«Ich bin nicht stark. Ich bin wütend» Feministin Laurie Penny im Interview Ohne Arbeit keine Schule – unbequeme Wahrheiten über Kinderarbeit
Arbeitslos in den Dreissigerjahren: die Memoiren des ersten Strassenzeitungsverkäufers
Nr. 355 | 31. Juli bis 13. August 2015 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
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Titelbild: Laurent Burst
Liebe Leserin, lieber Leser, blättern Sie doch bitte schnell auf Seite 14. Hätten Sie auf Anhieb gedacht, dass es sich bei den schnittigen jungen Herren, die Ihnen da entgegenkommen, um eine Gruppe verarmter Arbeitsloser handelt? Die sich keine neuen Kleider leisten können und sich von Kartoffeln und Bohnen ernähren? Arbeitslos zu sein, sah in den Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts noch anders aus. Eleganter irgendwie, nun, die Herren sind ja auch Künstler. Und sie sind das Team der Strassenzeitung Kulturspiegel, einer Art Urahne von Surprise, der Mann in der Mitte war ihr erster und einziger Verkäufer. Man kann sich gut vorstellen, wie der schnittige Philipp Seidenberg, so war sein Name, seine Kulturzeitung mit Charme und Leichtigkeit und vielleicht auch einem gewissen Stolz den holden Damen der Gesellschaft anpries.
BILD: ZVG
Editorial Schreiben Sie Geschichte!
FLORIAN BLUMER REDAKTOR
Weit gefehlt. In prekären Verhältnissen zu leben, war noch nie romantisch. Lesen Sie die Auszüge aus der unveröffentlichten Autobiografie Seidenbergs. Eine Erkenntnis vorweg: Arbeitslosigkeit war schon damals stigmatisiert. Im Interview bestätigt Sozialhistoriker Hans Ulrich Jost, dass die öffentliche Meinung auch in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit nicht differenzierter war als heute. Schon damals herrschte die Ansicht vor: Wer keine Arbeit hat, ist letztlich selber schuld. Die Erkenntnis ist deprimierend und könnte dazu verleiten, vor der Geschichte zu kapitulieren. Die junge Publizistin Laurie Penny, Shootingstar eines neuen antikapitalistischen Feminismus, hat eine bessere Idee: «Wir müssen die Geschichte selber schreiben.» Lesen Sie im Interview ab Seite 10, was sie damit meint. Auch Penny klagt, dass Arbeitslosen die Schuld an ihrer Situation in die Schuhe geschoben wird. Dennoch: Schon lange war Sozialkritik nicht mehr so lustvoll wie mit der 28-jährigen Britin, die sich auf Twitter «Penny Red» nennt. So engagiert sie auch gegen eine Welt kämpft, die sie als männerdominiert und menschenfeindlich wahrnimmt, so hat sie auch tröstliche Nachrichten für uns. Unser langjähriger Autor, Medienjournalist Christof Moser, ist mit Theaterregisseurin Miriam Walther Kohn nach Berlin gereist, um Medienstar Penny zu treffen. Zurück kamen sie unter anderem mit der beruhigenden Botschaft an die Leserin und den Leser: «Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt am Arsch ist.» Ich wünsche eine erbauliche Lektüre, Florian Blumer
Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@strassenmagazin.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise SURPRISE 355/15
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10 Laurie Penny «Es liegt nicht an dir» Laurie Penny ist wütend. Und eine starke Stimme ihrer Generation: Die 28-jährige Feministin aus London stemmt sich wortgewaltig gegen einen absolutistischen Kapitalismus, der die Menschen von Geburt an in Sieger und Verlierer teilt. Gleichzeitig hält sie auch gegenüber der Linken nicht mit Kritik zurück. Wir haben «Penny Red» in Berlin getroffen.
BILD: LAURENT BURST
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Inhalt Editorial Arbeitslos Basteln für eine bessere Welt Lampe für Gutmänner Aufgelesen Vom Wohnen und Tauschen Zugerichtet Prügelpolizisten Leserbriefe Aprilscherz? Starverkäufer Bob Ekoevi Koulekpato Porträt Vom Chefsessel in die Führerkabine Wörter von Pörtner Bürgerlicher Neid Joy Williams Schluss mit Civil Wars Kultur Zweimal Heimat Ausgehtipps Akustischer Honig Verkäuferporträt International «Ich war ein wilder Mann» Projekt SurPlus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP Surprise – Mehr als ein Magazin FCB-Fans an der Pfeife
14 Sozialgeschichte Der erste Strassenzeitungsverkäufer «Experiment Leben» nannte der vor Kurzem verstorbene Philipp Seidenberg seine Memoiren. Während der Zeit der Massenarbeitslosigkeit bot er – als einziger Verkäufer – in Zürich den Kulturspiegel an, eine Art Vorläufer von Surprise. In seinen Texten beschreibt er, wie er sich beim Verkaufen fühlte, wie man in Krisenzeiten zusammenhielt und wie man sich mit Kultur gegen den Faschismus vor der Haustür wehrte.
BILD: ZVG
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BILD: REUTERS/DANISH SIDDIQUI
20 Kinderarbeit Faire Bedingungen statt Verbote?
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Kinderarbeit ist Ausbeutung und muss weltweit bekämpft werden; so lautet der Konsens. Doch die Realität ist komplexer: Viele Kinder können nur zur Schule gehen, weil sie nebenher arbeiten. Und es gibt Kinder, die Gewerkschaften gründen und für ein Recht auf Arbeit kämpfen. Journalist und Buchautor Georg Wimmer begab sich auf Recherche und kam zu unpopulären Schlüssen.
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Es sei einmal mehr geklagt: Mit unserer Wegwerfmentalität plündern wir die Erde und müllen sie im Gegenzug wieder zu. Besonders schade zum Wegschmeissen ist Plastik, wird es doch unter anderem aus Erdöl hergestellt, das Jahrmillionen in seiner Entstehung braucht und uns als Plastikmüll immerhin rund 400 Jahre erhalten bleibt. Nun sagen wir nicht, dass Sie mit unserer Lichterkette die Welt retten werden. Aber Sie können damit als leuchtendes Beispiel vorangehen und zeigen, dass Plastik eigentlich kein Müll ist.
1. Sammeln Sie die Plastikkugeln aus Ihren Deo-Rollern.
2. Kaufen Sie sich eine LED-Lichterkette, im Bau- und Hobby-Center gibt es bunte, die mit Solarstrom betrieben werden.
3. Stechen Sie mit einer Schere Löcher in die Kugeln und stecken Sie die Lichter hinein.
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ILLUSTRATION: RAHEL KOHLER | WOMM
Basteln für eine bessere Welt Die Lichterkette für Männer, denen alles ein bisschen leichter fällt
Aufgelesen News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Zwangsgeräumt Berlin. Staatliche Institutionen sind an der Schaffung von Wohnungslosigkeit beteiligt. Dies geht aus der neuen Studie «Zwangsräumungen und die Krise des Hilfssystems» der Rosa-Luxemburg-Stiftung hervor. Über zu späte oder falsch überwiesene Mietzahlungen, verzögerte Bearbeitung oder Sanktionen tragen Jobcenter und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften zur Entstehung von Mietschulden bei. Zudem gehen 20 Prozent der Räumungsklagen von landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften selbst aus.
Gedeckelt Hamburg. Seit Juli gibt es in Hamburg eine Mietpreisbremse. Bei Neuvermietungen darf demnach der Preis nicht mehr als zehn Prozent höher sein als der Mietenspiegel. Dies legte der Hamburger Senat nach langem Zögern fest, nachdem die Vermieterlobby sich dagegen ausgesprochen hatte. Voraussetzung der Bremse ist jedoch, dass der Wohnungsmarkt per Gutachten als angespannt definiert wird. Schätzungen zufolge werden durch die Bremse 20 Prozent der Neuvermietungen günstiger.
Freiwillig Glasgow. Tauschwirtschaft ist voll im Trend. Darauf setzt auch die neue Webseite volunteeranything.com aus Britannien. Seit März stellen hier Firmen und Dienstleistende Gratisservices zur Verfügung für Menschen, die sich ihre Angebote sonst nicht leisten können. Dabei bietet volunteeranything.com einiges: von Kinderbetreuung über einen neuen Haarschnitt bis zum Café Sospeso lässt sich hier so einiges finden. Gratis und ohne Gegenleistung.
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Zugerichtet Glauben ist nicht geschenkt Am Ende des Verhandlungstages am Obergericht Zürich sind die zwei Angeklagten siegessicher. Beide erwähnen in ihrem jeweiligen Schlusswort, wie froh sie seien, dass nun die Sache endlich richtiggestellt wird. Ganz als ob ihr Freispruch jetzt noch blosse Formsache wäre. Ihre Zuversicht ist nicht unbegründet: Sie wissen stadtbekannte Strafverteidiger hinter sich, und auch ihre Berufskollegen demonstrieren in den Zuschauerrängen zahlreich ihre Unterstützung. Sie sind Polizisten. Und Polizisten werden selten verurteilt. Der Fall hatte für einige Aufregung gesorgt, weil das Bezirksgericht die bisher unbescholtenen Polizisten sehr wohl verurteilte. Es befand sie für schuldig, 2011 in einem Schrebergarten in Schlieren einen Randständigen verprügelt zu haben. Der Geschädigte erzählte von 36 Ohrfeigen, schmerzhaftem Zurückbiegen eines Fingers und Fusstritten in den Bauch, als er schon am Boden lag. Eingesperrt hätten die Polizisten ihn auch, in seinem eigenen Gartenhaus. Dabei wäre ihr Job nur gewesen, einen Streit mit seinen Schrebergartennachbarn zu schlichten. Nun ist das Opfer nicht über jeden Zweifel erhaben. Der Mittvierziger hat eine unverkennbare Tendenz zur Dramatisierung und Übertreibung. Seine Abneigung gegenüber Behörden, vor allem gegenüber der Polizei, äussert sich in drastischen Schilderungen von Folterszenen. Die Angeklagten titulierte der IV-Rentner während des Verfahrens als «falsche Drecksäcke» und vor Bezirksgericht hatte er acht Millionen Franken Schadenersatz von ihnen gefordert. Er verfügt über ein ansehnliches Strafregister, war schon mehr-
fach als wahnhaft und querulantisch in Erscheinung getreten. Die Verteidiger vermuten dahinter eine schizoaffektive Störung, und selbst der Staatsanwalt, immerhin der Ankläger, merkt an, der Geschädigte sei kein «einfacher Klient». Es ist, zusammengefasst, davon auszugehen, dass die Polizisten die Wahrheit sagen, wenn sie anführen, er habe sich bei der Kontrolle renitent verhalten. «Ein Lehrbuchbeispiel» eines Falls, bei dem die Glaubwürdigkeit der Beteiligten die Sache entscheide, sagt der Gerichtspräsident bei der Urteilseröffnung. Vorliegend also eine «grosse Herausforderung». Da seien zwei Polizisten, die während eines schwierigen Einsatzes teils korrekt gehandelt hatten – deren Darstellung die Oberrichter aber in Teilen als «sehr unglaubwürdig» einstuften. Und der Geschädigte verfüge zwar über «erstaunliche prozessuale Fähigkeiten». Doch seine Voreingenommenheit gegenüber der Polizei sei weit akzentuierter, als dies die erste Instanz wahrhaben wollte. Entsprechend falle es schwer, seinen Aussagen zu glauben. Erst durch die Ausführungen des behandelnden Arztes und eines Bekannten des Geschädigten werde dessen Geschichte plausibel, so das Obergericht. Deshalb kommen die Richter trotzdem zu einem klaren Schuldspruch wegen mehrfachem Amtsmissbrauch, einfacher Körperverletzung und Hausfriedensbruch. Und der Gerichtspräsident findet auch klare Worte: Es handle sich um einen Fall von «brutaler, demütigender und erniedrigender» Polizeigewalt.
YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 355/15
Leserbriefe «Ich scheine einem ‹Aprilscherz› erlegen zu sein» Radio funktioniert nicht Ich scheine einem «Aprilscherz» erlegen zu sein mit dem Versuch, Ihren Bastelvorschlag zu realisieren. Nachdem es nicht zum Erfolg führte, suchte ich auf dem Internet nach Mittelwellensendern, die noch in Betrieb sind. Offenbar gibt es keine mehr. Somit ist mein Misserfolg erklärt. Peter Haldimann, per Mail Stellungnahme der Redaktion Kleinlaut müssen wir zugeben: Herr Haldimann hat recht. Uns entging, dass es sich bei der Anleitung, die unserer letzten Bildkolumne «Basteln für eine bessere Welt» zugrunde lag, um ein so genanntes Detektorradio handelte – das tatsächlich nur Mittelwelle empfangen kann. Und, auch das ist korrekt, Ende 2012 verschwand mit der «Stimme Russlands», einem staatlichen Auslandradio, der letzte Mittelwellensender aus dem Äther. Wir möchten uns bei allen, die vergebens gebastelt haben, herzlich entschuldigen. Wer noch nicht aufgeben will: Unter https://www.youtube.com/watch?v=vWUZzJlgZrA findet sich eine Videoanleitung für ein UKW-Radio. Das ist zwar etwas komplizierter als das MW-Radio, sollte aber dafür die von uns gepriesenen Sendungen von Radio SRF empfangen können.
Surprise Nr. 352, Editorial «Hier müssen die Proportionen zurechtgerückt werden» Ich ärgere mich über den einseitigen Kommentar von Amir Ali, wenn er schreibt: «Das nächste Drama, das uns in Erinnerung rufen wird, dass unsere Migrationspolitik Menschenleben kostet, ist lediglich eine Frage der Zeit.» Hier müssen die Proportionen zurechtgerückt werden. Wovor ergreifen die Menschen die Flucht? Vor dem Terror und der Grausamkeit
Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 (0)61 564 90 99 redaktion@vereinsurprise.ch
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des Islamischen Staates. Vor der blutigen Fehde zwischen Sunniten und Schiiten. DAS sind die Ursachen der Misere, nicht die europäische Migrationspolitik. Jürg Streuli, per Mail
Surprise Nr. 353, Verkäuferinnen und Verkäufer beschreiben ihr Lieblingsbuch «Ich kenne nur Eritreer, die von ihrem Staat verfolgt wurden» Bis jetzt habe ich persönlich nur Eritreer gekannt, die von ihrem Staat verfolgt wurden, weil sie aus jahrelangem, schlimmem Militärdienst oder aus Gefangenschaft geflohen waren. Eritreer, die immer noch schwärmerisch von ihrem Krieg gegen Äthiopien sprechen und ihren Anführer verherrlichen, der sich von einem Freiheitskämpfer in einen schlimmen Diktator gewandelt hat, haben in ihrem Land sicher nichts zu befürchten, und hier erfüllen sie die Bedingungen für den Asyl-Status nicht. Wenn Herr Iyasu sagt, dass man in seiner Heimat «ein gutes Leben in Frieden» haben könne, so bestärkt er das Trugbild der SVP, dass Eritrea ein friedlicher Staat sei. Maria Furrer, Herrenschwanden Stellungnahme der Redaktion Es handelt sich hier um ein Missverständnis. Unser Verkäufer Awet Iyasu hat gesagt, dass damals junge Eritreer gekämpft haben, um den Nachkommen einmal «ein gutes Leben in Frieden» zu ermöglichen – aber damit nicht sagen wollen, dass dem heute so wäre. Leider ist das Gegenteil der Fall, das sieht auch Awet Iyasu nicht anders, der aus genau diesem Grund geflüchtet ist. Im betreffenden Kurztext hat er sein Lieblingsbuch beschrieben, in dem es um eine militärische Geheimoperation zur Zerstörung von Kriegsmaterial geht, den Anführer erwähnt er darin nicht. Wir sehen in seinen Aussagen deshalb keine Gewaltverherrlichung oder die Verherrlichung eines Diktators.
BILD: ZVG
Surprise Nr. 351, Basteln für eine bessere Welt: das RTVG-Radio
Starverkäufer Bob Ekoevi Koulekpato Eveline Schwizer aus Basel schreibt: «Bob ist stets aufgestellt und unterhält sich mit jedem. Er ist ein Mensch mit Charisma, was in unserer hektischen und manchmal gestressten Zeit für einige bestimmt wie Balsam wirkt. Mit wenigen Worten versteht es Bob, die Leute für einen kurzen Moment ihren Stress oder ihre Sorgen vergessen zu lassen. Nach einem Smalltalk mit ihm gehen sie wieder lächelnd ihres Weges.»
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Porträt Mit Beethoven im Cockpit Die Bankkarriere hat Jean-Paul Klauser nicht glücklich gemacht. Vor zwei Jahren hat er sich seinen Bubentraum erfüllt – nun geniesst er es, im Lastwagen durch die Landschaft zu fahren. VON STEFAN MICHEL (TEXT) UND ROLAND SOLDI (BILD)
das gegen den Strich geht», erklärt Klauser. Jahrelang suchte er bei der Bank die cleversten und motiviertesten Mitarbeiter und sorgte dafür, dass sich diese wohl fühlten, damit sie ihr Potenzial entfalten konnten. Auf der Baustelle ist für Wohlfühl-Klima kein Platz. Lastwagen-Fahrstunden nahm Klauser, als er noch im Sold der Bank stand – um sechs Uhr morgens, damit er pünktlich im Büro war. Von seinen Ausbildern erfuhr er: Du bist nicht der Einzige. Es gebe immer mal wieder den einen Arzt oder Anwalt, der sich den gleichen Traum verwirklicht. Im Gegensatz zu den meisten anderen hat Klauser allerdings die ganze Berufsausbildung absolviert und sich eine Anstellung als Chauffeur gesucht. «Beim Vorstellungsgespräch sagte man mir, dass man mit meiner Anstellung ein Experiment eingehe», erzählt er. Eine Woche lang sei er beim Fahren begleitet worden. «Die wollten sehen, ob ich auch wirklich fahren kann. Ich bin der Firma Eberhard heute noch dankbar für die Chance.» Mit dem Umstieg von der Bank ans Lastwagensteuer änderte Klauser auch seinen Lebensstil: «Zum ersten Mal in
Halb sieben Uhr früh, Jean-Paul Klauser steuert sein Cabriolet in eine Parklücke auf dem Firmengelände. An seinem alten Arbeitsort wäre sein sportliches Audi-Cabriolet nicht aufgefallen. Auf dem Parkplatz der Eberhard Bau AG in Kloten hingegen sticht es heraus. Auch Klausers feine Statur und Stimme passen nicht ganz ins Bild des auf Abbruch und Aushub spezialisierten Unternehmens. Noch vor zwei Jahren arbeitete der 44-Jährige im Anzug, leitete bei einer Grossbank ein Team mit 150 Mitarbeitenden. Heute trägt er ein gelbes T-Shirt und ist Aushilfs-Lastwagenfahrer. Unterwegs im Firmengebäude grüsst er Kollegen, fragt einen, wie seine Ferien waren und wird auch vom Disponenten freundlich begrüsst. Schnell wird klar: Der Ex-Banker ist zwar anders, aber er ist kein Aussenseiter. Aufgewachsen sei er mit klassischer Musik und Literatur, in einem musisch orientierten und akademisch geprägten Elternhaus. «Matura machen und studieren war der vorgegebene Weg», sagt er, während er einen 13 Tonnen «Viele meiner Kollegen von früher finden es toll, was ich mache, saschweren, noch leeren Lastwagen durch den gen, sie würde auch gerne weg von der Bank. Aber sie kommen nicht Zürcher Morgenverkehr steuert. Am Konservaheraus aus ihrem goldenen Hamsterrad.» torium Luzern begann er ein Studium als Opernsänger, arbeitete als Taxichauffeur, Kellner und in einem Auktionshaus. Schliesslich studierte er Jus. «Ohne meinem Leben stellte ich für mich ein Budget auf, notierte, wovon ich Interesse am Fach und ohne Ambitionen», betont er. Danach stieg er bei mich als Erstes trenne, sollte das Geld knapp werden.» Credit Suisse ins Personalwesen ein und erhielt bald viel Verantwortung. Seine Frau arbeitete weiter als Anwältin, zog aber mit. «Statt einer Klauser machte das, was man Karriere nennt. teuren Kreuzfahrt machten wir Veloferien in der Schweiz und genossen «Meine Zeit bei der Bank war eigentlich ganz in Ordnung», sagt er das sehr», erzählt Klauser. Kinder hat das Paar keine, diese Unabhänrückblickend. «Ich habe viel gelernt, im Positiven wie im Negativen.» gigkeit sieht der Ex-Banker als Privileg. «Viele meiner Kollegen von früDoch nach 15 Jahren begann das Negative zu überwiegen. «Ich hatte her finden es toll, was ich mache, sagen, sie würden auch gerne weg verstanden, wie ein globales Unternehmen funktioniert, und war es von der Bank», schildert er. «Aber sie kommen nicht heraus aus ihrem leid, immer wieder die gleichen, angeblich neuen Ideen und Konzepte goldenen Hamsterrad und können sich nicht vorstellen, mit weniger zu umzusetzen, die schon beim letzten Mal nicht funktioniert hatten», beleben.» Klauser hat andere Freuden gefunden: «Es gibt nichts Schöneres, schreibt Klauser seine Frustration. Das war die Zeit, in der er sich an als in fast drei Metern Höhe durch eine verschneite Winterlandschaft zu seinen Bubentraum erinnerte, einmal «grosse Fahrzeuge zu bewegen». fahren, während sich ein Beethoven-Konzert mit dem Sound des 6-ZyNoch als Bankangestellter sei er oft an Baustellen stehen geblieben und linder-Motors mischt», schwärmt er. An Herausforderungen mangelt es habe dem Treiben zugeschaut. ihm nicht: «Mit 40 Tonnen im Nacken ist extrem vorausschauendes FahKlauser hält an einer Baugrube in Zürich. «Ich muss Aushub holen. ren gefragt: Jeder Bremsvorgang will eingeteilt sein, jede Kurve berechWo soll ich den Lastwagen hinstellen?», fragt er den Arbeiter, der ihm net, jede Steigung analysiert. Am Anfang fuhr ich mit schweissnassen entgegenkommt. «Da drüben! Retour!», diktiert dieser und steigt in eiHänden.» nen Bagger. Klauser erklärt: «Der zeigt mir jetzt mit seiner BaggerHeute ist er stolz, es als Banker zum Lastwagenfahrer gebracht zu haschaufel, wo er mich haben will.» Geschickt fährt er den fünfachsigen ben und vollwertige Arbeit zu leisten. Als Nächstes hat Klauser 25 TonLaster rückwärts. Es ist diese Zentimeterarbeit mit dem tonnenschwenen Betonbrocken abzuladen, im Recycling-Werk von Eberhard. «Da ren Fahrzeug, die ihn fasziniert. Plötzlich rumpelt es, und der Fünfachmuss ich rückwärts einen Hügel hinauf und bis an die Kante fahren, ser schaukelt hin und her. «Ok, wir stehen richtig», kommentiert Klauaber nicht darüber hinaus, sonst stürzen wir 20 Meter in die Tiefe», sagt ser. «Einige Baggerfahrer hupen kurz oder geben ein Zeichen. Dieser Klauser ruhig. Ohne erkennbare Nervosität erledigt er seine Aufgabe hier gehört zu der Sorte, die einfach die Ladung fallen lassen, wenn ich und schaut danach auf das Display neben dem Lenkrad, wo schon der die richtige Position erreicht habe.» nächste Auftrag angezeigt wird. Das raue Klima auf der Baustelle störe ihn grundsätzlich nicht, aber Allerdings: Nur noch Lastwagen zu fahren, das wäre Jean-Paul Klaues nerve, wenn man zusammengestaucht werde, wenn man mal drei ser dann doch zu wenig: «So langsam kenne ich alle Deponien», sagt er Anläufe braucht, um einen Sattelschlepper rückwärts auf einer engen und schmunzelt. Deshalb baut er sich neben den Baustellentransporten Baustelle an den richtigen Ort zu bewegen. «Wenn einer ausfällig wird, ein zweites Standbein als Projektmanager auf. Aber nur in Teilzeit, damuss man eben mal im gleichen Ton dagegenhalten, auch wenn einem mit genügend Zeit fürs Lastwagen- und Carfahren bleibt. ■
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Laurie Penny «Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt am Arsch ist» Die 28-jährige Britin Laurie Penny ist aktuell eine der kritischsten und lautesten Stimmen ihrer Generation. Mit Wucht schreibt und twittert sie gegen eine frauen- und letztlich menschenfeindliche Welt an – trotzdem haben ihre Worte auch etwas Tröstliches.
VON MIRIAM WALTHER KOHN UND CHRISTOF MOSER (INTERVIEW) UND LAURENT BURST (BILDER)
Drei Jahrzehnte lang schien es, als habe sich der Feminismus erledigt. Die Schriften von Simone de Beauvoir oder Alice Schwarzer blieben für manche zwar unverändert gültig, schienen aber trotzdem hoffnungslos aus der Zeit gefallen. Überraschend viele hielten die Forderungen von damals in der Gegenwart sogar für längst erfüllt. Dann kam Laurie Penny. Geboren 1986 in London, übersetzte sie die postfeministische Orientierungslosigkeit in eine neue Sprache und gab der feministischen Bewegung mit der revolutionären Wucht der Wut und des Mitgefühls die verlorene Dringlichkeit zurück. Ihre Utopie ist eine Kampfansage: Sie fordert dazu auf, eine Gesellschaft, in der es so viele verschiedene Geschlechteridentitäten wie Menschen geben darf, mit den Waffen der Solidarität zu erkämpfen. Pennys 2011 erschienenes Buch «Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus» war ein Bestseller, ihr neustes Werk «Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution» elektrisiert das Publikum ihrer Lesetouren. Seit ihrem 2007 abgeschlossenen Literaturstudium in Oxford arbeitet sie als Reporterin für die britische Zeitung The Independent, schreibt u.a. regelmässig für The Guardian und findet viel Beachtung mit ihren Tweets auf @PennyRed. Wir haben Laurie Penny anlässlich ihrer Lesetour in Berlin getroffen.
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Laurie Penny, in Ihrem Buch sagen Sie, die Revolution beginne in der Fantasie. Es endet mit den Worten: «Schliesst die Augen. Blättert um. Fangt an». Womit? Es geht darum, sich die Utopie einer besseren Welt vorzustellen. Oder wie wir die Dystopie, also die negative Vision, einer Welt überleben, in der die Menschen durchdrehen und alles schiefgeht. Selbst wenn du nicht politisch bist und dich aus allem raushalten willst, schreibst du an der Zukunft mit. Deshalb ist es so wichtig, unsere Fantasie zu wecken, dass alles auch anders werden könnte. Fantasie als Mittel gegen Apathie? Es geht darum, die Geschichte zu schreiben. Wenn wir sie nicht selber schreiben, schreiben sie andere für uns. Ich meine das ganz konkret: Geschichten von Frauen, von Minderheiten und Unterdrückten sind gefragt, weil sie bisher nicht erzählt worden sind. «Orange is the New Black», derzeit meine Lieblings-Fernsehserie, ist ein gutes Beispiel für die grosse Veränderung in der TV-Kultur. Keine der Geschichten dieser Serie ist besonders innovativ. Erstaunlich aber ist, dass sie Geschichten erzählt, die im Mainstream nie erzählt worden sind. Die Serie spielt im Frauengefängnis, handelt von Armen, Schwarzen, Latinas. Ihre Schicksale fügen sich zu einem massiven grossen Ganzen zusammen, einem Gesellschaftsroman. SURPRISE 355/15
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Woher dieses Vertrauen in die revolutionäre Kraft der Erzählung? Ich bin ein totaler Nerd. Ich lese und schaue viel Science-Fiction, habe mich im Studium mit feministischer Science-Fiction auseinandergesetzt. Eines der interessantesten Bücher ist «Nacht der braunen Schatten» von Katharine Burdekin. Eine ziemlich simple Geschichte über das Tausendjährige Reich nach Hitlers Triumph im Zweiten Weltkrieg. Die Juden sind ausgerottet, die Frauen zu Gebärmaschinen versklavt. Man liest es und denkt: Na ja, billige Story. Aber nein, nein, nein! Das Buch erschien 1937 und Burdekin war eine der Ersten, die sich konkret vorstellte, wie schrecklich schief das alles gehen wird. Feministische Science-Fiction ist sehr vorausschauend und auch immer politisch. Wer daran glaubt, dass das Geschlecht nur ein gesellschaftliches Konstrukt ist, schreibt über eine andere Zukunft als jemand der glaubt, wir hätten mit der heutigen Welt die höchste Entwicklungsstufe erreicht. Warum ist das wichtig? Es ist doch komisch, wie sich Ende der Dreissiger-, Anfang der Vierzigerjahre männliche Autoren die unglaublichsten Technologien und die unglaublichsten Gesellschaftsformen vorstellen konnten – aber eine Zukunft, in der Frauen eine andere Rolle spielen als Hausfrauen oder Prinzessinnen, Dienerinnen oder Prostituierte, haben sie nicht hinbekommen. Dieses Versagen der Vorstellungskraft ist das, was es zu bekämpfen gilt. Durch das Umschreiben der Heldinnenrollen in der Popkultur? Es gab bis vor Kurzem nur drei Heldinnenmodelle: das Schätzchen, die Trophäe und die starke Frau. Mir wird zum Beispiel derzeit die Rolle der starken Frau zugeschrieben. Sind Sie das nicht? Absolut nicht. Ich bin ein sensibler Mensch, arbeite hart, liebe das Nachdenken und bin manchmal mutig – aber stark bin ich nicht. Mit starken Frauen sind immer Frauen gemeint, die Widrigkeiten stoisch ertragen, aber das Patriarchat nicht herausgefordern. Ich bin nicht stark. Ich bin wütend. Können Sie das erklären? Männer sagen oft zu mir: Ich liebe Frauen. Ich liebe meine Mutter, sie war eine starke Frau. Was meinen sie damit? Meine Mutter hat sich nie über ihre Situation beklagt, sie konnte nicht, das Risiko war zu gross. Da denke ich mir: Wow, Jungs, ihr habt überhaupt nicht begriffen, worum es bei der Emanzipation geht.
«Ich bin ein totaler Nerd» – Laurie Penny liebt feministische Science Fiction.
komme aus London, wo Wohlstand unglaublich ungleich verteilt ist. Wer kann, entscheidet sich gegen ein aktivistisches Leben, gründet eine hübsche Familie und pflegt einen eigenen kleinen Garten. Aber damit gehen die Angst und der Schmerz nicht weg. Das Einzige, was sich ändert: Jene, die keine Wahl haben, bleiben alleine zurück. Eine befreundete Aktivistin hat gerade ein Kind bekommen und sie ist arbeitslos. Sie sagte zu mir: Ich werde immer arm sein, und mein Sohn wird immer arm sein. Und ich weiss ganz genau, dass das stimmt. Das macht mich fertig!
Überleben ist mehr als nur die Bewältigung des Lebens, sagen Sie. Wie meinen Sie das? Was tun? Hier geht es weniger um den Feminismus als um die Linken. So vieIch lebe in einer Gemeinschaft von zwölf Menschen, es ist eine Gele Menschen engagieren sich auf der linken Seite. Aber sie messen der meinschaft für arme Leute. Dieser Ort entstand aus Notwendigkeit, es Selbstsorge zu wenig Bedeutung zu und kümmern sich nicht umeinander. Überleben ist der erste Schritt, und ja, das haben viele Linke vergessen. Das ist der «Mit starken Frauen sind immer Frauen gemeint, die Widrigkeiten Grund, warum die Queer-Bewegung so viele stoisch ertragen, aber das Patriarchat nicht herausgefordern. Ich bin Siege errungen hat, trotz all der Scheisse, in nicht stark.» die sie geworfen wurde, inklusive Aids. Sie war verbunden durch das Bewusstsein, dass war kein politisches Projekt. Wir haben einen lebenswerten Platz gekollektives Überleben nicht ein Nebenprojekt ist, sondern das Projekt an braucht, wo wir Spass haben und uns austauschen konnten. Daraus entund für sich. Ich halte dieses Bewusstsein für wichtig und glaube, dass stand ein Ort der Achtsamkeit. Wir betreuen immer wieder junge Mender Feminismus die Linken daran erinnern kann. Aufeinander achtgeschen in Not bei uns, die von überall herkommen. Für sie halten wir ben ist ein wichtiger Akt der politischen Wohlfahrt. einen Raum frei, in dem sie für ein paar Wochen bleiben können, um wieder auf die Beine zu kommen. Das ist wundervoll und für mich ein Was ändert das? Weg, wie man Politik machen sollte. Sich Raum schaffen, Ideen austauWir überwinden damit das System noch nicht, aber wir schaffen die schen und eine gemeinsame Sprache finden ist das, was ich aus der Voraussetzungen dafür. Es ist der erste Schritt. Wir wissen längst, dass Occupy-Bewegung mitgenommen habe. es kein schönes Leben im falschen gibt, nicht einmal in der Schweiz. Ich
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Linke neigen dazu, sich wegen kleiner Un«Heute werden Working Poor in den Jobcentern von Psychologen terschiede zu bekämpfen. Kommt deshalb betreut – als ob ihre Not ein psychologisches Problem wäre und nicht oft keine gemeinsame Sprache zustande? eine Frage des Systems.» Es gibt tatsächlich diese Tendenz, jemanden nicht zu unterstützen oder nicht in seinem NaDas ist das grosse, verheerende Märchen, mit dem unsere Generation men sprechen lassen zu wollen, weil er die falschen Schuhe trägt oder aufgewachsen ist: Der Kapitalismus ist ein Naturgesetz, es gibt keine den falschen Haarschnitt hat. Es gibt immer noch Leute, die denken: Oh, Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern. Wenn du scheiterst, musst ich kann nicht Feministin sein, weil ich gerne Nagellack trage! Ich glaudu dich ändern. Wenn du arbeitslos bist oder depressiv, ist das deine be, so sollte Feminismus nicht sein. Ich bin übrigens viel bekannter hier Schuld. In Grossbritannien haben wir massive Probleme mit Arbeitsloin Berlin oder in Zürich als zuhause in Grossbritannien. sigkeit und noch viel grössere Probleme mit den Working Poor, die zwar arbeiten, aber nicht genug verdienen, um davon zu leben. Jetzt werden Weil die Prophetin im eigenen Land nichts gilt? sie in den Jobcentern von Psychologen betreut – als ob ihre Not ein Ich hätte mein Buch auf Erfolg hin schreiben können, mit weniger psychologisches Problem wäre und nicht eine Frage des Systems. Dass Marxismus und mehr privaten Sexgeschichten. Das habe ich nicht gedie Menschen dies zu glauben begonnen haben, ist eines der ganz grosmacht, und ich bin vom Erfolg überrascht. Jetzt müsste die Frage ja sen Probleme. sein: Was können wir daraus machen, dass jemandem aus der Bewegung ein Megafon in die Hände gegeben wird? Aber ich spüre vor allem Ihr neues Buch hat das Potenzial, dieses Denken aus den Köpfen zu viel Kritik wie: Du tust das alles ja nur für dich. Dabei ist doch alles, was bringen. Erklärt das seinen Erfolg? ich tun kann, mir meines Privilegs bewusst zu sein und vielleicht noch, Die Botschaft des Buches ist: Es liegt nicht an dir! Egal, ob du glückmir Mühe zu geben, kein Arschloch zu sein. lich oder frustriert bist. Es geht um kollektives Handeln. Zu realisieren, dass es nicht deine Schuld ist, dass die Welt am Arsch ist, ist sehr beSie kommen nicht aus der Unterschicht, haben in Oxford studiert freiend. und sind erfolgreich. Zielt die Kritik nicht darauf ab, dass Sie sich als privilegierter Mensch anmassen, im Namen der Armen und UnterIn der Schweiz stellt sich die Frage: Wie werden aus gesättigten drückten zu sprechen? Menschen hungrige oder wütende Menschen? Darf ich mal für eine Sekunde super arrogant sein? Was ich wirklich Geht ihr häufig shoppen? Mir ist bei meinem letzten Besuch aufgegut kann, ist schreiben. Das ist mein Instrument. Wenn ich nicht über fallen, dass Zürich voller Geschäfte ist und einkaufen eine HaupttätigFeminismus schreiben würde, würde ich über ein anderes Thema keit zu sein scheint (lacht). Die Wahrheit ist doch: Du wirst nie genug schreiben, und auch da würde ich dafür sorgen wollen, dass meine GeZeug haben, um das Loch zu füllen. Egal ob in deiner Karriere oder deischichten möglichst viele Menschen erreichen. Man wählt seine wirner Idee von romantischer Liebe, es wird nie genug sein, weil nicht vorkungsvollsten Waffen. gesehen ist, dass es je genug ist. Selbst wenn du erkannt hast, dass es grössere und wichtigere Dinge gibt, als noch mehr Kleider zu kaufen, roAber was ist mit den Menschen, die Ihre Waffe nicht haben, die nicht mantische Liebe oder Schönheit, kannst du diesem Sog nach noch mehr die Möglichkeit haben, ihre eigene Geschichte zu schreiben? kaum entkommen. Das ist sehr beängstigend. Das ist doch genau, wofür Journalismus da ist: im Gespräch mit Menschen zu sein, die dieses Instrument oder diese Plattform nicht haben. Am Ende Ihres Buches schreiben Sie, dass wir unsere Geschichte Wer politische Geschichten schreibt, muss natürlich aufpassen, nicht nicht nur selber schreiben müssen, sondern auch, dass wir Geanmassend zu sein, nicht Geschichten von anderen zu seinen eigenen schichten umschreiben müssen. Wie meinen Sie das? zu machen. Aber wer sich dafür entscheidet, diese Geschichten nicht zu Ebenso wichtig wie das Schreiben neuer Geschichten ist das Umschreiben, muss aufpassen, nicht völlig irrelevant zu sein. Man sollte schreiben all dieser alten Geschichten über Liebe, Gemeinschaft und das Risiko eingehen, Fehler zu machen. Macht. Ich werde oft gefragt, ob das ein neuer Feminismus sei, den ich vertrete. Nein, ist es nicht, es sind die gleichen Fragen, vielleicht in eiZurück zu den Menschen ohne Ihre Waffe. ner anderen Sprache formuliert als derjenigen von Simone de Beauvoir. Gibt es sie denn wirklich noch? Es gibt heute so unendlich viele MögEs gibt viele neue Fragen, Probleme äussern sich auf neue Weise, aber lichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, die es vor wenigen Jahren noch die alten Probleme sind immer noch nicht gelöst. Das ist die Herausfornicht gegeben hat. Selbst wer kein Dach über dem Kopf hat, kann einen derung für den Feminismus, überhaupt für linke Anliegen: zu versuBlog starten und ist potenziell mit Millionen Smartphone-Usern verchen, die gleichen Dinge zu sagen, wie sie immer schon gesagt worden bunden. Bis vor Kurzem ging es in England nur so, wenn man etwas zu sind, aber auf eine neue und spannende Art, die auch verstanden wird. sagen haben wollte: Man studierte in Oxford oder Cambridge, knüpfte Kontakte, wurde zuerst Journalist und dann Kommentator, dem ein öfWie gehen Sie um mit dem Glück, ein privilegiertes Leben leben zu fentliches Urteil erlaubt ist. Das ist vorbei. Jeder Videoblog oder Podcast können, ohne Angst zu haben, Ihre Wut zu verlieren? von jeder und jedem kann morgen einschlagen. Jeder ist berechtigt, glücklich zu sein. Es ist wichtig zu lernen, sein Glück zu akzeptieren. Versucht es! Die Wut wird immer wieder neu aufDas heisst: Alle haben das Werkzeug, ihre eigene Geschichte zu flammen. schreiben? ■ Ja, jeder, der ein Smartphone hat, hat das Werkzeug dazu. Ich kenne Leute, die buchstäblich nichts haben ausser einer Matratze in einer Abstellkammer – und einem Laptop. Viele Leute verstehen nicht, wie viel Macht sie damit haben. Die Menschen glauben doch einfach nicht mehr daran, etwas verändern zu können. Der Sieg des Neoliberalismus: Jede und jeder sucht den Grund für das Scheitern bei sich selbst – und wird entmutigt. SURPRISE 355/15
Laurie Penny: Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution. Nautilus 2015
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Freunde, die sich in den Dreissigerjahren gemeinsam über Wasser hielten und politisch Haltung zeigten: Philipp Seidenberg (Mitte) und Nemo (rechts).
Sozialgeschichte Arbeitslos im Niederdorf Philipp Seidenberg hat in den Dreissigerjahren nicht nur die erste Arbeitslosenzeitung der Schweiz verkauft. Er war auch ein umtriebiger Mensch, der das Zürcher Niederdorf veränderte. Vor knapp 15 Jahren hat Philipp Seidenberg seine Erinnerungen unter dem Titel «Experiment Leben» aufgeschrieben. Sein Sohn Daniel Seidenberg hat sie zusammengestellt und redigiert, eine 140 Seiten lange Sammlung von Episoden, die bisher unveröffentlicht ist. Der Vater schildert unter anderem seine Zeit als Arbeitsloser in den Dreissigerjahren, in der Zeit der Massenarbeitslosigkeit im Zuge der Weltwirtschaftskrise: Er verkaufte – als einziger Verkäufer – um 1938 die Publikation Kulturspiegel auf der Strasse, ganz ähnlich den Surprise-Verkaufenden heute. Philipp Seidenberg zieht in seinem Text den Vergleich zu den «Arbeitslosenzeitungen» selber – zu einem Zeitpunkt, kurz nachdem Surprise 1997 ins Leben gerufen worden war. Der Kulturspiegel ist auf der Zürcher Zentralbibliothek zwar mit einem Eintrag vermerkt, aber es sind keine Ausgaben abgelegt. Die Kopien, die Surprise vorliegen, hat der Redaktor Johann Peter Scherer – genannt Nemo – vor seinem Tod seinem Neffen übergeben. Es handelt sich um die ersten beiden Ausgaben dieser «Zeitung für freie Meinungs-
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äusserung». Die Publikation war eine politische, «frontgegnerische» – wie die Zentralbibliothek in ihrem Eintrag vermerkt – Stimme und ein Selbsthilfeprojekt einiger Freunde aus dem Künstler- und Arbeitermilieu. Herausgeber war Fritz Escher, laut Daniel Seidenberg zeitweise Arbeitgeber seines Vaters und Gewerkschaftschef. Escher war von Beruf Parteisekretär und in den Fünzigerjahren Berichterstatter der Sozialdemokratischen Partei aus Bern. Er stand in Kontakt mit Leuten wie Edy Meyer, der als umtriebiger Sozialist bekannt und gut vernetzt war. Philipp Seidenberg sei ein Schulversager gewesen, erzählt sein Sohn Daniel beim Gespräch im Zürcher Café Zähringer im Niederdorf, unweit der verschiedenen Antiquariate, die sein Vater später geführt hat. Er machte nach der Schule zunächst eine Coiffeurlehre, wollte aber Schauspieler werden und hatte auch bereits gewisse Erfolge mit Auftritten an der Zürcher Volksbühne. Er sei mit Kurt Früh befreundet gewesen, und Therese Giehse habe ihn gefördert. Früh und Giehse machten beide auch politisches Kabarett: Früh arbeitete sowohl für das Cabaret CorniSURPRISE 355/15
chon als auch für Die Pfeffermühle, die Giehse zusammen mit Erika und Klaus Mann und Magnus Henning gegründet hatte. Philipp Seidenberg war nicht nur Jude, sondern auch ein politischer Mensch und versuchte mit den Mitteln des Theaters während der Zeit des Nationalsozialismus Stellung zu beziehen. Doch leben konnte er davon nicht. Auch als Coiffeur war er einige Zeit arbeitslos, wurde vom Arbeitsamt zu Kurzeinsätzen beordert und verkaufte den Kulturspiegel. Innovation im Antiquariat «Mein Vater hatte Minderwertigkeitsgefühle und musste sich wahnsinnig überwinden, die Zeitung verkaufen zu gehen», sagt Daniel Seidenberg. «Gleichzeitig hatte er ein grosses Verantwortungsgefühl. Er wohnte mit seiner Schwester zusammen und musste jeden Tag die fünf Franken auftreiben können, die sie zum Überleben brauchten.» Die meisten seiner Bekannten waren ebenfalls arbeitslos. Daniel Seidenberg lernte den ehemaligen Redaktor des Kulturspiegels später persönlich kennen: «Nemo war ein Mann, der immer am Existenzminimum lebte und nur mithilfe von Freunden überlebte», sagt Daniel Seidenberg. «Er hatte einen schwierigen familiären Hintergrund und war mit seiner Familie zerstritten. Als sein Neffe nach seinem Tod den Nachlass sichten
sollte, erwartete ihn ein enges kleines Zimmer, das verwahrlost aussah. Der Name Nemo – lateinisch für Niemand – war irgendwie passend.» Er schaffte es – vermutlich aufgrund seiner persönlichen Probleme – nie, sich eine finanziell gesicherte Existenz aufzubauen. Er schrieb Texte als Journalist und als «Pamphletist», wie er in einem persönlichen Brief vermerkt, und verfasste Romane, die veröffentlicht wurden. Philipp Seidenberg entschied sich aus der Arbeitslosigkeit heraus, selbständig zu werden. Wegen seiner Leidenschaft für die Kultur war auch klar, dass er es als Antiquar versuchen wollte. Er las selber viel und holte so auch sein Bildungsmanko auf. Ganz nebenbei revolutionierte er die Verkaufstraditionen im Buchhandel: Waren bisher die erhältlichen Bücher im Schaufenster mit Rückwand ausgestellt, die den Passanten den Blick ins Geschäft verwehrte, liess er diese einfach weg. Und bestellte man die Bücher bislang wie in einer Apotheke am Tresen, ohne darin blättern zu dürfen, lud Seidenberg zum Schmökern ein. Seidenberg wurde im Zürcher Stadthaus 2011 als «Stiller Macher» gewürdigt: Als Gründer der «Unternehmer Gemeinschaft Niederdorf» prägte er das Niederdorf. Er initiierte den Rosenhofmarkt und das erste Altstadtfest und erkämpfte eine autofreie Fussgängerzone. Ende Januar dieses Jahres ist er im Alter von 97 Jahren gestorben. (dif) ■
Experiment Leben Auszüge aus der unveröffentlichten Autobiografie von Philipp Seidenberg nig zum Leben, aber andere hatten noch weniger. So kam es, dass unAls Coiffeur hatte ich keine regelmässige Arbeit, ausser an den Samssere Freunde, wie Nemo, noch etwas von uns abbekamen. Ja, die Zeiten tagen, ausgerechnet an den Tagen also, an welchen ich jeweils auch waren hart, wenn man bedenkt, dass Ausgesteuerte damals wirklich völTheater spielen konnte. Weiterhin stempeln? Das war nicht nach meilig ausgesteuert waren und ein Teil meiner damaligen Freunde in feuchnem Geschmack. Ich überlegte darum, welche Möglichkeiten ich sonst ten, kalten Neubauten nächtigten, die zum Austrocknen leer standen. noch hätte. Meine Freunde hatten sich eine Künstler-Zeitung ausgedacht, die monatlich erschien, den Kulturspiegel. Geldgeber und Kopf «Nicht hier, noch etwas weiter» des Unternehmens war Fritz Escher, mein ehemaliger Coiffeurmeister Also, ich bemühe mich, unsere Zeitung, den Kulturspiegel, ein und Chef der Gewerkschaft. Der Kulturspiegel war politisch neutral, scheinbar unnützes Unikum, zu verkaufen. Jedesmal, wenn ich mich aber sozial engagiert. Redakteur und einziger Journalist in einer Person von meiner sicheren Behausung am Neumarkt 7 in Zürich losreisse und war mein Freund Johann Peter Scherer, der von seinen Freunden nur vom sicheren, selbstgezimmerten Bettchaiselongue aufstehe, empfinde Nemo (lateinisch: Niemand) genannt wurde, seit er spasseshalber einen ich einen Schrecken im Bauch, fühle mich krank und verkrampft wegen Artikel mit diesem Pseudonym unterschrieben hatte. Nemo liess mich meiner furchtbaren Schüchternheit, gestaucht von Minderwertigkeitseinen Teil der Vorarbeiten einsehen, worauf ich der Verkäufer der Zeiängsten, im Bewusstsein, nun mir fremde Menschen ansprechen zu tung wurde, ihr einziger übrigens. Heute gibt es auch wieder eine Armüssen, unsere Zeitung anzubieten, anzupreisen mit irgendwelchen Arbeitslosenzeitung. Wirklich, ich beneide sie nicht, die heutigen Verkaufenden, auch wenn sie das Exemplar zu fünf Franken absetzen. Wir haben nur bescheidene Jedesmal, wenn ich mich von meiner sicheren Behausung am Neumarkt 7 in 20 Rappen verlangen können, na ja, sonst hätZürich losreisse, empfinde ich einen Schrecken im Bauch, im Bewusstsein, ten wir ja auch nie etwas verkauft. Meistens nun mir fremde Menschen ansprechen zu müssen. waren es solche mit kleinem Verdienst, aber gutem Herzen, die unsere Zeitung kauften, gumenten oder Hinweisen auf deren Inhalt. Harte Haut bekam ich nie, aber auch solche, die neugierig auf etwas Spezielles waren, das sie hier wohl aber sehr häufig mittlere bis schwere Depressionen. Doch ich blieb zu finden hofften. Um überleben zu können, musste ich für mich und neugierig. Auch im tiefsten Tiefpunkt entwickelte ich neuen Mut und meine Schwester pro Tag fünf Franken verdienen. Beim Zurückdenken Lebenswillen, um meine beziehungsweise unsere Lebensbedürfnisse sian mein Zeitungsverkaufen muss ich sagen, dass es anstrengend war cherzustellen. und leider auch entnervend. Denn solch eine Zeitung zu lancieren und Unser Redaktor Nemo will einmal mit mir zusammen verkaufen gezu verkaufen, war Neuland und kam für viele gleich nach dem Betteln. hen. Es ist kalt draussen und nasser, matschiger Schnee liegt auf der Für's Überleben war Regina, meine Schwester, zuständig. Eine KünstStrasse. Ich in meinem neuen dünnen Trenchcoat, die Schuhsohlen ablerin darin, preisgünstiges, geldsparendes Essen zu produzieren wie getragen und schon durchlässig. Ich werde wieder nasse Füsse bekomChabis (Kohl), Polenta, Spaghetti, manchmal etwas Fleisch, meist Innemen. Aber nun will ich los, wirklich. Wir beide, die Treppe hinunter, stereien aus der «Kalbshaxen-Moschee» (Fleischhalle) und natürlich Karhen nun vor dem Haus. Zuerst bestehe ich darauf, bei der nächsten toffeln in allen Variationen. Nicht zu vergessen das geschenkte Gemüse Gelegenheit zu verkaufen. Hier, gleich nebenan im Restaurant, will ich von der Frau im zweiten Stock mit den klappernden Zähnen und dem beginnen. Nemo murkst herum, auch er muss Hemmungen überwinfreundlichen Lächeln, das sie immer für uns hatte. Wir hatten sicher weSURPRISE 355/15
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den. Also fragt er mich schockiert: «Willst du wirklich gleich vor dem Haus anfangen? Komm,» sagt er, «wir gehen noch etwas weiter.» Und wir gehen weiter und immer wieder weiter. Nemo: «Nicht hier» und Nemo wieder: «Noch etwas weiter», und immer wieder Nemo, aus irgendwelchen Gründen: «Weiter». Ich sehe ein, auch er schreckt zurück vor dem Verkaufenmüssen. Noch ist kein einziges Lokal aufgesucht worden. Schliesslich sind wir schon zwei Kilometer gelaufen und bereits am Ende der Stampfenbachstrasse angelangt. Das Restaurant Krone ist erreicht, danach würden wir in eine aussichtslose Zone kommen, ohne jede Verkaufsmöglichkeit. Nun, ich kann Nemo verstehen, aber ich muss für mich und meine Schwester zumindest unseren Tageslohn beschaffen. Darum bleibe ich stehen und sage entschlossen: «Ich drehe jetzt um, denn von hier an sehe ich keine Verdienstmöglichkeit mehr.» Er kleinlaut: «Also, geh du allein, ich kann nicht Zeitung verkaufen.» Also ziehe ich allein los.
für Bühnenauftritte. Er hatte die wichtige Aufgabe, uns Bühnenauftritte zu organisieren bei der Gewerkschaft, den Sozialdemokraten, den Kommunisten und allen übrigen Arbeiterorganisationen. Wir unterhielten uns auch über Ruedi Walter und über Stubsi, also Margrit Rainer, die vor meiner Zeit in der Volksbühne agiert hatten, aber auch über Kurt Brunner, der von Kurt Früh sehr favorisiert wurde. Früh bevorzugte Brunner, weil er für gewisse theatralische Abläufe gut trainiert war und so politische Probleme im Dialog interessant darzustellen vermochte. An der Ecke Langstrasse-Zeughausstrasse war ein Lokal, wegen seiner Grösse bestens geeignet für ein Cabaret. Bei dem Versuch, hier im Arbeiterviertel ein Cabaret zu etablieren, war auch Dr. Lesch vom bekannten Cabaret Cornichon im Hintergrund mit dabei sowie Gody Suter als Texter. Der Versuch hatte kurze Beine, die Behörden subventionierten damals noch keine solchen Projekte. Ebenso erging es dem Cabaretprojekt von Kurt Früh, welches schon nach einer Woche, ebenfalls wegen Geldmangel, in die Hose ging. Die Volksbühne, welche von allen, von den Naturfreunden der Sozialdemokratischen Partei bis zur Gewerkschaft und den Kommunisten, jeweils gerne für alle ihre Veranstaltungen eingesetzt wurde, brachte Texte von Früh, Brecht und tschechischen Autoren zur Aufführung. Meine Welt, die sogenannte Linke, war bevölkert mit Menschen, die durchaus bereit waren, den Kopf für den Erhalt einer Demokratie hinzuhalten, sich zu Gunsten von Menschen und Menschenwürde einzusetzen und haben dieses dann auch im Spanischen Bürgerkrieg mit dem
Verkaufserfolg in Winterthur Ein andermal kommt Escher, mein ehemaliger Chef, mit nach Winterthur. Er, der Coiffeurmeister und Herausgeber, will sich selber ein Bild davon machen, wie sich sein Produkt verkaufen lässt. Wir gehen zuerst ins Restaurant Cooperativa. Winterthur in den Dreissigerjahren ist eine richtige Arbeiterstadt mit einer selbstbewussten Arbeiterschaft. Die Leute stehen dazu und verteidigen ihre Rechte. Sie spüren auch sofort unsere Tendenz zum Arbeitenden hin und honorieren dies, indem sie alle, fast ohne Ausnahme, das Blättchen kaufen. Wir haben richtig alle Hände voll zu Am Mittagstisch haben sie fleissig den Herrn Jesus zu Gast gebeten, aber tun und ich darum bald meinen Tagesverdienst ehrlich, der ist nicht gekommen. Ich kann ihn gut verstehen. Mich haben sie im Sack. Auch Escher hat fleissig verkauft und jedenfalls um den ganzen Lohn geprellt. bestellt grosszügig für uns je eine kleine Portion Spaghetti. Übermütig geworden und imRisiko für Leib und Leben bewiesen. Unser Tun wurde nicht immer mer noch hungrig nach Spaghetti, bestelle ich eine zweite Portion für verstanden, geteilt oder gar mitgetragen von den sogenannten guten mich zum Preis von Ein-Franken-Fünfzig. Mit grossem Vergnügen verBürgern, die man wahrscheinlich nicht in den Fichen der Bundespolizei tilge ich sie, doch ein wenig ein schlechtes Gewissen meiner Schwester findet, den biederen Eidgenossen, darunter solchen, die ganz blauäugig gegenüber habe ich schon. Aber wirklich, Winterthur ist mit mir an diesogar mit braunem Terror, dem Antisemitismus Hitlers und der katholisem Tag freundlich gewesen, ich habe ohne Schwierigkeit mehr als das schen Kirche liebäugelten. Tagessoll eingenommen. Doch realistisch gesehen brachte der ZeitungsHaro war idealistisch und wie Ruedi Walter, Stubsi und andere Künstverkauf nicht genug, um damit das zu verdienen, was für die dringenler mit seinen pianistischen Fähigkeiten an der Volksbühne aktiv. Unseden Anschaffungen wie Kleider oder ähnliches nötig gewesen wäre. Ich re VoBü, wie wir sie nannten, war eine Amateurbühne mit avantgardismusste einsehen, dass ich dies zu ändern hatte. tischen Aspekten, zu dieser Zeit in der Hauptsache mit Texten von Kurt Die Dreissigerjahre und ihre Arbeitslosigkeit zeigten auch bei den bilFrüh und mit Bert Brechts Versuchen. Brecht und seine Tochter kamen ligsten Arbeitskräften, den Lehrlingen, ihre Krallen. Ich hatte zudem das uns ab und zu an unserem Arbeitsort an der Sihlporte besuchen. GearHandicap, keine Sekundarschule besucht oder gar abgeschlossen zu habeitet, das heisst geprobt, wurde sehr oft, und das ausserordentlich ben. Es gab ja eigentlich nur noch zwei Berufe, die Lehrstellen anboten: intensiv, exakt und seriös, manchmal jeden Tag nach Laden- und ArCoiffeur oder Schuhmacher. Also machte ich, ein Jahr, nachdem ich aus beitsschluss. Die Texte behandelten die sozialen und politisch-aktuellen der Schule war, mein «Glück» und lernte den von mir ungeliebten, staZeitprobleme, in Anlehnung an die deutschen Bühnen. Die Volksbühne cheligen, haarigen Coiffeurberuf, der mir die nötige finanzielle Grundhatte auch künstlerische Verbindungen zu linken Intellektuellen in der lage schaffen sollte, um Theater spielen zu können. Grosse Mühe gab Tschechoslowakei. ich mir, ein braver Lehrling zu sein, denn der Beruf sollte mich nähren, Haro Rotter wollte einmal von meiner Schwester Regina und mir wismir die nötige Pinkepinke beschaffen helfen, so wie es mir der Konditor sen, welche realen Pläne wir für die Zukunft hätten. «Schau», sagte ich und Schauspieler Emil Hegetschweiler vormachte, der neben seinem Bezu ihm, «das wissen wir eigentlich auch noch nicht. Vorläufig einfach ruf geschauspielert hatte. Arbeit zu bekommen war zeitgemäss sehr irgendwie Geld verdienen, finanzielle Selbstverantwortung übernehmen schwierig. Und Coiffeure gab es wie Flöhe auf einem Hund. und den Vater in dieser Hinsicht entlasten.» Damals waren wir noch fest von unseren Möglichkeiten überzeugt. Ich wollte Theater spielen und Die linke Zürcher Theaterszene meine talentierte Schwester Regi wollte ihre Fähigkeit als GrotesktänzeHaro ist, wie er sagte, zu einem kurzen Besuch aufgekreuzt. Seinen rin vertiefen und auch finanziell nutzen. kritischen, doch verständnisvollen Blick konnte ich verstehen. Gelacht hat er, aber sich nicht lustig gemacht über unsere einfache Einrichtung. Im Auftrag des Arbeitsamtes Doch gewundert hat er sich trotzdem und konnte die glückliche VerIch erinnere mich an einen eintägigen Auftrag an einem Samstag als wandlung des ehemaligen Bügelbrettes zu einem Tisch für vier Leute Aushilfe in Affoltern am Albis. Der Auftrag kam vom Arbeitsamt, die kaum glauben. hatten immer mal wieder einen. Es regnete, nein, es nieselte ganz fein. Wir haben uns hingesetzt und geredet. Unter anderem sprachen wir Ich konnte und wollte aber nicht kneifen, obwohl solche Kurzaufträge über die Volksbühne von Kurt Früh, für welche jener die Texte selbst eher ein Verlustgeschäft waren. Menschlich gesehen war dieser dann schrieb und Regie führte, und über den verantwortlichen Organisator
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aber doch ein Gewinn. Ich fuhr, um nicht teures Fahrgeld zu verschwenden, mit dem Fahrrad nach Affoltern. Der Nieselregen hatte mir zugesetzt, ich war nasser als nass, bis auf die Haut also, nasser wäre nur möglich gewesen, wenn ich stundenlang in einem Brunnen gebadet hätte. Nun, der Chef und seine Frau hatten schrecklich Mitleid mit mir und meinten, ich müsse mich zuerst einmal abtrocknen, gaben mir trockene Unterwäsche und Hosen und sagten, sie würden mein Zeug zum Trocknen aufhängen. Nachdem ich dann gemütlich Kaffee getrunken hätte, solle ich doch einfach hinunter in den Laden kommen. Ich war ganz gerührt, so etwas war mir noch nie passiert, und so war ich den ganzen Arbeitstag über in Sonntagsstimmung. Ein andermal das Gegenteil – vierzehn Tage frömmelndes Dänikon. Am Mittagstisch haben sie fleissig den Herrn Jesus zu Gast gebeten, aber ehrlich, der ist nicht gekommen. Ich kann ihn gut verstehen, vielleicht hat er dort auch schon schlechte Erfahrungen gemacht. Mich haben sie jedenfalls um den ganzen Lohn geprellt. Sie hätten nicht genug Geld zur Hand, sie würden es mir schicken. Es kam aber nichts, ich hätte vor Gericht gehen müssen. Dann ein kleines, sauberes Geschäft an der Motorenstrasse im Zürcher Industriequartier, das einem Italiener gehörte. Er konnte kein Deutsch, sondern sprach nur Italienisch, welches ich wieder nicht konnte. Aber wir haben uns trotzdem gut, ja sogar sehr gut verstanden. Ich habe dort noch oft zur gegenseitigen Zufriedenheit Samstagsaushilfe gemacht. Er war ein richtiger Quereinsteiger, einer, der sich das Berufswissen und Können selbst beigebracht hatte. Das Essen bei und mit ihm hat mir die Italianità, die italienische Lebensart, näher gebracht. Sein mit Können zubereitetes Essen mit Wein und die meist vergnügten und freundlichen Kunden kann ich nicht vergessen. Viele, viele weisse Bohnen Dann noch ein Abenteuer, eine Stelle vom Arbeitsamt als Aushilfe an Hier verkaufte er mit 20 Jahren den Kulturspiegel: Seidenberg im Niederdorf. einem Dorffest in Siebnen-Wangen, mit Morgen-, Mittag- und Abendessen sowie Übernachtungen. Das ganze Dorf sei angemeldet, viel Arbeit sei zu tun, das wäre jedes Jahr so zur Fasnachtszeit. Also früh aufstehen, warum nicht, ich war kein Morgenmuffel. Am Mittag gab es weisDarin bemerkte ich, ich hätte bei meiner Arbeit einen zweimal Schnelse Bohnen und abends wieder weisse Bohnen, mit einer freundlichen leren drauf als der Meister, dieser sei ein langsamer Hund. DummerNachfrage, ob mir diese geschmeckt hätten. Ja, doch, es habe gut, sehr weise hatte ich den Brief offen oben auf dem Tisch im Zimmer liegen gut geschmeckt. Nun, warum denn nicht, ich hatte weisse Bohnen sehr gern, und was sollte Brecht und seine Tochter kamen uns ab und zu an unserem Arbeitsort an der denn auch dagegen sprechen, falls wir die Sihlporte besuchen. Geprobt wurde sehr oft. Die Texte behandelten die soauch noch am Abend zum Essen bekommen zialen und politisch-aktuellen Zeitprobleme. würden? Darum sagte ich freundlich, ich könnte das jeden Tag wieder essen. Das hätte ich nicht so leichthin sagen dürfen. Denn mein Gastgeber sagte nun, lassen. Wieder an der Arbeit, sagte der Chef, er wolle sich nun ebenfalls dass sie dieses Jahr sehr, sehr viele weisse Bohnen geerntet hätten. Aletwas ausruhen gehen, und verschwand für einige Zeit. Danach legten so gab es jetzt zu jeder Mahlzeit viele, viele weisse Bohnen. Aber bitte, wir nun beide kräftig bei der Arbeit zu, und es zeigte sich, dass wir erst ich habe sie heute immer noch zum Fressen gern. etwas nach Mitternacht fertig waren, was besagen will, dass das ganze Wie war das mit der Stressarbeit zur Fasnachtszeit? Also, das GeDorf, nun gut geschnitten und frisiert, in unserem Coiffeursalon geweschäft war noch nicht offen und schon standen die Kunden an. Es ging sen war. Seit seiner Ruhepause war der Chef in seinem Gehabe etwas alles nach alter Väter Sitte. Immer schön der Reihe nach, ein Kunde ferverändert. Ich hatte den Verdacht, er hätte meine Dummheit gesehen tig, «der Nächste bitte». Alles wartete geduldig, bis man an der Reihe und wäre deshalb verschnupft. Nun, mir lag nichts an dieser Stelle oder war. Es hat mir Spass gemacht, viel Arbeit und speditives Vorwärtsgar daran, noch einige Tage länger hier zu verweilen. So schieden wir, kommen. Das hat man in den Dreissigerjahren noch als Norm von den der Herr Coiffeurmaestro und ich, beide sehr, sehr freundlich voneinanZürcher Coiffeuren verlangt, denn wenn schon einmal Kunden da wader, nachdem er mir gesagt hatte, er brauche mich nun leider wirklich ren, musste geschoren werden. Nun, ich war fast immer schneller als nicht mehr, jetzt, da die Mords-Fasnachts-Coiffeur-Arbeit gemacht sei, der Meister und irgendwie nervte mich das. Der nächste Tag war der und er lachte. Er danke mir herzlich, er sei mit mir sehr zufrieden geletzte vor der Fasnacht und ein grosser Stress für mich, da mich das wesen. Nun, das war mir ja recht so. Nach dem Frühstück verabschielangsame Tempo des Meisters reizte. So um die Mittagszeit, als der Kundeten wir uns gesittet, und ich wünschte ihm eine schöne Fasnacht. ■ dendruck für kurz nachliess, dann das Essen im Hinterzimmer. Aufgetragen wurde wieder das frugale Bohnenmahl. Nach dem Essen sagte der Meister zu mir, ich solle mich ein wenig ausruhen, also ging ich auf mein Zimmer. Ich wollte mich eigentlich auch wirklich ausruhen, aber dann begann ich einen Brief an meine Schwester Regina zu schreiben.
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Sozialgeschichte «Arbeitslosigkeit galt immer als persönliches Versagen» Hans Ulrich Jost, Honorarprofessor für Zeitgeschichte an der Universität Lausanne, ist ein ausgewiesener Kenner der Schweizer Sozialgeschichte. Er hat für uns die Auszüge aus Philipp Seidenbergs Memoiren gelesen.
Heute versteckt man es eher, wenn man arbeitslos ist. War es in der Zeit der Massenarbeitslosigkeit normaler, keinen Job zu haben? Arbeitslosigkeit galt in der Schweiz schon immer als persönliches Versagen. Man kann nicht sagen, dass man in den Dreissigern offener dazu gestanden wäre. Das hat auch dazu geführt, dass die Statistik nicht so genau ist. 1936 hatte man mit 93 000 gewisse Spitzen, aber das wären statistisch gesehen nur 5,7 Prozent der Bevölkerung gewesen. Dahinter verstecken sich viele, die ihre Arbeitslosigkeit nicht gezeigt und auch nicht gemeldet haben, vor allem Frauen. Man hat diese Phase selber zu überbrücken versucht. In den grossen Städten mit den Gewerkschaften konnte man die Arbeitslosigkeit offener zeigen, aber die Schweizer Wirtschaft bestand schon immer aus Klein- und mittleren Unternehmen. Das war eine kleine Welt, in der zum Beispiel Uhrenarbeiter sogar eher noch gratis arbeiteten, als auf die Strasse gestellt zu werden. Es war nicht so, dass Arbeitslosigkeit als normaler Zustand empfunden worden wäre. An einer Stelle im Text heisst es: Wenn man ausgesteuert war, war man wirklich ausgesteuert. Gab es damals keine Sozialhilfe? Es gab keine generelle Gesetzgebung für die Sozialhilfe oder Arbeitslosenunterstützung. 1951 wurde zwar ein Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung gemacht, aber es beinhaltete nur eine fakultative Arbeitslosenversicherung. Das Obligatorium der Arbeitslosenversicherung datiert von 1976. In den Dreissigerjahren halfen einerseits die Gewerkschaften mit ihren Arbeitslosenversicherungen, während anderseits eine Unterstützung von den Unternehmern selber oder von der Gemeinde organisiert wurde. Aber sie war sehr uneinheitlich, und die Leistungen waren beschränkt. Man war schnell ausgesteuert, bei der Versicherung wie auch bei den Sozialleistungen. Wie schnell? Das war je nach Gemeinde und Kanton sehr unterschiedlich. In den Dreissigerjahren hatten St. Gallen, Schaffhausen, Baselland, Basel-Stadt und Solothurn bereits obligatorische Arbeitslosenkassen. Aber oft musste man zusätzlich Armennützigkeit bei privaten Organisationen beantragen. 1936 wurde zum Beispiel die Winterhilfe für Arbeitslose geschaffen. Private Organisationen halfen jenen, die überhaupt keine soziale Unterstützung mehr hatten, über die Runden zu kommen. Aber das war reine Philanthropie. Trotzdem die Solidarität im allgemeinen nicht grösser war als heute, half man aus reiner Menschenliebe? Ja, und sie war der wesentliche Beitrag dazu, dass die Menschen nicht komplett aus der Gesellschaft herausgefallen sind. Seit dem 19. Jahrhundert hätte die Situation in Krisenzeiten viel bedenklicher ausgeSURPRISE 355/15
sehen, wenn nicht die philanthropischen Leistungen sowie die Hilfskassen der Gewerkschaften bestanden hätten. Der Kulturspiegel wuchs aus Künstlerkreisen heraus, man war vernetzt mit Sozialisten. Was war die Linke damals in der Schweiz? Die Aufzeichnungen zeigen eine lebendige Soziabilität in den linken Kreisen, unter Künstlern, aber auch unter den arbeitslosen Arbeitern, die oft auch eine künstlerische Berufung in sich spürten. Dazu gehörten auch kommunistische, anarchistische Kreise. Zu diesen Kreisen zählte auch das Cabaret Cornichon oder Die Pfeffermühle, an der deutsche Emigranten beteiligt waren. Es gab hier eine linke Kultur, aber auch in Genf, in La Chaux-de-Fonds und in Neuchâtel. Die dominante Kultur dagegen war rechts, nationalistisch, patriotisch. Bundesrat Philipp Etter propagierte in seiner sogenannten Kulturbotschaft von 1938 eine gänzlich rechtslastige, «völkische» Kultur. Dahinter standen das Bürgertum und auch die grossen Schriftsteller. Der Schweizerische Schriftstellerverband war völlig auf dieser nationalkonservativen Linie. Damit war man nicht sehr weit weg vom Kulturverständnis von Nazi-Deutschland. Die linke Kultur machte einen kleineren Teil aus. Was heisst das nun für eine Publikation wie den Kulturspiegel? Es ist eindeutig, dass er zu dieser linken Avantgarde gehörte. Die Zeitung ist sehr interessant. Sie zeigt, wie lebendig die linke Kultur war. Der Kulturspiegel hat etwas Subversiv-Spielerisches und war eine «Zeitung für freie Meinungsäusserung». Trotzdem schreibt Seidenberg, er sei politisch neutral gewesen. Er bindet sich nicht an Parteiparolen, diesbezüglich war er politisch neutral. Auch das Cabaret war oft parteipolitisch neutral, aber antifaschistisch. Neutral hiess aber nicht, dass man sich der rechten bürgerlichen Kultur untergeordnet hätte. Davon findet man keinerlei Spuren in dieser Zeitung. Die Kulturschaffenden waren nicht dogmatisch-ideologische Leute. Sie hatten eine Sensibilität für soziale Fragen, und ihr gemeinsamer politischer Nenner war der Antifaschismus. Sie setzten sich auch für die Arbeitslosen ein. War explizite Kritik gegen Nazi-Deutschland möglich? Die Abgrenzung gegen den Faschismus sowohl in Italien als auch gegen den Nationalsozialismus ist im Kulturspiegel klar erkennbar. Der Artikel über Hitlers Frauen ist ein polemischer Artikel, der aber sehr gut recherchiert ist. Wenn man damals so etwas schrieb, konnte man es nur als Kritik an Hitler verstehen. ■
Hans Ulrich Jost, 1940 in Biel geboren, war Offizier der Schweizer Armee und Kampfjetpilot. Er versteht sich als kritischer Historiker und hat sich sowohl mit der Geschichte des Sozialismus als auch mit der Schweizer Kulturpolitik auseinandergesetzt.
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Herr Jost, in Philipp Seidenbergs Texten wird geschildert, wie sich arbeitslose Freunde gegenseitig halfen, obwohl die meisten selber nicht viel hatten. War diese Solidarität typisch für die Krise in den Dreissigerjahren? Es war nicht generell so, dass man sich in dem Ausmass gegenseitig half. Aber vor allem in politisch aktiven und Künstlerkreisen und unter Gewerkschaftern entwickelte sich eine gewisse Solidarität. In der Krise waren viele soziale und gesellschaftliche Gruppierungen sehr aktiv, auch die Arbeitslosen selber.
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Kinderarbeit Stolz auf den Job Kinderarbeit ist Ausbeutung und muss weltweit bekämpft werden. Dies ist das Credo vieler NGOs und scheint angesichts von Bildern schuftender Minderjähriger in Minen offensichtlich. Was aber, wenn Kinder Gewerkschaften gründen und für ihr Recht auf Arbeit kämpfen?
VON GEORG WIMMER
tete betrachten. Sie gelten im Gegenteil als besonders tüchtig. Bei den Kindern im globalen Süden hingegen geht es häufig nicht um ein besseres Taschengeld – obwohl auch dort Anschaffungen wie neue Sportschuhe, ein Handy oder ähnliches durchaus Motive sein können, um eine Zeit lang zu arbeiten. Dank der Städte- und Universitätspartnerschaft Salzburg-León konnte ich Nicaragua dreimal besuchen. Viele Reisen und prägende Begegnungen in weiteren Ländern Lateinamerikas folgten. Im argentinischen Buenos Aires beispielsweise traf ich Christián Yulan, einen aufgeweckten 13-jährigen Strassenverkäufer mit blitzsauberem weissen Hemd, der sich mit der Polizei angelegte. Nur weil er jünger sei, sei das kein Grund,
Mein Schlüsselerlebnis hatte ich vor knapp zwanzig Jahren. Während eines Auslandssemesters in Nicaragua las ich in der Zeitung vom bevorstehenden landesweiten Treffen der Organisationen der arbeitenden Kinder. Hatte ich da etwas falsch verstanden? Arbeitende Kinder, die sich organisieren? In einem Tagungszentrum am Rande der Provinzhauptstadt Masaya tummelten sich ein Wochenende lang rund 300 Kinder aus allen Landesteilen: Verkäufer und Verkäuferinnen, Haushaltshilfen, Zeitungsausträger oder Parkwächter. In Workshops tauschten sie Erfahrungen mit der Arbeit aus, in Rollenspielen reflektierten sie ihre Situation oder diskutierten die besonWir machen den Kindern ein schlechtes Gewisse, wenn sie ihr dere Rolle von Mädchen. Ihre zentrale FordeSchicksal selber in die Hand nehmen. Wer lobt sie für das, was sie leirung erschien zunächst schockierend: Kein sten? Wer denkt darüber nach, was ihnen wirklich hilft? Verbot der Kinderarbeit! Diese Kinder und Jugendlichen waren stolz auf das, was sie tun. ihm irgendwas zu verbieten, sagte er ihnen. Sollen sie, die Polizisten, Zugleich wollten sie nicht zu lange oder zu schwer arbeiten. Sie wollten doch froh sein, dass sie selber eine Arbeit haben! In Nicaraguas HauptZeit für die Schule und zum Spielen haben. Und einen fairen Lohn wollstadt Managua erklärte mir Rafael Caldera (14) mit sanfter Stimme, dass ten sie natürlich auch. Kurzum: Diese Kinder forderten das Recht, unter er die Arbeit auf dem Müll immer gemocht habe, weil er damit gut überwürdigen Bedingungen zu arbeiten. leben könne. Und da war Margarita Maradiaga, eine Zwölfjährige, die in Im vorherrschenden Meinungsklima in unseren Breiten ist es schwer, den Strassen von León im Westen Nicaraguas Kaugummis verkaufte mit einem differenzierten Ansatz zur Kinderarbeit Gehör zu finden. und diese Arbeit überhaupt nicht mochte – schon gar nicht in der Nacht. Vielfach dominiert die Auffassung, ein Kind werde alleine dadurch, dass Auf die Frage, was in ihrem Leben anders wäre, wenn sie nicht arbeiten es arbeitet, bereits ausgebeutet. Was natürlich nicht der Fall ist. Stellen würde, sagte sie: «Wenn wir nicht alle arbeiten würden, dann würden wir uns ein Kind vor, das auf einem Bauernhof aufwächst. Denken wir wir vor Hunger sterben.» an jene Mädchen und Buben in Europa oder in Nordamerika, die sich Die Debatte um Kinderarbeit ist reich an Widersprüchen. Genauso durch Babysitten, Nachhilfe oder Autowaschen das Taschengeld aufwie das Leben der Kinder und ihrer Eltern, die täglich eine Vielzahl von bessern. Niemand würde diese Kinder und Jugendlichen als Ausgebeu-
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BILD: REUTERS/DANISH SIDDIQUI
Mithun (11) arbeitet in einer Laterit-Backsteinmine südlich der indischen Grossstadt Mumbai.
Herausforderungen bewältigen müssen. Allein der Hinweis, dass sie nur brav zur Schule gehen sollen und alles werde gut, hilft ihnen nicht. Sie brauchen konkrete Lösungen für konkrete Probleme. Kinderarbeit ist eine Option, die Spielraum schafft. Der Verdienst der Kinder macht in vielen Fällen den Schulbesuch erst möglich. Denn Bildung ist in vielen Ländern nicht kostenlos. Wenn also ausgerechnet Bildungspolitiker das Übel der Kinderarbeit anklagen, lenken sie damit auch vom eigenen Versagen ab. «Schule statt Arbeit», lautet ihr Mantra. Und das, obwohl die allermeisten arbeitenden Kinder zur Schule gehen. «Schulen zum Davonlaufen», wie ich sie in meinem Buch «Kinderarbeit – Ein Tabu» beschreibe, sind einer der Gründe, warum Kinder früher zu arbeiten beginnen. Weil die Lehrpläne nichts mit ihrem Leben zu tun haben. Weil sie gedemütigt werden. Weil die Lehrer schlecht ausgebildet, unterbezahlt und demotiviert sind. Laut einer Studie im Auftrag der Weltbank sind die Lehrer in Bangladesch, Ecuador, Indonesien, Peru und Uganda an mindestens einem Tag in der Woche gar nicht anwesend. In den öffentlichen Schulen in Indien sind Lehrer mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent in ihren Klassen anzutreffen. Denken wir an Indien und Kindheit, fällt uns als Erstes das Thema Arbeit ein. Medienberichte verstärken diesen Reflex. Wir alle kennen die Bilder von Mädchen und Jungen, die in schummrigen Fabriken Teppiche knüpfen, Fussbälle nähen oder in Steinbrüchen schuften. Formen von extremer Ausbeutung, ja sogar Sklaverei sind nach wie vor Realität. Dennoch werden diese Bilder zum Trugbild, wenn man annimmt, dass sie repräsentativ sind für die Situation der arbeitenden Kinder in der Welt. Verfolgt man die Berichte, hat es den Anschein, als konzentriere sich Kinderarbeit auf internationale Konzerne und deren Zulieferer. Tatsächlich stellen arbeitende Kinder in der Exportindustrie nur einen Bruchteil des Phänomens dar. Von den rund 168 Millionen Mädchen SURPRISE 355/15
und Buben, die nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO weltweit arbeiten, sind weniger als fünf Prozent in diesem Bereich tätig. Die Masse arbeitet nach wie vor in der Landwirtschaft und im sogenannten informellen Sektor, also auf der Strasse, auf Märkten und in Haushalten. Die hohe moralische Tonlage, mit der das Thema derzeit behandelt wird, mündet nicht nur in eine völlig entpolitisierte Debatte, in der die grossen Rahmenbedingungen ausgeblendet werden; sie führt auch zu einer Verkehrung von Ursache und Wirkung. Nicht die Kinderarbeit ist schuld an Armut und Unterentwicklung, sondern unsere Wirtschaftsordnung mit ihren internationalen Abhängigkeiten und Hungerlöhnen für Erwachsene. Den Mädchen und Buben machen wir ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihr Schicksal selber in die Hand nehmen. Wer respektiert oder lobt sie für das, was sie leisten? Wer denkt darüber nach, was arbeitenden Kindern wirklich hilft? Die Organisationen der arbeitenden Kinder in Nicaragua gibt es übrigens nicht mehr. Internationaler Druck und die gezielte Finanzierung von bestimmten Projekten haben die Bewegung gespalten. NGOs, welche die Kinderbewegung einst unterstützt haben, treten jetzt für ein strenges Verbot ein. Kindergewerkschaften gibt es derzeit noch in Indien und in mehr als zehn lateinamerikanischen Ländern. In Bolivien haben sie nach Demonstrationen erreicht, dass Kinder nun per Gesetz besser geschützt werden, wenn sie arbeiten. ■ Georg Wimmer ist Journalist aus Salzburg und Autor des Buchs «Kinderarbeit – ein Tabu». Dieser Text wurde freundlicherweise vom INSP-Nachrichtendienst www.street-papers.org/zur Verfügung gestellt und erschien zuerst in der Salzburger Strassenzeitung Apropos.
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BILD: GUIDO SÜESS
Wörter von Pörtner Wohnformen In einer Zürcher Zeitung erschien kürzlich ein Artikel über eine Genossenschaftssiedlung, in der Bedingung ist, das die Mieter auf das Auto verzichten und ihre Wohnfläche auf 35 m2 beschränken, um dem Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft näherzukommen. Doch nicht diese Umstände waren der Aufhänger des Artikels, sondern die Tatsache, dass dort vor allem Menschen aus dem grün-alternativen Milieu wohnen und arbeiten. Aus diesem logischen Umstand wurde versucht, einen Skandal zu zimmern, der berüchtigte rotgrüne Filz in Reinkultur wurde gewittert. Als ob Hundertschaften rechtsbürgerlicher Familien Auto und Einfamilienhaus verkauft und in die Stadt aufgebrochen wären, nur um an den Toren der Siedlung aufgrund ihrer politischen Gesinnung abgewiesen zu werden. Als noch skandalöser wurde der Umstand empfunden, dass es sich
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bei den Linksalternativen nicht um zauselbärtige Körnlipicker in Alpacapullis und Birkenstocksandalen handelte, die auf Wochenmärkten Heilerde und Räucherstäbchen verkaufen, oder bestenfalls um Deutschlehrer, sondern um Handwerker, Unternehmerinnen, Gastronomen, Ärztinnen, Akademiker, kurz, das ganz normale Mittelstandsumfeld. Das passt nicht ins konservative Weltbild. Beruflich und finanziell erfolgreiche Linke darf es nicht geben. Links kann nur sein, wer faul ist, vom Staat lebt und neidisch ist auf den materiellen Wohlstand der anderen und darum mit unfairen Mitteln nach diesem greift. Die Leben der Leute, die das glauben, bestehen zwingend aus den Elementen Konsum, Karriere, Kleinfamilie, Krawatte, Kraftfahrzeug und zum Abschalten allenfalls Krokus und Karibikferien. Gegen diesen Lebensplan ist vom liberalen Standpunkt aus, den zu vertreten sie gerne behaupten, nichts einzuwenden. Einer der offiziellen Vorteile unseres Systems ist der, dass alle versuchen dürfen, so zu wohnen und zu arbeiten, wie sie es für richtig halten. Warum also reagieren sie so gereizt auf Leute, die bei ihrem Traum nicht mitmachen wollen und freiwillig auf diese Segnungen verzichten? Glauben die Konservativen tatsächlich immer noch, dass der mit dem grösseren Auto, dem schöneren Haus, dem höheren Lohn gewonnen hat und es im Leben darum geht, sich anhand von Statussymbolen mit anderen zu ver-
gleichen? Verunsichert es sie, wenn sie keine genaue Messlatte haben, an der sie ablesen können, dass sie zu den Siegern gehören? Sie, die sich gerne als Individualisten sehen, als Kämpfer gegen den Mainstream, auch wenn das Nonkonformistischste, das sie je getan haben war, den Audi Kombi in einem etwas dunkleren Anthrazit zu bestellen. Haben sie Angst, etwas zu verpassen, Angst, dass jemand ausserhalb ihres Wertesystems zu viel Spass haben könnte? Denn eigentlich ist ihr Hass irrational. Eigentlich sollten sie den Grünalternativen dankbar sein und deren Lebensstil unterstützen. Wenn diese sich freiwillig kleinräumig in den Innenstädten zusammenpferchen, bedeutet das weniger Konkurrenz um das Bauland für den Einfamilienhaustraum im Grünen, und wenn 300 Menschen freiwillig aufs Auto verzichten, gibt es mehr Parkplätze und weniger Stau für sie, wenn sie aus ihrem Idyll dann doch einmal die rotgrüne Stadthölle besuchen.
STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT (SAVVE@VTXMAIL.CH) SURPRISE 355/15
Folkpop Die Ruhe nach dem Krieg Obwohl die Musik von Civil Wars keineswegs seicht war, gewann das Duo mit seinen zwei Alben reihenweise Grammys und andere Awards. Nach einem traumatischen Split macht Joy Williams jetzt solo weiter.
Der Erfolg von Civil Wars kam plötzlich und war überwältigend. Dabei hätte ihre Musik kaum einfacher präsentiert sein können. John Paul White spielte akustische Gitarre und sang. Neben ihm stand Joy Williams, die mit ihrer Glockenstimme ungeahnte Höhen erklimmen und filigranste Gefühlsregungen in Klang zu hüllen vermochte (die Alben wurden mit Fiedeln, Celli, Pedal Steel und dergleichen Instrumenten mehr dekoriert, was nicht weiter störte). Selten haben zwei Stimmen so melancholisch harmoniert. Das Debut hiess «Barton Hollow» und erschien im Jahr 2011, der zweite Wurf «The Civil Wars» folgte zwei Jahre später, aber da redete White bereits nicht mehr mit Williams. Von «Barton Hollow» dürften inzwischen eine Million Exemplare verkauft worden sein. Bei den Grammys gewann das Album die Kategorie «Best Folk Album», der Titelsong die Kategorie «Best Country Duo/Group Performance». Der Erfolg verblüfft schon darum, weil diese Musik nicht richtig in die Folk- und schon gar nicht in die Country-Schublade zu passen schien. Civil Wars waren gewillt, über den Rand des Folk- oder Country-Horizontes hinauszublicken, das zeigte etwa der Inhalt einer EP, die im November 2013 erschien: Es fanden sich darauf Cover-Versionen von Elliott Smith, Portishead, Michael Jackson und The Romantics. Zweieinhalb Jahre nach dem letzten Live-Auftritt mit Civil Wars im November 2012 im Roundhouse gibt Joy Williams wiederum in London den ersten Solo-Auftritt ihrer neuen Karriere. Auf dem Programm steht das neue Album «Venus». Nun steht sie allerdings nicht mehr nur zu zweit mit einem Partner auf der Bühne. Mit einer ganzen Band ist sie erschienen, diese ist hinter einem Gaze-Vorhang versteckt, auf den spektakuläre Videos projiziert werden. Sie selber steht vor dem Vorhang, singt und gemahnt mit ihren sphinxartigen Bewegungen an Kate Bush. In eine ähnliche Richtung bewegt sich auch ihre Musik: elektronische Keyboardklänge, rockige Drums, Refrains, die sich wie eine Escher-Grafik um sich selber zu winden scheinen. Wo Civil Wars von der Melodik und der Instrumentierung her noch eindeutig eine amerikanische «Band» waSURPRISE 355/15
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VON HANSPETER KÜNZLER
Hat Civil Wars gehen lassen und ihre Solo-Karriere gestartet: Joy Williams.
ren, schwebt durch die neuen Lieder ein Hauch Folk englischen Stils. «Absicht war das nicht», sagt Joy Williams dazu, «aber es freut mich sehr, dass man es denken könnte.» Nach dem Ende des Duos sei sie daheim gesessen und habe ihre Wunden geleckt. «Das Internet war ein gefährlicher Ort geworden, überall flogen Anschuldigungen herum. Der Split war für mich völlig unerwartet gekommen. Es gab eine Zeit, da fragte ich mich ernstlich, ob ich mich je wieder in die Musik verlieben könnte.» Geboren 1982, wuchs Williams im kalifornischen Santa Cruz in einer konservativen, religiösen Familie auf. Sie zeigte frühreifes Musiktalent. Mit 17 Jahren wurde sie von einem christlichen Plattenlabel unter Vertrag genommen und zog nach Nashville. Christliche Popund Rockmusik erlebte damals eine Hausse, von der auch sie profitierte. Jung heiratete sie ihren Manager, Nate, mit dem sie noch heute zusammen ist: Seit dem Civil Wars-Split ist ihr erster Sohn Miles zur Welt gekommen. Die – wie sie sagt – «Kirchenmusik» hat sie aber längst hinter sich gelassen: «Ich fing an, die Welt mit anderen Augen anzuschauen, und ich musste daraus ausbrechen.» Um sich neue
Freiheiten zu schaffen, startete sie zusammen mit Nate das eigene Indie-Label. Und um auf neue musikalische Gedanken zu kommen, nahm sie an allerhand Songwriting-Workshops teil. In einem von diesen lernte sie John Paul White kennen, der aus Muscle Shoals, Alabama stammte und auch schon ein, zwei Alben gemacht hatte. «Als wir zusammen zu singen anfingen, hatte ich sofort das Gefühl, dass ich genau wüsste, wohin seine Stimme als Nächstes gehen würde», sagt Williams. White erging es ähnlich. Schon bei den Aufnahmen fürs zweite Album wurden die Spannungen aber offenbar unerträglich. White weigerte sich, nochmals auf Tournee zu gehen und Interviews zu geben. Kontaktversuche vonseiten Williams’ blieben unbeantwortet: «Man muss erkennen lernen, wann die Zeit gekommen ist, gehen zu lassen und etwas Neues zu beginnen», sagt sie. «Und ich bin sehr froh, dass ich da angelangt bin, wo ich mich jetzt befinde.» ■
http://joywilliams.com Joy Williams: «Venus» (Sony)
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Kultur
Zwillinge waren schon immer unheimlich. Im Kino jedenfalls. Pioniere mögen es dynamisch.
Buch Reporter des Augenblicks
Kino Endlich ist Mami wieder da
Die Schnappschüsse des ersten professionellen Fotoreporters der Schweiz fangen das Lebensgefühl einer Epoche ein.
Der Film «Ich seh Ich seh» ist Kunst, wenn er Fragen nach der Identität stellt. Und Horror, weil das Regie-Duo körperliches Kino mag: Zittern, Weinen, Bluten.
VON CHRISTOPHER ZIMMER VON DIANA FREI
Gewaltige 80 000 Glasnegative soll das Archiv von Jules Decrauzat umfasst haben, nur etwa 1250 sind erhalten geblieben. Und das, weil die aussergewöhnliche Qualität der Aufnahmen, die zwischen 1910 und 1925 entstanden, schon früh erkannt wurde, noch bevor der eigentliche Autor nachgewiesen werden konnte: Jules Decrauzat, der erste professionelle Fotoreporter der Schweiz. Und: Er war auch der erste von einer Illustrierten – dem Genfer Magazin La Suisse Sportive – festangestellte Vertreter seiner Zunft. Damit brach der bereits renommierte junge Fotograf, der seine Lehr- und Wanderjahre in Paris, Südafrika und Südamerika absolviert hatte, zur eigentlichen Fotosafari seines Lebens auf. Fortan widmete er sich in erster Linie dem Sport, der sich nach der Jahrhundertwende zum Breitensport entwickelte. Womit die Berichterstattung über die neuen Helden auch die nötige Leserschaft gewann. Decrauzat gehörte zu den Pionieren, die es weg von der statischen, gestelzten Studiofotografie hinaus zu dynamischen Momentaufnahmen trieb. Möglich wurde dies durch das Aufkommen der ersten vergleichsweise leichten Handkameras mit schnelleren Verschluss- und Belichtungszeiten. Jetzt erst konnte das Rennen um Meter und Sekunden, die Faszination des Temporausches eingefangen werden. Und damit das Bild einer Epoche an der Schwelle zur Moderne, die ihre Hoffnung auf den Fortschritt setzte – auch wenn die technische Entwicklung, die diesen vorantrieb, nicht selten im Militärischen wurzelte: Der Donner des Ersten Weltkriegs grundierte ihn. Das aber mindert nicht die Lebendigkeit und Ästhetik von Decrauzats Aufnahmen: von den Anfängen der Aviatik, der Auto- und Motorradrennen und etlicher anderer Sportarten. Und auch vom Scheitern, von den Katastrophen und tödlichen Unfällen, die den Wagemut und den Übermut so austauschbar machten. Davon kann man sich, dank Pionieren wie Decrauzat, noch heute ein nach wie vor aktuelles Bild machen. seitigen Fotografien von Jules Decrauzat und einem biografischen Essay von
Nach einem Unfall der Mutter können die beiden Zwillinge Lukas und Elias ihre Rückkehr aus dem Spital kaum erwarten und hören ihre Gute-Nacht-Lieder und liebevollen Worte ab Band jeden Tag zum Einschlafen. Dann ist sie plötzlich da: Mit einbandagiertem Gesicht und auf einen Schlag sehr streng. Eine Fremde scheint zurückgekehrt. Der Verband, der das Gesicht versteckt, wird zur Projektionsfläche für Zweifel und Ängste, und die Kinder machen sich auf ihre zunehmend gnadenlose Suche nach Beweisen dafür, dass diese Frau nicht ihre Mutter ist. «Ich seh Ich seh» ist in Co-Regie von Veronika Franz und Severin Fiala entstanden – sie ist Ulrich Seidls Frau und langjährige Drehbuchautorin, er sein Neffe und Mitarbeiter. Eine Art von Horror habe sie interessiert, der sich aus dem Alltag heraus ergebe und in ganz einfachen Dingen liege, sagen sie: im unsichtbaren Gesicht, in bestimmten Sätzen oder plötzlich verändertem Verhalten. Das Regie-Duo findet viele Bilder für die Frage nach der Identität (vielleicht ein bisschen gar viele, was einem mit der Zeit das Gefühl eines allzu aufgesetzten Kunstwillens gibt): Da sind Bilder an der Wand mit abgewandten und verschwommenen Frauenfiguren, eine Schneiderpuppe oder eine ganze Reihe von Holzpüppchen, die auf dem Sims im Wohnzimmer drapiert sind. Sie stehen da wie eine Auffächerung möglicher Identitäten, während die Kinder mit der Mutter das Spiel «Wer bin ich?» spielen: Sie soll anhand von Fragen darauf kommen, wen sich die Zwillinge ausgedacht haben – sie selber wäre die Lösung, doch erkennt sie sich in all den Hinweisen ihrer Kinder nicht. Das Ende ist unangenehm, und bis dahin ist auch die Frage geklärt, die sich schon am Anfang aufdrängt: Warum wird eigentlich immer nur der eine der Zwillinge mit Namen angesprochen? Was als Arthouse-Film beginnt, kippt irgendwann in den Horror. Und dabei geht es dem Regie-Duo laut eigener Aussage darum, Menschen beim «Schwitzen, Zittern, Schreien, Weinen und Bluten zuzusehen». Bei einer Diskussion fragte Veronika Franz ins Publikum, ob sie es geschafft hätten, dass der Film «zugreife». Ja, man kann sagen, er greift zu.
Peter Pfrunder. Echtzeit Verlag 2015. 48 CHF.
Veronika Franz, Severin Fiala: «Ich seh Ich seh», A 2014, 99 Min.,
Ausstellung: Das Leben ein Sport. Jules Decrauzat – Pionier der Fotoreportage.
mit Susanne Wuest, Lukas und Elias Schwarz u. a. Der Film läuft zurzeit in den
Bis 11. Oktober, Fotostiftung Winterthur
Deutschschweizer Kinos.
Jules Decrauzat. Der erste Fotoreporter der Schweiz 1879–1960. Mit 90 doppel-
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© MIRIAM HALTINER BILD:
Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
Hier geht’s lang Richtung Heimat.
Zürcher Theater Spektakel Schweizer Bharatanatyam «The Camouflage Project» stellt die Frage: Kann die Heimat an zwei Orten sein? Und ist sie dann doppelt oder zweigeteilt? VON EVA HEDIGER
50 000 Tamilen leben in der Schweiz. So viele, wie die Stadt Biel Bewohner hat. Sie gelten als mustergültige Migranten. Rund die Hälfte ist eingebürgert, ihre Kinder sind hier geboren. Doch sind sie wirklich integriert oder nur toleriert? «Fast seit meiner Geburt leben tamilische Flüchtlinge hier – und doch kenne ich weder die Tamilen noch ihre Kultur», erzählt Ute Sengebusch, die Regisseurin von «The Camouflage Project». In ihrem Dokumentationstheater zeigen zwei Menschen ihre Welt, die irgendwo zwischen der Schweiz und Sri Lanka liegt. «Mich interessierte vor allem die Frage: Wie funktioniert Migration?», sagt Sengebusch. Sandro Lunin vom Theater Spektakel Zürich kannte frühere Projekte der Regisseurin und fragte sie an, ob sie mit einer Performance die hiesige tamilische Kultur thematisieren möchte. Fast zwei Jahre recherchierte Sengebusch gemeinsam mit Jessica Huber. Die beiden hatten davor schon mit «Firma für Zwischenbereiche» zusammengearbeitet, einer Basler Plattform für soziokulturelle Jugendtheaterprojekte, die bereits dokumentarische Stücke über junge Sans-Papiers oder minderjährige Asylbewerber realisiert hatte. Ähnlich jener politischen Stücke, für die Milo Rau bekannt ist. Auch er ist am Zürcher Theater Spektakel präsent: «The Dark Ages» heisst der zweite Teil seiner Europa-Trilogie. Für «The Camouflage Project» haben Jessica Huber und Ute Sengebusch mit Migranten der zweiten Generation Gespräche geführt. Aber, so die Regisseurin: «Ich habe eine grosse Zurückhaltung gespürt.» Etliche scheuten sich, ihre persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen auf die Bühne zu bringen. Dabeigeblieben sind Gaya und Patrick. Sie studiert Jura, ist in der Schweiz geboren. Hier ist ihre Heimat. Trotzdem ist die 22-Jährige in der Kultur ihrer Eltern verwurzelt, seit dem Kindergarten übt sie sich in der Kunst des Bharatanatyam, des über 3000 Jahre alten indischen Tanzes. Patrick ist Mitte 30 und lebt seit fünf Jahren hier. Er kam in Sri Lanka zur Welt und hat den Bürgerkrieg und den Kampf der Tamil Tigers miterlebt. Seine Familie flüchtete nach Deutschland. Mit ihren Positionen zwischen und mit den Kulturen setzen sich Gaya und Patrick nun auf der Bühne auseinander. Auf Deutsch und – klar – auch auf Tamilisch.
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Netzpilot Communication, Basel
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Scherrer & Partner GmbH, Basel
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Balcart AG, Therwil
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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau
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Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich
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weishaupt design, Basel
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Thommen ASIC-Design, Zürich
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Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar
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Coop Genossenschaft, Basel
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AnyWeb AG, Zürich
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Burckhardt+Partner AG
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mcschindler.com GmbH, Zürich
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fast4meter, Storytelling, Bern
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Maya-Recordings, Oberstammheim
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Bachema AG, Schlieren
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Kaiser Software GmbH, Bern
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Ko Schule für Shiatsu GmbH, Zürich
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Schweizerisches Tropen- und Public HealthInstitut, Basel
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Lions Club Zürich-Seefeld, Zürich
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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen
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Privat-Pflege und Betreuung, Oetwil am See
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Praxis Colibri-Murten, Murten
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Schumann & Partner AG
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Bruno Jakob Organisations-Beratung, Pfäffikon
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VXL Gestaltung und Werbung AG, Binningen
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
«The Camouflage Project», Mo, 10. August, 19.30 Uhr, Di, 11. August, 21 Uhr, Mi, 12. August, 19.30 Uhr, Süd, Landiwiese, Zürich, www.theaterspektakel.ch SURPRISE 355/15
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BILD: MARLIE MUL
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Ausgehtipps
Stilwechsel nach Tinnitus: Stefan Honig (Mitte).
Solothurn Landhonig goldcremig Seit 2009 steht die Konzertreihe «Acoustic Nights» auf dem Programm des Alten Spitals Solothurn, jährlich bringt sie sechs Doppelkonzerte auf die Bühne. Und schnell wurde sie zu einer der bedeutendsten schweizerischen Plattformen für Singer-Songwriter, das heisst: für Musiker, die starke, aussagekräftige Texte hinkriegen und auch mit musikalischem Können überzeugen. Wie zum Beispiel die Düsseldorfer Band Honig von Stefan Honig. Er spielte zuvor in einer Metal Band – schwer vorstellbar, wenn man ihn nun als Singer-Songwriter hört: Die Musik von Honig geht runter wie derselbe: unglaublich ruhig, sanft und einfühlsam. Gleichzeitig kann sie mitreissen, musikalisch immer auf hohem Niveau. Dass er 2008 den Stil wechselte, mag an Stefan Honigs Tinnitus liegen, den er gegen Ende seiner MetalKarriere bekam. (lsr) Sommer Special «Honig», Do, 6. August, 20.30 Uhr, Altes Spital Solothurn, bei schönem Wetter Open-Air im Garten an der Aare. www.acousticnights.ch
Brauchen Sie ein neues Bügeleisen?
Das ist Kunst aus einfachem Material.
Zürich Tauschladenkunst
Bern Gestörte Perfektion
Haben Sie als Kind im Sommer auch Ihre alten Spielsachen und Zeichnungen vor die Haustür getragen und sie dort den vorbeigehenden Nachbarn verkauft? So was Ähnliches macht der polnische Künstler Piotr Jaros zurzeit in den Schaufenstern des Hauses zum Palmbaum der Predigerkirche. Bei ihm ist’s aber weniger Flohmarkt als ein «Kantor», ein Tauschladen. Das heisst: Wer Jaros’ Kunst will, muss selber etwas vorbeibringen – beliebige Gegenstände kommen infrage, lassen Sie sich etwas einfallen. Immerhin handelt es sich bei ihm um einen der bekanntesten Künstler Polens. Seine Objekte, Installationen, Collagen, Zeichnungen, Performances und Videoarbeiten sind geprägt vom Irrwitz und der Hintersinnigkeit des Absurden. Machen Sie mit, seien Sie absurd diesen Sommer. Oder zumindest ein bisschen Dada: Immerhin wird die Sommerresidenz in der Predigerkirche vom Cabaret Voltaire unterstützt. (dif)
Der Zeitgeist ist geprägt von herausgeputzter Perfektion. Je weniger von Hand gebastelt werden muss und je weniger man dabei auch mal danebenhauen kann und von vorn anfangen muss, desto geglätteter wird das Resultat. Was heute zählt, ist die Pose zum Herzeigen, und das hat auch Auswirkungen auf die Kunst, finden die Macher der Ausstellung «Raw and Delirious». Distanzierte Haltungen und unterkühlte Stimmungen machen sie auch in der aktuellen künstlerischen Arbeit aus. Und sie kritisieren, dass die Kunst damit auf den Zeitgeist hereinfällt. Also macht man sich in Bern auf, das Gegenteil zu suchen: das Unzeitgemässe. Einfache Materialien. Althergebrachte Techniken. Rohes. Körperbezogenes. Verunreinigtes. Widerspenstiges. Kurz: Die Ausstellung zeigt ein Kaleidoskop an Störungen und Distanzlosigkeiten. (dif). «Raw and Delirious», noch bis So, 30. August, Kunsthalle Bern, www.kunsthalle-bern.ch
PiotrJaros: «Kantor», täglich offen von 15 bis 18 Uhr ausser samstags, noch bis Sa, 22. August, Sommerresidenz im Schaufenster der Predigerkirche im Haus zum Palmbaum am Rindermarkt 14, Zürich.
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Lรถsungen aus Surprise Nr. 354 Lรถsungswort aus Heft Nr. 354: LICHTERKETTE Die Gewinner werden benachrichtigt.
I R G O L O T E F A E H R D O L E R N D P A E P P N A M
W I E O L E
R I B O F L A V I N
K F N L E I T E R E S N A E E R Z U S T A
R U E N N D E M L A E E R G
Mittelschwer
3 4 1 2 6 9 7 5 8
2 6 8 3 7 5 4 1 9
9 5 7 8 4 1 3 2 6
F G E H S P A G T C S E M H E D T A N N E I E R N S I R D U R E S I W E S T S E V H E
O E T H I I R G O E R A S R U P S Y M A R MM I
Teuflisch schwer zum Ersten
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4 1 9 7 3 2 8 6 5
6 3 5 9 8 4 2 7 1
5 2 4 6 9 3 1 8 7
1 8 3 5 2 7 6 9 4
7 9 6 4 1 8 5 3 2
6 7 5 8 1 3 2 4 9
2 3 4 9 5 7 1 8 6
9 1 8 4 6 2 3 7 5
3 9 2 5 8 6 7 1 4
5 8 7 3 4 1 6 9 2
1 4 6 2 7 9 8 5 3
Teuflisch schwer zum Zweiten
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06010030918
4 5 1 6 2 8 9 3 7
8 6 3 7 9 5 4 2 1
4 3 6 1 8 9 2 7 5
8 2 5 3 7 6 4 9 1
06010030268
7 1 9 2 4 5 8 6 3
6 5 1 7 2 8 3 4 9
9 4 8 6 3 1 7 5 2
3 7 2 9 5 4 6 1 8
5 6 4 8 9 2 1 3 7
2 9 7 4 1 3 5 8 6
1 8 3 5 6 7 9 2 4 06010029559
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Verkäuferporträt International «Alkohol war mein liebstes Gift» Strassenzeitungen gibt es in aller Welt, ein grosser Teil von ihnen ist im Netzwerk INSP zusammengeschlossen. Immer wieder stellen wir Ihnen deshalb eine Verkäuferin oder einen Verkäufer aus einem anderen Land vor. Dieses Mal Mark aus Adelaide, Australien: Nach Jahren des Alkohol- und Drogenmissbrauchs hat der gelernte Metzger sein Arbeitsethos wiederentdeckt.
«Wissen Sie, früher war ich ein wirklich wilder Bastard. Noch als ich 50 wurde, dachte ich, dass ich in diesem Zustand alt werden würde», sagt Mark aus Adelaide in Australien. Doch dann kehrte er vor sechs Monaten nach Adelaide zurück und begann dort, The Big Issue Australia zu verkaufen. Dies habe sein Leben verändert, erzählt er und freut sich sichtlich. «The Big Issue gibt meinem Leben Richtung und Disziplin», sagt Mark mit einem schelmischen Lächeln. Jahrelang war der Australier schwer alkohol- und drogenabhängig und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Seine Gesundheit litt massiv. Der ständige Rausch und die Abhängigkeit machten es zudem schwer, eine regelmässige Arbeit auszuüben. Mittlerweile arbeitet Mark sieben Tage die Woche für The Big Issue Australia, die alle 14 Tage erscheint und rund 218 000 Lesende erreicht. Mark hat viele regelmässige Kunden, die gern wiederkommen, um das Magazin zu kaufen und ein kleines Schwätzchen zu halten. Denn der Mann mit dem gezeichneten Gesicht hat einiges zu erzählen: «Ich bin in den nordöstlichen Vororten aufgewachsen. Meine Eltern trennten sich, heirateten beide wieder und fanden so ihr Glück. Ich habe einen Bruder und zwei Schwestern, aber ich habe keinen Kontakt zu ihnen. Ich ging auf das katholische Rostrevor College, das bis heute eine reine Jungenschule ist, aber in der zehnten Jahrgangsstufe bat man mich zu gehen. Sie riefen meine Eltern an und sagten ihnen, ich würde ihr Geld und die Zeit der Schule verschwenden. Danach ging ich einige Monate auf eine technische Hochschule und bekam einen Job im Autohandel. Dort sah ich jedoch keine Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln. Nach einem Jahr bot mir mein Vater schliesslich eine Ausbildung in der Metzgerei unserer Familie an, was ich annahm. Das war 1978 – und ich habe noch immer alle Finger! Doch dann musste ich den Job wegen Gesundheitsproblemen an den Nagel hängen. Ich fuhr Taxi, arbeitete in einer Bar, arbeitete als Erntehelfer – ich machte alle möglichen Dinge. Dann begann ich zu trinken. Bald war ich deswegen von staatlicher Unterstützung abhängig. Das war vor einigen Jahren. Damals war ich überzeugt von Drogentests – das hiess für mich: Welche Drogen probiere ich heute aus? Aber Alkohol war mein liebstes Gift. Ich reiste ein bisschen herum, lebte in Port Lincoln und Coffin Bay und verbrachte die vergangenen fünf Jahre in Melbourne. Dort verkaufte ein Freund The Big Issue. Ich erkundigte mich zwar danach, aber irgendwie schaffte ich es nie, wirklich damit anzufangen. Dann kam ich zurück nach Adelaide, weil mein Vater schwer erkrankt war. Und endlich besuchte ich dort den Einführungskurs von Big Issue und fing mit dem Verkauf an. Normalerweise arbeite ich sieben Tage die Woche. Meistens stehe ich auf meinem neuen Platz an der Ecke Gawler und Pirie Street, vor der Australischen Nationalbank NAB. Manche Kunden kommen regelmässig – viele der Business-Leute mögen das Magazin und sind froh, wenn sie auf ihrem Weg vom Arbeitsplatz zum Café an der Ecke einen Händler finden. Ich habe eine starke Persönlichkeit und ein grosses Arbeitsethos – viele behandeln mich mittlerweile wie einen der Angestellten in der Pirie Street.
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BILD: NAT ROGERS
VON PETER ASCOT
Seit ich The Big Issue verkaufe, konnte ich mir sogar eine gute Kamera und eine Armbanduhr kaufen. So zeige ich auch, dass ich selbst Geld verdiene. Oft schnappe ich mir meine Kamera und mache ein paar Bilder, einfach aus Spass. Oder ich lese ein gutes Buch. Normalerweise lese ich immer einen Roman und ein Sachbuch gleichzeitig. Seit ein paar Jahren bekomme ich auch wieder staatliche Unterstützung, weil ich ein Lungen-Emphysem habe. Momentan ist der Verkauf des Strassenmagazins die einzige Arbeit, die ich machen kann. Ich gerate sehr schnell ausser Atem – 35 Jahre lang habe ich Zigaretten und Marihuana geraucht, meine Lunge sieht aus wie die eines 80-Jährigen. Aber gerade geht es mir relativ gut – und noch muss ich keine Sauerstoffflasche mit mir herumtragen!» ■
Deutsche Übersetzung von Katrin Wolf. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom INSP News Service www.street-papers.org/The Big Issue Australia. SURPRISE 355/15
SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin
verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!
Elsa Fasil Bern
Kostana Barbul St. Gallen
Ralf Rohr Zürich
Marlis Dietiker Olten
Negasi Garahassie Winterthur
Josiane Graner Basel
Tatjana Georgievska Basel
Emsuda Loffredo-Cular Basel
Anja Uehlinger Baden
Fatma Meier Basel
Haimanot Ghebremichael Bern
Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken
1/2 Jahr: 3000 Franken
1/4 Jahr: 1500 Franken
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355/15 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 355/15
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Surprise – mehr als ein Magazin
Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)
Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit einem Netzwerk aus freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.
Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der ganzen Deutschschweiz. Sie kämpfen um den Titel des Schweizermeisters und des Weltmeisters beim Homeless World Cup. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen kostenlosen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine einfache und charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren. Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.
Gönner-Abo für CHF 260.– Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami), Florian Blumer (fer, Heftverantwortlicher), Diana Frei (dif), Mena Kost (mek), Thomas Oehler (tom), Sara Winter-Sayilir (win), redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Olivier Joliat, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Peter Ascot, Eva Hediger, Miriam Walther Kohn, Hanspeter Künzler, Stefan Michel, Christof Moser, Lucius Rüedi, Roland Soldi, Georg Wimmer Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 19 200, Abonnemente CHF 189, 24 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke (Leitung), Zaira Esposito
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Surprise – Mehr als ein Magazin
BILDER: SIMON DREYFUS
Surprise Strassensport Sommerturnier beim St. Jakob-Park Surprise Strassensport feierte beim St.-Jakob-Park hinter der legendären Muttenzerkurve Turnierpremiere. FCB-Fans aus der Kurve unterstützten uns denn auch als Schiedsrichter. Vielleicht erreichten deswegen fünf Teams – trotz heissen Köpfen wegen hochsommerlicher Temperaturen – die maximalen Fairplay-Punkte. Wegen der Hitze und den vielen Spielen mit ihren Heimmannschaften verlor wohl die Nationalmannschaft ihr Test-Spiel gegen die Surprise All-Stars. Die Fussballlaune an diesem wunderbaren Sommertag trübte dies jedoch nicht. Ein herzliches Dankeschön an die FCB-Fans fürs Pfeifen und den Lions Club St. Alban für die Verpflegung. (ojo) Rangliste Fairplay CSA Teamplayers Aarau Kat. A 1. Rang – Surprise Basel 2. Rang – Team Olten 3. Rang – CSA Teamplayers Aarau
Kat. B 1. Rang – Glattwägs Züri 2. Rang – Dragons Basel 3. Rang – Bärner Sürpris
Vier gegen vier auf Asphalt: Strassenfussball aus der Vogelperspektive.
Das Angebot Strassensport wird ermöglicht durch die langjährige Unterstützung von Hyundai und Erdgas.
Ein Spieler des neuen Tessiner Teams Azatlaf stimmte die Hymne La Montanara an.
Die CSA Teamplayers aus Aarau im Angriff auf das Tor von Multi Basel.
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Surprise Basel gewann das Heimturnier in der starken Spielkategorie. Glückwünsche und den Pokal gab es von Ex-Nationalspieler Dominique Herr (links).
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Eine Tasse Solidarität! Machen Sie mit: Zwei bezahlen, eine spendieren. Café Surprise gibt es hier: In Basel Café-Bar Aktienmühle, Gärtnerstrasse 46 Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstrasse 10 Café Restaurant Haltestelle, Gempenstrasse 5 Restaurant Les Garçons, Schwarzwaldallee 200 Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstrasse 96 In Bern Restaurant Genossenschaft Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17 Café Kairo, Dammweg 43 Café Tscharni, Waldmannstrasse 17a Luna Llena Gelateria Restaurant Bar, Scheibenstrasse 39 In Thun Joli Mont, Bälliz 60 In Zürich Café Zähringer, Zähringerplatz 11
Weitere Informationen: www.vereinsurprise.ch/cafesurprise Ein Projekt des Verein Surprise.