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Verschenkte Spende Vom Ende einer Kinderpatenschaft Weitergeben, tauschen, aufwerten: Wird Konsum nachhaltiger?

Surprise-Verkäufer: Thomas Iberg feiert einen Monat lang Geburtstag

Nr. 365 | 18. Dezember 2015 bis 7. Januar 2016 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.



Titelbild: Priska Wenger

Editorial Die Sache mit dem «ich» BILD: TOBIAS SUTER

Stets sind wir um Objektivität bemüht, wir Journalisten. Wir berichten aus der Welt, als seien wir neutrale Beobachter, Aufzeichnerinnen der ungefilterten Realität. Dass aber die Werte und Überzeugungen, der Standpunkt und das Erleben der Autoren ebenso viel Gewicht für eine Geschichte haben wie das Erlebte selbst, verschweigen wir gern. Für manch eine ist es deshalb auch tabu, die eigene Person im Text vorkommen zu lassen. Statt «ich» schreiben wir «man» und tun so, als seien wir als handelnde Personen vollkommen irrelevant. Dabei sind wir oft genug sehr nah dran und manchmal sogar involviert. Die Autorinnen dieser Ausgabe scheuen sich nicht, ihre Nähe zu ihren Geschichten auch als solche darzustellen. Claudia Spinnler erzählt ab Seite 10, wie ihre Zweifel SARA WINTER SAYILIR an der Kinderpatenschaft, zu der sie sich auf der Strasse hatte überreden lassen, sie REDAKTORIN zu einer grossen Reise bewogen – und wie diese Reise zum Ende der Patenschaft führte. Die Asyl-Aktivistin Hanna Gerig begleitete als freiwillige Gefangenenbesucherin zwei afghanische Brüder, die auf der Flucht im Ausschaffungsgefängnis Zürich steckengeblieben waren und in deren Asylverfahren sie durch persönlichen Kontakt tiefen Einblick erhielt (Seite 20). Und meine Kollegin Diana Frei spazierte mit dem Berner Surprise-Verkäufer Thomas Iberg durch sein Quartier, wobei er sie bald schon zur Freundin erklärte (Seite 14). Am Jahresende machen sich viele Gedanken über das, was sie im letzten Jahr geschafft haben, und das, was sie im nächsten Jahr anders machen wollen. Wir hoffen, Sie mit unseren Geschichten und unserem Blick auf die Welt der weniger Privilegierten hin und wieder bewegt zu haben, und möchten dies in Zukunft weiterhin tun. Schöne Festtage und ein frohes neues Jahr wünscht Ihnen Sara Winter Sayilir

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@strassenmagazin.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise SURPRISE 365/15

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10 Spenden Zwischen Mitleid und Misstrauen Vier Jahre zweifelte Claudia Spinnler am Sinn und Zweck der Kinderpatenschaft, zu der sie sich auf der Strasse hatte überreden lassen. Bis sie nach Honduras reiste, um ihr Patenkind Brithany zu besuchen. Die Begegnung mit den Mitarbeitenden der Spendenorganisation Children International und ihrer Patenfamilie beeindruckte sie und räumte alle Zweifel aus. Doch dann wurde ihr nach ihrer Rückkehr überraschend ein anderes Patenkind zugeteilt. Ein Erfahrungsbericht.

BILD: ZVG

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Inhalt Editorial Erfahrungsjournalismus Basteln für eine bessere Welt Wogen glätten Aufgelesen Räumungsstopp Vor Gericht Löchrige Erinnerung Leserbriefe Papstkenner Starverkäufer Haile Abraha Asrat Porträt Die Lederflechterin Konsum Wege aus der Wegwerfgesellschaft Wörter von Pörtner Grünflächenfans Musik Aus politischen Gründen unentdeckt Ausgehtipp Frauen Rollen Spiel Verkäuferporträt «Ich bin ein politischer Mensch» Projekt SurPlus Eine Chance für alle In eigener Sache Impressum INSP

18 Asyl Die falschen Koreaner BILD: ZVG

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Zwei Brüder aus Afghanistan wollen mit gefälschten koreanischen Pässen durch die Schweiz nach Kanada reisen. Am Flughafen Zürich entdecken Beamte den Schwindel und bereiten ihrer Flucht ein plötzliches Ende. Weil ihr Asylgesuch im Eiltempo abgelehnt wird, landen sie im Ausschaffungsgefängnis. Hier begegnet ihnen die Aktivistin Hanna Gerig, die die Geschichte der Brüder aufgezeichnet hat.

22 Verkäufergeschichte In seiner eigenen Welt

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BILD: KARIN SCHEIDEGGER

Thomas Iberg (63) will Wirtschaftsprofessor werden, eine Klavier-CD aufnehmen und sich eine Schwingerkarriere aufbauen. Es sind die Träume von einem, der IV bezieht, in begleitetem Wohnen lebt und nicht mehr ganz jung ist. Wir sind mit ihm im November durch Bern spaziert, haben übers Leben geredet und mit ihm Geburtstag gefeiert – der bei ihm immerhin eine ganzen Monat dauerte. Und wir merkten: Wenn man sich nicht an soziale Konventionen halten muss, ist im Leben vieles denkbar.

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ILLUSTRATION: WOMM

Basteln für eine bessere Welt Versöhnungsbonbons Wer unsere letzte Ausgabe gekauft und die provokativen Fragen von Schriftsteller Thomas Meyer an Weihnachten als Eisbrecher zu benutzen vorhat, wird es sich womöglich mit dem einen oder anderen in Familie und Freundeskreis verderben. Zum Jahreswechsel schlagen wir daher eine versöhnliche Geste vor: Komplimente, gute Wünsche oder herzerwärmende Haikus mit Glitterregen hellen die Stimmung schnell wieder auf.

1. Sie brauchen leere Toilettenpapierrollen, Geschenkpapier, Geschenkband, Schere, Kleber, Papier, Stift und bunt glitzerndes Konfetti.

2. Bekleben Sie eine Toilettenpapierrolle mit Geschenkpapier, sodass auf beiden Seiten 7 cm überstehen. Binden Sie eine Seite mit Geschenkband zu und füllen Sie die Rolle mit Konfetti. Schreiben Sie Ihre persönliche Botschaft auf einen kleinen Zettel, falten Sie diesen und legen Sie diesen in die Konfettifüllung.

3. Binden Sie auch die zweite Seite zu. Verzieren Sie das Äussere nach Belieben und schenken Sie den Versöhnungsbonbon jemandem, dem Sie zum Jahreswechsel ein Lächeln wünschen. SURPRISE 365/15

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Aufgelesen News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Abgedreht Dortmund. Für immer mehr Menschen in Deutschland wird Elektrizität unbezahlbar. Wegen offener Rechnungen haben deutsche Energieversorger im vergangenen Jahr knapp 352 000 Haushalten den Strom abgedreht. So vielen wie noch nie zuvor. Das geht aus einem Bericht der Bundesnetzagentur hervor. Eine Ursache dafür ist der rasante Anstieg der Preise. Seit 2002 haben sich die Verbraucherpreise verdoppelt, ein Ende des Preisanstiegs ist nicht in Sicht.

Ausgesetzt Hannover. Die spanische Hauptstadt Madrid hat seit wenigen Monaten eine neue Bürgermeisterin: Manuela Carmena vom linken Bündnis Podemos. Als eine der ersten Amtshandlungen hat sie sämtliche Zwangsräumungen in Madrid gestoppt. Vorbei die nächtlichen Angriffe behelmter Polizisten auf Familien, die die Miete für ihre Sozialwohnungen nicht mehr bezahlen konnten. 70 noch ausstehende Räumungsbefehle hat Carmena aufgehoben, 2000 ähnlich gelagerte Fälle zur erneuten Prüfung zurückgewiesen.

Aufgefüllt London. Wohnungsknappheit beschäftigt auch Grossbritannien. Das britische Strassenmagazin The Big Issue fordert deshalb für das ganze Land mehr günstigen Wohnraum. Mit der Kampagne «Fill em up» will das Heft leerstehende Gebäude in Wohnraum für Obdachlose umwandeln. In Grossbritannien sind derzeit 635 000 Wohnungen und Häuser unbewohnt.

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Vor Gericht Schustermeister im Glück Da muss sich der Angeklagte doch glatt hinsetzen. Er rauft sich die Haare und seufzt mehrere Male gut vernehmlich gen Himmel. Freispruch! Tonnenschwere Last, die er mit sich getragen hatte, fällt von ihm ab. Man hört förmlich, wie die sprichwörtlichen Steine vom Herzen zu Boden donnern. Nochmal macht er «phhhhhhh», steht dann brav wieder auf. Wie es sich gehört. Zur Urteilseröffnung müssen Angeklagte stehen. Wie schon sein Vater ist der Beschuldigte medizinisch-orthopädischer Schuhmachermeister. Der 49-Jährige betreibt in der Stadt Zürich zwei Geschäfte für orthopädische Spezialschuhe. Diese werden auf ärztliches Rezept gefertigt und entweder von der IV oder der AHV bezahlt. Solch aufwendige Handarbeit hat natürlich seinen Preis: 6000 bis 7000 Franken pro Paar. Je nach Schwere des Leidens bewilligen die Versicherungen eine bestimmte Anzahl Schuhe. Üblich sind zwei bis drei Paar pro Jahr. Die Aufträge gehen nicht an irgendwelche x-beliebigen Schuhmacher, sondern nur an im Lieferantenverzeichnis aufgenommene Leistungserbringer. Und genau so ein Schuster des Vertrauens ist der Angeklagte. Als solcher, sagt die Anklageschrift, habe der Beschuldigte gewusst, dass die Sozialversicherungen nur prüfen, ob die von ihm in Rechnung gestellten Leistungen mit denen übereinstimmen, die der Patientin zugesprochen wurden. Nicht aber, ob die verrechnete Arbeit der tatsächlich gelieferten Ware entspricht. Ja, ob die Schuhe überhaupt geliefert wurden. Oder ob der Patient diese wirklich bestellt hatte. Dieses Wissen soll sich der

Beschuldigte zunutze gemacht und ungerechtfertigte Rechnungen gestellt haben. Der Hinweis auf ein mögliches Fehlverhalten kam von einer Klientin. Daraufhin nahmen die Sozialversicherungen den Angeklagten unter die Lupe und sahen genug Verdächtiges, um ihn anzuzeigen. Zunächst ging man von Dutzenden von Fällen im Zeitraum von 2005 bis 2009 aus. «Davon», ätzte der Verteidiger in seinem Plädoyer, «ist herzlich wenig übrig geblieben, als 2014 Anklage erhoben wurde.» Ein Scheinprozess sei dies, man suche ein Mittel, um einen missliebigen Lieferanten aus der Kartei zu werfen. Dabei schrecke man vor keiner infamen Unterstellung zurück. Anders erklärte die Vertreterin der Versicherungen, dass sich die Zahl der Geschädigten auf nunmehr drei Fälle beschränkt: «Das Verfahren zog sich dermassen in die Länge, dass die Zeugen wegstarben oder inzwischen dement sind.» Diesem Problem sah sich auch das Gericht gegenüber. Der Vorsitzende verwies auf etliche «ältere Zeugen, die sich erwiesenermassen nicht richtig erinnern». Es sei aber auch nicht so, dass der Angeklagte einen überzeugenden Eindruck hinterlasse. Der habe nämlich seinerseits einige auffällige Erinnerungslücken. Schliesslich sprach also vor allem der Zweifel für den Schustermeister. Weshalb das Gericht ihm die geforderte Genugtuung nicht zusprach: «Der Freispruch ist die Genugtuung.» Ein Schuldspruch hätte ihn nämlich die Lieferantenlizenz von IV und AHV gekostet. Also seine ganze Existenz. «Danke, danke, danke vielmals», sagt der Angeklagte zum Schluss und fällt seinem Verteidiger um den Hals. YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 365/15


Leserbriefe «Die grosse Täuschung» Ausgabe Nr. 363, Interview mit Papst Franziskus

«Einkommen nur scheinbar mit Arbeitsleistung gekoppelt» Stephan Pörtners Texte lese ich immer sehr gerne. Auch über den letzten Artikel habe ich mich eigentlich sehr gefreut. Bloss ein Satz ist mir sauer aufgestossen: «In einer dicht besiedelten Welt … kann das Einkommen nicht ewig an die Arbeitsleistung gekoppelt sein.» Das ist eben die grosse Täuschung. Das Einkommen ist nur scheinbar mit der Arbeitsleistung gekoppelt. Nur für selbständige Gewerbler ohne Lohnangestellte trifft zu, dass das Einkommen mit der Arbeitsleistung zusammenhängt. Alle anderen Menschen sind entweder Lohnempfänger – also Arbeitgeber, denn sie geben ihre Arbeitskraft her – oder sie sind Lohngeber – also Arbeitnehmer, denn sie nehmen die Arbeitskraft der Lohnempfänger. Die Kapitalbesitzer bekommen aber nicht nur die Arbeitsleistung der Lohnsklaven, sondern darüber hinaus noch den Mehrwert, den Überschuss, der sich als Profit in der Bilanz niederschlägt. Wo ist da die Arbeitsleistung mit dem Einkommen gekoppelt? Nirgends! Die Lohnsklaven haben nichts zu verkaufen als ihre Arbeitskraft. Und die Besitzenden können diese Arbeitskraft kaufen und bekommen dafür den ganzen Ertrag minus Arbeitslohn. Paul Jud, Stühlingen

«Die letzten zwei Päpste kannte ich persönlich» Bei meinem Kurzaufenthalt in der Schweiz drückte mir ein Freund die letzte Ausgabe Ihres Magazins in die Hand. Mir hat das Interview mit Papst Franziskus gut gefallen, auch wenn ich ihm etwas kritisch gegenüberstehe. Ich erinnere mich, dass ich 1984 einen Artikel über Papst Johannes Paul II. schrieb, mit dem Titel «Weiser Vogel im goldenen Käfig». Der Text beruhte auf Informationen, die mir sein damaliger afrikanischer Sekretär Emery Kabongo gegeben hatte. Innert 24 Stunden wurde mir von der Schweizergarde der Zugang zu allen vatikanischen Gebäuden verwehrt. Der goldene Käfig scheint auch heute noch aktuell zu sein. Aus dem Interview mit dem argentinischen Papst erkenne ich seine Motivation, diese Isolation zu verlassen. Der von ihm im Interview erwähnte Trichter im Apostolischen Palast war wirklich eine kleine Türe, die von der Schweizergarde bewacht wurde, durch die alle hinein- und hinausgehen mussten. Die letzten zwei Päpste kannte ich persönlich. Deshalb war es leichter für mich, deren Persönlichkeit zu bewerten. Ich hoffe, dass Papst Franziskus es schafft, sich gegen die Intrigen abzuschotten, die im Vatikan seit Jahrhunderten den Lauf der Dinge beeinflussen. Manfred Ferrari, Fort Kochi (Indien) und Montasola (Italien)

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 (0)61 564 90 99 redaktion@vereinsurprise.ch

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Ausgabe Nr. 363, Kolumne Wörter von Pörtner «Utopien»

Starverkäufer Haile Abraha Asrat Bernadette Wagner aus Luzern schreibt: «Haile Abraha Asrat steht stets in einer Haltung von Würde und Freundlichkeit an seinem Standort und preist den Passanten das Heft an. Er strahlt dabei eine Zufriedenheit aus, die auf mich und vermutlich auch auf viele andere wohltuend wirkt. Selbstverständlich kaufe ich jede neue Ausgabe bei ihm.»

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Porträt «Inzwischen habe ich sogar Hobbys» Die Modedesignerin Sabine Lauber kreiert extravaganten Lederschmuck im angesagten Kleinbasel. Reich wird sie damit nicht. Dafür glücklich. VON MANUELA ZELLER (TEXT) UND LUCIAN HUNZIKER (BILD)

auf die Lederarbeit konzentrieren.» So könne sie ihren hohen Ansprüchen gerecht werden, ohne sich dabei zu verlieren. Und wenn sie es nicht schaffe, für eine Präsentation acht neue Modelle zu kreieren, dann sei sie heute auch mit dreien zufrieden. «Hinter denen kann ich dann aber wirklich auch stehen.» In der Zwischenzeit könne sie sich besser von ihrer Arbeit abgrenzen. «Heute beende ich einen Arbeitstag zu normaleren Zeiten», erklärt die Designerin fast ein bisschen stolz und lacht: «Inzwischen habe ich sogar Hobbys». Mit bis zu zehn Stunden sind die Arbeitstage aber immer noch lang. Wirtschaftlich lohnt sich das Engagement kaum. «Darauf lege ich im Moment nicht so viel Wert», winkt die Modeschöpferin ab. «Die Rechnung geht dafür in allen anderen Punkten auf. Mein Label existiert bereits seit mehreren Jahren und die Arbeit ist nach wie vor sehr erfüllend, das ist mir wichtiger.» Sie gönne sich den Luxus und orientiere sich beim Gestalten nicht an den Verkaufszahlen, die Ästhetik stehe im Vordergrund. «Klar will ich, dass der Schmuck meinen Kundinnen und Kunden gefällt, ich versuche aber, bei mir zu bleiben.» Aus dieser Haltung heraus entwickelte Lauber in den letzten drei Jahren ihre Schmuckkollektionen: Objekte aus geflochtenem Leder in verschiedenen Farbtönen, dank Knopfnieten zu Ganzkörperschmuck kombinierbar.

Kleinbasel, Hammerstrasse 90: hier ein Veloladen, da eine Beiz. Und zwischen Sperr- und Klingentalstrasse das Atelier von Sabine Lauber. Sie sitzt ganz hinten im langen Raum und winkt durch die Glastür: «Komm rein!» Vielleicht liegt es an der fröhlichen Frisur oder an den wachen Augen: Sabine Lauber schaut ziemlich jung aus. Dabei ist die Modedesignerin schon eine Weile im Geschäft. Vor elf Jahren schloss sie ihr Studium ab, seit sieben Jahren betreibt sie ihr eigenes Modelabel. Ihre Erfahrung sieht man ihr zwar nicht an, man hört sie aber im Gespräch sofort heraus. Sie nimmt sich Zeit für ihre Antworten, drückt sich sorgfältig und bedacht aus. Sie sei beruflich an einem Punkt angekommen, wo es für sie «extrem stimme», erklärt Sabine Lauber und wirft einen Blick auf die ausgestellten Schuhe und Accessoires. Für das eigene Label zu arbeiten, bedeute viel Flexibilität und Selbständigkeit, das gefalle ihr. Alle anfallenden Arbeiten erledigt die Modedesignerin selbst. Sie experimentiert, entwickelt die Modelle, kauft das Material ein, produziert die Stücke und vertritt das Label an Messen. Sie organisiert den Vertrieb via Läden, pflegt die Website, plant Fotoshootings, berät Kundinnen und Kunden, gibt Interviews. «Der organisatorische Teil nimmt deutlich «Nicht mit seinen Kleidern zu kommunizieren, ist nicht möglich.» mehr Zeit in Anspruch als der handwerkliche», beschreibt die Basler Designerin ihren Alltag. «Aber ich habe das Glück, dass mir die meisten Aufgaben Spass maGanzkörperschmuck aus Leder und Nieten? Was nach Fetisch- oder chen, nicht nur das Entwickeln und Produzieren. Ich brauche keine DisHippie-Accessoires klingt, spricht in Wirklichkeit eine eigene, eher zarziplin, um am Morgen ins Atelier zu gehen, ich freue mich eigentlich imte Sprache, die Kreationen passen schlecht in Schubladen. Das sei mit mer auf meine Arbeit.» ein Grund, wieso sie sich so für Mode begeistere, erklärt die Designerin. Im Juni 2015 ist Sabine Lauber in die Hammerstrasse 90 eingezogen. Schmuck und Kleider seien eine Möglichkeit, alte Muster zu durchbreMit der Schuhdesignerin Anita Moser teilt sie sich die grosse, helle chen. Wie man sich kleide, habe viel mit gesellschaftlichen RollenbilWerkstatt. Den vorderen Teil mit Schaufenster nutzen die beiden als dern zu tun. Da könne man Grenzen austesten – oder gar verschieben? Showroom, wo die Produkte ausgestellt und verkauft werden. Lauber Deswegen empfinde sie Mode auch nicht als ein oberflächliches Theschätzt die Atmosphäre ihres Arbeitsortes: «Das Atelier ist zentral in ma. Kleider sind für Lauber vor allem eine Möglichkeit, sich kreativ ausmeinem Leben, ich bin sehr oft hier. In meinem eigenen Atelier meine zudrücken. «Nicht mit seinen Kleidern zu kommunizieren, ist im Übrieigenen Ideen verwirklichen zu können, das bedeutet für mich Lebensgen gar nicht möglich», ist sie überzeugt. Selbst wer jeden Tag dasselbe qualität, Glück.» anziehe, sage damit etwas aus, dem könne sich niemand entziehen. Ihre Zufriedenheit und Gelassenheit musste sie sich jedoch erst erarFür Sabine Lauber ist klar, dass sie auch weiterhin viel Zeit und Enerbeiten. Früher hätte sie viel mit ihren hohen Ansprüchen zu kämpfen gie in ihr Label stecken wird, lange Arbeitszeiten und geringer Verdienst gehabt, mit ihrem Ehrgeiz. «Das Tempo war hoch. Alleine eine ausgehin oder her. «Ich arbeite gerade an einer neuen Kollektion und entreifte Kollektion zu entwickeln, das bedeutet sehr viel Aufwand. Und ich wickle neue Teile, Modelle zwischen Schmuck und Kleid.» Sie sei erst bin nicht eine Person, die schnell zufrieden ist.» Um mithalten zu könam Anfang. «Es gibt noch viele Möglichkeiten und Techniken rund ums nen, habe sie sich abgehetzt. Elf, zwölf Stunden Arbeit, an sechs oder Leder zu entdecken. Nur schon das Thema Flechten bietet schier endsieben Tagen die Woche, das sei die Regel gewesen. Damit war sie erlos viel Inspiration. Da werde ich vorerst dranbleiben.» folgreich, aber nicht ganz glücklich. Vor zweieinhalb Jahren entschloss Ihre Zukunft sieht die gebürtige Luzernerin in Basel. «Die Stadt ist sie sich, ihr Produktsegment einzugrenzen. Statt eine ganze Kleiderkolmein Zuhause geworden, das kann man schon so sagen. Ich zeige meilektion zu entwickeln, fing sie an, Lederschmuck zu entwerfen. ne Sachen immer gerne anderswo und will meinen Horizont auf keinen «Schmuck herstellen schärft meinen Fokus. Statt über eine ganze KolFall auf die Stadt beschränken, aber ich fühle mich wohl hier und komlektion mit zig verschiedenen Modellen nachzudenken, kann ich mich me immer gerne zurück.» ■

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Spenden «Eigentlich dient es ja einem guten Zweck» Vier Jahre unterstützte Claudia Spinnler ein Patenkind in San Pedro Sula in Honduras. Dann wollte sie sich selbst ein Bild machen und fuhr das Mädchen besuchen. Ein Erfahrungsbericht.

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VON CLAUDIA SPINNLER (TEXT) UND PRISKA WENGER (ILLUSTRATION)

besuchen. Ich kündigte meinen Besuch an, man freue sich, kam als Antwort. Honduras ist eines der ärmsten Länder in Zentralamerika. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Mein Patenkind wohnte mit seiner Familie ein wenig ausserhalb der Stadt San Pedro Sula. Die zweitgrösste Stadt von Honduras gilt als extrem gefährlich. Die Stadt ist als zentraler Umschlagplatz für Kokain bekannt und weist eine der höchsten Mordraten der Welt auf. Besonders Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Verhältnissen sind gefährdet, in die Szene der Maras abzurutschen, wie in Mittelamerika die kriminellen Jugendgangs genannt werden, die vor allem im Drogen- und Waffenhandel aktiv sind. Angekommen in Honduras, wurde ich von zwei Mitarbeitenden in einem der insgesamt sechs Begegnungscenter von Children International in San Pedro Sula empfangen. Dort erhalten die über 20 000 gesponserten Kinder und Jugendliche unter anderem Kleider sowie schulische, psychologische und medizinische Betreuung. Ich war überrascht, wie viel Zeit sie sich für mich nahmen und wie offen sie mit mir sprachen. Mir wurde alles genau gezeigt und erklärt. Immer wieder betonten die Angestellten, wie selten und deshalb besonders der Besuch eines Paten sei. «Viele trauen sich leider aufgrund des schlechten Rufs nicht nach San Pedro Sula. Das bedauern wir sehr», sagte Carolina Tabora. Sie arbeitet seit mehreren Jahren für die Organisation. Ich war überrascht, wie viel Arbeit und Logistik hinter der Organisation steckt, und freute mich zu sehen, wofür mein Geld eingesetzt wurde. Nach zwei Stunden machten wir uns auf den Weg zu Brithany. Die beiden Mitarbeitenden und ich fuhren in einem Van der Organisation über staubige Schotterstrassen, vorbei an unzähligen streunenden Hunden und kaputten Wellblechhäusern. Die Sonne brannte erbarmungslos

Ob aus schlechtem Gewissen oder als Weihnachtsgeschenk: Zahlreiche Einzelpersonen, Schulklassen, Fussballvereine oder Familien unterstützen über sogenannte Patenschaften Kinder in Entwicklungsländern mit Geld. Monatlich zahlen sie einen bestimmten Betrag an spendenfinanzierte Non-Profit-Organisationen aus der Entwicklungszusammenarbeit, die das Geld an die betroffenen Kinder weiterleiten. Die Bilder, mit denen diese Organisationen werben, kennt jeder: Kinder, die mit traurigen Kulleraugen und leerem Blick scheu von einem Bild an einer Plakatsäule schauen. Auch ich unterstütze ein Kind aus Honduras. Das Mädchen heisst Brithany, ist acht Jahre alt und lebt in der Nähe der Stadt San Pedro Sula. Vor vier Jahren wurde ich in meinen Ferien in New York auf der Strasse von einem sympathischen jungen Mann angesprochen. Er arbeitete für die Organisation Children International. Zehn Minuten später schon lief ich den Broadway hinunter, die Unterlagen meines neuen Patenkindes unter dem Arm. Ich hatte wieder einmal nicht «nein» sagen können und ärgerte mich über mich selbst. Wie eine neue Jacke hatte ich mein «Wunschkind» aus einem Katalog ausgesucht. Wenn ich heute daran zurückdenke, schaudert es mich. «Du stehst solchen Organisationen doch kritisch gegenüber. Wieso nur hast du nachgegeben?», fragte ich mich immer wieder und versuchte mir gleichzeitig einzureden, dass es ja einem guten Zweck diene. Eigentlich. Ich hatte mir vorgenommen, nicht eine dieser anonymen Spenderinnen zu werden, die sich kaum an den Namen ihres Patenkindes erinnern können. Wenn schon denn schon, sagte ich mir, und so schickte ich Brithany regelmässig Briefe und Fotos. Wenigstens einen Hauch von persönlichem Kontakt, redete ich mir ein. Dabei lief die Korrespondenz nicht direkt über die Wie eine neue Jacke hatte ich mein «Wunschkind» aus einem Katalog Familie, sondern über die Organisation – zum ausgesucht. Wenn ich heute daran zurückdenke, schaudert es mich. Schutze des Kindes, wurde mir mitgeteilt. Meine Skepsis gegenüber Children International vom Himmel. In gutem Englisch erklärte man mir, wie froh ich sein könwurde über die Jahre hinweg durch unzählige Bettelbriefe der Organine, Brithany zuhause besuchen zu können – den meisten Paten sei dies sation verstärkt. Aufgebaut sind diese immer gleich. Zu Beginn steht, gar nicht möglich, da die Wohnorte der Kinder viel zu gefährlich seien. wie unglaublich wichtig man als Pate sei. Dann, wie dankbar Kind und In Gedanken versuchte ich mich auf die Begegnung einzustellen: Was Familie dafür seien, dass man existiere – und Gottes Segen erhält man sage ich bloss als Erstes? Nebenbei erfahre ich, dass heute in Honduras zu guter Letzt auch noch. Verpackt mit einer Prise Kitsch und einem der «Children’s Day», der Kindertag, gefeiert wird. Die Kinder bekämen frommen Unterton. an diesem Tag viele Geschenke und feierten den Tag in der Schule mit Im Endeffekt zielen diese Briefe immer auf das Gleiche ab: mehr Kuchen und Cola. Nun würde Brithany mit meinem Besuch ihren ganz Geld. Und zwar zusätzlich zu meinem monatlichen Fixbetrag von 35 eigenen «Children’s Day» haben. Franken. Gründe dazu gab es angeblich genug: Waren es nicht die beDann war es endlich so weit und Brithany stand vor mir. Zu Beginn vorstehenden Ostertage, dann waren es Massnahmen gegen Pestizide versteckte sie sich hinter ihrer Mutter, dann folgte eine erste, zögerliche oder ein anderer Feiertag, von dem ich noch nie gehört hatte. Ich wunUmarmung. Ich spürte, dass nicht nur mein Herz höher schlug. Die derte mich über den enormen administrativen Aufwand und fragte Grossmutter, der Vater, die Mutter – alle standen unbeholfen im Halbmich, was das wohl kostete. Wie viel von meinem monatlichen Sponkreis um mich herum und schauten mich mit grossen Augen an. Ich sorbeitrag floss da rein? Wer weiss, ob Brithany überhaupt existierte? Ich wusste nicht, was ich tun sollte, es war eine seltsame Situation. Und erhielt zwar Zeichnungen, Briefe und Fotos von ihr, aber die hätten auch mittendrin ein Fotograf von Children International, der unentwegt Bilgefälscht sein können, dachte ich mir. Ich wollte es genauer wissen. der schoss. Wir gingen in das Haus hinein, wo gemeinsam mit Brithany Also beschloss ich, nach Lateinamerika zu reisen und dabei auch und ihren Eltern auch ihre Grossmutter lebt. Ich war überrascht: Neben Children International sowie Brithany und ihre Familie in Honduras zu SURPRISE 365/15

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BILD: CLAUDIA SPINNLER

einer ansehnlichen Grösse verfügte das Haus über ein einwandfreies Dach und gemauerte Wände, was dort keinesfalls als Selbstverständlichkeit gilt. Brithanys anfängliche Unsicherheit legte sich, als ich ihr meine Gastgeschenke überreichte. Auch sie hatte etwas für mich. Stolz gab sie mir eine grüne Kette und einen Käsecracker. Ich war froh, dass ich Spanisch sprach, so konnte ich mich direkt bei ihr bedanken. Und dazwischen hiess es immer wieder: Bitte lächeln. Der Fotograf wollte jeden Moment für die Webseite von Children International festhalten. Die Mutter erzählte mir, wie positiv sich Brithany entwickelt habe, seit sie gesponsert wurde. Sie sei viel offener und glücklicher geworden und sei ein sehr grosszügiges und wissensdurstiges Mädchen. Gibt es Neid? Nein, das kenne sie nicht, weder in der Schule noch in der Nachbarschaft. Brithany hat jedoch auch keine Geschwister, mit denen sie teilen muss, was bei den gesponserten Familien eher selten der Fall ist. Spontan lud ich die ganze Familie zum Mittagessen in den nächstgelegenen Pizza Hut ein. Immer wieder spürte ich Brithanys Blicke von der Seite. Sie sah zu mir hoch, als sei ich irgendein Popstar. Ich fühlte mich unwohl. Was denken diese Leute wohl von mir, dieser fremden Frau aus einem fremden Land, die so ein anderes Leben führt. Die vielen Eindrücke überforderten mich und ich war froh, als der Abschied näherrückte. Als der Fotograf das letzte Foto knipste, überwand ich mich, noch einmal zu lächeln. Die Mutter verabschiedete mich mit Tränen in den Augen, sie bedankte sich für alles, was ich für ihre Tochter täte. «Gracias, gracias por todo.» Ich lächelte unbeholfen und schluckte die aufkommende Beklommenheit runter. Tschüss, Umarmung und ein finales Lächeln. Wieder zuhause, hatte ich ein gutes Gefühl gegenüber Children International: Brithany schien es gut zu gehen und das Team rund um die Organisation schien professionell und engagiert – was wollte ich mehr? Kurze Zeit später erhielt ich Post aus Honduras. Darin stand, dass Brithany und ihre Familie aus dem Programm ausgestiegen seien, da sie nicht mehr auf meine finanzielle Unterstützung angewiesen seien. Ich Ein Selfie als Erinnerung: Autorin Claudia Spinnler mit Patenkind Brithany. war sehr überrascht: So kurz nach meinem Besuch? War das reiner Zufall? Schlagartig meldete sich mein mulmiges Gefühl gegenüber der Organisation zurück. Demselben Brief lag dann auch ein Foto meines neuen Patenkindes bei. Für mich bliebe alles gleich, schrieben sie, nur die letzten beiden Ziffern der ID-Nummer hätten sich geändert – von 56 für ten Familien tätig ist. Children International schmückt sich zudem mit Brithany zu 89 für Dayanara. Darunter der Vermerk, dass ich gerne auch dem Gütesiegel der BBB Wise Giving Alliance, das immerhin bedeutet, ein anderes Kind sponsern könne, wenn mir das auf dem Foto nicht pasdass die Organisation sich regelmässigen Kontrollen unterzieht und die sen würde. Was sollte denn nicht passen, fragte ich mich? Vielleicht die Verteilung der Spendengelder rechtfertigen muss. Ich weiss also, dass Haarfarbe, das Alter oder etwa das Lächeln? Einmal mehr kam ich ins Grübeln. Und je Für mich bliebe alles gleich, schrieben sie, nur die letzten beiden mehr ich über Kinderpatenschaften las und reZiffern der ID-Nummer hätten sich geändert – von 56 für Brithany zu cherchierte, desto stärker kamen mir Zweifel, 89 für Dayanara. ob ich wirklich etwas Gutes tue. Denn die Kritik an den Patenschaften ist so alt wie die Idee selber. Zewo, die Schweizerische Zertifizierungsstelle für gemeinnütziein Teil meines Sponsorenbetrags in ausgesuchte Programme fliesst und ge Spenden sammelnde Organisationen, moniert beispielsweise, dass nicht allein Brithany zugutekommt. Das erschien mir jedoch sinnvoll. die Kinder vor allem als Werbeinstrument fungierten. Sie würden wie Doch dann erhielt ich eine persönliche E-Mail von einer MitarbeiteKatalogware behandelt, wo man Geschlecht, Alter und Aussehen ausrin von Children International. Darin stand unter anderem, dass die Orwählen könne. Es entstehe eine Ungleichheit zwischen Jungen und ganisation erst durch meinen Besuch herausgefunden habe, dass die FaMädchen – denn bei den Paten fänden besonders junge Mädchen Anmilie von Brithany eigentlich sehr gut lebt – zu gut, um finanzielle klang, wohingegen ältere Jungen auf der Strecke blieben. Zudem seien Unterstützung zu bekommen. Brithany besucht eine Privatschule, die solche Patenschaften in Bezug auf die Armutsbekämpfung nicht nachMutter studiert an einer privaten Universität und der Vater hat einen gut haltig, vielmehr würde ein neues Abhängigkeitsverhältnis entstehen. bezahlten Job. Aus diesen Gründen habe man sich nun entschlossen, Zudem würden – sowohl bei Paten als auch Kindern – falsche Hoffnundie Familie aus dem Programm zu nehmen. gen und Erwartungen geweckt, was wiederum zu Enttäuschungen fühIch war erschrocken. Offensichtlich hatten in meinem Fall sämtliche ren könne. Kontrollsysteme der Organisation versagt. Dabei hatte bei meinem BeIch erinnerte mich an meinen Besuch in Honduras. Eigentlich hatte such doch alles so toll geklungen. Ich fühlte mich dumm und irgendwie ich den Eindruck, dass die Arbeit von Children International nachhaltig hintergangen. Jahrelang hatte ich ein Kind gesponsert, obwohl es meiwar. Ehemalige gesponserte Kinder und deren Familien arbeiten in dine Unterstützung gar nicht brauchte. Ich war ernüchtert. Meine Zweifel versen Funktionen in den Begegnungscentern. So auch Brithanys Grosswaren also doch nicht grundlos gewesen. Die Patenschaft für das neue mutter, die als Vermittlerin zwischen der Organisation und gesponserMädchen habe ich gekündigt. ■


Schweiz Heisses Eisen Kinderpatenschaft In der Schweiz können sich gemeinnützige Spenden sammelnde Organisationen mit dem Gütesiegel der Zewo auszeichnen lassen, das ihnen einen gewissenhaften Umgang mit den ihnen anvertrauten Finanzmitteln bescheinigt. Rund 500 Non-Profit-Organisationen tragen derzeit das Zewo-Gütesiegel. Die Stiftung steht individuellen Kinderpatenschaften grundsätzlich kritisch gegenüber. «Die Zewo lehnt diese Sammlungsmethode klar ab. Wir empfehlen stattdessen Patenschaften für konkrete Projekte oder für ein bestimmtes Thema wie Bildung oder Gesundheit zu unterstützen», erklärt Geschäftsleiterin Martina Ziegerer. Diese Haltung beruhe auf einem breiten Konsens in der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit. Es gebe zahlreiche Hilfswerke, die unproblematische Kinderpatenschaften anböten und sinnvolle Hilfe ermöglichten. Dabei handele es sich um Themen- oder Projektpatenschaften, bei denen weder ein direkter Kontakt zu den Kindern hergestellt werde noch ein persönliches Patenkind ausgewählt werden müsse. Individualisierte Kinderpatenschaften wie die von Children International seien «Marketingprodukte, die vor allem die Bedürfnisse der Patinnen und Paten bedienen». Mit nachhaltiger und partnerschaftlicher Entwicklungszusammenarbeit habe diese Art des Spendensammelns wenig zu tun, führt Ziegerer aus. Der wohl bekannteste Anbieter individueller Kinderpatenschaften in der Schweiz ist die christliche Organisation World Vision Schweiz. Mediensprecher Mathias Gehrig hat Verständnis dafür, dass sich «nicht alle Spender mit diesem Modell der Entwicklungszusammenarbeit identifizieren können». Nachhaltig seien die Patenschaften des Kinderhilfs-

werks aber sehr wohl, da die Spenden nicht direkt an die «betroffenen Kinder» weitergeleitet würden. Stattdessen würden Projektmassnahmen im unmittelbaren Umfeld der Kinder gefördert. Falsch sei auch, dass die Kinder lediglich als Werbeinstrumente fungierten, vielmehr bildeten sie eine Brücke vom Entwicklungsland zum Spender in die Schweiz. «Das Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit wird durch das gesteigerte Interesse verbessert», ist Gehrig überzeugt. Ein Abhängigkeitsverhältnis sehe er deshalb nicht, zudem werde das Selbstbewusstsein der Kinder durch ihre Botschafterfunktion nachhaltig gestärkt. In der Regel dauerten World-Vision-Projekte rund 15 Jahre, wobei die lokale Bevölkerung von Anfang an mit einbezogen werde. Auch Plan International bietet in der Schweiz Kinderpatenschaften mit Kindern in Entwicklungsländern an. Der Kommunikations- und Fundraising-Verantwortliche Roman Bolliger betont, seine Organisation werbe nicht mit traurigen Kinderbildern, Kommunikation und Bildsprache seien positiv. «Der von Ihnen beschriebene Ansatz wird – zumindest in der Schweiz – von keiner seriösen Organisation mehr betrieben, dies schon seit mehreren Jahren», fügt er hinzu. Bei Plan International seien die Kinder auch nicht aus dem Katalog auswählbar. «Plan International Schweiz distanziert sich klar davon», betont er. Einzig Geschlecht und Land seien wählbar. Zudem sei Plan International weltanschaulich neutral und betreibe keinerlei Missionstätigkeiten. Die sogenannten Bettelbriefe hingegen seien «legitime Fundraising-Massnahmen einer Non-Profit-Organisation, um die wichtige Arbeit in den Projektländern vor Ort zu realisieren», wie Bolliger sagt. Die Patenschaftsgelder kämen immer einer ganzen Gemeinschaft zugute und nicht nur einem Individuum. «Plan-Patenschaften funktionieren auf allen Ebenen und in allen Ländern immer auf Augenhöhe zwischen den Paten und den Patenkindern», ist Bolliger überzeugt. (win) ■

Children International «Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst» Brittany Gelbach von Children International (CI) schildert die Vorgänge nach dem Besuch von Claudia Spinnler als vollkommen normal. Es sei auch als Erfolg ihrer Arbeit zu werten, dass sich die Situation des Kindes inzwischen so verbessert habe, dass eine weitere Unterstützung durch CI nicht mehr nötig sei, so die Koordinatorin der Öffentlichkeitsarbeit. Vor vier Jahren habe Brithany noch mehrheitlich bei ihrer Grossmutter gelebt, einer ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen, die ihre Enkelin im Patenschaftsprogramm angemeldet habe. Mit rund 22 000 unterstützen Kindern allein in Honduras sei CI auf die Unterstützung durch Ehrenamtliche angewiesen, so Gelbach weiter, diese übernähmen auch Anmeldung und Betreuung der unterstützten Familien. Dass die NGO erst während des gemeinsamen Besuchs bei Brithany festgestellt hat, dass sich deren Lebenssituation entscheidend verbessert hat, problematisiert Gelbach nicht. Im Gegenteil: Die Organisation freue sich, dass es dem Mädchen und einer Familie nun deutlich besser gehe und danke Claudia Spinnler für ihren Einsatz. Dieser habe Brithany nicht nur eine bessere medizinische Versorgung, sondern auch bessere Ausbildungschancen verschafft. «Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst, dafür zu sorgen, dass die Spendengelder in der besten und effizientesten Weise eingesetzt werden», betont Gelbach. Das Patenschaftsprogramm sei dafür konzipiert, den bedürftigsten Kindern zugutezukommen, betont sie. Erfahre die Organisation davon, dass sich die Lage eines unterstützten Kindes entscheidend verbessert habe, handele sie unverzüglich. Deshalb habe CI Spinnler unverzüglich informiert, dass Brithany nun nicht mehr Teil des Programms ist. (win) ■ SURPRISE 365/15

Verein Surprise SurPlus-Programm Der Verein Surprise selbst bietet mit SurPlus ein Spendenprogramm an, das gezielt ausgewählte Verkaufende unterstützt, die so gut wie keine Leistungen durch die Sozialhilfe oder IV erhalten und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Über SurPlus werden sie sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, U-Abonnement) und bei Problemen von den Vertriebsmitarbeitenden in Bern, Basel und Zürich begleitet. Aktuell werden 14 Personen auf diese Weise gefördert. Regelmässig erscheinen ihre Porträtbilder deshalb auch im Spendeninserat des Strassenmagazins – auch wir werben also mit Köpfen. In der Vergangenheit wurde diese soziale Absicherung als direkte Patenschaft beworben und damit suggeriert, dass die Spenden einzelnen Personen zugutekämen. Bald wurde augenfällig, dass einige Personen viele Patenschaften erhielten, andere Personen keine. Insbesondere bei Männern und Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund war der Spendeneingang sehr gering. Der Verein entschloss sich daher, die Idee der personenbezogenen Finanzierung grundsätzlich abzuschaffen, da die Spenden von vornherein gleichmässig unter allen SurPlusTeilnehmenden aufgeteilt wurden. Seit ein paar Jahren können sich interessierte Spender und Sponsoren deshalb direkt zwischen verschieden hohen Gönnerbeiträgen für alle Teilnehmenden entscheiden. Sybille Roter, stv. Geschäftsleiterin Verein Surprise

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Konsum Aber bitte nachhaltig Gratisflohmärkte, moderne Reparierstätten, Tauschboxen – Wiederverwertung liegt voll im Trend. Doch wie gut gelingt es einzelnen Projekten, das Verhalten der Menschen zu verändern?

VON MARA WIRTHLIN (TEXT), PHILIPP BÄR UND LUCIAN HUNZIKER (BILDER)

Innert weniger Stunden sei der Winterthurer Kühlschrank jeweils leer. «Wir sind gratis», sagt Fritzsche, «das ist für die Leute ungewohnt – und spricht sich natürlich herum.» Das Essen komme dorthin, wo es auch gebraucht werde: «Es ist schön zu wissen, dass wir Menschen in finanziellen Nöten unterstützen können.» Zu ihren häufigsten Nutzern gehören Rentner, Studentinnen, Familien und Migranten ohne sicheren Aufenthaltsstatus.

«Was in unserer Gesellschaft alles im Müll landet, ist echt absurd», sagt Seraina Fritzsche. Sie ist Mitgründerin der RestEssBar in Winterthur, einer der grössten Food-Sharing-Plattformen der Schweiz. Dort wird Essen, das nicht mehr gebraucht wird, vor dem Abfall gerettet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Februar 2014 fing alles an: Wiederverwertung oder Abwertung? Fünf Freunde schlossen sich zu einem egalitär organisierten Verein zuDie RestEssBar konnte schweizweit Nachahmer motivieren: In Lusammen, knüpften Kontakte, kämpften sich durch Lebensmittelbehörzern, Schaffhausen, Frauenfeld und Kreuzlingen entstanden ähnliche den und Paragraphen und stellten schliesslich einen Kühlschrank auf – Initiativen. Eigentlich gehe es ihnen darum, dass man Lebensmitteln für jede und jeden zugänglich und täglich mit Esswaren gefüllt, die mehr Wertschätzung entgegenbringen solle, so die Betreibenden. sonst weggeworfen würden. Etwa fünf Läden stellen dem Projekt ihre Gleichzeitig könne man die Kostenlosigkeit der Waren jedoch auch als überschüssigen Frischwaren zur Verfügung, freiwillige Helferinnen und «Abwertung» interpretieren, gibt Fritsche gleich selbst zu Bedenken. Helfer der RestEssBar holen die Lebensmittel dort jeden Morgen ab. «Oft ist das Obst und Gemüse wie frisch vom Feld», sagt Fritzsche. Das Entsorgen von Seraina Fritzsche von der RestEssBar: «Wir müssen bescheidener Nahrungsmitteln habe selten mit der Qualität werden in unserem Konsumverhalten, ansonsten ist ein Wandel hin zu tun, «da geht es um Dinge wie Lieferketzu einer nachhaltigeren Gesellschaft kaum möglich.» ten». Sie sieht die Schuld für solch unnötigen Verschleiss aber nicht nur bei den Ladenbesitzern: «Wir sind es gewöhnt, immer alles konsumieren zu können – zum «Wir haben viel darüber diskutiert, dass es auch problematisch sein Beispiel frisches Brot bis Ladenschluss.» Was später damit passiere, sei kann, Essen gratis abzugeben», sagt sie, «aber immerhin verhindern wir, uns egal. «Wir müssen bescheidener werden in unserem Konsumverdass es weggeworfen wird – und ich glaube, da holen wir den Wert ab: halten», sagt die 31-Jährige, ansonsten sei ein Wandel hin zu einer nachmit unserer Rettungsaktion.» haltigeren Gesellschaft kaum möglich. Dass das gar nicht so einfach ist, Projekte, bei denen Recycling gefördert und Abfall verhindert werden weiss Fritzsche aus eigener Erfahrung: «Es nervt, wenn man etwas besoll, haben Konjunktur, und zwar nicht nur in Sachen Lebensmittel. stimmtes kochen will, und dann hat es im Laden ausgerechnet eine Neue Initiativen spriessen neben althergebrachten Tauschbörsen, Flohwichtige Zutat nicht.» märkten und Secondhand-Shops aus dem Boden. Upcycling heisst das

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BILD: SÉBASTIEN PHIATTI/HAPPY CITY LAB

Hundenapf, Fussmatte, Kulturtasche: In den Tauschboxen des Happy City Lab aus Genf findet Ungebrauchtes neue Besitzer.

Schlagwort, neudeutsch und hip für die auf«Wenn wir Kleider weggeben – sei es zur Caritas, in Tauschboxen wertende Wiederverwertung. Der gemeinsame oder auch an Freunde – neigen wir dazu, dies als gute Tat zu beNenner der verschiedenen Initiativen: Konsum trachten», meint Studentin Zara Serpi. ja, aber bitte nachhaltig, also tragbar für die Erde, in Rücksichtnahme auf Umwelt, Produzenten und andere Konsumenten. Doch die Frage sei erlaubt: Wie nachPrototyp war ein aus dem Verkehr gezogener Zeitungsständer, und haltig kann das Konsumieren sein? Wie viel tragen solche Strömungen genau so sehen die Boxen in Form und Grösse immer noch aus. «Wir tatsächlich zur Nachhaltigkeit bei? Sind sie das Modell der Zukunft, belassen es bewusst bei diesem kleinen Format», sagt Conus, «auch, oder kurzlebige Trends? um zu vermeiden, dass die Leute massenhaft alte Sachen darin loswerden.» Moderner Tauschhandel unter Nachbarn Eine Idee des einfachen Recyclings unter Nachbarn sind öffentliche Den Überfluss befördern Tauschboxen: Auch sie sollen Dinge vor dem Abfalleimer retten. In den Dass einige die Recycling-Plattformen missverstünden, davon kann sogenannten «boîtes d’échange entre voisins» können Gegenstände graZara Serpi, Studentin am Basler Hyperwerk, ein Lied singen. Das Hypertis deponiert oder mitgenommen werden. Nirgends sind sie so präsent werk ist ein europaweit einzigartiges Institut für postindustrielles Dewie in Genf, wo das Projekt 2011 vom Happy City Lab als Vermischung sign. Bei der individuellen Gestaltung der Jahresprojekte haben die Stuvon Kunst und Aktivismus initiiert wurde: 31 der Tauschboxen befinden dierenden sehr viel Freiheit. So setzte Serpi sich unter anderem mit sich hier, in der restlichen Westschweiz sind es noch einmal über 20. Tauschprojekten auseinander. In der Basler Markthalle stellte sie einen Romane, Küchenutensilien, Schmuck, CDs, ein Sprachbuch – alles Tauschladen auf die Beine mit der Idee, jeder könne etwas bringen und Mögliche kann aus den Boxen gefischt werden, wenn man zur richtigen etwas mitnehmen. Sie organisierte auch Gratisflohmärkte. Leider staZeit am richtigen Ort ist. Die Tauschmöglichkeit ist begehrt, sagt Jeanchen bei ihren Versuchen vor allem zwei Extreme heraus: «Manche Daniel Conus, der das Projekt mitleitet: «Manchmal kriegen wir Reklabrachten ganze Säcke mit gebrauchten Kleidern, nahmen aber nichts mationen, dass die Boxen meistens leer sind. Aus unserer Sicht ist das mit.» Andere hätten – berauscht davon, dass alles gratis war – massennicht schlecht, denn wir wollen Dynamik.» Diese Art des indirekten haft Dinge mitgenommen, ohne Rücksicht auf andere oder darauf, ob Tauschhandels wurde speziell für Wohnquartiere konzipiert. In erster Lisie die Sachen wirklich brauchten. «In diesem Sinne können solche nie solle der Austausch zwischen Nachbarn gefördert werden, der NachTauschprojekte den Überfluss sogar fördern», sagt Serpi. haltigkeitsanspruch sei eher zweitrangig, so der 45-Jährige. Einen DenkRückblickend ist sie der Meinung, dass solche Tauschaktionen nur anstoss gebe das Projekt aber schon: «Die Boxen relativieren den Begriff dann funktionieren, wenn man sich auch von Gegenständen trennt, die Müll, denn was für die einen Abfall ist, können andere gut brauchen.» man wertschätzt. Zudem würden viele mit dem Trend von Tauschboxen SURPRISE 365/15

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BILD: LUCIAN HUNZIKER

BILD: PHILIPP BÄR

Frische Ware für die RestEssBar: Seraina Fritzsche füllt den Kühlschrank.

Rahel Schütze und Simone Cueni tragen selbst gern «aufgehübschte» Röcke.

Wiedergeborene Stoffe oder Gratisflohmärkten mitgehen, «wenn es gerade passt», hätten aber Eine andere Art, alten oder kaputten Gegenständen neues Leben keine Lust, den eigenen Konsum einzuschränken: «Wenn wir Kleider einzuhauchen, haben Simone Cueni und Rahel Schütze für sich entweggeben – sei es zur Caritas, in Tauschboxen oder auch an Freunde – deckt. Die beiden Designerinnen nennen ihr Kleiderlabel «Aufgeneigen wir dazu, dies als gute Tat zu betrachten», meint Serpi. «Die eihübscht in Baselwest», und stellen aus Resttextilien patchwork-artige gentlich gute Tat aber, zu der wir uns viel schwerer aufraffen, wäre, selbst keine oder nur noch wenige neue Kleider zu kaufen.» Dies habe auch mit der mächSimone Cueni von Zweites Design: «Wir wollen alten, scheinbar tigen Werbelobby zu tun, ist sie überzeugt, wertlosen Materialien, die in jedem Haushalt herumliegen, ihren eidenn diese wolle uns ständig weismachen, wir gentlichen Wert zurückgeben.» müssten immer neue Kleider, Produkte und auch Möbel haben. Die Bilder in den Medien Kleider für Kinder und Frauen her. Seit gut einem Jahr führen sie einen würden ganz klare Vorstellungen erzeugen, wie man herumlaufen oder eigenen Laden, wo sie unter dem Namen «Zweites Design» Produkten die Wohnung gestalten solle – «wenn man aber auf Secondhand-Provon sich selbst und anderen sogenannten Upcycling-Labels eine Plattdukte setzt, muss man flexibler sein und sich auf das Angebot einlasform geben. sen», so die 23-Jährige. Sie verkaufen nicht nur Kleider, sondern alles Mögliche: Mit alten Effektiver als der Tauschhandel sei ihrer Meinung nach ein anderer Küchentüchern bezogene Serviertabletts, Ringe aus Silberbesteck oder Ansatz der Abfallvermeidung, nämlich kaputte Gegenstände nicht zu Ohrringe aus Legofiguren. Damit möchten sie eine klare Botschaft verersetzen, sondern zu flicken. Moderne Reparatur-Werkstätten mit einer mitteln, sagt Simone Cueni: «Wir wollen alten, scheinbar wertlosen Mabreiten Ausrüstung helfen, alle möglichen Dinge wieder funktionstüchterialien, die in jedem Haushalt herumliegen, ihren eigentlichen Wert tig zu machen. Auch dies soll der Wegwerf-Mentalität entgegenwirken. zurückgeben.» Ihr Geschäft fusse allerdings auf einem inneren WiderDenn die Reparatur kaputter Wasserkocher, Bügeleisen und Co. ist zwar spruch: «Einerseits wollen wir den uferlosen Konsum kritisch hinterfraoft möglich, der Kauf neuer Billigware aber günstiger und einfacher. Der gen, sind aber zum Überleben gleichzeitig darauf angewiesen, dass die Verein «Flick+Werk» in Solothurn gilt in der Schweiz als Pionier der Leute unsere Produkte kaufen.» Reparaturtreffpunkte, mittlerweile entstehen schweizweit ähnliche ProTrotzdem meint Cueni, Upcycling sei das Modell der Zukunft: «Labels jekte und Flick-Cafés. In der Basler Rep-Statt im Innern der Markthalle wie Freitag, das aus alten Lastwagenblachen Taschen herstellt, beweibeispielsweise kümmern sich ehrenamtliche Mitarbeiter um die Reparasen, dass Upcycling massentauglich sein kann.» Der Trick bestehe darin, tur von Elektro-, Holz, Metall-, Textil-, Leder-, oder Schmuck-Gegenaus Restmaterialien und «hoffnungslosen Fällen» begehrliche Produkte ständen. Kleinere Arbeiten werden vor Ort ausgeführt, kompliziertere herzustellen. Sie zeigt auf einen Mädchenrock, der aus einem alten OPFälle an eine sachkompetente Werkstatt weitergeleitet.

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BILD: LUCIAN HUNZIKER

Nach Gratisflohmarkt-Projekten beschäftigt sich Zara Serpi weiterhin mit Nachhaltigkeit: Mittlerweile macht sie Essen ein, das sonst im Müll landen würde.

Hemd genäht wurde. Gerade die Geschichten der Materialien würden die Kleider und Gegenstände beleben: «Anders als Klamotten, die direkt aus der Fabrik kommen, erzählen unsere Stoffe von ihrem ersten Leben.» Doch das Geschäft sei hart, Selbstgemachtes zu verkaufen sei immer schwierig. «Der ästhetische Anspruch muss fast noch höher sein», sagt die 37-Jährige. Ärmere Länder, etwa in Afrika, seien für sie eine grosse Inspirationsquelle, denn dort gehöre Upcycling zum Alltag. So gebe es etwa in Westafrika eine Tradition des Patchworks, wo zusammengenähte bunte Flicken zu neuen, schönen Stoffen werden. «Wir haben uns aber bewusst entschieden, keine Produkte aus fernen Ländern zu verkaufen, sondern regional zu bleiben», schliesslich müsse der Nachhaltigkeitsanspruch konsequent durchgezogen werden. Allgemein sei ihr Geschäft in punkto Nachhaltigkeit ein Tropfen auf den heissen Stein, meint Cueni. Wie Tauschbörsen-Initiatorin Serpi glaubt sie, dass die Leute gerne mitmachen, solange es um trendige Kleider oder Vintage-Objekte geht – «aber einfach weniger unnötige Dinge einzukaufen, daran scheitern die meisten». Nicht immer alltagstauglich Ist die breite Masse nicht bereit für den Wandel? Offenbar folgen zwar viele Leute hier und da dem Trend zum Tauschen, ändern jedoch ihr Konsumverhalten nicht grundsätzlich. «Klar wollen wir Nachhaltigkeit ohne Kompromiss», sagt Cueni, meint aber auch, dass dies nicht verwirklichbar sei. Denn: Die Auswahl an nachhaltigen Produkten ist beschränkt, und das widerspricht unserer Gewohnheit, uneingeschränkt auswählen zu können. Auch aus zeitlichen Gründen seien manche Nachhaltigkeitstrends nicht alltagstauglich: Sie erforderten Geduld und Hingabe. Wie das Upcycling, laut Cueni keine neue Idee: «In SURPRISE 365/15

älteren Generationen wurde alles wiederverwertet, da entstand etwa aus dem Hemd des Vaters noch eine Babyhose.» Diese Arbeit aber, wie auch das Flicken von kaputten Gegenständen, benötigt Zeit – und diese scheint heutzutage ein rares Gut zu sein. ■

Upcycling www.zweitesdesign.ch Verein ZweitesDesign, Allschwilerstrasse 36, 4055 Basel Essen teilen www.restessbar.ch RestEssBar, Obertor 27, 8400 Winterthur Weitere Standorte in Luzern, Frauenfeld, Kreuzlingen und Schaffhausen. Flicken anstatt wegwerfen www.rep-statt.ch Rep-Statt in der Markthalle, Steinentorberg 20, 4051 Basel www.flickundwerk.ch Verein flick+werk, Langfeldstrasse 28, 4528 Zuchwil Tauschen www.hclbox.org/de/boxes

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Asyl Ein abgeschlossener Fall Die Brüder Alikhan und Mustafa* aus Afghanistan wanderten nach ihrer Landung am Flughafen Zürich direkt ins Ausschaffungsgefängnis. Unsere Autorin hat sie damals begleitet. Das Protokoll einer gescheiterten Flucht.

VON HANNA GERIG

Es ist neun Uhr abends, Alikhan und Mustafa haben seit Mittag nichts mehr gegessen. Mit dem Zug würden sie heute höchstens noch Mailand erreichen, wo sie nachts alleine und mittellos ankämen. Möglichst ruhig versuche ich, den Polizisten diese Situation vor Augen zu führen. Dass die zwei Exhäftlinge mit ihren tiefen Augenringen und den schwarzen Haaren von den Zollbeamten ausserdem sofort aufgegriffen würden, sage ich nicht. Auch nicht, dass eine Ausreise ohne gültige Identitätspapiere ebenso illegal wäre wie alle weiteren Schritte, welche die beiden afghanischen Brüder von nun an in der Schweiz unternehmen werden. Er nimmt meine Personalien auf und sagt, dass ich mich strafbar mache, wenn ich noch einmal mit den beiden erwischt werde.

Mit bleichen Gesichtern stehen Alikhan und Mustafa unter der grossen Uhr am Zürcher Hauptbahnhof. Sie halten sich an ihren Rollkoffern fest und schauen suchend um sich. Neben ihnen steht das junge tamilische Paar, das sie nicht kennen, deren Handy sie aber ausleihen durften, um mich anzurufen. Alikhan und Mustafa hätten nicht gewusst wohin, wenn sie mich nicht erreicht hätten unter der Nummer, die ich ihnen vor Monaten im Ausschaffungsgefängnis zugesteckt hatte. «Hello Hanna! Ich bin’s, Mustafa!», hörte ich seine aufgeregte Stimme am Telefon auf Englisch sagen. Dann begriff ich: «Are you free? Seid ihr frei? Wo seid ihr?» Zwei Brüder in einer Zelle Als sie mich entdecken, strahlen sie, und ich sehe, wie die AnspanEs war März 2014, als ich die beiden zusammen mit einer Freundin nung der letzten Stunden wie ein schwerer Mantel von ihnen abfällt. von der Gefangenenbesuchsgruppe zum ersten Mal sah. Mit Socken in Mit leuchtenden Augen und einem Lachen, das sie kaum kontrollieren Plastikschlappen wurden sie in den Besucherraum heruntergeführt. Die können. Als hätten sie es verlernt. Alikhan und Mustafa erzählen, sie grünen Gittertüren wurden hinter ihnen verschlossen, dann waren wir seien erst gerade am Nachmittag freigelassen worden. mit ihnen allein. Die Brüder tragen geschlossene Halbschuhe und lange Hosen, obDass die beiden Brüder sind, sieht man ihnen nicht an. Mustafa, deswohl es schwül ist und heiss. Ihre fast durchsichtige Haut glänzt, und sen Jahrgang in den Akten manchmal mit 1990, manchmal mit 1994 andie tiefen Augenringe haben sie wie eine letzte Markierung aus dem Gefängnis in den Sommer hinausgetragen. «Papiere bitte!» Ein blonder Mann in modiIm Transitbereich des Zürcher Flughafens war die Reise zu Ende. Sie schem T-Shirt hat sich direkt vor Alikhan und Mustafa aufgebaut und hält ihnen seinen Polistellten ein Asylgesuch für die Schweiz, weil ihnen nichts anderes zeiausweis entgegen. übrig blieb. «Die beiden sind gerade erst aus dem Ausschaffungsgefängnis in Kloten entlassen worden», sage ich, und Mustafa kramt das vierfach gefaltete Papier hervor. gegeben ist, hat ein rundes Gesicht, so wie alles an ihm weich und rund Der Zivilpolizist überfliegt das Dokument, in dem steht, dass die Afscheint. Er sagte, in Afghanistan habe er noch Muskeln gehabt und dieghanen das Land «unverzüglich» verlassen müssen. «Sie sind gerade se auch trainiert. Freundlich schaute er uns mit dunklen Augen an. erst von Kloten hierhergefahren», sage ich noch einmal, und der Polizist Alikhan ist knochig und dünn. Seine hohen Wangenknochen geben lässt uns schliesslich widerwillig gehen. seinem feinen schönen Gesicht eine markante Form, lange Wimpern Als wir aus der grossen Halle des Hauptbahnhofes treten, versperren zieren die blaugrünen Augen. Der Junge hatte das Gefühl, um Jahre geuns noch einmal drei Polizisten den Weg. «Es steht, sie sollen das Land altert zu sein, seit er gefangen war, und tatsächlich schien ein grauer unverzüglich verlassen. Hier ist der Bahnhof. Worauf warten sie?» Schleier, der wie ein Schatten auf ihm lag, seine Haut zu umhüllen.

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Ausschnitt aus der Asylbefragung Alikhans durch das Bundesamt für Migration (BFM) am 8.11.13:

Afghanistan im Kopf «Ich bin kein Krimineller», sagte Alikhan, der Jüngere, und meinte seinen Bruder Mustafa mit. Ich habe diesen Satz auf Englisch, auf Französisch, auf Schweizerdeutsch schon oft gehört, seit ich in diesem Besucherraum den Gefangenen zuhöre, und manchmal kommt es mir fast so vor, als würde alleine mein nachdrückliches, bestätigendes Kopfschütteln, während sie dies sagen, meinen Besuch nötig machen. Ich gehöre zu einer unabhängigen Gruppe von Freiwilligen, die auf Wunsch Gefangene in Ausschaffungshaft besucht. Jede erste Begegnung beginnen wir mit einer kurzen Vorstellung, erklären, dass wir keine juristische Hilfe leisten können, sondern nur da sind für Gespräche. Für Alikhan und Mustafa wäre diese Einführung nicht nötig gewesen. Wie Hungrige nahmen sie unsere bedingungslose Aufmerksamkeit an und erzählten schon beim ersten Besuch so viel, wie sie in die kurze Stunde hineinpacken konnten. Es war vor allem Mustafa, der sprach. Dabei musste er sich oft, da ihm englische Wörter fehlten, in seiner Sprache Dari an Alikhan wenden, der ruhig daneben sass und seinem grossen Bruder zuhörte. Alikhan kannte das gefragte englische Wort immer, nannte es, dann sprach Mustafa weiter. Bombs, killing, Taliban, explosion und dead bodies: Er und sein kleiner Bruder sassen nun zwar nur eine halbe Stunde von einer idyllischen Seepromenade entfernt in einem der wohlhabendsten und sichersten Länder der Welt. Doch die Bilder, die sie in sich trugen, waren die Bilder Afghanistans.

Es ist Mitternacht geworden. Ihr erster Abend in Freiheit. Die Brüder aus dem Flughafengefängnis sitzen in meinem Arbeitszimmer auf zwei Luftmatratzen, räumen ihre Koffer aus und sprühen Parfüm in die Luft, weil sie finden, dass die Kleider nach Gefängnis riechen. Sorgfältig und langsam faltet Alikhan seine Kleider neu und sortiert sie auf zwei Häufchen. Sie sind überzeugt, die Aufmerksamkeit der Polizei am Hauptbahnhof durch ihre Rollkoffer auf sich gezogen zu haben, und so wollen sie von nun an nur noch mit kleinen Rucksäcken unterwegs sein. Fast alle ihre Kleider überlassen sie meinem Kleidersack. Kaum habe ich den zwei jungen Afghanen meinen Computer angeboten, machen sie sich im Internet auf die Suche nach einem Stück Heimat. Sie zeigen mir Amateurvideos aus Afghanistan. Jedes YoutubeFilmchen ist für sie ein Beweis für ihre Existenz. Froh klicken sie sich von Film zu Film und bekräftigen immer wieder, dass es genau so aussehe. Ich sehe vor allem Autos explodieren, Militär überall, Schiessereien, Bilder der Trostlosigkeit. Während diese Bilder für mich das fast Feierliche des Abends gefährden und brutal in das vorübergehende Geborgenheitsgefühl eingreifen, scheinen die Filme und Geräusche für Alikhan und Mustafa etwas Vertrautes auszustrahlen, das ihnen gut tut. Aus meinem Arbeitszimmer dringt noch bis spät in die Nacht afghanische Musik. Einem Beamten des Migrationsamtes hatte Mustafa in einer Befragung einmal gesagt:

Ausschnitt aus der Asylbefragung Alikhans durch das BFM am 8.11.13:

Ausschnitt aus der Asylbefragung Alikhans durch das BFM am 8.11.13:

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Ausschnitt aus der Asylbefragung Mustafas durch das BFM am 8.11.13:

In Shahrak Omide Sabz, einem Stadtteil Kabuls, hatten Alikhan und Mustafa am Strassenrand ihren Handkarren aufgestellt, um darauf Gemüse zu verkaufen. Mit dem Geld, das sie so einnahmen, wollten sie ihrer Mutter, die an starken Rückenschmerzen litt, eine medizinische Behandlung ermöglichen. Das Gemüse verkaufte sich schlecht; besser lief der Alkohol, den Alikhan und Mustafa unter der Tischdecke versteckt hatten. «Gibt es zwingende Gründe, die gegen eine Rückführung in Ihr Heimatland sprechen?», fragte ein Vertreter der Kantonspolizei Mustafa bei einer rechtlichen Einvernahme, nachdem das Asylgesuch schon entschieden war. Mustafa spricht schnell und bestimmt, fast als wäre das Sprechen ein ständiger Kampf gegen das Nicht-Gehört-werden. So klang es wahrscheinlich auch, als er folgende Antwort gab, die man dem Protokoll entnehmen kann:

Mit falschen koreanischen Reisepässen flogen Alikhan und Mustafa Auf Mustafas Antwort wurde nicht mehr eingegangen. Man teilte am 30. Oktober 2013 von Frankfurt via Stockholm in die Schweiz. Im ihm daraufhin bloss mit, dass eine Rückkehr nach Afghanistan gemäss Transit des Zürcher Flughafens war ihre Reise zu Ende. Der gleichentags Migrationsamt möglich sei. geplante Weiterflug nach Kanada wurde ihnen verweigert, die koreaniDie Geschichte ihres illegalen Alkoholverkaufes hatten weder Alischen «Totalfälschungen» wurden ihnen abgenommen. Sie stellten im khan noch Mustafa in den ausschlaggebenden Asylbefragungen erzählt. Transitbereich des Flughafens ein Asylgesuch für die Schweiz. Es blieb Erst nach der Eröffnung des Negativentscheides erscheint die Geschichihnen nichts anderes übrig. te des illegalen Alkoholverkaufes in den Protokollen. Warum sie diese Das Asylgesuch der beiden falschen Koreaner wurde 20 Tage nach ihGeschichte nicht früher erzählten, weiss ich nicht. rer Ankunft am Zürcher Flughafen abgelehnt. Das Migrationsamt hielt fest, dass die beiden Brüder keine Verfolgung oder Bedrohung ihres LeKeine Beweise bens glaubhaft machen konnten. Es schrieb, dass erhebliche Zweifel an Alikhan und Mustafa müssen während der ganzen Zeit ihres Verihrer Identität bestehen. Nur ihre Mutter, ihre kleine Schwester und ihr fahrens an dem Gefühl gelitten haben, nicht gehört und nicht verstanOnkel mit seiner Familie scheinen im Leben der beiden präsent gewesen den zu werden. So kam es, dass sie ihre Hoffnung auf Gehör und Glauzu sein. Von anderen Verwandten wussten sie nichts. Dazu schreibt das ben schliesslich ohnehin zu spät in ein unspektakuläres Zeitungsbild Bundesamt für Migration: «Über ihre Angehörigen machen Sie nur dürfsetzten. Wir hatten uns kaum an den speckigen Holztisch im Besutige Angaben. […] Es ist jedoch notorisch, dass der Familienzusamcherraum gesetzt, als Alikhan ein aus einem Magazin gerissenes Foto menhalt in Afghanistan sehr stark ist. So ist völlig unglaubhaft, dass Sie nicht über ihre An«Ich bin kein Krimineller», sagte Alikhan. Ich habe diesen Satz schon gehörigen berichten können.» Ausserdem stellt das BFM fest, dass Alikhan, der sein Geburtsoft gehört, seit ich in diesem Besucherraum den Gefangenen zuhöre. datum nie gekannt hat, widersprüchliche Angaben zu seinem Alter gemacht habe. Und schliesslich seien die Berichte über ihren Reiseweg unglaubhaft. Und unter seinem Pullover hervorzog. Wie einen kleinen wertvollen Schatz «Nachteile, welche auf die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen zeigte er mir das Bild, auf welchem eine Strassenszene in einer afghaund sozialen Lebensbedingungen in einem Staat zurückzuführen sind, nischen Kleinstadt zu sehen war. Die staubige Strasse war breit, stellen keine asylbeachtliche Verfolgung dar.» hellgraue Häuser im Hintergrund erkennbar. Vorne sah man ein paar Alikhan und Mustafa sassen acht Monate hinter Gittern, weil «konKinder, am Strassenrand stand ein kleiner Tisch, auf dem ein paar krete Anzeichen» befürchten liessen, dass sie die Schweiz «nicht selbFrüchte lagen. Alikhan zeigte auf den Tisch und sagte begeistert: «Geständig verlassen und sich der beabsichtigten Ausschaffung durch nauso sah unser Gemüsestand aus! Nimm das Foto und gib es dem Untertauchen zu entziehen versuchen» würden, wie die Kantonspolizei Anwalt.» Auch Mustafa bittet mit Nachdruck darum, ich solle das Foto schrieb. dem Anwalt und dem Migrationsamt zeigen. Sie sahen in diesem Foto nichts weniger als neues brisantes BeweisAngst vor der Steinigung material. Endlich konnten sie belegen, dass es so war, wie sie erzählAls ich Alikhan und Mustafa kennenlernte, waren sie beherrscht von ten. Ich sagte ihnen, dass sie das Foto behalten sollten, denn ich würder Gefahr einer möglichen Rückschaffung. Vor allem Mustafa wiederde zuhause etwas Vergleichbares im Internet finden. holte bei jedem Wiedersehen: «Sie werden uns umbringen!», und hielt Den Anwalt habe ich wegen des Fotos nie kontaktiert. Es wäre bei sich die flache Hand an den Hals. Eine Rückkehr nach Afghanistan wäeinem Rekurs gegen den Negativentscheid als Beweisstück nichts wert re ihr Tod, waren beide überzeugt. gewesen.

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Während andere Asylsuchende zwei Jahre lang warten müssen, bis sie überhaupt erfahren, ob sie bleiben dürfen oder nicht, waren die beiden Afghanen, kaum angekommen, schon abgewiesen. Ihr monatelanges Warten in der Zelle drehte sich um eine andere Frage: Kann man sie zurückfliegen oder nicht? Die Entscheidung fiel in Genf auf der afghanischen Botschaft. Alikhan und Mustafa wurden durchs ganze Schweizer Mittelland gefahren. Von der Landschaft konnten sie dabei, wie auch schon auf ihrer Flucht, nichts sehen. Sie sassen mit Handschellen gefesselt hinter Milchglasfenstern in einem Käfig im hinteren Teil eines Kleinbusses. Das Migrationsamt war darauf angewiesen, dass der afghanische Botschafter den jungen Männern Identitätspapiere ausstellte, um sie nach Kabul fliegen zu können. Doch dieser machte den Schweizer Migrationsbehörden einen Strich durch die Rechnung. Als Erstes forderte er die Polizisten auf, den beiden Afghanen sofort ihre Handschellen abzunehmen. Ansonsten würde er überhaupt kein Gespräch mit ihnen führen. In seinem Botschafterzimmer bat er die beiden, sich zu setzen. Entscheidung im Botschafterzimmer Ob sie zurück nach Afghanistan wollten, fragte er die beiden. Nein, war deren klare Antwort. Und so klar war der Fall dann auch für den Botschafter. Er teilte den Schweizer Behörden mit, er werde den Brüdern keine Identitätspapiere ausstellen. Ab sofort war es nur noch eine Frage der Zeit, bis man Alikhan und Mustafa aus dem Gefängnis entlassen würde. Eine Ausschaffung nach Kabul war nicht mehr möglich. Im Durchgangszentrum in einer Gemeinde ausserhalb von Zürich können Alikhan und Mustafa dreimal pro Woche gegen Unterschrift je 20 Franken abholen. Das Nothilfegeld. Die Containersiedlung, wo sie unterkommen, steht zwischen dem Fluss und den Bahngleisen am Rande der Ortschaft. Ab und zu fährt hier frühmorgens ein Polizeiauto in den Hof des Zentrums und niemand weiss, welchen Mann, welche Frau oder welche Familie sie dieses Mal mitnehmen werden. Ob ich den Leiter des Zentrums nach einem Papier fragen könne, das sie bei einer allfälligen Personenkontrolle schützen würde, bitten sie mich mehrmals. Doch ein Blatt mit der Adresse des Durchgangszentrums ist das Einzige, was die beiden erhalten. Zwei Wochen nach ihrer Freilassung ruft Alikhan mich an: Sein Bruder ist nicht aus der Stadt zurückgekommen. Er weiss nicht, wo er ist und wo er suchen soll. Mustafa sei nach Zürich in den Gratis-Deutschkurs der Autonomen Schule gefahren. Da sie sich das Monatsabonnement für Zug und Tram teilen, kann immer nur einer von beiden gehen. Alikhan sagt, dass er in der letzten Nacht vor Sorgen nicht geschlafen habe. Ich verspreche, mich darum zu kümmern, und rufe den Anwalt an, der seinerseits beim Bundesamt für Migration nachfragen will. Zwei Tage später ist Mustafa aber wieder da.

Zwei Wochen später sind die Brüder verschwunden. Ihr Namensschild an der Türe sei mit anderen Namen ersetzt worden, Anrufe endeten auf der Combox, erzählt mir meine Kollegin aus der Gefangenenbesuchsgruppe. Der Zentrumsleiter weiss nichts über ihren Verbleib, die Frau vom Sozialamt darf nichts sagen. Doch dann gibt sie doch Auskunft: «Es lohnt sich nicht, weiter nachzuforschen. Sie gelten als untergetaucht. Der Fall ist für die Schweiz abgeschlossen.» Der Winter vergeht ohne Lebenszeichen. Alikhan meldet sich am 6. April 2015 per Skype bei afghanischen Bekannten. Nachdem die Brüder den Winter auf den Strassen von Paris und Calais verbracht haben, sind sie nun in England. An die Unterseite eines Lastwagens geklammert fuhren Alikhan und Mustafa unter dem Ärmelkanal durch. Da Alikhan als Minderjähriger in einer anderen Stadt untergebracht wurde als sein Bruder, trennten sich ihre Wege. Übers Handy behielten die Brüder vorerst Kontakt. Ihre erneuten Asylgesuche in England wurden bald abgelehnt, weil sie ihre Fingerabdrücke in der Schweiz hinterlassen haben. Mustafas Spur verlor sich jedoch, als er eines Tages nicht mehr vom Polizeiposten zurückkehrte, wo er sich alle zwei Wochen melden musste. Auch Alikhan sass fünf Tage in einem Deportationszentrum. Jetzt arbeitet er zehn Stunden am Tag bei einem Pizza-Lieferdienst in Manchester und verdient dabei zwanzig Pfund. Er schläft in einem Zimmer über dem Laden, eine sechsspurige Autostrasse vor dem Fenster. Alikhan sagt: «Ich bin sehr müde.» ■ *Die Namen der Geflüchteten sind geändert. Hanna Gerig ist freie Autorin und macht als Freiwillige Gefangenenbesuche im Ausschaffungsgefängnis Zürich. Sie ist seit fünf Jahren im Solinetz Zürich aktiv, das sich mit verschiedenen Projekten für Flüchtlinge und Sans-Papiers einsetzt. Die Originalausschnitte aus verschiedenen Anhörungen im Asylverfahren von Alikhan und Mustafa stellten die beiden Brüder der Autorin zur Verfügung.

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Nur noch am Fluss sitzen Zum Glück sei sein kleiner Bruder nicht dabei gewesen, nicht kontrolliert, nicht verhaftet und nicht in die Kaserne gebracht worden. Es sei da viel schlimmer als im Flughafengefängnis. Man höre Leute laut weinen und schreien und sehe sehr viele verzweifelte Menschen. Ihn hätten die Beamten aber gut behandelt. Sie hätten ihm, Mustafa, gesagt, dass sie wissen, dass er kein Krimineller sei, er habe für die DNA seine Spucke geben müssen und sie hätten ihm dann alles Gute gewünscht. Die Verhaftung hat Mustafa verängstigt. Von nun geht nur noch der kleine Bruder in die Stadt zum Deutschkurs. Mustafa bleibt fast immer im Zentrum. Manchmal kann er auch in Adliswil nicht einschlafen. Dann sitzt er mit einem weissen Plastikstuhl an die Böschung der Sihl und schaut zu, wie das flache Wasser über die Steine hinab fliesst. Alikhan schläft tief. Er ist froh, nicht mehr bis vier Uhr morgens in einer Gefängniszelle auf und ab gehen zu müssen. SURPRISE 365/15

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Thomas Iberg 체bt in der Berner Kirchgemeinde Johannes regelm채ssig Klavier spielen.

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Verkäufergeschichte Auf Geburtstagstour Thomas Iberg verkauft Surprise vor der Berner Breitenrain-Migros. Er will in seinem Leben irgendwann einmal Vorlesungen an der Uni halten, reich werden und ein berühmter Organist. Am 7. November ist er 63 geworden. Ein Geburtstagsspaziergang. VON DIANA FREI (TEXT) UND KARIN SCHEIDEGGER (BILD)

hinein, hier kennt er das Putzpersonal, die Frau von der Kinderhüeti, er sagt zu ihr: «Ich komme morgen wieder und übe, heute feiern wir Geburtstag am Klavier.» Und er kennt auch den Pfarrer Liechti, der heute nicht da ist, der ihm aber auch noch eine Tafel Schokolade versprochen hat, nur hat er ihn seither nicht mehr gesehen. Iberg steuert auf den Selecta-Automaten zu, drückt den Knopf für das Restgeld, greift in das leere Fach und geht dann zielstrebig hinüber ins Säli, wo in der Mitte des Raums das Klavier steht: «Ich spiele dir ein Stück, ich weiss nie, wie es heisst. Jemand hat es kürzlich in der Prairie gespielt, vierhändig. Weisst du, wo die Prairie ist?» Die Prairie ist ein Begegnungsort, wo Iberg oft ist, genauso wie im Gemeindehaus, wo er nach dem Gang zur Toilette mit zwei Mandarinen in der Hand zurückkommt, die ihm draussen im Flur jemand geschenkt hat. Er spielt das vierhändige Stück aus der Prairie, einen Boogie Woogie, S’Träumli, «das kann ich auch auf der Handorgel, aber nur mit Noten, das muss ich erst

Am 7. November hatte Thomas Iberg Geburtstag, aber wer nun meint, der Festtag habe an jenem Samstag am Morgen begonnen und sei in der Nacht wieder zu Ende gegangen, hat sich getäuscht. Es ist ein Donnerstagnachmittag Mitte November, und Thomas Iberg feiert immer noch, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Er steht im Vorgarten des Surprise-Büros am Pappelweg und spricht zum Fenster herein – wie es für viele so üblich ist, weil das einfacher ist, als sich die Mühe zu machen, zur Tür hereinzukommen. Bei Iberg ist es vielleicht etwas zwingender, weil er manchmal steckenbleibt in der Unentschiedenheit der Richtung, wo es langgehen könnte. So steht er bei 12 Grad Celsius also draussen im Pullover und erklärt zum Fenster herein: «Ich mache immer Geburtstagsmonat und ich fange immer ein bisschen früher damit an. Und ich sage es allen, damit ich mehr Geschenke bekomme», und nach einer Pause: «Ich bin doch Skorpion. Die Leute denken doch daran, dass «Ich habe immer bei Leuten nachgefragt, wenn ich nicht weiterkam. So ich Skorpion bin. Heute ist jemand gekommen, mache ich es jetzt mit der Wirtschaft auch, weil ich Professor werden will.» um mit mir Geburtstag zu feiern.» Es ist die Autorin dieses Textes, und zusammen wollen üben», einen Ländler, «der ist schwieriger auf der Handorgel», er spielt wir einen Geburtstagsspaziergang durch das Berner Breitenrain-Quaralles aus dem Stegreif, Für Elise in der langen Version, heute natürlich tier machen. Er will auf dem Klavier im Gemeindehaus Johannes etwas noch Happy Birthday, und er ist vielleicht nicht perfekt in Übung, aber vorspielen, wo ihn der Pfarrer praktisch immer üben lässt, wenn der man sieht und hört: Thomas Iberg kann Klavier spielen. «Für Elise hat Klaviersaal frei ist. zwischendurch noch Kreuz und B, aber es klang jetzt nicht so falsch. Vom Surprise-Büro aus gehen wir als Erstes zur Brockenstube hinüAber vielleicht sollte ich mehr nach Noten spielen. Das sollte ich nicht ber, wo Thomas Iberg die Container mit den ausrangierten Lampenfasvernachlässigen.» Als er Kind war, hat man immer mal wieder jemansungen und zerschlissenen Decken und einem Stapel Ordner durchden kommen lassen, der ihm auf dem Klavier ein paar Dinge gezeigt sieht. Er nimmt die Ordner zu Hand, aber nein, die kann auch er nicht hat. Vieles hat er sich selbst beigebracht. «Ich habe mich immer gefreut, mehr brauchen. «Gehen wir dann noch in die Migros und kaufen ein dass ich so viel Talent habe. Und ich habe immer wieder bei Leuten Znüni?» Er will zunehmen, er habe abgenommen in den letzten Jahren. nachgefragt, wenn ich nicht weiterkam. So mache ich es jetzt mit der Er wolle wieder Kraft bekommen. Er ist durchschnittlich gross und gar Wirtschaft auch, weil ich Professor werden will.» Aber zuerst will er nicht fest, aber er wolle «e Chaschte wärde, e chlii dicker wärde»: «Ich noch eine Platte aufnehmen, als Organist berühmt werden. will Schwinger werden. Das war ich früher auch, aber damit verdient man ja nichts. Und ich hatte Angst, mir wehzutun, da habe ich wieder «Wir kommen dann ins Paradies» aufgehört.» Danach hat er Kraftübungen gemacht, er hat alles aufgehoThomas Iberg schiessen die Tränen in die Augen. Es ist ein Moment, ben, jeden schweren Steinbrocken, jede Steinplatte. Aber auch da muss wie er ihn oft hat. Ein Moment, in dem sich scheinbar ohne äusseren man aufpassen, dass sie nicht zerbrechen und einem auf die Füsse falAnlass etwas Trauriges vor seine Sicht zu schieben scheint, vor all die len. Früher hat er auch gesteppt, aber heute macht er lieber etwas mit Pläne und Vorhaben vielleicht, die er den ganzen Tag verfolgt. Vielleicht dem Kopf, «das ist auch wichtig», er will Wirtschaft und Theologie stuist es das Gefühl, dass alles doch nicht ganz so einfach ist. Vielleicht ist dieren, aber da müsse er besser rechnen lernen. es der Zweifel, ob das wirklich etwas wird mit dem Wirtschaftsprofessor, mit der Klavier-CD, mit der Körperkraft. Vielleicht ist es auch das S’Träumli aus dem Stegreif Gefühl, dass das Gegenüber daran zweifelt. «Schenkst du mir etwas? Wollen wir Freunde sein?» Vielleicht merkt Er will gehen, weiter zur Migros, aber Thomas Iberg bleibt kurz steIberg selbst, dass er manchmal etwas ungestüm ist in seinen Forderuncken im Moment. Gang zum Schrank, Gang zur Tür, Gang zum Klavier gen und Selbstversicherungen über seine menschlichen Beziehungen. zurück, vor, zurück. Vielleicht ist sein Gefühl dafür etwas verrutscht, aber ganz abhandenDie Wirtschaftsvorlesung will er ja noch halten. Der Einfachheit halgekommen ist es ihm nicht. «Oder hast du schon einen?», fragt er jetzt ber gleich vor dem Gemeindehaus, obwohl er sie normalerweise bei der nach, und dann sagt er: «Jetzt habe ich leider noch keinen Hunger, aber kleinen Gartenmauer vor seinem Haus hält oder bei den Wägeli beim wir kaufen dann einen Schokodrink und ein Gipfeli in der Migros. Und Coop, damit vielleicht der eine oder andere zuhören kann. Es geht um zwei Tafeln Schoggi für den Nachmittag.» Aber zuerst gehen wir weiter Arbeitslosigkeit, um Arbeitsplätze, Banken, das Bankgeheimnis. Darum, zum Gemeindehaus Johannes. Zielsicher geht Thomas Iberg zur Tür SURPRISE 365/15

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weshalb es in der Schweiz auf den Banken solche Probleme gebe, darum, dass die Banken in der Schweiz zwar noch gut dran seien, aber dass es auch schon Zwischenfälle gegeben habe. Darum, weshalb es im Ausland mehr Zins gebe, um Defizite im Allgemeinen. Iberg will an der Uni Vorlesungen halten, und Wirtschaft muss es sein, weil die sich damit beschäftigt, Ordnung zu machen auf der Welt. Oder Theologie, das ginge auch, meint Iberg und sagt: «Gäll, die Theologie geht von der Bibel aus? Darüber weiss ich auch was. Es wird mal eine neue Welt geben, und wir kommen dann ins Paradies.» Wir gehen weiter, die Breitenrain-Strasse hinauf bis zur Migros, wo Thomas Iberg jeweils Surprise verkauft. Unterwegs zieht es ihn wie automatisch zu jedem Billettautomaten von Bernmobil, zu jeder Parkuhr, er drückt den Knopf für das Restgeld, greift ins leere Fach. Hinter der Migros bleibt Iberg auf dem Parkplatz stehen. «Schön, dass wir nun so etwas wie Freunde sind», sagt er, wir kennen uns seit 45 Minuten. Ob er viele Freunde habe, will ich wissen. «Ich suche immer Freunde, die mit mir in den Ausgang gehen», sagt er, und ab und zu finde er jemanden in Münsingen, dort sei das einfacher als hier. In Münsingen, wo das Psychiatriezentrum steht. Die Parkuhr. Er drückt den Knopf. Partyhäppchen am Bistrotisch Jetzt müssen wir aber wirklich Schokolade kaufen, ein oder zwei Tafeln. In der Migros spricht Iberg eine Frau mit Einkaufskorb an, er kennt sie, weil sie bei ihm regelmässig Surprise kauft, und er erklärt ihr das Konzept mit seinem Geburtstagsmonat. Sie muss lachen und gratuliert. Wir kaufen das Gipfeli und den Schokodrink, und die Schokolade natürlich, zweimal Truffes Noir und zweimal Truffes Lait, jetzt sind es halt doch vier Tafeln. Wir essen Znüni im Stehen neben dem Packtisch, der Abfallcontainer dient als Bistrotischchen, und Thomas Iberg bedient

sich am Stand gleich daneben, wo eine Dame zu Werbezwecken Häppchen anbietet. Auf den Platten liegt eine aufgeschnittene Steinofenbaguette mit Gruyère und Tomaten. Iberg nimmt sich ein Brötchen. Ein zweites. Ein drittes. Die Dame am Stand sagt nichts, auch wenn sie wahrscheinlich nicht weiss, dass Iberg heute ein Recht auf Partyhäppchen hat und schliesslich «e Chaschte» werden will. Er nimmt sich ein viertes und fragt «Willst du keins?» Aber zum Geburtstag vier Tafeln Schokolade einfordern und einen halben Werbestand abräumen, das darf nur ein Thomas Iberg. Der Schokodrink ist getrunken, die Brösmeli auf dem Abfallcontainer mit der Fingerspitze aufgestippt, er schiebt den Container herum, er schaut dahinter, er macht einen Schritt nach vorn, nach hinten. Dann nimmt er seinen Plastiksack und wir gehen hinaus, Iberg rennt kurz über die Strasse, die Elisabethenstrasse hinunter, und kommt nach einer Weile zurück. Es kann weitergehen. Billettautomat. Parkuhr. Weiter, hinunter zu seinem Wohnhaus. Er hat dort ein Zimmer im begleiteten Wohnen, es wird für ihn geputzt, er hat Vollpension, ausser am Samstag und Sonntag. Deshalb wird er später noch Milch kaufen müssen, Milch muss genügend da sein übers Wochenende. Es kommen ihm wieder die Tränen: Ob ich ihn bald wieder besuche zum Geburtstag, will er wissen, nächste Woche. Dann könnten wir vielleicht wieder in die Migros gehen und ein Gipfeli und Schokolade kaufen und einen Schokodrink. Abgemacht. Und zwar nicht, um ihm einen Gefallen zu tun, sondern weil so ein Geburtstagsspaziergang etwas Befreiendes hat. Durch die Strassen von Bern ziehen, Partyhäppchen abräumen, aller Welt von seinem Festtag erzählen und sich damit im Kleinen ganz selbstverständlich über gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzen: Geburtstag mit Thomas Iberg, das ist auch ein bisschen Geburtstag für einen selbst. ■

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BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Rasisten Die Grünen haben die letzten Wahlen verloren. Nichtsdestotrotz ist es etwas Grünes, das die Mentalität in diesem Land prägt: der Rasen. Je mehr Land verbaut wird, desto mehr Rasenfläche entsteht. Der ungebrochene Traum vom Eigenheim ist immer auch ein Traum vom eigenen Rasen. Der Rasen repräsentiert die gezähmte Natur. Da blüht nichts, da pflanzt sich nichts fort, da wächst es nur dank Dünger. Rasen ist laut Definition eine «artenarme, homogene Grasfläche mit intensiver Pflege aber ohne landwirtschaftliche Nutzung». Seinen Ursprung hat er in der italienischen Malerei. Es waren die Bilder pastoraler Landschaften mit heckengesäumten grünen Wiesen, die sich vor allem beim englischen Adel grosser Beliebtheit erfreuten. Weil solche Landschaften nicht existierten, gestalteten die SURPRISE 365/15

reichen Engländer ihre Grundstücke so, dass sie den Gemälden entsprachen. Der Rasen erfüllte einen repräsentativen Zweck. Mit ihm zeigten die Adligen, dass sie mehr Land besassen, als sie zur Bewirtschaftung brauchten. Von England gelangte der Rasen in die USA, wo er zusammen mit der Mittelklasse einen unvergleichlichen Aufstieg erlebte. In vielen Gemeinden gibt es Vorschriften, die bestimmen, wie ein Rasen auszusehen hat, über die Einhaltung der Vorschriften wacht die Rasenpolizei. Über Amerika fand der Rasen seinen Weg in unsere Gärten. Auch hier wurde er rasch beliebt, denn wer sich einen Rasen zulegt, wird mit zwei mentalitätsprägenden Dingen versorgt: Arbeit und Angst. Ein Rasen will geschnitten, gepflegt und gewässert sein. Zudem ist er ständig bedroht von Eindringlingen, die sich zwischen den gleichförmigen Gräsern einzunisten suchen. Wer nicht aufpasst und das Übel nicht bei der Wurzel packt, wird bald einen verlorenen Kampf führen und statt eines Rasens eine Wiese vorfinden. Der Feind des Rasens ist der unkontrollierte Wildwuchs, die Natur an sich. Das Einfamilienhaus ist der Hort der Individualität, der Platz, wo man tun und lassen kann, was man will, im Garten jedoch wollen alle dasselbe: einen schönen, gepflegten Rasen. Hier herrscht absolute Konformität. Wer samstags nicht Rasen mäht, macht sich verdächtig.

Der Rasen prägt das Denken und die Weltsicht. Wahrscheinlich könnte man eine Karte mit dem Anteil konservativer Wähler über eine mit dem Anteil an Rasenflächen legen und würde weitgehende Übereinstimmung feststellen, nicht nur in der Schweiz. In Südfrankreich, wo ich seit Jahrzehnten meine Ferien verbringe, haben sich der Rasen und der Front National im Gleichschritt ausgebreitet. In jener Gegend ist der Rasen umso absurder, weil klimatisch vollkommen ungeeignet und ökologisch angesichts der Wasserknappheit ein Wahnsinn. Je mehr Arbeit in den Rasen investiert wird, umso perfekter und damit heikler er wird, desto weniger darf man darauf tun, ohne dass er Schaden nimmt. Die Kinder, die darauf herumtollen wollen, müssen ständig ermahnt werden. Rasen und Besitzer sehnen sich nach einer Welt, in der es nicht zu heiss und nicht zu kalt ist, nicht zu trocken und nicht zu feucht. Eine Welt, in die niemand eindringt und das satte Grün bedroht. Wo ein Rasen ist, ist auch betreten verboten.

STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT (SAVVE@VTXMAIL.CH)

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Musik Russischer Klang der inneren Welt In einem Moskauer Café hörte der englische Musiker Stephen Coates magische Klänge, die ihn nicht mehr loslassen wollten: Es war die Musik von Mikael Tariverdiev. Nun erscheint sie zum ersten Mal im Westen.

Die Musik, die Stephen Coates seit fünfzehn Jahren mit seiner Band The Real Tuesday Weld macht, passt nicht ins Bild einer typisch britischen Gitarrenband: Deutlich zu spüren ist der Einfluss von französischen Chansons, von Charleston-Rhythmen und von Berlin, wie es im Cinema-Evergreen «Cabaret» mit Liza Minelli gezeigt wird. Für Russland habe er sich nie speziell interessiert, sagt Coates, aber den Russen gefiel seine Musik so gut, dass The Real Tuesday Weld plötzlich zweimal im Jahr für eine Tournee nach Moskau flogen. Während einer dieser Aufenthalte geschah es. Coates sass in einem Moskauer Café, draussen sanken die Schneeflocken dick und langsam zu Boden. Auf einmal habe er nicht mehr dem zugehört, was sein Gegenüber sagte, sondern nur noch dem, was aus den Lautsprechern drang. «Ich bin Musiker, ich bin jeden Tag von Musik umgeben», erklärt Coates. «Mit den Jahren ist es mir unmöglich geworden, Musik zu hören und sie nicht gleich zu analysieren.» In diesem Moment im Café in Moskau habe er das alles vergessen: «Die Musik verzauberte mich. Ich hörte sie, wie ich als Bub Musik hörte und mich von ihr in eine ferne Welt tragen liess.» Coates erkundigte sich, was das für Musik sei. «Altes Zeugs halt», brummte die Dame hinter dem Tresen, klaubte die CD aus dem Player und schenkte sie dem Gast. Es handelte sich um den Soundtrack von einem russischen Film aus dem Jahr 1962, «Goodbye, Boys», komponiert von Mikael Tariverdiev. Zurück in London hörte Coates ein paar Monate lang nichts anderes mehr. Im Internet entdeckte er eine russische Website, die dem Komponisten gewidmet war. Er erkundigte sich per E-Mail, wo er noch andere CDs finden könne. Vera Tariverdieva, die Witwe des Meisters, schrieb nicht nur zurück, sie schickte ihm auch gleich ein ganzes Paket Musik. Mikael Tariverdiev wurde 1931 in Tiflis geboren. In Moskau studierte er Musik – sein Dozent war Aram Khachaturian. Mit dem angehenden Regisseur Mikhail Kalik lernte er bald seinen «besten Freund» kennen: Khalik drehte die Filme, Tariverdiev komponierte die Musik. 1962 gelang den beiden mit «Goodbye, Boys» der erste Hit. Der Film war bahnbrechend in Russland, denn er trachtete danach, die innere Welt der Protagonisten zu zeigen: bis dahin hatte es «innere Welten» im russischen Mainstream-Film nicht gegeben (als dann Breschnew an die Macht kam, wurde «Goodbye, Boys» prompt verboten). Derweil Kalik in der Folge nach Israel emigrierte, blieb Tariverdiev in Moskau, wo er bis zu seinem Lebensende 1996 mit seiner Frau die kleine Wohnung bewohnte, die einem kinderlosen Ehepaar gemäss Gesetz zustand. Mit seinem Bleiben habe er wohl seine Chancen auf internationale Berühmtheit vertan, glaubt Coates: «Im Westen herrschte und herrscht weit herum das Vorurteil, dass in den Jahrzehnten des Kalten Krieges nur die russische Kunst von Dissidenten authentisch gewesen sei. Dass Kunst, die von den Autoritäten toleriert wurde, irgendwie verfälscht sein müsse.» Auch er sei diesem Vorurteil unterlegen, gibt er zu: «Aber die Beschäftigung mit Tariverdiev hat mich eines Besseren belehrt. Es gibt in jener Epoche der russischen Kultur noch sehr viel zu entdecken.» Coates liess es indes nicht beim Entdecken bewenden. Bei der nächsten Tournee seiner Band lud er Vera Tariverdieva zum Tee ein, verstand sich blendend mit ihr – und kurz später nistete er sich mit dem befreundeten Fotografen Paul Heartfield in Veras Wohnung ein: «Sie hatte das Arbeitszimmer ihres Mannes gelassen, wie es war», erzählt er: «Die Brille

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BILD: ZVG

VON HANSPETER KÜNZLER

Auf heitere Art schwermütig: Mikael Tariverdiev

lag noch auf dem Klavier, die Pfeife auf dem Tisch.» Mithilfe von Tariverdievs immer noch funktionierendem ungarischen Tonbandgerät aus dem Jahr 1972 begannen die beiden, das Archiv zu durchforsten. Ein wunderbar gestaltetes Triple-Box-Set samt Buch ist das erste Resultat der Liebesmühe. Es sammelt die schönsten Momente aus den Soundtracks des Komponisten. Was dieses auszeichnet, ist ein organisches und doch ungewöhnliches Nebeneinander von Stilen: Das Panorama reicht vom aggressiven Be-Bop über romantische Piano-Lieder, von symphonischen Passagen bis Big-Band-Jazz, von melancholischen Chansons bis zu meditativen Piano-Soli. Und selbst dann, wenn das swingende Keyboard entfernt an Bert Kämpfert erinnert, bleibt die Stimmung auf deliziöse Art schwermütig, romantisch und doch heiter. ■ Mikael Tariverdiev: «Film Music» (Earth Recordings) SURPRISE 365/15


Ausgehtipp

Die 25 positiven Firmen

«Stört euch das nicht, wenn ihr als immergeile Typen abgestempelt werdet?», ruft die junge Frau ins Publikum. Der Blick der Zuschauer geht durch den Raum der Basler Kaserne auf die Schauspielerin am Rand der minimalistisch bestückten Bühne, streift ihre fünf Kolleginnen und begegnet dahinter in einer breiten Spiegelwand wieder sich selbst. Das Theaterstück «Flex» vom Jungen Theater Basel, entstanden unter der Regie von Suna Gürler, ist eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht, festgefahrenen Rollenbildern und Klischees. Das Stück basiert unter anderem auf Texten von Laurie Penny. Intelligent und humorvoll loten die sechs Darstellerinnen die Irritationen des eigenen Frau-Seins aus. Die Scham im Bikini, das Pfefferspray in der Tasche, Nein

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BILD: JUNGES THEATER BASEL

Basel Bikini, Pfefferspray und Rollenbilder

Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

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Schweizerisches Tropen- und Public HealthInstitut, Basel

«Flex»: Das Gehirn von Klischees befreien. 02

PS: Immotreuhand GmbH, Zürich

sagen. Dabei ist wenig Schau und Spiel: Die sechs jungen Frauen thematisieren all das mit mutiger Offenheit. (sim)

03

Bruno Jakob Organisations-Beratung, Pfäffikon

04

Jeker Architekten SIA AG, Basel

05

Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

Theaterstück «Flex», noch bis am 5. Februar,

06

Proitera Betriebliche Sozialberatung, Basel

Junges Theater Basel, Kaserne Basel, mit

07

Projectway GmbH, Köniz

Lea Agnetti, Anna Lena Bucher, Alina Immoos,

08

Yogaloft GmbH, Rapperswil SG

Anh Nguyen, Noemi Steuerwald, Antoinette Ullrich.

09

Madlen Blösch, geld & so, Basel

www.jungestheaterbasel.ch

10

Dr. Charles Olivier, Murten

11

Yolanda Schneider Logopädie, Liebefeld

12

Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen

13

VXL Gestaltung und Werbung AG, Binningen

14

Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

15

Netzpilot Communication, Basel

16

Scherrer & Partner GmbH, Basel

17

Balcart AG, Therwil

18

Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

19

Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

20

weishaupt design, Basel

21

Thommen ASIC-Design, Zürich

22

Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

23

Coop Genossenschaft, Basel

24

AnyWeb AG, Zürich

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Burckhardt+Partner AG

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

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Verkäuferporträt «Ich würde gerne wieder gärtnern» Michael Hofer, 35, verkauft Surprise vor dem Einkaufszentrum Neumarkt in Zürich-Oerlikon. Daneben treibt er Sport, sitzt in der Bibliothek und macht Politik.

«Mein Verkaufsstandort ist vor dem Einkaufszentrum Neumarkt in Zürich-Oerlikon, unmittelbar neben dem Bahnhof und gleich vis-à-vis vom Swissôtel. Ich bin unter der Woche fast jeden Tag da, beginne jeweils um 9 Uhr und arbeite bis 14 Uhr. Es ist eine sehr lebendige Ecke, mit Pendlern, Anwohnern und Leuten, die zum Einkaufen kommen. Und da der Bahnhof seit Längerem massiv ausgebaut wird, ist noch mehr los als ohnehin schon. Einmal hiess es, Justin Bieber sei im Swissôtel abgestiegen. Da erschien eine grössere Gruppe Kreisch-Mädchen und belagerte das Hotel, bis die Polizei kam und eingriff. Ich verkaufe jetzt seit neun Jahren hier. Früher standen in der Mitte der Strasse zwischen dem Neumarkt und dem Swissôtel noch Bäume. Seit sie die gefällt haben, gibt’s da immer wieder Unfälle – Kollisionen zwischen Autos, aber auch mit Fussgängern. Vor allem ältere Leute sind jetzt viel weniger achtsam, wenn sie über die Strasse gehen. Als die Bäume noch standen, passierte das nicht. Ich bin ursprünglich gelernter Topfpflanzengärtner, die Lehre habe ich auf dem Schloss Teufen im Zürcher Unterland gemacht. Eigentlich wäre ich gerne Bahnbetriebsdisponent geworden, aber mit meinem RealschulAbschluss fehlte mir die nötige Schulbildung dazu. Der Berufsberater meinte dann, es gebe für mich zwei Möglichkeiten: entweder im Verkauf oder etwas mit Landschaftspflege. So kam ich zum Gärtnerberuf. Am liebsten arbeite ich dabei im Gewächshaus, pflege die Pflanzen und sehe ihnen beim Gedeihen zu. Ich konnte dann noch einige Zeit bei der Winterthurer Stadtgärtnerei arbeiten, Pärke und Friedhöfe und so weiter, bis es zu streng für mich wurde. Ich würde aber sehr gerne wieder gärtnern. Es wäre schön, wenn ich auf dem Beruf arbeiten könnte. Nach der Arbeit gehe ich oft zum Schwimmen ins Hallenbad Oerlikon, das hier in der Nähe ist. Oder ich gehe joggen. Sport und Bewegung sind mir sehr wichtig. Ich bin auch Mitglied in der Surprise Strassenfussball-Mannschaft Team Züri. Wir trainieren einmal pro Woche und suchen übrigens noch einen Mitspieler – derzeit sind wir zu viert, und mindestens einen Auswechselspieler braucht man schon. Mit den Kollegen von Team Züri gehe ich auch jedes Jahr an Laufwettbewerbe, zum Beispiel den Luzerner Lauf oder im Mai dann den Winterthurer Lauf. In Winterthur, wo ich wohne, bin ich oft in der Stadtbibliothek anzutreffen. Da gibt’s gratis Internet und viele Zeitungen. Am liebsten lese ich die WOZ und den Tagi, den ich auch abonniert habe. Mir ist es sehr wichtig, die Geschehnisse zu verfolgen. Die Anschläge von Paris machen mich sehr betroffen, aber die Reaktionen darauf machen mir fast mehr Angst. Mehr Überwachung, Ausnahmezustand – ich will mir gar nicht vorstellen, was das für unsere Bürgerrechte heisst. Und dass dieses Vorgehen immer wieder neuen Terrorismus schafft, scheint mir klar. Ich schreibe auch Leserbriefe, und die werden sogar in der NZZ gedruckt. Ich bin ein politischer Mensch und war sogar schon Nationalratskandidat für die Grünen, und auch bei Greenpeace bin ich aktiv. Ich bin oft unterwegs für Standaktionen, verteile Prospekte oder sammle Unterschriften. Und mit Greenpeace habe ich schon mehrere Solaranlagen

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BILD: ZVG

AUFGEZEICHNET VON AMIR ALI

aufgebaut. Wenn ich mir unser neues Parlament anschaue, dann muss ich sagen: Das kommt wahrscheinlich nicht gut. Die werden vor allem versuchen zu sparen und die Steuern zu senken. Wer unter dieser Politik leidet, weiss man ja. Mit Surprise bin ich sozusagen in der zweiten Branche gelandet, die mir der Berufsberater damals empfohlen hat: im Verkauf. Beim Heftverkauf gibt es eigentlich nicht viel zu beachten. Man sollte einfach kein allzu schlimmes Gesicht machen. Ich habe sehr viele Stammkunden, die nicht nur das Heft kaufen, sondern auch gern ein paar Worte wechseln. Roger Federer, der Umbau des Bahnhofs oder die vielen Kaugummis am Boden: Jeden beschäftigt irgendetwas. Selten erlebe ich auch negative Reaktionen. Es kann schon vorkommen, dass sich jemand daneben verhält und ich mich wehren muss. Manchmal kommen die Schuhverkäuferin aus dem Einkaufszentrum und der junge Mann vom Handyladen vorbei, und dann unterhalten wir uns über die paar mühsamen Kunden. Die gehören in diesem Job halt einfach dazu.» ■ SURPRISE 365/15


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

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Surprise – mehr als ein Magazin

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit einem Netzwerk aus freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der ganzen Deutschschweiz. Sie kämpfen um den Titel des Schweizermeisters und des Weltmeisters beim Homeless World Cup. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen kostenlosen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine einfache und charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren. Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Gönner-Abo für CHF 260.–

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Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

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Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami), Diana Frei und Sara Winter Sayilir (dif, win, Co-Heftverantwortliche), Simon Jäggi (sim), Thomas Oehler (tom), redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Olivier Joliat, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Philipp Bär, Hanna Gerig, Lucian Hunziker, Hanspeter Künzler, Karin Scheidegger, Claudia Spinnler, Mara Wirthlin, Manuela Zeller Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 40 300, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke (Leitung), Zaira Esposito Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83/85 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Barbara Kläsi, Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40 Paloma Selma (Leitung), p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach) www.strassensport.ch Sozialer Stadtrundgang Basel T+41 61 564 90 40 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Paloma Selma (Koordination), rundgang@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Zürich T +41 44 242 72 14 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Carmen Berchtold (Koordination), rundgangzh@vereinsurprise.ch Vereinspräsident Peter Aebersold Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt: Spendenkonto PC 12-551455-3 SURPRISE 365/15


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Gutes tun Sinnvoll schenken Surprise bietet armutsbetroffenen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe. Mit Geschenken von Surprise unterstützen Sie die Arbeit des Vereins.

Gibt andere Perspektiven: ein Sozialer Stadtrundgang Die Surprise-Stadtführer erzählen persönliche Geschichten aus ihrem Alltag als Obdachlose und Armutsbetroffene in ihrer Stadt. Verschenken Sie einen anderen Blick auf Basel oder Zürich. Geben einen coolen Look: eine Surprise-Tasche oder eine Surprise-Mütze Eine Mütze für gute Köpfe und eine Tasche voller Sinn – schenken Sie Mehrwert von Surprise. Unsere Mützen und Taschen gibt es in diversen Farben. Gibt Gesprächsstoff: ein Surprise-Jahresabo Das Surprise Strassenmagazin liefern wir gerne alle zwei Wochen in den Briefkasten. Auch im Abo unterstützen Sie unsere Arbeit. Gibt Einblicke: das Buch «Standort Strasse» Das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» porträtiert zwanzig Surprise-Verkaufende und zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. JA, ich möchte sinnvoll schenken und bestelle Sozialer Stadtrundgang

☐ Gruppe bis 20 Personen CHF 250 Basel: ☐ pro Person CHF 15, Anzahl ☐ Gruppe bis 20 Personen CHF 300 Zürich: ☐ pro Person CHF 30, Anzahl (Rabatt für Lernende und Auszubildende möglich)

Surprise-Tasche

CHF 45, Taschenfarbe: ☐ schwarz Farbe Surprise-Schriftzug: ☐ schwarz

Surprise-Mütze

CHF 30, ☐ rot ☐ schwarz

Surprise-Jahresabo

☐ 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189 (Inland)/CHF 229 (Europa) ☐ Gönner-Abo CHF 260

Buch «Standort Strasse»

CHF 37, Anzahl

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Datum, Unterschrift Talon einsenden an: Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel oder per Mail an info@vereinsurprise.ch Weitere Informationen zu allen Angeboten unter www.vereinsurprise.ch. Hier können Sie auch online bestellen. SURPRISE 365/15

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