeten, für einige Zeit zu unterbrechen, damit sie sich ausruhen kann. Die einzige Person, die manchmal ganz aufhören wollte zu drehen, war ich. Warum? Das Ganze ist eine sehr grosse Sache für mich, nicht nur ein Film. Was ja an sich schon eine grosse Sache wäre. Aber das ist viel mehr. Ein Versuch der Selbsttherapie? Auf jeden Fall. Das möchte ich auch gar nicht verstecken. Für mich stand der Aspekt der Therapie immer an erster Stelle. Ob dann daraus auch ein Film würde, war mir nicht klar. Glücklicherweise haben wir letztendlich beides gemacht.

Hatten Sie professionelle Begleitung? Wie geht es Ihrer Mutter heute? Ich hatte Hilfe durch einen Psychiater, bei dem ich schon in Behandlung Beide Krankheiten zusammen – Epilepsie und Parkinson – sind nicht war, als ich noch in Paraguay lebte. Und dann war da noch ein enger leicht zu behandeln. Es ist schwierig, die richtige Kombination von MeFreund von mir, der auch im Film vorkommt. Er hat mir auch ausserdikamenten zu finden. Beide Krankheiten verursachen auch Depressiohalb des Filmens sehr geholfen, den Prozess auszuhalten. Und natürlich nen. Meine Mutter leidet daher an vielem: Epileptische Anfälle, motorische Einschränkun«Die einzige Person, die manchmal ganz aufhören wollte zu gen durch Parkinson, Depressionen und Gedrehen, war ich.» dächtnisschwund. Im Film wirkt Ihre Mutter sehr präsent: Sie weiss, wer Sie sind, sie kann sich mit Ihnen unterhalten. Ja, allerdings nahmen ihre Fähigkeiten schon während der Dreharbeiten sehr stark ab. Am Anfang hatte sie wohl all ihre Kraft zusammengenommen, doch das konnte sie dann nicht die ganze Zeit aufrechterhalten. Wie lange dauerten die Dreharbeiten? Es waren nur ein paar Monate im Herbst 2012. Aber der Zustand meiner Mutter hat sich relativ schnell verschlechtert: Im Film sieht man sie noch gehen und relativ verständlich sprechen, heute ist sie nicht mehr fähig, sich zu bewegen und kann sich auch nicht mehr verständlich machen. Sie verliert auch ihre Fähigkeit zu schreiben und zu lesen. In ihr passiert zwar noch etwas, sie weint und lacht, aber es ist nicht mehr viel Kommunikation möglich. Wie hat Ihre Mutter reagiert, als Sie sie das erste Mal mit der Idee konfrontiert haben, einen Film zu drehen? Sie stellte keine Fragen. Sie hatte mich wohl so viele Jahre dabei beobachtet, wie ich in dieser Branche arbeitete, dass es für sie normal war, dass man sich einem Thema mit einer Kamera nähert. Für sie war es eine Möglichkeit, nicht nur wieder längere Zeit mit mir zu verbringen, sondern auch über ihre Lage und ihre Krankheiten zu sprechen und gehört zu werden. SURPRISE 349/15

Patrick, mein Freund, war eine grosse Unterstützung. Zusätzlich hab ich mir eine Art feste Routine aufgebaut: Yoga machen, regelmässig laufen gehen und Medikamente nehmen. Ich habe Anti-Panik-Tropfen. Immer wenn die Angst zu gross wird, nehme ich die. Warum heisst der Film «El Tiempo Nublado», auf Deutsch «Bewölkte Zeiten»? Der Titel ist eine Metapher für meine Zeit mit meiner Mutter und ihren vernebelten Blick auf die Welt. Sowie für meinen eigenen, ebenso vernebelten Blick auf meine Geschichte mit ihr. Wie ist es, die eigene Geschichte auf der Leinwand zu sehen? Es ist ein bisschen schizophren. Ich sehe meine eigene Geschichte dort gar nicht mehr. Ich spreche auch über die Figuren im Film – mich eingeschlossen – als «die Charaktere». Das war sehr wichtig für mich, sonst wäre meine eigene emotionale Auseinandersetzung zu einer öffentlichen Auseinandersetzung geworden. Natürlich ist es jetzt trotzdem ein bisschen so, aber ich hab mich davon distanziert. Gibt es Leute in Ihrer unmittelbaren Umgebung, die Sie für den Film kritisiert haben? Niemand ist direkt auf mich zugekommen, um Kritik zu äussern. Aber ich habe gehört, dass es Leute gibt, die nicht so glücklich damit sind.

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Und es wird noch mehr Kritik kommen, vor allem aus Paraguay. Dabei wird es vor allem um die Frage gehen, wie eine Tochter überhaupt auf die Idee kommen kann, ihre Rolle als Pflegerin ihrer kranken Mutter dermassen infrage zu stellen – sie müsse sich einfach um sie kümmern, und zwar eigenhändig. Ist das eine Frage von Religion oder Tradition? Beides. Einerseits ist da der Katholizismus und andererseits ein sehr traditionelles Denken in Bezug darauf, was man von Kindern erwartet. Gibt es denn Alternativen? In der Hauptstadt Asunción mit etwa einer Million Einwohnern und einer Agglomeration von insgesamt vielleicht drei Millionen Menschen gibt es genau zwei staatliche Heime für alte Menschen, eines für Männer und eines für Frauen. Dort kann man nur dann einen Platz bekommen, wenn man absolut keine lebenden Verwandten mehr hat. Das ist sogar so im Gesetz verankert.

Bekommt Ihre Mutter irgendwelche Unterstützung vom paraguayischen Staat? Nein. Dann ist sie allein von Ihnen abhängig? Seit Langem. Mein Freund und ich sind die Einzigen, die sie finanziell unterstützen. Gab es Momente, wo Sie das Geld nicht aufbringen konnten? Ja. Ich fühlte mich dann jeweils unglaublich schlecht. Auch wenn es vielleicht nicht nur meine Verantwortung war, oder überhaupt nicht – es war ein ganz schlimmes Gefühl, nicht genügend Geld zu haben. Macht Sie das wütend? Ich hab eine Art Wut auf Paraguay, aber nicht auf eine bestimmte Institution. Es ist das ganze System, die ganze Gesellschaft, die so korrupt und so unfair ist. Gleichzeitig ist es eine sehr komplizierte Angelegenheit, da ich Paraguay auch liebe. Daraus folgt, dass ich nicht dort leben kann und trotzdem immer dorthin schaue.

Im Film wird Ihre Mutter von einer Frau namens Julia gepflegt. Sie ist so etwas wie Pflegerin und Haushälterin in einem. Was brachte Sie schliesslich weg von Ihrer Mutter und Paraguay, ans Ja, solche Frauen hatten wir viele. Alles läuft über informelle Netzwerandere Ende der Welt nach Basel? ke. Eigentlich sind diese Arbeiterinnen nicht für den Job ausgebildet, aber normalerweise sind sie die einzige bezahlbare Option. Natürlich gibt es auch ausge«Manche der Pflegerinnen, die wir anstellten, blieben nur Tage. bildete Krankenschwestern, aber wenn man Sie hielten es nicht aus und gingen gleich wieder.» einen paraguayischen Durchschnittslohn von rund 400 Franken zur Verfügung hat, ist es fast Eine schöne und ziemlich abenteuerliche Liebesgeschichte. Aber ich unmöglich, richtige Pflegekräfte zu bezahlen. Ein Platz in einem privaschmiedete schon früh Pläne, Paraguay zu verlassen. Das war immer ein ten Heim kostete damals mindestens 500 bis 600 Franken im Monat. Ziel in meinem Hinterkopf. Gleichzeitig sind diese Heime in so einem schlechten Zustand, dass man niemanden dort hingeben möchte. Haben Sie je versucht, Ihre Mutter in die Schweiz zu bringen? Wir haben uns genau darüber informiert, aber dann auch schnell wieDiese informellen Netzwerke, wie funktionieren die? Wie findet man der aufgegeben. Um sie auf legale Weise hierher zu holen, müsste ich eine geeignete Pflegeperson? beweisen, dass ich finanziell für ihre Pflege, ihre Medikamente und ihMan fragt Bekannte, bekommt Telefonnummern und irgendwann trifft ren Lebensunterhalt aufkommen kann. man die geeignete Person. Wir sind immer so vorgegangen, um jemanden für meine Mutter zu finden, die ganzen letzten 20 Jahre. Und das können Sie nicht? Weder ich als Filmschaffende noch mein Freund als selbständiger GraWie viele Pflegerinnen waren das? fiker können uns das leisten. Hätte meine Mutter ihr Leben lang in die Ich habe aufgehört zu zählen. Manche von ihnen blieben nur einige TaAHV eingezahlt, wäre es etwas anderes. Aber da dies nicht der Fall ist, ge: Sie hielten es nicht aus und gingen gleich wieder. Andere blieben ein ist diese Möglichkeit ausgeschlossen. bis zwei Jahre. Jene, die am längsten blieb, war etwa vier Jahre dort. Warum hören die Frauen so schnell wieder auf? Es ist körperlich und seelisch sehr fordernd. Sie schlafen dort und essen dort, ohne Ferien. Es ist schrecklich. Um ehrlich zu sein, ich würde es nicht machen. Wer kommt für die Pflege Ihrer Mutter auf? Ich selbst. Mit 13 arbeitete ich in einem Fitnesscenter am Empfang. Mit 16 fing ich bei einer Firma an, die Beiträge fürs Fernsehen produzierte. Dort verdiente ich genug Geld, um eine Haushaltshilfe anzustellen. Mit 19 zog ich aus. Das war der erste Schritt raus aus der Einzelverantwortung. Und doch haben Sie Ihre Mutter lange selbst gepflegt. Ja, als ich jung war. Ich war auch verantwortlich dafür, ihr die Medikamente zu geben und sie an ihre Arzttermine zu erinnern. Aber es gab auch Zeiten, in denen es ihr gut ging und sie noch gearbeitet hat. Was war Ihre Mutter von Beruf? Architektin. Sie hat gearbeitet, bis sie etwas über 60 war. Es gab also Momente, in denen es sich wie ein normales Leben angefühlt hat.

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Wenn Ihr Film so etwas wie eine Selbsttherapie war, wo befinden Sie sich heute? In Bezug auf meine Mutter hoffe ich vor allem, dass sie nicht mehr lange so leben muss, in diesem Zustand. Ich glaube nicht, dass es angenehm ist. In Bezug auf mich selbst möchte ich gern herausfinden, ob ich hier in der Schweiz dazugehören kann, irgendwann. Sie wollen also hier bleiben? Es ist so hart, Migrantin zu sein, dass ich das meinem Freund nicht zumuten möchte. Das bedeutet, ich bleibe hier. Zumindest solange unsere Beziehung funktioniert. Gleichzeitig muss ich sagen: Die Schweiz war sehr grosszügig zu mir. Obwohl niemand wusste, wer ich war, durfte ich hier Filme machen. Ich kam her, stellte meine Projekte vor, und alle sagten: Super, lass uns das machen! Ich bin sehr dankbar dafür. Noch dazu wenn man aus einem Land wie Paraguay kommt, wo man sein ganzes Leben kämpfen kann, und dabei meist noch erfolglos bleibt. Es ist also mehr als logisch, dass ich bleibe und mich auf diesen Ort einlasse. ■ Arami Ullón: «El Tiempo Nublado», Paraguay/Schweiz, 2014, 92 Min. Der Film läuft derzeit in den Deutschschweizer Kinos. SURPRISE 349/15


Verdingt «Das Land da unten kaufe ich mal» Als Verdingbub wurde Paul Richener in Nusshof im Baselbiet misshandelt und ausgenutzt – heute ist er dort Gemeindepräsident. Die Geschichte einer Suche nach Anerkennung.

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VON ERIC BREITINGER (TEXT) UND BASILE BORNAND (BILDER)

ungeheizt, es roch nach Moder. An guten Tagen schaffte er noch die Hausaufgaben, setzte sich an den Tisch, kritzelte Zahlen oder schnörkelige «Schnüerlischrift» ins Heft. An schlechten Tagen hörte er am nächsten Morgen das Sausen des Rohrstocks, bevor er den Schmerz am Hintern spürte: vier, fünf Hiebe – die Strafe des Lehrers für nichtgemachte Hausaufgaben. Dennoch: Wenn Paul Richener heute von seiner Zeit auf dem Bauernhof erzählt, dann sagt er auch, dass der Bauer ihn ja nicht so oft geschlagen habe wie all die Pflegeväter davor. Er habe auch genug zu essen bekommen, dazu Kleider – und er durfte in die Schule gehen.

Nur noch zehn Minuten, dann darf Pauli endlich nach Hause, heim zur Mutter nach Basel. Wenigstens für eine Nacht. Die ganze Woche hat Pauli Richener, 13 Jahre, hier auf dem Bauernhof in Nusshof im Baselbiet geschuftet. Hat um vier Uhr morgens den Rasen unter den Kirschbäumen gemäht, danach den Stall ausgemistet, später die schweren Milchkessel zur Käserei am Dorfplatz geschleppt. Jetzt, wo er die Küche des Bauernhofs betritt, trägt er saubere Sachen. Gleich fährt der gelbe Postbus oben am Hügelkamm ab, und Pauli braucht Geld fürs Ticket. Doch die Bauersfrau gibt es ihm nicht. «Wo willst du hin?», fragt sie. «Zu Missstände notiert, nichts passiert meiner Mutter», antwortet er. «Du gehst nicht», sagt die Bäuerin. «Du Paul Richeners Geschichte ist in einem mausgrauen Ordner abgehefhast zu wenig gearbeitet diese Woche.» tet, dessen Inhalt der 66-Jährige jetzt vor sich auf dem Tisch ausbreitet 53 Jahre sind seither vergangen. Heute ist Paul Richener Gemeinde– seine Kindheit und Jugend im Spiegel amtlicher Dokumente. Rechpräsident von Nusshof – dem Baselbieter Dorf, in dem oben genannte nungen über Sonntagskleider, die die Behörden bezahlten, über Socken Szene spielt, in dem er als Verdingbub aufwuchs. Er sagt: «Als Verdingund Unterwäsche, über ein Fahrrad für 315 Franken, Zeugniskopien, bub warst du ein Nichts.» Und Paul Richener ist mit seinem Schicksal dünne Durchschläge amtlicher Besuchsberichte in Pflegefamilien und beileibe kein Einzelfall. Heute leben in der Schweiz Schätzungen zufolge rund 15 000 ehemalige «Verdingkinder» – Menschen wie Paul Richener, die als Kinder Erst Jahre später begriff Paul Richener, warum er fast nie zur Mutter wie Leibeigene gehalten wurden und Zwangsdurfte: Die Bauersleute sparten sich das Geld für sein Busbillet. arbeit leisten mussten, meist ohne Lohn und Taschengeld. Die Behörden nahmen bis in die Heimen von 1954 bis 1969. Die Behördenvertreter notierten mit Akribie Siebzigerjahre armen Familien die Kinder weg und «verdingten» sie bei jeden investierten Betrag und im Gegenzug die schulischen Leistungen Bauern. So sparte der Staat Geld für Hilfsleistungen, weil bei der «arihres Mündels. Paul kommt kein einziges Mal zu Wort – viele angeblich mengenössigen» Familie weniger Personen am Esstisch sassen. Und die angeschaffte Kleider sah er nie. Bauern kamen zu billigen Arbeitskräften ohne Rechte. Auch WaisenPaul Richener hat inzwischen jedes Detail aus seiner Vergangenheit und Scheidungskinder waren betroffen. Viele Verding- und Heimkinder rekonstruiert. Er ist noch ganz klein, als die Mutter die Familie verlässt, erlebten Gewalt, Erniedrigung, Missbrauch. Sie wurden schamlos ausund gerade mal fünf, als die Behörden seinem Vater, einem Isoliergenutzt – auch Paul Richener. Erst Jahre später begriff er, warum er fast spengler, die sechs Kinder wegnehmen. Es folgt eine lange Zeit bei Pflenie zur Mutter durfte: Die Bauersleute sparten mit jedem gestrichenen geeltern, und wie schlimm es dort gewesen sein muss, kann man in den Wochenendausflug das Geld für sein Busbillet. vielen Akten nachlesen. Die erste Notiz handelt vom Besuch der Behördenvertreterin bei Pauls erster Pflegefamilie vom 9. Dezember 1954 – da Nicht mit am Tisch ist Pauli fünf Jahre alt. Die Kontrolleurin stört der «ärmliche Eindruck» Lange hat Paul Richener über seine Kindheit geschwiegen. Seit er der Wohnung und «das zerrissene Leintuch» auf Pauls Bett. Sie bepensioniert ist, wollen die Geschichten aus ihm heraus. Er ist jetzt 66, schreibt die Pflegemutter als «einfältig» und «schnippisch», den Pflegesitzt in seinem Haus in Nusshof und nippt an einem Espresso, italienivater immerhin als «gemütlichen Typ». Folgen hat ihr Besuch keine. Paul sche Röstung. Er trägt ein modisches Hemd und Designer-Jeans, erzählt bleibt hier anderthalb Jahre. Nicht aktenkundig wird, dass er vorm Zuvorsichtig, sucht nach Bildern, nach Worten, er stockt, setzt neu an. bettgehen vor dem «gemütlichen» Pflegevater in der guten Stube die Dann sagt er: «Es war schlimm, ständig in der Fremde zu leben.» Von Unterhose herunterlassen muss, um zu zeigen, ob sie noch sauber ist. frühmorgens an schuftete er, dann ging er in die Schule, gleich danach Dessen vier Kinder schauen zu, lachen. Paul Richeners Stimme zittert, wieder zurück in den Stall: Kühe füttern, Mist zur Seite räumen. Im als er davon erzählt. Vielleicht wegen der erlittenen Kränkung, vielleicht Sommer half er bei der Ernte: Kirschen pflücken, Ähren schneiden, heuwegen der Erinnerung an den Jungen, der er einmal war. Er schluckt die en. Im Spätherbst musste er auf dem Acker Rüben herausreissen, das Rührung hinunter. Kraut abschneiden, Früchte stapeln. Es war kalt, Pauls Finger klamm. Die nächste Pflegemutter beschwert sich am 6. Februar 1958 bei der Am nächsten Morgen schlug ihn der Bauer windelweich – er habe zu Kontrolleurin der Vormundschaftsbehörde über Pauls «schmeichleriwenig geleistet. Und dann die Einsamkeit. In der Schule erzählten die sches und heuchlerisches Wesen». Sie behauptet, dass er «Geld stibitzanderen Kinder von ihrem Zuhause, die vier Töchter des Bauern wiedete und es leugnete». Sie klagt, dass er «keine Bindung» an die Familie harum berichteten daheim von ihren Erlebnissen in der Schule. Paul be. Die Besucherin spricht dennoch nie allein mit Paul. Sonst hätte er schwieg, denn er hatte niemanden. Die Mahlzeiten nahm er allein in der ihr womöglich erzählt, dass die Pflegefamilie ihn ständig einsperrte – jeKüche ein, die Töchter wollten ihn nicht mit am Tisch haben. den Abend und auch tagsüber, wenn sie ausgeht. Er hat nicht mal ein Er stinke nach Stall, sagten sie. Dorthin musste er nach dem AbendBett, sondern schläft auf Decken auf dem Speicher, in den es hineinregessen zurück. Um neun Uhr abends ging er runter ins Dorf – ins verlotnet. Jede Pflegefamilie kassiert für ihn Kostgeld, die Behörden schauen terte Bauernhaus, in das ihn die Pflegefamilie einquartiert hatte, weit lieber nicht so genau hin, wem sie die Kinder anvertrauen. Und sie spaweg von ihnen. Im Winter behielt er den Mantel an; das Zimmer war

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ren an ihnen: In der Schule in Basel trägt Paul lange Zeit nur kurze Hosen, er hat keine anderen. Später bekommt er welche aus «Schülertuch», ein Geschenk der Behörden. Der Stoff ist grob, billig und kratzt. Die Mitschüler machen sich über ihn lustig. Seinen Vater trifft Paul nur gelegentlich, wenn er mal wieder ausbüxt. Dann sucht er ihn auf im Kleinbasel, dem Arme-Leute-Quartier auf der rechten Rheinseite. Paul mag ihn, denn der Vater steckt ihm ab und zu ein Stück Schoggi zu. Mit der Mutter ist es schwieriger: In der Dämmerung steht der «Pauli» oft in der Mansarde des Kinderheims, in das er mit neun Jahren gekommen ist, und schaut über die Wettsteinbrücke zu ihrem Viertel. Am Sonntag darf er manchmal zu ihr, da hat sie in der Fabrik frei. Sie nimmt ihn mit zum Kegeln, oft mit ihrem neuen Bekannten. Doch Paul sitzt meist abseits, muss sich allein beschäftigen. Beim Rückweg ins Kinderheim läuft er über die Brücke und denkt: Ich könnte jetzt genauso gut in den Rhein springen. Ich würde keinem fehlen. Von der Lehre ins Gefängnis Staatliche Willkür erlebt Paul Richener auch später, während er seine Lehre zum Hochbauzeichner absolviert – sein Traumberuf. «Pack deine Sachen», verlangt seine Vormundin eines Tages am Mittagstisch. Fräulein Widmer ist eine Frau mit Dutt und faltigem Gesicht. «Du kommst jetzt mit», sagt sie. Dabei soll Paul an jenem Nachmittag weiterzeichnen – der Architekt braucht den Entwurf. Doch die Vormundin bleibt hart, bringt Paul in sein neues Zuhause: ins Jugendgefängnis und Jugendheim in Basel. Er kommt in ein Viererzimmer – ein schüchterner Junge inmitten von Beim Rückweg ins Heim läuft er über die Brücke und denkt: Ich jugendlichen Straftätern. Dabei hatte er nichts könnte jetzt genauso gut springen. Ich würde keinem fehlen. verbrochen. Die Behörden brachten dort auch unbescholtene Jugendliche unter. Richener dir wird nichts.» Doch Paul Richener machte bei der Polizei Basel-Stadt weiss bis heute nicht, wieso es ihn traf. Schweizer Behörden wiesen Karriere – zuerst bei der Sicherheitspolizei, dann bei der AntiterrorTausende Jugendliche ohne Gerichtsurteil in Strafanstalten ein. Ein VorEinheit, als Ausbilder in der Polizeischule und später als Leiter der mund brauchte dazu, wie Akten belegen, seinen Schutzbefohlenen nur Bussenzentrale. Erzählt hat er seinen Kollegen nichts von seiner Geals «arbeitsscheu», «lasterhaft» oder «aufsässig» zu taxieren. Die Ämter schichte. Und er fühlte sich, wie er sagt, auch nie so anerkannt wie die verzichteten erst 1981 auf diese Praxis – auf Druck des Europäischen Geanderen Polizeikader, obwohl er viel mehr investierte als sie. richtshofs für Menschenrechte. Paul Richener führt durch sein Haus, einen stattlichen Bau mit glänViele der Opfer der «fürsorgerischen Zwangsmassnahmen» leiden zenden Steinböden, Ledersofas, viel Chrom, grossen Fenstern. Es ist ein noch heute an den Folgen: Sie sind oft schlecht ausgebildet oder psyoffenes Haus – die Küche geht in den Wohnbereich über, die Fensterchisch und körperlich krank. Erst im Frühjahr 2013 bat sie die Schweifront bietet einen grandiosen Ausblick auf das Tal. Keine Enge mehr, gezer Justizministerin Simonetta Sommaruga im Namen der Regierung ofdiegener Wohlstand. Richener hat es zu etwas gebracht. Er ist seit 14 fiziell um Entschuldigung für das zugefügte Leid. Im Frühjahr 2014 hat Jahren der gewählte Gemeindepräsident von Nusshof. Die Gemeinde das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das das Unrecht anerkennt. Der hat in der Zeit ein neues Baugebiet erschlossen, ein neues MülltrenHaken: Eine angemessene finanzielle Wiedergutmachung ist nicht vornungssystem eingeführt, die Gemeindekanzlei renoviert. Das Dorf hat gesehen. Es gibt nur einen Soforthilfefonds. Bedürftige bekommen eine 250 Einwohner, 50 Prozent mehr als vor 14 Jahren. Und die Gemeinde einmalige Hilfe von 4000 bis 12 000 Franken ausbezahlt. Über 350 Beist schuldenfrei. Der Präsident könnte stolz sein, sich zurücklehnen. troffene haben bisher einen Antrag gestellt. In den Augen der Opfer ist Und doch ärgert er sich darüber, dass ein paar Zugezogene behaupten, das nicht genug: Sie legten vor Kurzem die erforderlichen 100 000 Unterer würde seine Sollstunden als Gemeindepräsident nicht ableisten. schriften für eine Volksabstimmung vor. Die Schweizer Bürger müssen Das Gegenteil ist der Fall, sagt er, sichtlich verletzt. Der Vorwurf, zu demnächst abstimmen, ob 500 Millionen Franken aus der Bundeskasse wenig zu arbeiten – das trifft ihn an einer empfindlichen Stelle. Dabei in einen Entschädigungs-Fonds einbezahlt werden sollen – und Historiwar für ihn schon früh klar, dass er dem Dorf etwas zurückgeben wollker die damalige Behördenpraxis wissenschaftlich aufarbeiten. te. Schon als Zwölfjähriger sagte er zur Frau des Bauern, während sie am Fenster standen: «Das Land da unten kaufe ich mal.» 37 Jahre späDie empfindliche Stelle ter kam er aus der Stadt zurück und baute genau auf diesem Flecken Paul Richener rackerte sein Leben lang, um die Anerkennung zu besein Haus. «Wo hätte ich auch sonst hin sollen?», fragt er: «Das Dorf ist kommen, die er als Kind vermisst hat. Im Jugendgefängnis musste er der einzige Bezugspunkt, den ich je hatte.» Gärtner lernen. Der Leiter prophezeite ihm zum Abschied: «Büebli, aus ■ SURPRISE 349/15

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BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Stille Wasser Kaum ist das Wetter wieder frühlingshaft, lockt der See oder der Fluss oder welches Gewässer auch immer die Stadt prägt, denn eine Stadt ohne Gewässer ist kaum vorstellbar. Ausser es handle sich um St. Gallen. Obwohl es dort wahrscheinlich auch irgendein Gewässer gibt, das aber nur Eingeweihte kennen. Dort wo ich wohne, gibt es einen See, der die Stadt zerteilt, eine schöne, grosse Fläche, auf der grundsätzlich einmal nichts ist, die Stille ausstrahlt im hektischen Stadtleben. Er ist das Wasser- und Ruhereservat der Stadt und des geschäftigen Umlandes. Seesicht ist ein Privileg, das viel kostet und nur noch vom Seeanstoss übertroffen wird, der noch viel rarer und unbezahlbarer ist. Schmucke Badehäuser direkt am Wasser gibt es noch immer, sie sind Zeugnis alten Adels oder neuen Geldes, und sie wiedersetzen sich hartnäckig allen Versu-

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chen der Allgemeinzugänglichmachung des Seeufers. Während die Vorteile des direkten Seeanstosses auf der Hand liegen, sind Wert und Prestige der Seesicht schwieriger zu fassen. Wahrscheinlich hat der Blick auf das still daliegende Gewässer eine beruhigende Wirkung, weil es sich seit Hunderten von Jahren mehr oder weniger am selben Ort befindet, sich nicht um die draufschauenden Bewohner schert und noch da sein wird, wenn diese und alle anderen, die heute leben, vergangen und vergessen sind, von den paar wenigen abgesehen, denen ein Denkmal gesetzt wird, irgendwo am Seeufer. Die Seeanlagen gehören zu den meistfrequentierten Plätzen der Stadt, sie sind für alle zugänglich und gehören zu den wenigen klassenlosen Zonen. Hier kreuzen sich die Menschen mit den echten und die mit den gefälschten Designerkleidern, die Fitten und Hänger, die Touristen und die Einheimischen, die Kinderwagen und die Rollstühle. Sie gehen einander auf die Nerven, aber nicht so sehr, dass nicht doch alle wiederkämen. Dabei sein kostet nichts, und das ist selten auf dem teuren Pflaster der Stadt, in der ich wohne. In lauen Sommernächten kann es hoch und laut zu und her gehen. Im Gegensatz zum Ufer wird der See heute kaum mehr wirtschaftlich genutzt, von der Schifffahrt und der Fischerei einmal abgesehen. Das behagt nicht allen. Eine grosse, fast

ungenutzte Fläche mitten in der Stadt. Da stellt sich die Frage: Wie kann das sein? Darf das sein? Ist es überhaupt rechtens, dass sich der See einer gewinnbringenden Nutzung weitgehend entzieht? Müsste er nicht ständig, anstatt nur alle paar Jahre an Festen, mit Türmen, Flössen und künstlichen Inseln zugebaut werden? Sollte es nicht immer so sein wie das eine Mal im Jahr, wenn das untere Seebecken von einer Menschenmasse umtanzt wird und weder auf noch neben dem Wasser ein Durchkommen ist? Darum gibt es, vor allem im Sommer, Bestrebungen, den See mit künstlichen Wellen, Riesenleinwänden, Windanlagen, Wasserfällen, Killerrutschbahnen, U-Boot-Trekking und Yoga auf Paddelbooten ein bisschen besser in die Wertschöpfungskette einzugliedern. Dies zum Entsetzen der Leute, auf die grosse, leere, ungenutzte Flächen beruhigend wirken, und zum Vergnügen jener, auf die grosse, leere, ungenutzte Flächen eine beunruhigende Wirkung haben.

STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT (SAVVE@VTXMAIL.CH) SURPRISE 349/15


Theater Warum Karoline lasziv an ihrer Glace leckt Der Kritikerclub des Jungen Schauspielhauses Zürich macht junge Leute zu Theaterkritikern – und hofft so, das Vakuum in der öffentlichen Kulturdebatte zu füllen.

Keine halbe Stunde nachdem der Applaus im Schauspielhaus Zürich verebbt ist, entspinnt sich an einem Frühlingsabend in einem Restaurant gleich gegenüber eine rege Diskussion über die soeben gesehene Inszenierung: Ödön von Horváths «Kasimir und Karoline». Die knapp zehn Mitglieder des Kritikerclubs debattieren darüber, inwiefern sich die gezeigten Geschlechterrollen im Vergleich zur heutigen Zeit verändert haben und mit welchen Stilmitteln gearbeitet wurde. Das Stück aus den Dreissigerjahren erzählt vor dem Hintergrund der damaligen Massenarbeitslosigkeit in Deutschland die Geschichte eines jungen Paares, dessen Liebe an den Herausforderungen der Wirtschaftswelt zerbricht. Ein Theaterstück zu bewerten und zu interpretieren, erfordert vom Zuschauer ein hohes Mass an Eigenleistung und die Bereitschaft, sich entsprechendes Vorwissen anzueignen. Und darüber, was nun wirklich gutes Theater auszeichnet, könnte man stundenlang debattieren. Der Kritikerclub des Jungen Schauspielhauses Zürich bietet dazu seit fünf Jahren den passenden Rahmen: Er ermöglicht interessierten jungen Laien, kostenlos zusammen mit einem Dramaturgen verschiedene Inszenierungen zu besuchen, im Anschluss das Gesehene zu besprechen und schliesslich die eigenen Eindrücke in einer Kritik zusammenzufassen. Diese Texte werden jeweils am Ende einer Spielzeit in einem Blog publiziert. Die Kritiken des aktuellen Kritikerclubs werden im Mai im Literaturhaus Zürich der Öffentlichkeit präsentiert. Zurück zu Horváth: Auf dem Oktoberfest eröffnet Kasimir seiner Verlobten, dass er seinen Job verloren hat, worauf ihn Karoline verlässt und ihr vermeintliches Glück in neuen Herrenbekanntschaften sucht, getrieben von der Angst vor dem sozialen Abstieg und vom Wunsch, doch noch eine gute Partie zu machen. Es ist gerade dieses kalte Kalkül von Karoline, das im Kritikerclub zu reden gibt. Albrecht Lehmann, Dramaturg und seit drei Jahren Leiter des Kritikerclubs, lässt den Gesprächen freien Lauf. Damit die Diskussion nicht zu sehr ausschweift, ermutigt er die jungen Leute, ihre Eindrücke an konkreten Szenen festzumachen. «Da war diese eine Szene, in der Karoline in ihrem kurzen Kleid am Eisautomaten steht und lasziv an ihrer Glace leckt, wohl wissend, dass sie dabei von einem älteren Mann beobachtet wird. Das erinnert an Nabokovs Lolita», sagt Melanie Koller, für die das Theater schon seit ihrer Kindheit eine grosse Leidenschaft ist. «Insgesamt hat mich dieses Theaterstück nicht berührt», stellt Meret Bachmann fest. Die junge Frau, die in Zürich deutsche Literatur und Philosophie studiert, fragt, was denn nun genau das Kernthema des Stücks gewesen sei, und bemängelt die in ihren Augen allzu alltägliche und banale Gewichtung. Gregor Schenker wirft die Frage in die Runde, bis zu welchem Grad ein Stück von früher einen Bezug zur Gegenwart herstellen kann. Er schätzt den Kritikerclub, da er als Kulturjournalist selber Filmkritiken schreibt und die Auseinandersetzung mit dem Theater ihm neue Ansätze bei der Bewertung von Filmen aufzeigt. «Der markanteste Unterschied zum Film ist, dass hier auf der Bühne jeden Abend ein neues Kunstwerk entsteht, jede Aufführung ist einzigartig», sagt Schenker. Für Albrecht Lehmann liegt das Spezielle am Kritikerclub darin, dass hier Formen der Theater- und Kulturbesprechung möglich sind, die in die klassischen Medien kaum Eingang finden würden. «Die Kulturberichterstattung hat sich in den letzten Jahren stark reduziert. Die BeSURPRISE 349/15

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VON MONIKA BETTSCHEN

Manchmal wird es im Theater sehr komplex.

sprechung dieser Inhalte findet zwar nach wie vor statt, allerdings vermehrt innerhalb des Milieus. Meine Hoffnung ist, dass sich dieses Vakuum irgendwann wieder füllen wird», sagt Lehmann. Gut möglich, dass zum Beispiel das sogenannte postdramatische Theater einem Wandel den Weg ebnet. Dieser Begriff tauchte Mitte der Neunzigerjahre auf und markierte eine Abkehr vom traditionellen, ausschliesslich dem Text verbundenen Theater. Im Gegensatz zu diesem verfolgt diese neue Strömung eine viel freiere Interpretation eines gegebenen Stoffes, bricht mit althergebrachten strukturellen Regeln und sorgt mit performance-ähnlichen Darbietungen für neue Impulse. So könnte auch die fundierte Theaterkritik dereinst langsam wieder an Attraktivität gewinnen. ■ Kritikerclub des Jungen Schauspielhauses Zürich, Präsentation und Gespräch am Mo, 18. Mai, 19.30 Uhr, Debattierzimmer Literaturhaus Zürich. www.kritikerclub.wordpress.com; www.junges.schauspielhaus.ch

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Kultur

Gereift, aber immer noch hip.

Schuhgrösse 17 muss reichen.

Buch Zeitmaschine gegen das Vergessen Der chinesische Zeichner Li Kunwu erzählt die Geschichte seines Kindermädchens. Es ist ein Drama der gebundenen Füsse.

Elektro Nach den Kids die Toys Das Comeback der früheren Moloko-Sängerin Róisín Murphy überrascht. Nicht weil die Irin sich und ihren Sound neu erfunden hätte, sondern weil sie enorm gereift ist. VON MICHAEL GASSER

VON CHRISTOPHER ZIMMER

Das letzte Bild in Li Kunwus Graphic Novel «Lotusfüsse» zeigt ein ausladendes, modernes Gebäude, Chinas grössten Internethandelsplatz für Blumen. Das kleine Dorf, das hier mal stand, gibt es nicht mehr, die Bauern leben in der Stadt, und viel ist in Vergessenheit geraten, vor allem tragische und schmerzliche Ereignisse der Vergangenheit. Es ist ein Anliegen von Li Kunwu, an dieses Vergangene zu erinnern. Das hat er mit seiner autobiografischen Trilogie «Ein Leben in China» getan, die preisgekrönt wurde. Und mit «Lotusfüsse» ist es ihm wieder gelungen. Zu verdanken hat er dies, wie er im Vorwort schreibt, seiner Feder, die er seine «Zeitmaschine» nennt. Mit dieser erzählt er die traurige Geschichte seines Kindermädchens Chunxiu und von der unseligen Tradition der gebundenen Füsse. Schuhgrösse 17 (eine Fusslänge von nur zehn Zentimetern!) war das Schönheitsideal der feudalen Zeit. Dafür wurden den Mädchen in frühestem Alter die Zehen gebrochen und unter die Füsse gebunden. Was folgte, war ein Leben als Krüppel, in der Hoffnung auf eine gute Partie, auf gesellschaftlichen Aufstieg. Regelrechte Sexsymbole waren solche armen Kreaturen, und die Männer verrückt nach ihren Füssen. Auch die kleine Chunxiu ereilt dieses Schicksal, und die unbeschwerten Kindertage enden auf blutige Weise. Doch gerade als der Lohn für die Qual winkt, als sie begehrt und umworben wird, bricht die Revolution aus, die die sichtbaren Zeichen des Feudalismus bekämpft: den Männern werden die «alten Zöpfe» abgeschnitten, gebundene Füsse sind jetzt eine Schande, die Frauen doppelt gestraft. Doch damit nimmt das Leid für Chunxiu erst seinen Anfang. Die ganze Fülle dieses Lebens und Leidens wird auf Li Kunwus fast holzschnittartigen Bildern spürbar. Aber auch seine Sympathie für die gewöhnlichen Menschen, von denen so viele in den revolutionären Stürmen ihr Glück und auch ihr Leben verloren haben. Dass dies zumindest nicht vergessen geht, dafür setzt Li Kunwu seine Zeitmaschine immer wieder in Gang.

Als Róisín Murphy ihren Zweitling «Overpowered» veröffentlichte, war sie 34. Jetzt sind sieben Jahre verstrichen, und die Irin kehrt – endlich und offiziell – aus ihrer selbst gewählten Auszeit zurück. 2008 verkündete sie noch, an ihrem nächsten Album zu arbeiten, doch statt einer neuen Platte kamen zwei Kinder von verschiedenen Vätern. «Als Erwachsene beschäftigte ich mich lange einzig mit der Musik», erklärte Murphy in einem Interview. Deshalb habe es ihr einfach gut getan, Nachwuchs zu bekommen und die Zeit mit den Kindern zu geniessen. Das ist nicht abgehakt, aber vorerst ausgekostet. Das vollendete dritte Werk trägt den Namen «Hairless Toys» und knüpft an ihrem früheren Schaffen und weniger an dem im vergangenen Jahr erschienenen Minialbum «Mi Senti» an, auf dem Murphy – quasi als Comeback-Versuchsballon – italienische Schlager aus den Sechziger- und Siebzigerjahren dem Elektro unterwarf. Als Sängerin des 2003 aufgelösten Duos Moloko bündelte sie während einer Dekade zusammen mit ihrem Gegenüber Mark Brydon eine funkensprühende Mischung aus Trip Hop, Drum’n’Bass und Acid Jazz und Popsensibilitäten. Ein Sound voller Beats und Hooks, von dem die 41Jährige nie wieder Abstand genommen hat. Murphy, die gerne betont, Hipsterin zu sein, hat acht ausdauernde Lieder entworfen: Bloss ein einziger Track bleibt unter der Marke von fünf Minuten. Ihre Stimme agiert in den Stücken öfters in tieferen Lagen, wodurch die zum Sprechgesang und Flüstern neigende Künstlerin mitunter – so etwa auf «Exile» – wie eine unter Dampf stehende Version von Marianne Faithfull klingt. Statt auf Tempo setzt Murphy auf ausladende Flächen, die von zurückhaltender Schönheit sind. Songs wie «Evil Eyes» oder «Exploitation» verströmen Glamour, verzichten allerdings auf grelle Farben. Gelassenheit und Stimmigkeit gehen vor. Die Beats sind weniger für den Tanzboden als für die Lounge konzipiert. Das wirkt ausgesucht exquisit und vor allem: reif. Mit «Hairless Toys» hat Murphy ihr Konzept wieder aufgenommen und weiterentwickelt. Das Resultat ist überraschend ruhig, facettenreich und faszinierend.

Li Kunwu: Lotusfüsse. Graphic Novel. Edition Moderne 2015. 28 CHF

Róisín Murphy: «Hairless Toys» (PIAS/MV). Live: Fr, 5. Juni, Kaufleuten, Zürich.

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BILD: CHRISTIAN FLIERL

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Hätten Sie gedacht, dass es sich hier um einen Rousseau handelt?

Museen Gekochte Museumsstücke Kochen ist Kunst. Das zeigt sich nun in ganz neuer Form – in Rezepten nämlich, die von Basler Museumsobjekten inspiriert sind. VON MICHAEL GASSER

Museumsbesuche kennen in der Regel ihr eigenes Ritual: Nach dem Betreten der mehr oder weniger ehrwürdigen Institution soll der Besucher die gezeigten Objekte besehen und im Kontext verstehen. Staunen ist erlaubt, Anfassen in der Regel nicht. Was der Sinnlichkeit einen gewissen Abbruch tut. Sandra Hughes, die bei der Abteilung Kultur Basel-Stadt den Bereich «Bildung & Vermittlung museen basel» betreut, wünschte sich – für einmal – einen anderen Zugang zu Museumsstücken. Nicht bloss die Augen und der Geist, sondern auch der Gaumen sollte entzückt werden. In Zusammenarbeit mit fünf Häusern – darunter die Fondation Beyeler und das Museum der Kulturen – stellte Hughes zehn Ausstellungsobjekte zusammen, die Besucher zu Kochideen animieren sollten: «Le lion, ayant faim, se jette sur l’antilope» von Henri Rousseau zum Beispiel oder ein Halsband der malischen Songhai-Frauen aus dem Museum der Kulturen. Das hat funktioniert. «Wir haben 63 extrem sorgfältige Rezepte erhalten», freut sich die Initiatorin. Diese wurden gemeinsam mit der Küchenchefin des Basler Restaurants Rubino, Manuela Buser, auf ihre Umsetzbarkeit geprüft und teils getestet. Noch ist man sich nicht ganz einig, welches Rezept das originellste ist und ausgezeichnet wird. Die Wahl fällt schwer, wie Hughes andeutet. Fix hingegen ist, dass es 20 Kochanleitungen ins Rezeptheft schaffen, das schon bald gratis in Basler Museen aufliegen wird. Der 13-jährige Aurelio Rölli hat dafür «Brötchen für die Pharaonenkinder» mit Datteln, Mandeln und Sesamsamen kreiert, weil er im Antikenmuseum ein Brot aus Emmermehl ausgestellt sah, und der 65-jährige Thomas Bauer hat «Grossmutters Quittentraum» ausgetüftelt – inspiriert durch einen Spielzeugherd im Museum für Wohnkultur. Das Objekt habe ihn an seine Grosstante erinnert, die als Köchin und Gouvernante in einem altmodisch-herrschaftlichen Haushalt gearbeitet habe, wie der 65-Jährige zu seiner Kreation schreibt, die Zimt, Vanille, Quittenschnaps und «Crème fraîche nach Belieben» enthält und nach süsser Verlockung klingt. An der Vernissage darf das eine oder andere feine Rezept gekostet werden, die weiteren können zuhause ausprobiert werden, denn laut Hughes gilt: «Das lässt sich alles wunderbar nachkochen.»

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weishaupt design, Basel

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Thommen ASIC-Design, Zürich

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Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

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Coop Genossenschaft, Basel

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AnyWeb AG, Zürich

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Burckhardt+Partner AG

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mcschindler.com GmbH, Zürich

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fast4meter, Storytelling, Bern

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Maya-Recordings, Oberstammheim

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Bachema AG, Schlieren

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Kaiser Software GmbH, Bern

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Ko Schule für Shiatsu GmbH, Zürich

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Schweizerisches Tropen- und Public HealthInstitut, Basel

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Lions Club Zürich-Seefeld, Zürich

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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

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Privat-Pflege und Betreuung, Oetwil am See

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Praxis Colibri-Murten, Murten

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Schumann & Partner AG

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Bruno Jakob Organisations-Beratung, Pfäffikon

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VXL Gestaltung und Werbung AG, Binningen

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Hofstetter Holding AG, Bern

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Projectway GmbH, Köniz

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OfficeWest AG, Baden

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Scherrer & Partner GmbH, Basel

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ArchitekturPlus, Zürich

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

Öffentliche Vernissage Rezeptheft: Di, 19. Mai, 18 Uhr, Antikenmuseum und Sammlung Ludwig, Basel. SURPRISE 349/15

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Ein Indianer vom Stamm der Pedalentreter?

BILD: VICTOR STAAF

BILD: ISTOCKPHOTO

BILD: ULRICH BLEIKER: DOPPELTE ALPFAHRTSSPIRALE, UM 1979

Ausgehtipps

Dagobert macht die Schlagerschnulze untot.

St. Gallen Basel Stadtindianer und Velo- Berghüttenmusik fahrerinnen Wir leben, das ist nichts Neues, im Zeitalter

Sammlung Mina und Josef John, noch bis zum

Kasernentreff, Kasernenstrasse 23.

des Hipsters. Vollbärte und anderes überwunden Geglaubtes erweist sich als untot und sucht uns wieder heim. Manchmal aber sind die Dinge in der Versenkung ordentlich gereift, wie der Schnulzenschlager von Dagobert beweist. Der in Berlin zum Szenestar avancierte Aargauer hat vor Kurzem sein zweites Album veröffentlicht mit Liedern, «die er fünf Jahre lang in einer einsamen Berghütte in den Schweizer Alpen geschrieben hat». In seinem Meiensäss scheint Dagobert vor allem an der Liebe herumstudiert zu haben. Dass seine Lieder mehr Tiefgang haben, als man gemeinhin mit dem Begriff «Schlager» verbindet, verraten bereits die Titel: «Morgens um halb vier» entlarvt die kleinbürgerlichen Träume der Bohème. Und «Ich bin zu jung» illustriert, was die Zeitschrift Jungle World schreibt: «Dagobert war nie Persiflage und schon immer mehr als der lustige Typ, auf den sich Kunstszene, Hipster und echte Schlagerfans einigen können.» (ami)

18. Oktober, Museum im Lagerhaus, Davidstrasse 44,

Telefon: 061 681 29 46.

Dagobert, Fr, 22. Mai, Palace, Tür 21 Uhr. Weitere

St. Gallen, www.museumimlagerhaus.ch

www.quartiertreffpunktebasel.ch

Konzerte: Di, 19. Mai, Dampfzentrale, Bern und

DNA oder Alpaufzug?

St. Gallen Naiv ist hip Eben noch belächelt, wird Art Brut auf dem Kunstmarkt neu entdeckt. Vor rund 60 Jahren haben Mina und Josef John begonnen, «ungelernte Meister» zu sammeln, und sie wurden dafür ebenso belächelt wie die Künstler selber, die ihre Werke weitab des anerkannten Kunstbetriebs schufen. Jetzt hat das Museum im Lagerhaus rund 1000 Werke der Sammlung John kaufen können: Heute laufen die Werke unter dem Label Outsider Art und sind nicht mehr einfach nur naiv, sondern richtig hip. (dif)

Die einen bauen ein Tipi, die anderen lernen, sich fest im Sattel zu halten. Im Kasernentreff Basel können Kinder wöchentlich das Velofahren erlernen (3–10-Jährige) oder sich mit amerikanischen Ureinwohnern auseinandersetzen (Alter unbeschränkt). Mittwochs werden Traumfänger gebastelt, ein Regentanz erlernt oder Geschichten aus dem Tipi zugehört. Freitags können die Kleinen (bis 140 cm Körpergrösse) auf dem weiten Areal zudem lernen, wie man sich am besten im Sattel hält und zur geschickten Fortbewegung in und um die Velostadt Basel das Radfahren ausprobieren. Ob es sich dabei um Laufrad, 18- oder 20-Zoll-Velos handelt: Sowohl Spass als auch Sicherheit sind garantiert. Veranstaltet werden die Aktionen vom Quartiertreffpunkt Kasernentreff, sind jedoch offen für jeden und gratis. (win) «Velofit» und «Auf den Spuren der Indianer», mehrere Daten noch bis 26. Juni, jeweils 14.30 bis 17.30 Uhr,

Mi, 20. Mai, Exil, Zürich. dagobert-musik.de

Anzeigen:

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BILD: XIAOBIN FU

BILD: RUTH ERDT

Wenn was Neues entstehen will, muss das Alte weg.

Auf der Durchreise: Fotostopp auf dem Jungfraujoch.

Zürich Schwamdings

Bern In 48 Stunden durch die Schweiz

Platz da fürs moderne Schwamendingen! Im Norden von Zürich wird die Zukunft aus dem Boden gestampft, dafür bleibt auch immer wieder mal ein Häuflein Schutt liegen. Ein halbnacktes Stück Vergangenheit in Form einer aufgerissenen Fassade etwa, die aussieht wie aus einem Kriegsgebiet.Vor fünf Jahren hat Ruth Erdt begonnen, den Ab- und Umbruch im Zürcher Aussenquartier zu fotografieren, das neue und das eben erst noch da gewesene Schwamendingen für die Nachwelt festzuhalten. Die Langzeitstudie heisst «Schwamdings», und die Bilder sind auf insgesamt 15 Plakatständern an drei Standorten rund um den Schwamendingerplatz ausgestellt. Im gleichen Umkreis kann man sich auf David Rengglis Skulpturen sitzend und liegend die Umgebung ansehen. Und selber beobachten, wie sich das Quartier wandelt – wenn man lange genug dableibt. (dif)

Der reiche Besucher ist König. Ihm wird untertänigst der rote Teppich ausgerollt, auf dass ihm bei seinem Besuch möglichst viele Scheine aus der Tasche fallen mögen. Das scheint eine uralte Gesetzmässigkeit zu sein in diesem Fremden sonst eher skeptisch gegenüberstehenden Land. Am schönsten auf den Punkt gebracht hat es wahrscheinlich Friedrich Dürrenmatt in seinem «Besuch der alten Dame», jüngstes Beispiel ist das 381 Meter hohe Monstrum von einem Hotelturm, das ein Investor in das Bergdorf Vals stellen will. Angelockt werden sollen damit Besucher, die gerne 1600 Franken und mehr für eine Nacht im Hotelbett liegen lassen. Das vom Armeekaff zum Luxusresort umfunktionierte Andermatt ist ein weiteres Beispiel – die Fälle sind bekannt. Weniger an die Öffentlichkeit ist bisher das Projekt «Transit-Hotel» in Brunnen SZ gedrungen. Damit sollen chinesische Gäste hofiert werden, die in der Regel in 48 Stunden durch die Schweiz gekarrt werden, dabei 330 Franken pro Tag ausgeben, chinesisches Essen wünschen und ein bisschen Natur geniessen wollen. Diesem gigantischen Projekt hat das Alpine Museum das aktuelle «Biwak» gewidmet, in der kleinen, feinen und gerne auch mit kritischer Note versehenen Ausstellungsreihe des innovativen Berner Bergmuseums. (fer)

Lokaltermin Schwamendingen, Ruth Erdt: «Schwamdings Part 3», David Renggli: «Möbel», Arbeiten im öffentlichen Raum rund um den Schwamendingerplatz, Zürich. www.stadt-zuerich.ch/kioer

Zürich Arbeiten, morgen

Biwak#12; «Transit-Hotel. Tourismus nach Mass für chinesische Gäste», Ausstellung noch bis 28. Juni, Alpines Museum Bern.

BILD: ISTOCKPHOTO

Arbeit, das war einmal. Heute haben wir eine Work-Life-Balance, gleitende Arbeitszeiten und mobile Arbeitsplätze. Wir wollen uns verwirklichen, unsere Arbeit soll Sinn stiften. Kurz: Wir wissen, was wir wollen, und das macht es nicht einfacher. Nicht für jene, die Arbeit nehmen. Und nicht für jene, die sie geben. Die Reihe von Podiumsdiskussionen im Zentrum Karl der Grosse widmet sich diesem Themenkomplex, der uns alle angeht. Wie verändert sich das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer? Wird es diese Kategorien in Zukunft noch geben? Wie sehen Arbeitsplatz und die Karriere der Zukunft aus? Welche neuen Kontrollmechanismen werden die zukünftige Arbeitswelt prägen? Diese und andere Fragen werden gestellt. Mit einer angeregten und anregenden Diskussion darf gerechnet werden, auch wenn man eine gute Portion kritische Distanz mitbringen sollte: Auf dem Podium sitzen Barbara Josef von Microsoft Schweiz, Fabian Schnell von Economiesuisse, Christian Müller vom Initiativkomitee für ein bedingungsloses Grundeinkommen und die Innovationsexpertin Nadja Schnetzler. Und es gilt wie immer, wenn es um die Zukunft geht: Auch wenn die Prognose danebengeht – lernen kann man immer etwas. (ami) Prognosen für die Zukunft des Arbeitens. Podiumsdiskussion, Mi, 20. Mai, 19 Uhr, Zentrum Karl der Grosse, Kirchgasse 14, Zürich. Eintritt frei. karldergrosse.ch SURPRISE 349/15

Wie arbeiten wir in 50 Jahren – wenn überhaupt?

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Fussballer-Porträt «Ich will etwas weitergeben» BILD: ALFRED MAURER

Als Pascal «Paco» Fust zum ersten Mal in der Surprise Strassenfussball-Liga spielte, wusste er nicht, wo er eigentlich war. Heute bildet der 27-Jährige die Schiedsrichter aus. AUFGEZEICHNET VON OLIVIER JOLIAT

«Beim ersten Turnier hatte ich dauernd Krach mit dem Schiri. Das war an den Schweizermeisterschaften 2010 in der Zürcher Bahnhofshalle. Und als wir nach der Gruppenphase rausgeflogen sind, bin ich komplett düregheit! Am nächsten Tag dämmerte mir, dass nicht nur der Fussball an diesem Turnier anders war, sondern auch die Teams. Ich schaute im Internet nach, und mir wurde der soziale Hintergrund des Strassensports klar. Ich war ja einfach spielen gegangen, weil mich der ehemalige Nati-Captain Santiago für sein Team aufgeboten hatte. Allerdings passten die Spielerkriterien: Ich war arbeitslos, die Eltern hatten mich rausgeworfen und ich lebte vom Sozialamt. Ich steckte im Loch, seit ich die Lehre als Heizungsmonteur abgebrochen hatte. Ich hatte es satt, immer dreckige Hände zu haben, ausserdem schmerzte der Rücken. Daraufhin meldete mich mein Vater beim Militär. Als hohes Tier war er überzeugt: Diese Schule würde mich etwas lehren. Ich diente zwei Jahre durch, einen Abschluss hatte ich danach noch immer nicht. Mein Vater gab mir dann zwei Monate Zeit, um Arbeit zu finden. Als die vorbei waren, meldete ich mich beim Sozialamt und bekam ein Zimmer im Asylbewerberheim. Im Kanton Schwyz gibt es nicht viele soziale Einrichtungen, da werden einfach alle Randständigen in einen Topf beziehungsweise ein Haus geworfen. Es war aber eine spannende Zeit. Ich lernte viele Eritreer kennen und schätzen, auch beim gemeinsamen Fussballspielen. Trotzdem wollte ich weg. Nach einem Jahr fand ich einen Job in einem Callcenter und verkaufte den Leuten Versicherungen oder Zeitschriften-Abos für 18 Franken die Stunde. Das reichte, um mir in Siebnen ein Zimmer zu leisten. Damals lernte ich meine grosse Liebe kennen, Michelle. Anfangs verheimlichte ich ihr, wie und wo ich lebe. Ich schämte mich. Aber ich merkte auch: Nun musst du was tun, sonst läuft sie dir davon! Als mir beim Callcenter gekündigt wurde, landete ich erneut beim Sozialamt. Zum Glück blieb Michelle bei mir. Da sie aber noch in der Lehre war, häuften sich die Schulden. Krankenkasse, Miete, Telefon, Strom – wer sollte das alles zahlen? Ich drehte wieder in einer Abwärtsspirale. Genau dann kam die Anfrage für die Surprise-Nati. Nach meinem unglücklichen Debüt in der Zürcher Bahnhofshalle entschuldigte ich mich für mein Verhalten. Ich spielte weitere Turniere, und in der Saison 2011 kam das Nati-Aufgebot. Wir hatten eine super Mannschaft und eine grossartige Zeit. Beim Benefiz-Spiel im Stade de Suisse kamen wir sogar im Schweizer Fernsehen – ich beim Freistoss. Noch heute telefoniere oder chatte ich einmal pro Woche mit damaligen Mitspielern. Auch in schlechten Zeiten. Als einer lebensmüde war, holten wir ihn nach dem Spital zwei Wochen zu uns nach Hause. Mittlerweile haben Michelle und ich zwei Kinder, zweijährig und vier Monate alt. Wegen der Familie habe ich mich letzte Saison vom Strassensport verabschiedet. Ich habe jetzt konstant Arbeit und erfülle die Spielerkriterien nicht mehr. Ausserdem wurde bei mir Diabetes diagnostiziert. Das hat mich erst ein halbes Jahr flachgelegt, weshalb mein Job

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bei einem Jobvermittlungsbüro gekündigt wurde. Heute verkaufe ich Software und andere Produkte. Nach der Babypause sucht auch Michelle wieder einen Job als Kleinkinderzieherin. Wir wollen ausserdem eine neue Wohnung finden, was mit den Betreibungen sehr schwierig ist. Aber es dauert ewig, bis die Schulden mit unseren kleinen Einkommen abbezahlt sind. Trotzdem bin ich glücklich mit der Familie. Von diesem Glück will ich etwas an andere weitergeben. Bei Surprise lernte ich, dass selbst Menschen in Not anderen helfen können. Darum brauchte es kaum Überzeugungskunst, als vom Strassensport die Anfrage kam, ob ich die Schiedsrichterleitung übernehmen will. Ich weiss ja selbst, was die Liga den Spielern bringt und wie wichtig gute Schiris sind. Bei der Saisoneröffnung habe ich rund 20 Schiedsrichter in den neuen Regeln ausgebildet und während zwei Turniertagen betreut. Klar hat es mich in den Füssen gejuckt. Aber mit meinem Zucker wäre ich nach zwei Minuten platt. Ich gebe meinen Einsatz besser so, damit andere spielen können.» ■ SURPRISE 349/15


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Surprise ist: Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit. Surprise hilft bei der Integration in den Arbeitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsituation, bei den ersten Schritten raus aus der Schuldenfalle und entlastet so die Schweizer Sozialwerke.

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Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Benachteiligung betroffenen Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellung für soziale Gerechtigkeit. Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinende Strassenmagazin Surprise heraus. Dieses wird von einer professionellen Redaktion produziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illustratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft. Rund dreihundert Menschen in der deutschen Schweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur, verdienen eigenes Geld und gewinnen neues Selbstvertrauen. Impressum

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Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Do T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami, Heftverantwortlicher), Florian Blumer (fer), Diana Frei (dif), Sara Winter Sayilir (win) redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Monika Bettschen, Basile Bornand, Eric Breitinger, Michael Gasser, Olivier Joliat, Christof Moser, Dominik Plüss, Christoph Simon, Claudia Spinnler Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 21150 Ex., Abonnemente CHF 189, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke

Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport. In der Surprise Strassenfussball-Liga trainieren und spielen Teams aus der ganzen deutschen Schweiz regelmässig Fussball und kämpfen um den Schweizermeister-Titel sowie um die Teilnahme an den Weltmeisterschaften für sozial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Chor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Kontakte, Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für Menschen, denen der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Finanzierung, Organisation und internationale Vernetzung Surprise ist unabhängig und erhält keine staatlichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle anderen Angebote wie die Betreuung der Verkaufenden, die Sportund Kulturprogramme ist Surprise auf Spenden, auf Sponsoren und Zuwendungen von Stiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte soziale Institution. Die Geschäfte werden vom Verein Surprise geführt. Surprise ist führendes Mitglied des Internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow, Schottland. Derzeit gehören dem Verband über 100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an. Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Alfred Maurer, Bruno Schäfer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99 Paloma Selma, p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach) www.strassensport.ch Vereinspräsident Peter Aebersold

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt. Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. SURPRISE 349/15


BILDER: OJO

Surprise – Mehr als ein Magazin Surprise Strassensport Europäische Freundschaft und Schweizer Schweiss Der Erfolg des Fussballspiels liegt in seiner Einfachheit: Ein Ball und ein paar Füsse reichen schon. Komplexer wird es, wenn man wie der Surprise Strassensport eine Liga und eine Nationalmannschaft für sozial Benachteiligte organisiert. Darum trafen sich Ende März Projektpartner aus acht Ländern im Rahmen des europäischen Grundtvig-Programms zu Austausch-Workshops in Basel. Der FC Basel stellte dafür Sitzungsräume zur Verfügung mit Blick aufs Grün. Interessanter als das grosse Stadion waren für die vielen europäischen Strassensportler jedoch zwei kleine Arenen auf dem Basler Dreispitz-Areal. Surprise Strassensport kann dort seit einigen Wochen dank der Unterstützung der Christoph Merian Stiftung die erste StreetsoccerHalle der Schweiz betreiben. Eingeweiht wurde sie am letzten März-Wochenende beim Benefizturnier mit 14 Mannschaften plus der Surprise-Nationalmannschaft von 2014. Die Nati schaffte es zwar ins Finale, musste sich dort aber von den Turniersiegern Athletes in Action geschlagen geben. Mit ihrem pekuniären Einsatz ermöglichten die Benefizteams, dass am nächsten Tag 15 Surprise Mannschaften die Saison eröffnen konnten. Den Turnieranstoss gab der ehemalige Schweizer Nationalmannschaftsspieler und heutige Strassensport-Botschafter Dominique Herr. Nebst altbekannten konnten wir viele neue Gesichter begrüssen. Ein Team war gar aus dem Tessin angereist und fand bei den Barracudas Frenkendorf Unterschlupf, um Strassensportluft zu schnuppern. Mit vereinten Kräften holte es die begehrteste aller Trophäen, den Fairplay Pokal. In den anderen Kategorien gab es zwei Heimsiege von Schahin und Dragons Basel. Das Eröffnungsturnier brachte trotz kalten Temperaturen in der Halle nicht nur die Spieler ins Schwitzen. Mit dem Workshops im Vorfeld und dem Doppelturnier forderte es von der Strassensport-Leitung Bestleistungen. Zum Glück kann sie auf die Unterstützung von Freiwilligen zählen – neu etwa die der beiden Schweizer Beachsoccer FIFA-Schiedsrichter Christian Zimmermann und Dario Minder. Und auf Gönner wie den Lions Club St. Alban, der an beiden Tagen für das leibliche Wohl der Turnierbesucher sorgte. (ojo)

Volle Konzentration: Die Züri Lions (rot) gegen die Dragons Basel.

Schön gespielt: Bruno aus dem Tessin mit der Fairplay-Trophäe.

Herzlichen Dank an alle: Die Halle und die Saison sind eröffnet!

Das Strassensport-Projekt wird ermöglicht durch die langjährige Unterstützung von:

Sport schweisst zusammen: Ein Spieler von TASCH Schaffhausen tauft die Halle.

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Eine Tasse Solidarität! Machen Sie mit: Zwei bezahlen, eine spendieren. Café Surprise gibt es hier: In Basel Café-Bar Aktienmühle, Gärtnerstrasse 46 Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstrasse 10 Café Restaurant Haltestelle, Gempenstrasse 5 Post Bar, St. Johanns-Vorstadt 80 Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstrasse 96 In Bern Restaurant Genossenschaft Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17 Café Kairo, Dammweg 43 Café Tscharni, Waldmannstrasse 17a Luna Llena Gelateria Restaurant Bar, Scheibenstrasse 39 In Thun Joli Mont, Bälliz 60 In Zürich Café Zähringer, Zähringerplatz 11

Weitere Informationen: www.vereinsurprise.ch/cafesurprise Ein Projekt des Verein Surprise.


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