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Daheim Im Kreise der Surprise-Familie Schmuckes Hilfsprojekt: Bei den Kofferträgern von Bratislava

«Ich spüre, dass ich störe»: Wieso Sokha Roth sich nirgends mehr zuhause fühlt

Nr. 364 | 4. bis 17. Dezember 2015 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


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Buch: Standort Strasse Bewegende Lebensgeschichten

Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand 152 Seiten CHF 40.– inkl. Versand- und Verpackungskosten ISBN 978-3-85616-679-3

Die belebten Plätze und Strassen der Deutschschweizer Innenstädte sind bekannt. Die Lebensgeschichten der Surprise-Verkaufenden, die hier arbeiten, jedoch nicht. Das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» rückt diese Personen ins Scheinwerferlicht und zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. Das Buch porträtiert zwanzig stolze Menschen, die trotz sozialer Not alternative Lebensentwürfe abseits staatlicher Hilfe gefunden haben. Die Angebote des Vereins Surprise haben ihnen dabei geholfen. Gastbeiträge sowie eine Fotoserie von Surprise-Standorten runden das Buch ab. Erfahren Sie mehr über die Lebensgeschichten unserer Verkaufenden und kaufen Sie jetzt das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand». Ein Teil des Geldes kommt direkt den Surprise-Verkaufenden zugute. Bestellen bei Verkaufenden oder unter: www.vereinsurprise.ch/shop/


Titelbild und Heftrückseite: Lucian Hunziker

Editorial Auf Besuch BILD: ZVG

Weihnachten heisst oft: auf Besuch gehen. Zu Verwandten, Freunden. Man hat sich lange nicht gesehen, man will erzählen, sich austauschen, sich füreinander interessieren – etwas, das bei vielen übers Jahr hinweg vielleicht nicht allzu oft vorkommt. Weil man sich verpasst, es auf ein andermal verschiebt, es doch bleiben lässt. Weihnachten heisst: Dorthin zurückgehen, wo man herkommt – «Driving home for Christmas», wie es im weihnächtlichen Popkitsch so schön heisst. Der gebürtige Kambodschaner Sokha Roth ist einer, der es versucht hat: nach Hause zurückkehren. Es ist ihm nicht gelungen – nicht nur, weil das Kambodscha seiner Kindheit nichts mehr mit dem heutigen Land zu tun hat. Sondern weil er spürte, dass er störte, als er im Kreis der einstigen Familie wieder auftauchte. Weil er vor knapp 40 Jahren vor den Roten Khmer geflohen ist, hat er seine Bindung verloren. DIANA FREI In der Schweiz wurde er zwar adoptiert und eingebürgert, aber auch hier hat man REDAKTORIN ihn emotional nicht ins neue Zuhause hineingelassen. Im Gespräch ab Seite 10 zeigt er uns, wie Politik, Zeitgeschichte und die Mentalität der Umgebung einem das Heimatgefühl nehmen können – unserer Meinung nach etwas vom Wichtigsten, das zum Menschsein gehört. Wir sind in den letzten Wochen mit neuen Fragen auf diejenigen zugegangen, die Woche für Woche auf der Strasse stehen und Surprise verkaufen. Viele von ihnen haben ein zweites Arbeitsleben. Wir haben aber gemerkt, dass wir es bis anhin Jahr für Jahr verpasst haben, einmal nachzufragen, wie es ihnen in dieser anderen Arbeitswelt eigentlich geht. Nun sind wir dort auf Besuch gegangen. Und haben versucht, die Leute, die uns längst bekannt sind, näher kennenzulernen. Ab Seite 16. Wie es bei seltenen Besuchen vielleicht ist: Manchmal hat man nichts zu reden. Oder man sagt das Falsche, und die Sache eskaliert. Wir haben deshalb den Schweizer Autor Thomas Meyer einen Gesprächsfaden vorbereiten lassen. Er kennt sich aus mit Fragen, die ans Eingemachte gehen, schliesslich hat er vor ein paar Jahren ganz Zürich damit plakatiert. Nun hat er für Sie ab Seite 20 ein paar Fragen zusammengestellt, damit Sie am Heiligen Abend ein bisschen schneller zum Kern der Sache kommen und Ihre Verwandten und Freunde endlich mal richtig kennenlernen. Driving home for Christmas? Denen, die statt mit dem Auto mit dem Zug unterwegs sind, helfen im slowakischen Bratislava nun ehemalige Obdachlose beim Koffertragen. Aber lesen Sie selbst, ab Seite 13. Gehen Sie in sich und kommen Sie aus sich heraus. Herzlich Diana Frei

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@strassenmagazin.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise SURPRISE 364/15

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10 Kambodscha Keine innere Heimat mehr Sokha Roth musste Kambodscha wegen der Roten Khmer allein als neunjähriger Bub verlassen und wurde in der Schweiz adoptiert. Zuvor hat er in seiner Heimat einen jungen Mangobaum aus dem sumpfigen Gelände eines Reisfeldes geholt, um ihn in festen Boden zu pflanzen: an dem Ort, an dem er hoffte, als Erwachsener selbst einmal Wurzeln schlagen zu können. Heute sehnt er sich nach einem Leben, das es für ihn nicht mehr gibt.

BILD: LUCIAN HUNZIKER

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Inhalt Editorial Driving home for Christmas Die Sozialzahl Im Prämienverbilligungstopf Aufgelesen Unparadiesisches Hawaii Vor Gericht Videobeweis Leserbriefe Wanderer auf spannendem Wegnetz Starverkäuferin Roma Weldu Porträt Fast militant gut Einsichten Fragen, die ans Eingemachte gehen Fremd für Deutschsprachige Was es verheisst, wie man heisst Kultur Andy Serkis kann alles spielen Piatto forte Anständig Mango essen Projekt SurPlus Eine Chance für alle In eigener Sache Impressum INSP Surprise – Mehr als ein Magazin Benefizkonzert für den Chor

13 Soziales Projekt Mit goldener Zierleiste BILD: JANA CˇAVOJSKÁ

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Statt Rolltreppen und Aufzüge helfen im Hauptbahnhof von Bratislava ehemalige Obdachlose Reisenden beim Transport ihres Gepäcks. Das Arbeitsprojekt in der slowakischen Hauptstadt bietet die Chance auf einen Wiedereinstieg in den regulären Arbeitsmarkt und hilft den Kofferträgern, aus eigener Kraft ihrer Schulden Herr zu werden. Ihre extravaganten Arbeitsuniformen sind fester Bestandteil des Konzepts.

16 Surpriseverkaufende Auf Arbeitsbesuch

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BILD: ROLAND SOLDI

Nicolas Gabriel verteilt frühmorgens Zeitungen, Fabian Schläfli stellt Aktions-Packungen für Supermärkte her, und der Eritreer Tesfamikael Hailemikael hat in der Schweiz als Gartenbau-Mitarbeiter beruflich Fuss gefasst. Trotzdem verkaufen sie alle nebenher Surprise. Zu Besuch in ihren drei unterschiedlichen Arbeitswelten stellt sich die Frage, wieso wer wann welche Arbeit macht.

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Ausgaben für Prämienve

shalte ligung für alle anderen Hau Ausgaben Prämienverbil de hen ezie ilfeb ligung für Sozialh Ausgaben Prämienverbil ungsleistungen änz Erg von r üge ligung für Bez Ausgaben Prämienverbil erbilligung 2013

istik, Statistik zur Prämienv

Quelle: Bundesamt für Stat

Die Sozialzahl Sozial- oder Sparziel? Die Ausgaben für die Verbilligung der Krankenkassenprämien sind in den letzten zehn Jahren deutlich angestiegen. Heute werden schweizweit jährlich über 4 Milliarden für die Finanzierung dieser Bedarfsleistung aufgewendet. Weil die Prämien in der Krankenversicherung immer wieder stärker ansteigen als die Löhne, kommt es zu einer stetigen Ausweitung der Anzahl von Bezügerinnen und Bezügern von Prämienverbilligung. Dies trifft insbesondere die Finanzhaushalte der Kantone. Der Bund beteiligt sich nur mit einem fixen Satz von 7,5 Prozent der Gesamtprämiensumme. Dieser Beitrag wird entsprechend der Wohnbevölkerung auf die Kantone verteilt. Diese stehen in der Pflicht, die von ihnen festgelegten Sozialziele zu realisieren. Das Krankenversicherungsgesetz lässt ihnen dabei einen grossen Spielraum. Für Kinder und junge Erwachsene sind die Prämien um mindestens 50 Prozent zu reduzieren. Darüber hinaus sollen Haushalte in bescheidenen Verhältnissen nicht übermässig mit der Zahlung von Krankenversicherungsprämien belastet werden. Die Kantone formulieren ihre Sozialziele sehr unterschiedlich. Gesamtschweizerisch gesehen müssen Haushalte mit Kindern je nach Einkommen nicht mehr als zwei bis zehn Prozent ihrer Mittel für die Krankenversicherung ausgeben, bei Haushalten ohne Kinder beträgt die Marge vier bis zwölf Prozent. Die Kantone haben zunehmend Mühe, diese Sozialziele auch nur annähernd zu erreichen. Dies hat sowohl sozial- als auch finanzpolitische Gründe. Der erste Grund hat mit der Finanzierung der Krankenversicherungsprämien bei den Ergänzungsleistungen und der Sozialhilfe zu tun. Wer Ergänzungsleistungen oder Sozialhilfe bezieht, dem wird die Krankenkassenprämie vollständig bezahlt. In beiden Fällen werden die Prämienzahlungen dem

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r Anteil der so ng entnommen. De igu ill rb ve ien äm nton deutlich. Topf der Pr von Kanton zu Ka rt rie ffe di el itt M ankenversichegebundenen nzierung der Kr na Fi r zu en rd d SozialhilfeIm Wallis we gsleistungen- un un nz gä Er r de ämienverbillirungsprämien r kantonalen Pr de t en oz Pr 26 tadt 67 beziehenden Prozent, in Basel-S tigt, in Zürich 45 gungsgelder benö nf gar 77 Prozent. auf Prozent und in Ge schen steigt, die die Zahl jener Men d, sin en es Weil Jahr für Jahr lhilfe angewi ngen und Sozia stu n lei lte gs ha un us nz Ha gä Er ien bei den illigung der Präm rb Ve ele itt di r M fü en t bleib d aus der unter Armutsgrenze un one knapp über der st wenn die Kant r übrig. Zuminde ge ni we leer m pf im sto t schich verbilligung ld in den Prämien Ge r eh m er m im nicht ger bereit. d sie immer weni lgen. Und dazu sin ele Kantone verfo zweiten Grund. Vi im be r wi d Fir r sin fü it Dam nkung, um tegie der Steuerse ra St e ein en zu hr iv Ja kt gen seit und Wohnort attra enende als Standmen und Gutverdi bitionierten Ziele sich, dass die am igt ze n he isc zw n steigenden werden. In Zwiespalt zwische Im . en rd we t ich rden umfangkaum erre euereinnahmen we St en nd ke sin d zu Kürzungen Ausgaben un rt. So kommt es cie lan e m m ra og ienverbillireiche Sparpr auch bei den Präm re de on es sb in h, e maximalen im Sozialbereic beispielsweise di en nk se e on nt ienverbilligungen. Die Ka Bezug von Präm m zu e di , en nz zurück Einkommensgre en die Sozialziele en. Oder sie nehm tig ch re anziebe Fin en e ng di gu Lasten für ushalten höhere Ha n de Kreis en n ut de m kt d un ides schrän ersicherung zu. Be nv ke an d BeKr r un n de ne ng ru r Bezügerin htigten jenseits de ec er sb ein. ch h ru lic sp ut An der Sozialhilfe de gsleistungen oder un nz gä oliEr zp n an vo r Fin züge zial- und ist eine solche So en ied Fr len zia so Dem tik nicht dienlich. L L (C .K NO EP FE CA RL O KN ÖP FE BI LD : WOM M

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Aufgelesen News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Verarmt Kiel. Jedes fünfte Kind in Deutschland wachse in Armut auf, kritisiert die Nationale Armutskonferenz (NAK). Arme Kinder seien unter anderem von zahlreichen Freizeitangeboten ausgeschlossen. Das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket, das einkommensschwachen Familien Zuschüsse an Musikunterricht oder Sportaktivitäten gewährt, habe diesbezüglich keine Besserung erzielt. Gefordert wird stattdessen eine Erhöhung des Hartz-IV-Satzes für Kinder und Jugendliche um 30 Euro pro Kopf und Monat.

Abgebaut Hannover. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe warnt vor einem dramatischen Anstieg der Obdachlosenzahlen. Von 2012 bis 2014 stieg die Zahl derer, die in Deutschland auf der Strasse schlafen, um 50 Prozent auf 39 000 Personen. Die gesamte Zahl der Wohnungslosen werde bis 2018 erwartungsgemäss auf bundesweit eine halbe Million Menschen ansteigen. Die Ursachen seien nicht bei der Zuwanderung zu suchen, sondern im Abbau von sozialem Wohnraum und unzureichender Armutsbekämpfung.

Geräumt Glasgow. Ohne Wohnung sind auch Paradiesinseln kein angenehmes Zuhause: Im US-Bundesstaat Hawaii sind derzeit mehr als 7600 Menschen von Obdachlosigkeit betroffen, 23 Prozent mehr als 2014. Die Regierung rief deshalb letzten Monat den Ausnahmezustand aus, räumte Schlafstellen und zerstörte Habseligkeiten von Menschen auf der Strasse. Bis ins Jahr 2020 müssten 27 000 neue, günstige Wohnungen gebaut werden, um die Lage zu entspannen.

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Vor Gericht Eingekesselt statt freigetanzt Zur Linken des Richtergremiums war am Verhandlungstag die Leinwand aufgespannt. Das heisst, von der Tat gibt es Videoaufnahmen. Aha, mag man sich da denken, klare Sache also. Doch so eindeutig, wie man sich das vorstellt, ist es selten. Höchstens wenn einer eine gelb-pink karierte Latzhose trägt, die dieser Person von vielen Zeugen zugeordnet wird. Wobei man, vorausgesetzt das Gesicht ist auf Video nicht allzu klar zu erkennen, selbst dann noch behaupten kann, man hätte die Hose längst Tex-Aid gespendet. Der Angeklagte trug schwarz. Von den Turnschuhen bis zur hochgezogenen Kapuze. Wie Dutzende von jungen Leuten auch, denen an es der berüchtigten «Tanz Dich frei!»Demo in Winterthur erging wie dem Beschuldigten: Statt sich freizutanzen, steckte er an jenem Abend im September 2013 stundenlang in einem Polizeikessel fest. Die von einem Hausdach aufgenommenen Bilder zeigen die Demonstranten in einer kleinen Seitenstrasse, die Enden abgeriegelt durch Polizeikordons. Die Demonstranten machen auf den gezeigten Ausschnitten nicht viel mehr als herumzustehen, Bier zu trinken und sich mehr oder weniger aufgeregt zu unterhalten. Ab und zu bespritzt die Polizei die Menge ziemlich unmotiviert mit ihren Wasserwerfern. Hin und wieder fliegen Gegenstände in die andere Richtung. Die Staatsanwaltschaft und die bisher mit dem Fall befassten gerichtlichen Instanzen sind sich restlos sicher: Bei dem Mann, der auf den Videobildern zu sehen ist, wie er ei-

ne Flasche gegen die Polizeibeamten schleudert, handelt es sich um den Angeklagten. Bei der Betrachtung des Videos muss man sagen: Gut möglich, dass er es ist. Aber alles würde man auch nicht unbedingt darauf wetten. Dann wird’s fast etwas surreal. Der 29-jährige Beschuldigte hat nie bestritten, sich in der Menschenmenge aufgehalten zu haben. Wäre auch einigermassen absurd gewesen, befand er sich doch unter den insgesamt 93 vor Ort festgenommenen Personen. Damit wäre der Vorwurf des «Landfriedensbruchs» erwiesen. Dennoch verlangt der Angeklagte einen Freispruch. Er habe nämlich gar nicht gewusst, was los gewesen sei, macht er durch seinen Anwalt geltend. Die Einkesselung durch die Polizei, so sein Vertreter, sei unvermittelt erfolgt, und sein Klient habe sich in der Folge in einer Zwangssituation befunden. Möglich ist, dass sich der Angeklagte an dem Abend rein zufällig in diese Seitenstrasse in Winterthur begab. Möglich ist vieles. Es sei auch nicht klar, plädiert der Verteidiger weiter, ob der Angeklagte der Flaschenwerfer sei. Mehr noch: Es sei nicht einmal klar, ob es sich beim geworfenen Gegenstand überhaupt um eine Flasche handle. Es ist möglich, aber nicht zwingend. So viel wird auch dem Gerichtsvorsitzenden klar sein. Aber der darf bei einem Schuldspruch keine Zweifel haben. Er ist sich sicher: «Das sind Sie auf den Bildern. Und einen Papierflieger haben Sie jedenfalls nicht geworfen.» Es bleibt beim erstinstanzlichen Schuldspruch und einer bedingten Geldstrafe von 3600 Franken.

YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 364/15


Leserbriefe «Gehaltvolles im Zeitschriften-Salat» Ausgabe Nr. 360, Artikel «Der Herr der Müllhäuser». «Eine neue Welt» Herzlichen Dank für den Beitrag über die wundervollen Häuser des genialen Architekten Reynolds. Uns ist eine neue architektonische Welt aufgegangen. Nur schade, dass man bei uns keine solchen Häuser bauen darf. Sabina und Adrian Kunz, Neuwiller

Ausgabe Nr. 361 «Gelungene Redaktionsarbeit» Für Ihr letztes Surprise möchte ich mich persönlich bedanken. Für mich war das wieder einmal eine professionelle und gelungene Redaktionsarbeit. Es war spannend und thematisch so gekonnt kombiniert, dass ich das ganze Heft in einem Zug durchgelesen habe. Im ganzen heutigen Zeitschriften-Salat ist es wohltuend, etwas so Gehaltvolles zu finden. René Stalder, Aesch

Ausgabe Nr. 361, Gastbeitrag von Sarah Wiener zu Veganismus und Nachhaltigkeit «Massives Ungleichgewicht» Die Äusserungen von Frau Wiener zur veganen Lebensweise haben mich erstaunt und befremdet. Natürlich kann man sich über industrielle Produktionsmethoden aufregen. Wenn Frau Wiener diesen Ärger dann aber gezielt auf die vegane Ernährung bezieht, hat sie dabei offenbar völlig ausgeblendet, in welchem Missverhältnis die umweltschädlichen Folgen der Fleischproduktion und die Produktion veganer Lebensmittel stehen. In unserer Welt, in der Jahr für Jahr 85 Milliarden (!) Tiere für menschliche Gelüste ihr Leben lassen und sich kaum ein Prozent vegan ernährt, herrscht ein massives Ungleichgewicht. Wären alle Menschen Veganer, hätten wir zwar immer noch Probleme, jedoch massiv kleinere. Gemäss verschiedener unabhängiger Studien gilt der Fleischkonsum zudem mittlerweile als eine der Hauptursachen für den Klimawandel. Thomas Dorizzi, Zürich

Ausgabe Nr. 361, Porträt «Wer nicht sucht, der findet»

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 (0)61 564 90 99 redaktion@vereinsurprise.ch

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BILD: ZVG

«Mit gesundem Grundvertrauen leben» Basil Erny hat gewagt und gewonnen. Er sieht sich nicht als Lokomotive, die auf festgelegten Gleisen dampfen muss – eher als Wanderer auf einem spannenden Wegnetz mit Zeit für Richtungsänderungen und Begegnungen. Basil ermutigt uns, neue Herausforderungen anzunehmen und mit einem gesunden Grundvertrauen zu leben. Ich bin schon seit über 20 Jahren Primarlehrer und habe immer noch Freude am Beruf. Am liebsten gehe ich mit den Kindern wandern. Wenn mir die Schule zu viel wird, werde ich mich wieder an dieses spannende Porträt erinnern. Adrian Kostezer, Wädenswil

Starverkäuferin Roma Weldu Rose Marie Wyser aus Zürich schreibt: «Jedes Mal, wenn Roma Weldu mich sieht, strahlt sie ebenso wie ich. Roma hat die Sonne aus Eritrea nicht verloren und gibt diese grosszügig an alle weiter. Auch eine liebevolle, offene Umarmung teilt sie mit vielen, besonders mit älteren Menschen – eine seltene Geste in unserem doch eher zurückhaltenden Land. Sie ist auf jeden Fall eine echte Bereicherung für das Quartier.»

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Porträt Löwenmutter mit Helfersyndrom Sie sammelt für Obdachlose und kämpft für ihre Söhne. «Schwester Enid» sehnt sich nach der gut behüteten Schweiz ihrer Kindheit. VON SARA WINTER SAYILIR (TEXT) UND ROLAND SCHMID (BILD)

Enid Oita sehnt sich zurück nach der sicheren Schweiz, in die sie in den Achtzigerjahren aus London einreiste. Geboren ist sie in Uganda. Ihre Mutter arbeitete als Stewardess und konnte damals über die Arbeit problemlos Wohnsitz in der Schweiz nehmen. Der Vater der beiden Töchter war früh verstorben, die Mutter alleinerziehend. Enid und ihre Schwester wuchsen im Tagesheim auf. «Byy dr Marlies», erinnert Enid sich mit einem warmen Lächeln. In Uganda ist sie nie wieder gewesen. Darauf angesprochen, reagiert sie zunächst abwehrend: Sie habe keinen Bezug zu dem Land, aus dem ihre Mutter komme. Später in einem zweiten Gespräch gibt sie zu, dass sie Angst vor ihrer eigenen Ohnmacht hat, vor der Konfrontation mit Armut und Ungleichheit in ihrem Geburtsland. «Da sehe ich bestimmt viele arme Leute. Und dann? Was kann ich schon tun?» Wenn Enid erzählt, entsteht der Eindruck, dass sie die Welt gern durch die naive Brille eines Kindes betrachtet, als wolle sie am liebsten all die kulturellen, sozialen und politischen Unterschiede zwischen den Menschen ausblenden. Zurück in die Zeit, als die Schweiz noch sicher und beschaulich war. Gleichzeitig scheint hindurch, dass es ihr nicht immer gelingt. Ursprünglich wollte Enid Nonne werden. «Ich hatte damals das Gefühl, nur Nonnen würden helfen und hätten fast überall Zugang.» Da ging sie noch zur Schule. Ihr Lehrer riet ihr ab, mit ihrer rebellischen Art würde sie ja wohl eher das Kloster auf den Kopf stellen, als eine gute Nonne werden. Wie wäre es denn mit Krankenschwester, schlug er ihr vor. Der Einstieg mit einem Praktikum lief zunächst schief: Die betreuenden Schwestern konfrontierten die junge Enid mit Aufgaben, mit denen wohl viele Mädchen unter 20 zunächst ihre Mühe hätten. Männli-

Enid Oita ist misstrauisch, wenn sich jemand für ihre Person interessiert. Die Krankenschwester mit den blauen Havanna-Twist-Zöpfen setzt sich nicht gern dem Urteil anderer aus. Es sei denn, sie hat eine Mission. Dann ist es ihr egal, wie sie ihre Mitmenschen bewegt, Hauptsache, sie erreicht ihr Ziel. So wie diesen Winter: Nachdem die 38-Jährige einen ehemaligen Schulkollegen auf einer Parkbank schlafen sah, hielt sie es in ihrem eigenen Bett nicht mehr aus. Also klapperte sie einen gemeinsamen Bekannten nach dem anderen ab, fragte, wer ausser ihr noch bereit sei, dem Schulkollegen unter die Arme zu greifen und wenigstens dafür zu sorgen, dass er es nachts warm habe. Ernüchternde Bilanz: Keiner reagiert. Enid, die ungern nur bei ihrem Nachnamen genannt wird, erträgt es nicht. Sie sucht nach einer Alternative, landet beim Schwarzen Peter und stellt gemeinsam mit den Gassenarbeitern ein beeindruckendes Projekt auf die Beine. Über Facebook und private Kanäle ruft sie zu Spenden auf, auch den Blick am Abend bittet sie um Hilfe. Ihr Ziel: 3000 Franken und 30 «Blyyb warm»-Pakete, bestehend aus Schlafsack, Zelt, Isomatte und Thermosflasche sollen 30 Menschen den Winter ohne feste Bleibe erträglicher machen. Für den guten Zweck willigt Enid auch ein, dass der Blick ein Foto von ihr veröffentlicht. «Ich hab einfach einen Tag gebraucht, um das zu verarbeiten, aber die Basler sind ja anständig und sprechen einen nicht auf der Strasse an.» Es ist nicht das erste Mal, dass Enid beim Anblick von Elend und Ungerechtigkeit in eine Art Aktionismus verfällt. Schon vor Jahren auf der Abschlussreise ihrer Schwestern-Ausbildung erschrak die Baslerin vor der sichtbaren Armut «Im Schwesternberuf wird dir schnell klar, dass wir alle einmal in der auf den Strassen von London. Spontan samLage des Hilfsbedürftigen landen können.» melte sie die übriggebliebenen Essenspakete der Gruppe ein und verteilte diese mithilfe ihrer Kollegin Roberta draussen an Bedürftige. Ein anderes Mal trat Enid che Patienten waschen, hervorquellende Darmschlaufen wieder an ihim Basler Tram einem gewalttätigen Mann entgegen, der auf eine Frau ren Platz befördern – wovor sie zunächst zurückgeschreckt ist, löst bei einschlug, und riskierte dabei selbst Kopf und Kragen. der ehemaligen Spitex-Mitarbeiterin heute keine Berührungsängste Demnächst lege sie sich mit dem Erziehungsdepartement an. «Eine mehr aus. «Im Schwesternberuf wird dir schnell klar, dass wir alle einDavid-und-Goliath-Geschichte», sagt die zweifache Mutter. Sie selbst mal in der Lage des Hilfsbedürftigen landen können», sagt sie. habe eine sehr glückliche Schulzeit gehabt, erzählt sie. Ihre beiden Söh«Schwester Enid» ist fasziniert von den unterschiedlichen Biografien, ne aber hätten heute kaum noch eine Chance, das staatliche Schulsydie ihre Patienten mitbringen. Da könne man so viel lernen! Mit den ristem unbeschadet zu überstehen. Das fange im Kindergarten schon an, giden Regulatorien in den Krankenhäusern kommt Enid weniger zumeint sie, die Lehrenden schauten einfach zu, wie Gruppen sich zurecht. «Meine Haare beispielsweise entsprechen nicht der Etikette», sammentäten und die Kleineren und Schwächeren unterdrückten. «Ich stöhnt sie und zieht die Augenbrauen hoch. Werte wie Menschlichkeit musste schon meinen Grossen durch die Schule boxen, mit diesen Lehund Spontaneität kämen im Gesundheitsbetrieb oft zu kurz, findet sie. rern und diesen Schulleitern, und nun muss ich schon wieder: Ich hab Auch der Schichtbetrieb macht ihr zu schaffen: Weil sie für ihre Kinder es satt!», schimpft sie. So wie es laufe, könne es nicht weitergehen, poda sein möchte, ist sie wenig flexibel einsetzbar. litisch müsse da doch mal jemand durchgreifen, findet sie. Ein zweites Standbein hat Enid sich deshalb als Gesundheits-Coach Dass ihre und die Hautfarbe ihrer Söhne bei den Problemen in der erarbeitet. Gemeinsam mit einem Kollegen betreibt sie die Praxis 3ha, Schule eine Rolle spiele, glaubt sie nicht. «Ich habe nie Probleme mit wo sie neben Pflegeberatung und Schmerztherapie auch spirituelle HeilRassismus gehabt», betont Enid und schiebt hinterher: «Das war für methoden anbieten. Demnächst startet die eigenwillige Schwester zumich nie ein Thema.» Und dann zieht sie das Gespräch schnell ins Aldem Trampolinkurse für Frauen, die Lust auf zwangloses Abnehmen haberne: «Wenn du jetzt denkst, ich sei dunkel, liegst du falsch: Das ist ben – «mit Spass und unter Gleichgesinnten», kündigt sie an. ■ einfach eine Ansammlung von zu vielen Sommersprossen!»

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«Nicht wo du die Bäume kennst, sondern wo die Bäume dich kennen, ist deine Heimat» heisst ein Sprichwort: Sokha wollte sich als Kind ein Naturparadies anlegen.

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Kambodscha Der Anfang des Paradieses Sokha Roth flüchtete als Neunjähriger vor den Roten Khmer aus Kambodscha. Heute ist ihm seine Familie im Herkunftsland fremd geworden, in der Schweiz hat er nie wirklich eine gefunden. Ein Gespräch darüber, wie einem das Leben die innere Heimat nehmen kann.

VON DIANA FREI (INTERVIEW) UND LUCIAN HUNZIKER (BILDER)

«1976, als ich noch keine zehn Jahre alt war, lebte ich in Kambodscha in einem Dorf. Da gab es viele Reisfelder und es wuchsen viele grosse Mangobäume. Eines Tages bin ich spazieren gegangen und habe einen jungen Baum bemerkt, noch ganz klein und zart. Da er so fragil war, habe ich ihn ausgegraben und umgepflanzt – in die Nähe von unserem Haus, an einen Platz, wo nicht so viele Bäume wuchsen. Ich habe einen Zaun aus Holz rundum gebaut, um ihn zu schützen. Kurz zuvor, 1975, hatten die Roten Khmer die Macht übernommen, und ich sollte in die Armee, um dem Staat zu dienen. Deshalb bin ich kurze Zeit später geflohen. Ich hatte kein Zuhause mehr. Ich lief zunächst Richtung Vietnam. Ich hatte Angst vor den Soldaten. Vor ihren Waffen. Vor der Gewalt. Vor den Schiessereien. Ich habe mich versteckt. Wenn sie mich gefunden hätten, hätte ich in den Krieg ziehen müssen. Um etwas zu essen zu haben, musste ich stehlen. Ich kletterte in die Bäume. Ich fischte. Später lief ich wegen des Krieges zwischen Vietnam und Kambodscha in die entgegengesetzte Richtung, nach Thailand. Nach ein paar Wochen kam ich dort an. Dort wurde ich von einer internationalen Organisation aufgenommen. Ich war krank und hatte zu viel Wasser in meinem Körper, ich konnte nicht mehr pinkeln. Als Asylbewerber konnte ich nach Genf fliegen. Über die Schweiz wusste ich nichts. In Genf wurde ich in einem Spital behandelt. Eine Schweizer Familie adoptierte mich, 1979 bekam ich den Schweizer Pass. In Kambodscha war mein Sternzeichen Drache, in der Schweiz wurde ich Wassermann. Im Jahr 2002, also 26 Jahre nach meiner Flucht, reiste ich zum ersten Mal nach Kambodscha zurück. Die ganze Familie hat mich in Phnom Penh am Flughafen abgeholt. Mein Bruder hat mich an dem schwarzen Punkt auf der Stirn erkannt. In Kambodscha sagt man, er bringe Glück. Alles ist jetzt anders in meinem Dorf. Es ist nicht mehr so schön wie früher. Unser Land gehört jetzt der Schwester meiner Mutter, die nach dem Krieg dorthin kam. Ich kann nicht in Kambodscha bleiben, weil ich ohne eigenes Land keine Chance habe und keine Arbeit finden würde. Aber ich habe den Mangobaum gefunden, er ist jetzt zehn Meter hoch und trägt viele Früchte.» Sokha, was bedeutet dir deine Geschichte mit dem Mangobaum? Sokha Roth: Anhand des Baumes fällt mir auf, wie sich mein Dorf verändert hat. Als ich ein Kind war, gab es auf dem Stück Land, wo ich den Baum pflanzte, kein Haus. Alles war flach, es gab höchstens ein paar kleine Bäume. Ich stellte mir damals vor, hier wäre später einmal mein Zuhause, wenn ich erwachsen wäre. Meine Familie hatte keine Mangobäume. SURPRISE 364/15

Leben deine Verwandten noch? Meine Mutter lebt zusammen mit zweien meiner Schwestern, die sie versorgen. Sie ist alt und invalid. Sie wurde in einem Familienstreit vor langer Zeit dermassen zusammengeschlagen, dass sie eine Kopfverletzung erlitt. Sie kann nicht arbeiten, sie kann nicht kochen, sie kann nicht waschen. Hast du noch Kontakt zu deiner Familie? Seit 2007 habe ich fast keinen Kontakt mehr. Findest du das schlimm? Ich bin zwei-, dreimal nach Kambodscha gereist. Jedes Mal, wenn ich wieder in die Schweiz zurückging, weinte meine Mutter sehr viel. Da hat mir mein Bruder gesagt, es sei besser, wenn ich gar nicht mehr käme. Meine Schwestern haben auch Probleme damit, wenn ich komme, weil sie dann noch mehr zu tun haben. Ich spüre auch bei meinem Bruder, dass ich störe. Sind sie neidisch auf dich, weil du in die Schweiz gekommen bist? Ich weiss es nicht. Meine Familie ist sehr arm. In Kambodscha gab es seit meiner Kindheit ständig politische Wechsel. Die Roten Khmer haben den Kommunismus eingeführt und grosse Teile der eigenen Bevölkerung getötet. Mich haben sie mitgenommen, um mich für sich arbeiten zu lassen. Den ganzen Tag, die ganze Nacht, ohne zu essen, ohne zu trinken. Bis ich geflüchtet bin. Die Roten Khmer haben dich von deiner Familie getrennt? Ja, nicht nur mich. Das haben sie mit der ganzen Bevölkerung gemacht. Wieso haben sie dich für sie arbeiten lassen? Ich bin der älteste Sohn der Familie. Und als das Regime die Macht an sich gerissen hatte, war mein Vater der Chef unseres Dorfs. Man hat dich für bestimmte Aufgaben ausgewählt, weil du im richtigen Alter dafür warst. Ja. Einmal spielte ich in der Nähe unseres Hauses, da kamen zwei Frauen vom Militär, vielleicht 25 oder 30 Jahre alt. Sie hatten keine Waffen, aber sie trugen Uniform. Damals hatten zwar alle dieselbe schwarze Einheitskleidung, aber diese Frauen trugen zusätzliche militärische Komponenten. Sie sagten mir, ich müsse meinem Land dienen. Dem Volk dienen. Es war das erste Mal, dass ich solche Worte hörte. Plötzlich dachte ich, ich müsse meine Familie verlassen. Ich hatte Angst. Ich ging zu meiner Mutter, habe mich an sie geklammert und ihr erzählt,

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was die Frauen gesagt hatten. Meine Mutter schaute die beiden Frauen nur an und sagte kein Wort.

«Der Chef gab mir jeden Morgen einen Brief, den ich überbringen musste. Mein Bruder hat gesagt, das seien Haftbefehle gewesen.»

Musste dein Vater mit den Roten Khmer zusammenarbeiten? Die Roten Khmer hatten damals eine Bauernarmee im Dschungel. 1973 haben sie die Bauern unter ihre Kontrolle gebracht und danach die Macht über das ganze Land übernommen. Sie kamen in die Gemeinden, in die Dörfer und stellten die Menschen vor die Wahl: Entweder man ist für sie oder gegen sie. Das heisst: Man musste mitmachen. Dein Vater wurde unter Druck gesetzt? Das Dorf wurde kontrolliert, und sie haben mich ausgewählt, um in der Gemeinde zu arbeiten. Ich war für die Post im Einsatz, ich musste TopSecret-Nachrichten überbringen. Der Chef gab mir jeden Morgen einen Brief, und ich musste diesen Brief jeweils persönlich zu einem bestimmten Ziel bringen, mehrere Kilometer weit. Ich war noch keine neun Jahre alt und konnte nicht lesen. Ich wusste nur, wohin ich den Brief bringen musste. Mein Bruder hat mir einmal gesagt, das seien Haftbefehle gewesen. Wieso bist du kurz darauf selbst geflüchtet? Ich habe jeden Tag diese Briefbotengänge gemacht. Die anderen Kinder straften mich dafür ab, und ich bekam weder Schlaf noch Essen. Plötzlich dachte ich: Ich kann nicht mehr. Morgen gehe ich und komme nicht mehr zurück. Ich glaube, das Militär hat nach mir gesucht, aber ich ging weg, zuerst Richtung Vietnam, und etwa ein Jahr danach wegen des Krieges zwischen Vietnam und Kambodscha weiter nach Thailand. Dann wurdest du von Terre des Hommes aufgegriffen und in der Romandie adoptiert. Hattest du eine ganz normale Schweizer Kindheit? Ich war in Leysin in einer katholischen Schwesternschule und wurde da von meiner Schweizer Familie abgeholt. Terre des Hommes hatte zu Weihnachten am Fernsehen Fotos von allen Flüchtlingskindern gebracht, und daraufhin wurden wir alle in Schweizer Familien platziert. Ich ging im französischsprachigen Teil der Schweiz zur Schule.

Hast du heute keinen Kontakt mehr zu der Familie? Nein, schon lange nicht mehr. Im Grunde liebte ich diese Familie doch, und ich dachte immer, wir könnten vielleicht einmal pro Jahr zusammen essen gehen. Aber so etwas war offenbar nie der Plan. Mein Vater wollte, dass jedes Kind eine gute Schule macht und die Prüfungen besteht, das habe ich gespürt. Aber er hat auch gesagt: Wenn du erwachsen bist, will ich Distanz. Dann hast du dein eigenes Leben. Würdest du gerne nach Kambodscha zurückgehen? Ich würde gerne nach Kambodscha zurückzugehen, wenn ich alt bin. Aber wohin? Ich habe dort auch kein richtiges Zuhause mehr. Einen Mangobaum pflanzen: War das ein Stück Heimat für dich? Ja. Viele Kambodschaner schaffen sich selbst ein richtiges Paradies in der Natur. Das sind Orte, die du von aussen gar nicht richtig siehst. Du musst in diese Gärten hineingehen. So schön! Die Leute haben nicht viel Geld, aber sie haben eine wunderbare Landschaft, und sie leben im Einklang mit der Natur. Voller Leben. So habe ich mir die Zukunft immer vorgestellt. Als Anfang eines Paradieses. Der Einleitungstext stammt aus dem Theaterstück Heimat@ausgepackt der Theatergruppe Stolperstai, die grösstenteils aus Menschen besteht, die beim Verein Surprise im Strassenverkauf und Chor aktiv sind. Die Texte wurden anhand eigener Erlebnisse erarbeitet. Idee und Konzept: Anette Metzner und Caroline Buffet. Weitere Aufführungen sind geplant und Aufführungsorte gesucht, Informationen unter 061 641 01 48 oder stolperstai@gmail.com. Sokha Roth lebt heute in Basel und verkauft Surprise.

Hattest du in der Adoptivfamilie Geschwister? Ja, zwei Schwestern und einen Bruder. Alle drei waren sehr musikalisch. Mein Bruder studierte Medizin und wurde Arzt. Hattest du es gut mit ihnen? Ich war der Kleine. Sie spielten im Haus Musik, und ich machte Gartenarbeit. Mein Vater hatte viele Tauben und Kaninchen und einen grossen Garten mit Gemüse. Ich machte meine Hausaufgaben, und wenn ich fertig war, kümmerte ich mich um die Tauben und Kaninchen. Hättest du auch lieber Klavier gespielt statt Gartenarbeit gemacht? Ja, nur ein paar Lieder (lacht). Nur ein bisschen … Fühltest du dich wohl in der Familie? Mein Vater hat mich viel zu oft bestraft. Manchmal hat er seltsam reagiert. Einmal kam ein Mitarbeiter von Terre des Hommes zu Besuch, um sich die Situation anzusehen. Er sah das schöne Haus mit Garten. Aber meine Schweizer Eltern haben mich oft zuhause eingesperrt. Ich durfte nicht raus und hatte das Gefühl, ich kriege keine Luft. In Kambodscha war ich immer viel in der Natur. Ich musste ein paar Monate lang immer im Haus bleiben. Ich fühlte mich wie ein Gefangener. Das heisst, sie haben dich nicht wie ein eigenes Kind aufgenommen? Ich weiss es nicht. Später fragte mich mein Vater einmal: Liebst du unsere Familie? Ich sagte nein, da hat er mich geschlagen.

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Das Terrorregime der Roten Khmer Vor 40 Jahren, am 17. April 1975, eroberten die Roten Khmer Phnom Penh, die Hauptstadt Kambodschas. Was folgte, war ein mehr als dreijähriges Terrorregime. Nach jahrelangem Bürgerkrieg jubelte die Bevölkerung von Phnom Penh zunächst über die vermeintliche Befreiung durch die maoistischnationalistische Guerillabewegung der Roten Khmer. Doch ihr Ziel war, die Gesellschaft mit Gewalt in einen Agrarkommunismus zu überführen, was in ein beispielloses Terrorregime mit ein bis zwei Millionen Toten in der eigenen Bevölkerung mündete. Die Roten Khmer machten das Land zu einem einzigen streng überwachten Arbeits- und Gefangenenlager mit unmenschlichem Arbeitspensum. Sie holten sich ihre Unterstützung bei der Landbevölkerung durch Zwang: Dörfer wurden in kommunistische Kooperativen aufgeteilt, die Nachrichtenverbindungen zwischen den Gemeinden wurden überwacht. Familien wurden in verschiedene Arbeitsbrigaden aufgeteilt, Kinder zur Überwachung der eigenen Eltern eingesetzt. Weltweit traurige Bekanntheit erlangten die «Killing Fields», die etwa dreihundert Orte in Kambodscha umfassten, wo mindestens 200 000 Menschen der eigenen Bevölkerung systematisch ermordet wurden – mit dem Ziel, eine Gesellschaftsform von besitz- und bedürfnislosem Kommunismus einzuführen. (dif) SURPRISE 364/15


BILD: REUTERS/MAX ROSSI

Als Obdachloser war er hier bestenfalls geduldet, heute ist er unentbehrlich: Gepäckträger Laco im Bahnhof von Bratislava.

Soziales Projekt Bratislavas livrierte Obdachlose Für die Verkäufer der Obdachlosenzeitung Nota Bene diente der Hauptbahnhof von Bratislava bislang als Schlafplatz. Nun tragen sie hier Reisenden gratis das Gepäck über die steilen Treppen. Das internationale Netzwerk der Strassenzeitungen INSP hat das Projekt in der Slowakei besucht.

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VON LAURA SMITH (TEXT) UND VLADIMÍR ŠIMÍCˇ EK (BILD)

hatte. Ohne jegliche Ersparnisse kam er bald in Rückstand mit seiner Miete, da er keine neue Arbeit finden konnte. So verlor er seine Wohnung. Als er nicht mal mehr das Geld für ein Bett in einer Herberge hatte, übernachtete er vier Monate lang in Parks rund um Bratislava. Während dieser Zeit gelang es ihm, durch den Verkauf von Nota Bene genug Geld zu sparen, um nicht mehr auf der Strasse leben zu müssen. Schliesslich war Šimeg in der Lage, zusammen mit zwei Freunden eine Dreizimmerwohnung zu mieten. Trotzdem hatte er immer noch Mühe, seine Schulden abzubezahlen.

An einem belebten Morgen wenige Tage vor Weihnachten durchquert ein Mann den Hauptbahnhof von Bratislava und bleibt mit seinen schweren, mit Geschenken beladenen Koffern unterhalb eines steilen Treppenaufgangs stehen. Mental bereitet er sich auf den mühevollen Aufstieg vor. Der Hauptbahnhof von Bratislava hat zwar Charme, bedarf aber dringend einer Modernisierung. Dass es hier keine Aufzüge oder Rolltreppen gibt, ist schon seit Längerem ein Problem für die Reisenden, die auf ihrem Weg vom Fahrkartenschalter zu den darüberliegenden Zu wenig günstiger Wohnraum Bahnsteigen eine steile Treppe überwinden müssen. Dies sei ein weitverbreitetes Problem bei vielen Nota-Bene-VerkäuZum Glück aber gibt es Hilfe. Jozef Šimeg nähert sich dem Mann mit fern und einer der Hauptfaktoren, weshalb sie weiterhin obdachlos und dem schweren Koffer und bietet höflich seinen Dienst an. Gekleidet in ohne feste Beschäftigung blieben, sagt Peter Kadlecˇík, einer von zwei eine vornehme marineblaue Uniform mit burgunderroten Zierleisten, Sozialarbeitern, die am Gepäckträger-Projekt mitwirken. Er erklärt, dass goldenen Knöpfen, einem schwarzen Hut und makellosen weissen es zu wenige Sozialwohnungen gebe für die 4000 Menschen, die in der Handschuhen ist Šimeg einer von sieben Männern, die der fast ausgestorbenen Rolle des Gepäckträgers neues Leben eingehaucht haben. Während er den Kof«Meist sind es doch die Obdachlosen, die als hilfsbedürftig befer des Mannes die Stufen hochhievt, erklärt Šimeg, er sei ein ehemals obdachloser Verkäutrachtet werden. Da dachten wir uns, warum den Spiess nicht fer der Strassenzeitung Nota Bene und arbeite einfach umdrehen?» nun dank eines neuen Projekts als Halbtagskraft am Bahnhof. Auf dem Bahnsteig angeslowakischen Hauptstadt zurzeit obdachlos seien. Die Preise für ein Bett kommen, wünschen sich die beiden Männer frohe Weihnachten und gein einer Herberge beliefen sich derzeit auf 100 bis 180 Euro im Monat. hen ihrer Wege. Šimeg hält einen druckfrischen 10-Euro-Schein in seiUnd um zu arbeiten, brauche man eine angemessene Unterkunft. ner Linken. «Das war wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, sagt er Gleichzeitig stelle der staatliche Prozess der Schuldeneintreibung eine später über sein bisher grosszügigstes Trinkgeld. weitere Schwierigkeit für diejenigen dar, die sich mühsam ihren Weg zuDer kostenlose Gepäckträgerservice von Bratislava wurde im Dezemrück in eine Vollzeitbeschäftigung bahnten. Dem Gesetz zufolge müssen ber 2014 von der örtlichen Wohltätigkeitsorganisation Proti prúdu – zu die Inkassobeauftragten bei den Lohnabzügen nur ein Minimum von Deutsch «Gegen den Strom» – ins Leben gerufen, die auch Nota Bene lei118 Euro übrig lassen. Dies bewegt viele dazu, stattdessen schwarz zu tet. Das Projekt wirkt doppelt: Einerseits stellt es der Öffentlichkeit eiarbeiten. So auch Šimeg. Dank der Wohltätigkeitsorganisation Proti prúnen dringend benötigten Service zur Verfügung, gleichzeitig bietet es für du hat er nun aber nach sechs Jahren endlich eine sichere und legale Ardie teilnehmenden Verkäufer der Strassenzeitung einen beständigen beit gefunden. «Ich glaube jetzt wieder mehr an mich selbst und daran, Teilzeitjob. dass ich wieder Arbeit finden kann», erzählt er. «Denn als ich meinen «Meist sind es doch die Obdachlosen, die als hilfsbedürftig betrachJob verlor, war ich psychisch und physisch am Ende.» Dann habe er antet werden. Da dachten wir uns, warum den Spiess nicht einfach umgefangen, Nota Bene zu verkaufen. «Ich habe gelernt, mein Geld besser drehen?», sagt Sandra Tordová. Die Leiterin von Nota Bene fügt hinzu, zu verwalten und daran zu denken, auch etwas für die Zukunft auf die dass die Idee ursprünglich von einem ihrer Leser kam. Seite zu legen. Ich möchte meine Schulden begleichen und in meiner neuen Arbeit erfolgreich sein.» Wer ist hier hilfsbedürftig? Šimeg und seine Kollegen arbeiten 20 Stunden die Woche und verŠimeg und seine Kollegen sind mittlerweile ein vertrauter und willdienen 3 Euro pro Stunde. Zudem dürfen sie alle Trinkgelder und das kommener Anblick rund um den Bahnhof. Ihre Dienste stehen müden Geld, das sie mit dem Verkauf von Nota Bene verdienen, behalten. Ihre Reisenden an fünf Tagen der Woche von 9 bis 13 Uhr zur Verfügung. BeGehälter und Uniformen werden von Proti prúdu bezahlt, mit finanzieltreut werden sie dabei von einem Sozialarbeiter. Das Projekt helfe den ler Unterstützung durch Gelder des Europäischen Wirtschaftsraums Gepäckträgern, ihre Schulden zu begleichen, schenke ihnen Selbstver(EWR) und Norwegens. Proti prúdu bietet auch Job-Coaching, Einzeltrauen sowie die Motivation, wieder in eine reguläre Vollzeitbeschäftibetreuung sowie Einzel- und Gruppenberatungen an. Die Nichtregiegung einzusteigen. Gleichzeitig trage es dazu bei, die Barriere zwischen rungsorganisation arbeitet zudem mit mehreren ehrenamtlich tätigen der Öffentlichkeit und den Obdachlosen zu durchbrechen, so Tordová. Rechtsanwälten zusammen, die mit den Gläubigern der Gepäckträger «Die Uniformen waren wichtig, da das Projekt darauf basiert, dass die über Schuldenreduzierungen verhandeln. Darüber hinaus gibt die OrMenschen an die Verkäufer glauben und ihnen so weit vertrauen, dass ganisation für jeden gesparten Euro der Gepäckträger einen weiteren dasie ihnen ihr Gepäck überlassen. Deshalb haben wir sie richtig schön zu, um sie dabei zu unterstützen, finanziell unabhängig zu werden. und elegant gestaltet», führt sie aus. Obwohl das Tragen von bis zu 50 Taschen und Koffern pro Schicht Der Bahnhof profitiert anstrengende Arbeit bedeutet, ist Šimeg von seinem Job begeistert. Die Teilnehmer des Projekts profitieren davon – genauso wie der Zehn Monate nach Arbeitsbeginn trägt er seine Uniform noch immer mit Bahnhof. «Ich finde, wir haben den Bahnhof zu einem besseren Ort gegrossem Stolz. «Ich fühle mich gut, wenn ich meine Uniform trage, und macht, er ist jetzt viel ansprechender», sagt Tordová. Viele Reisende ich mag die positiven Reaktionen der Menschen, die mich in ihr sehen», planten nun ihren Reiseverlauf nach den Arbeitszeiten der Gepäckträsagt er freudestrahlend. «Die Menschen sehen mich anders an. Ich hofger, fügt sie hinzu. Und die Idee ist nicht nur ein Erfolg bei Bratislavas fe, dass dieses Projekt ihre Meinung über Obdachlosigkeit generell änBahnreisenden. Die Initiative wurde auf dem INSP-Gipfel 2015 des Interdern wird. Wir haben alle eine schwere Vergangenheit, aber wir versunationalen Netzwerks der Strassenzeitungen in Seattle zum besten chen, voranzukommen und unser Leben zu verändern.» Nicht-Strassenzeitungsprojekt gekürt. Gleichzeitig schafften es die GeDer 36-jährige Šimeg begann 2008 Nota Bene zu verkaufen, kurz päckträger auf den zweiten Platz des renommierten SozialMarie-Preises nachdem er seinen Job als Automechaniker bei Volkswagen verloren

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für soziale Innovation und schlugen damit rund 300 andere Projekte aus Österreich, Ungarn, der Tschechischen Republik, Slowakei, Slowenien, Deutschland, Polen und Kroatien. Der nächste Schritt sei nun, so Kadlecˇík, die weitere Finanzierung zu sichern, damit Proti prúdu das Projekt für ein weiteres Jahr unterhalten und das Team von Gepäckträgern erweitert werden kann. «Wir befinden uns momentan in der Verlegenheit, dass der Bedarf sehr gross ist, aber ein Achtstundentag mit nur sechs Gepäckträgern ist schwierig zu organisieren. Jeder Träger befördert um die 50 Gepäckstücke pro Schicht und die sind ziemlich schwer. Zwei der Träger sind bereits über 50 Jahre alt, wir müssen auch an ihre Gesundheit denken.» Mit mehr Geld könnten sie in grösseren Teams arbeiten, sodass sie den Leuten den ganzen Tag über ihren Service anbieten könnten. Šimeg hat gerade eine geschäftige Montagsschicht beendet und erzählt, dass der Kameradschaftsgeist im Team gut sei und es nie an Arbeit mangle. Die Gepäckträger von Nota Bene seien mittlerweile zu einem unentbehrlichen Teil des Bahnhofs geworden. ■ Aus dem Englischen übersetzt von Jules Schneider.

Mit freundlicher Genehmigung von INSP News Service www.insp.ngo

Kommentar Wie man sich begegnet In durchrationalisierten Gesellschaften wie der schweizerischen, wo Lift, Rollkoffer und -treppe zum Alltag gehören, wirken livrierte Gepäckträger wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Uniformen mit Handschuhen und Goldknöpfen rufen Assoziationen mit einer Gesellschaftsordnung hervor, wo die da oben sich von denen da unten bedienen lassen. In extremo hat diese Art der Dienstleistung bei uns vor allem in der Hotelbranche überlebt, wo die Position des Lift- oder Bellboys das männliche Äquivalent zum «Mädchen für alles» darstellt – Jobs, deren Bezeichnung schon nahelegt, dass die Ausübenden nicht auf Augenhöhe mit ihren Kunden stehen. Kann man so sehen. Und doch ist das Kofferträger-Projekt aus Bratislava hilfreicher als reine Systemkritik und soziologische Analyse: Denn die Uniform ist hier nur Mittel zum Zweck. Und dieser ist es, Menschen vom Rand der Gesellschaft zu einer Aufgabe, Einkommen und Anerkennung zu verhelfen. Dazu macht das Projekt sich die alte Weisheit «Kleider machen Leute» zunutze: Die theatralisch wirkende Uniform ist ein für jeden erkennbares Symbol des offiziellen Amts, das der Träger ausübt. Für Randständige, deren Präsenz am Bahnhof bei Reisenden und Pendlern sonst eher Unbehagen auslöst, ist dieser Aspekt das Wichtigste: Sie sind im Alltag auf Vertrauen auf den ersten Blick angewiesen, um ihre Dienstleistung anzubieten, denn der Kontakt zwischen Träger und Reisendem ist nur kurz. Die Uniform wirkt wie ein Mittel gegen Berührungsängste, und so finden hier die Begegnungen möglicherweise auch öfter auf Augenhöhe statt. Durch den Arbeitsplatz wieder zu einem Teil der Gesellschaft geworden, bieten die Kofferträger den Reisenden durch ihre Präsenz zusätzliche Sicherheit. Etwas, was durch die simple Einrichtung von Lift und Rolltreppe nicht passiert wäre. (win) SURPRISE 364/15

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Strassenverkäufer Die andere Arbeit Surprise-Verkaufende kennt man als Figuren im öffentlichen Raum. Für ihre Arbeit müssen sie nicht viele Voraussetzungen mitbringen und sie können ihrem eigenem Rhythmus und ihren Bedürfnissen folgen. Etliche von ihnen haben aber einen zweiten Job, in dem sie ganz spezifische Anforderungen erfüllen müssen.

5 Uhr morgens: Nicolas Gabriel trägt im Zürcher Niederdorf Zeitungen aus.

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Gespür für die Strasse Auf der Strasse zu stehen und Surprise zu verkaufen, ist das eine. Im nächtlichen Zürich durch die Gassen zu rennen und Zeitungen zu verteilen, das andere. Eines ist den beiden Tätigkeiten von Nicolas Gabriel gemeinsam: Er spürt dabei die Stadt und ihre Menschen. VON DIANA FREI (TEXT) UND ROLAND SOLDI (BILDER)

zur Arbeit. Gabriel stellt den Wagen an seinen Standort zurück. Um 3 Uhr morgens ist er aufgestanden, jetzt geht er in die Bibliothek der Pädagogischen Hochschule, um eine Deutschstunde vorzubereiten. «Diese Zeit nach dem Zeitungen-Austragen ist sehr wichtig für mich. Es sind meine produktiven Stunden, in denen ich Emile Zola lese oder mich mit Sprachwissenschaften beschäftige.» Nicolas Gabriel, Zeitungsausträger, Surprise-Verkäufer, Deutschlehrer, Akademiker und Betagtenbetreuer, sieht die Strassen Zürichs in unterschiedlichen Aggregatzuständen: Er kennt die einsame Morgenstimmung im Niederdorf, und er kennt den hektischen Alltag am Nach-

Es ist 4.30 Uhr an einem Freitagmorgen bei der Gemüsebrücke in Zürich, der Wind bläst, Nicolas Gabriel zählt konzentriert seine Zeitungen ab und stapelt sie in seinen Wagen. 113 Tagesanzeiger, 85 NZZ und ein paar Frankfurter Allgemeine Zeitungen. «Als Erstes musst du immer schauen, dass du kein Durcheinander bekommst, das ist das Wichtigste», sagt er. Blätter wirbeln herum, die Zeitungsecken flattern. Vereinzelt fährt einmal ein Lieferwagen vorbei, Bäckerei Buchmann, dann ein Taxi; ansonsten ist Zürich beim Rathaus so still, wie es wohl nur die wenigsten kennen. Etwa zehn Jahre lang hatte Nicolas Gabriel eine eigene Tour in der Früh«Ich bin Zeitungsverträger, das gehört zu meiner Berufung. Ich würde zustellung der Presto Presse-Vertriebs AG, seit nie sagen: Eigentlich bin ich Akademiker.» etwa zwei Jahren ist er als Springer unterwegs, wenn jemand krank oder in den Ferien ist. Unmittag beim Verkaufen von Surprise – den Kontakt mit den «momentan gefähr alle zwei Wochen ist er im Einsatz. Ansonsten verkauft Gabriel, Lebenden». In ein paar Stunden wird er mit dem Heft in der Hand wie51, Surprise bei der Rudolf-Brun-Brücke und beim Urania-Parkhaus, gibt der ganz hier in der Nähe draussen auf der Strasse stehen, nur eine private Deutschstunden und geht ehrenamtlich auf Besuch zu älteren Brücke weiter vorn, und die Menschen dieser Stadt studieren. Menschen. ■ Heute macht er die Tour rund ums Grossmünster. Er eilt, es ist ungewiss, ob das Wetter hält, es ist unsicher, ob der Wind stärker und die Tour verregnet wird. Um 6.30 Uhr muss alles verteilt sein. Er rennt mit einem Stapel Zeitungen zum Literaturhaus am Limmatquai und weiter zum Café Motta. «Wenn du früh anfängst und früh fertig bist, bist du aus dem Verkehr raus. Später kommen die Leute aus den Häusern, dann wirst du zum Hindernis», sagt er. Eine Windböe bläst ihm ins Gesicht, er packt einzelne Zeitungen in Plastikfolie ein und bindet eine Schnur drumrum, damit sie in den Hauseingängen nicht weggeweht werden. «Wenn du die Tour nicht auswendig kannst, bist du verloren», sagt er. «Ich büffle zuhause und laufe die Tour vorher zwei-, dreimal ab, obwohl ich dafür nicht bezahlt werde.» Gabriel schweigt wieder, zählt im Kopf Zeitungen und Briefkästen nach. Dann rennt er weiter über das Kopfsteinpflaster des Niederdorfs mit den engen, steilen Gassen, wo er seinen Handwagen hinauf und hinunter schieben muss. Konzentriertes Konditionstraining durchs Halbdunkel. Es beginnt zu regnen. Nicolas Gabriel hängt seine Zeitungen an Türknäufe von Luxusboutiquen, Confiserien mit üppigen Schaufensterauslagen und Antiquariate in Altstadtlokalen mit Stukkaturdecken. «Dieser historische Teil von Zürich ist sehr schön. Für mich sind hier die Ahnen irgendwie präsent, die Menschen, die früher einmal hier waren und all diese Häuser gebaut haben. Und ich glaube auch, man wird von ihnen irgendwie gestützt.» Allmählich nimmt er es ein bisschen gemütlicher, der Hauptteil ist erledigt, er streckt seine Knie durch und macht Lockerungsübungen. Der Regen hat sich beruhigt, es ist 6 Uhr, Nicolas Gabriel hat Zeit zum Erzählen. «Ich bin Zeitungsverträger, das gehört zu meiner Berufung. Ich habe Jus studiert, aber ich würde nicht sagen: Eigentlich bin ich Akademiker. Egal, was du machst, um Geld zu verdienen, es ist ein Teil von dir, und du musst versuchen, dich dafür zu interessieren. Auch wenn es simpel wirkende Arbeiten sind, wie eine Zeitung hinzulegen. Auch hier ist es entscheidend, wie man es macht. Es könnte zum Beispiel jemand stürzen, weil man sie auf die falsche Seite einer Treppenstufe legt.» Wir sind wieder zurück bei der Gemüsebrücke. Die Trams fahren unterdessen, Jogger kurven um die Ecke, Passanten sind auf dem Weg SURPRISE 364/15

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Ambitionen zum Gabelstaplerfahrer Fabian Schläfli sieht man fast jeden Abend am Bahnhof SBB in Basel Surprise verkaufen. Tagsüber produziert er Aktionspackungen, die die Menschen, die abends an ihm vorbeigehen, in ihren Einkaufstaschen mit sich tragen. VON MANUELA ZELLER (TEXT) UND ROLAND SCHMID (BILD)

Der 28-Jährige bezieht eine IV-Rente, die es ihm erlauben würde, zuhause zu bleiben. Das komme aber nicht infrage, nur schon weil er unter die Leute wolle. Deswegen arbeitet er an vier Tagen in der Woche in der VEBO-Werkstatt in Breitenbach. Der Betrieb ist darauf spezialisiert, Menschen mit IV-Rente in die Privatwirtschaft einzugliedern. «Behindertenwerkstatt», sagt Fabian Schläfli dazu. Dass er punkto Effizienz, Genauigkeit und Selbständigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht mithalten kann, macht ihm zu schaffen. «Dabei kann ich doch so viel und will so viel!» Sein Gesicht hellt sich erst wieder auf, als er auf das

Fabian Schläfli sitzt am Tisch und verpackt Befestigungsvorrichtungen für Lichtleisten: kleine zusammengerollte Drahtkabel, die in transparente Plastikhüllen gesteckt werden. Routiniert öffnet Schläfli die Plastikhülle mit der rechten Hand und füllt sie mit der linken. «Hallo Meisterverpacker!», begrüsst ihn ein junger Kollege und bleibt kurz stehen, um zu plaudern. Die Stimmung ist freundlich und geschäftig in der lichtdurchfluteten Werkstatt. 2000 Stück sollen verpackt werden und zwar bis Ende Monat, erklärt Fabian Schläfli und zeigt auf die entsprechenden An«Langsam denke ich, ich werde den Rest meines Lebens in einer Begaben auf dem Auftragsschein. Mit Zahlen hindertenwerkstatt arbeiten.» könne er gut umgehen, mit Buchstaben leider gar nicht. «Ich kenne die einzelnen Buchsta«Schrumpfen» zu sprechen kommt. Dafür muss er zum Beispiel drei ben zwar, aber ich kann sie nicht zu einem Wort zusammensetzen. Man Shampooflaschen zusammen in die Schrumpfmaschine geben. Die Makann sagen, ich bin Analphabet.» Die kognitive Beeinträchtigung ist die schine verpackt das Trio mit Plastikfolie und macht ein Dreierpack darFolge einer Hirnhautentzündung, die er hatte, als er zwei Jahre alt war. aus. «Manchmal muss man die Flaschen so reinlegen und manchmal Komplexe Vorgänge zu durchschauen, fällt ihm schwer. «Es braucht viel so», zeigt er vor. Er habe etwa ein Jahr geübt, bis er gut mit der Geduld, mit mir zu arbeiten», erklärt er resigniert. «Schrumpfi» umgehen konnte. Die Aufgabe ist verantwortungsvoll, denn die Person an der Schrumpfmaschine gibt das Tempo für alle anderen vor, die in der gleichen Linie arbeiten. Wenn ein Fehler passiert und die Maschine angehalten werden muss, kann der Kollege, der die Dreierpacks etikettiert, nicht weiterarbeiten. Es gehe in der VEBO-Werkstatt nicht einfach darum, Menschen zu beschäftigen, erklärt Abteilungsleiter Christoph Bätscher. «Wir haben Aufträge, die wirklich erfüllt werden müssen. Wir werden nur wenig subventioniert und sind auf Einnahmen angewiesen.» Manchmal hätten sie also auch ein wenig Zeitdruck in der Werkstatt. «Und Druck mag ich eben leider gar nicht», bedauert Fabian Schläfli. Wenn es eilt, steht deswegen meistens eine erfahrenere Person an der Schrumpfmaschine. Versuche, einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden, haben bisher nicht gefruchtet. Fabian Schläfli seufzt: «Das ist nicht schön. Langsam denke ich, ich werde den Rest meines Lebens in einer Behindertenwerkstatt arbeiten.» Dass er beim Einkaufen manchmal einem Dreierpack begegnet, das er vermutlich selber geschrumpft hat, tröstet ihn kaum. «Ich würde einfach gerne normal sein.» Christoph Bätscher hingegen freut sich, dass der Meisterverpacker vorerst in der VEBOWerkstatt bleibt. «Wir mögen ihn sehr gerne hier. Es gibt Leute, die arbeiten eher für sich, und es gibt Leute, die sich stark in die Gruppe einbringen. Fabian Schläfli gehört zu Letzteren.» Ausserdem gibt es noch weitere Aufgaben bei der VEBO, die Fabian Schläfli interessieren. Besonders die Spedition würde ihn reizen. Der Abteilungsleiter hat mit seinem Kollegen aus der Spedition verabredet, dass Schläfli in ruhigen Augenblicken üben dürfe, Paletten mit dem Handrolli zu stossen. Es ist die Vorstufe zum Gabelstapelfahren, das er so gerne lernen würde. Nach Feierabend um 16.30 Uhr wird er mit der S-Bahn nach Basel fahren und am Bahnhof SBB Surprise verkaufen. Die Einnahmen sind dabei nicht der wichtigste Faktor, schliesslich würden durch den Zusatzverdienst die Ergänzungsleistungen gekürzt. Er wolle einfach unter die Menschen kommen und irgendwann, vielleicht, unabhängig von der Fabian Schläfli wäre gern unabhängig von der IV. IV leben. ■

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Den Baumgipfel erreicht Obwohl der 37-jährige Eritreer Tesfamikael Hailemikael seit einem Jahr beim Berner Liegenschaftsdienst angestellt ist, verkauft er immer noch ab und zu Surprise. Aus purer Freude daran. VON MONIKA BETTSCHEN (TEXT) UND ANNETTE BOUTELLIER (BILD)

Wie so oft in diesem Spätherbst ist es fast frühlingshaft mild. Einzig die mittlerweile laubfreien Bäume lassen einen Rückschluss auf die Jahreszeit zu. In den Quartierstrassen von Bern nutzt man das freundliche Wetter, um Grünanlagen, Beete und Rabatten winterfest zu machen. Auf einer Wiese neben einem Mehrfamilienhaus am Ostring liegen zu Haufen aufgeschichtete Äste. Mehrere Angestellte aus dem Gartenbauteam von Steve Schumacher kümmern sich hier schon seit den frühen Morgenstunden um zwei imposante Bäume. Gerade haben sie neben dem hinteren Baumstamm eine Raupenhebebühne aufgebaut. Sorgfältig wurden die Abstützungen der unebenen Unterlage angepasst, bevor nun der Stahlarm langsam zwei Mitarbeiter im Korb hinauf in die kahle Baumkrone befördern kann. Einer von ihnen ist der Eritreer Tesfamikael Hailemikael. Gemeinsam mit seinem Kollegen Ivan Suarez sägt er einzelne Äste heraus, damit zwischen den Verzweigungen wieder Raum Tesfamikael Hailemikael hat sich in der Schweiz beruflich etwas Neues aufgebaut. entsteht und der Baum im nächsten Frühling in eine harmonische Form hineinwachsen kann. Jedes Mal, wenn die Kettensäge angelegt wird, wirbeln unzählige «Ich habe genau auf so eine Stelle wie diese hier hingearbeitet. Ich bin Holzspäne wie Schneeflocken herum und es glücklich, mein Ziel erreicht zu haben.» riecht würzig nach Baumsaft. «Ich mag diese Arbeit draussen in der Natur sehr gerne. Und reitet, dabei mit unterschiedlichen Menschen ins Gespräch zu kommen. frische Luft ist gesund», sagt Hailemikael und lacht, als er, wieder unten Es ist fast so etwas wie ein Hobby für mich», erklärt Tesfamikael Haileangekommen, aus dem Korb der Arbeitsbühne auf die Wiese hinausmikael seinen Einsatz. Angesprochen auf seine beruflichen Ziele, winkt klettert. er ab. «Ich habe genau auf so eine Stelle wie diese hier hingearbeitet. Sie Der 37-Jährige mit dem einnehmenden Lächeln ist 2007 in die ist das Beste, was mir passieren konnte, und ich bin glücklich, mein Ziel Schweiz gekommen. Der Anfang hier sei schwierig gewesen. «Aber ich erreicht zu haben.» Nun freue er sich einfach, zusammen mit diesem war sehr motiviert durchzuhalten, habe viele Kurse besucht und mich Team auch weiterhin sein Bestes zu geben. Sein Blick gleitet hinüber zu weitergebildet, denn ich habe schnell gemerkt, dass es viel Geduld seinen Kollegen, die immer noch dabei sind, Äste zu entfernen. Er eilt braucht, sich hier beruflich etwas Neues aufzubauen.» Fleiss und Beüber die Wiese und packt wieder mit an. Der Umgang in der Arbeitsharrlichkeit haben sich ausgezahlt. In seiner Heimat hatte Hailemikael gruppe, die neben Hailemikael aus einem Serben, zwei Spaniern, zwei Mechaniker gelernt. In der Schweiz begann er vor rund drei Jahren mit Kolumbianern, einem Chilenen und zwei Schweizern besteht, ist ganz dem Surprise-Verkauf. Anfang Oktober 2013 startete Hailemikael ein offensichtlich von einer aufrichtigen Kollegialität geprägt. «Das hier ist Praktikum bei der Liegenschaftsdienst Bern AG und überzeugte dort wie eine Familie für mich», hatte Hailemikael vorhin noch gesagt. Man schliesslich seinen neuen Chef Steve Schumacher von seiner Arbeit. Der glaubt es ihm sofort. Betrieb betreut allein im Bereich Gartenpflege 285 Liegenschaften. «Die ■ Aufgaben sind vielseitig, sie reichen vom Schneeräumungsdienst über die Wartung der Geräte bis hin zu Anpflanzungen im Frühling oder Rasenpflege im Sommer», beschreibt Schumacher das Arbeitsspektrum. «Ich habe schnell gemerkt, wie gut Hailemikael in mein Gartenteam hineinpasst. Er verfügt über eine schnelle Auffassungsgabe und ist auch menschlich ein Gewinn für uns», sagt sein Vorgesetzter. Auf das dreimonatige Praktikum folgte ein befristeter Arbeitsvertrag, der aufgrund der guten Leistungen im Oktober 2015 in ein festes Arbeitsverhältnis umgewandelt wurde. Das Arbeitspensum beträgt 100 Prozent. Trotzdem verkauft Hailemikael auch heute noch ab und zu das Strassenmagazin vor einer Stadtberner Coop-Filiale. «Wenn ich Lust und Zeit habe, verkaufe ich das Heft manchmal immer noch, weil es mir grosse Freude beSURPRISE 364/15

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BILD: ISTOCKPHOTO

Einsichten Unter dem Weihnachtsbaum «Finden Sie Ihre Lebensweise nachahmenswert?» Vor einigen Jahren waren es Fragen wie diese, mit denen der Autor Thomas Meyer (41) die Zürcher auf Aufklebern im öffentlichen Raum konfrontierte. Zu den Festtagen hat er nun für uns ein kleines Kartenset zum Ausschneiden entworfen, um die weihnachtliche Konversation in familiärer Runde anzuregen. Der Autor haftet nicht für allfällige Gefühlsausbrüche oder Trennungen, begrüsst aber jede Form der heilsamen Veränderung.

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BILDER: WOMM

*** Was beschäftigt Sie in diesen Tagen? ***

*** Was wünschen Sie sich am sehnlichsten? ***

*** Was wäre das schönste Geschenk, das man Ihnen machen kann? *** ✂

*** Was hat Sie im vergangenen Jahr am tiefsten berührt? ***

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*** Wer wartet auf ein ehrliches Wort von Ihnen? *** ✂

*** In welchem Punkt können Sie sich mehr Aufmerksamkeit schenken? ***

*** Wer vermisst Sie? ***

*** Mit wem möchten Sie wirklich Silvester verbringen?

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*** Was haben Sie für jene getan, für die Weihnachten kein Freudenfest ist? *** ✂

*** Was wollen Sie im neuen Jahr endgültig hinter sich lassen? ***

*** Wen vermissen Sie? ***

*** Wie lautet die momentane Botschaft Ihres Herzens? ***

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*** Was hindert Sie daran, Ihre ganze Liebe zu geben? *** ✂

*** Was würde Sie gerade jetzt glücklich machen? ***

*** Wovon können Sie anderen problemlos mehr geben? ***

*** Was wäre anders, wenn Sie wüssten, dass dies Ihr letztes Weihnachtsfest ist?

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BILD: ZVG

Fremd für Deutschsprachige Der neue Erwin Erwin, das war für mich bis gestern noch ein 63-jähriger Weinbauer aus dem Klettgau. Er hat rote Backen und trägt unter dem grünen Faserpelz manchmal ein Bon-Jovi-T-Shirt – weil es eines Tages in seinem Wäscheschrank lag. Doch seit Frau Dautaj im Coop gegenüber arbeitet, haben sich in meinem Kopf völlig neue Möglichkeiten des Erwinseins aufgetan. Denn auf ihrem Arm ist zu lesen, dass nun auch Söhne albanischstämmiger Stadtzürcherinnen Erwin heissen können. Geschrieben jedoch: Ervin – das albanische v entspricht dem deutschen w. Frau Dautaj hat sich, voll im Trend junger Schweizer Mittelstandseltern, die Namen ihrer Kinder auf die Unterarme tätowiert: rechts Ervin, links Erion. Als ich das Ervin-Tattoo entdeckte, überlas ich das v und den albanischen Kontext und staunSURPRISE 364/15

te, dass der Retrotrend zu altbackenen Namen wie Paul, Karl oder Jakob nun sogar Erwin wieder salonfähig gemacht hatte. Doch der albanische Erwin wurde nicht von dieser Re-Traditionalisierungswelle angespült. Ich vermute, er ist im Gegenteil das Ergebnis einer späten Anglisierung, und zwar über die Einführung der Endung -vin. Die Vorarbeit dafür leisteten, nebst Hollywood, Schweizer Eltern, indem sie ihre Söhne inflationär mit dem Namen Kevin segneten. Dies geschah Anfang der Neunziger, zu einer Zeit also, in der die albanischsprachigen Altersgenossen der Kevins noch grösstenteils im damaligen Jugoslawien lebten und auf Namen wie Shpëtim (Befreiung), Liridona (die Freiheit Gebende), Durim (Ausharren, Geduld), Fitore (Siegerin) oder Shqipe hörten. Vielleicht hofften ihre Eltern, dass die kämpferischen und dezidiert albanischen Namen sich – nomen est omen – positiv auf die Unabhängigkeitsbewegung auswirken würden. Schon bald hatte die nationale Frage die Habibes, Jusufs, Bajrams und Ruxhdijes aus der Neugeborenenstation in Prishtina und anderswo verdrängt. Solche muslimisch-osmanischen Namen, wie sie unsere Eltern und Grosseltern fast ausnahmslos tragen, kamen höchstens noch zum Zug, wenn Grossmutter oder -vater ehrenhalber Namensgeber sein durften. Mit der Zuspitzung der politischen Lage in der Region und dem Kriegsbeginn in Ko-

sova fanden Ende der Neunziger einige dieser Kinder den Weg in die Schweiz. Diese Generation, das heisst diejenigen, die bleiben durften, hat sich hier eingelebt und selbst Familien gegründet. Und die Namen, die sie für ihre Kinder wählen, sind oft «Brückennamen», also sowohl für albanische wie auch für schweizerdeutsche Zungen zu bewältigen. Sie liegen klanglich und geografisch zwischen der Schweiz und Kosova: Melissa, Florentin, Lorena. Auch hierbei mögen elterliche Hoffnungen mitgespielt haben: Die Verwischung des hierzulande oft geringgeschätzten albanischen Erbes möge der Tochter dereinst die Stellensuche erleichtern. Doch auch die Eltern der Kevins haben in der Zwischenzeit nicht geschlafen. Sie haben neue Namen aus anderen Ecken der Welt in die Schweiz transponiert, oft durch den Austausch nur eines Buchstabens. So opferten sie denn auch Kevin zugunsten des weniger amerikanischen, individuelleren Levin. Der ist nun so weit von Karl und Paul entfernt, dass sich auch albanische Schweizerinnen an den Namen herangewagt haben. Und, über ihn, bei Ervin gelandet sind.

SHPRESA JASHARI (SHPRESAJASHARI@HOTMAIL.COM) ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING (RAHELEISENRING.CH)

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Kultur «Ich merkte, dass man alles spielen kann» Der britische Schauspieler Andy Serkis ist mit der Rolle des Gollum in Peter Jacksons «Lord of the Rings»Trilogie berühmt geworden, danach war er King Kong und ein intergalaktischer Affe in den «Planet of the Apes»Filmen. Zuletzt stand er als Supreme Leader Snoke für «Star Wars: The Force Awakens» vor der Kamera. BILD: MARIO ANZUONI

VON ADAM FORREST

Herr Serkis, in «Planet of the Apes» («Planet der Affen») spielen Sie Caesar, den Anführer der Schimpansen. Was muss man als Schauspieler tun, um seinen inneren Affen zu entdecken? Andy Serkis: Ich musste meine Stimme finden. Denn eine der grössten Herausforderungen lag darin herauszufinden, wie ein Affe wohl anfangen würde, die menschliche Sprache zu benutzen. Wir haben daran gearbeitet, indem wir eine Kombination aus Affengeräuschen und Gebärdensprache schufen und daraus letzten Endes einen Sprachprototyp entwickelten. Wir hatten ein richtiges Affentrainingslager, in dem wir alle improvisierten. War die Verfilmung von Peter Jacksons «King Kong» bereits Teil der Vorbereitung für Ihre Rolle in «Planet of the Apes»? Bevor ich King Kong spielte, studierte ich das Verhalten von Affen. Ich beobachtete sie zuerst in Gefangenschaft und ging dann nach Ruanda, um Berggorillas zu sehen. Aber Caesar ist ein Über-Affe, er wächst unter Menschen auf und entwickelt sich sehr schnell. Also bin ich seine Rolle fast so angegangen, als sei er ein Mensch. Ich spielte menschliche Gefühle im Körper eines Affen. Dieses Jahr waren Sie in «The Avengers 2: Age of Ultron» zu sehen, und demnächst läuft «Star Wars: The Force Awakens» an. Was fasziniert Sie so an Blockbustern? Für einen Schauspieler ist das Besondere an diesen Filmen die Tatsache, dass man ein breites Publikum erreicht. Es geht darum, dass man etwas Ernstes und Relevantes über das Menschsein erzählen und gleichzeitig unterhalten kann. Bei Arthouse-Filmen ist klar, dass man nur ein kleines Publikum erreicht – auch wenn man mit viel Leidenschaft dabei ist. Mir fällt keine treffendere Story ein, die die gleichen Themen wie «Planet of the Apes» verhandeln könnte. Ich bin stolz darauf, Teil einer Metapher eines Films zu sein, der es den Menschen ermöglicht, sich selbst durch die Augen eines anderen Wesens zu betrachten. Wird die künstlerische Ausdrucksweise durch die digitale Bearbeitung nicht gemindert? Nicht im Geringsten. Das wurde mir gleich nach der Verfilmung von «Lord of the Rings» klar. Ich hatte eigentlich gedacht, ich würde mich nach Gollum wieder traditionelleren Rollen zuwenden. Als mich Peter Jackson fragte, ob ich King Kong spielen wollte, sagte ich: «Moment, ich habe gerade eben diesen einen Meter grossen, runzligen Ring-Junkie gespielt – und jetzt kommt ein sieben Meter grosser Gorilla?» Da merkte ich, dass man wirklich alles spielen kann. Und dass es genau das ist, was ich als Schauspieler, philosophisch betrachtet, will. Man kann in jede Rolle schlüpfen und zu allem werden – egal, wie man gebaut ist, welche Hautfarbe man hat und welchem Geschlecht man angehört. Das ist befreiend.

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Hier gibt er sich als Gollum, aber demnächst wird Serkis in «Star Wars» zu sehen sein.

Was können Sie uns über «Star Wars: The Force Awakens» erzählen? Die Dreharbeiten wurden im Januar abgeschlossen. Ich habe es sehr genossen, mit J. J. Abrams zusammenzuarbeiten. Es entstand vieles aus dem Moment heraus, Abrams blüht in dieser Arbeitsweise richtig auf. Und es ist toll, dass wir hier in England filmen konnten, denn ich habe den Eindruck, dass die britische Filmindustrie zurzeit ein echtes Comeback erlebt. ■ Aus dem Englischen übersetzt von Maren Johnston.

Mit freundlicher Genehmigung von INSP News Service / The Big Issue UK www.insp.ngo

Andy Serkis wurde als Gollum/Sméagol in Peter Jacksons «Lord of the Rings»-Filmen bekannt. Ursprünglich sollte Serkis der digitalen Figur lediglich seine Stimme leihen, schliesslich wurde aber Serkis’ Körpersprache ein elementarer Bestandteil der Darstellung. Die Figur wurde an seine Gesichtsmerkmale angepasst, und seine Bewegungen wurden digital erfasst und im sogenannten Motion-Capture-Verfahren direkt auf Gollum übertragen. (dif) SURPRISE 364/15


BILD: ISTOCKPHOTO

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

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Jeker Architekten SIA AG, Basel

02

Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

03

Proitera Betriebliche Sozialberatung, Basel

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Projectway GmbH, Köniz

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Yogaloft GmbH, Rapperswil SG

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Madlen Blösch, geld & so, Basel

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Dr. Charles Olivier, Murten

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Yolanda Schneider Logopädie, Liebefeld

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Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen

10

VXL Gestaltung und Werbung AG, Binningen

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Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

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Netzpilot Communication, Basel

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Scherrer & Partner GmbH, Basel

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Balcart AG, Therwil

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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

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Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

Gemäss der «Enzyklopädie der kulinarischen Köstlichkeiten» beschrieb ein Reisender, welcher 1673 aus Goa nach Europa zurückkam, in seinen Notizen die Mango als «wohlschmeckendste Frucht, die ich jemals zu kosten bekam», und war der Ansicht, dass es Pfirsiche und Aprikosen mit der Mango bei Weitem nicht aufnehmen können. Andere wiederum sind der Meinung, dass diese klebrige und saftreiche Frucht mit leichtem Duft nach Terpentin völlig überschätzt sei: Sie ist faserig, schwer zu schälen und so gut wie gar nicht von ihrem Kern zu lösen, weswegen sie nicht gegessen werden kann, ohne dass man sich lächerlich macht. In vielen Fällen trifft das tatsächlich zu. Es ist daher wichtig, beim Kauf die richtige Mango zu finden. Im Gegensatz zu anderen Früchten reifen Mangos, wenn sie mal geerntet sind, nicht nach. Sie müssen daher reif gepflückt und notgedrungen per Flugzeug zu uns transportiert werden. Reife Mangos sind sehr druckempfindlich und haben auf der Schale in der Regel kleine schwarze Punkte. Die Farbe der Schale ist allerdings kein Indikator für die Reife, denn es ist sortenabhängig, ob die Frucht rot, gelb oder grün ist. Wer aber eine reife Mango isst, dem ist ein schon fast frivoles Geschmackserlebnis gewiss, welches neben seiner betörenden Fruchtigkeit auch entfernt an Tannenzapfen oder Harz erinnert. Liebhaber der Frucht essen sie pur. Mit einem scharfen Messer der Längskante – also auf der schmalen Seite der Frucht und des Kerns – entlang aufgeschnitten und anschliessend auseinandergeklappt, ist die Mango auch relativ anständig zu essen. In Thailand wird sie häufig in Würfel geschnitten auch in pikanten Salaten gegessen. Und in einem festlichen Dessert bildet sie ganz leicht püriert ein überraschendes Fundament in einer Crema Catalana. Wer dennoch mal ein paar unreife oder faserige Mangos bekommen hat, verarbeitet sie am besten zu einem süss-sauren Chutney, welches auch bei Gschwellti mit Käse sofort ein bisschen exotisches Feriengefühl aufkommen lässt.

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weishaupt design, Basel

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Thommen ASIC-Design, Zürich

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Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

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Coop Genossenschaft, Basel

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AnyWeb AG, Zürich

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Burckhardt+Partner AG

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mcschindler.com GmbH, Zürich

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fast4meter, Storytelling, Bern

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Maya-Recordings, Oberstammheim

Bezugsquellen und Rezepte: www.piattoforte.ch/surprise

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Machen Sie sich nicht lächerlich. Anständig essen geht auch.

Piatto forte Mehr als eine exotische Aprikose Um die Weihnachtszeit sind die Regale regelmässig voll mit exotischen Früchten. Berühmteste Vertreterin ist die Mango. VON TOM WIEDERKEHR

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Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

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Gutes tun Sinnvoll schenken Surprise bietet armutsbetroffenen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe. Mit Geschenken von Surprise unterstützen Sie die Arbeit des Vereins.

Gibt andere Perspektiven: ein Sozialer Stadtrundgang Die Surprise-Stadtführer erzählen persönliche Geschichten aus ihrem Alltag als Obdachlose und Armutsbetroffene in ihrer Stadt. Verschenken Sie einen anderen Blick auf Basel oder Zürich. Geben einen coolen Look: eine Surprise-Tasche oder eine Surprise-Mütze Eine Mütze für gute Köpfe und eine Tasche voller Sinn – schenken Sie Mehrwert von Surprise. Unsere Mützen und Taschen gibt es in diversen Farben. Gibt Gesprächsstoff: ein Surprise-Jahresabo Das Surprise Strassenmagazin liefern wir gerne alle zwei Wochen in den Briefkasten. Auch im Abo unterstützen Sie unsere Arbeit. Gibt Einblicke: das Buch «Standort Strasse» Das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» porträtiert zwanzig Surprise-Verkaufende und zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. JA, ich möchte sinnvoll schenken und bestelle Sozialer Stadtrundgang

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SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Elsa Fasil Bern

Kostana Barbul St. Gallen

Ralf Rohr Zürich

Marlis Dietiker Olten

Negasi Garahassie Winterthur

Josiane Graner Basel

Tatjana Georgievska Basel

Emsuda Loffredo-Cular Basel

Anja Uehlinger Baden

Fatma Meier Basel

Haimanot Ghebremichael Bern

Oliver Guntli Bern

Roland Weidl Basel

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Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken

1/2 Jahr: 3000 Franken

1/4 Jahr: 1500 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

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1 Monat: 500 Franken

364/15 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 364/15

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Surprise – mehr als ein Magazin

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit einem Netzwerk aus freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der ganzen Deutschschweiz. Sie kämpfen um den Titel des Schweizermeisters und des Weltmeisters beim Homeless World Cup. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen kostenlosen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine einfache und charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren. Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Gönner-Abo für CHF 260.–

Geschenkabonnement für: Vorname, Name

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PLZ, Ort

Rechnungsadresse: Vorname, Name

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PLZ, Ort

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E-Mail

Datum, Unterschrift 364/15

Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

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Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami), Diana Frei und Sara Winter Sayilir (dif, win, Co-Heftverantwortliche), Thomas Oehler (tom), redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Olivier Joliat, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Mario Anzuoni, Monika Bettschen, Annette Boutellier, Adam Forrest, Lucian Hunziker, Maren Johnston, Philipp Kämpf, Thomas Meyer, Roland Schmid, Jules Schneider, Vladimír Šimícˇek, Laura Smith, Roland Soldi, Manuela Zeller Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 36 000, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke (Leitung), Zaira Esposito Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83/85 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Barbara Kläsi, Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40 Paloma Selma (Leitung), p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach) www.strassensport.ch Sozialer Stadtrundgang Basel T+41 61 564 90 40 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Paloma Selma (Koordination), rundgang@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Zürich T +41 44 242 72 14 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Carmen Berchtold (Koordination), rundgangzh@vereinsurprise.ch Vereinspräsident Peter Aebersold Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt: Spendenkonto PC 12-551455-3 SURPRISE 364/15


Surprise – Mehr als ein Magazin

Surprise Strassenchor «Music with the Unheard» der zu singen. Am Ende des Abends war der Kollektentopf voll: 2472 Franken wurden gesammelt. Es war uns eine grosse Freude, in Riehen aufzutreten. Wir möchten uns bei Nadine Fankhauser für ihren tollen Einsatz, bei den Gästen für ihr zahlreiches Erscheinen und natürlich beim Pfarreiheim St. Franziskus sowie ganz besonders bei den grosszügigen Spenderinnen und Spendern bedanken. Paloma Selma, Leiterin Surprise Strassenchor

Nächster öffentlicher Auftritt Donnerstag, 24. Dezember, um 22 Uhr beim Gottesdienst in der römisch-katholischen Pfarrei St. Leodegar, Eihornstrasse 3, 4313 Möhlin

BILD: PHILIPP KÄMPF

Am 13. November fand ein Benefizkonzert für den Surprise Strassenchor statt – zum zweiten Mal seit seiner Gründung. «Music with the Unheard» hiess der Anlass im Pfarreiheim St. Franziskus in Riehen. Der Chor sang mehrere Lieder aus seinem aktuellen Repertoire und wurde dabei am Klavier von Nadine Fankhauser begleitet. Die 18-Jährige komponierte eigens für diesen Auftritt zum ersten Mal zwei eigene Stücke – wunderschöne, wie sich bei ihrem sinnlichen und gefühlvollen Vortrag erwies. Die Kompositionen und die Zusammenarbeit mit dem Strassenchor waren Teil ihrer Maturaarbeit. Die Chorgruppe zählte an diesem Abend stolze 20 Sängerinnen und Sänger aus neun verschiedenen Nationen: Kroatien, Kambodscha, Ungarn, Serbien, Mazedonien, Schweiz, Kamerun sowie Deutschland und Spanien. Auch das Publikum war mit 75 Gästen beachtlich und beehrte Nadine Fankhauser und den Chor zum Schluss mit Standing Ovations. Schön waren auch die Gespräche, die während des anschliessenden Apéros entstanden. Einzelne fingen sogar spontan an, miteinander Lie-

Emotionaler Abschluss des Auftritts mit Nadine Fankhauser (Mitte).

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