Surprise 367

Page 1

Schiffbrüchige der Menschheit – und wie Mexikos erstes Strassenmagazin ihnen Boden unter den Füssen gibt

Nr. 367 | 22. Januar bis 4. Februar 2016 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

«Ich wuchs in einem Slum auf»: Der Vater aller Strassenzeitungen im Interview


Buch: Standort Strasse Bewegende Lebensgeschichten

Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand 152 Seiten CHF 40.– inkl. Versand- und Verpackungskosten ISBN 978-3-85616-679-3

Die belebten Plätze und Strassen der Deutschschweizer Innenstädte sind bekannt. Die Lebensgeschichten der Surprise-Verkaufenden, die hier arbeiten, jedoch nicht. Das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» rückt diese Personen ins Scheinwerferlicht und zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. Das Buch porträtiert zwanzig stolze Menschen, die trotz sozialer Not alternative Lebensentwürfe abseits staatlicher Hilfe gefunden haben. Die Angebote des Vereins Surprise haben ihnen dabei geholfen. Gastbeiträge sowie eine Fotoserie von Surprise-Standorten runden das Buch ab. Erfahren Sie mehr über die Lebensgeschichten unserer Verkaufenden und kaufen Sie jetzt das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand». Ein Teil des Geldes kommt direkt den Surprise-Verkaufenden zugute. Bestellen bei Verkaufenden oder unter: www.vereinsurprise.ch/shop/


Titelbild: WOMM / ZVG

Editorial Blick auf die Weltkugel

Die Journalistin Ana Felker war für uns in Mexiko unterwegs, wo eine ehemalige Kunststudentin das erste Strassenmagazin des Landes ins Leben gerufen hat. Mexiko ist von Drogenkriegen und Korruption zerfressen, hier lebt mehr als die Hälfte der Menschen in Armut. Entsprechend musste Felker bei ihrem Spaziergang mit einem der Strassenverkäufer achtgeben, dass sie nicht aus Versehen auf noch ärmere Menschen trat: auf solche, die nur noch auf dem Trottoir liegen. Ab Seite 18.

BILD: ZVG

John Bird hat das Mutterblatt aller Strassenzeitungen weltweit gegründet, das britische Magazin The Big Issue. Er ist Sozialunternehmer und seit Neustem Angehöriger des britischen Oberhauses. Früher war er allerdings lange was ganz anderes, nämlich obdachlos. Im Gespräch mit dem ehemaligen Chefredaktor von Surprise, Michael Gasser, erzählt er die Geschichte eines fünfjährigen Kindes, das in einem Slum aufwuchs. Es ist seine eigene. Und zugleich ein Stück Sozialgeschichte. Ab Seite 10.

DIANA FREI REDAKTORIN

Das sind Geschichten aus anderen Ländern, und es scheinen erst mal persönliche zu sein. In Wahrheit sind es aber vor allem politische. Und es gibt ähnliche in der Schweiz. Geschichten über Menschen zum Beispiel, die froh wären, sie könnten mit dem Surprise-Verkauf ein paar Franken verdienen, es aber nicht dürfen. Weil die Verkaufsbewilligungen für Surprise-Verkaufende nicht nur von den Gesetzen abhängig sind, sondern von der Person am jeweiligen Bürotisch – auf dem Sozialamt, auf dem Arbeitsamt und bei der Allmendbewilligung. So ist Baselland der einzige von uns angefragte Kanton der Schweiz, der uns keine Verkaufsbewilligung für vorläufige aufgenommene Flüchtlinge erteilt. Und so ist Luzern die einzige Stadt, die für den Strassenverkauf Allmendgebühren erhebt – mit ein Grund, wieso die weniger Begüterten in der Bilderbuch-Stadt am Vierwaldstättersee unser Magazin kaum verkaufen dürfen. Mehr dazu ab Seite 18. Die Arbeit hinter den Kulissen ist damit genauso mühsam wie aufschlussreich. Aber die Hauptarbeit machen immer noch unsere Verkäufer und Verkäuferinnen. Vom 1. bis 7. Februar versuchen für einmal prominente Freunde des Hauses, das Magazin unter die Leute zu bringen: die Musiker Greis und Knackeboul und SPNationalrat sowie Surprise-Vorstandsmitglied Beat Jans. Greis, dessen Verkäuferausweis uns ein Cover hergegeben hat, nimmt in Bern das Heft in die Hand. Wann genau und wie Sie es ihm gleichtun können, erfahren Sie auf www.facebook.com/VereinSurprise und über die Hashtags #rollentausch #strassenmagazinsurprise #leserverkaufensurprise #vendorweek #streetpaper. Und wenn Sie doch lieber zuhause bleiben, haben wir noch zwei Anregungen: www.insp.ngo und http://de.streetnewsservice.org. Wir wünschen Ihnen viele durchgesurfte Nächte Diana Frei

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@strassenmagazin.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise SURPRISE 367/16

3


06 08 08 09 09 16 24 25 26 28 29 30

31

10 John Bird Baron der Obdachlosen BILD: LUCY KANE

05

Inhalt Editorial Persönlich ist politisch Basteln für eine bessere Welt Kontemplative Handarbeit Porträt Apropos’ rührige Salzburgerin Aufgelesen Noch 118 Jahre Ungleichheit Vor Gericht Kill the DJ Vendor Week Hinschauen Starverkäufer Özcan Ates¸ Weltkarte INSP auf einen Blick Wörter von Pörtner Neues Spendenmodell Musik Dreckig und verkorkst Kultur Tod mit Limonade Verkaufenden-Beitrag Kamelhaarmantel und Perserteppich Projekt SurPlus Eine Chance für alle In eigener Sache Impressum INSP Mehr als ein Magazin Vom Zivi zum Coach

John Bird ist der Gründer der britischen Obdachlosenzeitung The Big Issue und des International Network of Street Papers INSP, dem Netzwerk der Strassenzeitungen weltweit. Ehemals selber obdachlos, darf er sich seit 2015 «Baron» nennen. Michael Gasser, früher Chefredaktor von Surprise, hat mit ihm über das Leben geredet: über Birds eigenes – und das von vielen anderen, die mit ihrem Schicksal kämpfen.

13 Bewilligungen Im Papierkrieg BILD: WOMM

03

Um Surprise auf der Strasse verkaufen zu können, brauchen unsere Verkäufer Bewilligungen: für ihren Standort, für den Verkauf im öffentlichen Raum, für ihren Aufenthalt in der Schweiz. Dabei gelten in jedem der elf Kantone, in denen Surprise derzeit verkauft wird, andere Bestimmungen. Die Vertriebsbüros in Basel, Bern und Zürich müssen sich den ständigen Veränderungen anpassen und den Überblick behalten.

18 Mexiko Die Sozialpionierin

4

BILD: FELIPE LUNA

Als die junge Malerin María Portilla zum Studium nach Grossbritannien ging, lernte sie dort die Obdachlosenzeitung The Big Issue kennen. Zurück in Mexico City gründete sie mit gemeinsam mit anderen Mi Valedor, die erste Strassenzeitung Mexikos. In einem Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt, ist das ein kleiner Tropfen auf einen sehr heissen Stein. Für die Verkaufenden des Projekts aber hat sich ein ungeahnter Weg zu mehr Selbstvertrauen und Wertschätzung eröffnet.

SURPRISE 367/16


ILLUSTRATION: WOMM

Basteln für eine bessere Welt Kreuz für Kreuz Allen, die nicht beim Rollentausch dabei sein können und nicht wissen werden, wie es ist, sich beim Warten auf Käufer die Beine in den Bauch zu stehen, bieten wir hier eine Ersatzübung fürs Geduldstraining. Besticken Sie ein Kleidungsstück mit dem Surprise-Logo.

1. Sie brauchen rotes und weisses Stickgarn, eine Sticknadel und Durchhaltevermögen.

2. Schneiden Sie die Stickvorlage mit etwa 1 cm Rand aus und stecken Sie die Vorlage mit Stecknadeln auf dem zu bestickenden Gegenstand fest. (Wer will, verkleinert oder vergrössert sich die Vorlage auf einem Kopierer.)

3. Sticken Sie anhand der Vorlage Ihre persönliche Version des Surprise-Logos auf ein Kleidungsstück Ihrer Wahl – und wenn Sie möchten, schenken Sie dieses doch Ihrem Lieblingsverkäufer.

SURPRISE 367/16

5


Porträt «Weil wir interessant sind» Michaela Gründler ist Chefredaktorin der Salzburger Strassenzeitung Apropos und schnell unterwegs: Ihr grösstes Anliegen ist das Wohl der Verkäuferinnen und Verkäufer. Dafür setzt sie auf Kooperationen und legt sich auch auf die Yogamatte. VON CHRISTINA REPOLUST (TEXT) UND BERNHARD MÜLLER (BILD)

Hier wird mit Herz und Verstand gearbeitet, zügig, ohne hektisch zu werden, professionell, ohne abgehoben zu sein. Die Ausgabe im vergangenen Dezember bestand aus einem Doppelpack aus regulärer Ausgabe und Sonderheft. Seit 2012 besteht diese besondere Kooperation: Verkäuferinnen und Verkäufer treffen Autoren – eine Kooperation mit dem Literaturhaus Salzburg. «Wie das entstand? Im Gespräch, im Tun, und so geht es immer weiter. Die Verkaufenden freuen sich, dass sich Schriftsteller mit ihnen zum Gespräch treffen. Dass die Autorin Vea Kaiser unsere Verkäuferin Evelyne Aigner um ihre tiefe und grosse Liebe zu ihrem Mann Georg beneidete, hat nicht nur Evelyne erstaunt. Manchmal hat man einen Schatz und weiss nichts davon.» Michaela Gründler weiss um das Goldstück, das sie hier in der Glockengasse hütet, sie weiss, dass viele Beziehungen stabil sind, dass so manche Konflikte zu hilfreichen Gesprächen führten, dass sie es ja auch nie einfach haben wollte. «Ich bin ausgebildete Touristikkauffrau, der Kontakt mit Menschen liegt mir einfach. Jetzt habe ich eine neue Vorliebe entdeckt: Über meine Ausbildung zur Kinderyoga-Lehrerin bin ich auf die Magie der Kinderliteratur gestossen, habe mich mit ‹Momo› von Michael Ende ein Wochenende lang zurückgezogen, diese Geschichte ist mir sehr vertraut vorgekommen. Zeit haben und Zeit schenken, das ist es, was ich hier auch vorlebe.» Eine Teetasse lang hat Michaela Gründler meistens Zeit: Da will eine Verkäuferin von ihrer Infektion erzählen, sie hat ihr Kind im sechsten Monat verloren. Ein Verkäufer aus Bulgarien will mit ihr wegen der Lesung im Museum noch kurz sprechen, dazwischen Anrufe, auch von Menschen, die sich über den einen oder anderen Verkäufer beschweren wollen. «Das tut mir leid, dass Sie

So schön der Kapuzinerberg auf den typischen Salzburger Ansichtskarten ist, so gross ist der Schatten, den er bis in die Glockengasse 10 wirft. Dort ist die Redaktionsadresse der Salzburger Strassenzeitung Apropos, dort entsteht die monatliche Ausgabe in einer Auflage von 10 000 Stück. Dort parkt Chefredaktorin Michaela Gründler ihr Fahrrad, mit dem sie jeden Tag zur Arbeit kommt. «Das ist ein guter Ausgleich für mich, ich kann Bewegung in meinen Alltag integrieren. Ich gehe aber auch gern zu Fuss, dabei bekomme ich mehr von meiner Umgebung und der Stadt mit.» Sie fährt, spricht und denkt schnell, ohne unachtsam zu sein: Wer hier mithalten will, muss sich konzentrieren. «Neben meiner Arbeit als Chefredaktorin habe ich besonders im vergangenen Jahr sehr viele Projekte verwirklicht.» Das war einmal die Kooperation mit dem Salzburg-Museum, das die Verkaufenden porträtierte und zu einer Lesung einlud, das war zudem das Grossprojekt mit Stefan Brandtner, einem Popup-Gastronomen, der den ganzen Dezember über sein Lokal mit Apropos dekorierte und zu Lesungen und Begegnungen einlud. «Jetzt sehe ich, wie diese Arbeit Früchte trägt: Man lädt uns ein. Nicht weil wir arm sind, sondern interessant.» Das «wir» steht für «wir alle in Redaktion und im Verkauf», auch hier setzte die geborene Linzerin Akzente. Die studierte Germanistin und Publizistin hat 2015 ihre Ausbildung zur Yoga-Lehrerin abgeschlossen und Yoga auch gleich für die Verkaufenden angeboten: Mit diesem Projekt war Apropos unter den fünf weltweit originellsten Angeboten von Strassenzeitungen beim internationalen Strassenzeitungs-Award. «Diese Zeit mit den Verkaufenden, Mitarbeitenden und Inter«Institutionen in Salzburg kommen von sich aus auf uns zu und essierten erlebe ich von einer ganz anderen Powollen mit uns kooperieren.» sition aus als hinterm Schreibtisch oder als Chefredaktorin, hier gebe ich ganz bewusst eine andere Seite von mir preis.» Wer die Redaktion betritt, findet die zahleine schlechte Erfahrung machen mussten! Haben Sie geschaut, ob diereichen Auszeichnungen gerahmt hinter Glas: René Marcic-Preis, Salzser Verkäufer einen Apropos-Ausweis trägt? Hat er nicht? Dann handelt burgerin des Jahres, Sozial-Marie, Salzburger Volkskulturpreis für das es sich wohl um einen Verkäufer einer anderen Strassenzeitung. Bitte Buch «Denk ich an Heimat», INSP Award für den weltbesten Verkaufenschauen Sie bei einem nächsten Mal auf die Ausweisnummer, nur dann den-Beitrag (Letzterer siehe Seite 28). Hinter jeder Urkunde stecken können wir mit dem Verkäufer sprechen.» Ideen, Projekte und steckt vor allem Feinarbeit, den Verkaufenden und Die Chefredaktorin steht hinter ihrem Team, fördert ihre Mitarbeiden eigenen Ansprüchen gleichermassen gerecht zu werden. tenden und stärkt die Verkaufenden, etwa auch die jungen Afrikaner, «Die Verkaufenden haben Kompetenzen im kreativen Bereich, wie in die als Flüchtlinge nach Salzburg kamen. «Warum die?», fragen die Roder Reflexion ihrer Lebensform. Daraus entwickeln sich spannende Proma aus Rumänien, so wie früher die inländischen Verkaufenden gefragt jekte. Regelmässige Schreibwerkstätten fördern die Kreativität, der anhaben. «Weil wir für Menschen in Not da sind und ihnen Angebote magebotene Deutschkurs stösst auch bei anderen Strassenzeitungen auf chen», antwortet dann Michaela Gründler. Wer die Zeitung verkauft, beInteresse. Jetzt kommen Institutionen in Salzburg, beispielsweise die kommt den Verkäufer-Ausweis und damit Teilhabe an der Gesellschaft. Erzdiözese, von sich aus auf uns zu und wollen mit uns kooperieren.» Auch andere Zugänge, die sonst vielleicht verschlossen blieben. EinDaneben muss die Zeitung jeden Monat pünktlich erscheinen, auch das trittskarten zum Theater oder zu den Salzburger Festspielen, die Aprokostet viel Energie. Das Themeninterview führt die Chefredaktorin denpos für die Verkaufenden erhält, oder wie zuletzt für ein Fussballspiel. noch stets selbst. «Erstens macht mir das viel Freude. Bei diesen Inter«Das war ein Hit, die Frauen waren fast noch begeisterter davon als deviews lerne ich interessante Menschen kennen, vertiefe Kontakte und ren Männer. Wir probieren immer wieder etwas Neues und forcieren so bin manchmal auch sehr berührt von den Lebensgeschichten meiner die Teilhabe der Verkaufenden an Kunst, Kultur und Sport», sagt GründInterviewpartner. Zweitens setzen wir bei Apropos auf fixe Rubriken ler und steigt aufs Rad. ■ und damit auf einen verlässlichen Rhythmus unserer Textsorten.»

6

SURPRISE 367/16


SURPRISE 367/16

7


Aufgelesen News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Untersucht Kiel. Weltweite Gleichstellung zwischen den Geschlechtern – das wird auch die kommende Generation nicht erleben: Wenn das Tempo der Angleichung unverändert anhält, wird es bis zur vollständigen Gleichstellung von Mann und Frau noch 118 Jahre dauern. Zwar bilden Frauen in 97 der 145 untersuchten Länder die Mehrheit der Studierenden an den Universitäten. Im Arbeitsmarkt widerspiegelt sich dieses Bild jedoch nicht. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht, den das Weltwirtschaftsforum in Auftrag gegeben hat.

Übersetzt Nürnberg. Eben erschienen, bereits wieder vergriffen: Im November veröffentlichte die Deutsche Bundeszentrale für politische Bildung das deutsche Grundgesetz erstmals auf Arabisch. Die Nachfrage war jedoch so gross, dass bereits nach wenigen Tagen kein Exemplar mehr erhältlich war. Mitte Januar soll nun eine zweite kostenlose Ausgabe der 156 Seiten starken Verfassung erscheinen. Grundgesetz auf Arabisch heisst übrigens: Al-qanun al-asasi.

Unterzahlt Wien. Gefängnisinsassen sind auch günstige Arbeitskräfte: Für Firmen produzieren sie beispielsweise Telefonzubehör oder Stühle. In Deutschland haben Häftlinge vor einem Jahr die erste Gewerkschaft gegründet, mit bereits 800 Mitgliedern. Jetzt ist auch in Österreich ein Ableger entstanden. Wie ihre deutschen Kollegen fordern sie: Einbezug in die Pensionsversicherung und einen gesetzlichen Mindestlohn. Ein Grossteil der Inhaftierten verdient nämlich weniger als einen Euro in der Stunde.

8

Vor Gericht Mein Freund, mein Feind Alles begann mit einer tragischen Wendung. Ein junger Mann aus Winterthur verlor innert kürzester Zeit Vater und Mutter. Was dem Einzelkind blieb, waren ein kleines altes Haus in einem Aussenquartier, ein paar hunderttausend Franken und sein bester Freund, den er von Kindesbeinen an kannte. Der nunmehr verwaiste junge Mann hatte in seinem Leben noch nicht allzu viel erreicht, während sein Freund als House-DJ und Partyveranstalter in die Liga der Lokalprominenz aufgestiegen war. Mit dem schicksalsgeplagten Mann ging es bergab. Er verbrachte seine Tage, Wochen und Monate dauerbekifft mit Computerspielen. Leere Pizzakartons türmten sich so hoch wie die unbezahlten Rechnungen. Sein Haus verwahrloste, das geerbte Geld verschenkte er lieber an Freunde. Da nahm sich der DJFreund seiner an. Als Berater wollte er seinem Freund helfen, sein Erbe zu verwalten und sinnvoll zu investieren. Dazu stellte ihm der junge Mann eine Vollmacht aus. Der DJ besass jedoch nicht etwa vertiefte Kenntnisse der Vermögensverwaltung, sondern vor allem ein grenzenloses Selbstvertrauen und eine gute Portion krimineller Energie. Gemäss Anklage soll er sich hohe Beträge für Spenden oder Einlagen in liechtensteinische Fonds in die eigene Tasche gesteckt haben. Das geerbte Vermögen schmolz dahin. Die Lage des unglücklichen Erben wurde allmählich prekär. So prekär, dass dieser sich nach Osteuropa absetzte. Als ihm das Geld nach einigen Monaten ganz auszugehen drohte, meldete er sich beim DJ und beauftragte ihn mit dem Verkauf seines Hauses.

Diesem Wunsch entsprach der DJ auf seine Weise. Nachdem er angeblich keinen Käufer gefunden hätte, drehte er es seiner über 90jährigen Grossmutter an. Auch sie hatte ihn zur Regelung ihrer finanziellen Angelegenheiten bevollmächtigt. Bei der Überschreibung des Grundstücks auf dem Grundbuchamt unterschrieb der DJ dann also sowohl im Namen des Verkäufers als auch im Namen der Käuferin und erwarb das Haus so für einen Spottpreis. Seinem Freund blieb nach Abzug der Resthypothek und der Aufwendungen, die ihm der DJ für seine Dienste in Rechnung stellte, praktisch nichts. Der DJ möbelte derweil die Immobilie etwas auf, brachte sie erneut auf den Markt und siehe da: Im Nu fand er nun einen Käufer, der das Haus zu einem viel höheren Preis erwarb. In erster Instanz zeigten die Richter Milde mit dem DJ und sahen nicht alle Anklagepunkte der ungetreuen Geschäftsführung und Veruntreuung als erwiesen an. Doch sein einstiger Freund liess nicht locker. Das Obergericht beurteilte die Sache dann ungleich härter. Es sprach den DJ in praktisch allen Anklagepunkten schuldig und schickt ihn für 17 Monaten ins Gefängnis. Dem Geprellten soll er 87 000 Franken zurückzahlen sowie die Gerichtskosten von 12 000 Franken tragen. Das bedeutet für den inzwischen selbst hochverschuldeten DJ den finanziellen Ruin. Diesen will er mit einem Gang vors Bundesgericht abwenden. Denn es sei, wie er sagt, in Wirklichkeit so, dass ihm sein Jugendfreund noch 25 000 Franken schulde. Fazit: Man muss schon im Sandkasten höllisch aufpassen, mit wem man sich abgibt. YVONNE KUNZ (YVONNE.KUNZ@GMAIL.COM) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 367/16


Vendor Week Wir sind nicht allein Von Seoul bis St. Petersburg – in mehr als 30 Ländern dieser Welt findet Anfang Februar die International Vendor Week statt.

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 (0)61 564 90 99 redaktion@vereinsurprise.ch

SURPRISE 367/16

BILD: TOBIAS SUTTER

Auch wenn wir uns alle dem Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit verschrieben haben, sind wir sehr unterschiedlich aufgestellt: Einige Organisationen sind hoch differenziert und hierarchisch aufgeteilt, andere funktionieren basisdemokratisch. Einige Strassenmagazine werden von Verkaufenden geschrieben, andere – wie Surprise – von ausgebildeten Journalisten produziert. Trotz dieser Vielfalt sind die Herausforderungen, die wir im Alltag bewältigen müssen, die gleichen; Schwierigkeiten mit den Behörden gehören ebenso dazu wie der Umgang mit der Armut, die in allen Ländern wächst, aber politisch kaum Beachtung erhält. Auch das veränderte Leseverhalten in der digitalen Zeit oder die grosse Konkurrenz im Fundraising stellen uns vor Herausforderungen. Dass wir uns darüber austauschen, wie wir mit diesen Herausforderungen umgehen, ist für uns wichtig und wertvoll. Eine gute Gelegenheit dazu ist der jährliche internationale Kongress der Strassenmagazine. Wir sind stolz, ankündigen zu dürfen, dass der Kongress 2018 erstmals in der Schweiz, in Basel, stattfinden wird. Zusammen können wir viel erreichen. Im Kleinen wie im Grossen. Die Vendor Week ist ein gutes Beispiel dafür: Den sechs Millionen Leserinnen und Lesern unserer Magazine geben wir Einblick in den Alltag der Verkaufenden. Isolation und Wegschauen gehören zu diesem Alltag. Das wollen wir ändern. Danke, dass Sie nicht wegschauen. Es ist schon viel getan, wenn Sie unseren Verkau-fenden ein Lä-

cheln schenken und vielleicht auch einen Schwatz halten. Auch die Tatsache, dass Sie diese Zeilen lesen, zeigt, dass Sie die Arbeit der Strassenverkaufenden würdigen. Und wenn Sie in einer anderen Stadt oder einem anderen Land sind, schauen Sie sich doch nach den lokalen Verkaufenden um. Wir garantieren Ihnen spannende Begegnungen. ■ Paola Gallo Geschäftsleiterin Surprise und Vorstandsmitglied INSP BILD: MATTHIAS WILLI

Rund 120 Strassenmagazine, 600 Städte, 23 Millionen verkaufte Exemplare pro Jahr: Die Strassenzeitungen, die im International Network of Street Papers INSP zusammengeschlossen sind, erreichen insgesamt rund sechs Millionen Leserinnen und Leser. Kein anderes Printmedium hat eine vergleichbare Reichweite. Jeden Tag stehen über 20 000 Verkäuferinnen und Verkäufer auf den Strassen dieser Welt und verdienen gemeinsam um die 35 Millionen Schweizer Franken. Die International Vendor Week, die Verkäuferwoche, ist ihnen gewidmet: Jedes Jahr in der ersten Februarwoche sollen sie im Rampenlicht stehen und gefeiert werden. Gemeinsam sind wir stark – und können auch für «unattraktive» Themen wie Armut und Ausgrenzung international Aufmerksamkeit schaffen. Bereits 1994 haben sich die Strassenmagazine deshalb in einem weltweiten Netzwerk mit Sitz im schottischen Glasgow zusammengeschlossen. Das International Network of Street Papers (INSP) ist für die Strassenmagazine im Alltag enorm wichtig. Eine Unterstützungsleistung ist beispielsweise der «Street News Service»: Alle Strassenmagazine schicken ihre besten Texte ein. Diese werden in Glasgow in über 40 Sprachen übersetzt und allen Magazinen kostenlos angeboten. So kommen wir zu Exklusivinterviews (etwa mit dem Dalai Lama, Robbie Williams oder dem Papst), die unsere Kollegen führen – und umgekehrt. Solidarität ist unter uns Strassenmagazinen gelebter Alltag.

Starverkäufer Özcan Ates¸ Salome Degiorgi aus Einsiedeln schreibt: «Özcan hat mir gezeigt, dass es keine Grenzen gibt, wenn wir uns auf das einlassen, was uns im ersten Moment fremd erscheint. Er hat mir geholfen, meine Unsicherheit zu überwinden und zu erkennen, dass wir alle eins sind. Ich wünsche ihm viel Erfolg und Freude bei der Verwirklichung seiner Ziele.»

9


10

SURPRISE 367/16


Als wir John Bird 2002 für ein Interview aufsuchten, unterstrich der Gründer des britischen Strassenmagazins The Big Issue seine lautstarken und unverblümten Worte öfters mit geballten Fäusten. Als wir den 69-Jährigen am Londoner Bahnhof Paddington für ein längeres Gespräch wiedertreffen, zeigt sich der soeben zum Baron gekürte Sozialunternehmer etwas leiser – aber kein bisschen diplomatischer.

John Bird «Von mir erhalten die Armen eine Chance, nichts anderes» MICHAEL GASSER (TEXT) UND LUCY KANE (BILD)

John Bird, als wir uns vor über 13 Jahren letztmals länger unterhielten, waren Tony Blair und seine Labour-Regierung an der Macht. Seit 2010 regieren nun die konservativen Torys unter David Cameron. Wie hat sich dieser Wechsel auf die Situation der Obdachlosen im Königreich ausgewirkt? John Bird: Tony Blair versorgte Organisationen, die sich um Obdachlose und deren Unterbringung kümmerten, mit viel Geld. Das hatte zur Folge, dass diese Institutionen immer grösser wurden. Die Obdachlosigkeit verschwand zwar nicht, aber viele Menschen ohne Zuhause erhielten ein Dach über dem Kopf. Doch um ihre psychische Verfassung kümmerte sich kein Schwein. Dafür hatten viele Unternehmer grosse Freude an der Politik von Blair. Schliesslich sorgte sie dafür, dass sich die Obdachlosen nicht mehr vor Geschäftseingängen niederliessen. Und Cameron? Jetzt haben wir eine Regierung, welche die Menschen tatsächlich vorwärtsbringen möchte. Bloss verfügt der Premierminister nicht über genügend Mittel, um dieses Vorhaben auch umzusetzen. Weshalb man sich meist damit begnügt, die Budgets ein bisschen hin- und herzuschieben. Haben sich die Ursachen von Obdachlosigkeit in Grossbritannien in den vergangenen zehn Jahren in irgendeiner Form geändert? Ich halte nichts davon, nur auf die vergangenen zehn Jahre zu blicken. Die Geschichte der Obdachlosigkeit beginnt nach 1830 – mit dem Aufstieg Grossbritanniens zur führenden Industrienation. Dabei entstand auch das erste Industrieproletariat weltweit. Das Land unternahm alles Mögliche, um die Massen von einer Revolution abzuhalten. Dazu gehörte nicht zuletzt die Förderung des Fussballs, die dazu dienen sollte, das Proletariat beschäftigt und bei Laune zu halten. Die Regierung tolerierte sogar die Gründung von Gewerkschaften. In die Wohlfahrt oder die Ausbildung der Menschen wurde jedoch so gut wie nicht investiert. Das änderte sich erst mit den beiden Weltkriegen. Danach gab es endlich Bemühungen, den Arbeitern den sozialen Aufstieg in die Mittelklasse zu ermöglichen. SURPRISE 367/16

Und als Margaret Thatcher 1979 Premierministerin wurde, war es damit bereits wieder vorbei, oder? Maggie Thatcher hatte sich zum Ziel gesetzt, alle grossen Industrien, welche Ende der Siebzigerjahre dem Staat gehörten oder von diesem subventioniert wurden, vom Staat abzunabeln. Die Schifffahrtsindustrie, die Kohlebergwerke, das Stahlgeschäft, die Autoindustrie oder die Eisenbahnen. Industrien zu schützen oder zu unterstützen gehörte aus ihrer Sicht nicht zu den Aufgaben eines modernen Staates. Also wurden die Industrien kurzerhand verkauft oder dichtgemacht. Maggie Thatcher verpasste es jedoch, diesen Einschnitt für eine technologische oder soziale Revolution zu nutzen. Eine Unterlassungssünde, die zu einer neuen Unterklasse führte. Ohne Aussicht auf eine bessere Zukunft? Genau. Maggie Thatcher liess zu, dass unzählige Menschen von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Vielen von ihnen, speziell die jungen, verloren ihre Wohnung. Daran war nicht der Kapitalismus schuld, sondern einzig und allein die Regierung. Zwar verfügt Grossbritannien bis heute über eine Art sozialer Sicherheit. Doch diese verliert mehr und mehr an Wert. Wie zeigt sich dieser Werteverlust? Vor wenigen Monaten hat mich eine junge Frau kontaktiert und mir von ihrem grossen Traum erzählt, die Universität zu besuchen. Doch weil ihr Mann tot ist, weil sie Kinder hat und Sozialhilfegelder bezieht, ist ihr dieser Weg versperrt. Das ist keine soziale Sicherheit, das ist soziale Unsicherheit. Wir haben also eine unglaublich stupide Regierung, die Armut kreiert, indem sie den sozialen Aufstieg verhindert. Sie selbst sind in Armut aufgewachsen und waren mehrmals obdachlos. Ich stamme aus einer irischen Familie, die sich in London niederliess. Als meine Eltern heirateten, begannen die Probleme, weil die beiden nicht mit Geld umgehen konnten. Sie hätten sich maximal ein Kind leisten können, hatten aber sechs. Ihre kargen Mittel flossen nicht in den Nachwuchs, sondern in Alkohol und Zigaretten. Ich wuchs in einem Slum auf, zusammen mit anderen Menschen, die sich vom Leben gebo-

11


digt sahen. Und als meine Eltern die Miete nicht mehr zahlen konnten, verloren wir sogar dieses armselige Dach über dem Kopf. Meine ersten Jahre waren von Gewalt gegen Frauen und Kinder geprägt. Als Teenager begann ich Drogen zu nehmen und wurde zu einem starken Trinker. Bereits als Zehnjähriger wurde ich von der Polizei gesucht.

bis heute die Tatsache, dass zwar viele The Big Issue kaufen, aber nicht anerkennen wollen, dass auch die Obdachlosen ein Teil unserer Gesellschaft sind. Verkauft sich The Big Issue gut? Am meisten Magazine haben wir in der Zeit vor 9/11 verkauft. Nach den Anschlägen in New York hielten sich die Menschen auch in Grossbritannien deutlich seltener im öffentlichen Raum auf. Das hätte uns beinahe das Genick gebrochen. Heute erreichen wir wieder rund 60 Pro-

Gaben Sie Ihren Eltern die Schuld für Ihren Weg? Nein. Mir wurde der katholische Glaube eingetrichtert, und der besagte, dass meine Lebensumstände von Jesus gewollt waren. Allzu christlich war meine Familie allerdings nicht. In meinem Umfeld gehörte es zum guten Ton, «Ich verspüre gegenüber den Armen keine sentimentalen Gefühle. Ich Schwarze, Juden oder Inder zu beschimpfen. bin der Auffassung, dass viele Arme böse und gemein sind.» Mit 21 Jahren flüchtete ich vor der Polizei nach Paris, wo ich zum Marxisten wurde. Erst als zent der damaligen Auflage, das entspricht gut 125 000 Heften pro Woich mir selbst das Druckerhandwerk beibrachte, begann ich mein Leben che. Allerdings zeigen die Zahlen seit Längerem wieder nach oben. Das wirklich zu ändern. Es war nach meinem 30. Geburtstag, als es mir bedeutet auch, dass die Armut wieder wächst. Es ist ganz wie beim Bedämmerte, wie viele Menschen froh wären, hätten sie – so wie ich – die statter. Dieser wird reich, wenn tödliche Krankheiten umgehen. In Fall Gelegenheit, eigenes Geld zu verdienen. von The Big Issue geht es um eine soziale Krankheit. Auch diese kann tödlich sein. Gab es in Ihrem Leben so etwas wie einen Wendepunkt? Mit 16 Jahren lernte ich in einem Jugendgefängnis lesen und schreiben. Wie politisch darf oder soll ein Strassenmagazin sein? Das hat mir enorm geholfen. Ohne diese Fähigkeiten wäre nichts aus Das ist und bleibt das grosse Rätsel für mich. Gerade, weil ich mich als mir geworden. überaus sozialen und politischen Menschen sehe. Ich mag weder die traditionelle Linke noch die traditionelle Rechte. Müsste ich meine poliAls Gordon Roddick, der Ehemann von Body-Shop-Gründerin Anita tische Einstellung beschreiben, dann würde ich mich am ehesten als kaRoddick, 1991 mit der Idee auf Sie zukam, ein Strassenmagazin zu tholischen Post-Marxisten einstufen. Die Frage ist aber eine andere: Magründen, wollten Sie zunächst nichts davon wissen. Warum? chen wir The Big Issue, um den Obdachlosen eine legale Gelegenheit zu Weil ich nie ein Gutmensch war. Und weil ich nichts von Wohltätigkeitsverschaffen, Geld zu verdienen? Oder machen wir das Heft, weil wir in organisationen halte. Ich verspüre gegenüber den Armen keine sentider Verantwortung stehen, den gesellschaftlichen Status quo zu veränmentalen Gefühle. Ich bin der Auffassung, dass viele Arme böse und dern? Es ist eine Gratwanderung. Einerseits setzen wir auf leicht vergemein sind, denn: Wer in schlechten Zeiten zur Welt kommt, in Slums dauliche Themen, von der sich die Käuferschar angesprochen fühlt, und vegetiert und vernachlässigt wird, benimmt sich gegenüber anderen in andererseits streben wir den sozialen Wandel an. Heute bin ich der Aufder Regel nicht sonderlich nett. Schon damals begegnete ich immer wiefassung, dass letzterer Punkt entscheidend ist. Aber sozialer Wandel der Menschen, die mit den Armen sympathisierten. Doch warum gibt es lässt sich nicht mit einem Strassenmagazin erzielen, dafür braucht es eigentlich so viele Leute, die zwar Mitleid mit den Armen haben, aber andere Kanäle. Das ist einer der Gründe, warum ich die Ernennung zum nicht das Geringste gegen die Armut unternehmen? Als Gordon mir die Baron akzeptiert habe. Dadurch gehöre ich jetzt dem House of Lords an, Idee eines Strassenmagazins schmackhaft machen wollte, sagte ich: «Von dem Oberhaus des britischen Parlaments. Ein guter Ort, um für den somir erhalten die Armen eine Chance, nichts anderes.» Er fand meine Halzialen Wandel zu werben. Wenn nötig, auch lautstark. tung lächerlich. Schliesslich war und ist er ein Geschäftsmann. Und will ■ ein Geschäftsmann beweisen, dass er Herz hat, dann verschenkt er etwas. Das ist unsinnig, aber publikumswirksam. Gordon Roddick erinnert www.thebigissue.com mich bei jeder Gelegenheit daran – natürlich mit einem Lächeln –, dass er es war, der den Erfolg von The Big Issue ermöglicht hat. Und was antworten Sie ihm? Dass er seine Glaubwürdigkeit und seinen guten Ruf mir verdankt. Wir haben nicht nur The Big Issue, sondern – zusammen mit weiteren Partnern – auch INSP gegründet, das Internationale Netzwerk der Strassenzeitungen. Wie kam es überhaupt zu Ihrer Freundschaft mit Gordon? Wir sind uns begegnet, als ich 21-jährig und er noch weit davon entfernt war, ein Multimillionär zu sein. Ich versteckte mich damals vor der Polizei, aber auch vor meiner ersten Frau und dem Sozialamt. Gordon war in dieser Zeit ein Kumpel. Danach habe ich ihn 20 Jahre lang aus den Augen verloren. Als wir uns wieder begegneten, war er schwerreich. Also belästigte ich ihn mit einigen meiner Ideen. Mir schwebte unter anderem ein Magazin für die Arbeiterklasse vor. Doch dann ist alles anders gekommen. Was war die grösste Hürde in den Anfangszeiten von The Big Issue? Dass man uns die Magazine klaute. Worauf ich den stärksten und eindrucksvollsten Verkäufer als Aufpasser einstellte. Eine grosse Hürde ist

12

John Bird wurde im Londoner Stadtteil Nottinghill geboren. Als er fünf Jahre alt war, wurde seine Familie obdachlos. Zwischen seinem siebten und zehnten Lebensjahr kam er in ein Waisenheim. Als Jugendlicher jobbte er als Austräger eines Metzgers und besserte sein Gehalt immer wieder durch Diebstahl auf. Erst nach diversen Gefängnisaufenthalten lernte der irischstämmige Brite Lesen und Schreiben und besuchte später die Chelsea School of Art. Bevor er sich selbst das Druckerhandwerk beibrachte, war er nochmals längere Zeit obdachlos. 1991 gründete er das Strassenmagazin The Big Issue, das heute von rund 2000 Verkaufenden vertrieben wird. Am 30. Oktober 2015 wurde der Sozialunternehmer ins britische Oberhaus berufen – als Baron Bird. (mig) Michael Gasser war von 2003 bis 2008 Chefredaktor von Surprise und arbeitet als freier Journalist in Basel. SURPRISE 367/16


BILD: WOMM

Bewilligungen Dauerlauf im ParagrafenDschungel Damit Menschen auf der Strasse Surprise verkaufen d端rfen, sind diverse b端rokratische H端rden zu nehmen. Vielen Verkaufenden diktiert der Staat, wie viel sie maximal verdienen d端rfen.

SURPRISE 367/16

13


VON STEFAN MICHEL

Knapp 300 Menschen verkaufen Surprise: Menschen, die auf ihrer Flucht in der Schweiz gelandet sind und solche, die schon immer hier waren, aber keinen Job im ersten Arbeitsmarkt haben. Frauen und Männer, die Sozialhilfe oder IV beziehen, Menschen, die in keine Schublade passen und die sich mit dem Strassenverkauf ein kleines Stück Unabhängigkeit erkämpfen. Über 300 000 Surprise-Magazine werden jährlich in den Städten der deutschsprachigen Schweiz abgesetzt. Damit die Verkaufenden jedoch auf der Strasse arbeiten dürfen, leisten die Vertriebsbüros einen bürokratischen Dauerlauf. Einige wenige verkaufen das Strassenmagazin im Hauptberuf und sind dabei einzig dem Steueramt Rechenschaft schuldig – so wie die meisten anderen Arbeitnehmenden der Schweiz. Sie erhalten kein Geld vom Staat und besitzen einen Schweizer Pass oder eine Niederlassungsbewilligung. Ein paar von ihnen leben vom Surprise-Verkauf, die Mehrheit betreibt diesen als Nebenjob. Ganz ohne schriftliche Vereinbarungen gehen freilich auch sie nicht ihrer Arbeit nach. Um auf öffentlichem Grund etwas verkaufen zu dürfen, ist eine «Allmendbewilligung» nötig. In den meisten Gemeinden werden diese jährlich erteilt. Einmal ausgestellt, werden sie meist ohne Diskussion gegen eine zweistellige Bearbeitungsgebühr verlängert. Die Stadt Basel gewährt die Allmendbewilligung sogar auf unbestimmte Zeit. Teuer ist Luzern, wo der Verein Surprise jährlich für fünf Standplätze 700 Franken bezahlt. Abkommen für den Verkauf hat Surprise auch mit der SBB, Migros und Coop. «Wichtig ist, dass wir mit den Zuständigen in Kontakt sind», betont Paola Gallo, Geschäftsleiterin des Vereins Surprise. «Generell läuft das sehr gut.»

chende in Basel-Stadt und Bern – zwei Kantonen mit vielen Verkaufenden – weiterhin Arbeitsbewilligungen. Zug vermittelt sogar aktiv Asylbewerber an Surprise. Kantone mit Angst ums Lohnniveau Warum gilt für Asylsuchende nicht überall in der Schweiz das gleiche Recht? Das Staatsekretariat für Migration erklärt auf Anfrage, dass die Kantone je nach Arbeitsmarktstruktur andere Bereiche für Asylsuchende öffnen. Der Bund setze nur den Rechtsrahmen. Im Kanton Zürich, wie an vielen anderen Orten, gehört der Verkauf nicht dazu. Irene Tschopp, Medienverantwortliche des kantonalen Amts für Wirtschaft und Arbeit: «Es handelt sich um eine Schutzmassnahme. Der Kanton Zürich will so ein mögliches Absinken des Lohnniveaus verhindern.» Besser ist die Situation der vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge. Das sind jene, deren Asylgesuch zwar abgelehnt wurde, die aber aus verschiedenen Gründen nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden können. Sie erhalten einzig im Kanton Baselland keine Bewilligung zum Verkauf des Magazins. Ein neues Phänomen sind die Kurzaufenthaltsbewilligungen. Diese erhalten EU- und EFTA-Bürger, wenn sie in der Schweiz einen Arbeitsvertrag von weniger als einem Jahr Dauer abschliessen. Allein der Surprise-Verkauf berechtigt jedoch nicht zum Erhalt einer solchen Kurzaufenthaltsbewilligung, Kurzaufenthalter dürfen jedoch zusätzlich Surprise verkaufen. Mit der ersten Arbeitsbewilligung für eine SurpriseVerkäuferin oder einen verkäufer ist es im Übrigen nicht getan. Denn diese gelten nur so lange wie die jeweilige Aufenthaltsbewilligung. Diese gelten meist ein Jahr, manchmal mehr, manchmal aber auch nur ein halbes. Metzner sagt: «Wir kommen kaum damit nach zu überprüfen, wie lange die Bewilligungen unserer Verkaufenden noch gültig sind, um rechtzeitig neue zu beantragen.» Auch die Bewilligungspraxis ist von Kanton zu Kanton verschieden: Einige stellen auf die schriftliche Anfrage hin ganz unkompliziert die nötigen Papiere aus. Der Kanton Aargau hingegen verlangt den Originalausweis und schickt diesen erst nach einer bis mehreren Wochen zurück. Gerade für Menschen mit begrenztem Aufenthaltsrecht in der Schweiz ist dies äusserst unangenehm, vor allem wenn sie ohne Perso-

Vielfalt der Bewilligungsverfahren Die Vertriebsbüros des Magazins sitzen in Basel, Bern und Zürich. In jedem Büro beziehen 80 bis 100 Verkaufende ihre Hefte und tauschen sich mit den Vertriebsverantwortlichen aus. Sie lassen sich beraten, nutzen den Internet-Zugang oder treffen sich einfach auf einen Kaffee oder eine Partie Tischfussball. Aufgabe der Vertriebsverantwortlichen ist es, dafür zu sorgen, dass die Verkaufenden ihrer Arbeit nachgehen können. Vereinbarungen über Standplätze machen dabei allerdings den kleineren Teil «Von einem Tag auf den anderen mussten wir den aus. Aufwendiger sind die Bewilligungen und Asyl suchenden sagen, dass sie nicht mehr verkauadministrativen Verfahren für die einzelnen fen durften.» Verkaufspersonen. Reto Bommer, Vertriebsbüro Zürich Gespräche mit den Verantwortlichen zeigen vor allem, dass sie sich mit dem Papierkrieg arrangiert haben. Bewilligungen zu beantragen, nalausweis in eine Kontrolle geraten, was ihnen je nach Aussehen und nehmen sie als wichtigen, manchmal mühsamen Teil ihrer Arbeit wahr. Wohnort regelmässig passiert. «Immerhin sind die Aargauer deutlich Es sei aber nicht ihre Hauptbeschäftigung. Anette Metzner vom Verschneller geworden, die Bewilligungen werden rasch erteilt und die Austriebsbüro Basel präzisiert: «Aufwendig wird es, wenn eine Verkäuferin weise kommen schnell zurück», sagt Metzner. oder ein Verkäufer die Bewilligung verliert und wir mit dieser Person eine Lösung suchen müssen.» Die Lohnbremse Dabei ist schon der Courant normal nicht ohne Herausforderungen. Eine ganz andere Herausforderung stellt sich bei den Surprise-VerJeder Kanton hat seine eigenen Verfahren, überall gelten andere Regeln kaufenden, die Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen zur IV- oder AHVfür Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und andere Personen mit Rente beziehen. Für das Zusatzeinkommen zu den Sozialgeldern gilt begrenztem Aufenthaltsrecht. Sozialhilfebezüger – egal welcher Nationämlich ein Freibetrag. Haben sie diesen mit dem Verkauf des Hefts ernalität – unterliegen anderen Paragrafen als IV-Rentnerinnen. reicht, wird ihnen jeder weitere Franken mit der staatlichen UnterstütAls der Kanton Zürich 2008 Menschen mit laufendem Asylverfahren zung verrechnet. Die Freibeträge variieren von Kanton zu Kanton, von verbot, Surprise zu verkaufen, war der Aufschrei gross. Reto Bommer 100 Franken in Bern bis 300 Franken im Aargau. vom Vertrieb in Zürich erinnert sich: «Es ging auf die Weihnachtszeit zu, 55 Hefte pro Monat sind es in Basel oder Zürich, bis der dort geltendie beste Verkaufszeit. Von einem Tag auf den anderen mussten wir den de Freibetrag von 150 Franken erreicht ist. Das sind pro Ausgabe 22 bis Asylsuchenden sagen, dass sie nicht mehr verkaufen durften.» Inzwi23 Hefte. Sind diese verkauft, arbeitet der Verkäufer, ohne sein Einkomschen haben die meisten Kantone nachgezogen. Anette Metzner ermen zu erhöhen, denn was er oder sie zusätzlich verdient, wird von der innert sich an eine Frau aus Bosnien, traumatisiert und depressiv. «Der Sozialhilfe abgezogen. Den meisten Verkaufenden ist klar, dass es ihnen Surprise-Verkauf war ihr Lebenselixier. Als sie nicht mehr verkaufen gut tut, zu arbeiten und unter Leuten zu sein. Trotzdem mögen nicht aldurfte, brach eine Welt für sie zusammen.» Immerhin erhalten Asylsu-

14

SURPRISE 367/16


Magazins finanziell selbständig werden. Auch kosten Menschen, die ein le ganz ohne finanziellen Anreiz bei jedem Wetter auf der Strasse steklassisches Einsatzprogramm absolvieren, ein Vielfaches. Denn bei solhen und Hefte anbieten. chen Institutionen muss die Sozialhilfe dafür bezahlen, dass eine Person Ein weiterer Grund, weshalb es für viele Verkaufspersonen nicht atmitarbeiten darf. Bei diesem Thema wird Surprise-Geschäftsleiterin Galtraktiv ist, über den Freibetrag hinaus zu arbeiten: Es dauert einen bis lo energisch: «Alle Sozialhilfebeziehenden müssten gleich behandelt zwei Monate, bis ihnen die Sozialhilfe das Zusatzeinkommen vom Sowerden.» Tatsächlich gebe der Kanton aber für Menschen in einem Einzialhilfegeld abzieht. Ein erfolgreicher Dezember kann also bedeuten, satzprogramm tausende Franken aus. Eine Surprise-Verkaufende kostet dass die Sozialhilfe im Februar oder März nur die Hälfte überweist. Das zusätzliche Geld nicht anzurühren, da es zwei Monate später fehlen wird, ist für Menschen in «Wir kommen kaum damit nach zu überprüfen, wie permanenter Finanznot eine enorme Herauslange die Bewilligungen unserer Verkaufenden noch forderung. gültig sind, um rechtzeitig neue zu beantragen.» «Die Sozialhilfe selbst rät Surprise-VerkauAnette Metzner, Vertriebsbüro Basel fenden sogar vom Zusatzverdienst ab, da sie damit nur unnötigen Aufwand verursachen», sagt Anette Metzner. Trotzdem gibt es immer den Staat hingegen nur den administrativen Aufwand, den er selber vernoch einige, die sich nicht um den Freibetrag scheren und Monat für ursacht. «Die Leute werden nicht dazu motiviert, ihr Leben selbst in die Monat so viele Hefte verkaufen, wie sie können. Reto Bommer schätzt, Hand zu nehmen. Im Gegenteil: Sie werden dafür bestraft.» dass dies in Zürich sogar auf die Mehrheit zutreffe. «Wir machen den Als mögliche Lösung nennt sie: Für den Verkauf des StrassenmagaVerkaufenden bewusst, dass es für sie ein Vorteil sein kann, wenn sie zins sollte ein höherer Freibetrag gelten. Damit die Menschen, die auf sich bemühen und mehr als den Freibetrag verdienen. Gerade wenn eieigenes Risiko Tage auf der Strasse verbringen, um Hefte zu verkaufen, ner auf eine Niederlassungsbewilligung hofft, kann das ein echter Plusdafür mit einem etwas höheren – wenn auch immer noch bescheidenen punkt sein», erklärt er. – Einkommen belohnt werden. Dafür stellte der Verein in verschiedenen Kantonen ein entsprechendes Begehren. Gallo winkt ab, der Vorstoss sei Surprise entlastet den Sozialstaat chancenlos gewesen. So schnell werde sich am Einkommensfreibetrag, Nicole Wagner, Amtsleiterin der Sozialhilfe Basel-Stadt, begründet der konkret eine Lohnbremse bedeutet, wohl nichts ändern. den niedrigen Freibetrag: «Der Freibetrag muss tief angesetzt sein, daNatürlich könnte sich der Verein stattdessen darum bemühen, als Bemit sich ein regulärer Job lohnt. Wenn man mit Sozialhilfe und Freibeschäftigungsprogramm anerkannt zu werden. Paola Gallo erklärt, watrag zu viel erhalten würde, dann wäre der Anreiz nicht mehr da, sich rum dies keine Option ist: «In diesem Fall würden uns die Ämter Menvon der Sozialhilfe abzulösen.» Tatsächlich gelingt es hin und wieder schen zuweisen, die dann Surprise verkaufen müssten. Wir aber wollen Menschen, sich über den Surprise-Verkauf aus der Sozialhilfe zu beFreiwillige und kein Geld vom Staat.» Denn dass sich die Leute aus freien. Für einen Bruttolohn von 1500 Franken bedeutet dies, monatlich freien Stücken dafür entscheiden, Surprise zu verkaufen, sei Teil des 455 Hefte zu verkaufen. Konzepts. Dafür und für die Menschen, die dieses Heft verkaufen, lohLetztlich kostet die Einkommensbremse auch die Sozialhilfe Geld. ne sich auch der bürokratische Dauerlauf. Nicht nur würden ohne diese möglicherweise mehr Menschen dank des ■

SURPRISE 367/16

15


Netzwerk – Die Strasenzeitungen im International

Afrika Südafrika Homeless Talk, Johannesburg / The Big Issue South Africa, Kapstadt Asien Taiwan The Big Issue, Taipeh Japan The Big Issue Japan, Osaka Korea The Big Issue Ko

Die Jerusalëmmer, Neumünster / Die Strasse, Schwerin / Donaustrudl, Regensburg / Draussenseiter, Köln / drobs, Dresden / FiftyFifty, Düsseldorf / FREIeBÜRGER, Freiburg / Hemp

Bremerhaven England Big Issue North, Manchester Frankreich Macadam, Lyon Griechenland Shedia, Athen Irland Ireland’s Big Issue, Dublin Italien Scarp de’ tenis, Mailand / Terre di M nieuws, Utrecht / Z!, Amsterdam Norwegen Asfalt, Stavanger / Ekko, Bodø / Erlik Norge, Oslo / Gatemagasinet Klar, Kristiansand / Megafon, Bergen / Sorgenfri, Trondheim / Virkelig,

Lissabon Russland Put Domoi, St. Petersburg Schweden Faktum, Göteborg / Situation Sthlm, Stockholm Schweiz Surprise, Basel Serbien Liceulice, Belgrad Slowakei Nota Bene, Brati

Nordamerika Kanada Alberta Street News, Edmonton / L’Itinéraire, Montreal / Megaphone, Vancouver / Street Sheet, Winnipeg USA Article 25, Cincinnati / Community Connection, Lo Change, Santa Monica / One Step Away, Philadelphia / Real Change, Seattle / Rogue Valley Community Press, Ashland / Salt Lake Street News, Salt Lake City / Spare Change News,

Street Speech, Columbus / Streetvibes, Cincinnati / StreetWise, Chicago / STREETZine, Dallas / The Amplifier, Knoxville / The Bridge, Memphis / The Challenger, Austin / The Contrib

Baltimore Südamerika Argentinien Al Margen, San Carlos de Bariloche / Hecho en Bs. As., Buenos Aires / La Luciérnaga, Córdoba Brasilien Aurora da Rua, Salvador-Bahia / Boca de

16

SURPRISE 367/16


BILD: WOMM

Network of Street Papers INSP

orea, Seoul Australien The Big Issue Australia Europa Dänemark Hus Forbi, Kopenhagen Deutschland Abseits, Osnabrück / Asphalt, Hannover / BISS, München / bodo, Dortmund /

pels, Kiel / Hinz&Kunzt, Hamburg / Parkbank, Braunschweig / Strassenfeger, Berlin / Strassenkreuzer, Nürnberg / Tagessatz, Göttingen / Trott-War, Stuttgart / Zeitschrift der Strasse,

Mezzo, Mailand Kroatien Uli ne Svjetiljke, Rijeka Mazedonien Lice v Lice, Skopje Niederlande De Riepe, Groningen / Haags Straatnieuws, Den Haag / Straatjournaal, Haarlem / StraatTromsø Österreich 20er, Innsbruck / Apropos, Salzburg / Augustin, Wien / Eibisch-Zuckerl, Wien / Kupfermuckn, Linz / Megaphon, Graz Polen Gazeta Uliczna, Poznan Portugal CAIS,

islava Slowenien Kralji Ulice, Ljubljana Tschechien Nový Prostor, Prag Ukraine Gazeta Kiev, Kiew / Prosto Neba, Lviv / The Way Home, Odessa United Kingdom The Big Issue, Glasgow

os Angeles / Denver Voice, Denver / Groundcover News, Ann Arbor / Homeless Voice, Davie / Homeward Street Journal, Sacramento / Lowcountry Herald, North Charleston / Making Cambridge / Speak Up Michigan, Traverse City / Speak Up Zine, Charlotte / Street Pulse, Madison / Street Roots, Portland / Street Sense, Washington / Street Sheet, San Francisco /

butor, Nashville / The Curbside Chronicle, Oklahoma City / The Heartland News, Omaha / The Journey, Ft. Worth / Thrive Detroit, Detroit / Toledo Streets, Toledo / Word on the Street,

e Rua, Porto Alegre / Ocas, Sao Paulo Kolumbien La Calle, Bogota Mexiko Mi Valedor, Mexico City Uruguay Factor S, Montevideo SURPRISE 367/16

17


Die 28-jährige María Portilla studierte Kunst in London, bevor sie in ihre Heimat Mexiko zurückkehrte und dort die Strassenzeitung Mi Valedor gründete.

18

SURPRISE 367/16


Mexiko Archipel der Freundschaft In Mexiko lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Armut. In der Hauptstadt Mexico-City gibt es seit letztem Jahr auch eine Strassenzeitung.

VON ANA FELKER (TEXT) UND FILIPE LUNA (BILDER)

Als ich Salomón Martínez Torres erstmals treffe, hält er eine Familienpackung Shampoo in der Hand. Er trägt sie auf seinen langen Fussmärschen durch Mexico City mit sich, weil man in der Notunterkunft nichts aufbewahren darf. Morgens um 7 Uhr muss er dort raus, ohne eine Spur zu hinterlassen. Er trägt auch ein Tagebuch bei sich, in dem er seine Gedanken, Sorgen und Beschwerden festhält, mit sichtbarer Sorgfalt in jedem Schriftzug. Ich denke an meine Handschrift, die vom vielen Gebrauch und vom schnellen Schreiben unleserlich ist, und bewundere seine Schrift. Immer wieder geht er in seinen beigen Mokkasins die gleichen Trottoirs und Pfade entlang. Mit seinen 50 Jahren hat Torres mittlerweile die ganze Stadt abgelaufen. Die Strasse ist sein Zuhause, sein Rucksack ist sein Schlafzimmer. Er nennt mich Dame, Fräulein, Absolventin, Angestellte – Wörter, die für ihn Anerkennung bedeuten. Seine Haut ist braun, er ist sehr dünn, und wenn er lacht, zeigt sich eine Lücke, dort, wo seine oberen Schneidezähne sein sollten. Um mit anderen Menschen umgehen zu können, setze er tausend Masken auf, erzählt der zarte Mann, aber auch, um sich selbst zu entkommen. Immer wiederkehrende, zwanghafte Gedanken kreisten in seinem Kopf, sagt er, wie zum Beispiel keinen Ort für seine Jacke zu haben, wenn es heiss ist. Ich begleite Torres zum Amt, wo er seine Bewilligung abholt, um Dinge auf der Strasse verkaufen zu dürfen: Noch nie zuvor hat er ein Identitätsdokument besessen. Man werde ihm die Bewilligung einige Tage später aushändigen, teilt das Amt ihm mit. Das Warten macht ihn nervös. Ständig fasst er sich ins Gesicht. Er spricht von einer Krankheit, die es ihm schwer mache, vorzeigbar auszusehen, sauber rasiert und ausgeschlafen, auch wenn er es versucht habe. Er sorgt sich um sein Erscheinungsbild. Ein offizielles Dokument würde es ihm erleichtern, sich der Normalität anzunähern, meint er, es wäre ein Beweis seiner Existenz und eine Legitimation für seinen – wenn auch manchmal schwachen – Überlebenswillen. Ich versuche, seine bruchstückhaft erzählte Vergangenheit nachzuvollziehen. Wir laufen so nah nebeneinander, dass wir ständig aneinander stossen. Gemeinsam weichen wir einem Mann aus, der auf dem Gehsteig liegt. Es sieht aus, als bewohne er eine kleine Zementinsel, SURPRISE 367/16

schiffbrüchig geworden im Meer der Menschheit. Mit Plastik, Pappe, Zeitschriften und Decken verwandeln so Tausende die feindselige Aussenwelt in ein bewohnbares Inneres. Ich frage Torres, ob er meint, dass der Mann auf irgendetwas hoffe, einen Neuanfang, oder ob er sich wohl endgültig damit abgefunden habe, nicht über einen festen Wohnsitz zu verfügen. Er erzählt mir, dass er sich vor einigen Monaten auch immer wegen Erschöpfung und Alkohol auf den Gehsteig fallengelassen habe. Ursprünglich aus Tepito stammend, einem der rauesten Gebiete der Stadt, arbeitete Torres als Händler. Wie schon sein Vater verkaufte er Kasetten. Irgendwann – an das genaue Datum kann er sich heute nicht mehr erinnern – lief etwas schief. Schulden brachten ihn für 20 Jahre ins Gefängnis, vor 3 Jahren wurde er entlassen. Torres kann sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal mit seiner Familie Kontakt hatte, aber er weiss noch ihre Telefonnummern auswendig. Er bittet mich, sie aufzuschreiben, für den Fall, dass ihm etwas zustossen sollte. «Ein Obdachloser ist jemand, der niemanden mehr hat», sagt er. Die Dunkelziffer in den Regenkanälen Geschichten wie die von Salomón Martínez Torres gibt es in Mexico City viele. Einige Notleidende sind wie Inseln, die kämpfen, um über Wasser zu bleiben; andere gleichen Archipelen – sie finden sich in stürmischen Nächten zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen. Andere wiederum gehen in totaler Unsichtbarkeit nach und nach unter. Verlässliche Zahlen über Obdachlosigkeit in Mexico City gibt es wenige. Laut der letzten offiziellen Zählung in den Notunterkünften im Jahr 2012 sind mehr als 4000 Menschen in der Stadt ohne Obdach. Fast 90 Prozent der Betroffenen sind Männer. Man muss nur in die Regenkanäle und Metrotunnel schauen, um zu ahnen, dass die Dunkelziffer weit höher liegt. Für die Nacht sucht Torres in der grössten Notunterkunft der Stadt Unterschlupf. 500 Menschen bietet die Notschlafstelle Zuflucht. Nach einem langen Tag, an dem er viel gelaufen ist, stellt er sich im Innenhof an, um in die Küche zu gelangen. Nachdem er mit einigen Bekannten gesprochen hat, geht er in ein Zimmer, das er sich mit 19 anderen Männern teilt, und legt sich auf seine Liege. María Portilla ist Mitbegründerin von Mexikos einziger Strassenzeitung Mi Valedor, deren Name auf Deutsch «mein Verteidiger» oder auch

19


20

SURPRISE 367/16

BILD: ANA FELKER

«mein Freund» bedeutet. Von 2009 bis 2012 studierte Portilla Kunst in Grossbritannien. Dort kaufte sie zum ersten Mal The Big Issue – eine wöchentlich erscheinende, unabhängige Strassenzeitung, die von 2000 arbeitslosen oder obdachlosen Menschen in Grossbritannien verkauft wird. Sie war beeindruckt von dem Projekt. Sowas sollte man auch in ihrem Land umsetzen, fand die 28-Jährige. Nationalen Kennzahlen zufolge leben in Mexiko 53.5 Millionen Menschen in Armut, was nahezu die Hälfte der Bevölkerung ausmacht. Mehr als elf Millionen davon sind von extremer Armut betroffen, das bedeutet, dass sie weder die grundlegendsten Dinge zum Überleben noch Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung haben. Eine Weile arbeitete Portilla in der Zentrale des internationalen Netzwerks der Strassenzeitungen INSP in Schottland, der gemeinnützigen Organisation, in dem sich weltweit mehr als 100 Strassenzeitungen zusammengeschlossen haben, einschliesslich The Big Issue und Surprise. Dort lernte sie die Grundlagen eines sozialen Unternehmens kennen, ein Modell, das in Mexiko bisher kaum existiert. Statt um Wohltätigkeit und Almosen zu bitten, werden hier Alternativen für ein unabhängiges Leben geboten: «Wir helfen Menschen, sich selbst zu helfen», fasst Portilla zusammen. Nach ihrer Rückkehr nach Mexiko tat Portilla sich mit Regina Rivero Borrell, Delphine Tomes, Ana Nieto, Paula García, Mariana Patrón und Elena García Mendoza zusammen. Gemeinsam recherchierte das Frauenteam, wie sie im sogenannten Hauptstadtdistrikt, dem Districto Federal oder D.F. – mit über 20 Millionen Einwohnern eine der grössten Metropolregionen der Erde – ein ähnlich geartetes Strassenmagazin etablieren könnten. Eine riesige Herausforderung angesichts des blossen Ausmasses der hier herrschenden Armut, der immensen Vorurteile sowie der Unkenntnis über Obdachlosigkeit in Mexiko. Die Zielgruppe des Projekts Mi Valedor besteht vor allem aus erwachsenen Männern, die den Grossteil der obdachlosen Bevölkerung Salomón Martínez Torres hat noch nie einen Ausweis besessen. des Hauptstadtdistriktes ausmachen. Etwa ein Drittel der mexikanischen Kinder wächst ohne Vater auf, entweder weil er sich auf die Suche nach besseren BeMit seinen 50 Jahren hat Torres mittlerweile die ganze Stadt abgelaufen. dingungen gemacht hat oder einfach «ZigaretDie Strasse ist sein Zuhause, sein Rucksack ist sein Schlafzimmer. ten holen gegangen» ist. Das Team von Mi Valedor griff dieses Thema auf und organisierte breitet, aber auch der Haupthandelsplatz der Stadt befindet sich hier, etwas für die Jungen von der Strasse: 2012 holten sie den Homeless und das seit dem 14. Jahrhundert. Bei den Händlern von La Merced World Cup nach Mexiko und richteten mit rund 168 000 Zuschauern eikann man günstig Waren en gros erstehen, dort kaufen die Menschen ne der bisher grössten Turniere im Strassenfussball aus. Klebstoff oder andere Produkte, um sie auf der Strasse für minimale Erlöse weiterzuverkaufen. Strassenerfahrung sammeln Während Portilla und ihr Team neben der Suchthilfe noch in einer Über dem Eingang zur Plaza de la Soledad im Stadtteil La Merced Notunterkunft arbeiteten, die auch Workshops anbot, begannen sie prangt ein Bogen mit den Worten «Eingang zum Leben». Dahinter liegt nach und nach potenzielle Verkäufer mit ihrer Idee von der Gründung eine verlassene Promenade und eine Kirche mit fest verschlossenen und vom Verkauf eines Strassenmagazins namens Mi Valedor zu begeisTüren. Die Strassen hier sind übersät mit Löchern, Maschinen stehen tern. Auch Salomón Martínez Torres. nutzlos herum, überall liegt Müll, der sich zu grossen Haufen sammelt. Sogar auf einem aus Stein gemeisselten Altar liegt Müll. Einige Männer Jeder nach seiner Façon liegen bewusstlos auf dem Boden, andere plaudern miteinander auf 2015 konnten die Frauen um Portilla schliesslich mithilfe von Spenkleinen Grünflächen und Bänken. Aus den Bussen hört man melanchodengeldern mit der Produktion der Zeitschrift beginnen. Das Geld aus lische Musik. Die billigste Busroute in den Südosten Mexikos startet von den Verkäufen geht direkt an die Verkäufer. Portilla hofft, dass sich die hier. Im Südosten liegt der Bundesstaat Chiapas mit einer Armutsquote Zeitschrift über Werbeeinnahmen bald selbst trägt. Derzeit kommen etvon 76.2 Prozent, in dem hauptsächlich Indigene leben. Von hier, doch wa 15 Männer montags in die Büros von Mi Valedor. Das Heft kaufen sie auch aus anderen Teilen des Landes, kommen Tausende auf der Suche für 5 Pesos, knapp 30 Rappen, und verkaufen es wieder für 20, etwa 1.10 nach einem Auskommen in die Hauptstadt. Heute leben etwa 500 000 Franken. Jeder nimmt so viel, wie er verkaufen kann: Óscar Navarrete Indigene unter prekären Umständen in der Metropolregion Mexico City. nimmt zwischen 200 und 300; Torres nimmt nur 2. Sie finden keine Arbeit, sind weit weg von ihrer Familie, viele landen auf Navarrete ist der Star-Verkäufer. Er studierte, um Lehrer zu werden, der Strasse oder in den Notunterkünften. Andere stranden auf der Plabegann jedoch Drogen zu nehmen und geriet in Schwierigkeiten. «Dann za de la Soledad, dem Platz der Einsamkeit. Hier kommen sie an und widmete ich mich der Besichtigung der Gefängnisse des Hauptstadtdisnicht weiter. trikts, bis ich müde wurde.» Als er entlassen wurde, wurde er zum DanUm sich auf die Lancierung eines Strassenmagazins vorzubereiten, dy; er trug gerne Anzüge und wohnte in Hotels. Später in der Notunterarbeiteten die Frauen von Mi Valedor an der Plaza de la Soledad als Freikunft kam er darauf, dass er das wenige Geld, das er hatte, auch für willige im Suchtzentrum. Hier sind Armut und Prostitution weit ver-


Gil Israel aus Veracruz ist eines von 12 Geschwistern und lebt lieber in einer Notunterkunft, als seine Familie um Unterst端tzung zu bitten. SURPRISE 367/16

21


Drogensüchtiger, Dandy und Gefängnisinsasse – Óscar Navarrete hatte viele Gesichter, bevor er zu Mi Valedor kam. Jetzt will er eine eigene Notunterkunft eröffnen.

22

SURPRISE 367/16


Die Verkäufer Alfredo García, Gil Israel und Carlos Ángel mit Mi-Valedor-Mitarbeiterinnen: rechts im Bild Regina Rivero Borrell.

ner Frau sprach und ihr all seine Visitenkarten zeigte, die er in seinem Alkohol und Marihuana ausgeben konnte, da er ja ein Dach über dem Portemonnaie hatte. Don Isaías hat kein Geld, aber viele Kontakte. Kopf und eine Mahlzeit bekam. Doch jetzt ist alles anders. Navarrete Im Büro von Mi Valedor treffe ich Salomón Martínez Torres wieder. möchte Geld für eine eigene Notunterkunft sparen. Er trägt die gleiche riesige Flasche Shampoo bei sich und sein Tagebuch Gil Israel hörte in einer Unterkunft von der Zeitschrift und plant, Nain seinem Rucksack. An diesem Tag strahlt er besonders. Sein Lachen varrete seinen Rekordumsatz streitig zu machen, da er bereits andere Publikationen verkauft hat. Er kommt aus Veracruz, einem von Mexikos bevölkerungsreichsEinige Notleidende sind wie Inseln, die kämpfen, um über Wasser zu bleiten Bundesstaaten. Ein paar Monate lebte er in ben; andere gleichen Archipelen – sie finden sich in stürmischen Nächeinem Regenkanal auf der Strasse. Er hat elf ten zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen. Geschwister und ein drei Monate altes Baby in der Stadt Puebla, das er nicht sieht. Er könnte mit all den Zahnlücken und seine leuchtenden Augen erhellen sein Geseine Familie um Hilfe bitten, aber «aus Stolz» bevorzugt er das Leben sicht und auch das laminierte «Rechteck», das er jetzt auf seiner Brust in der Notunterkunft, bis er genug Geld für ein eigenes Geschäft hat. Oft trägt: sein Ausweis. Endlich hat man ihm seine Genehmigung ausgebesucht er Internet-Cafés, um sich bei Facebook einzuloggen. stellt, seine Bestätigung, ein Mensch zu sein. Jetzt kann er Mi Valedor Israel überzeugte auch seine Freunde in der Unterkunft, Verkäufer zu verkaufen, ohne Ärger mit der Polizei zu bekommen. Torres bezeichnet werden: Carlos Ángel trägt ein Amulett des heiligen Judas mit einem sich selbst als «valedor» und er würde kämpfen, um diesen Namen zu verblassten Heiligenschein um den Hals. Er kommt aus Tabasco, wo behalten, der laut Wörterbuch jemanden darstellt, der etwas bedeutet. auch seine dreijährige Tochter lebt. Er arbeitete in einem Fünf-SterneFür Torres bedeutet es, ein Freund zu sein. Restaurant, musste dort jedoch aufhören und kann nun seit zwei Mo■ naten keine Arbeit finden. Alfredo García stammt aus dem Bundesstaat Mexiko, er trägt seinen Gürtel eng geschnallt, so als ob er damit seine Sorgen in Schach halten könnte. Vor zehn Jahren hörte er auf, Kleber und Lösungsmittel zu konsumieren. Gemeinsam mit Israel bekamen sie eine Schulung, wie man auf der Strasse verkauft, eine Tasche mit Zeitschriften und eine rote Weste, die sie als Verkäufer identifiziert. Don Isaías aus dem südlichen Bundesstaat Oaxaca entschied sich, in den Hauptstadtdisktrikt zu ziehen, nachdem ihm nach seiner Scheidung alle seine Kühe gestohlen wurden. Nun verkauft er Mi Valedor. Ich traf ihn, als er, gestützt auf einen Stock, mit eiAus dem Englischen von Tina Haustein / Translators Without Borders. SURPRISE 367/16

23


BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Kafi Nature Die Anzahl der angebotenen Kaffeevarianten ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten rasant angestiegen. Auf der Strecke geblieben ist hingegen der Café Nature, der mit nichts. Es gibt nur noch den Café Crème, aus dem sich zugegebenermassen auf sehr einfache Weise ein Café Nature herstellen lässt, nämlich indem man den beigelegten Rahm und Zucker nicht in die Tasse kippt. Der Unterschied ist das, was man weglässt. Und darum kostete der Café Nature auch weniger als ein Café Crème. Der Unterschied betrug bei einem Kaffeepreis von Fr. 2.00 bis 2.50 immerhin 20 bis 30 Rappen. Zucker wurde schon damals nicht verrechnet, der stand auf den Tischen, in Zuckerstreuern, die vor allem Kindern und Jugendlichen Gelegenheit zu allerhand Schabernack boten und wahrscheinlich nicht zuletzt darum als hygie-

24

nisch bedenklich eingestuft und aus dem Verkehr gezogen wurden. Die Zuckerstreuerindustrie ging sang- und klanglos unter. Der Kaffeerahm, in seiner Verpackung liebevoll Kafirähmli genannt und mit dem urschweizerischen Sammlerobjekt Kaffeerahmdeckeli verschlossen, gehört seither zum Kaffee. Er ist inbegriffen. Der ebenfalls obsolete Café Doppelcrème wird, mitunter zwar nur widerwillig, zum selben Preis abgegeben. Natürlich sind weder Rahm noch Zucker gratis, sie werden irgendwo hergestellt, verarbeitet, abgepackt, gelagert, transportiert. Die Gastronomen zahlen dafür und wälzen diese Kosten auf den Konsumenten ab – auch auf den, der diese Produkte nicht braucht. Somit ist jeder als Café Nature verzehrte Café Crème nichts anderes als eine schlecht versteckte Subvention der Zuckerrüben- und Milchbauern, der Raffinerien und Abfüllbetriebe. Das kann die Überzeugung stärken, in dieser Welt immer zu den Beschissenen zu gehören, die für andere Leute zahlen müssen. Für jene notabene, die ihren Kaffee verhunzen. Doch auch ohne solche unangebrachten Emotionen kommt man nicht um die nüchterne Feststellung herum, dass das Ganze ungerecht ist. Weil dies auch dem Servicepersonal bewusst ist, wird der Hinweis, dass man weder Rahm noch Zucker wünsche, einfach ignoriert. So wird man auch noch zum Lebensmittelverschwender oder Food Waster, wie das heute

heisst. Höchstens knausrige Wirtsleute werden die Zuckersäckchen und Rahmtöpfchen aus dem gebrauchten Geschirr klauben, das Zeug ist ja bezahlt, was soll man sich da die Finger dreckig machen. Zucker und Rahm, vor nicht allzu langer Zeit Luxusgüter, sind heute Wegwerfartikel. Ich stelle mir vor, dass das ein besonderes Dilemma für all jene darstellt, die keine Produkte aus traditioneller Tierhaltung oder gar keine tierischen Produkte kaufen wollen, weil hier Kaufzwang herrscht, selbst bei Konsumverzicht. Vielleicht erfindet ein smarter junger Mensch, der über zu viel Zeit verfügt und keinen Drang verspürt, dringlichere Problemlösungen anzubieten, in Zusammenarbeit mit der Gastronomie eine App, mit der Café-Nature-Trinker den Preis für nicht konsumierten Zucker und Rahm einer frei gewählten wohltätigen Organisation spenden können, da käme übers Jahr einiges zusammen. Es sei denn, der Café Nature wird aus dem Angebot genommen, weil ihn kein normaler Mensch mehr verlangt.

STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT (SAVVE@VTXMAIL.CH) SURPRISE 367/16


Pop Der Charme des Verruchten Provokation und Schocktherapie waren schon immer beliebte Mittel, sich im Popgeschäft ein Publikum zu verschaffen. Alles nur halb so wild, meinen The Fat White Family.

Spindeldürr, leichenbleich, die schwarzen Jeans mit undefinierbaren Flecken übersät, in der Faust ein öltriefendes Stück Pizza: Es wäre schwer, weniger gesund, weniger fit und weniger hygienisch daherzukommen, als es Lias Saudi tut. Das hat man eigentlich auch erwartet. Die Band von Lias und seinem Bruder Nathan heisst Fat White Family und gilt seit der Domestizierung von Pete Doherty als die wüsteste Schock-Combo am Rand der Londoner Musikszene. Aber gleich nach dem ersten Händeschlag nimmt das Gespräch mit Lias Saudi einen unerwarteten Verlauf. Es stellt sich heraus, dass sich hinter der provokativen Fassade ein typisches zeitgenössisches Londoner Schicksal versteckt. Nämlich entschuldigt sich der Sänger äusserst höflich für seine abgetakelte Erscheinung: Man habe am Abend vorher im nordenglischen Preston eine kleine Tournee beendet, es sei spät geworden, und da er sich ja keine permanente Bleibe leisten könne, habe er halt auf irgendeinem Sofa pennen müssen. Wie überhaupt in den letzten Monaten: Eine Zeit lang wohnte er auf dem Hausboot eines Roadie, der gerade andersweitig beschäftigt war, dann bei der Tante in Südlondon: «Aber sie hat ein Baby, da brauchte sie nicht unbedingt noch einen wie mich, der zu allen Tages- und Nachtzeiten ein und aus schlich.» Heute Abend? Er wisse es noch nicht – irgendwer werde schon eine freie Couch haben. Der Ruf der Fat White Family beruht auf ihrer Musik, einem schmutzigen Garage-Rock, den sie mit schmierigen Keyboards und Texten versehen, die im gleichen Satz gerne zwischen allerhand Körpersäften, berühmten Schriftstellern und gefürchteten Politikern pendeln. Zweitens beruht er auf ihrem Lebensstil: Drei Jahre wohnten die Saudis im Queen’s-Pub in Brixton. «Es waren ungesunde Zeiten!», gesteht Lias: «Ich war dort als Pizzaiolo beschäftigt. Aber der Bedarf hielt sich in Grenzen. Die meiste Zeit verbrachte ich mit saufen, Musik hören, proben mit der Band. Bis der Wirt mal wieder an die Tür klopfte: ‹Lias, wir brauchen zwei Peperoni›.» Noch bevor sie ihr Debut-Album «Champagne Holocaust» veröffentlichte, hatte die Band bereits den Sprung in die BouSURPRISE 367/16

BILD: STEVE GULLICK

VON HANSPETER KÜNZLER

«Dass wir als schockierend gelten, zeigt nur, wie belanglos alles andere geworden ist»: The Fat White Family.

levardpresse geschafft: Als Margaret Thatcher gestorben war, die als Premierministerin in den Achtzigerjahren angefangen hatte, die Sozialdienste zugunsten der freien Marktwirtschaft abzubauen, hängten Lias und Co. am Pub ein Banner auf: «The Bitch is Dead». «Ein glorioser Tag war das. Jede Minute habe ich in vollen Zügen genossen.» Lias grinst. «Letztes Jahr haben wir 209 Konzerte gegeben, dazwischen die Aufnahmen fürs neue Album», erklärt Lias gänzlich unaufgeregt. «Ich arbeite pausenlos. Und doch kann ich mir kein Zimmer leisten in London. Die Selbsthilfe-Organisationen früherer Zeiten sind völlig verschwunden.» Gleichzeitig fliesse das Geld in gewissen Gegenden in rauen Mengen, das sehe man an den vollen Trend-Restaurants, den coolen Kleiderläden und den vielen Neubauten: «Es ist, wie wenn wir keine Einladung fürs Bankett bekommen hätten und trotzdem gezwungen würden, zuzuschauen.» Seine Musik sei für ihn denn durch und durch ein politischer Akt: «Dass wir als schockierend dargestellt werden, zeigt nur, wie belanglos alles andere geworden ist», sagt er. «Nichts, was wir getan haben, haben andere nicht schon vor 50 oder gar 100 Jahren getan.» So ungewohnt sind

politische, satirische Lyrics heutzutage, dass selbst ein zutiefst ironischer Song wie «Goodbye Goebbels» da und dort als Glorifizierung missverstanden wird. «Songs for Our Mothers» heisst nun das zweite Album der Fat White Family. Es tauchen darauf vermehrt Synthesizer auf, dazu pervers verkorkste Disco-Rhythmen, da und dort ein dreckiger Walzer, und es bleibt das Gefühl, man befinde sich mit Iggy Pop, Donna Summer und den New York Dolls in der versifften Küche einer Krautrock-Kommune, ca. 1973. Entstanden sind die Stücke vorab in den USA: Zuerst im Studio mit Sean Lennon, der sich mit der Band nach einem gemeinsamen Konzert angefreundet hatte und sie einlud, bei ihm in New York zu wohnen. Dann in einem kleinen Studio auf dem Land. «Da konnten wir endlich arbeiten, denn es gab keine Ablenkungen.» Jetzt stehen die nächsten 209 Gigs an. Mit wem, das weiss Lias noch nicht: «Ich habe mich schon immer ans Arbeitsmodell der Avantgarde-Rocker The Fall gehalten: Wer da ist, ist da.» ■ The Fat White Family, «Songs for Our Mothers» (Without Consent/PIAS)

25


BILD: FIRST RUN FEATURES/ROSS MCELWEE

BILD: ZVG

Kultur

Mag der Tod goldgelbe Zitronen?

Mit der Kamera in der Hand gräbt McElwee die Gefühle eines Mittzwanzigers aus.

Buch Limonade für alle

DVD Festgehaltene Erinnerungen

In Jutta Bauers «Limonade» findet bei einer fröhlichen Geburtstagsfeier selbst der Tod seinen Platz.

Dokumentarfilmer Ross McElwee erinnert sich in «Photographic Memory» an seine eigene Vergangenheit. Er hofft, damit seinen spätpubertierenden Sohn besser verstehen zu können.

VON CHRISTOPHER ZIMMER VON THOMAS OEHLER

Schon der Anfang macht hellhörig. Obwohl eigentlich nichts Ungewöhnliches dabei ist, dass da ein Mädchen zu seinem Geburtstag einlädt und dass es Limonade für alle gibt. Aber die Liste der Gäste lässt aufhorchen. Denn ausser der Mutter kommen noch die Sonne, ein Brombeerbusch, Dachs und Dackel und das Gundi, ein niedliches Irgendwas zwischen Hamster und Murmeltier. Und auch dass der Dackel einen platt gefahrenen Frosch als Geschenk mitbringt, ist nicht gerade alltäglich. Doch das wirklich Aussergewöhnliche ist der späte Gast, der zuletzt an die Tür klopft. Denn es ist der Tod, der dem Mädchen gratulieren möchte. Der Tod, ganz in Schwarz und mit bleichem Gesicht, der dem Geburtstagskind sinnigerweise eine zierliche, tickende Uhr schenkt. Das kommt unerwartet, vor allem in einem Kinderbuch. Aber seltsamerweise senkt sich kein Schatten über diese Geschichte, stellt sich nichts Bedrohliches ein. Nach dem ersten kurzen Schrecken kriegt auch der bleiche Gast Limonade, so wie es sich gehört. Und es bleibt heiter und hat etwas erstaunlich Selbstverständliches, wenn der Tod wild mit der Mutter tanzt oder gar am Ende am Tisch sitzen bleibt, wenn alle schon gehen. Denn es genügt ein simples «Hau ab!», damit er verschwindet. Die Illustratorin und Autorin Jutta Bauer, 2010 mit dem Hans-ChristianAndersen-Preis – dem heimlichen Nobelpreis für Kinder- und Jugendbücher – ausgezeichnet, hat schon einige unvergessliche KinderbuchKlassiker geschaffen. Etwa das wunderbar wilde «Die Königin der Farben» oder «Opas Engel». Auch in «Opas Engel» kreiste die Geschichte bereits um das Thema Tod. Doch so verspielt und mit solcher Leichtigkeit wie in «Limonade» wurde davon wohl noch selten erzählt. Und wohl selten zuvor so unverblümt und doch ohne Grausen davon, dass der Tod etwas Alltägliches ist, etwas, das nun mal dazugehört, mit dem man sich arrangieren und dem man seinen ihm zustehenden Platz einräumen muss. Selbst dann, wenn in einer fröhlichen Runde jeder derjenige sein kann, zu dem der Tod vor allen anderen kommt. Jutta Bauer: Limonade. Aladin Verlag 2015. 19.90 CHF

McElwees Sohn Adrian sprüht vor Tatendrang und kommuniziert via Social Media auf mehreren Kanälen gleichzeitig. Seinem Vater gegenüber gibt er sich aber verschlossen. McElwees Versuch, den Kommunikationsfaden zu seinem Sohn aufzunehmen, führt ihn in die eigene Vergangenheit als Hippie und passionierter Fotograf. Er reist an den Ort zurück, wo er mit 24 Jahren lebte – in eine Kleinstadt in der Bretagne –, und versucht so, die Gefühle eines Twenties besser zu verstehen. Auf seiner Reise muss er aber feststellen, wie fremd ihm sein einstiges Selbst geworden ist. Die Menschen, die ihm damals wichtig waren, sind entweder verstorben oder haben völlig abweichende Erinnerungen an die gemeinsame Zeit. Das zunehmende Unverständnis seiner eigenen Jugend gegenüber entspricht demjenigen zu seinem Sohn – woraus am Ende zwar Melancholie entsteht, aber nicht als blosse Frustration, sondern auch als leise Hoffnung. Ross McElwee hat es mit Filmen wie «Sherman’s March» (1986) und «Bright Leaves» (2003) innerhalb der US-Independent-Szene zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Er macht Dokumentarfilme über persönlich-menschliche Themen aus radikal subjektiver Sicht. Trotzdem ist «Photographic Memory» nicht nur ein Film über eine schwierige VaterSohn-Beziehung. Er ist ebenso eine medientheoretische Auseinandersetzung zwischen analoger und digitaler Fotografie – sein Sohn produziert mit seiner Digicam Videos, ähnlich wie er einst selbst mit seiner Spiegelreflexkamera Bilder schoss. Auch die allzumenschlichen Verstrickungen einer Dreiecksbeziehung zwischen McElwee, seinem damaligen Mentor und seiner einstigen Freundin werden ganz nebenbei ausgegraben. Nicht zuletzt eröffnet der Film einen philosophischen Diskurs über die Vergänglichkeit der Zeit und die Unzuverlässigkeit der Erinnerung. Der Filmtitel wird hier zum ironischen Wortspiel und das sprichwörtlich fotografische Gedächtnis damit zum Ausgangspunkt der Erkenntnis, dass die Schärfe aller Form der Erinnerung (also auch von Fotos) gegenüber dem einst tatsächlich Erlebten zerfasert. Ross McElwee: «Photographic Memory», USA / Frankreich 2011, 87 Min., mit Ross McElwee, Adrian McElwee u. a., nur Englisch. Mit freundlicher Unterstützung von Les Videos, Zürich. www.les-videos.ch

26

SURPRISE 367/16


BILD: MARTHA CERNY

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

01

AnyWeb AG, Zürich

02

TYDAC AG, Bern

03

InhouseControl AG, Ettingen

04

Hauswirth Privat-Pflege, Oetwil am See

05

Supercomputing Systems AG, Zürich

06

Frank Blaser Fotograf, Zürich

07

Balcart AG, Therwil

08

Oechslin Architektur GmbH, Zollikerberg

09

Kaiser Software GmbH, Bern

10

Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

11

Doppelrahm GmbH, Zürich

12

Maya-Recordings, Oberstammheim

Die Cerny Inuit Collection in Bern macht mit Kunstwerken vom Polarkreis auf die Kultur und die Verwundbarkeit dieser Weltregion aufmerksam.

13

Hofstetter Holding AG, Bern

14

CMF Zentrum für Achtsamkeit, Zürich

15

Schweizerisches Tropen- und Public Health-

VON MONIKA BETTSCHEN

16

Kreislauf der Natur: «Geburt» von Abraham Anghik Ruben

Ausstellung Arktische Kunst

Institut, Basel

Beim Besuch der Cerny Inuit Collection in Bern, die zu einer der grössten Sammlungen ihrer Art weltweit gehört, wird klar: eine nachhaltige Lebensführung ist für die Bewohner nördlich des Polarkreises keine Frage des Lifestyles. Es war schon immer eine überlebensnotwendige Selbstverständlichkeit. Es ist die Verbundenheit aller Dinge, die sowohl das traditionelle wie auch das zeitgenössische Kunstschaffen dieser Region auszeichnet. Leben und Tod, Jagen und Essen, Familienleben, die grossen Kreisläufe der Natur, festgehalten in Steindrucken, auf behauenem Stein oder filigran eingeschnitzt in Tierzähne und Knochenfragmente. Das arktische Kunstschaffen zeigt auch, wie verheerend es für Mensch und Tier ist, wenn natürliche Prozesse gestört werden. Neben dem Klimawandel bedrohen Umweltverschmutzung und Rohstoffabbau das hochsensible Ökosystem und damit auch die eingespielte Lebensweise zehntausender Menschen von Alaska und Kanada über Grönland bis nach Sibirien. «Wir wollen zu einem besseren Verständnis für die Lebensweise der Inuit-Völker beitragen und über die Kunst aufzeigen, wie verwundbar und schutzbedürftig diese Region ist», sagen Peter und Martha Cerny, die das Fundament ihres Engagements Anfang der Neunzigerjahre mit dem Erwerb einer umfangreichen Sammlung älterer Inuit-Werke gelegt haben. Unermüdlich schlagen die beiden seither rund um die Welt Brücken zwischen Kunst, Kultur und Wissenschaft. «Der Zustand der Arktis geht uns alle an, deshalb haben wir neben der Kunstsammlung vor ein paar Jahren auch den Verein Gemeinsame Arktis gegründet», sagt Peter Cerny. Ausserdem ist die Cerny Inuit Collection bis Ende Februar mit der Ausstellung «Linked» im Musée océanographique in Monaco im Rahmen der Klimakonferenz COP21 präsent.

PS: Immotreuhand GmbH, Zürich

17

Bruno Jakob Organisations-Beratung, Pfäffikon

18

Jeker Architekten SIA AG, Basel

19

Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

20

Proitera Betriebliche Sozialberatung, Basel

21

Projectway GmbH, Köniz

22

Yogaloft GmbH, Rapperswil SG

23

Madlen Blösch, geld & so, Basel

24

Dr. Charles Olivier, Murten

25

Yolanda Schneider Logopädie, Liebefeld

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

Cerny Inuit Collection, Stadtbachstrasse 8a, Bern, jeweils Mi bis Sa, 13 bis 18 Uhr www.cernyinuitcollection.com SURPRISE 367/16

367/16

27


Verkaufenden-Beitrag Unser tägliches Brot Andrea Hoschek verkauft im österreichischen Salzburg die Strassenzeitung Apropos. Für den folgenden Text wurde sie 2013 vom International Network of Street Papers INSP mit dem Preis für den besten Text einer Verkaufenden ausgezeichnet.

Ich gehe meinen Weg – was wird der Tag heute noch bringen? Jemand kauft mir eine Strassenzeitung ab. Ich bekomme auch Trinkgeld und freue mich. Jetzt habe ich schon weniger Sorgen. Ich habe einige Zeit auf dem Kapuzinerberg gewohnt, in einer kleinen Höhle. Das Wasser tropfte mir regelmässig ins Gesicht – Bergwäsche eben –, trotz der Plane, mit der ich die Wände verkleidet habe. Eine Malerplane, weil ich nicht mehr Geld hatte. Ich war gesundheitlich nicht fit genug, um den Bedingungen des Sozialamtes nachzukommen. Schliesslich habe ich die Wohnung aufgegeben und auch keine Sozialhilfe mehr bekommen, die sowieso schon gekürzt war. Aus dem Aussteigen wurde eine lange Zeit, das habe ich mir so nicht gewünscht. Ich stand also morgens auf und ging den Kapuzinerberg runter, manchmal traf ich andere, die hier wohnten und auf der Staatsbrücke betteln gingen. Gut, betteln musste ich nicht, denn ich verkaufte die Strassenzeitung. Anfangs wohnte ich bei einem Freund, wo ich nichts bezahlen musste. Ich verkaufte Apropos und kochte für ihn mit. Aber seine Sauferei war zu viel für mich. Die Natur tat mir gut, aber der Schlaf blieb aus, und ich verzweifelte immer mehr. Ich suchte einen Arzt in der Nähe, weil ich mich nicht mehr so einfach in die Stadt traute ohne Schlaf. Ich hoffte, dass er mir helfen würde, wieder Sozialhilfe zu bekommen. Er meinte nur, dass ein Facharzt hilfreich wäre und dass ich nicht im Freien schlafen könne ohne Schlafsack. Für die Weisheitszähne sei Baldrian gut. Der wächst auf dem Berg, Gott sei Dank. Nur, wie sollte ich mir einen Schlafsack leisten, der noch dazu eine gute Qualität hätte? Nach über zwei Jahren bekam ich einen sehr guten Schlafsack und ein Militärzelt geschenkt. Ich führte ein erträgliches Nomadenleben. Meinen ersten Winter in der Höhle werde ich nicht vergessen. Ich versuchte die Schneeflocken romantisch zu finden, man überlegt auch nicht, was andere sagen, dass alles so geendet hat. Ich deckte mich mit teuren Pelzmänteln zu, die ich in der Kleiderkammer im Saftladen bekam. Bei einer Baustelle fand ich eine Wärmedämmung, die nahm ich, um dar-

28

BILD: HANS STEININGER

VON ANDREA HOSCHEK

Andrea Hoschek lebte jahrelang in einer Höhle auf dem Salzburger Kapuzinerberg.

auf zu liegen und nicht krank zu werden. Ich werde sie zurückbringen, dachte ich mir. Wegen der Einsturzgefahr der Höhle und auch wegen des Lärms zog ich auf die andere Seite des Berges. Ich hatte immer noch keinen Schlaf. Manchmal habe ich Angst, dass ich den Einstieg ins normale Leben nicht mehr schaffe. Ein gut funktionierendes Asyl wäre wünschenswert, damit in diesem Sozialsystem nicht vier Psychologen pro Sozialfall engagiert werden und die Leute dann trotzdem nach ein paar Monaten wieder auf der Strasse sind. Ein Heim sollte Sicherheit bieten, bis man etwas gefunden hat. Ich erinnere mich aber auch an die schöne Zeit im Freien, an den Nahkontakt mit der Natur. Ich bin dankbar für die Kleiderspenden. So kam ich auch zu einem Kamelhaarmantel, das war schon immer mein Traum, mit dem sass ich vor der Höhle. Ein Bekannter aus Oberösterreich brachte mir zweimal die Woche Bioprodukte und eine ArnikaTinktur. Ich machte ihm dafür einen Bergtee auf dem Lagerfeuer; der half bei seinen Durchblutungsstörungen. Als ich einmal krank war, versorgte mich ein Bergbewohner mit Broten

aus dem Kapuzinerbergkloster im Wald. Dort bekamen wir jeden Tag (ausser sonntags) belegte Brote, manchmal auch einen selbstgebackenen Kuchen, Obst und immer ein freundliches Gespräch. Die Müllkübel waren öfters bummsvoll. Das war eine gewaltige Entlastung für mich. Im Zelt hingen dann auf Stangen tagelang Kilos von Bananen und Biobrote und vieles andere, damit die Mäuse nicht rankommen. An den Wänden befestigte ich Perserteppiche, die ich gefunden hatte. Die Leute schmeissen viele schöne Sachen weg. Es gab aber auch Zeiten, in denen ich fast am Verhungern war und mich nur die Müllcontainer hinter den Supermärkten retteten. Ich habe nun seit fünf Jahren eine Wohnung. Es ist schön, aber auch stressig, wegen der Kriminalität in der Nachbarschaft, die nicht aufhört. Ich möchte wieder arbeiten. Darum habe ich auch Kurse besucht, einen für Reinigungskräfte und einen Computerkurs. Wenn es mir schlecht geht, gehe ich auf den Berg in eine Höhle, die ich eingerichtet habe mit einer Matratze und einem schönen Perserteppich. Alles ist so friedlich und ruhig hier, wie früher. ■ SURPRISE 367/16


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Elsa Fasil Bern

Kostana Barbul St. Gallen

Ralf Rohr Zürich

Marlis Dietiker Olten

Negasi Garahassie Winterthur

Josiane Graner Basel

Tatjana Georgievska Basel

Emsuda Loffredo-Cular Basel

Anja Uehlinger Baden

Fatma Meier Basel

Haimanot Ghebremichael Bern

Oliver Guntli Bern

Roland Weidl Basel

Daniel Stutz Zürich

Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken

1/2 Jahr: 3000 Franken

1/4 Jahr: 1500 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

1 Monat: 500 Franken

367/16 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 367/16

29


Surprise – mehr als ein Magazin

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit einem Netzwerk aus freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der ganzen Deutschschweiz. Sie kämpfen um den Titel des Schweizermeisters und des Weltmeisters beim Homeless World Cup. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen kostenlosen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine einfache und charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren. Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Gönner-Abo für CHF 260.–

Geschenkabonnement für: Vorname, Name

Strasse

PLZ, Ort

Rechnungsadresse: Vorname, Name

Strasse

PLZ, Ort

Telefon

E-Mail

Datum, Unterschrift 367/16

Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

30

Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami), Diana Frei und Sara Winter Sayilir (dif, win, Co-Heftverantwortliche), Simon Jäggi (sim), Thomas Oehler (tom), redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Olivier Joliat, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Monika Bettschen, Ana Felker, Michael Gasser, Tina Haustein, Andrea Hoschek, Lucy Kane, Hanspeter Künzler, Filipe Luna, Stefan Michel, Bernhard Müller, Christina Repolust Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 20 400, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke (Leitung), Zaira Esposito Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83/85 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Barbara Kläsi, Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40 Paloma Selma (Leitung), p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach) www.strassensport.ch Sozialer Stadtrundgang Basel T+41 61 564 90 40 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Paloma Selma (Koordination), rundgang@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Zürich T +41 44 242 72 14 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Carmen Berchtold (Koordination), rundgangzh@vereinsurprise.ch Vereinspräsident Peter Aebersold Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt: Spendenkonto PC 12-551455-3 SURPRISE 367/16


Surprise – Mehr als ein Magazin

Als Zivi bei Surprise nen. Ich lernte sie als Menschen kennen und erfuhr viel über die Bedeutung des Heftverkaufs in ihrem Leben. Viele von ihnen wenden sich mit Problemen ans Vertriebsteam. Seien es finanzielle, bürokratische oder persönliche. Die Kunst liegt dann allein schon darin abzuschätzen, inwiefern man helfen kann und überhaupt sollte, bevor man beispielsweise eine Schuldenberatung einbezieht. Bewerbungsecke, die Früchte trägt Einige sind auf der Suche nach Arbeit, weshalb ich während meines Einsatzes eine kleine Bewerbungsecke eingeführt habe, wo selbständig nach offenen Stellenangeboten gesucht werden kann. Da mir das Erstellen von Lebensläufen und Schreiben von Bewerbungen liegt und auch Spass macht, kamen mit der Zeit immer mehr Verkäufer mit ihren Bewerbungsunterlagen zu mir. Zusammen haben wir dann nach offenen Stellen gesucht und Lebensläufe sowie Bewerbungsschreiben optimiert. Bei Bedarf haben wir auch besprochen, was bei einem allfälligen Bewerbungsgespräch zu beachten ist.

Die meisten haben schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt – aus verschiedensten Gründen. Deshalb hat es mich sehr gefreut, als der erste Verkaufende mit der Nachricht kam, er habe Arbeit in einem Restaurant gefunden. Die Bewerbungsecke hat also Früchte getragen! Das Surprise-Büro dient nicht nur zur Heftausgabe oder als Bewerbungswerkstatt, sondern auch als Treffpunkt, wo sich die Leute über Verkaufstechniken austauschen, einen Kaffee trinken oder einfach eine Runde «töggele». Alles in allem war es eine schöne Erfahrung, die mir ein Stück weit die Augen öffnete und mir zeigte, dass mir ein sozialer Beruf ebenfalls Spass machen würde. Ich bin gelernter Speditionskaufmann und somit in einer komplett anderen Branche tätig. Den Kontakt zu den Verkaufenden und dem Surprise-Team werde ich glücklicherweise nicht komplett verlieren. Anfang 2016 werde ich eine Stelle als Coach der Surprise-StreetSoccer-Mannschaft übernehmen und freue mich schon riesig auf die Herausforderung! ■ Nicolas Thiébaud BILD: ANETTE METZNER

Das Strassenmagazin Surprise kannte ich von den Verkäufern, die oftmals vor Coop oder Migros stehen. Ehrlich gesagt habe ich mir aber nie viel Gedanken darüber gemacht, warum diese Leute dort stehen und was ihre Geschichten sind. Auf der Suche nach einem Einsatzbetrieb für meinen Zivildienst bin ich auf das Stelleninserat von Surprise gestossen und war bereits von der Vielseitigkeit im Stellenbeschrieb überrascht. Ich habe die Stelle bekommen und konnte in meinem sechsmonatigen Einsatz eine Menge lernen. Neben dem Vertrieb, wo sowohl die Heftausgabe als auch die Arbeit mit den Verkaufenden im Vordergrund stand, durfte ich die verschiedenen Bereiche des Betriebs kennenlernen, konnte überall aktiv mitarbeiten und meine Meinung und eigene Ideen einbringen. Ich bekam Einblick in den Strassensport, Strassenchor, ins Marketing und in die Redaktion. Natürlich war die Arbeit mit den Verkaufenden die interessanteste und wichtigste Erfahrung. Im Vertriebsbüro, wo ich arbeite, erwerben sie ihre Hefte; ich hatte täglichen Kontakt mit ih-

Nicolas Thiébaud (rechts) mit dem Basler Surprise-Verkäufer Osman Muhumed.

SURPRISE 367/16

31



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.