Surprise 363

Page 1

Die Audienz Papst Franziskus exklusiv im Interview Gelbe Westen und eine dicke Haut: Helfer auf der Balkanroute

Terror und Gegenterror: Samar Yazbek über die Katastrophe in ihrer Heimat Syrien

Nr. 363 | 20. November bis 3. Dezember 2015 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


Anzeigen:

Hier könnte Ihre Werbung stehen. Werfen Sie Ihr Werbegeld nicht auf die Strasse. Investieren Sie es dort. Anzeigenverkauf, T +41 76 325 10 60, anzeigen@vereinsurprise.ch

«The Basel Bake Off» ist ein Projekt das durch IWI International Woman’s Institute Basel lanciert wird. Das Ziel ist: Backen für einen Guten Zweck. Die Mitglieder von IWI bringen «Cakes and Puddings» zur Markthalle wo sie prämiert und anschliessend verkauft werden.

Cake and Pudding competition Sonntag, 6. Dezember 2015 in der Markthalle Basel Prämierung um 10:30 Uhr Verkauf aller «Cakes and Puddings» von 11 bis 14 Uhr Der Erlös geht an den Surprise Strassenchor

Organisator:


Titelbild: Frank Dries, Straatnieuws / INSP

Vielleicht haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich gefragt, weshalb in letzter Zeit gehäuft religiöse Führer unsere Titelseiten zieren. Die Frage wäre berechtigt. Ende Oktober der Dalai Lama, jetzt der Papst – was ist hier los? Nun, für so viel Heiligkeit gibt es eine ganz weltliche Erklärung: Es war Zufall. Beide Persönlichkeiten empfingen Kollegen anderer Strassenzeitungen zum Gespräch, die wie Surprise Mitglieder des Internationalen Netzwerks der Strassenzeitungen INSP sind. Über dieses Netzwerk stellen die Redaktionen Inhalte zur Verfügung, die für die anderen INSP-Publikationen in der ganzen Welt von Interesse sein könnten. Wenn es auch Zufall war, dass diese beiden Interviews so kurz nacheinander zustande kamen, so spiegelt sich darin gleichzeitig eine Tendenz: Die Menschen sehnen sich nach Einordnung, nach ultimativen Wahrheiten. Unsere Dalai-Lama-Aus- AMIR ALI REDAKTOR gabe war denn auch eine der bestverkauften seit Langem. Das wirft allerdings auch Fragen auf. Fragen, die ich mir bei der redaktionellen Arbeit am Interview mit Franziskus gestellt habe und die mir bewusst machten: Wir sollten unser Verhältnis zu Autoritäten klären. Vielleicht haben Sie dieses Heft gekauft, weil das Bild von Franziskus Ihre Aufmerksamkeit erregt hat. «Ich möchte eine Welt ohne Armut. Dafür müssen wir kämpfen», sagt er im Interview (ab Seite 10). Was bedeuten Ihnen diese Worte aus dem Mund des Papstes? Und was würden Ihnen dieselben Worte aus dem Mund eines Sozialhilfebezügers bedeuten? Oder eines sogenannten Wirtschaftsflüchtlings? Franziskus mahnt im Interview, die Themen Armut und Flüchtlinge dürften nicht aus der Öffentlichkeit verdrängt werden. «Ich verstehe, dass die Möglichkeit der Informationsüberflutung besteht, aber ich muss weiterhin über die Wahrheit sprechen», sagt er. Als das Interview uns erreichte, hatten wir die vorliegende Ausgabe bereits geplant. Dass sie sich jetzt wie die Umsetzung dieses päpstlichen Wunsches liest, ist ein weiterer Zufall. Die Flüchtlingstragödie ist zur Frage über Sein oder Nichtsein der Europäischen Union geworden. Über die Ursachen dieser menschlichen Katastrophe ist in der Öffentlichkeit nur noch verschwindend wenig zu vernehmen – fast so, als hätten die Redaktionen Angst, ihre Kundinnen und Kunden mit dem Thema zu langweilen. Ab Seite 14 finden Sie unseren Schwerpunkt zum Thema. Die syrische Autorin Samar Yazbek, die das blutige Drama in ihrer Heimat miterlebt hat, schildert in einer nüchternen, aber umso eindringlicheren Sprache die Umstände, vor denen ihre Landsleute fliehen. Die Reportage aus Südserbien zeigt, was passiert, wenn Flüchtlinge aus dem Nahen Osten unter den menschenunwürdigen Umständen auf der sogenannten Balkanroute auf europäische Helferinnen treffen. Und Domenico Lucano, Bürgermeister des kalabrischen Riace und eine Art Anti-Orban, beschreibt, wie die Migration sein Dorf gerettet hat – und was sich in unseren Köpfen ändern muss, damit aus der Flüchtlingskrise eine Chance wird. Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre Amir Ali

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@strassenmagazin.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise SURPRISE 363/15

3

BILD: WOMM

Editorial Zufällig heilig


06 08 08 09 09 20 24 25 26 27 28 29 30

31

10 Franziskus «Ich vermisse die Strasse» Der Papst hat unsere Kollegen von der Utrechter Strassenzeitung Straatnieuws – und mit ihnen alle Mitglieder des Internationalen Netzwerks der Strassenzeitungen INSP – zu einem exklusiven Interview im Vatikan empfangen. Das Resultat: Ein erstaunlich persönliches Gespräch über den Reichtum der Kirche und ihre Botschaft für die Armen. Und darüber, weshalb der Papst mit dem mitgereisten Strassenverkäufer keine Pizza essen gehen kann.

BILD: FRANK DRIES, STRAATNIEUWS/INSP

05

Inhalt Editorial Der Papst und die Flüchtlinge Basteln für eine bessere Welt Biwak für Wandervögel Porträt Partisan mit Gitarre Aufgelesen Teure Ausschaffungen Vor Gericht Wer andern eine Grube gräbt … Hausmitteilung Kein Weg zurück ins Réduit Starverkäuferin Anka Stojko Migration Unverzichtbare Hilfe Wörter von Pörtner Ressourcen günstig abzugeben Musik Ausbruch aus dem Schweigen Kultur Stumme Zeitzeugen Ausgehtipps Das Leben im Koffer Sängerinnenporträt «Da drückt meine Erziehung durch» Projekt SurPlus Eine Chance für alle! In eigener Sache Impressum INSP Surprise – Mehr als ein Magazin Experten unter sich

14 Syrien Wovor sie fliehen BILD: KEYSTONE/KONTINENT/N. HAMMARSTRÖM

03

Die Flüchtlingstragödie dominiert Europas Öffentlichkeit, über die Ursachen dieser Völkerwanderung wird hingegen wenig gesprochen. Die syrische Schriftstellerin Samar Yazbek ging 2012 ins Exil, kehrte jedoch mehrmals heimlich in ihre Heimat zurück, um über den immer blutiger tobenden Bürgerkrieg zu berichten. Aus ihren Schilderungen wird klar, welches Ausmass die Katastrophe angenommen hat, deren Folgen nun auch Europa erreicht haben.

17 Migration «Wir finden schon Lösungen»

4

BILD: REUTERS/MAX ROSSI

In vielen Ländern Europas werden angesichts der Flüchtlingsströme die Zäune hochgefahren – sowohl jene aus Stacheldraht als auch die in den Köpfen. «Wenn die Ängste bleiben, ist das krankhaft. Was bringt es, sich an Privilegien zu klammern?», fragt Domenico Lucano. Er ist Bürgermeister des kalabrischen Dorfes Riace, das seit Ende der Neunzigerjahre aktiv Flüchtlinge aufnimmt – und dank ihnen überlebt hat.

SURPRISE 363/15


ILLUSTRATION: WOMM

Basteln für eine bessere Welt Schickes Pack für lahme Vögel Während die Menschen von gelegentlichen Massenwanderungen gleich die Krise kriegen, sind grosse Migrationsströme in der Vogelwelt ein jährlich wiederkehrendes Phänomen. Mehr als 50 Milliarden gefiederte Saisonniers setzen sich jedes Jahr in Bewegung auf der Flucht vor Kälte, Schnee und Eis. Während ihre Artgenossen ungehemmt in den Süden einfallen und Flusspferden und Zebras auf die Nerven gehen, halten einige Tapfere hierzulande die Stellung. Ihnen kann man mit wenigen Handgriffen und ein paar Körnern das Warten auf die Rückkehr der Wandervögel erleichtern.

1. Nehmen Sie eine alte Milchpackung mit Deckel und spülen Sie diese gründlich aus.

2. Schneiden Sie 2 cm über dem Boden an zwei gegenüberliegenden Seiten ein Fenster hinein und bemalen Sie den Karton nach Lust und Laune.

3. Füllen Sie den Boden des Häuschens mit Essbarem aus der Vogelfutterabteilung und stellen Sie das Häuschen an geeigneter Stelle draussen auf.

SURPRISE 363/15

5


Porträt Rockstar ohne Bühne In seiner Heimat Belarus würde der Musiker Lavon Volski grosse Hallen füllen. Dort darf er aber nicht mehr auftreten. Nun gibt er in Zürich ein Konzert. VON INGO PETZ (TEXT) UND ANDREY DAVYDCHIK (BILD)

er eigentlich ablehnt und die einen selbst auch nicht will, einen sogar bekämpft, der braucht Erholungsphasen. In der Berliner Hitze beschloss Volski nun, eines seiner erfolgreichen Projekte zu Grabe zu tragen: die Band Krambambula, benannt nach einem Glühwein-artigen Getränk, das einst im Grossfürstentum Litauen populär war. Anders als viele seiner anderen Bands war das Ensemble, das eine tanzbare Mischung aus Folk, Punk und Rock spielt, nie als dezidierter Kommentar zur politischen Situation in Belarus gedacht. Als Spasstruppe sollte sie die unter Lukaschenko marginalisierte und unterdrückte belarussische Sprache mit Witz und Heiterkeit popularisieren. Trotzdem gilt das Auftrittsverbot auch hier. Der Präsident mag eben lieber jene Sprache, die in der Sowjetunion als Lingua franca gesprochen wurde: das Russische. Und für das herrschende Regime hört bei einem Widerspenstigen wie Volski sowieso jeglicher Spass auf. An seinem fünfzigsten Geburtstag im September zog der Rocker sich einen schicken Anzug an, schnappte sich seine Gitarre, einen kleinen Verstärker und spazierte in die Metro-Station am «Platz des Sieges» in der Hauptstadt Minsk. Dort, umrahmt vom grauen Marmor der Sowjet-

Der schmächtige Mann lächelt. In seinen Augen glüht der Schalk, der von einer Sekunde auf die andere einer tiefen Ernsthaftigkeit weichen kann. Lavon Volski nippt an seinem Bier, schaut durch das Fenster seiner Minsker Wohnung auf das saftige Grün der Baumkronen im Hinterhof. «Irgendwie wird es schon weitergehen», sagt Volski, und auf seinem Gesicht zeigt es sich wieder, dieses verschmitzte Lächeln, das auch durch seine Songs klingt. Wie in «Kraina njama», was übersetzt «Das Land gibt es nicht» heisst, wo er singt: «Für den Panslawisten ist das Land eins, für den Satanisten ist es ein Land des Sarges, für den Gitarristen ist es ein Land der Saite. Aber für die meisten ist es ein Land, das es nicht gibt.» Volskis Texte sind ironisch, ohne den nötigen Ernst vermissen zu lassen. Eine gute Mischung, wenn man aus einem Land wie Belarus kommt. Volskis Heimat ist im Westen vor allem unter der unrühmlichen Marke «Letzte Diktatur Europas» bekannt. Eigentlich ist die Republik, die auch Weissrussland genannt wird, nur Traktorliebhabern und Menschenrechtlern ein Begriff. Belarus entstand 1991, als die Sowjetunion das Zeitliche segne«Die Leute kämpfen für eine neue Wohnung oder ein Auto, für Adidas, te. Nach wenigen wirtschaftlich und politisch Nike und für ein iPhone», so Volski. Gegen den Präsidenten aber sprewilden Jahren folgte ab 1994 die Restauration che sich kaum jemand öffentlich aus. autokratischer Strukturen und sowjetischer Mythen durch Präsident Alexander Lukaschenko. Und der hält wenig von demokratischen Ideen und kreativen Freizeit, baute er sich auf und begann zu singen. Es dauerte nicht lange, bis denkern wie Volski. Wer wie dieser hier aufgewachsen ist, kennt sich aus sich eine stattliche Anzahl von Fans um Volski versammelten hatte, mitmit den unliebsamen Wendungen, die das Schicksal manchmal nimmt klatschte und mitsang. Natürlich fehlte auch der Staat nicht. Agenten und die sich nur schwerlich planen lassen. «Die Hoffnung stirbt zuletzt», des KGB, wie der Geheimdienst dort immer noch heisst, filmten das kommentiert Volski trocken, wenn der belarussische Rubel wieder einspontane Konzert, schritten aber nicht ein. Es war Volskis Geschenk an mal abgewertet wurde, wie so häufig in den vergangenen Jahren. sich selbst. «Das hat mir viel Spass gemacht», sagt er und lächelt kurz. Volskis Lieder haben die belarussische Kultur seit den Achtzigern Trotz aller Ironie, die für Volski eine Waffe im Kampf gegen die Widrigentscheidend mitgeprägt. In ihnen besingt er ein Belarus, nach dem sich keiten des belarussischen Lebens ist, bleibt da auch immer eine tiefe diejenigen sehnen, die an eine politische Öffnung glauben – ein Land, Melancholie. Der Musiker vermisst sein heimatliches Publikum, seine das eben nicht existiert. In seiner realen Heimat darf Volski nicht mehr Bühne. Die Exil-Konzerte, die er ab und an im litauischen Vilnius gibt, auftreten. Der 1965 in Minsk als Sohn eines bekannten belarussischtrösten ihn nur bedingt. sprachigen Kinderbuchautors und einer russischsprachigen Dichterin Anders als die Mehrheit der Belarussen will Volski sich nicht mit den geborene Künstler äussert unerschrocken seine Meinung über das RegiRegeln des Regimes arrangieren. «Bei uns herrscht eine grosse geistige me Lukaschenkos. «Es ist wichtig, dass wir sagen, wie es wirklich ist», Armut», sagt er im Gespräch. «Die Leute kämpfen für eine neue Wohbetont er häufig. «Nur so können wir die Angst bekämpfen.» Volski ist nung in Minsk, für ein neues Auto, für Adidas, für Nike, für ein iPhone.» mittlerweile einer der wenigen Musiker, die sich offen eine kritische Gegen den Präsidenten aber spreche sich kaum jemand öffentlich aus. Meinung erlauben – ohne Rücksicht auf persönliche Verluste. Nur in der heimischen Küche sagten viele, was ihnen nicht passe. Seine Der Name Volski geht auf das belarussische Wort Volja zurück. Es beGeneration habe noch an etwas geglaubt, erzählt Volski. «Wir hatten die deutet «Wille» oder «Freiheit». Wer so heisst, der kann wohl nicht anHoffnung, die Sowjetunion besiegen zu können. Das haben wir geders – als eben für die Freiheit zu kämpfen. In einem halbwegs normaschafft. Die Unabhängigkeit von Belarus war ein grosser Erfolg für uns.» len Land würde so einer wie Volski grosse Hallen füllen. Er würde das Doch für die Jüngeren sei es nach über 20 Jahren unter Lukaschenko unLeben eines Rockstars führen. «Aber in Belarus gibt es nur einen Rockgleich schwerer, Hoffnung zu haben. «Es ist klar. Wenn du was riskierst, star», sagt der Gitarrist und Sänger und meint damit natürlich den Präwenn du protestierst, dann landest du irgendwann im Gefängnis.» Dessidenten, der sich im Oktober mit abermals umstrittenen Wahlen eine wegen verlassen viele junge Belarussen das Land, studieren in der EU, fünfte Amtszeit gesichert hat. emigrieren in die USA. Und Volski? «Ich werde weiter Musik machen», Diesen Sommer verbrachte Volski in Berlin, um Deutsch zu lernen sagt er. «Und ich werde mich aus Minsk aufs Dorf zurückziehen. Wie ein und «um durchzuatmen», wie er sagt. Wer in einer Autokratie lebt, die echter belarussischer Partisan. Dort fühle ich mich einfach freier.» ■

6

SURPRISE 363/15


SURPRISE 363/15

7


Aufgelesen News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Viel Geld Hamburg. 1 Milliarde Euro jährlich geben die EU und Partnerländer wie die Schweiz dafür aus, Einwanderer und Flüchtlinge von Europa fernzuhalten. Dies errechnete der Rechercheverbund «The Migrant Files». Zu Buche schlagen vor allem die Rückschaffungen: 11,3 Milliarden wurden seit 2000 dafür ausgegeben. Für die Seenothilfe wurden im gleichen Zeitraum lediglich 108 Millionen Euro ausgegeben. Allein dieses Jahr ertranken mehr als 1900 Flüchtlinge bei der Überquerung des Mittelmeers.

Feiner Staub Stuttgart. Feinstaub mindert die Leistung von Profi-Fussballern. Eine Studie des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit verfolgte diesbezüglich zwölf Spielzeiten lang fast 3000 Bundesliga-Spiele von 29 Vereinen quer durch Deutschland. Ergebnis: Je mehr Feinstaub in der Luft liegt, desto weniger Pässe spielen die Mannschaften. Laut den Forschern gilt dies auch für Normalsterbliche: Wer Feinstaub ausgesetzt ist, schafft und verdient weniger.

Wenig Anstand Freiburg. New Yorks Polizeigewerkschaftsvorsitzender Ed Mullins fordert die Polizisten der US-amerikanischen Grossstadt dazu auf, in ihrer Freizeit Bilder von Obdachlosen ins Internet zu stellen. Mullins zufolge seien sie die «Schande New Yorks» und pinkelten überall auf die Strasse. Die Polizisten erstellen nun eine Karte der Stadt, in der verzeichnet ist, wo welcher Wohnungslose öffentlich zu sehen ist. Derzeit leben offiziellen Angaben zufolge rund 60 000 Obdachlose in New York City.

8

Vor Gericht Vertrauen und Verträge Die Anklage legt dem Beschuldigten ein ziemlich dreistes Vorgehen zur Last. So soll der Mittfünfziger nach gegenseitiger Unterzeichnung eines Arbeitsvertrags als Technischer Leiter bei einem Baugeschäft angeboten haben, diesen selbst bei der Buchhaltung vorbeizubringen. Das habe er unterlassen und stattdessen den Vertragsinhalt zu seinen Gunsten abgeändert. So seien etwa die Probezeit gestrichen, die Ferien verlängert und eine andere Pensionskasse eingetragen worden. Vor allem aber war da nun eine Klausel, die dem Arbeitnehmer versichert, das Geschäft sei in gesunder finanzieller Verfassung. Falls dennoch aus wirtschaftlichen Gründen eine Vertragsauflösung erfolge, werde eine «Entlassungsabfindung» in Höhe von 60 000 Franken fällig. Der Bauunternehmer sagt, nie und nimmer hätte er einen solchen Vertrag unterzeichnet. Seine Begründung klingt einleuchtend: Es wäre unlogisch, wenn ein angeschlagenes Unternehmen noch eine Abfindung zahlen würde. Der Beschuldigte hingegen weist die Vorwürfe weit von sich. Vielmehr wolle sich der Bauunternehmer mit der «Mär der Vertragsfälschung» ganz einfach aus seiner Verantwortung stehlen. Unbestritten ist, dass das Unternehmen tatsächlich in finanzielle Schieflage geriet und während Monaten nur noch die Hälfte des Lohnes zu bezahlen vermochte. Darob gerieten die beiden Männer in einen bösen Streit, der schliesslich zur fristlosen Kündigung des Angeklagten führte. Worauf dieser dann die ausstehenden Lohnzahlungen sowie die vereinbarte Abfindung geltend machte, zuletzt auf dem Betreibungsweg. Das Resultat dieser Wirren: eine

regelrechte, seit Jahren andauernde zivilrechtliche Schlacht, die mangels Einigung nun auch noch die Strafgerichte beschäftigt. Die erste Instanz befand für den Angeklagten. Das forensische Gutachten, das sich umfassend mit dem Corpus Delicti befasste, fand keine Anhaltspunkte für eine Manipulation der Papiere. Auch war dem Bezirksgericht schleierhaft, weshalb der Angeklagte die Pensionskasse ändern sollte. Ebenfalls unsinnig erschien, dass der angebliche Fälscher sich selbst vom Geschäftsführer zum Technischen Leiter degradieren sollte. Trotz dieses klaren Verdikts zog der Unternehmer vor Obergericht und liess seinen Anwalt weiterhin behaupten, der Angeklagte habe ihn hintergangen. In der Urteilseröffnung hört man zwischen den Zeilen förmlich ein leises Seufzen des Obergerichts. Der Vorsitzende eröffnet mit der Feststellung, es gebe in diesem Verfahren «sehr viele Akten, sehr viele Behauptungen und Gegenbehauptungen und sehr viele Belege und Gegenbelege». Zwar bestünden gewisse Zweifel, ob der Kläger den Vertrag wissentlich und willentlich so unterschrieben habe. Was aber nicht ausreiche, um den Beklagten strafrechtlich zu belangen, ergo erfolge ein Freispruch. Der Bauunternehmer schüttelt den Kopf und flucht tonlos gen Himmel. In luftige Höhen steigen mit dem Urteil auch seine Ausstände. Er hat nun nicht nur seinen ehemaligen Angestellten vollumfänglich zu entschädigen, sondern auch sämtliche Anwaltskosten und Gerichtsgebühren zu tragen, alles zusammen weit über 100 000 Franken. Vielleicht ein himmelschreiendes Unrecht, vielleicht gilt aber auch: Wer andern eine Grube gräbt … YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 363/15


Hausmitteilung Mikado in der kalten Zeit

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 (0)61 564 90 99 redaktion@vereinsurprise.ch

SURPRISE 363/15

BILD: TOBIAS SUTTER

dazu äussert, hat verloren. Hinzu kommen hemmungslose Hetzparolen, Beschimpfungen und Vorurteile in den Kommentarspalten und sozialen Medien. Niemand hat Antworten auf die Frage, was denn zu tun sei. Surprise macht sich seit jeher gegen Armut und Ausgrenzung stark. Aus unseren Erfahrungen mit diesen Anliegen lassen sich einige Schlüsse ziehen: Erstens braucht es fortwährende Aufklärung. Es braucht Fakten, damit sich die Diskussion versachlicht. Es braucht Geschichten, welche die Realität abbilden und so die Gespenster der Angst vertreiben. Zweitens braucht es in der Schweiz mehr mutige politische Figuren, zum Beispiel wie Angela Merkel in Deutschland. Ich stimme mit ihr zwar politisch selten überein, aber sie zeigt Haltung und hat die Solidarität der Bevölkerung aufgenommen und unterstützt. Wir als Land müssen in dieser Lage solidarisch sein und helfen. Experten prognostizieren, dass die Flüchtlinge ab nächsten Frühling an die Schweizer Grenzen gelangen werden. Bereits jetzt steigen die Zahlen der Asylgesuche, und die einst zusammengestrichenen Unterbringungsplätze sind ausgelastet. Die Reduittaktik ist passé. Drittens, und ganz wichtig, braucht es Solidarität allen Randgruppen gegenüber. Das Ausspielen der hiesigen Armutsbetroffenen gegenüber den Flüchtlingen ist unzulässig. Alle, die in einer Position der Ohnmacht sind, brauchen Unterstützung und sollen sie erhalten.

Armut und Ausgrenzung sind Produkte unserer Gesellschaft. Es beginnt eine kalte Zeit – zeigen wir Menschlichkeit und Solidarität. In den kleinen Gesten wie auch in den politischen Anliegen. Danke für Ihre Unterstützung, Ihre Solidarität, Ihre Haltung.

Paola Gallo Geschäftsleiterin Verein Surprise

BILD: ZVG

Kürzlich war ich in Zürich am Bahnhof und habe unseren dortigen Strassenverkäufer begrüsst. Eine Dame stand bei ihm und erklärte mir auch gleich, dass sie diesen Strassenverkäufer als Starverkäufer nominieren wolle. Ein Schwall an Lob und Anerkennung floss aus ihr heraus, der Verkäufer war sichtlich gerührt. Die Dame ging und schon kam der Nächste: ein junger Mann – ein Banker, wie sich herausstellte – brachte dem Verkäufer einen warmen Kaffee, damit er sich aufwärmen könne in dieser kalten Zeit. Die Menschen helfen und sind solidarisch. Diese Erfahrung machen unsere Verkaufenden speziell in den Wintermonaten. Besondere Solidaritätsbekundungen gibt es auch für Flüchtlinge. In einzelnen Städten haben Privatpersonen Spenden wie Kleider und Decken gesammelt. Einige verschicken die Güter, andere gehen vor Ort zu den Flüchtlingen und verteilen, was sie gesammelt haben. Sie helfen spontan und gezielt, um der akuten Notlage entgegenzuwirken. Und was tut die offizielle Schweiz? Die Medien beschränken sich auf eine larmoyante, polemische Berichterstattung. Andere publizieren die Gedanken kritischer Schriftsteller, um diese dann mit Dürrenmatt und Frisch zu vergleichen, den «wahren» Schwergewichten von damals, denen die heutigen Intellektuellen, so die viel gehörte Meinung, halt nicht das Wasser reichen könnten. Die Politiker in Bundesbern und in den Kantonen spielen beim Thema Migration Mikado: Wer sich

Starverkäuferin Anka Stojko Simone Beldi aus Basel kürt Anka Stojko zur Starverkäuferin, weil sie «einem ein strahlendes Lächeln schenkt, wenn man sich etwas Zeit nimmt, um sich mit ihr über das Schöne und auch Schwierige im Leben auszutauschen. Eine wunderbare Frau.»

9


10

SURPRISE 363/15


Franziskus «Ich möchte eine Welt ohne Armut» Der Papst hat unseren Kollegen von der Utrechter Strassenzeitung Straatnieuws ein exklusives Interview gegeben – ein Gespräch über seine Kindheit auf den Strassen von Buenos Aires, den Vatikan als goldenen Käfig und den Reichtum der katholischen Kirche.

VON STIJN FENS UND JAN-WILLEM WITS (INTERVIEW) UND FRANK DRIES (BILDER)

Wie begann Ihr persönliches Engagement für die Armen? Es gibt so vieles, woran ich mich erinnere. Da war die Frau, die dreimal die Woche bei uns zuhause gearbeitet hat, um meiner Mutter zum Beispiel mit der Wäsche zu helfen. Die Familie hatte zwei Kinder, sie waren Italiener und hatten den Krieg überlebt. Sie waren sehr arm, aber sie waren sehr gute Menschen. Ich habe diese Frau nie vergessen. Ihre Armut hat mich bewegt. Wir waren selbst nicht reich, normalerweise reichte es bis zum Monatsende, aber nicht viel weiter. Wir hatten kein Auto, fuhren nicht in den Urlaub oder dergleichen. Aber diese Frau benötigte oft ganz grundlegende Dinge. Sie hatten nicht genug, daher gab meine Mutter ihr etwas. Irgendwann ging sie zurück nach Italien und kehrte später wieder nach Argentinien zurück. Ich traf sie wieder, als ich Erzbischof von Buenos Aires und sie bereits 90 Jahre alt war. Ich stand

Es ist noch früh, als wir den Dienstboteneingang des Vatikans links vom Petersdom passieren. Wir steuern auf das Domus Sanctae Marthae zu, das Gästehaus des Vatikans, in dem jedoch auch Papst Franziskus wohnt. Das Domus Sanctae Marthae ist aller Wahrscheinlichkeit nach das aussergewöhnlichste Dreisternehotel der Welt. Das grosse weisse Gebäude, in dem Kardinäle und Bischöfe residieren, während sie im Vatikan ihren Dienst leisten oder ihn besuchen, ist auch die offizielle Residenz der Kardinäle während des Konklaves. Der Versammlungsraum ist schon vorbereitet. Dieser Raum, der dem Papst unter der Woche als Konferenzraum dient, ist ziemlich gross und mit Schreibtisch, Sofa, Tischen und Stühlen ausgestattet. Es beginnt das Warten. Marc, der «Ich habe keine Angst. Ich muss weiterhin über die Wahrheit sprechen mitgereiste Straatnieuws-Verkäufer, hat von und darüber, wie die Realität aussieht.» uns allen die meiste Geduld. Plötzlich erscheint der offizielle Fotograf des Papstes und ihr bis zu ihrem Tod im Alter von 93 Jahren bei. Eines Tages gab sie mir flüstert: «Der Papst kommt.» Und ehe wir uns versehen, betritt er den eine Medaille des Heiligsten Herzen Jesu, die ich immer noch jeden Tag Raum: Papst Franziskus, das geistliche Oberhaupt von 1,2 Milliarden bei mir trage. Diese Medaille, die auch ein Andenken ist, ist mir sehr Katholiken. «Bitte setzen Sie sich, Freunde», sagt er mit einer leichten wichtig. Möchten Sie sie sehen? Handbewegung. «Wie schön, dass Sie hier sind.» Heiliger Vater, welche Bilder kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie sich an die Strassen Ihrer Kindheit erinnern? Von meinem ersten Lebensjahr bis zu meinem Eintritt ins Seminar habe ich immer in derselben Strasse gelebt. Es war eine einfache Gegend in Buenos Aires, mit ein- und zweistöckigen Häusern. Es gab einen kleinen Platz, auf dem wir Fussball spielten. Ich erinnere mich daran, wie ich mich früher aus dem Haus schlich, um nach der Schule mit den Jungs Fussball zu spielen. Mein Vater arbeitete in einer Fabrik, die nur ein paar hundert Meter entfernt war. Er war Buchhalter. Und meine Grosseltern lebten nur 50 Meter entfernt. Wir lebten alle nur ein paar Schritte voneinander weg. Ich erinnere mich auch an die Namen der Menschen, denen ich als Priester das Sakrament erteilte, weil ich sie liebte, und das für so viele den letzten Trost darstellte. Waren Sie ein guter Fussballspieler? Nein. Wenn man in Buenos Aires so Fussball spielt wie ich, wird man als «pata dura» bezeichnet. Das bedeutet, man hat zwei linke Füsse! Ich hab trotzdem gespielt, oft als Torwart. SURPRISE 363/15

Etwas mühsam zieht Papst Franziskus die Medaille hervor, die nach jahrelangem Tragen inzwischen komplett entfärbt ist. Auf diese Weise denke ich jeden Tag an sie und daran, wie sehr sie unter ihrer Armut gelitten hat. Und ich denke an all die anderen, die leiden. Ich trage die Medaille und verwende sie, wenn ich bete. Welche Botschaft hat die Kirche für Obdachlose? Ich denke da an zwei Dinge. Jesus kam ohne ein Zuhause auf die Welt und wählte die Armut. Die Kirche versucht, uns alle zu vereinen, und sagt, jeder habe das Recht auf ein Dach über dem Kopf. Populäre Bewegungen arbeiten auf die drei spanischen Ts hin: trabajo, techo und tierra (Arbeit, Dach und Land, Anm. d. Red.). Die Kirche lehrt, dass jeder Mensch ein Recht auf diese drei Ts hat. Sie haben wiederholt mehr Aufmerksamkeit für Arme und Flüchtlinge gefordert. Befürchten Sie nicht, dass dies zu einer Informationsübersättigung in der Gesellschaft führen könnte?

11


«Ich denke nicht darüber nach, dass ich berühmt bin»: Franziskus mit Straatnieuws-Verkäufer Marc.

Wenn wir uns mit einem Thema befassen müssen, das nicht angenehm ist und worüber es nicht leicht fällt zu sprechen, unterliegen wir alle der Versuchung zu sagen: Ach, lass uns nicht mehr darüber sprechen, es ist einfach zu schwierig. Ich verstehe, dass die Möglichkeit der Informationsüberflutung besteht, aber davor habe ich keine Angst. Ich muss weiterhin über die Wahrheit sprechen und darüber, wie die Realität aussieht. Ist das Ihre Pflicht? Ja, das ist meine Pflicht. Ich spüre sie in mir. Es ist kein Gebot, aber als Menschen sollten wir alle so handeln. Wie kann die Kirche sich äussern, um Einfluss auszuüben, und gleichzeitig dem politischen Schaukampf fernbleiben? An dieser Stelle gibt es Wege, die zu Fehlverhalten führen. Ich möchte auf zwei Versuchungen hinweisen. Die Kirche muss die Wahrheit sagen und zugleich Zeugnis ablegen: das Zeugnis der Armut. Wenn man als Gläubiger über Armut oder Obdachlose redet, selbst aber ein Leben im Luxus führt, ist das nicht genug. Das ist die erste Versuchung. Die zweite Versuchung besteht darin, Vereinbarungen mit Regierungen zu treffen. Sicherlich können Vereinbarungen getroffen werden, aber diese müssen klar und durchschaubar sein. Wir verwalten zum Beispiel dieses Gebäude, aber alle Konten werden genau überprüft, um Korruption zu verhindern. Denn die Versuchung der Korruption ist im öffentlichen Leben allgegenwärtig. Vor allem in der Politik? Sowohl in der Politik als auch in der Religion. Ein Beispiel: Als Argentinien unter der Militärherrschaft in den Falklandkrieg mit Grossbritan-

12

nien eintrat, spendeten die Menschen an wohltätige Organisationen, und viele, darunter auch Katholiken, die für die Verteilung dieser Spenden an Bedürftige zuständig waren, nahmen diese stattdessen selbst mit nach Hause. Die Gefahr der Korruption besteht immer. Einmal fragte ich einen argentinischen Minister, einen ehrlichen Mann, der von seinem Amt zurücktrat, weil er einigen Punkten, die nicht transparent genug waren, nicht zustimmte: «Wenn Sie Hilfe in Form von Mahlzeiten, Kleidung oder Spenden an die Armen und Bedürftigen schicken, wie viel von dem Geld und den Gütern kommt bei denen an, die sie benötigen?» Er sagte: «35 Prozent.» Was bedeutet, dass 65 Prozent verloren gehen. Das ist Korruption: ein bisschen für mich, und noch ein bisschen für mich. Glauben Sie, dass Sie bisher unter Ihrem Pontifikat eine Veränderung der Mentalität erreichen können, etwa in der Politik? Ich weiss es nicht. Ich weiss, dass einige gesagt haben, ich sei ein Kommunist. Aber diese Kategorie ist ein bisschen veraltet. (lacht). Vielleicht drücken wir das heutzutage mit anderen Worten aus … … Marxist, Sozialist? Diese Worte hat man auch verwendet. Obdachlose haben finanzielle Probleme, aber einige entwickeln ihre eigene Form von Freiheit. Der Papst hat keine materiellen Bedürfnisse, aber manche halten ihn für einen Gefangenen des Vatikans. Haben Sie sich schon einmal gewünscht, Sie könnten mit einem Obdachlosen tauschen? Ich erinnere mich an Mark Twains Buch «Der Prinz und der Bettelknabe». Jeden Tag Essen, Kleidung, ein Bett zum Schlafen, ein Schreibtisch, SURPRISE 363/15


an dem man arbeiten kann, Freunde sind auch da – nichts fehlt. Aber Mark Twains Prinz lebt in einem goldenen Käfig.

kenhäuser und Schulen etwa. Gestern zum Beispiel habe ich veranlasst, dass 50 000 Euro in den Kongo gehen, um drei Schulen in armen Dörfern zu errichten. Bildung ist so wichtig für Kinder. Ich ging zur Verwaltung, stellte den Antrag, und das Geld wurde geschickt.

Fühlen Sie sich hier im Vatikan frei? Zwei Tage, nachdem ich zum Papst gewählt wurde, wollte ich das päpstDen Abschluss des Gesprächs übernimmt Strassenverkäufer Marc, der liche Appartement im Apostolischen Palast beziehen. Es ist kein luxuriein paar Fragen an den Papst vorbereitet hat: öses Appartement, aber es ist geräumig und gross. Nachdem ich mir das Appartement angeschaut hatte, erschien es mir ein bisschen wie ein umgekehrter Trichter: «Ich möchte eine Welt ohne Armut. Aber die Sünde steckt immer in uns. Obwohl es so gross war, gab es nur eine kleine Daher fällt es mir schwer, mir eine Welt ohne Armut vorzustellen.» Tür. Das bedeutet Isolation. Ich dachte, hier kann ich nicht wohnen, einfach aus Gründen Heiliger Vater, haben Sie schon als kleiner Junge davon geträumt, der psychischen Gesundheit. Das täte mir nicht gut. Anfangs erschien es Papst zu sein? ein bisschen komisch, aber ich bat darum, hier zu bleiben, im Domus Nein. Aber ich werde Ihnen ein Geheimnis erzählen: Als ich klein war, Sanctae Marthae. Und das tut mir gut, denn hier fühle ich mich frei. Ich gab es nicht viele Läden. Wir hatten einen Markt, wo es einen Metzger, esse im Speisesaal, wo alle Gäste essen. Und wenn ich früh dran bin, einen Gemüsehändler und so weiter gab. Ich ging mit meiner Mutter speise ich mit dem Personal. Ich treffe Menschen und begrüsse sie, daund meiner Grossmutter einkaufen. Einmal, als ich noch recht klein durch fühlt sich der goldene Käfig ein bisschen weniger wie ein Käfig war, vielleicht vier, fragte mich jemand: «Was möchtest du werden, an. Aber ich vermisse die Strasse. wenn du einmal gross bist?» Und ich antwortete: «Metzger!» Heiliger Vater, Marc (der mitgereiste Straatnieuws-Verkäufer, Anm. Vor dem 13. März 2013 waren Sie vielen völlig unbekannt. Dann d. Red.) würde Sie gerne auf eine Pizza mit uns einladen. Was meiwurden Sie von einem Tag auf den anderen weltberühmt. Wie war nen Sie? diese Erfahrung für Sie? Das würde ich gerne tun, aber es würde nicht funktionieren. Denn soEs geschah unerwartet. Aber ich habe meinen inneren Frieden nicht verbald ich hier weggehe, würden die Menschen zu mir kommen. Als ich loren. Und das ist eine Gnade Gottes. Ich denke nicht wirklich darüber in die Stadt ging, um meine Brillengläser austauschen zu lassen, war es nach, dass ich berühmt bin. Ich sage mir: Jetzt hast du eine wichtige sieben Uhr abends. Kaum jemand war auf der Strasse. Man fuhr mich Stellung, aber in zehn Jahren wird dich keiner mehr kennen (lacht). zum Optiker, und kaum stieg ich aus dem Auto rief eine Frau, die mich Wissen Sie, es gibt zwei Arten von Ruhm: den Ruhm der ganz Grossen, sah: «Da ist der Papst!» Und dann war ich drin, und all diese Menschen derjenigen, die wirklich grosse Taten vollbracht haben, wie Madame Custanden draussen … rie, und den Ruhm der Eitlen. Aber diese zweite Art von Ruhm ist wie eine Seifenblase. Vermissen Sie den Kontakt mit Menschen? Ich vermisse ihn nicht, weil die Menschen hierher kommen. Jeden MittKönnen Sie sich eine Welt ohne Armut vorstellen? woch bin ich für die Generalaudienz auf dem Petersplatz, und manchIch möchte eine Welt ohne Armut. Dafür müssen wir kämpfen. Aber ich mal gehe ich zu einer der Ortsgemeinden – ich halte Kontakt zu den bin gläubig und ich weiss, dass die Sünde immer in uns steckt. Und es Menschen. Gestern (am 26. Oktober, Anm. d. Red.) etwa kamen über gibt immer menschliche Habgier, fehlenden Zusammenhalt und Ego5000 Sinti und Roma zur Vatikanischen Audienzhalle. ismus, die Armut verursachen. Daher fällt es mir schwer, mir eine Welt ohne Armut vorzustellen. Man denke nur an die Kinder, die als Sklaven Ihr Namenspatron, der Heilige Franziskus, begab sich in radikale Arausgebeutet oder sexuell missbraucht werden, oder an eine weitere mut und verkaufte sogar sein Evangeliar (liturgisches Buch mit dem Form der Ausbeutung, den Organhandel. Kinder zu töten, um ihre Text der vier Evangelien, Anm. d. Red.). Fühlen Sie sich als Papst Organe zu erhalten, ist Habgier. Daher weiss ich nicht, ob wir jemals in und Bischof von Rom unter Druck gesetzt, die Schätze der Kirche zu einer Welt ohne Armut leben werden, denn es gibt immer Sünde, und verkaufen? das führt zu Egoismus. Aber wir müssen immer kämpfen. Immer. Das ist eine einfache Frage. Das sind nicht die Schätze der Kirche, son■ dern vielmehr die Schätze der Menschheit. Wenn ich beispielsweise morgen Michelangelos Pietà versteigern wollte, könnte ich das nicht, Der freie Journalist Stijn Fens ist spezialisiert auf katholische Fragen und den weil sie nicht das Eigentum der Kirche ist. Sie befindet sich in einer Vatikan. Der Autor Jan-Willem Wits ist der ehemalige Kommunikationsberater Kirche, gehört aber der gesamten Menschheit. Das trifft auf alle Schätze niederländischer Bischöfe. der Kirche zu. Aber wir haben damit angefangen, die Geschenke und anderen Dinge, die mir gegeben werden, zu verkaufen. Und die VerÜbersetzt aus dem Italienischen ins Englische von Translators without Borders. kaufserlöse gehen an Monsignor Krajewski, meinen Almosner (ErzAus dem Englischen von Julie Mildschlag. bischof Konrad Krajewski, der für die Verteilung von Geldern an die Armen zuständig ist, Anm. d. Red.). Und dann gibt es noch die Lotterie. Wir haben Autos über eine Lotterie verkauft, und der Erlös ging an die Armen. Was verkauft werden kann, wird verkauft. Ihnen ist bewusst, dass der Reichtum der Kirche diese Erwartungshaltung hervorrufen könnte? Ja. Wenn wir einen Katalog aller Besitztümer der Kirche erstellen würden, könnte man denken, dass die Kirche sehr reich ist. Die Kirche besitzt ein grosses Grundvermögen, aber das wird verwendet, um die Strukturen der Kirche aufrechtzuerhalten und die vielen Arbeiten zu finanzieren, die in hilfsbedürftigen Ländern ausgeführt werden, KranSURPRISE 363/15

Mit freundlicher Genehmigung von INSP News Service / Straatnieuws www.insp.ngo

13


Syrien Augenblicke des Wahnsinns Die syrische Autorin Samar Yazbek hat die Entwicklung der Gewalt in ihrer Heimat miterlebt, von den ersten Schüssen auf Demonstranten bis zur Bestialität der Dschihadisten. Aus ihren Schilderungen wird klar, welches Ausmass die Katastrophe angenommen hat, deren Folgen nun auch Europa erreicht haben.

VON SAMAR YAZBEK

Wenige Europäer, die jetzt entsetzt auf die Flüchtlingskatastrophe blicken, wissen, was Hunderttausende Syrer dazu bewegt, die beschwerliche Reise hin zu einem sichereren Leben anzutreten. Im März 2011 gingen die ersten Menschen in Syrien friedlich gegen das Assad-Regime auf die Strasse. Auf diese Demonstrationen reagierte das Regime mit äusserster Brutalität. In den aufständischen Regionen wurden die Menschen verhaftet, getötet, gefoltert, erniedrigt, und all dies wird bis heute begleitet von einer medialen Aufhetzung der Religionsgemeinschaften gegeneinander. Die extreme Gewalt setzte ein unterdrücktes Gefühl der Schmach frei, das die Syrer in den letzten Jahrzehnten in ihren Herzen gespürt hatten, und so verbreiteten sich die Demonstrationen, an denen Freiheit gefordert wurde, rasch im ganzen Land. Das Assad-Regime reagierte immer brutaler, und auch die Macht der Geheimdienste wurde ausgeweitet. Geheimdienstmilizen wurden ins Leben gerufen, deren Aufgabe es war, die Aufstände zu unterdrücken und die Demonstranten zu töten. Dann wurden die aufständischen Städte, Ortschaften und Dörfer bombardiert, und auch die Demonstranten griffen zu den Waffen. So entstand die Freie Syrische Armee. Dies war der Beginn der Katastrophe, denn nun wurden die Landesteile, die sich der Kontrolle des Assad-Regimes entzogen hatten, dem Erdboden gleichgemacht. Die Flugzeuge bombardierten ohne Unterlass und tun dies bis zu diesem Augenblick. Gleichzeitig war die syrisch-türkische Grenze so durchlässig, dass Tausende extremistische Kämpfer ins Land strömten. Auch flossen Geld-

Türkei

Aleppo Idlib Sarakib Maarrat al-Numan Kafranbel

Rakka

Irak Syrien

Libanon

Damaskus

Israel

14

Jordanien

ströme an Gruppen mit islamistisch-extremistischer Ausrichtung, aus denen der sogenannte Islamische Staat IS, der Al-Qaida-Ableger NusraFront und weitere bewaffnete dschihadistische Gruppierungen entstanden. Während diese extremistischen Gruppen zu Waffen und Geld kamen, wurden die Führer der Freien Syrischen Armee, die eine revolutionäre und nationale Vision im Kampf gegen das Assad-Regime verfolgten, ermordet. Auch zivile und säkulare Aktivisten wurden von diesen Gruppen entführt, getötet und vertrieben. Mit den fortgesetzten Bombardierungen und Belagerungen entwickelten sich diese Landstriche zu semi-militärischen Zonen, in denen Al-Qaida und andere islamistische bewaffnete Gruppen das Sagen haben. Sowohl die Gewalt des Regimes als auch jene der dschihadistischen Gruppierungen und des IS nahm immer weiter zu, wodurch ziviles Leben ausgelöscht wurde. Die Menschen sind nun gefangen zwischen der extremistisch-religiösen Willkürherrschaft der Dschihadisten und den Bomben eines verbrecherischen, brutalen Regimes. Der mörderische Krieg der letzten Jahre hat sich zudem zu einem internationalen Krieg entwickelt, in dem Iran, eine von den USA angeführte Koalition, und nun auch noch Russland direkt intervenieren. Terror als Folge des Terrors In der Zeit zwischen den ersten Monaten der Revolution im Jahr 2011 und dem Ende des Sommers 2013, als ich das Land endgültig verliess, war ich Zeugin der Ereignisse in Syrien. Das ganze Land war zu einer Bühne des Verbrechens mit täglich stattfindenden Massakern geworden. Ich habe gesehen, wie die ersten Schüsse vor viereinhalb Jahren auf die Demonstranten in den Damaszener Vorstädten Harasta und Duma abgegeben wurden und wie die Fassbomben aus Assads Flugzeugen auf die Zivilisten im Umland von Idlib fielen. Und ich habe die Bestialität des IS gesehen. So betrachtet nimmt die Katastrophe, vor der die Menschen fliehen, deutlichere Formen an. Wir haben es mit einer äusserst komplizierten Situation zu tun, und doch wird es so dargestellt, als flöhen die Syrer nur vor dem IS und den Dschihadisten. Der mörderische Krieg jedoch, den die westlichen Medien als einen Krieg gegen den Terrorismus bezeichnen, ist in Wirklichkeit viel schrecklicher, denn der Terror in Syrien hat zwei Seiten. Während man im Westen nur über die Gräueltaten des IS berichtet, wird über die andere Seite geschwiegen, über den Terror des Regimes von Baschar al-Assad, von dem der Terror des IS nur eine Folge ist. Die Menschen im Umland von Idlib und Aleppo leben nicht, sie überleben. Ihre Tage bestehen aus einer Abfolge von Augenblicken des Wahnsinns, die Menschen nehmen den Tod in Empfang, sie feiern ihn und bereiten sich auf ihn vor. In den meisten Ortschaften, die bombardiert werden, finden sich militärische Stützpunkte der Opposition, die nur ein paar Meter oder Kilometer von der Front zum Assad-Regime entfernt sind. Ganze Dörfer, Ortschaften und Städte stellen so eine einzige SURPRISE 363/15


SURPRISE 363/15

15 BILD: KEYSTONE/KONTINENT/NICLAS HAMMARSTRÖM


16

SURPRISE 363/15

BILD: ZVG

tötet und vor ihren Augen ihr Hab und Gut in Brand gesetzt hatte. Das ununterbrochene Frontlinie dar, wo die Zivilisten zwischen der Herrwaren Assads Leute, sagte sie. Sie hätte sich gewünscht, vor ihren Kinschaft der islamistischen Milizen und den Bombardements aus Assads dern zu sterben. Flugzeugen leben. Ein Teil der Syrer ist geblieben, ein Teil floh in andere Dörfer, und wieder andere haben das Land endgültig verlassen. Den Tod aufschieben In Sarakib, in Kafranbel, in Maarrat al-Numan und in anderen Orten Zwei Jahre nach diesem Ereignis, Anfang 2015, stand ich durch meider Region verläuft das Leben nach dem gleichen Muster. Das Wichtigne Arbeit für ein Frauenprojekt in Kontakt mit einer jungen Frau, die ihste ist die Bewegung der Flugzeuge am Himmel. Grundbedürfnisse sind re Stadt Rakka hatte verlassen müssen, weil diese vom IS kontrolliert zum Luxus geworden. Eine Familie, bei der ich für einige Zeit zwischen wurde. Einer ihrer Brüder hatte zu den friedlichen Aktivisten der Pro2012 und 2013 wohnte und mit der ich über Skype noch immer in Kontestbewegung von 2011 gehört und war von Assads Geheimdienst ertakt stehe, hat das Zentrum von Sarakib verlassen und lebt nun am mordet worden. Ein zweiter Bruder war in den Kerkern des IS verRand der Felder, wo nur selten Bomben fallen. schwunden. Einen Nachbarn hatte der IS getötet. Seit der IS in die Stadt Wie haben wir unsere Tage damals verbracht? Es gab nur noch wegekommen sei, habe sie nicht mehr auf die Strasse gekonnt, erzählte sie. nige Männer vor Ort, die meisten waren an der Front, in Haft oder tot. Weil sie so zur Untätigkeit verdammt war und einen Gesichtsschleier Nur ein Mann namens Abu Ibrahim lebte mit uns im Haus. Er war Mittragen musste, floh das Mädchen heimlich aus der Stadt. te fünfzig und das Familienoberhaupt. Ausser ihm gab es nur Frauen Eine andere Frau berichtete mir, wie die Nusra-Front den Mädchen und Kinder. Wir mussten uns um die alltäglichen Dinge kümmern, um ihres Dorfes den Gesichtsschleier aufzwang und sich mit der Gewalt von Essen und Trinken, um den Strom, der meist abgestellt war, wir gingen Waffen und Religion in das Leben der Menschen einmischte. Eine andezum Markt im Zentrum des Ortes, wo nur wenige Läden geöffnet hatten re erzählte, sie werde ihr Zuhause niemals verlassen und trotz der Bomund wo es etwas Gemüse und Grundnahrungsmittel zu kaufen gab. Die Bäckereien hatten geschlossen, denn sie waren bombardiert worden. Ein Besuch des Marktes Das sind Geschichten von Syrern, wie sie nun in Europa leben. Wenn sie von Sarakib war jedoch gefährlich, weil er imsich zur Flucht über das Meer entschliessen, tun sie dies erst, wenn mer wieder Ziel von Bombenangriffen wurde. sie glauben, sie könnten den Tod aufschieben. Trotzdem machten sich die Bewohner nach jedem Massaker daran, die Zerstörungen zu beben und der Einschränkungen durch die islamistischen Bataillone bleiseitigen und ihre Läden wieder zu öffnen. Und die Menschen kehrten ben. Von einem Freund, einem jungen Mann, der jetzt, nach einer lanzurück und kauften ein. Die Kraft des Lebens und des Widerstands ist gen, qualvollen Reise, als Flüchtling in Deutschland lebt, erfuhr ich, beispiellos. dass sein Bruder vom IS in Deir al-Zor getötet wurde. Der junge Mann All diese Banalitäten machten das Leben zur Hölle, auch wenn die floh daraufhin zusammen mit seiner Familie zu Fuss in die Türkei. Familie, bei der ich lebte, zur Mittelschicht gehörte. Doch wenn FassDas sind Geschichten von Menschen, wie sie nun in ganz Europa verbomben und Raketen fallen, sind alle Menschen gleich. streut als Flüchtlinge leben. Wenn sie sich, trotz der Gefahr zu ertrinken, zur Flucht über das Meer entschliessen, tun sie dies erst, wenn sie Leben in der Höhle keinen Ausweg mehr sehen, wenn sie glauben, sie könnten den Tod aufAusserhalb von Sarakib, kurz vor Maarrat al-Numan, lebte eine schieben, weit fort von ihrem Land, in dem es kein Wasser gibt und keiFlüchtlingsfamilie in einer Lehmhöhle. Im 21. Jahrhundert! Die Familie nen Strom und keine Nahrungsmittel und keine persönliche Sicherheit. bestand aus einem Mann, zwei Frauen und neun Kindern. Die Höhle, eiDenn zuhause gibt es nur Armut und Ausbeutung, russische und andene Grabstätte aus der byzantinischen Zeit, war nichts als ein Loch von re Flugzeuge, die aus der Luft bombardieren, radikale Islamisten, die ein nicht mehr als 50 Quadratmetern; durch die feuchte Lehmdecke sickernormales Leben unmöglich machen. Deshalb fliehen die Syrer scharente das Wasser. Die Kinder spielten draussen, weil es in der Höhle auch weise und kommen in Kolonnen von Hunderttausenden nach Europa, am helllichten Tag stockdunkel war. Die Mutter zündete einen Docht an, das ob ihrer Anwesenheit endlich aufwacht. Diese syrischen Flüchtlinder einen ekelerregenden Gestank verbreitete und schwarze Rauchge sind der unmittelbare und tragische Beweis dafür, dass sich in unseschwaden aufsteigen liess. Die andere Frau war im vierten Monat rer Zeit eine schreckliche Katastrophe vollzieht. schwanger. Sie sagte, sie hätten keinen Ort, an den sie fliehen könnten. ■ Sie hätten auch nicht das Geld, um Syrien zu verlassen und einem Schlepper die Flucht nach Europa zu bezahlen. Sie besassen kaum geAus dem Arabischen von Larissa Bender nügend Geld zum Essen. Einer Tochter hatte eine Granate ein Bein abgerissen. Die Mutter meinte, sie wolle Syrien verlassen, weil sie sogar in der Höhle von den Bombardierungen nicht verschont würden und die Kinder vor Hunger stürben. Ich weiss nicht, was aus der Familie geworSamar Yazbek, geboren 1970 in Syrien, verden ist: Bei meinem zweiten Besuch einige Monate später, Ende Somöffentlichte Romane und Erzählungen und mer 2013, war die Höhle leer. Einige Granaten waren dort niedergeganengagierte sich für Frauen- und Bürgerrechgen. Aktivisten sagten mir, die Bewohner der Höhle seien in Richtung te. Als die syrische Revolution begann, beder türkischen Grenze geflohen. fragte Yazbek Demonstranten, Dissidenten, Einmal war ich mit einer Mutter unterwegs, die beschlossen hatte, in Polizisten und Militärs. Dieses Protokoll erder Türkei Zuflucht zu suchen. Sie hatte einen geistig behinderten Sohn, schien 2012 unter dem Titel «Schrei nach der ihr als einziger von drei Söhnen geblieben war. Sie wurde von ihrer Freiheit». Als Yazbek erfuhr, dass ihr Name 20-jährigen Tochter begleitet, die Englische Literatur studiert hatte. Die auf einer Todesliste stand, floh sie mit ihrer Mutter erzählte mir, dass sie nichts mehr vom Leben erwarte. Sie war Tochter ins Ausland. Seither reiste sie mehrerschöpft und sah aus wie 60, wenngleich sie die 40 noch nicht überfach heimlich nach Syrien, um die Menschen schritten hatte. Die Schergen des Regimes hatten ihr Haus in Flammen im Bürgerkrieg zu porträtieren. Als Resultat aufgehen lassen, und nun wollte sie sich in Sicherheit bringen. Mit ihr dieser Reisen veröffentlichte sie dieses Jahr «Die gestohlene Revoluzusammen überquerte ich nachts die Grenze. Den ganzen Weg über ertion». 2012 erhielt Samar Yazbek den britischen PEN/Pinter Internazählte sie mir weinend, wie man ihre beiden Söhne in ihren Armen getional Price of Courage und in Schweden den Tucholsky-Preis.


BILD: REUTERS/MAX ROSSI

Migration «Wir dachten, wir schaffen das nicht» Während in Europa Grenzen dichtgemacht werden und Verteilquoten das grosse Thema sind, nimmt das kalabrische Dorf Riace seit Jahren aktiv Flüchtlinge auf. Und zwar nicht nur aus Altruismus, sagt Bürgermeister Domenico Lucano – sondern weil die Migranten das Dorf retten.

SURPRISE 363/15

17


So retten die Geretteten das Dorf, neuer Schwung ist in die lokale Wirtschaft gekommen. 65 Stellen konnten geschaffen werden, Città Futura ist der grösste Arbeitgeber im Dorf. Die Schule konnte ihren Betrieb wieder aufnehmen, die lokalen Geschäfte haben wieder eine Zukunft. Aber auch die Flüchtlinge profitieren von der Situation, zumindest geht es ihnen besser als den Tausenden anderen Asylsuchenden in Italien, die auf der Strasse leben oder in Zentren, die Gefängnissen gleichen. Motor und Aushängeschild von Riace und von Città Futura ist Domenico Lucano. Von Anfang an war er dabei, seit elf Jahren ist er Gemeindepräsident. Er ist es auch, der das Modell Riace in die Welt hinaus trägt, wie während seines Besuches in Bern Anfang November, wo er den diesjährigen Preis der Stiftung für Freiheit und Menschenrechte entgegennahm. Bürgermeister Lucano wirkt müde und abgekämpft, er war den ganzen Tag unterwegs, besuchte unter anderem ein Schweizer Asylzentrum. Trotzdem nimmt er sich eine Stunde Zeit für das Gespräch, in dessen Verlauf er seine Ausführungen immer wieder lebhaft mit schwungvollen Gesten unterstreicht.

INTERVIEW VON MANUELA ZELLER

Eigentlich war es der Wind, der die Flüchtlinge nach Riace brachte. Die Legende geht so: 1998 bestiegen 218 Kurdinnen und Kurden in Anatolien ein Segelboot, um vor der Gewalt und Unterdrückung in ihrer Heimat zu fliehen. Die Reise endete an der süditalienischen Küste, wo die Flüchtlinge durchgefroren, entmutigt und mit unsicherer Zukunft an Land gingen. Nicht weit entfernt lag ein kleines Dorf namens Riace. Die Riacesi hatten ebenfalls ein Problem: Das Bergdorf lag im Sterben. Die Jungen zogen weg, dahin wo es Jobs gibt, eine Uni, Perspektiven. Die Alten blieben zurück. So trafen die 218 Gestrandeten auf 500 Zurückgelassene – der Anfang eines unwahrscheinlichen Märchens. Das mittellose Bergdorf lädt die Flüchtlinge ein zu bleiben. Hand in Hand richten die Kurdinnen und Kurden, die Italienerinnen und Italiener die verlassenen und zerfallenen Häuser wieder her, unverhofft bekommt das sterbende Dorf neues Leben eingehaucht. Mehr als 15 Jahre sind vergangen seit dem «Wunder von Riace», wie es von Enthusiasten genannt wird. Inzwischen hat sich das Märchen zu Domenico Lucano, wie viele Flüchtlinge leben derzeit in Riace und einer ökonomischen Erfolgsgeschichte gewandelt. Nicht mehr ganz so wie viele Alteingesessene? romantisch, dafür lukrativ. Es ist nicht mehr der Wind, der die MenEs gibt 1400 Alteingesessene und 400 Einwohner, die einst als Flüchtschen nach Riace bringt, sondern die zuständige Behörde. Flüchtlinge, linge gekommen sind. Dazu kommen etwa 100 Notfälle, die nur vordie die Mittelmeer-Passage überleben, werden am Ankunftsort registriert und, wenn sie Glück haben, nach Riace geschickt. Dort bleiben sie, während ihr Asyl«Es ist schwierig, eine demokratische Gemeinschaft dazu zu bringen, antrag bearbeitet wird. Das kann mehr als ein Solidarität zu leben. Aber gesamthaft funktioniert es bei uns.» Jahr dauern. Während dieser Zeit sind die Asylsuchenden Teil der Dorfgemeinschaft, übergehend im Dorf bleiben. Wobei: Gehen möchten eigentlich die meiwohnen in den ehemals verlassenen, neu renovierten Häusern, besusten Asylsuchenden früher oder später. Es ist nicht einfach in Süditalien. chen einen Italienischkurs, helfen mit der Ernte, in der Altenpflege, Aber manche knüpfen Kontakte und bleiben länger. beim Putzen, beim Renovieren, in den Ateliers, in den Parks. Das Dorf und der dafür gegründete Verein Città Futura erhalten vom Und von den Kurdinnen und Kurden, die 1998 mit dem Segelschiff Innenministerium eine Pauschale von 34 Euro pro Tag und Flüchtling. kamen, wie viele sind geblieben? Von dem Geld werden die Mieten bezahlt, die Administration, die kleiVon ihnen ist eine Familie geblieben. Die meisten anderen sind nach einen Löhne für die oben erwähnten Hilfen im Dorf. Ausserdem erhalten nem Jahr weitergereist, meines Wissens nach Deutschland. die Asylsuchenden ein kleines Taschengeld, ausbezahlt zum grössten Teil in «Riace-Euros», der lokalen Währung, mit der nur im Dorf bezahlt werDas Dorf erhält einen Geldbetrag, wenn es Flüchtlinge aufnimmt, deden kann. Der Vorteil für die Geflüchteten: Sie können damit kaufen, was ren Asylantrag gerade bearbeitet wird. Sind denn auch Menschen sie wollen – und zwar bevor die staatlichen Beiträge mit monatelanger willkommen, für die keine staatliche Unterstützung bezahlt wird? Verspätung eintreffen. Der Vorteil für Riace: Das Geld bleibt im Dorf. Riace ist ein offenes Dorf, es sind alle willkommen, wir können zu niemandem Nein sagen, niemanden aussperren. Und wie finanziert sich diese Gastfreundschaft? Das ist kein Problem. Man kann sich das wie einen grossen Tisch vorstellen, an dem zehn Leute essen. Kommen noch zwei neue, können sich die einfach dazusetzen. Das Geld im grossen Topf muss dann halt für mehr Leute reichen. Bei uns kostet ein Haus aber auch sehr wenig, das Leben im Allgemeinen ist günstig. Das kann man überhaupt nicht vergleichen mit den Mieten in der Schweiz.

Adria

Italien

Mittelmeer

Algerien

18

Tunesien

Riace

Es muss also nie jemand unfreiwillig das Dorf verlassen? Nein, nein, niemand. Wie gesagt, die meisten wollen sowieso weiter, in den Norden. Und wenn jemand bleiben will, finden wir eine Lösung. Ein 66-jähriger Somalier zum Beispiel, der bekam nach zwei Jahren keine staatliche Unterstützung mehr. Aber es gibt hier ein wenig Arbeit für ihn, er übersetzt ab und zu, und seine Frau verdient etwas dazu, wir finden schon Lösungen. Bringen Sie auch Sans-Papiers unter? Wenn das Gesuch um Asyl abgelehnt wird, ziehen wir einen Anwalt hinzu. Wenn ein Gesuch endgültig abgelehnt wird und jemand nicht in Italien bleiben darf, kann er von den Carabinieri geholt werden, da können wir nichts ausrichten. Bisher hatten wir aber nie Probleme. SURPRISE 363/15


Wieso sind die Riacesi den Fremden gegen«Wenn die Ängste bleiben, ist das krankhaft, meiner Meinung nach. Ein über so offen? Lächeln ist wichtiger als die Diskussionen um 34 Euro.» Ich denke, es gibt drei Motive. Idealismus zum einen, der Wunsch nach einer besseren Gesellschaft. Dann zweitens das menschliche Bedürfnis, auf andere zuzugeWo stösst das Projekt an seine Grenzen? hen. Wir möchten alle instinktiv auf andere Menschen zugehen. Und Das Sozialwesen in Italien ist nicht vergleichbar mit dem der Schweiz. drittens der ganz konkrete Nutzen, das Dorf, das wieder auflebt. Es gibt praktisch kein Sozialwesen, kaum entsprechende Strukturen. Ausserdem steckt das Land in einer Wirtschaftskrise, Geld zu bekomOhne Nutzen also keine Solidarität, keine Integration? men ist wahnsinnig schwierig. Und von der Mafia umgeben zu sein, ist Richtig. Bei den meisten Menschen dominiert vermutlich das dritte Moauch nicht gerade hilfreich. Wir versuchen halt, das Beste aus der Situtiv. Je mehr die Nützlichkeit in den Vordergrund rückt, desto mehr veration zu machen. blassen die ersten beiden Motivationen. Deswegen ist es schwierig, eine demokratische Gemeinschaft dazu zu bringen, Solidarität zu leben. Können Sie sich dasselbe Modell für ein verlassenes Schweizer BergSo ist das halt, die einen haben Ideale, die anderen denken an ihren eidorf vorstellen? genen Nutzen. Aber gesamthaft funktioniert es bei uns. Ja! Das ist eine Gelegenheit für alle Bergdörfer. Es braucht dafür aber Persönlichkeiten, die so ein Projekt in die Hand nehmen. Wir sind ja Wieso ist es überhaupt wichtig, Migrantinnen und Migranten zu auch mehr als einfach eine Organisation, das ganze Dorf ist involviert. unterstützen? Übrigens hat mir das Schweizer Asylzentrum, das wir heute besucht haMigration ist Teil des Lebens, eine Normalität. Seit 100 Jahren wandern ben, überhaupt nicht gefallen. 80 Leute, auf so engem Raum. Oder dass Menschen aus unserem Dorf aus. Wir überlebten ja als Kleinbauern, sie Gutscheine nur für Lebensmittel erhalten. Die Menschen haben so Landwirte. Das zerklüftete Land, das so mühsam zu bewirtschaften war, viel erlitten, da braucht man sie doch nicht noch zu schikanieren! Da da konnten wir mit der Globalisierung nicht mithalten. Wir sind zwar könnte man auf jeden Fall noch viel machen. Aber wir in Riace natürnah am Wasser, aber dennoch ein Bergdorf. Die Füsse im Wasser, der lich auch, wir sind auch offen für Verbesserungen. ■ Kopf im Himmel, sagt man über uns. Wohin wanderten die Riacesi denn aus? Zuerst auf andere Kontinente, nach Argentinien, in die USA. Dann kam der Fortschritt nach Italien. Autobahnen, Industrie … Aber nur in den Norden. Als Fiat kam, sind viele nach Norditalien gegangen. Seit 100 Jahren gehen Leute, wir sind uns Abschiede gewohnt, die Atmosphäre der Abreise ist sehr präsent bei uns. Aber die Leute, die gehen, müssen auch irgendwo wieder ankommen, sie müssen aufgenommen werden. Die Süditaliener wurden seinerzeit in Norditalien genauso unfreundlich empfangen wie die Syrier und Eritreer heute in ganz Europa. Das darf nicht sein! Wir sollten unser Verhältnis zu Flüchtenden ganz allgemein hinterfragen.

Anzeige:

Was empfehlen Sie Menschen in der Schweiz, die Angst haben, wenn in ihrer Nähe ein Asylzentrum gebaut wird? Begegnungen, ganz einfach! Wenn man zu den Menschen Kontakt hat, bauen sich Vorurteile und Ängste von alleine ab. Wenn die Ängste bleiben, ist das krankhaft, meiner Meinung nach. Wie bei der Lega-Nord etwa. Ein Lächeln ist wichtiger als die Diskussionen um 34 Euro. Man hat mehr vom Leben, wenn man Risiken eingeht. Was bringt es, sich an Privilegien zu klammern? Die Begegnung mit Fremden, das hat eine Qualität an sich. Als dieses Schiff bei uns strandete, da dachten wir zuerst: Geht wieder, wir können euch nicht helfen, wir haben selber nichts. Wir schaffen das nicht. Man muss sich das vorstellen: im Norden der Aufschwung, und bei uns? Verlassene Landwirtschaft, verlassene Ziegenzucht. Und doch war es möglich, die Leute aufzunehmen. Kommt nach Riace, schaut es euch an. Das Meer ist übrigens wunderschön hier. Gibt es Kritik am Projekt, Widerstand? Auf lokaler Ebene wenig. Von der Lega-Nord schon. Gibt es Konflikte unter den Geflüchteten? Werden politische, ethnische oder religiöse Konflikte ins Dorf getragen? Nein, überhaupt nicht. Wahrscheinlich, weil die Leute in ihren eigenen Häusern wohnen und nicht in einem Zentrum auf engstem Raum zusammengepfercht werden. Menschen, die nichts miteinander zu tun haben wollen, können sich aus dem Weg gehen, so kommt es gar nicht erst zu Konflikten. SURPRISE 363/15

19


Völkerverständigung in der Extremsituation: Eine freiwillige Helferin erklärt Ankömmlingen in Preševo, wie sie weiterkommen.

20

SURPRISE 363/15


Migration Freiwillig auf der Balkanroute Serbien ist Durchgangsstation für unzählige Flüchtlinge. Entlang der Fluchtrouten mangelt es an allem: Nahrung, medizinische Hilfe, Kleidung, Sicherheit. Freiwillige Helfer verhindern das Schlimmste. VON NICOLAS SAAMELI (TEXT UND BILDER)

Gelände und warten auf ihre Registrierung. Einige rauchen, andere dösen in der Sonne. Einer sitzt auf einem abgeschnittenen Baumstumpf, das Gesicht in die Hände gestützt. Vor den Toren der Kaserne stehen zwei Reisebusse, die für 25 Euro pro Person nach Belgrad oder an die kroatische Grenze fahren. Dass dies mehr als das Doppelte eines Zugbillets für dieselbe Strecke ist, verschweigt die lokale Bevölkerung den Flüchtlingen – alle verdienen ein bisschen mit am Transport.

Dimitrovgrad, Südostserbien, 04:30 Uhr. Die Männer tauchen aus dem Nichts auf. Seit Stunden sind sie entlang den Gleisen marschiert, die von der bulgarischen Hauptstadt Sofia nach Serbien führen. Über 60 Kilometer haben sie in dieser Nacht zurückgelegt. Jetzt haben sie ihr Zwischenziel erreicht: Die 7000-Seelen-Stadt Dimitrovgrad an der Grenze zwischen Serbien und Bulgarien ist eine Station auf der FlüchtlingsAutorität durch gelbe Westen route über den Balkan. 200 bis 300 Menschen lassen sich hier jeden Tag Ein wenig abseits des Geschehens, abgeschirmt durch einen Bus, sitvon der Polizei für ein Transitvisum registrieren. Jeder Flüchtling, der zen zwei Frauen in gelb leuchtenden Warnwesten, an denen man auf Serbien passiert, braucht dieses Dokument, das ihm den 72-stündigen dem Balkan die freiwilligen Helfer erkennt. Theresa Panny, 24, und Aufenthalt im Land erlaubt. Vanessa Blind, 39, aus München sind per Autostopp nach Dimitrovgrad Die Strassenbeleuchtung wirft ein gelbliches Licht auf die ankomgereist, weil sie im Internet gelesen haben, dass hier dringend Hilfe menden Flüchtlinge, etwa 20 sind es, die Dimitrovgrad in den frühen gebraucht wird. Angekommen bei der Militärkaserne haben sie aber festMorgenstunden dieses Tages erreichen. Längst nicht alle von ihnen sind gestellt, dass auf dem Gelände der Registrierungsstelle nur offizielle erwachsen, die Jüngsten sehen aus, als wären sie noch keine 15. Es ist bitterkalt, auf den Pfützen entlang des Wegs hat sich eine Eisschicht gebildet. Doch viele Theresa und Vanessa sind per Autostop aus München angereist. Doch der Ankömmlinge tragen nur einen Pullover in der Registrierungsstelle sind nur offizielle NGOs mit Bewilligung der oder eine leichte Jacke. Mit der Kälte des euroRegierung zugelassen. päischen Novembers machen sie hier zum ersten Mal Bekanntschaft. «Serbia?», wollen sie NGOs und Helfer, die eine Bewilligung der Regierung haben, zugelassen wissen, als sie in der Stadt ankommen. Erleichterung wird spürbar, als sind. Jetzt haben sie ihr gesamtes Material auf einer Wiese ausgebreitet sie erfahren, dass sie es geschafft haben. Dass sie mit dem Grenzüberund überlegen sich, wie sie sich trotzdem noch nützlich machen können. tritt gerade das EU-Territorium verlassen haben, ist den Männern in der «Die letzten Wochen haben wir bei Berkasovo an der Grenze zwiHektik ihrer Flucht nicht wichtig. schen Serbien und Kroatien gearbeitet», sagt Vanessa. «Dort war alles ein bisschen besser organisiert als hier», findet sie. Vor einigen Tagen Alle verdienen ein bisschen mit haben die Behörden das Camp aber geschlossen. Es wird nicht mehr «Bulgaria no good!», sagt einer der Älteren in gebrochenem Englisch. gebraucht, weil die beiden Staaten den Grenzübertritt für Flüchtlinge Viele der Flüchtlinge haben Schürfwunden im Gesicht und Schwellunvereinfacht haben. «Bald müssen wir zurück nach Deutschland», sagt gen. Einige humpeln. Die bulgarische Polizei hat ihnen aufgelauert, sie Vanessa. «Hier wollten wir eigentlich nochmal einen Endspurt leisten.» verprügelt und ihnen Geld abgenommen. Um den Schlagstöcken der BeWas sie auf den Balkan getrieben hat, kann Vanessa nicht genau saamten zu entgehen, hat die Gruppe die Wanderung durch die kalte gen. «Ein Teil davon ist aber sicher für mich selbst», meint sie. «Ich haNacht überhaupt auf sich genommen. Entkommen sind sie den Polizibe mich gefragt, ob ich so eine Belastung überstehen kann, und wollte sten dennoch nicht. Fast alle, die Dimitrovgrad erreichen, erzählen Gemich vor mir selber beweisen.» Sie sehe es aber auch als ihre moralische schichten von systematischer Polizeigewalt und Diebstahl durch bulgaVerpflichtung zu helfen, wenn Menschen leiden. «Als ich die Bilder von rische Beamte. den flüchtenden Familien aus Syrien gesehen habe, konnte ich irgendEinige Stunden später bei der Militärkaserne von Dimitrovgrad. Es ist wann nicht mehr zuschauen. Da habe ich meine Sachen gepackt und inzwischen wärmer geworden, die Flüchtlinge verteilen sich auf dem SURPRISE 363/15

21


«Lukratives Geschäft»: Busse in Preševo.

Sie sind hier: Gezeichnete Karte in Preševo.

Suche nach dem besseren Leben: Ration eines indischen Hilfswerks.

Der Winter kommt: Blick ins Helferzentrum von Preševo.

«Was sollen wir machen?»: Helferin und Flüchtlinge in Preševo.

22

SURPRISE 363/15


bin nach Serbien gereist.» Der Kontakt zu den Flüchtlingen sei meist positiv, die meisten reagierten dankbar auf die Hilfe. Sie als Frauen hätten keine Probleme gehabt mit den vielen Männern, die alleine auf der Flucht sind. Vielleicht liegt das an den Warnwesten. Sie verschaffen den Helfern eine gewisse Autorität und kennzeichnen sie als Aussenstehende. Was Vanessa manchmal stört, ist die Eitelkeit von einigen: «Wenn einer mitten im Regen eine Jacke ablehnt, weil sie die falsche Farbe hat, frage ich mich schon manchmal schon, ob er versteht, um was es hier genau geht.»

Flüchtlinge fühlen», sagt er. «Schliesslich habe ich selber einen grossen Teil meines Lebens auf der Flucht verbracht.» An die Menschen, die er nun betreut, gibt er Tee, Suppe, Bananen und gekochte Eier aus. Eine warme Mahlzeit bedeutet viel, wenn man die ganze Nacht in der Kälte stehen musste. Hinter der Gassenküche verläuft die Strasse knapp 500 Meter geradeaus bis zur Registrierungsstelle. Hier ist das wichtigste Einsatzgebiet für die Freiwilligen. 46 von ihnen sind in Preševo aktiv, 20 Helfer aus der Region und dazu 26 Menschen, die aus ganz Europa angereist sind. Ihre Zahlen kennen die Helfer genau: Sie brauchen für jeden Einzelnen eine Bewilligung. Während die Flüchtlinge anstehen – an besonders anstrengenden Tagen bis zu zehn Stunden lang –, gehen die Helfer die Reihen auf und ab und versuchen, die schlimmste Not zu lindern.

Die Fusslotion kommt schnell zurück Während des Gesprächs erscheinen sechs junge Männer hinter dem Bus. Sie kommen aus Pakistan und wollen in den Niederlanden Asyl beantragen, erzählen sie. Vanessa kramt eine Tube Fusslotion aus ihrem Spannungen unter den Helfern Gepäck und übergibt sie den Flüchtlingen. Sie habe gehört, dass viele Die Aufgabenbereiche zwischen den Freiwilligen und den offiziellen nach dem Marsch von Bulgarien nach Serbien Schmerzen an den FüsHilfswerken sind dabei aufgeteilt. Die unbezahlten Helfer kümmern sich sen haben. um die Situation ausserhalb der Registrierungsstelle. Oxfam, das Rote Vielleicht helfe die Lotion ja. Die Flüchtlinge nehmen die Tube dankKreuz und das UNHCR betreuen die Flüchtlinge drinnen. Die Beziehung bar entgegen, geben sie dann aber auch recht schnell wieder zurück. zwischen den beiden Gruppierungen ist angespannt: Die Freiwilligen Wortführer der Pakistaner ist Nasir, 19, aus der Umgebung von Iswerfen den Hilfswerken vor, sich mediengerecht in Szene zu setzen, lamabad. Vor zwei Jahren hat er seine Heimat verlassen und ist über den Iran in die Türkei gereist. Unterwegs sparte er sich Geld zusammen, um die Weiterreise Chauffeure aus dem ganzen Land kommen in Preševo zusammen. nach Westeuropa zu finanzieren. Fast ein Jahr Der Transport von Flüchtlingen ist ein lukratives Geschäft, und hier ist lang hat er dafür schwarz in einer türkischen die Nachfrage fast unbegrenzt. Näherei gearbeitet. Jetzt will er sein Glück versuchen. «Aus Pakistan bin ich nicht vor Gewalt aber wenig Hilfe dort zu leisten, wo sie tatsächlich gebraucht wird. Eigeflüchtet, sondern vor Perspektivlosigkeit», erzählt Nasir. Sein älterer ne Mitarbeiterin von Oxfam unterstellt den Freiwilligen dafür, zu wenig Bruder habe einen Master-Abschluss an der Universität gemacht und sei langfristig zu denken. trotzdem seit Ewigkeiten arbeitslos. Er wolle nicht so enden. «Wenn du Ein besseres Verhältnis haben die Freiwilligen zu den anwesenden da, wo ich herkomme, einen Job willst, musst du dafür viel bezahlen Ärzten. Wenn sie unter den Flüchtlingen medizinische Notfälle identifioder mit den richtigen Leuten verwandt sein. Ich komme aber aus einer zieren, bringen sie diese zum Container von Médecins Sans Frontières. Familie, die nicht wohlhabend ist», sagt er. «Was bleibt mir da anderes Die ständig überlasteten Ärzte nehmen die Meinung der Helfer ernst. übrig, als irgendwo ein besseres Leben zu suchen?» Wer Tausende von verzweifelten Menschen sieht, bekommt ein Auge Von den Bussen her ertönt ein Hupen. Der Fahrer möchte los. Die Padafür, welcher Fall besonders prekär ist. Auch zum Hilfswerk Save the kistani verabschieden sich von Vanessa und Theresa und bedanken sich Children haben die Helfer einen guten Draht. Die Organisation hat in nochmals höflich für die Fusslotion. Als sie verschwunden sind, sehen Preševo einen Mutter-Kind-Raum eingerichtet. Dorthin bringen die Freisich die beiden Frauen traurig an. «Mit den Voraussetzungen, die diese willigen Familien, damit sich diese aufwärmen können, wenn ihnen das Jungs haben, werden sie in keinem europäischen Land längerfristig aufWarten zu anstrengend wird. Joni, ein Freiwilliger aus Deutschland, genommen», sagt Theresa. Wer wie Nasir und seine Gefährten in der sagt: «Wir erklären den Familien, dass der Vater draussen warten muss Heimat keiner lebensgefährlichen Bedrohung ausgesetzt ist und aus und die Familie ihren Platz in der Warteschlange verliert, wenn sie in wirtschaftlichen Gründen flieht, hat keine grosse Chance auf Asyl. den Raum geht. Das reicht für die meisten als Argument, um weiter an«Aber was hätte es gebracht, ihnen das jetzt noch zu sagen? Um noch zustehen.» umkehren zu können, sind sie sowieso schon viel zu weit gekommen.» An diesem Vormittag ist es ungewöhnlich ruhig vor dem Lager an Preševos Hauptstrasse. Einige Flüchtlinge steigen in einen Bus, einzelne Mit Schweizer Akzent kleine Gruppen kommen aus einer Seitenstrasse auf die RegistrierungsPreševo, Südserbien, 11.30 Uhr. Am Eingang der Stadt stehen Busse. stelle zu. Die Gitter, mit denen der Weg dorthin eingezäunt ist, sind aber Sie bilden eine Schlange, die so lang ist, dass ihr Ende in der dunstigen leer. In Griechenland sind die Seeleute aus Protest gegen die Kürzung ihserbischen Novemberluft mit blossem Auge nicht mehr zu erkennen ist. rer Renten vor drei Tagen in den Streik getreten. Das hat die Flüchtlinge Chauffeure aus dem ganzen Land kommen hier zusammen und warten ausgebremst. Tausende sollen sich während des Streiks auf den Inseln im darauf, ihr Fahrzeug zu füllen. Der Transport von Flüchtlingen ist ein luSüdosten Griechenlands angesammelt haben. Jetzt verkehren die Boote kratives Geschäft, und in Preševo ist die Nachfrage fast unbegrenzt. Die wieder, gegen Abend werden grosse Gruppen in der Stadt erwartet. südserbische Stadt liegt auf der Hauptroute, die Flüchtlinge über den Allmählich treffen mehr Flüchtlinge ein. Einmal sind es 15, einmal 30 Balkan nehmen. An Spitzentagen warten hier bis zu 10 000 Menschen Menschen, die gleichzeitig aus einer Seitenstrasse bei der Gassenküche auf ihre Registrierung. Das macht ungefähr ein Drittel der gesamten Einankommen. Für die Verhältnisse von Preševo sind es noch immer sehr wohnerzahl aus. wenige. Përparim gähnt. Den ganzen Tag lang hat er seinem Vater Einer der Ersten, denen die Flüchtlinge in Preševo begegnen, ist Përgeholfen, Holz zu hacken. Eigentlich sollte er noch für sein Studiumparim Sadiku. Der 20-Jährige steht hinter der Theke einer Gassenküche, lernen. Für die Flüchtlinge, die bei ihm ankommen, hat er trotzdem ein die er gemeinsam mit anderen Einheimischen aufgebaut hat. Stolz trägt Lächeln und eine Tasse Tee übrig. «Weisst du, eigentlich finde ich, das er die rote Jacke, die ihn als Freiwilligen aus Preševo ausweist. Der junBetreuen von Flüchtlingen sollte die Aufgabe des Staates sein, nicht unge Albaner ist in der Schweiz geboren, wurde aber schon als Kind mit sere», sagt er. «Aber was sollen wir machen? Wenn wir hier diese Arbeit seiner Familie nach Serbien zurückgeschickt. Noch immer spricht er nicht erledigen, wird diese Flüchtlingskrise zu einer Katastrophe.» ■ Deutsch mit einem Schweizer Akzent. «Ich weiss sehr gut, wie sich die SURPRISE 363/15

23


BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Utopien Theoretisch und vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Theoretisch haben alle gleich viel Anrecht auf den Platz und die Ressourcen unseres Planeten. Theoretisch stehen jedem Menschen bei der Geburt gleich viele Quadratmeter und gleich viele Energieeinheiten zu, die sich nachhaltig produzieren lassen. Theoretisch. Praktisch gibt es riesige Unterschiede, ein Mensch in Eritrea verbraucht rund 20 Mal weniger Energie als ein Mensch in der Schweiz, wir verbrauchen fast doppelt so viel wie der Weltdurchschnitt, ein Amerikaner sechs Mal so viel. Und in der Rechnung ist die graue Energie, die in den anderswo hergestellten und importieren Produkten steckt, noch nicht einmal enthalten. Die Menschen sind also alles andere als gleich. Weil individuelles Verhalten, ausser einem guten Gewissen und, wenn man damit hausieren geht, ein paar Li-

24

kes auf Facebook und allenfalls einem Abzeichen vom WWF nichts einbringt, klappt das mit der freiwilligen Einschränkung nicht wirklich. Wenn jeder Mensch bei der Geburt sein Kontingent an Raum und Energie zugeteilt bekäme, berechnet aufgrund einer eingemitteten Lebenserwartung, könnten jene, die ihr Kontingent nicht ausschöpfen, den Überschuss jenen verkaufen, die zu viel brauchen. Da würde viel Geld fliessen. Die Menschen, die heute arm sind, wären keine Bittsteller mehr, sondern würden Verkäufer der Ressourcen, die ihnen zustehen. Die Menschen in den armen Ländern erzielten ein Einkommen. Vielleicht würden sie davon abhängig werden, vielleicht würden sie das Geld dazu nutzen, ihre Situation zu verbessern und ihren Wohlstand zu steigern. Das würde dazu führen, dass auch sie selber mehr Ressourcen verbrauchen. Der Preis würde steigen. Jeder Kauf, jede Autofahrt erinnerte uns daran, dass Raum und Ressourcen endlich sind, dass das, was wir verbrauchen, woanders fehlt. Was wir verbrauchen, nehmen wir jemandem weg. Nur weil wir Platz und Energie mit unseren Geldmitteln bezahlen können, heisst das nicht, dass wir ein Anrecht darauf haben. Uns würde bewusster, dass wir alle auf demselben Planeten leben. Gut möglich, dass wir merken würden, dass wir auf das, was uns dann nicht mehr zur Ver-

fügung stünde, ohne Einbusse von Lebensqualität verzichten können. Die Menschen in der Schweiz kaufen zwischen 40 bis 70 Kleidungsstücke pro Jahr. Vier Mal mehr als noch vor 25 Jahren. Wenn ich mich richtig erinnere, hat damals niemand geklagt, zu wenig Kleider zu kaufen zu können. Natürlich wäre so ein System unfair. Die Reichen könnten sich weiterhin alles leisten, in riesigen Häusern leben, durch die Welt jetten, benzinschluckende Monsterautos fahren. Doch würden wir vielleicht beim Anblick eines solchen Wagens nur leise den Kopf schütteln, im Bewusstsein, dass wir mit dem Mehrverbrauch an Energie die Wohnung den halben Winter heizen. Wer keine zusätzliche Energie mehr kaufen könnte, müsste mit dem unveräusserlichen Minimum auskommen. Leute, die das freiwillig täten, bräuchten je nach dem, wo sie lebten, nicht mehr zu arbeiten. In einer dicht besiedelten Welt, die an Konsumgütern erstickt, kann das Einkommen nicht ewig an die Arbeitsleistung gekoppelt sein. Eine unrealistische Utopie. Aber die als rational und einzig möglich verkaufte Alternative hat auch schon besser ausgesehen.

STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT (SAVVE@VTXMAIL.CH) SURPRISE 363/15


Musik Entblösstes Innenleben Vor drei Jahren nahm sich der Bruder von Verena von Horsten das Leben. Mit dem ergreifenden Album «Alien Angel Super Death» versucht sie, ihre komplexen Gefühle in den Griff zu bekommen.

SURPRISE 363/15

BILD:

«Alien Angel Super Death» ist kein typisches Singer/Songwriter-Album. Keine sanften Gitarren, keine dezenten Celli und keine melancholisch flötenden Gesänge. Die Zürcher Künstlerin Verena von Horsten hat «Alien Angel Super Death» fast ausschliesslich allein und mit einem billigen Juno-Synthesizer aus den Neunzigerjahren eingespielt. Ja, sogar die donnernden Drums stammen aus dem Computer! Der traurigen Materie zum Trotz versprüht das Album eine gewaltige Energie und ist eine musikalische Wundertüte. Die Songs bewegen sich zwischen brachialem Rock und sphärischer Meditation – jeder ist anders als der vorangegangene, das Album aber doch ganz aus einem Guss. Die Arbeit daran begann noch vor dem Tod von Hakon. Schon damals habe sie sich von der Gitarre und dem Klavier lösen wollen, sagt von Horsten: «Mit dem Klavier fühlte ich mich immer mehr wie angekettet. Ich und ein Korsett, das ging nicht mehr. Ich bin mit einem Korsett aufgewachsen.» Der befreundete Musiker Admiral James T. schenkte ihr einen Synthi. «Als ich merkte, wie ich daran herumschräubeln konnte, Sounds entwickeln, Welten erfinden – war es einfach befreiend.» 2011 unternahm Hakon seinen ersten Suizidversuch. Nach der Lehre sei eine schwierige Jobsuche gefolgt, er habe sich allein gefühlt, mit der Party-Meute rundum sei die Kommunikation schwierig geworden. 2012 folgte ein weiterer Versuch, kurz später der endgültige Abschied. Nach ihrem Debut-Album und einem Album, das sie mit Admiral James T. aufgenommen hatte, war von Horsten ein Aufenthalt im New Yorker Künstleratelier der Stadt Zürich zugesprochen worden. In der Einsamkeit der unbekannten Stadt, allein mit ihrer Trauer, erlitt sie erste manische Schübe. «Das Manische hatte ich schon immer ein bisschen», sagt sie, «nur habe ich es vorher in die Arbeit gesteckt.» Jetzt ging selbst das Arbeiten nicht mehr. Zurück in Zürich erkannte sie, dass es nicht nur ihre Mitmenschen waren, die sie nicht verstanden, wenn sie sich vor ihnen zu öffnen versuchte. Es lag auch an ihr selber, dass sie keinen Weg fand, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben. Sie hatte das in ihrer Familie so gelernt: «In jeder Situation galt es, die Fassade zu bewahren. Gegen aussen hin war alles schön und fröhlich. Innerlich tobte der Krieg.» Die von Horstens lebten in Wädenswil, der Vater war bei der Bank. Verena war zehn Jahre alt, ihr Bruder drei, als sich die Eltern scheiden liessen und die depressiv veranlagte Mutter in die Türkei zurück zog. Mit 14 Jahren schrieb Verena ihr erstes Lied. Der Umschlag von «Alien Angel Super Death» zeigt ein Diagramm. Vor einem Sternenhimmel sind auf einem Kreis die Lieder des Albums aufgelistet. Es beginnt in der Mitte links mit «The Hymn», sackt über «Sakrament der Büffelherde» hinunter an den unteren Rand, um über «The Monster», «Fire» und «The Healing Moment» (ein meditatives Klavierstück) zu «The Believer» ziemlich weit oben rechts zu führen. Jeder Song dokumentiert die Befindlichkeit der Sängerin in bestimmten Phasen nach dem Tod ihres Bruders. Dabei entblösst sie ihre Seele mit furchtloser Offenheit. Ein zusätzlicher Text fügt den intuitiv geschriebe-

© DAVID LANGHARD

VON HANSPETER KÜNZLER

Im Meer der traumatischen Erlebnisse: Verena von Horsten versucht sich freizuschwimmen.

nen Lyrics noch einige nüchterne Erklärungen hinzu. «Ich schäme mich, Menschen zu sagen, dass ich als Kind sexuell missbraucht wurde», heisst es dort. «Dass daraus schwere Probleme entstehen, wenn es darum geht, einem anderen Menschen zu vertrauen.» In dieser Offenheit liegt die wichtigste Erkenntnis, die von Horsten aus der Lebenskrise gezogen hat: Das Elend in ihrer Familie war ganz darauf zurückzuführen, dass niemand gelernt hatte, über seine Gefühle zu reden und sie so zu verarbeiten. «Schweigen kann zum Tod führen», sagt sie, «und dieses Schweigen muss ich durchbrechen.» Schon früher habe sie ihre Gefühle in die Musik eingebracht. Dort wenigstens habe sie ehrlich sein können. «Aber anderen Menschen gegenüber habe ich das nie geschafft. Mit dem Album will ich den Schritt machen von der Musik zum Menschen. Das Schweigen steht im Kern meiner Suizidalität. Wenn ich diese durchbrechen will, kann ich das nur, wenn ich das Schweigen aufbreche.» ■

«Alien Angel Super Death» erschien am 13. November, dem dritten Todestag von Verena von Horstens Bruder Hakon. (A Tree in a Field Records/Irascible) Konzerte: Fr, 27. Nov., Café Kairo, Bern; Fr, 4. Dez., Kraftfeld Winterthur; Fr, 11. Dez., Kaserne Basel; Fr, 1. April 2016, SAS Delémont.

25


BILD: NOTRECINEMA.COM

BILD: ZVG

Kultur

Die Angst vor der weissen Seite passt gut zur Schneelandschaft.

«Cabiria» ist von Gustave Flauberts historischem Roman «Salambo» inspiriert.

Kino Die Einsamkeit des Scheiternden

Film Wortlos intensiv

In «Wintergast» von Andy Herzog und Matthias Günter verfolgen wir einen einsamen Filmemacher mit Ideenblockade auf seiner Reise durch die Schweiz.

Der diesjährige Stummfilm-Marathon im Zürcher Kunstraum Walcheturm ist den antiken Hochkulturen gewidmet. VON MONIKA BETTSCHEN

VON THOMAS OEHLER

Andy Herzog, Matthias Günter: «Wintergast», CH 2015, 85 Min., mit Andy Herzog,

Schweigen ist Gold. Gerade in Bezug auf Stummfilme trifft dieser Spruch ins Schwarze. Besser gesagt: ins Schwarz-Weisse. Durch die Abwesenheit des gesprochenen Dialoges richtet sich die Aufmerksamkeit praktisch ungeteilt auf die spezifische Bildsprache, und man erlebt das Medium Film in einer bewegenden Intensität. Der Stummfilm-Marathon im Kunstraum Walcheturm widmet sich bereits zum sechsten Mal dieser Filmgattung. Für 2015 hat das Institute of Incoherent Cinematography IOIC, welches die Veranstaltung organisiert, Werke ausgewählt, die die Zuschauer in die Welt der Hochkulturen entführen. Wenn im heutigen Hollywood ein Historienfilm produziert wird, entstehen die antiken Schauplätze am Bildschirm. Als Kinogänger ist man fasziniert und geblendet von den digitalen Effekten. Beim Stummfilm beeindruckt dafür die Tatsache, dass die Szenen tatsächlich in monumentalen, eigens zu diesem Zweck geschaffenen Kulissen gedreht wurden. Viele Filmemacher nahmen bereits zu jener Zeit gewaltige finanzielle Risiken auf sich, um die grossen Geschichten der Hochkulturen darzustellen. «Intolerance», ein amerikanischer Film von 1916, galt mit zwei Millionen Dollar Produktionskosten lange als teuerster Film aller Zeiten. Im Walcheturm wird er am Samstagabend als Hauptfilm gezeigt. Während vier Nächten stehen neben zahlreichen Trouvaillen auch wegweisende Werke der Filmgeschichte auf dem Programm. Allen voran das Epos «Cabiria» aus dem Jahr 1914. «Cabiria markiert einen Wendepunkt des frühen Films», sagt Pablo Assandri, Gründer des StummfilmMarathons und Leiter des IOIC, über das Werk von Giovanni Pastrone. Mit gut drei Stunden Spielzeit gehörte «Cabiria» zu jenen Werken, die den Weg für den langen Spielfilm ebneten. Der Film, der im römischen Reich spielt, wird am Freitagabend zu sehen sein. An allen vier Abenden vertonen Musiker die Stummfilme vor Ort. «Durch diesen Mix wird jeder Marathonabend zu einem buchstäblich einmaligen Erlebnis», verspricht Assandri.

Sophie Hutter, Susann Rüdlinger u. a. Der Film läuft zurzeit in Bern und Zürich,

Stummfilm-Marathon der Hochkulturen, Kunstraum Walcheturm Zürich,

ab Anfang Dezember auch in anderen Deutschschweizer Städten.

Do., 3., Fr, 4. Dez., 18 bis 4 Uhr, Sa, 5. Dez.,16 bis 4 Uhr, So, 6. Dez., 16 bis 2 Uhr.

Stefan Keller hatte einst eine goldene Zukunft vor sich. Er war der Shooting Star der hiesigen Filmszene, gewann mit seinem Kurzfilm den Schweizer Filmpreis und bekam im Nu das Angebot für einen Langspielfilm. Keller wurde gefeiert und von seiner Freundin geliebt. Und jetzt verläuft alles im Sand. Denn er kommt über die ersten Sätze seines Drehbuchs einfach nicht hinaus. Auch die Beziehung kriselt stärker, als der Protagonist wahrhaben will. Keller steckt fest. Aus Geldnöten nimmt er einen eigenartigen Job an: Er fährt kreuz und quer durchs Land und testet Jugendherbergen. Es ist Weihnachten und die Saison beinahe zu Ende, was die Bilder seiner Einsamkeit noch trostloser macht. Wir sehen den verhinderten Starregisseur in leeren Kantinen und Mehrstockbetten und stellen fest: Die Schweiz ist abweisend, kalt und hässlich. Die Menschen, die Keller trifft, sind meist selber Randfiguren. Kaum überdauern diese Begegnungen die verschneiten Nächte. Dass Keller sie nicht einmal als Stoff für seinen Film zu nutzen weiss, macht deutlich, wie festgefahren er ist. Regisseur Herzog, der hier auch die Hauptrolle spielt, dürfte Kellers Krise nicht fremd sein, dauerte es doch neun Jahre, bis mit «Wintergast» sein erster Langspielfilm ins Kino kam. Anders als ihr Filmheld verharrten Günter und Herzog jedoch nicht in der Blockade, sondern machten das Scheitern selber zum Thema. Die Verwandtschaft ihres Films zu Christian Schochers Kultfilm «Reisender Krieger» (1981) springt von Anfang an ins Auge: Hier kurvte ein Parfümvertreter ähnlich verloren durch die winterliche Schweiz und verzweifelte an ihrer Kälte. Dass Schocher in «Wintergast» zu einem Cameo-Auftritt kommt, zeigt: Die beiden Filmemacher schufen keine Kopie, sondern eine Hommage. Und zwar eine brillante, denn ihr Roadmovie überzeugt wie das Vorbild durch meisterhaft inszenierte Lakonie, bestechend realistische Bilder und einen bitteren, aber doch vorhandenen Humor.

Programm und Infos unter www.ioic.ch

26

SURPRISE 363/15


Ausgehtipps BILD: ANETTE METZNER

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

01

Projectway GmbH, Köniz

02

Yogaloft GmbH, Rapperswil SG

03

Madlen Blösch, GELD & SO, Basel

04

Dr. Charles Olivier, Murten

05

Yolanda Schneider Logopädie, Liebefeld

06

Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen

07

VXL Gestaltung und Werbung AG, Binningen

08

Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

Sieben Menschen treffen sich auf einem Bahnhof. Sie sind Überlebenskünstler, kommen von irgendwoher und wollen irgendwohin. In ihren Koffern bewahren sie ihre Erfahrungen, Gedichte, Märchen und Träume auf. In kurzen Szenencollagen werden diese ausgepackt und sichtbar. Die Reisen durchlaufen die Schule des Lebens, der Wille, etwas zu erzählen und innere Bilder zu zeigen, hält sie zusammen. Bilder in Worte zu fassen in einer fremden oder nicht erlernten Sprache. Existenznot und Lebenspannen sind die Herausforderungen, die sie auf ihren Weg mitnehmen. Stolperstai ist eine Theatergruppe, die seit der Teilnahme am Theaterfestival wildwuchs 2013 in Basel besteht. Sie besteht grösstenteils aus Menschen, die beim Verein Surprise in Basel im Strassenverkauf und im Strassenchor aktiv sind. Fast alle der sieben Mitspielenden haben schwere Schicksalsschläge hinter sich: Sie lebten in der Obdachlosigkeit, sind von Alkoholsucht und existenziellen Sorgen betroffen, haben eine Lernbehinderung, sind aus ihrem Land geflohen und haben hier Asyl gefunden. Die Sonnenseite des Lebens gehört nicht unbedingt zu ihrer Realität. Umso wichtiger ist das verdichtete Leben: die Fiktion. Die Reise im Kopf. (dif)

09

Netzpilot Communication, Basel

10

Scherrer & Partner GmbH, Basel

11

Balcart AG, Therwil

12

Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

13

Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

14

weishaupt design, Basel

15

Thommen ASIC-Design, Zürich

16

Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

17

Coop Genossenschaft, Basel

18

AnyWeb AG, Zürich

19

Burckhardt+Partner AG

20

mcschindler.com GmbH, Zürich

21

fast4meter, Storytelling, Bern

22

Maya-Recordings, Oberstammheim

23

Bachema AG, Schlieren

24

Kaiser Software GmbH, Bern

25

Ko Schule für Shiatsu GmbH, Zürich

Theaterprojekt Stolperstai: Heimat@ausgepackt, Sa., 5. Dezember, 20 Uhr, Sozialer

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet

Arbeitskreis Lörrach, Tumringer Strasse 269 (Raum siehe Beschilderung), Lörrach

werden?

(D, nahe Basel), mit Emsuda Loffredo Cular, Manuela Vieites, Nadine Gartmann,

Mit einer Spende von mindestens 500 Franken

Daniel Dettling, Louis Marie Douglas Nke, Rolf Mauti, Sokha Roth, realisiert von

sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3,

Anette Metzner und Caroline Buffet.

Verein Surprise, 4051 Basel

Weitere Aufführungen in der Schweiz geplant, Informationen unter 061 641 01 48

Zahlungszweck:

oder stolperstai@gmail.com.

Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag.

Mit schwerem Gepäck unterwegs: Theaterprojekt Stolperstai.

Lörrach (D) Das Leben bereisen

Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

363/15 SURPRISE 363/15

27


Verkäuferporträt «Vor den Proben brauche ich etwas Ruhe» BILD: MICHAEL GASSER

In ihrer Wohnung singt Maria Claudia Wicki nicht mehr. Dafür geniesst sie es, mit dem Surprise Strassenchor aufzutreten. Und das, obschon sie sich vor Konzerten immer nervös fühlt. AUFGEZEICHNET VON MICHAEL GASSER

«Aufgewachsen bin ich in Reinach, im Kanton Baselland. Ich und meine drei Geschwister sind katholisch erzogen und quasi klassisch ‹verbildet› worden. Mein Instrument war das Klavier. Ich erinnere mich etwa daran, wie ich als Kind dem Nikolaus ‹Greensleeves›, ein englisches Volkslied, vorgespielt habe. Und ich war sogar mal an der Schola Cantorum Basiliensis, einer Ausbildungsstätte für Alte Musik, eingeschrieben. Heute habe ich kein Klavier mehr zuhause. Auch, weil mein Partner nicht ganz so grosse Freude an der Musik hat. Als ich noch jung war, hatte ich den Wunsch, Musiktherapeutin für Kinder zu werden. Doch dann ist alles anders gekommen. Als 16-Jährige bin ich plötzlich in der psychiatrischen Klinik gelandet. Daran erinnere ich mich nicht so gerne. Ich spreche lieber über weniger Aufwühlendes. Etwa über meinen Partner. Mit ihm wohne ich ganz in der Nähe des Basler Bahnhofs. Schön ist, wenn wir zusammen essen. Und obschon er früher Pflanzen nicht so mochte, haben wir heute ziemlich viele, vor allem auf unserem Balkon. Ganz speziell mag ich den orangefarbenen Hibiskus oder auch Kamelien. Aus gesundheitlichen Gründen kann ich nicht viel und nicht mehr weit reisen. Aber an meinen letzten Ausflug nach Ascona denke ich noch heute gerne zurück. Ich lebe von einer IV-Rente, würde aber eigentlich nur zu gerne wieder arbeiten. Vor vielen Jahren habe ich eine Anlehre in einer Basler Buchhandlung begonnen. Aber lassen wir das. Viel lieber schaue ich mir ein Foto von meinem Sohn Ismael an. Das tut mir immer gut. Wie ich den Surprise Strassenchor entdeckt habe? Ich habe einfach davon gehört und mich angemeldet. Bereits als Mädchen habe ich in einem Chor mitgewirkt, obschon ich den dafür nötigen Rhythmus nie wirklich besass. Deshalb bin ich später lange keinem Chor mehr beigetreten. Bis zum Surprise-Chor. Daheim singe ich nicht. Ich will ja niemanden erschrecken. Doch dann und wann höre ich ein bisschen Edith Piaf, von der ich noch eine Originalplatte besitze. Ganz besonders liebe ich es, gemeinsam mit dem Chor das Stück ‹Mama Africa› aufzuführen. Toll fände ich es auch, ‹Peter und der Wolf› von Sergej Prokofjew einzustudieren. Da drückt meine klassische Erziehung durch, ich weiss. Früher habe ich auch häufig der Musik von Bach gelauscht, jetzt nur noch gelegentlich. Meine Stimme klingt mittlerweile ziemlich rauchig. Kein Wunder, ich rauche ja auch. Damit aufzuhören, plane ich nicht. Das würde nicht klappen. Aber ich habe mir schon jetzt fürs kommende Jahr vorgenommen, meinen Zigarettenkonsum zu reduzieren. Bei den Proben benötige ich zunächst immer ein bisschen Ruhe, erst dann bin ich zum Mitmachen parat. Das ist nun mal so. Wichtig ist mir, dass ich möglichst pünktlich zu den Proben auftauche. Manchmal wäre ich froh, wenn diese etwas lockerer verlaufen würden. Die Chorleiterin legt nämlich sehr viel Wert auf Disziplin. Vor Auftritten mit dem Chor fühle ich mich immer nervös. Aber ich versuche, mich zu konzentrieren und mein Bestes zu geben.

28

An den diesjährigen Auftritt unseres Surprise-Chors am One People Day im Basler Schützenmattpark habe ich beispielsweise nur gute Erinnerungen. Es hat zwar geregnet, aber es war eindrücklich. Die Musik und der Chor bedeuten mir sehr viel. Nicht zuletzt, weil ich durch unsere Gruppe neue Freunde gefunden habe, die ich manchmal auch ausserhalb des Chors sehe. Etwa für einen Spaziergang in der Grün 80, einer Parkanlage ausserhalb der Stadt. Auf jeden Fall möchte ich dem Chor noch lange angehören. Obschon ich schauen muss, dass mir dieser nicht allzu viel Zeit wegfrisst. Hin und wieder will ich nämlich andere Freunde treffen oder einfach die Abende mit meinem Partner geniessen. Und es ist auch so, dass mich die Medikamente, die ich nehmen muss, eben doch oft sehr müde machen. Fürs 2016 wünsche ich mir Folgendes: Es wäre wunderbar, wenn ich die Toleranzgrenzen anderer Menschen besser spüren könnte, damit ich künftig weniger anecke. Und vor allem will ich die Babydecke für meinen Neffen fertig stricken.» ■ SURPRISE 363/15


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Elsa Fasil Bern

Kostana Barbul St. Gallen

Ralf Rohr Zürich

Marlis Dietiker Olten

Negasi Garahassie Winterthur

Josiane Graner Basel

Tatjana Georgievska Basel

Emsuda Loffredo-Cular Basel

Anja Uehlinger Baden

Fatma Meier Basel

Haimanot Ghebremichael Bern

Oliver Guntli Bern

Roland Weidl Basel

Daniel Stutz Zürich

Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken

1/2 Jahr: 3000 Franken

1/4 Jahr: 1500 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

1 Monat: 500 Franken

363/15 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 363/15

29


Surprise – mehr als ein Magazin

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit einem Netzwerk aus freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der ganzen Deutschschweiz. Sie kämpfen um den Titel des Schweizermeisters und des Weltmeisters beim Homeless World Cup. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen kostenlosen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine einfache und charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren. Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Gönner-Abo für CHF 260.–

Geschenkabonnement für: Vorname, Name

Strasse

PLZ, Ort

Rechnungsadresse: Vorname, Name

Strasse

PLZ, Ort

Telefon

E-Mail

Datum, Unterschrift 363/15

Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

30

Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami, Heftverantwortlicher), Diana Frei (dif), Thomas Oehler (tom), Sara Winter Sayilir (win), redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Olivier Joliat, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Larissa Bender, Monika Bettschen, Andrey Davydchik, Frank Dries, Stijn Fens, Michael Gasser, Hanspeter Künzler, Ingo Petz, Nicolas Saameli, Jan-Willem Wits, Samar Yazbek, Manuela Zeller Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 25 000, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke (Leitung), Zaira Esposito Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83/85 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Barbara Kläsi, Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40 Paloma Selma (Leitung), p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach) www.strassensport.ch Sozialer Stadtrundgang Basel T+41 61 564 90 40 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Paloma Selma (Koordination), rundgang@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Zürich T +41 44 242 72 14 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Carmen Berchtold (Koordination), rundgangzh@vereinsurprise.ch Vereinspräsident Peter Aebersold Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt: Spendenkonto PC 12-551455-3 SURPRISE 363/15


Surprise – Mehr als ein Magazin

Sozialer Stadtrundgang Ein Expertentreffen der besonderen Art Armuts-Weiterbildung für die Stadtführer aus Basel und Zürich

Carlo Knöpfel im Kreis der Stadtführer aus Basel und Zürich.

SURPRISE 363/15

BILD: TOBIAS SUTTER

Für alle neun Stadtführer aus Basel und Zürich war es ein intensiver Tag: Am Morgen hatten sie noch Touren mit Besuchergruppen. Am frühen Nachmittag trafen sich alle zum Fotoshooting für den nächsten Surprise-Jahresbericht. Der grösste Programmpunkt fand anschliessend statt: Weiterbildung mit Carlo Knöpfel. Der Sozialwissenschaftler unterrichtet als Professor für Sozialpolitik und Soziale Arbeit an der FHNW. Speziell für die Stadtführer präsentierte er aktuelle Zahlen und Hintergrundinformationen zur Armut in der Schweiz. Auf rund 1400 Touren seit dem Start im 2013 erzählten die Stadtführer den Besuchergruppen jeweils über ihren persönlichen Weg in die Armut sowie die allgemeine Lebenssituation der rund 590 000 Armutsbetroffenen in der Schweiz – authentisch und professionell zugleich. «Ihr seid die wahren Experten für Armut», lobte Knöpfel die Stadtführer für ihre Aufklärungsarbeit. Seine Präsentation war für die Stadtführer eine besondere Weiterbildung, da er komplexe Forschungsergebnisse spannend und anschaulich zugleich vermitteln kann. Alle Fragen konnten im dreistündigen Workshop nicht beantwortet werden, deshalb bot Knöpfel spontan an, diese in einem nächsten Workshop zu geben. Vielen Dank für diesen besonderen Einsatz!

Fotoshooting für den Jahresbericht 2015 mit Fotograf Tobias Sutter (links), Assistentin Sabine Rölli (rechts), den Stadtführern und Surprise-Mitarbeitenden.

31


Anzeige:

Gutes tun Sinnvoll schenken Surprise bietet armutsbetroffenen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe. Mit Geschenken von Surprise unterstützen Sie die Arbeit des Vereins.

Gibt andere Perspektiven: ein Sozialer Stadtrundgang Die Surprise-Stadtführer erzählen persönliche Geschichten aus ihrem Alltag als Obdachlose und Armutsbetroffene in ihrer Stadt. Verschenken Sie einen anderen Blick auf Basel oder Zürich. Geben einen coolen Look: eine Surprise-Tasche oder eine Surprise-Mütze Eine Mütze für gute Köpfe und eine Tasche voller Sinn – schenken Sie Mehrwert von Surprise. Unsere Mützen und Taschen gibt es in diversen Farben. Gibt Gesprächsstoff: ein Surprise-Jahresabo Das Surprise Strassenmagazin liefern wir gerne alle zwei Wochen in den Briefkasten. Auch im Abo unterstützen Sie unsere Arbeit. Gibt Einblicke: das Buch «Standort Strasse» Das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» porträtiert zwanzig Surprise-Verkaufende und zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. JA, ich möchte sinnvoll schenken und bestelle Sozialer Stadtrundgang

☐ Gruppe bis 20 Personen CHF 250 Basel: ☐ pro Person CHF 15, Anzahl ☐ Gruppe bis 20 Personen CHF 300 Zürich: ☐ pro Person CHF 30, Anzahl (Rabatt für Lernende und Auszubildende möglich)

Surprise-Tasche

CHF 45, Taschenfarbe: ☐ schwarz Farbe Surprise-Schriftzug: ☐ schwarz

Surprise-Mütze

CHF 30, ☐ rot ☐ schwarz

Surprise-Jahresabo

☐ 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189 (Inland)/CHF 229 (Europa) ☐ Gönner-Abo CHF 260

Buch «Standort Strasse»

CHF 37, Anzahl

Rechnungsadresse Name, Vorname

☐ orange ☐ weiss

Adresse

Lieferadresse Name Vorname

PLZ/Ort

Adresse

Telefon/E-Mail

PLZ/Ort

☐ grün ☐ silber

☐ blau

☐ rot

Datum, Unterschrift Talon einsenden an: Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel oder per Mail an info@vereinsurprise.ch Weitere Informationen zu allen Angeboten unter www.vereinsurprise.ch. Hier können Sie auch online bestellen.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.