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Die Schafmacher Durchsetzungsinitiative und Sozialstaat Wallungen an der Kasse: Erfahrungsberichte aus dem Leben am Existenzminimum

«Ich wollte Hoffnung zeigen»: «Die Schwalbe» – Regisseur Mano Khalil im Interview

Nr. 368 | 5. bis 18. Februar 2016 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


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Titelbild: WOMM

Gleich vorweg: Mich kann man nicht ausschaffen. Ich bin als Schweizer in der Schweiz geboren. Egal, was ich mir zuschulden kommen lasse: Ich habe das Recht darauf, als Einzelfall beurteilt zu werden. Als das Individuum, das ich bin. In gut drei Wochen stimmen wir über die sogenannte Durchsetzungsinitiative ab, die die Schweiz zur Zweiklassengesellschaft machen würde. Bereits mit der Annahme der Ausschaffungsinitiative vor fünf Jahren zog man die Schrauben im Umgang mit delinquenten Ausländern stark an. Das Parlament ging bei der Umsetzung an die Grenzen dessen, was sich ein aufgeklärter, liberaler Rechtsstaat leisten kann. Enthielt das Gesetz zur Ausschaffungsinitiative noch eine Härtefallklausel, fällt diese bei der Durchsetzungsinitiative weg. Der Mensch verliert seinen Status als Individuum und wird zum Ausländer. Egal, wie lange jemand hier lebt, wie gut er oder sie AMIR ALI REDAKTOR die Sprache spricht, ob sie in der Schweiz Kinder hat oder Angestellte. Ein weniger beachteter Aspekt: Sowohl die Ausschaffungs- als auch die Durchsetzungsinitiative führen den Tatbestand des Sozialmissbrauchs ein. Wer unrechtmässig Geld aus der Sozialhilfe oder aus Sozialversicherungen bezieht, macht sich strafbar und kann ausgeschafft werden. Der SVP geht dabei es wohl um jene Menschen, die in ihrem Jargon «Sozialtouristen» heissen. Die nüchternen Berechnungen unseres Kolumnisten Carlo Knöpfel auf Seite 5 zeigen: Eine übermässige Einwanderung in die Sozialhilfe kann nicht nachgewiesen werden. Und wie schnell sich auch hier geborene Secondos und gutverdienende Expats strafbar machen, illustrieren unsere Fallbeispiele auf Seite 13. Ausländer, die in der Schweiz leben, sind keine Gäste, sondern unsere Mitbewohner. Migration hat längst in der Schweiz Wurzeln geschlagen. Damit die Gesellschaft jemanden teilhaben lässt und dieser jemand sich mit ihr identifizieren kann, braucht es gegenseitiges Vertrauen. Wer hingegen permanent aufpassen muss, was er tut, kann nicht zu einem sogenannt vollwertigen Mitglied der Gesellschaft werden. Jene, die gern Integration einfordern, randalieren jetzt mit der Durchsetzungsinitiative im Rechtsstaat. So geht jedes Vertrauen in die staatlichen Institutionen verloren (Seite 15). Der SVP geht es nicht um Integration. Die SVP will Fakten in den Gesetzesbüchern schaffen und eine unabdingbare Errungenschaft unserer Gesellschaft torpedieren: Dass wir auf Augenhöhe zusammenleben. Als die Individuen, die wir sind. Ich wünsche Ihnen eine erhellende Lektüre Amir Ali

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BILD: WOMM

Editorial Randale im Rechtsstaat


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10 Durchsetzungsinitiative Doppelte Zweiklassenjustiz AHV, IV, Ausbildungszulagen oder Sozialhilfe: Bei einer Annahme der Durchsetzungsinitiative können Menschen wegen Bagatelldelikten im Bereich der Sozialleistungen aufs Härteste bestraft werden. Experten aus der Praxis sagen, was das für das Schweizer Sozialsystem heissen würde.

16 Mano Khalil Beflügelt Eben ist sein erster Langspielfilm «Die Schwalbe» im Kino gestartet: Der Regisseur Mano Khalil ist als syrisch-kurdischer Flüchtling 1996 in die Schweiz gekommen. Seither geht er Themen rund um Migration und Identitätsfindung nach, anschaulich und durchaus unterhaltsam. Wird es das Kino sein, das den Schweizern den Kurdenkonflikt erklären kann? Ein Gespräch mit dem Regisseur, der daran glaubt.

BILD: KARIN SCHEIDEGGER

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Inhalt Editorial Individuen, die wir sind Die Sozialzahl Keine Plünderung Aufgelesen Kleinbauern droht der Niedergang Vor Gericht Toller Hecht, schwacher Geist Leserbriefe «Man darf alles, was man sich wünscht» Starverkäufer Denis Kokai Porträt Mit dem Horn durch die Wand Fremd für Deutschsprachige Unfreiwilliger Telefonsex Buch Putzen reinigt Kino Vom Markt ausgespuckt Piatto forte Ziegenfrischkäse trifft Rande Knackeboul Rappen mit Konfuzius Verkäuferporträt Der Mann mit der Elektronik Projekt SurPlus Eine Chance für alle In eigener Sache Impressum INSP Mehr als ein Magazin Ganz rot

BILD: WOMM

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BILD: FRANZISKA STAERKLE

20 Armut Gipfeli und andere Sorgen

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Ein Hund, der sein Frauchen durch den Alltag begleitet, in dem sich die Aussicht auf eine Vergünstigung im Café zum Stressfaktor verdichtet. Und ein Kind, das Bio-Gemüse vom Markt bekommt, weil Armut nicht von nachhaltiger Lebensführung abhalten soll – dafür auf die Glace verzichten muss, die für seine Klassenkameraden eine Selbstverständlichkeit ist. Zwei Geschichten, die in der Schreibwerkstatt der Caritas entstanden sind.

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Anzahl Sozi alhilfe 300 000

beziehend e und Wohn bevölkerun g (2008 bis 2014) 8 250 000

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2010 2011 Anzahl Soz ialhilfebezie hende Wohnbevöl kerung

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Quelle: Bund esamt für St atistik,

Die Sozialzahl Das Sozialhilfe-Paradoxon Seit der Finanzkrise 2008 stei gt die Zahl der Sozialhilfebeziehenden in der Schweiz Jah r für Jahr an. Diesen Trend bestätigt auch die kürzlich ersc hienene Sozialhilfestatistik des Bundes für 2014. Gleichzeitig verändert sich die Sozialhilfequote – der Anteil von Sozialh ilfebezügern an der gesamten Wohnbevölkerung – nur in sehr kleinem Ausmass. Wie ist dieses Sozialhilfe-Paradoxon zu erklären? Bezogen im Krisenjahr 2008 noch über 220 000 Menschen Unterstützungsleistungen von der Sozialhilfe, so waren es sechs Jahre später bereits meh r als 260 000 Personen. Die s entspricht einer Zunahme von rund 18 Prozent. Diese wachsende Belastung bereitet den Sozialdiensten grosse Problem e und provoziert entsprechende politische Vorstösse zur Ein dämmung dieser Dynamik. Im gleichen Zeitraum steigt die Sozialhilfequote allerdings nur von 2,9 Prozent auf 3,2 Pro zent an. Zwischen 2013 und 2014 ist sie sogar konstan t geblieben, obwohl die Zah l der Sozialhilfebeziehende n in diesem einen Jahr um mehr als 4700 Personen zugenomm en hat. Die Sozialhilfequote ist ein Bru ch mit einem Zähler und einem Nenner. Im Zähler steht die Anzahl der Sozialhilfebezie henden, im Nenner die Grö sse der Wohnbevölkerung. Die Sozialhilfequote misst also das Verhältnis zwischen dies en beiden Daten. Demnach blei bt die Sozialhilfequote meh r oder weniger konstant, wenn die Zahl der Personen, die von der Sozialhilfe unterstützt wer den, nicht wesentlich schnell er

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Sozialhilfesta tistik 2014

wächst als die Wohnbevölkerung. Tatsächlich hat nicht nur die Zahl der Sozialhilfebeziehenden, sondern auch die Einwohnerzahl der Schweiz zwischen 2008 und 2014 zugenommen, nämlich um mehr als 530 000 Personen. Dieses Wachstum der Wohnbevölkerung hat kaum mit der aktuellen Geburtenrate, aber wesentlich mit der Arbeitsmigration zu tun. Ohne anhaltende Zuwanderung von ausländischen Erwerbstätigen und deren Familien würde die Zahl der Menschen in der Schweiz nicht zu-, sondern abnehmen. Wenn aber trotz Arbeitsmigration die Sozialhilfequote praktisch konstant bleibt, so bedeutet dies nichts anderes, als dass durch den Zuzug aus dem Ausland die relative Beanspruchung der Sozialhilfe nicht grösser wird. Es findet also keine überdurchschnittliche Einwanderung von armutsbetroffenen Personen aus dem Ausland statt, die nichts anderes im Sinn haben, als den hiesigen Sozialstaat zu plündern. Im Gegenteil: Während die Sozialhilfequote der schweizerischen Wohnbevölkerung zwischen 2005 und 2014 konstant bei 2,2 Prozent verharrt, ist jene der ausländischen Wohnbevölkerung im gleichen Zeitraum von 6,6 Prozent auf 6,3 Prozent gesunken. Eine überproportionale Beanspruchung der Sozialhilfe durch die anhaltende Arbeitsmigration kann nicht nachgewiesen werden. CARLO KNÖPFEL (C.KNOEPFEL @VEREINSURPRISE.CH) BILD: WOMM

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Aufgelesen News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Mehr Konkurrenz Hannover. Im deutschen Bundesland Niedersachsen machen die hohen Flüchtlingszahlen der Mehrheit der Einwohner keine Angst. 57 Prozent fühlen sich von der Zuwanderung nicht bedroht, 62 Prozent gehen davon aus, dass die Immigranten in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Allerdings empfinden nur 50 Prozent die Flüchtlinge als Bereicherung. Etwas mehr als die Hälfte glaubt, dass die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt grösser wird.

Weniger Bauernhöfe Wien. In der österreichischen Landwirtschaft wächst die Sorge vor dem Freihandelsabkommen TTIP zwischen Europa und den USA. Kommt das Abkommen zustande, könnten die Obergrenzen für Pestizide stark ansteigen. Im Bereich der Fleischproduktion würde es zu einer starken Konzentration auf wenige Grossbetriebe kommen und für Detailhändler würde es schwieriger, gentechnisch veränderte Lebensmittel entsprechend zu kennzeichnen. Zu diesen Resultaten kommt eine Studie des Bundesverbands der grünen Wirtschaft.

Volle Lager München. Flüchtlinge in Bayern haben kaum eine Chance auf eine eigene Wohnung. So wurden zwischen Januar und Oktober vergangenen Jahres in Oberbayern zwei Drittel aller Anträge auf private Wohnsitznahme abgelehnt. Flüchtlinge müssen erst Asyl erhalten und nachweisen, dass sie selber für sich sorgen können. Der bayrische Flüchtlingsrat kritisiert diese Praxis als «Lagerpflicht». Als Folge davon seien die Asylunterkünfte stark überfüllt.

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Vor Gericht Schluss mit Partys «Es ist mir bewusst geworden, dass ich eine Persönlichkeit an den Tag legte, die nicht zumutbar war.» So redet der 33-jährige Alejandro S.* von sich. Eine Therapie habe ihm den Zugang zu seiner Seele eröffnet. Er musste erfahren, dass er ein ganz anderer ist, als er glaubte. Dass er blind war für die eigenen Unzulänglichkeiten. Er dachte, die anderen hielten ihn für einen tollen Hecht, und er war doch nur ein schwacher Geist, der sich Anerkennung mit Geld erkaufte. Mehr Schein als Sein, sagt der Secondo, Sohn von spanischen Fabrikarbeitern. Edle Anzüge tragen, chic essen gehen, Partys in den angesagtesten Clubs der Stadt und Luxus-Wochenenden in Paris, Mailand und London: «Ich habe mit den falschen Leuten verkehrt, weit über meiner Klasse.» Er hatte als Sachbearbeiter in einem Autohaus gearbeitet und Kleinbeträge vom Konto des Arbeitgebers aufs eigene umgeleitet und manchmal wieder was auf verschiedene Firmenkonten zurück. Er stopfte immer irgendwelche Löcher. Die Löcher wurden zu Kratern. Er nahm die Summe erst zur Kenntnis, als er aufflog: 89 000 Franken fehlten in der Firmenkasse. Alejandro steht im feinen grauen Anzug, mit schwarzen Lackschuhen und weissem Hemd vor Gericht, angeklagt, weil er Geld veruntreut und auch seine Arbeitskollegen bestohlen hat. Er muss als zuverlässig gegolten haben, sonst hätte ihm sein Vorgesetzter wohl nicht die Buchhaltung anvertraut. Alejandro bekam professionelle Hilfe, Schuldenberatung und Psychotherapie. Ein Gutachter diagnostizierte eine schwere narzisstische Persönlichkeitsstörung mit depressiven

Anteilen. «Eine Krankheit, Schicksal, ich habe mir das nicht ausgesucht.» Ein Quäntchen Verantwortung schreibt er ihr zu. Er demontiert sich, bis nichts mehr von dem guten Kerl übrig bleibt, der er einmal sein wollte. Er wollte immer besser sein, als er es sich leisten konnte. Er bezahlte den Eltern die Renovation ihres Häuschens in Spanien. Er erkaufte sich Freundschaften. Er übernahm den grösseren Teil in der Partnerschaft, Miete, Haushaltskasse, Ferien. Auch die Freundin verdiente, sie teilte mit ihm das luxuriöse Leben. Die Kosten teilten sie nicht. «Ihr war klar, was ich verdiente», sagt Alejandro, «aber sie hat mir diesbezüglich keine Fragen gestellt.» Als er die Klink verliess, erfuhr er, sie sei schon längst anderweitig untergekommen. Der Verteidiger verhandelt mit dem Gericht die Höhe der Strafe. Sein Mandant sei durch die Folgen seiner Tat genug bestraft: Er lebe unter dem Existenzminimum, mit seinem Job im Call Center arbeite er seine Schulden ab. Der Richter setzt die Geldstrafe, 250 Tagessätze à 50 Franken, zur Bewährung aus, weil die Prognose günstig sei. In einem halben Jahr wird Herr S. Vater. Ein Kind verbessert die Prognose. Eine Prognose, die sich auf nichts stützt als auf die vage Hoffnung, dass ein Mann sich ändert. Alejandro S. hat eine neue Lebensgefährtin, bodenständig, sparsam veranlagt. Die Feierabende und Wochenenden mit ihr sehen anders aus als früher, sie gehen spazieren und führen gemeinsam Haushaltsbuch. * alle Namen geändert

ISABELLA SEEMANN (ISEE@GMX.CH) ILLUSTRATION: PRISKA WENGER (PRISKAWENGER@GMX.CH) SURPRISE 368/16


Leserbriefe «Der Staat ist für alles verantwortlich»

Antwort von Kolumnist Carlo Knöpfel 1950 gab es noch keine obligatorische Arbeitslosen- oder Krankenversicherung, keine Ergänzungsleistungen und nur eine rudimentäre Altersvorsorge. Kaum jemand wünscht sich in diese Zeit zurück. Die Schweiz hat nach dem Zweiten Weltkrieg nur zögerlich einen Sozialstaat aufgebaut, und dieser steht bis heute in enger Beziehung zum Arbeitsmarkt. Das lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Der wenig regulierte Arbeitsmarkt und der inzwischen gut ausgebaute Sozialstaat gehören zusammen. Dass das eine ohne das andere nicht zu haben ist, ist weit-

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um akzeptiert. Mit Ausnahme der Krankenversicherung werden die Sozialversicherungen darum wesentlich über Lohnprozente finanziert, und deren Leistungen orientieren sich am entgangenen Erwerbseinkommen. Wer erkrankt, verunfallt oder arbeitslos wird, bekommt vom Sozialstaat nicht einfach Taggelder ausbezahlt, sondern wird dazu angehalten, möglichst rasch durch Arbeit wieder ein eigenes Einkommen zu erzielen. Eigenverantwortung und Autonomie sind darum wesentliche Pfeiler sozialstaatlichen Denkens. Dazu passt die Vorstellung schlecht, man müsse anderen vorschreiben, wie sie ihr Leben zu gestalten haben, um etwa der Krankenversicherung möglichst wenig zur Last zu fallen. Wer will bestimmen, was denn ein «gesunder» Lebenswandel ist? Warum soll, wer eine Risikosportart ausübt, mit höheren Versicherungsprämien belegt werden, ein Workaholic aber nicht? Warum soll übermässiger Weinkonsum belangt werden, stundenlanges Fernsehen aber nicht? Ich warne vor einem solchen Sozialstaat, der mir vorschreibt, was ich zu tun und zu lassen habe. Schon der «aktivierende» Sozialstaat, der glaubt, mit Anreizen und Sanktionen die Leute in den Arbeitsmarkt treiben zu können, ist darum ebenfalls infrage zu stellen. Wir haben solche Kontrollen und Mechanismen gar nicht nötig. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in der Schweiz schätzt die Werte und Regeln der hiesigen Arbeitsgesellschaft. Dazu gehört, einer bezahlten Arbeit nachzugehen und soziale Sicherheit zu haben, wenn es darauf ankommt. Ob diese Genügsamkeit immer gut ist, ist eine andere Frage. ■

BILD: ZVG

Nr. 364, Die Sozialzahl: «Sozial- oder Sparziel?» Mit Ihrer Aussage am Schluss des Artikels bin ich einverstanden. Aber ebenso bin ich einverstanden mit (nicht Ihrer) der Aussage, dass die ständige Ausweitung der Sozialleistungen nicht nur die Zufriedenheit fördert, sondern ebenso sehr die Anspruchshaltung. Man darf getrost die Gesundheit aufs Spiel setzen – ob mit Risikosport oder liederlichem Lebensstil. Man darf alles, was man sich wünscht, denn der Staat ist für alles verantwortlich. Woher er das Geld nimmt, braucht einen nicht zu kümmern. Die Auslagen für Soziales, 1950 etwa fünf Milliarden, sind auf etwa 140 Milliarden angestiegen, und ständig sind Organisationen jeglicher Art fleissig am Heraussuchen, wer benachteiligt sei und wer auch oder noch mehr Geld erhalten sollte. Studien sonder Zahl «belegen», was es alles noch zu tun gibt. Richard Dähler, Zürich

Starverkäufer Denis Kokai Lino Ganther aus Pfäffikon schreibt: «Heute Morgen habe ich vor dem Coop an der Klybeckstrasse in Basel einem äusserst freundlichen ungarischen Mann ein Surprise-Heft abgekauft. Er stand mit einem aufrichtigen Lächeln inmitten der gestressten Menschenmenge und wünschte trotz karger Aufmerksamkeit allen Vorbeigehenden einen guten Morgen. Wir hatten einen kurzen Smalltalk, und seine herzliche Art versüsste mir den Morgen.»

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Porträt Alles für die Kuh Armin Capaul, 64, ist stolzer Bergbauer und Alt-Achtundsechziger. Mit einer Volksinitiative will er die Protagonistin der Postkarten-Schweiz retten: die horntragende Kuh. VON AMIR ALI (TEXT) UND ANNETTE BOUTELLIER (BILD)

Auf kleinen Betrieben mit weniger als 20 Tieren sind über 40 Prozent behornt, bei mehr als 50 Kühen gerade noch 4 Prozent. Das Kuhhorn ist keine tote Materie. Nur die äusserste Schicht ist aus Horn. Im hohlen Inneren wächst ein Kuhleben lang ein Knochen, durch den sich die Ausläufer der Stirnhöhlen mitsamt Schleimhaut bis in die Hornspitzen ziehen. Mit jedem Atemzug der Kuh zieht Luft bis ins Horn. Und die Hörner sind Statussymbole, die in der Rangordnung einer Kuhherde eine wichtige Rolle spielen. Die Frage nach Verletzungen wischt Capaul mit einer Handbewegung weg: Habe die Kuh genügend Platz und der Bauer ein gutes Verhältnis zur Herde, dann passiere nichts. Armin Capaul will den Tieren «ihre Würde zurückzugeben», wie er sagt. Die Initiative ist auch ein subversiver Protest gegen eine Landwirtschaft, in der Betriebe und Maschinenpärke immer grösser und effizienter werden, die Beziehung zwischen Mensch und Tier hingegen auf der Strecke bleibt. Capaul lässt sich den einen oder anderen Seitenhieb nicht nehmen: In der Jodler-Zeitung Stubete habe er ein Inserat für die Initiative geschaltet. «Die singen doch so schöne Liedli über Kühlein mit Hörnern», sagt er belustigt, «da können sie ja auch unterschreiben.» Der Bergbauer wurde also zum Aktivisten, und die Familie ist sein Stab. Ehefrau Claudia beantwortet Telefonanrufe, nimmt Bestellungen für Unterschriftenbögen und Informationsmaterial entgegen. Die Tochter kümmert sich um den Facebook-Auftritt, der eine Sohn um die Webseite, der andere hält ihm auf dem Hof den Rücken frei. Und der Hof ist die perfekte Kulisse für Capauls Medienarbeit: Jede Woche schreibt irgendwo jemand über die Initiative, der Schweizer Bauer, die NZZ, der Spiegel in Hamburg. Gegen 2000 Zeitungsartikel sind es bis jetzt, Capaul hat eigens einen Dienst abonniert, der nachzählt. «Das haben sie jetzt davon, dass alle nur noch von Kühen und Hörnern reden.»

Der Nebel klebt noch dick zwischen den Gipfeln, als Armin Capaul seinen Subaru durch das Tal hinter Moutier steuert. Doch, der Jura sei schön, bejaht Capaul, der als Bauernjunge in der Surselva geboren und im Zürcher Industriequartier aufgewachsen ist. Und dann, nach einer kurzen Pause: «Aber die Alpen sind auch nicht schlecht. Da kommt nicht grad jeder Dahergelaufene so einfach drüber.» Von der Strasse zweigt eine kalksteingeschotterte Forstpiste ab. Im ersten Gang geht es hoch zum Hof, genannt Valengiron, was so viel heisst wie: das Tal im Schoss. Eine grosse Lichtung am Südhang, 930 Meter über Meer, was ihn zum Bergbauern mache, sagt Capaul, die Stimme sanft, schüchtern fast, aber man merkt: Da legt er Wert drauf. Seit 20 Jahren ist er hier zuhause. Und spricht kein Wort französisch. «Das ist auch besser so», grinst er aus seinem schütter-struppigen Bart hervor, «sonst würde ich mich nur überall einmischen.» Über Valengiron liegt ein Streifen Wald, ganz oben schroffer Fels und der Himmel, der an diesem Dezembervormittag als weisse Brühe nach unten drückt. Krähen rufen von einer Stromleitung, die sich im Nichts verliert. «Ich habe mich hier oben versteckt», sagt Capaul. Später, bei einer Selbstgedrehten auf dem Balkon des Stöckli, in das er mit seiner Frau vor Kurzem umgezogen ist, erzählt er von der Suche nach dem tieferen Sinn, die ihn ein Leben lang von Drogen-WGs über Reisen im bemalten Döschwo bis auf die Alp führte. Capaul suchte den Einklang von Körper, Geist und Seele. «Hier oben dann war endlich gut. Hier komme ich dem ziemlich nahe.» Armin Capaul, der in seiner speckig gewordenen Öljacke im Nieselregen steht, eine geringelte Wollkappe mit Pompon auf dem Kopf, will die Schweizer Agrarpolitik aufmischen. Er kämpft dafür, dass Kühe und Ziegen ihre Hörner behalten dürfen. Nicht nur in der Werbung und im Heidi-Film, sondern Hier ist die Schweiz noch in Ordnung, wo Armin Capaul auf dem Stallbänkli auch in den Ställen und auf den Weiden einer Pink Floyd hört, während die Kühe wiederkäuen. durchökonomisierten Landwirtschaft. Vor fünf Jahren schrieb Armin Capaul den ersten Brief ans Bundesamt für Landwirtschaft. Sein Vorschlag: ein Franken pro Tag Natürlich holt er die Kühe für das Bild nochmals aus dem Stall, obund behornter Kuh. «Ich dachte, das leuchte denen ein, und fertig», sagt wohl sie schon draussen waren. «Das ist die Marianne», stellt Capaul Capaul. Es kam anders. das Braunvieh vor, «die war schon im Tele-Heftli.» Er streicht über das Capaul ging durch alle direktdemokratischen Instanzen. Die Petition Horn, «da hat’s Blut drin und Nerven, fass mal an, das ist warm.» blieb ohne Antwort, die Motion scheiterte im Ständerat. Seit September Auch die Schafherde lässt er auf die Weide im Talschoss, die beiden 2014 läuft die Unterschriftensammlung zur «Volksinitiative für die WürEsel bimmeln mit, die Ziegen hüpfen dem Waldrand entlang, der Hund de der landwirtschaftlichen Nutztiere», kurz: Hornkuh-Initiative. Das schleicht hinterher. Und mittendrin Armin Capaul im blauen Stallhemd, Anliegen: Bauern, die ihren Tieren die Hörner lassen, sollen dafür Diden Hirtenstock in der Hand. Hier ist die Schweiz noch in Ordnung, wo rektzahlungen erhalten. Bis März müssen die 100 000 gültigen UnterCapaul auf dem Stallbänkli jeweils eine Selbstgedrehte raucht und Pink schriften beisammen sein. Spätestens seit Weihnachten ist klar, dass es Floyd hört, während die Kühe kauen und wiederkäuen. knapp werden dürfte – auch wenn Armin Capaul fast jeden Tag runterDie Kassetten für das Stallradio mischt Capaul selber, oben in seiner fährt zum Unterschriftensammeln in Zürich, Basel, Bern und auf dem Kulturecke im Estrich des Hauses. Dort archiviert er auch die DokuWeissenstein. mente und Korrespondenzen: Dutzende Ordner, Briefe von UnterstütDie Rechnung ist einfach: Eine Kuh ohne Hörner braucht weniger zern, von Ämtern und Politikern. An den Wänden hängen zwei PlakaPlatz, was den Ertrag pro Quadratmeter Stall steigert. Deshalb werden te. «Der Weg zur Quelle führt gegen den Strom», steht auf dem einen. zwei von drei Kälbern in der Schweiz kurz nach der Geburt unter loka«Allen Leuten Recht getan, ist eine Kunst die niemand kann», auf dem ler Narkose die Hornansätze weggebrannt. Laut einer repräsentativen anderen. Armin Capaul hat sich das zu Herzen genommen. «Ich wollte Umfrage sinkt die Zahl der horntragenden Kühe, je grösser der Hof ist: nie Politik machen», sagt er. «Ich tue das nur für die Kühe.» ■ SURPRISE 368/16

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Durchsetzungsinitiative Gestörtes Verhältnis Die neuen Ausschaffungsgesetze verändern auch den Sozialstaat fundamental. Ein Gespräch mit einem Anwalt, Fallbeispiele und Stimmen aus der Fachwelt.

Die Durchsetzungsinitiative, über die wir in gut drei Wochen abstimmen, wirft Fragen auf. Was passiert, wenn die Initiative angenommen wird? Für wen gelten die neuen Gesetze? Sogar von den Initianten, also der SVP, kommen dazu widersprüchliche Interpretationen. Klar ist aber: Wird die Durchsetzungsinitiative am 28. Februar angenommen, tritt sie direkt in Kraft. Wird sie abgelehnt, kommt jenes Gesetz zum Zug, mit dem das Parlament im März die Ausschaffungsinitiative von 2010 umgesetzt hat. In beiden Fällen sind fundamentale Veränderungen im Bereich des Sozialstaats zu erwarten. Denn klar ist auch: In beiden Fällen wird auf Bundesebene der Tatbestand des Sozialmissbrauchs neu geschaffen. Das ist der Anlass für diesen SurpriseThemenschwerpunkt. Strafbar macht sich, wer unrechtmässig den Bezug von Geld aus der Sozialhilfe oder aus Sozialversicherungen erwirkt.

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Auf Seite 13 finden Sie vier Fallbeispiele, die zeigen, wie wenig es dazu braucht. Während das Gesetz zur Ausschaffungsinitiative noch eine Härtefallklausel enthält, fällt diese bei der Durchsetzungsinitiative weg. Wie gut jemand integriert ist, ob er in der Schweiz Kinder hat oder Angestellte, hätte also keinen Einfluss darauf, ob er im Land bleiben darf. In manchen Kantonen, darunter Zürich, ist Sozialmissbrauch bereits jetzt strafbar. Die heutige Gerichtspraxis stuft Delikte mit einer Schadenssumme bis 300 Franken als leichte Fälle ein, sagt der Zürcher Anwalt und Sozialrechtler Pierre Heusser im Interview ab Seite 11. Diese würden nicht zur Ausschaffung führen – alle anderen müssten das Land verlassen. Es ist keine Schwarzmalerei, wenn drei Fachleute aus der Praxis behaupten, dass das Verhältnis unserer Mitbewohner ohne Schweizer Pass zu den Institutionen dadurch gestört wird (Seite 15). SURPRISE 368/16


Durchsetzungsinitiative «Die Sozialarbeiter erhalten enorme Macht» Anwalt Pierre Heusser ist überzeugt, dass die neuen Ausschaffungsgesetze zu Willkür in der Verwaltung führten. Ein Gespräch über strenge Sozialarbeiter, doppelte Zweiklassenjustiz und die Grenzen der Mehrheit.

VON AMIR ALI

Herr Heusser, eigentlich müssten Sie sich ja freuen. Egal, was am 28. Februar geschieht: Es wartet viel Arbeit auf Sie. Haben Sie Ihre Kanzlei schon ausgebaut? (lacht) Das könnte ich tatsächlich tun. Gut möglich, dass Ausländer in Zukunft neben dem Steuerberater auch einen Sozialberater haben. Expats oder Secondos, die es sich leisten können, werden sichergehen wollen, dass sie im Bereich der Sozialversicherungen keine Fehler begehen. Und wenn ein Fehler passiert, haftet nur die Beratungsfirma. Die neue Gesetzeslage wird derartige Geschäftsfelder eröffnen. Auch beim Staat wird für Anwälte Geld zu holen sein. In den Kantonen, die den Tatbestand des Sozialhilfemissbrauchs bereits jetzt kennen, wird er als Bagatelldelikt behandelt. Neu muss zum Beispiel jemand zwingend ausgeschafft werden, wenn er zwei Monate lang unrechtmässig Kinderzulagen bezogen hat. Wegen dieser gravierenden Folge dürften diese Leute alle Anspruch auf einen amtlichen Verteidiger haben. Der Präsident der Schweizerischen Staatsanwältekonferenz rechnete neulich in der NZZ mit einem zweistelligen Millionenbetrag jährlich. Was muss man tun, um sich schuldig zu machen? Man muss nichts tun. Es reicht zu wissen, dass man mehr Leistungen erhalten hat, als einem zustehen. Wer nicht meldet, dass der Sohn das Studium für eine Weltreise unterbricht und weiterhin Ausbildungszulagen erhält, macht sich strafbar. Wer beispielsweise hier im Kanton Zürich Sozialhilfe bezieht, muss jedes Jahr ein Formular ausfüllen und Einkünfte oder Vermögen angeben. Wer dort etwas verheimlicht, macht sich ebenfalls strafbar. Und Ausländer würden für diese Straftat in Zukunft eben des Landes verwiesen.

Fall zu Fall beurteilen und etwa die psychische Verfassung des Klienten berücksichtigen. Genau das aber verhindert die automatische und zwingende Ausschaffung. Wie wirkt sich die neue Gesetzeslage auf die Sozialdienste, IV-Stellen oder AHV-Ausgleichskassen aus? Die Sozialarbeiterinnen und die Sachbearbeiter bei den Sozialversicherungen erhalten eine enorme Macht über die Menschen. Sie melden heute schon Verstösse und reichen Strafanzeige ein. Bisher wussten sie: Ich mache die Meldung, und der Klient kriegt eine Busse. Jetzt entscheiden sie faktisch darüber, ob jemand im Land bleiben kann. Die Frage von Melden oder nicht Melden wird zum ethischen Dilemma. Das ist eine unglaubliche Verantwortung. Heisst das, ein Landesverweis hängt künftig auch von der politischen Einstellung einer Sozialarbeiterin oder eines Behördenvertreters ab? Es gibt, vereinfacht gesagt, zwei Typen von Sozialamtsangestellten. Jene, die sich dem Klienten verschrieben haben und ihre Hauptaufgabe darin sehen, Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu helfen. Dieser Typus könnte künftig dazu tendieren, keine Anzeige zu erstatten. Beim anderen Typus steht, oft auf Druck der politischen Vorgesetzten, die Senkung der Kosten im Vordergrund. Das sind auch die, mit denen ich in meiner Arbeit vorwiegend zu tun habe. In einer Behörde mit dieser Kultur könnte die drohende Ausschaffung zu einem Instrument in den Händen gewisser Sozialarbeiter werden. Droht ein willkürlicher Umgang mit dem Straftatbestand des Sozialmissbrauchs? Davon bin ich überzeugt. Ein Sozialhilfebezüger in einer etwas sozialeren Gemeinde kann vielleicht bleiben, während anderswo rigoros durchgegriffen wird. Das ist sehr stossend.

Können auch Schweizer Sozialmissbrauch begehen? Ist Sozialmissbrauch ein niederschwelliges Delikt? Wenn die Durchsetzungsinitiative abgelehnt wird und das Gesetz zur In jenen Kantonen, in denen Sozialmissbrauch bereits strafbar ist, war Ausschaffungsinitiative in Kraft tritt, dann steht der Artikel im Strafgedas genau der Grund für die Einführung: Um jemanden für Betrug bei setzbuch und gilt für alle. Im Fall der Durchsetzungsinitiative sind sich den Sozialversicherungen oder bei der Sozialhilfe zu belangen, muss man ihm kriminelle Energie nachweisen. Weil das oft nicht gelingt und viele davonkamen, «Als Individuum hat man Menschenrechte, einfach weil man ein Mensch schuf man den Tatbestand des Sozialmissist. Diese Rechte bilden die Grenze dessen, was die Mehrheit darf.» brauchs. Und da ist man in der Tat sehr schnell drin. Bisher wurde das als Übertretung mit eija nicht einmal die Initianten einig. Im Initiativtext aber steht der Soziner Busse geahndet, und man musste die unrechtmässig bezogenen Leialmissbrauch eindeutig unter den Bestimmungen über die Ausländer, alstungen zurückzahlen. Aber jetzt, mit der Ausschaffung als Konseso kann er wohl nur für Ausländer gelten. Das ist es, was ich als Schafquenz, erhält das eine komplett neue Dimension. fung einer Zweiklassen-Justiz kritisiere. Merken Sozialhilfebezüger, wenn sie zu viel Geld erhalten? Auffallend ist auch, dass zum Beispiel Steuerbetrug nicht auf der Das hängt wohl stark vom Betrag und den Umständen ab. Bekommt jeAusschaffungs-Liste steht. mand auf ein Mal viel mehr Geld als zuvor, dann darf man davon ausSteuerdelikte und Wirtschaftsdelikte wie falsche Buchführung oder gehen, dass er es merken müsste. Oder wenn jemand nach längerer Zeit Pfändungsbetrug führen nicht zur Ausschaffung. Das zeigt, dass die Inwieder ein Einkommen erzielt oder eine Erbschaft macht, und die Soziitianten auf eine bestimmte Gruppe Menschen zielen, und das sind sialhilfe fliesst weiter auf sein Konto, dann müsste er auch begreifen, dass cher nicht Expats und Manager von Grossbanken. das so nicht in Ordnung sein kann. Aber wie gesagt: Man muss das von SURPRISE 368/16

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Man muss aber nicht Sozialhilfe- oder IV-Bezüger sein, um sich strafbar zu machen. Kinderzulagen, Krankenkasse, AHV, Pensionskasse – wir alle haben mit Sozialversicherungen zu tun. Und alle Ausländer können wegen eines minderen Vergehens in diesem Bereich des Landes verwiesen werden.

und umgebracht wurden. Unter dem Gesichtspunkt der Mehrheitsentscheide lief das alles korrekt ab. Das zeigt, wie gefährlich es wird, wenn eine der drei Gewalten alleine und ohne Korrektiv bestimmen kann. Welche Vorteile bietet die Eliminierung des Korrektivs? Die Führung der SVP hat einen absoluten Machtanspruch, klare Vorstellungen davon, was sie will. Und man will sich dabei von nichts und niemandem einschränken lassen.

Die Zürcher SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann, die auch in der Sozialbehörde der Gemeinde Regensdorf sitzt, schrieb kürzlich, die Behörden hätten einen grossen Ermessensspielraum. Anzeige werde Und dafür schwächt sie den Rechtsstaat? in der Regel erst ab einer Deliktsumme von 10 000 Franken erstattet. Die SVP-Leute sind weder Nazis noch Faschisten. Aber nach ihrer LesIch weiss aus meiner Arbeit, dass etliche Gemeinden schon bei viel tieart kann man Menschenrechte abschaffen, wenn dies eine Mehrheit des feren Beträgen Anzeige erstatten. Ausserdem: Wenn man eine Grenze von 10 000 Franken will, dann soll man das im Initiativtext festhalten. Wir befinden aber über «Mehrheitsentscheide werden erst mit dem Schutz des Individuums zur eine Vorlage, die dazu führt, dass Menschen Demokratie. Und das Individuum wird von den Gerichten geschützt.» wegen Bagatelldelikten ausgeschafft werden. Die neuen Gesetze stellen den Sozialmissbrauch auf eine Stufe mit Verbrechen wie Mord und Vergewaltigung. Ist dies Ausdruck eines Trends zur Härte im Sozialstaat? Es gab eine Zeit der Gutgläubigkeit in der Sozialhilfe, da verliess man sich einfach auf die Angaben der Leistungsbezüger. Ende der Neunzigerjahre hat ein Wandel eingesetzt. Seither ist die Grundhaltung gegenüber Sozialhilfebezügern von Misstrauen geprägt. Früher waren mehr Leute der Ansicht: Denen muss man helfen. Heute ist das überwiegende Gefühl: Die sitzen uns auf der Tasche. Das ist salonfähig geworden. Grundsätzlich gilt ja: Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, hat auch nichts zu befürchten. Wir Menschen sind nicht perfekt. Wir begehen Fehler. Es geht nicht um jene, die sich nichts zuschulden kommen lassen. Die Frage ist: Was passiert mit denen, die gegen das Gesetz verstossen? Und wie geht die Gesellschaft damit um, was ist die angemessene und verhältnismässige Konsequenz? Offenbar ist dem Volk eine harte Hand wichtiger. Bis zu einem gewissen Punkt ist das völlig legitim, so funktioniert Demokratie. Aber jeder Volksmehrheit steht das Individuum mit seinen Menschenrechten gegenüber. Theoretisch könnten die Deutschschweizer allen Romands das Stimmrecht entziehen, das wäre ein demokratischer Entscheid. Aber er wäre nicht zulässig, die Mehrheit darf nicht alles. Als Individuum hat man Menschenrechte, einfach weil man ein Mensch ist. Und diese Grundrechte bilden die Grenze dessen, was die Mehrheit darf. Die SVP aber will, dass nichts mehr über einem Volksentscheid steht. Und das ist undemokratisch? Es ist absolutistisch. Menschenrechte und Gewaltenteilung gehen auf die Aufklärung zurück. Damals erkannte man: Weder Exekutive noch Judikative noch Legislative dürfen zu viel Macht haben. Sonst führt das zu einer absolutistischen Regierung, einem Richterstaat oder zur Diktatur der Volksmehrheit. Die drei Gewalten müssen sich gegenseitig kontrollieren. Mehrheitsentscheide werden erst in Kombination mit dem Schutz der Menschenrechte des Individuums zur Demokratie. Und das Individuum wird von den Gerichten vor unzulässigen Eingriffen geschützt. Die SVP aber versteht Demokratie als reine Arithmetik. Das ist alles sehr theoretisch. Nein, das ist es nicht. Denkt man das zu Ende, landet man bei den Ermächtigungsgesetzen in Deutschland. Die wurden den Regierungen der Weimarer Republik und später Hitler von einem ordentlich gewählten Parlament erteilt. Aber sie führten dazu, dass die Rechte gewisser Bevölkerungsgruppen eingeschränkt und am Ende Menschen enteignet

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Volkes so beschliesst. Und wenn erst einmal alle Korrektive ausgeschaltet sind, dann ist der Weg in ein totalitäres Regime frei. Ich glaube nicht, dass sich alle in der SVP dessen bewusst sind. Welche Rolle spielen denn die Menschenrechte heute in Ihrer Arbeit als Anwalt? Eine sehr wichtige. Gerade die Sozialhilfe ist die direkte Folge des Rechts auf Existenz. Nahrung, ein Dach über dem Kopf, medizinische Versorgung: Darauf habe ich aufgrund meines Menschseins ein Recht. Ein anderer Aspekt sind Verfahrensgarantien. Wenn der Staat bestrafen will, dann habe ich das Recht auf ein faires Verfahren und notfalls auf einen Anwalt. Das sind konkrete Folgen der Menschenrechte. Es ist ganz normal und auch verständlich, dass Ausländer nicht die Rechte von Staatsbürgern haben. An welchem Punkt wird das problematisch? Ich sage nicht, dass Ausländer gleich behandelt werden müssen wie Staatsbürger. Aber auch Ausländer haben das Recht darauf, als Einzelfall beurteilt zu werden. Auch in Ungarn und Polen geht nationalistische Politik an die Grenzen des Rechtsstaates, um ihre Machtbasis zu vergrössern. Sehen Sie einen gemeinsamen Ursprung dieser Tendenzen? Viele Menschen handeln und entscheiden heute aus einer Angst heraus. Angst vor sozialem Abstieg, vor globalen Veränderungen oder vor Flüchtlingen. Mir fällt es aber schwer, das nachzuvollziehen. Uns geht es so gut wie nie zuvor, und das gilt auch für Polen und Ungarn. Wovor haben Sie Angst? Ich befürchte, dass wir erleben werden, dass die Schweiz über die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention abstimmt. Wenn das geschieht, ist alles möglich. Aber eigentlich kann und will ich mir nicht vorstellen, dass es wirklich je so weit kommt. ■

Der Zürcher Anwalt Pierre Heusser, 46, ist auf Sozialversicherungs- und Sozialhilferecht spezialisiert. Er ist Vertrauensanwalt der Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht und war einer der Ersten, die 2015 öffentlich gegen die Durchsetzungsinitiative Stellung bezogen. SURPRISE 368/16


Durchsetzungsinitiative Melden oder nicht melden – das ist neu die Frage Experten sind sich einig: Die neuen Ausschaffungsgesetze führen zu höheren Kosten und schwächen die Integration.

«Es gibt heute bereits ein erprobtes System von Sanktionierungen in der Sozialhilfe, das mit der Überarbeitug der SKOS-Richtlinien gerade erst erweitert wurde. Aus Sicht der Leitenden Angestellten der Sozialhilfen besteht kein Anlass, ein noch schärferes System einzuführen. Heute suchen wir im Fall eines Verdachts auf Missbrauch zuerst das Gespräch und treffen eigene Abklärungen. Nach dem Entscheid wird dem betroffenen Klienten das rechtliche Gehör gewährt. Hat ein Klient nachweislich einen Missbrauch oder Betrug begangen, wird er sanktioniert. Bei Verdacht auf Betrug wird hingegen immer Anzeige erstattet. Es ist Sache des Gerichts, die Umstände beim Urteil zu berücksichtigen. Für uns gibt es keine Betragsuntergrenzen, jeder ungerechtfertigte Bezug muss gemeldet werden. Wir dürfen nicht selektiv melden und halten uns schlicht und einfach ans Gesetz. In den letzten drei Jahren haben wir in Basel-Stadt im Schnitt 120 Strafanzeigen pro Jahr eingereicht, was rund 2 Prozent der Dossiers betrifft. Etwa die Hälfte davon betrafen ausländische Staatsangehörige. Die Befürworter der Durchsetzungsinitiative argumentieren unter anderem mit dem Argument, dass die Kosten der Sozialhilfe mit einem Ja zur Initiative sinken werden. Diese Ansicht teilen weder ich noch meine Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss Leitende Angestellte der Städteinitiative Sozialpolitik. Im Gegenteil: Wir glauben, dass die Initiative dazu führt, dass mehr Menschen von der Sozialhilfe unterstützt werden müssen.

AUFGEZEICHNET VON AMIR ALI

«Ich habe den Eindruck, dass man sich in den Ämtern und Institutionen noch kaum bewusst ist, dass die neue Gesetzeslage enorme Konsequenzen hat für die Mitarbeitenden. Mit dem neuen Straftatbestand des Sozialmissbrauchs, der auch bei kleinen Vergehen zwingend zur Ausschaffung führt, werden Sozialarbeiter und Sachbearbeiter faktisch zu Richtern über etwas, das nicht in ihrem Verantwortungsbereich liegt respektive liegen darf.

«Den Gerichten nimmt man Spielraum weg, dafür wird Macht in der Verwaltung angehäuft.» Ein Ausländer, der nicht meldet, dass sein Sohn das Studium unterbricht und unrechtmässig ein paar hundert Franken Ausbildungszulagen bezieht, wird in letzter Konsequenz ausgeschafft. Das ist hochproblematisch. Ich habe während zehn Jahren den Rechtsdienst beim Stadtzürcher Amt für Zusatzleistungen zu AHV und IV geleitet. Daher weiss ich: Um beispielsweise eine Mietzinssenkung nicht zu melden, braucht es keine Arglist. Das ist schnell passiert, und es geht schnell um hohe Beträge. Die Entscheidung des zuständigen Sachbearbeiters, den Missbrauch zu melden, tangiert ab sofort also auch Grundrechte. Er wird sich fragen müssen, ob er es verantworten kann, dass den Kindern des Ausländers der Vater weggenommen wird und somit das Menschenrecht auf Schutz der Familie verletzt wird. Dadurch, dass die Durchsetzungsinitiative – im Gegensatz zum bereits verabschiedeten Gesetz – den Gerichten den Spielraum wegnimmt, wird die Verantwortung woanders angehäuft. Nie zuvor hat es eine vergleichbare Akkumulation von Macht in der Verwaltung gegeben. Stellt ein Mitarbeiter des Sozialdiensts oder der Sozialversicherung einen Missbrauch fest, ist er verpflichtet, diesen an seinen Vorgesetzten respektive die Sozialbehörde weiterzuleiten. Grundsätzlich haben sie dabei keinen Ermessensspielraum. In Zukunft werden sich viele aber sehr gut überlegen müssen, ob sie Meldung machen oder nicht. Mitarbeitende und Vorgesetzte in den Sozialdiensten und Sozialversicherungen werden unter viel grösserem Druck stehen. Es besteht die Gefahr, dass der Sozialmissbrauch von Amt zu Amt und von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich gehandhabt wird. Und in kleineren Gemeinden sind oft Laien auf ganz unterschiedlichen Kompetenzstufen zuständig, was das Problem zusätzlich verschärft. Es wird sehr schwierig werden, die rechtsgleiche Behandlung zu gewährleisten.» ■

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Erstens die Delinquenten selbst: Wird zum Beispiel jemand erstinstanzlich verurteilt, weil ihm die Krankenkasse irrtümlich zuviel zurückgezahlt und er diesen ungerechtfertigten Bezug nicht gemeldet hat, dann kann bei einem Rekurs viel Zeit vergehen bis zur rechtskräftigen Verurteilung. Der Betroffene wird aber seine Arbeitsbewilligung und seine Stelle verlieren. Bis er definitiv des Landes verwiesen wird, bezahlt die Sozialhilfe. Und dann sind da auch noch die Familien, die unabhängig von den Delikten betroffen sind. Stellen sie sich einen Familienvater vor, der allein das Haushaltseinkommen erwirtschaftet. Wird er – wegen was auch immer – ausgeschafft, besteht die Gefahr, dass die übrigen Familienmitglieder, die bisher auf eigenen Beinen standen, auf die Sozialhilfe angewiesen sein werden.» ■

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Uwe Koch war zehn Jahre lang Leiter des Rechtsdiensts beim Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich und ist heute Dozent für Sozialrecht an der ZHAW Soziale Arbeit am Institut Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe. Zudem ist er Mitglied des Aufsichtsrates der SVA Zürich.

«Wir glauben, dass die Initiative dazu führt, dass mehr Menschen von der Sozialhilfe unterstützt werden müssen.»

Nicole Wagner ist Amtsleiterin der Sozialhilfe Basel-Stadt und Vorsitzende der Arbeitsgruppe Leitende Angestellte der Städteinitiative Sozialpolitik, welche die sozialpolitischen Interessen schweizerischer Städte gegenüber Kantonen und Bund vertritt.

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«Die Anzeigepflicht wird heute konsequent umgesetzt – auch weil die Urteile verhältnismässig sind.» Die Leiter der Sozialämter haben einen klaren rechtlichen Rahmen. Festgestellte Missbräuche müssen gemeldet werden. Diese Anzeigepflicht wird sehr konsequent umgesetzt – auch weil die Gerichte verhältnismässige Strafen verhängen. Wird die Durchsetzungsinitiative angenommen, wäre aber schon beim Stellen der Strafanzeige wahrscheinlich, dass es selbst in leichten Fällen zur Ausschaffung käme. Die Sozialarbeiterin kann also einen Prozess anstossen, der dazu führt, dass der Klient das Land verlassen muss. Unabhängig von seiner persönlichen oder familiären Situation. Das erschwert die Beziehung zum Klienten, die in der sozialen Arbeit fundamental ist. Es geht nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch um persönliche Sozialhilfe. Integration, sei es in die Gesellschaft oder in den Arbeitsmarkt, ist ein Prozess. Man kann Auflagen verfügen und Sanktionen verhängen, aber die Klienten müssen ihrer Mitwirkungspflicht nachkommen. Der Strafarti-

kel über den Sozialmissbrauch untergräbt das Vertrauensverhältnis zwischen Klient und Behördenvertreter enorm. Und das schadet der Integrationsarbeit. Ich glaube nicht, dass die Sozialdienste darauf vorbereitet sind. Die neuen Gesetze bringen einen grossen Mehraufwand mit sich, vor allem für kleinere Sozialdienste, die keinen eigenen Rechtsdienst haben. Ganz allgemein steigt die Dossierlast der Sozialarbeitenden ohnehin bereits, und es ist schwer vorstellbar, dass sie die zusätzlichen Aufgaben mit den vorhandenen Ressourcen werden bewältigen können. Wie sie mit der neuen Situation umgehen werden, ist nicht absehbar.» ■

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«Die Zahlen sind eindeutig: Wenn ein Amt wegen Missbrauchs oder Betrugs Anzeige erstattet, dann kommt es auch in den allermeisten Fällen zu einer Verurteilung. Das zeigt, dass die Sozialarbeiter künftig de facto mitentscheiden, ob jemand im Land bleibt oder nicht.

Alexander Suter ist juristischer Mitarbeiter im Fachbereich Grundlagen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS. In seiner Dissertation «Armut und Diskriminierung» beschäftigt er sich mit Fragen zum gerechten Umgang mit bedürftigen Menschen.

Durchsetzungsinitiative Und tschüss! Diese fiktiven Geschichten orientieren sich an realen Fällen. Sie zeigen, was künftig zur automatischen Ausschaffung führen kann. VON SIMON JÄGGI

Der Umzug Ivana M. ist als Tochter kroatischer Eltern in der Schweiz geboren. Sie besuchte eine Einführungsklasse, machte später eine Lehre in einer geschützten Arbeitswerkstätte als Verkäuferin und arbeitet seither in einer Bäckerei im Verkauf. Mit knapp 20 lebt sie noch zuhause und leidet unter dem Beziehungsstreit ihrer Eltern. Wenige Monate nach ihrem Geburtstag verliert sie ihre Stelle, weil sie immer wieder zu spät zur Arbeit erschienen ist. Daraufhin zerstreitet sich Ivana M. mit ihren Eltern, denen sie die Schuld für ihre Unzuverlässigkeit gibt und verlässt das Dorf bei Solothurn, wo sie aufgewachsen ist. Nicht weit entfernt in der Agglomeration von Bern findet sie eine kleine Wohnung. Die Eltern sind skeptisch, ob ihre Tochter diesen Wechsel bewältigen kann, lassen sie aber machen. Tatsächlich sind die Herausforderungen für Ivana grösser, als sie es erwartet hat: Sie findet sich mit dem öffentlichen Verkehr am neuen Wohnort nicht zurecht, ist überfordert mit dem Einrichten der neuen Wohnung und den vielen bürokratischen Aufgaben, die mit dem Umzug verbunden sind. Nach drei Monaten und mit Unterstützung ihrer Eltern bekommt sie ihre chaotische Situation langsam wieder in den Griff. Sie richtet die Wohnung ein, schreibt den Briefkasten an und meldet sich beim Einwohneramt. Als nächstes will sie sich in ihrem vorhe-

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rigen Kanton bei der Arbeitslosenkasse abmelden, wo sie immer noch Taggeld bezieht. Sie weiss, dass sie aufgrund der Meldepflicht ihre Sachbearbeiterin bereits früher hätte über den Umzug informieren müssen. Als sie das nach vier Monaten schliesslich tut, meldet diese den missbräuchlichen Bezug von Sozialverssicherungsleistungen bei der Staatsanwaltschaft. Ivana Z. wird zu einer Geldstrafe verurteilt. ■ Gemäss Durchsetzungsinitative führt die Geldstrafe automatisch zur Ausschaffung. Weil Ivana Z. sich nicht hat einbürgern lassen, muss sie die Schweiz verlassen und nach Kroatien ausreisen.

Das Fahrrad Gemeinsam mit seinem Sohn folgte der alleinerziehende Steve Z. seinem Bruder aus Grossbritannien nach Zürich. Zu Beginn entwickelt sich sein Leben hier wie erhofft: Als erfahrener Eventmanager knüpft er rasch Kontakte und findet eine Stelle bei einer grossen Agentur. Er organisiert Veranstaltungen im gesamten Mittelland, besucht zweimal in der Woche einen Deutschkurs und schliesst neue Freundschaften. Sein Sohn besucht die erste Klasse der Primarschule. Als der Vater nach zwei Jahren eine Frau kennenlernt und sich verliebt, fühlt er sich in Zürich erstmals ganz zuhause. Doch fünf Jahre später trennt sich seine PartneSURPRISE 368/16


rin von ihm, Steve Z. fällt in eine tiefe Krise, bereits als Jugendlicher erlebte er eine Depression, die ihn jetzt wieder einholt. Er geht in eine Therapie, nimmt Medikamente, seiner Arbeit kann er nicht weiter nachgehen. Als er sich langsam wieder auffängt, hat die Krankentaggeldversicherung ihre Zahlungen bereits eingestellt und Steve Z. ist bei der Sozialhilfe angelangt. Seine geräumige Stadtwohnung musste er aufgeben. Mit der Hilfe seines Bruders kommt er langsam wieder auf die Beine und beginnt mit der Suche nach einer neuen Stelle. Finanziell ist er aber nach wie vor auf die Sozialhilfe angewiesen. Zum 13. Geburtstag möchte er seinem Sohn, der in den vergangenen zwei Jahren auf vieles verzichten musste, ein Fahrrad schenken. Sein Bruder leiht ihm dafür 600 Franken, bei der Sozialhilfe unterlässt es Steve Z., dieses Darlehen zu melden. Als seine Fallführung einige Monate später von dem neuen Fahrrad des Sohnes erfährt, fragt sie bei Steve Z. nach, der ihr vom Darlehen erzählt. Die Fallführung betrachtet die verschwiegene Kreditaufnahme als Sozialmissbrauch und erstattet Anzeige, das Gericht teilt ihre Ansicht und verurteilt Steve. Z zu einer Geldstrafe. ■

Als S. einen Monat vor ihrer Pensionierung auf ihrem Konto sieht, dass sie bereits eine erste Rente erhalten hat, freut sie sich darüber und beschliesst, diese zu behalten. Sie denkt, die Versicherung werde sich dann selber melden, falls sie den Fehler bemerkt. Dann feiert S. ihren letzten Arbeitstag und reist wenig später mit dem Enkel und ihrer Tochter nach Kalifornien, wo sie selber aufgewachsen ist und bis zu ihrem 30. Lebensjahr gelebt hat. Seit ihrem letzten Besuch sind mehr als zehn Jahre vergangen, der Ort ihrer Heimat kommt ihr seltsam unvertraut vor. Zurück in der Schweiz kümmert sie sich weiter um den Enkel, während ihre Tochter und ihr Schwiegersohn viel Zeit im Geschäft verbringen. Drei Monate später entdeckt die Pensionskasse die fälschliche Auszahlung der Rente für jenen Monat, in dem sie noch berufstätig war. Nachdem sie die Frau zu einem Gespräch vorgeladen hat und diese zu Protokoll gab, die unrechtmässige Zahlung bemerkt zu haben, reicht die Pensionskasse eine Anzeige ein. S. wird zu einer Geldstrafe verurteilt und muss das Land verlassen. ■

Gemäss Durchsetzungsinitative führt die Geldstrafe automatisch zur Ausschaffung.

S. Duchamp verlässt die Schweiz ohne ihren Mann, der noch einige Jahre von der

Steve Z. muss nach Grossbritannien zurückkehren, seinen Sohn nimmt er mit.

Pensionierung entfernt ist und reist zurück nach Kalifornien.

Die Pensionskasse S. Duchamp arbeitete viele Jahre als Abteilungsleiterin eines Pharma-Unternehmens in der Nordwestschweiz. Weil Zeit- und Produktionsdruck in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen sind, entscheidet sie sich für eine frühzeitige Pensionierung. Ein Grund dafür ist auch ihre Tochter und deren dreijähriger Sohn. Sie will mehr Zeit für ihren Enkel haben, um ihre Tochter und deren Mann etwas zu entlasten.

Weitere Fallbeispiele unter www.matthiasbertschinger.ch

Gemäss Durchsetzungsinitative führt die Geldstrafe automatisch zur Ausschaffung.

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«Die Menschen in Kurdistan funktionieren anders»: der syrisch-kurdische Regisseur Mano Khalil.

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Mano Khalil «Man versteht nicht, wer wir sind» «Die Schwalbe» führt uns ins irakische Kurdistan. Der Regisseur Mano Khalil gilt unterdessen als Schweizer Vorzeige-Filmemacher. Jahrelang war er hierzulande aber ein syrisch-kurdischer Flüchtling wie jeder andere auch. Zuerst lebte er mit hunderten anderen im Flüchtlingsheim, danach machte er erst mal einen ScheissJob – im wörtlichen Sinn.

VON DIANA FREI (INTERVIEW) UND KARIN SCHEIDEGGER (BILDER)

In «Die Schwalbe» nehmen Sie Ihre Hauptfigur Mira an der Hand und führen Sie ins irakische Kurdistan. Was hat sie am Schluss des Films vom ganzen Konflikt im Land verstanden? Das Publikum ist der Nachrichten vom Krieg überdrüssig geworden, der Explosionen und des Todes. Ich wollte das vermeiden. «Die Schwalbe» ist kein Kriegsfilm. Ich zeige nur Spuren vom Krieg. Die Sicherheitsmassnahmen gegen den IS, die Checkpoints in Kurdistan haben mich mehr interessiert als die Zerstörungen. Die Situation dieser Region ist gefährlich, eine Zeitbombe. Aber ich wollte auch zeigen, dass Kurdistan für die ganze Region eine Hoffnung ist. Christen und Muslime leben hier zusammen. Meine Hauptfigur Mira ist mutig, aber kein James Bond. Sie begibt sich auf eine Reise, die ihr Leben verändert. Der Film baut auf Miras bescheidenem Wissensstand auf. Es werden Begriffe wie «Peschmerga» erklärt, die politische Situation wird erläutert. War Ihnen nebst dem Geschichtenerzählen wichtig, Wissen zu vermitteln? Ja. Für mich ist es wichtig, dass Mira Kurdistan verstehen lernt. Nicht alle Menschen wissen, was Peschmerga heisst. Erst in den letzten paar Monaten, als der IS angefangen hat, gegen die Kurden zu kämpfen, ist der Begriff hierzulande in der breiteren Öffentlichkeit aufgetaucht. Aber die Peschmerga, die heute den Grossteil der irakisch-kurdischen Kampfeinheiten stellen, existieren seit 80 Jahren. Mira macht in ihrer Lebensweise, in ihrer Art, wie sie Dinge entdeckt, eine Entwicklung durch. Sie entspricht meiner Vorstellung von vielen Menschen, die keine grosse Ahnung von Kurdistan haben. Ich wurde immer wieder mal gefragt, ob die Kurden Araber und die kurdische Sprache Türkisch sei. Man versteht nicht, wer wir sind. Das liest sich zuweilen wie eine Aufforderung an ein westliches Publikum, dass man sich interessieren soll. Steckt darin auch Kritik? Nein, Kritik an den Zuschauern nicht unbedingt. Aber an der Oberflächlichkeit. Daran, dass man zum Beispiel denkt: Wenn ich ein bisschen Geld dabeihabe, kann ich machen, was ich will. Man denkt sich: Der Orient ist ein Bazar, das weiss man doch. Man stellt sich vor, man SURPRISE 368/16

müsse die ganze Zeit feilschen. Aber die Menschen in Kurdistan funktionieren anders. Das steckt in Film drin. Mira nimmt ein Taxi und der Taxifahrer sagt: «20 Dollar», sie sagt: «Ich gebe dir zehn» und denkt sich dabei: «Du Teppichhändler». Er sagt ihr dann: «Ich habe dich nicht belogen. Behalte dein Geld, und willkommen in Kurdistan.» Am Ende des Films nimmt sie wieder das Taxi. Aber anders. Die Taxiszene zeigt, dass sie mit einem falschen Bild hingeht. Genau. Wie die Sache mit dem Kopftuch. Sie geht nach Kurdistan und meint, sie müsse ein Kopftuch tragen. Es gibt aber viele Frauen, die ohne Kopftuch unterwegs sind. Das Kopftuch ist eine Tradition, aber kein religiöser Zwang. Niemand befiehlt dir, ein Kopftuch zu tragen. Wenn du als Schweizerin in Kurdistan ein Kopftuch trägst, fühlen sich die Frauen unter Umständen eher verarscht als verstanden. Es wird auch spürbar, dass sich ein Konflikt dermassen in die Seelen der Menschen eingraben kann, dass sie nicht mehr frei sind in ihren Gefühlen. Spiegelt das eine Realität? Meine Geschichte ist Fiktion, aber ich habe versucht, ein realistisches Bild des irakischen Teils Kurdistans zu zeichnen. Es gab Zeiten, in denen die Brutalität vonseiten Saddam Husseins gross war und auch Kurden mit ihm zusammengearbeitet haben, die Dschahschs. Sie haben für Saddam gegen das eigene Volk gearbeitet und dafür Geld bekommen. Die Spuren sind bis heute in der Seele der Menschen spürbar. Sie haben noch bis Anfang der Neunzigerjahre ihre Familien verloren. Es sind nicht nur Splitter von Granaten, die geblieben sind. Auch die Seele des Menschen braucht jahrelang, um sich zu reinigen. Für den Film benötigen Sie Bilder für die Hoffnungen und Verletzungen des Volkes. Eins davon ist die Baustelle, die die Denkweise von Mira und ihrem kurdischen Begleiter Ramo zugleich vereinigt und trennt. Für mich ist es ein Bild von Enttäuschung, von falschen Hoffnungen. Hier treffen sich zwei Welten. Ramo weiss von Anfang an, wer Mira ist. Er kennt ihre Geschichte. Aber sie hat keine Ahnung. Sie träumt von ihrem Vater als Held, der die Welt retten wollte, von einem grossen Drachenkämpfer. Für sie sind die Bagger Drachen, Saddams Schergen, ge-

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Mano Khalil in seinem Atelier im Berner Kulturzentrum PROGR.

gen die ihr Vater vermeintlich gekämpft hat. «Es sind nicht nur Splitter von Granaten, die geblieben sind. Auch die Seele Aber Ramo weiss genau, dass ihr Vater kein des Menschen braucht jahrelang, um sich zu reinigen.» Drachenkämpfer war, sondern im Gegenteil genau auf der anderen Seite stand. Er selbst erNachrichten auf viele verschiedene Weisen aufarbeiten. Man nimmt innert sich hier an Schüsse, an seine tote Tante, an seinen eigenen, tozum Beispiel die offiziellen Nachrichten der türkischen Regierung und ten Vater. Das ist der Konflikt zwischen den beiden. verbreitet sie. Oder man geht in die Dörfer und fragt: Was passiert hier zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Bevölkerung? Wenn Hilft Mira Ramo dabei, auch seinen Ballast abzuwerfen? die türkische Armee eine Frau auf offener Strasse tötet, bleibt sie sieben Sicher. Sie sind beide auf der Suche, sich selbst zu finden. Ramo ist am Tage liegen, weil die Familie sie nicht holen darf, wie kürzlich in DiyarEnde absolut befreit von seinem Teufelskreis. bakir geschehen. Aber darüber spricht fast niemand. Statt dass wir uns von diesem Sturm an Nachrichten so mitreissen lassen, sollten wir uns Das klingt, als ob «Die Schwalbe» ein Happy End hätte. eine eigene Meinung bilden. Sogar der Tod kann eine Befreiung sein. Eine kurdische Frau kämpft für ihre Rechte, kämpft gegen den IS und stirbt dabei. Das ist ein freier Tod. Sie selbst kommen aus Syrien. Gab es da je eine junge Generation, Sie befreit sich von diesen ganzen verdammten brutalen Lügnern. Im die etwas Neues aufzubauen versuchte? Gegensatz zur Frau eines saudiarabischen Königs, die in einem Palast Vor fünf Jahren gingen die Menschen auf die Strasse, sie wollten eine wie eine Sklavin lebt und sexuell ausgebeutet wird. demokratische Gesellschaft aufbauen. Sie sahen ein Syrien, in dem die Menschen in Würde leben. Aber es hat nicht funktioniert. Weil der DikMira ist die Schweizerin, die sich aufmacht, die Situation vor Ort tator es nicht zugelassen hat. Es hat zu einem Bürgerkrieg geführt. Dieauszukundschaften, während sich ihr Schweizer Freund Stefan die se Menschen, die damals auf der Strasse waren und demonstriert haben, Welt ausschliesslich über die Medien aneignet. Ich interpretiere, sind von den Waffen verdrängt worden. Ich habe damals mitgemacht. dass man den Nahen Osten über Zeitungsberichte und Fernsehbilder Zur Zeit der syrischen Revolution habe ich über Facebook Leute konnicht verstehen kann. taktiert und wahnsinnig viele ihrer Handy-Aufnahmen auf Youtube verDas ist wirklich so. Viele Dinge erfährt man aus den Medien. Aber hey, öffentlicht. Aber als Waffen ins Spiel kamen und der Krieg begann, war Leute, manchmal gibt es auch eine andere Realität. Da sitzt zum Beispiel das nicht mehr meine Sache. Ich unterstütze so etwas nicht. Die junge ein Journalist in Beirut und spricht über Baghdad. Er ist fast 1000 KiloGeneration, die den Aufbruch wollte, ist sozusagen schon wieder ausmeter weit von Baghdad weg. Bis zum Irak sind zwei Länder dazwigestorben. Diese Menschen sind auf der Flucht. Jetzt kümmert sich jeschen, Syrien und Jordanien. Er könnte gerade so gut zuhause bleiben, der um sein eigenes Überleben. um seinen Bericht zu machen. Das ist die Medienrealität. Man kann

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aus entstand «Triumph of Iron». Ich schickte den Film nach Solothurn, Gibt es denn keine nennenswerten Literaten, Theater- oder Filmwo er einen Anerkennungspreis gewonnen hat, zudem wurde er beim schaffenden mehr im Irak und in Syrien? Die Region hat mit dem Schweizer Filmpreis als bester Kurzfilm nominiert. Später, als ich in Gilgamesch-Epos immerhin eine grosse Erzähltradition. Bern lebte, kam ich zu einem Berater, der Flüchtlinge integrieren sollte. Historisch betrachtet war Mesopotamien ein Ort, wo die Kultur ein Als ich sagte, ich sei Filmemacher, meinte er nur: «Dann gehen Sie doch hohes Niveau hatte. Je stärker der Islam wurde, desto mehr ging zunach Hollywood.» Zwei Wochen später rief er mich an und sagte: «Sie grunde. Als die Engländer im Irak und die Franzosen in Syrien und im Libanon waren, gab es so etwas wie eine Modernisierung. Das war eine Entwicklung, die «Zur Zeit der syrischen Revolution habe ich über Facebook Leute kontaktiert vom Zweiten Weltkrieg bis in die Siebzigerund ihre Handy-Aufnahmen auf Youtube veröffentlicht. Aber als Waffen ins jahre dauerte. Die Frauen in Baghdad konnten Spiel kamen, war das nicht mehr meine Sache.» einen Rock tragen, sie hatten kein Kopftuch. Aber der arabische Nationalismus, die Diktasind doch Künstler. Wollen Sie im Theater arbeiten?» Ich antwortete eutur hat vieles wieder zunichte gemacht. Kinos werden geschlossen, die phorisch: «Ja!» Und dann putzte ich fünf Jahre lang Toiletten im Theater werden kleiner. Heute gibt es im arabischen Irak kein einziges Schlachthaus-Theater in Bern. Es war nicht so, dass ich einfach hierher Kino. Man ist dort der Auffassung, der Film widerspreche grundsätzlich kam und meine Filme gemacht habe. dem Islam. In Irakisch-Kurdistan beginnt man nun neu, in den EinkaufsMalls ein paar Kinos zu bauen. Unterdessen gelten Sie als Berner mit kurdischen Wurzeln und haben dieses Jahr mit «Die Schwalbe» die Solothurner Filmtage eröffAus dem Iran dagegen kommen zurzeit viele Filme. net. Sind Sie jetzt ein Schweizer Filmemacher? Das ist auch eine strategische Entscheidung. Die Tradition des Kinos war Wenn Film eine Nationalität hätte, wäre ich wahrscheinlich kurdischer, im Iran immer da. Der Schah hat wahnsinnig viele Künstler unterstützt, tschechoslowakischer, Schweizer, europäischer und Nahost-Filmemaman hat fast so etwas wie ein Hollywood aufgebaut. Und als Khomeini cher. Nur glaube ich, die Filmsprache ist eine allgemein menschliche. kam, hat sich das nicht geändert. Die Schiiten haben einen etwas andeTrotzdem ist es eine Ehre für mich, wenn man mir sagt, ich sei ein ren Zugang zur Kunst als die Sunniten. Für strenge Sunniten ist jede Schweizer Filmemacher. Darstellung eine Imitation der Schöpfung und damit verboten. Statuen ■ sind verboten, die Malerei ist verboten, auch Singen ist verboten, Musik ist verboten. Die Schiiten haben eine andere Mentalität. Der Iran ist aber auch eine Propagandamaschinerie und will sich als demokratisches Land mit vielen Filmemachern darstellen. Aber klar, es gibt dort tolle Regisseure, die auch versuchen, der Zensur zu entgehen.

Wofür waren Sie im Gefängnis? 1988 gab es in Bratislava ein kleines Festival. Dort haben sie einen meiner Filme gezeigt und ein Foto von mir und ein paar Zeilen veröffentlicht: «Mano Khalil, Kurde aus Syrien, studiert bei uns Filmregie.» Als ich später nach Syrien ging, wurde ich an der Grenze abgefangen. Ich müsse innerhalb von 48 Stunden beim Geheimdienst in Damaskus erscheinen. Dort haben sie mir den Artikel unter die Nase gehalten, und die einzige Frage, die sie mir stellten, war: «Wieso sagst du, dass du Kurde bist? Es gibt keine Kurden in Syrien.» Sie haben in der Schweiz einen Dok-Film über einen kurdischtürkischen Flüchtling gemacht, «Der Imker». Der professionelle Bienenzüchter musste hierzulande in der Behindertenwerkstätte Ricola-Bonbons abpacken. Ihre eigene Biografie sieht anders aus, Sie haben hier schnell Filme gedreht. Wie hat das funktioniert? Das stimmt überhaupt nicht. Ich habe drei Jahre unter hunderten von Leuten in einem Flüchtlingsheim im Tessin gewartet. Da rief ich einmal das Tessiner Fernsehen an und sagte, ich wolle im Flüchtlingsheim einen kleinen Film drehen, ein Porträt über mich selbst. Das interessierte sie nicht. Ich habe mir dann privat eine Kamera ausgeliehen, und darSURPRISE 368/16

Mano Khalil wurde 1964 in Qamishli im syrischen Kurdengebiet geboren. Er studierte in Damaskus von 1981 bis 1986 Jus und Geschichte, bevor er sich an der Film- und Fernsehakademie Bratislava in der damaligen Tschechoslowakei zum Regisseur ausbilden liess. 1996 kam er in die Schweiz. Hier sind unter anderem seine Dokumentarfilme «Unser Garten Eden – Geschichten aus dem Schrebergarten» und «Der Imker» entstanden. Der Spielfilm «Die Schwalbe» war der Eröffnungsfilm der Solothurner Filmtage 2016.

«Die Schwalbe» Auf dem Dachboden findet die Bernerin Mira Briefe ihres totgeglaubten Vaters, weswegen sie ins irakische Kurdistan reist, um ihn zu suchen und ihre Wurzeln zu entdecken. In der Begegnung mit dem Kurden Ramo gerät sie in politische Verflechtungen, die sie erst allmählich zu verstehen lernt. Der Film zeigt uns die krisengeschüttelte Region nicht als Kriegsfilm, sondern heruntergebrochen auf eine nachvollziehbare persönliche Geschichte. «Die Schwalbe» beobachtet, wie sich die Politik auf das Denken und das Gefühlsleben der Menschen auswirken kann, und die überschaubare Handlung hilft, den komplexen Konflikt zu thematisieren. Das ist einerseits ein guter Schachzug, um Verständnis für die Kurden zu schaffen, und hat anderseits zuweilen etwas allzu didaktische Züge. (dif) Mano Khalil: «Die Schwalbe», CH 2016, 102 Min., mit Manon Pfrunder, Ismail Zagros u. a. Der Film läuft zurzeit in den Deutschschweizer Kinos.

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Wie sind Sie selbst Regisseur geworden? Ich habe in Damaskus Jura und Geschichte studiert, nebenher arbeitete ich als Lehrer. Bis mir jemand sagte: Wenn du hier in Syrien Lehrer bist, dienst du Assad und seinem Regime. Deshalb habe ich mir gedacht: Der beste Weg, mich mit der Situation im Land auseinanderzusetzen, ist Filme zu machen. Ich ging für das Filmstudium in die Tschechoslowakei. In Syrien drehte ich nur einen einzigen Kurzfilm. Ich wurde dafür ins Gefängnis gesteckt. Danach verabschiedete ich mich von Syrien. Ich hätte nur bleiben können, wenn ich als Sklave von Assad und seinem Regime gearbeitet hätte. Wenn ich für sein Fernsehen gearbeitet und Filme gemacht hätte, die das Regime unterstützt hätten.


Armut Einkehren für Fortgeschrittene Wie ein Hund Frauchens Spiessrutenlauf durch die Café-Landschaft erlebt und wo die Glace in der Badi herkommt: Betroffene schreiben über ihr Leben am Existenzminimum.

VON ELIF UND MIA RIZZOLI (TEXTE) UND FRANZISKA STAERKLE (ILLUSTRATIONEN)

Begegnung der dritten Art und lasse Elif von Zeit zu Zeit daran teilhaben, damit sie aus dem einengenden Dasein entschwinden kann. Frische Luft macht aber auch hungrig, und da sie, als glückliche Besitzerin einer KulturLegi, sich nicht jeden Kafi für ein Café vormachen lässt, achtet sie exakt darauf, bei wem sie ihr Geld ausgibt. Eines Tages standen wir vor einer Cafeteria. Sie blickte mich fragend an und meinte, ob wir es probieren sollen? Die paar Typen, die in ihre Schriften vertieft waren, würden in dieser grossen Halle keinen Stress verursachen. Ich nahm ei-

Kafi mit Scham Ich weiss nicht, woran Frauchen leidet, aber ich sehe sie oft weinen, wenn wir unbeobachtet sind. Manchmal wegen Schmerzen, manchmal wegen Verletzungen: innerer, und manchmal, weil sie am PC sitzt und – wie sie dem Vorgang sagt – Rechnungen bezahlt. Auch in der Nacht wache ich über sie. Des Öfteren wecke ich sie auf, indem ich meinen Kopf unter ihren Arm Das Wort Vergünstigung schien Frauchen irgendwie in Wallungen zu lege und wippe, weil sie schweissgebadet und versetzen. Wobei mir noch immer unklar ist, ob dies nun ein gutes oder herzrasend daliegt, und dies nicht nur in der ein schlechtes Wort ist. Sommerhitze, sondern auch in tiefer, kalter Wintersnacht. Als geborener Hütehund weiss nen olfaktorischen Hauch von frischen Gipfeli wahr und wusste genau, ich meine Schäfchen zu bewachen. Doch – wie heilt man eine gedass Frauchen jetzt kaum noch davon abzuhalten war, diese Kantine zu schundene Seele? Da wir in der (natürlich hellhörigen) Wohnung nicht betreten. Sie schritt durch den Eingang und stand alsbald in der kurzen rumtoben dürfen, weil die Nachbarn vom unteren Stock jede kleine BeSchlange der Mensa einer Hochschule für, sagen wir mal: kreative Dawegung auf Zehenspitzen mit einem Gepolter zur Decke quittieren, verseinsverschwendung. In der Zwischenzeit war leider ein Gong erklunbringen wir den Tag so weit wie möglich irgendwo zwischen Verkehrsgen, und ich roch förmlich die Probleme aus den Gängen schleichen. insel und Vergünstigungen oder ruhend. Also hechtete Elfchen – wie ich Ungeduldig beobachtete ich die Szenerie hin und her. Die ganze Kantimein Frauchen nenne – wie jeden frühen Morgen meinem lebensfreune wurde mit Leuten überflutet. Vorher, als der Saal noch leer war, digen Habitus hinterher. Ich erkenne hinter jedem Schmetterling eine

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konnte Frauchen in Ruhe die Preistafel für Studenten und die daneben säuberlich aufgelistete Inflation für Normalverdienende studieren. Je länger sie auslotete, umso überfüllter wurde die Bühne des Geschehens. Die Reihe war an ihr. Leise fragte Elfchen die Dame hinter dem Buffet, ob hier die KulturLegi auch gelte, und hielt ihr zart hoffend den Pass für Studierende, Sozialhilfebezüger und Ergänzungsleistungsempfänger hin. Die Frau fragte Elif entsetzt, was denn das nun wieder sei, und riss sich mit ihrer Pranke Frauchens Pass unter ihre Nägel! Die Kassiererin gellte laut und für jeden in der Mensa hörbar: «KulturLegi, ein Angebot der Caritas», nahm dabei ihre A4-Seite von Studentenvergünstigungen zur Hand und glich sie, weiterhin laut artikulierend, mit dem Pass ab. «Caritas, Caritas, Caritaaaas» – mit jeder weiteren Nennung sackte Elif tiefer zusammen. Inzwischen war wohl jedem klar, dass Frauchen einen Caritas-Pass hatte und vor Scham gerade im Boden versank. «Nei, Caritasbonus hend mer nüd. Sie könnd aber trotzdem bi üs en Kafi neh, zum Normalpriis!» – «Nei danke!», entgegnete Elif mit neugewonnener Frechheit und kroch aus ihrem Loch heraus, «mir isch es grad vergange!», und wir beide, Frauchen und ich, stolzierten hoch erhobenen Hauptes direkt ins Café – gegenüber. Eine Woche später gingen wir an der Uni für angewandte Menschlichkeit ebenfalls einen Kaffee trinken. Die Dame fragte meine Elif, ob sie eine Vergünstigungskarte besitze. Ich roch schon die gleichen Probleme aufkommen wie beim letzten VerSURPRISE 368/16

such, als sie diesen Pass hervornuuschelte. Das Wort Vergünstigung schien Frauchen irgendwie in Wallungen zu versetzen. Wobei mir noch immer unklar ist, ob dies nun ein gutes oder ein schlechtes Wort ist. So wie es letztes Mal ausging, musste es was Schlechtes sein. Frauchen nickte mit dem Kopf und bejahte, wies aber die Dame hinter dem Tresen darauf hin, dass diese wohl nicht akzeptiert würde. Die Lady fragte nach dem Pass, schaute sich kurz das Verfallsdatum an und meinte freundlich: «bi mir isch en Vergünstigung en Vergünstigung» und tippte den kleineren Preis in die Kasse. Voller Glückshormone steuerte Frauchen auf mich zu. Erleichtert stupste ich sie in die Wade und gewann einen Happen vom leckeren Gipfeli. Ich denke, es kommt nicht auf dieses Wort oder diesen speziellen Pass an, sondern auf den Umgang der Menschen untereinander, welcher darauf folgt. ■

Elif landete als kaufmännische Angestellte in den Buchhaltungsabteilungen auf helvetischem Boden. Schliesslich kam ihr durch Krankheit, Scheidung und Jobverlust innerhalb weniger Monate alles abhanden, eine Teilrente kam hinzu. Elif lebt in der besten Stadt der Schweiz.

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viel Geld ausgebe. Mittlerweile lässt sich Mia aber nicht mehr auf Im Juli Grundsatzdiskussionen ein. Sie speist alle mit derselben StandardantEs ist heiss! Mias Pneu klebt förmlich am Asphalt. Sie hat gerade wort ab: Da wir nicht mehr spenden können, ist dies unser kleiner Beiunterrichtet und fährt jetzt mit ihrem klapprigen Dreigänger die Rosentrag für eine bessere Welt! Nach dem Mittagessen bietet Mia ihrer Siegartenhalde hoch, um vor dem Nachhausegehen noch fürs Mittagessen benjährigen Eis an. Das in weiser Voraussicht, da sie den Nachmittag im einzukaufen. Am liebsten wäre sie heute Morgen mit dem ÖV zur ArSchwimmbad verbringen werden und sie sich dort weder Eis noch Pombeit gefahren; hat jedoch aus finanziellen Gründen darauf verzichtet. Eimes oder sonst etwas vom Kiosk erlauben kann. «Warum nid, Mami?», ne Tageskarte in der Stadt Zürich kostet fast neun Franken, und dieses fragt das Kind schliesslich in der Badi. «Weil du heute schon ein Dessert Geld gibt sie lieber für Essenzielles aus. «Eine grosse Zucchetti, und von gehabt hast!» «Aber Mami, das isch sälbergmacht gsy, s’kaufte Glace wo kommen die Aprikosen?», meint Mia, als sie am Marktstand an der isch vill besser!» Mia geht nicht auf die Argumentation ihrer Tochter ein. Reihe ist. «Aus Italien», erwidert die junge Verkäuferin. «Habt ihr keine «Das isch gemein», doppelt das Mädchen nach und legt ihre Stirn in Falmehr aus dem Wallis?» Das Mädchen schaut hilfesuchend den älteren ten. Mit verkniffenem Gesicht, währenddem die nassen Zöpfe auf die Mann an, der mit ihr zusammen den Biostand führt, und dieser antKirschen tropfen, erklärt sie inbrünstig: «Aber denn düen mir do Pomwortet: «Erst im September wieder!» «Also gut, dann nehme ich halt ein mes zum z’Nacht ässe!» «Nein», entgegnet Mia bestimmt, «wir werden halbes Kilo Kirschen, die haben doch Saison bei uns, oder?» Die Marktzuhause Abendbrot essen.» Das Kind sitzt weiterhin tropfend und nachfahrerin nickt lächelnd und stellt das Gewünschte für Mia zusammen. «Nein danke, ich brauche keinen Plastiksack, tun Sie bitte einfach alles hier rein!», sagt Mia «Nein mein Schatz, wir sind nicht arm! Wir sind nur weniger reich als und überreicht der Marktfahrerin einen kleialle anderen, die wir kennen!» nen Hanfsack. Nachdem sie bezahlt hat, überquert Mia den Marktplatz, um bei einer Baudenkend auf dem Badetuch, bis es kurze Zeit später kundtut: «Gäll Maernfamilie Salat zu kaufen. Diese betreibt zwar keine ökologische Landmi, mir sind arm!» Mia stockt, während sie nach einer Antwort sucht. wirtschaft, doch ihr Hof befindet sich auf dem Stadtgebiet, und sie «Nein, mein Schatz, wir sind nicht arm … denn Armut oder Reichtum fahren ihre Ware jeweils mit dem Traktor zum Verkauf, was Mia äusserst wird nicht am Geld gemessen! Wir sind reich, denn wir haben einander sympathisch findet. Regional angebaute Esswaren zu kaufen, ist Mia und gute Freunde. Aber vor allem haben wir ein Zuhause, genug zu estrotz geringem Budget ausnehmend wichtig! Um ihre Tochter entspresen und können sogar in die Badi, wenn es so heiss ist wie heute!» Das chend zu sensibilisieren, gehen sie samstags auch zusammen auf den Mädchen zeigt sich unbeeindruckt und kontert: «Aber d Sonja het es Markt. Durch das kunterbunte Treiben, mit dem Zusammenspiel aus Mami und en Papi und e Schwester! Und sie händ es Dahei und sie äsverschiedenen Eindrücken und Gerüchen, hat das Kind spielend gelernt, se JEDESMOL GLACE und POMMES wenn sie in d’Badi gönd! Plus sie was wann Saison hat. Zusätzlich erspart sich Mia die Wutausbrüche, gönd in Europapark und ins Hotel …». Und und und, führt das Kind seiwenn sie mit ihrer Tochter mal im Supermarkt einkauft und das Kind ne Liste weiter. Mia wird klar, dass sie den falschen Ansatz gewählt hat! zum Beispiel im Winter Erdbeeren haben will – was Mia natürlich nicht Sie wartet geduldig, bis ihre Tochter mit der Aufzählung fertig ist, und erlaubt. Nur Nachbarinnen oder Arbeitskollegen haben ihr deswegen antwortet dann, indem sie jedes Wort einzeln betont: «Nein, mein Kopfzerbrechen bereitet, indem sie ihr vorhielten, dass sie fürs Essen zu Schatz, wir sind nicht arm! Wir sind nur weniger reich als alle anderen, die wir kennen!» Es ist heiss! Viel zu schwül, um eine solche Diskussion hier und jetzt weiterzuführen. Mia drückt ihrer Tochter einen Fünfliber in die Hand. Sie denkt dabei aber entgeistert an die Folgen: Morgen wird sie wieder mit dem Rad über den Milchbuck fahren müssen. Gut, spinnt Mia weiter, aber dann hätte sie das Glace-Geld ja fast doppelt eingespart – so dass sie heute protzen könnte. Ohne schlechtes Gewissen folgt Mia ihrer Tochter zum Kiosk und gönnt sich ein kaltes Panaché. ■ Mia Rizzoli, geboren und aufgewachsen im Baselbiet, arbeitete zehn Jahre als Fernsehjournalistin und Filmemacherin. Mit 31 hängte sie ihre Karriere an den Nagel, um in Südostasien als Tauchlehrerin zu arbeiten. Der fatale Unfall ihres Lebenspartners und Vaters ihres damals ungeborenen Kindes brachte sie zurück in die Schweiz – nach Zürich, wo sie seitdem Teilzeit als Deutschlehrerin arbeitet.

Die beiden Texte stammen aus der Schreibwerkstatt «Leben am Existenzminimum» der Caritas Zürich. Surprise druckt sie in leicht redigierter Fassung. Mehr Texte sowie Zahlen und Fakten rund um Armut und Sozialhilfe finden sich in der Caritas-Broschüre «Leben am Existenzminimum aus persönlicher und sozialpolitischer Sicht». Sie kann gratis bestellt werden unter: http://www.caritas-zuerich.ch/p53002648.html

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Fremd für Deutschsprachige Meier Eins der frühesten Erlebnisse im Zusammenhang mit sexueller Belästigung hatte ich so in der vierten oder fünften Klasse. An dem Abend war ich allein daheim mit den Geschwistern, meine Eltern waren kurz einkaufen gefahren. Da klingelte das Telefon. Ein Mann stellte sich als «Meier Martin» vor und fragte, ob Mami und Papi zu Hause seien. Ich verneinte und fragte, ob der Mann von der Firma sei, bei der mein Vater arbeitete. Ich könne ihn bitten, zurückzurufen. Da fing Meier Martin allerdings plötzlich an komisch zu atmen und fragte mich, ob ich denn schon ein bisschen Brüste bekommen hätte. Das widerwärtige, halsabschnürende Gefühl, das mich sofort durchfuhr und meine Hände zum Zittern brachte, würde mir später noch öfters begegnen, und ich würde lernen, damit SURPRISE 368/16

besser umzugehen, mich zu distanzieren. Doch damals konnte ich das weder einordnen noch relativieren. Einen Augenblick überlegte ich noch, erneut nachzufragen, ob er denn nun von der Firma meines Vaters sei, legte dann aber den Hörer ohne ein weiteres Wort auf. Das war sicher keiner von der Firma Meier. Das war wahrscheinlich überhaupt kein Meier, sondern konnte sonst was sein, ein Gasser, Huber, Neukomm … Der unheimliche Typ wusste wahrscheinlich, wo ich wohnte, hatte er unsere Nummer doch sicher aus dem Telefonbuch. Möglicherweise kannte er mich, wohnte im selben Dorf, vielleicht in einem der Häuser gegenüber. Womöglich würde er wieder anrufen oder mir auflauern. Er war komplett im Vorteil. Ich dagegen wusste gar nichts über ihn, ausser dass er Klettgauerisch sprach und sich als Martin Meier ausgab. Klettgauerisch aber sprachen alle um mich herum, das heisst alle, ausser der paar aus Zürich, Italien und Ex-Jugoslawien zugezogenen Leute. Das half mir kaum mehr dabei, diesen Menschen zu eruieren, als der falsche Name, unter dem er bei seinen Telefonbelästigungen vorstellig wurde. Und dennoch war mir dieser eine Zeit lang Symbol für das Erlebte und die damit verbundenen Ohnmachtsgefühle. Meier, das stand für Erniedrigung, für Angst. Um mich gegen diesen keuchenden Kranken zu wehren, suchte ich mir eins der schärfsten Messer aus der Küchenschublade raus, wi-

ckelte die Klinge in Alufolie und tat es in den Rucksack zwischen die Schulbücher. In den ersten paar Tagen hielt ich den Rucksack auf dem Schulweg so vor mich, dass ich den Griff des darin verborgenen Messers festhalten konnte. Sollte Meier irgendwo auftauchen, konnte ich sofort zustechen. Ich stellte mir die Szene vor, als Vorbereitung, um, wenn es soweit käme, nicht zurückzuweichen. Nachdem das ein paar Tage lang so gegangen war, ohne dass etwas passierte, liess ich den Griff los und trug das Messer nur bei mir. Irgendwann suchte mein Vater es dann, und ich schmuggelte meine Waffe wieder in die Schublade zurück. Ihm etwas davon zu erzählen, kam nicht infrage. Wegen der Schamgefühle. Und ein bisschen auch aus der diffusen Angst heraus, der Anrufer könnte doch jemand aus seiner Firma sein. Was würde dann passieren? Würde er den suchen und zur Rede stellen? Würde er ihm – was ich hoffte – die Faust ins Gesicht schlagen? Und dann, würde mein Vater entlassen und wir müssten zurück nach Mazedonien ziehen? Und stünden dann der Name Meier und womöglich auch derjenige der Schweiz für mich bis heute für pädophile Übergriffe? SHPRESA JASHARI (SHPRESAJASHARI@HOTMAIL.COM) ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING (RAHELEISENRING.CH)

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Kultur

Es gab Zeiten, da war Putzen eine Tugend und eine Freude.

Kaffee trinken mit Thierry? Lieber nicht, finden die anderen im Arbeitslosenkurs.

Buch Grossreinemachen

Kino Der Videobeweis

Maria Antas’ Buch vom Putzen ist nicht nur Anleitung zum Saubermachen, sondern auch eine vergnügliche Kulturgeschichte.

Der Familienvater Thierry verliert seinen Job. Dann bekommt er eine Stelle als Ladendetektiv und muss plötzlich mithelfen, Leute aus dem normalen Leben auszusortieren.

VON CHRISTOPHER ZIMMER VON DIANA FREI

Den Boden auf den Knien schrubben? Wer macht das noch? In unserer Zeit, in der Haushaltsgeräte immer intelligenter werden, in der Staubsauger autonom über den Fussboden kurven oder Fensterputzroboter an den Scheiben auf und ab wandern? Auf den Knien schrubben? Nur schon der Gedanke an diese antiquierte Putz-«Technik» ist eine Reise in die Vergangenheit. Die finnische Autorin Maria Antas hat eben diese Zeitreise nicht nur zum Thema ihres Buches gemacht, sondern lebt sie auch tagtäglich aus. Denn sie schwört auf diese durchaus nicht veraltete Kunst des Noch-selber-Putzens und sieht in der Abkehr davon einen Verlust an Sorgfalt und Achtsamkeit. Ein Verlust, der in den ausbeuterischen Mechanismen des globalisierten Putzsektors gipfelt, in dem Heerscharen von unterbezahlten Putzsklaven den falschen Schein unserer schönen neuen Welt unter dem Diktat der Stoppuhr oberflächlich polieren. Doch dieser triste Gedankengang ist nur einer von vielen, denen Maria Antas nachgeht. Denn der meditative Akt des Putzens fördert allerlei zu Tage. Erinnerungen an die eigene Kindheit, an Grossreinemachen und Wochenputz, als es noch Eimer, Schrubber und Teppichklopfer aus Weidenholz gab und die Teppichstange den Kindern als Turngerät diente. Von dort aus schlängelt sich ein buntes Gewirr von Abschweifungen, die eine Vielzahl von Themen rund um das Putzen aufgreifen. Vom virtuellen Putzen von PC und Handy, von übertriebener Sauberkeit, die unser Immunsystem schwächt, von Putzfimmel und Messies, Feng-shui-Putzen und Reinigungsmittelfluten bis hin zu Klischees und dem Wandel des Frauenbilds in der Werbung – nebst einigen durchaus nützlichen Tipps zum Saubermachen. So entfaltet sich, begleitet von den wunderbaren Illustrationen von Kat Menschik, aus vielen kleinen Geschichten eine heiter-nachdenkliche Kulturgeschichte des Putzens, ein unterhaltsames und anregendes Sinnieren, das immer wieder tiefer schürft, gerade auch dort, wo allzu gerne Dreck unter den Teppich gekehrt wird. Maria Antas: Wisch und weg. Ein Buch über das Putzen. Insel Verlag 2015. 26.90 CHF

Es sind weisse, karge Wände, vor denen die Übeltäter stehen. Wir sind in einem Hinterzimmer der Geschäftsleitung eines Supermarktes, wo Kassiererinnen ins Gewissen geredet wird, die Treuepunkte der Kunden auf ihre eigene Karte verbuchen. Dafür gibt es den Videobeweis der Kamera, die das eigene Personal genauso überwacht wie gewöhnliche Ladendiebe. Hinter dem Monitor hockt Thierry, 51, Familienvater, Ladendetektiv, und versucht ein Gespür dafür entwickeln, wer sich demnächst eine unbezahlte DVD unter die Jacke schieben wird. Unter Anleitung seines Vorgesetzten lernt er, wie man seine Mitmenschen beobachtet und aburteilt. Es ist der Moment, als Thierry schon auf der Seite derer steht, die die Glücklosen aus den Gängen zwischen den Regalen herausfischen und aus dem Leben aussortieren. Es ist noch nicht lange her, da stand er selber vor der Kamera und war dem Urteil der anderen Teilnehmer in einem Arbeitslosenkurs ausgesetzt. «Würden Sie mit dem Thierry aus dem Video einen Kaffee trinken gehen?», fragt der Kursleiter. Nein, natürlich nicht, finden alle. Dafür macht dieser Thierry zu viel falsch im Bewerbungsgespräch, das zu Übungszwecken aufgezeichnet wurde. «La Loi du Marché» kommt im dokumentarischen Gestus daher. Kleine Rollen sind mit Laien besetzt, die sich selbst spielen. Die Handkamera ist unstet, bleibt gleichzeitig aber immer wieder an den Gesichtern hängen: Bis die Demütigung der Situation ins Gefühl des Zuschauers eingesickert ist, während die Handlung auf der Stelle tritt, weil schlichtweg die Auswege fehlen. Zum Beispiel, als Thierry sein Mobile Home verkaufen muss, aber mit dem letzten Rest an Stolz keine 1000 Francs nachgibt. Das Feilschen um den Preis wird zur Verhandlung über den Wert von Erinnerungen, über den Wert des eigenen Lebens. Später, als er Ladendetektiv ist, zeigt sich: Thierry hat nicht nur seine eigenen Erfahrungen gemacht, er hat auch ein anderes Menschenbild als die Konzernleitung und zieht seine Konsequenzen – wenn auch ein bisschen plötzlich, was die Dramaturgie des Films angeht. Vincent Lindon wurde für seinen Thierry in Cannes 2015 als bester männlicher Hauptdarsteller ausgezeichnet. Zu Recht. Stéphane Brizé: «La Loi du Marché», F 2015, 93 Min., mit Vincent Lindon, Karine de Mirbeck u. a. Der Film läuft ab 11. Februar in den Deutschschweizer Kinos.

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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Vereinigen Sie die knackige Rande mit einem salzig-süssen Ziegenfrischkäse.

Piatto forte Unterschätzte Rüben Der Ruf der Beta vulgaris war lange etwa so gut, wie ihr lateinischer Name appetitanregend ist. Dabei ist die Rande, wie wir sie nennen, eine vielfältige Wurzel. VON TOM WIEDERKEHR

Vom Mangold die rote Farbe und von der Rübe den süssen, erdigen Geschmack: Es liegt wohl an dieser Kombination, dass die Rande nicht nur sehr gesund, sondern auch vielseitig in der Küche einsetzbar ist. Lange fristete die Schwester der Zuckerrübe ein tristes Dasein und war höchstens als Scheiben in Essig eingelegt oder als Wintersalat auf dem Esstisch geduldet. Je nach Zubereitungsart kommen die unterschiedlichsten Facetten der Rande zur Geltung. Gekocht oder im Ofen langsam geschmort schmecken Sie vor allem die Süsse heraus. Roh genossen wird der herbe Geschmack akzentuiert, welcher wie kaum ein anderes Lebensmittel an die feuchte Erde im Herbst erinnert. Wäre die Knolle teurer, man könnte sie fast als Trüffel des Nordens bezeichnen. Eine feine Zubereitungsart für rohe Randen ist zum Beispiel ein RandenCarpaccio mit überbackenem Ziegenfrischkäse. Dafür muss die geschälte, rohe Rande in wirklich dünne Scheiben geschnitten werden – mit dem Messer werden sie zu dick. Die Scheiben dann auf einer Platte anrichten und mit etwas bestem Olivenöl und – hier dürfen Sie wählen – Säure in Form von frischem Zitronensaft oder Balsamico beträufeln und mit Salz und Pfeffer würzen. Während sich die Randen von Ihrer Sauce umschmeicheln lassen, geben Sie pro Person eine runde Scheibe Ziegenfrischkäse auf ein Blech, träufeln zwei Esslöffel Honig darüber und legen ein paar frische Rosmarinnadeln darauf. Die Scheiben unter dem 250° heissen Grill des Ofens für 3 bis 5 Minuten anschmelzen und bräunen lassen. In der Zwischenzeit ein paar Blätter Nüsslisalat mit etwas Öl und Essig aromatisieren und auf den Randenscheiben verteilen, danach die warmen Ziegenkäslein darauf geben. Die Kombination der herben, knackigen Randenscheiben mit der zartschmelzenden, salzigen Süsse des Frischkäses wird Sie in den siebten Himmel bringen. Eine ganz andere Seite der Rande lernen Sie kennen, wenn Sie die rohen Knollen je nach Grösse vierteln bis achteln und für 40 Minuten bei 200° im Ofen gar backen. So betört sie mit ihrer Süsse und passt anstelle von Kartoffeln als Beilage zu einem Braten – oder solo ergänzt mit der verführerischen Schärfe eines frischen Meerrettich-Dressings.

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Pro Lucce, Eschenbach SG

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Mcschindler.com GmbH, Zürich

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Burckhardt & Partner AG, Basel

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Schluep & Degen Rechtsanwälte, Bern

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AnyWeb AG, Zürich

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TYDAC AG, Bern

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InhouseControl AG, Ettingen

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Hauswirth Privat-Pflege, Oetwil am See

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Supercomputing Systems AG, Zürich

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Frank Blaser Fotograf, Zürich

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Balcart AG, Therwil

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Oechslin Architektur GmbH, Zollikerberg

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Kaiser Software GmbH, Bern

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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

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Doppelrahm GmbH, Zürich

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Maya-Recordings, Oberstammheim

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Hofstetter Holding AG, Bern

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CMF Zentrum für Achtsamkeit, Zürich

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Schweizerisches Tropen- und Public HealthInstitut, Basel

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PS: Immotreuhand GmbH, Zürich

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Bruno Jakob Organisations-Beratung, Pfäffikon

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Jeker Architekten SIA AG, Basel

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Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

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Proitera Betriebliche Sozialberatung, Basel

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Projectway GmbH, Köniz

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

Bezugsquellen und Rezepte: www.piattoforte.ch/surprise 368/16 SURPRISE 368/16

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BILD: ZVG

BILD: WIENER BOHÈME VERLAG (OTTO HEIN) 1924, SAMMLUNG JACQUES HAUSER

BILD: UNBEKANNT, SCHWEIZERISCHES LITERATURARCHIV

Ausgehtipps

In den 20ern waren alle Frauen irgendwie ledig.

Basel Goldene Zwanziger

Friedrich Glauser 1938 in Nervi.

Zürich Abgrundtief unschön Mit «Ce n’est pas très beau» beendet der 41jährige Glauser ein Jahr vor seinem frühen Tod seinen Lebensbericht. Dada und Morphium, psychiatrische Anstalten und die Fremdenlegion, eigene Inhaftierungen und Kriminalromane: Leben und Werk haben sich bei ihm in wirklichkeitsnaher Inszenierung und dramatisierter Wirklichkeit eng verzahnt. Die Sprache ist mit Dialekt versetzt und trotzdem nüchtern, die Schauplätze seiner Erzählungen reichen weit: von der psychiatrischen Anstalt Münsingen bei Bern bis zur Fremdenlegion in der marokkanischen Wüste. Sie handeln von Einsamkeit und Ausweglosigkeit, Rausch und Sehnsucht – Themen, die auch sein Leben geprägt haben. Wir kennen seinen «Wachtmeister Studer» und «Matto regiert», aber was man im Dada-Jubiläumsjahr auch nochmals betonen muss: Glauser war als einziger Schweizer Autor 1916 an der Dada-Entstehung in Zürich beteiligt. (dif)

Wer an die goldenen Zwanzigerjahre denkt, dem kommen vielleicht Bilder aus Wien, Paris oder London in den Sinn: wirtschaftlicher Aufschwung, selbstbewusste Frauen, knappe Hüte, Kurzhaarfrisuren, kurze Kleider, Tanzabende zu neuen Rhythmen, Tango, Charleston und Foxtrott. Zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ergriff ein neues Lebensgefühl weite Teile Europas und auch die Schweiz. Das Museum für Musik in Basel macht diese Epoche nun zum Thema: «Mode und Musik der Zwanziger Jahre» zeigt, wie dieses goldene Jahrzehnt die Stadt Basel geprägt hat. Deutlich wird das anhand der ausgestellten Kleidungsstücke und Musikinstrumente aus jener Zeit, alle aus dem Fundus von Basler Haushalten. Zusammen mit Noten, altem Ton- und Filmmaterial geben sie Einblick in diese schillernde und von starken Kontrasten geprägte Zeit, die mit der folgenden Wirtschaftskrise ein abruptes Ende fand. (sim) «Mode und Musik der Zwanziger Jahre», Museum für Musik, im Lohnhof 9, Basel. Bis So, 21. August.

Betrachten wir alles mal ganz nüchtern.

Zürich Tatsache Mag sein, dass Multikulti vor 30, 40 Jahren vor allem Freude an Veranstaltungen wie Mama Africa und am Austausch von ostanatolischen Rezepten bedeutete. Heute geht es längst nicht mehr ums Rhythmusgefühl und Teigkneten, sondern um die Anerkennung der Tatsache, dass sich die Welt verändert. Deshalb hat sich mit «Wir alle sind Zürich» ein neues politisches Forum gebildet, an dem sich über 30 Organisationen aus der Stadt Zürich beteiligen, die sich für eine offene und moderne Schweiz einsetzen und eben: Migration als gesellschaftliche Tatsache anerkennen. Die SVP will Einwohner, die keinen Schweizer Pass besitzen, entrechten und zu Bürgern zweiter Klasse erklären. «Wir alle sind Zürich» will eine neue demokratische Politik begründen, die sich dem widersetzt. Und stellt deshalb einen Auftaktkongress mit Satellitenprogramm auf die Beine. (dif) «Wir alle sind Zürich – alle die hier sind und die noch kommen werden», So, 7. Februar, ab 12.30 Uhr in der Shedhalle Zürich (Rote Fabrik); Satellitenprogramm: Forum zur Umsetzbarkeit von Urban Citizenship in der Stadt Zürich, Sa, 6. Februar, 12 bis 18.30 Uhr, Shedhalle Zürich; Diskussionsrunde zur Durchsetzungsinitiative des Ausländerbeirates der Stadt Zürich, So, 7. Februar, 11 Uhr, Haus der Kulturen, Erismannstrasse 6, Zürich; Nach der Masseneinwan-

«Friedrich Glauser – Ce n’est pas très beau», Strauhof,

derungsinitiative – Neue Migrations-Visionen sind

Augustinergasse 9, Zürich. Fr, 5. Februar bis

gefragt! Podium des Thinktanks FORAUS mit Doris

So, 1. Mai, Mi und Fr 12 bis 18 Uhr, Do 12 bis 24 Uhr,

Fiala (Nationalrätin FDP), Corrado Pardini (Nationalrat

Sa und So 11 bis 17 Uhr.

SP), Kaspar Surber (Journalist WOZ), Matthias Daum (Journalist, Die Zeit), Mo, 9. Februar, 19 Uhr, Karl der Grosse, Kirchgasse 14, Zürich. wirallesindzuerich.ch

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Musik Weg von der Insel BILD: SIMON HABEGGER

Der Schweizer Rapper Knackeboul hat mit seinem dritten Soloalbum «Knacktracks» ein erstaunlich introvertiertes Werk vorgelegt. VON SARA WINTER SAYILIR

«Ich gelte ja so ein bisschen als Clown», sagt der Schweizer Rapper Knackeboul über sein Image in der Schweizer Rapszene. Gern steht der Blondschopf auf der Bühne, vor der Kamera und am Mikro, nicht nur als Rapper und Beatboxer, sondern auch als Moderator: erst bei DRS Virus, dann im Schweizer Fernsehen, bei Joiz und aktuell beim Newsportal Watson.ch. Knackeboul weiss, wie man sich inszeniert und trotzdem authentisch rüberkommt. Seine Musikvideos überzeugen mit ihrer Mischung aus Selbstironie und Nahbarkeit statt des ewigen Show-offGehabes des Hip Hop. Mit «Knacktracks» ist nun sein drittes Soloalbum erschienen. «Das Album zeigt eine ganz andere Facette von mir», sagt Knackeboul. Sechs Wochen war er für die Aufnahmen auf Reisen: London, Paris, Amsterdam, São Paulo, New York, Los Angeles und Berlin – ein grosszügiges Sponsoring-Angebot des Getränkeherstellers Red Bull machte es möglich. Im Gepäck hatte der 33-Jährige sein Loopgerät «Gudrun» und seinen Weggefährten Chocolococolo aka Hans-Jakob Mühlethaler sowie vier weitere Freunde für Aufnahmen und Videodreh. «Die Reise hat es mir ermöglicht, aus alten eingefahrenen Spuren auszubrechen und dabei zu reduzieren, wo es nur geht», erklärt Knackeboul das Konzept hinter dem Album. «Man muss nicht reisen, um gute Musik zu machen», so der Künstler weiter, aber es helfe manchmal, sich von der Enge des Alltags auf der Insel der Glückseligen zu befreien, die die Schweiz doch irgendwie sei. Und so klingt «Knacktracks», obwohl auf weiter Fahrt entstanden, introvertiert, streckenweise düster und ein wenig retro. Die Beats hatte Knackeboul, der mit bürgerlichem Namen David Kohler heisst, in seinem neuen Studio im Keller schon im Vorfeld selbst gebaut und auf der Reise Rap und Gesang sowie die Perkussion dazu live eingespielt. Keine Gitarren, keine Bläser, keine aufwändigen Arrangements, keine Worldmusic. «80 Prozent Stimme, ein kleiner analoger Drumcomputer, ein alter Juno-Synthesizer und eine Handvoll brasilianischer Perkussionsinstrumente sind alles, was auf diesem Album zu hören ist», zählt Knackeboul das Instrumentarium auf. Damit konzentriert sich der Künstler auf seine Kernkompetenz: das Rappen. Schnell reden, melodiös Silben aneinanderreihen und die Sounds seines Berner Dialekts ausloten: Knackeboul weiss, was er tut, das ist unumstritten. Seine hohe, markante Stimme erlaubt kein Weghören, seine Tempo- und Stilwechsel zeugen von Spass an Sprache und Rhythmik. Doch er ist mehr als nur ein geschickter Wortdrechsler. Knackeboul zitiert Konfuzius und dichtet Textzeilen, in denen er offen Ungleichheit anklagt und die hiesige Politik kritisiert wie etwa im Titel «Wachsfigurekabinett». Auch als Journalist nutzt er seine Medienpräsenz, um sich politisch zu engagieren. Sei es für sauberes Trinkwasser in Moçambique, sei es gegen Fremdenfeindlichkeit oder gesellschaftliche Polarisierung hierzulande. Für seine klaren Statements ernte er nicht nur Wohlwollen, oft würde mehr Zurückhaltung von ihm erwartet, sagt er: «Ich frage mich dann: Warum? Ich äussere mich doch, gerade weil ich eine Person von öffentlichem Interesse bin! Das ist doch meine Aufgabe.» Zudem sehe er derzeit wenig Lichtblicke in der Schweizer Medienlandschaft, wo kritische Debatten kaum noch stattfänden. SURPRISE 368/16

Knackeboul vor der alten amerikanischen Abhörstation in Berlin.

Angegriffen wird Knackeboul zuweilen auch aus der Hip-Hop-Community selbst, wo ihm aufgrund seiner Nähe zum Mainstream und seiner vielen Betätigungsfelder die Credibility abgesprochen werde. Er habe zwar Verständnis, wenn Hip-Hopper der ersten Stunde ihre Szene schützen wollten, die sie durch den Mainstream bedroht sähen, aber «Musik machen und einen Stock im Arsch haben, ist ganz schlimm», wehrt sich Knackeboul gegen Dogmatismus und falschen Authentizitätswahn. Und so macht er sich in seinen Videos auch gern ein wenig über die gängigen Hip-Hop-Klischees lustig und kratzt an Tabus wie der Homophobie der Szene. Auch wenn er als eines von fünf Kindern einer alleinerziehenden Mutter nicht gerade eine wohlbehütete Schweizer Bilderbuch-Kindheit hatte und wegen seiner ärmlichen Klamotten auch mal gehänselt wurde: Knackeboul sieht sich gern als der Normalo von nebenan, der seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat, ohne übertriebene Ghetto-Allüren oder Strassenslang. «Ich liebe einfach den Rap und das Texten», sagt er. ■

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Verkäuferporträt «Ich dachte mir: Du musst etwas tun» Als René Mocellin, 64, nach jahrelanger Schreibarbeit seine Autobiografie beendet hatte, wurde ihm langweilig. Seit bald einem Jahr verkauft er deshalb Surprise am Bahnhof Basel SBB.

«Ich muss zugeben, dass ich anfangs Hemmungen hatte, das Strassenmagazin zu verkaufen. Ich befürchtete, dass man mich als randständig wahrnehmen würde, und dieses Image will ich auf keinen Fall. Dann sagte ich mir: Ich mach das einfach auf meine Art. Ich sehe nicht verwahrlost aus, und meine Ausrüstung mit dem Bildschirm und den anderen Extras erweckt auch nicht den Anschein. Jetzt bin ich fast ein Jahr bei Surprise dabei, seit März 2015. Ich verkaufe fast jeden Tag von zehn Uhr morgens bis in den Abend hinein am Haupteingang des Basler SBB-Bahnhofs. Und ich muss sagen: Mir gefällt die Aufgabe. Ich bekomme nette Rückmeldungen von den Leuten, meine Elektronik gefällt ihnen. Ich habe immer Leuchttafeln dabei, die ich selber installiere. In der Adventszeit nahm ich einen kleinen leuchtenden Tannenbaum mit, das kam besonders gut an. Einmal ging eine jüdisch-orthodoxe Familie an mir vorbei, und die Kinder machten ganz grosse Augen, als sie den Baum sahen. Da sagte ich laut: ‹Chanukka!›, und alle mussten lachen. Mit Details zu meiner Lebensgeschichte möchte ich mich derzeit eher zurückhalten. Nicht, weil ich etwas zu verstecken hätte, im Gegenteil: Ich stehe kurz vor dem Abschluss der Arbeit an meiner Autobiografie. Ich hoffe, dass ich in den kommenden Monaten einen Verlag dafür finde und das Ganze als Buch veröffentlichen kann. Bis dahin möchte ich natürlich nicht schon alles verraten. Geschrieben habe ich das Buch über die letzten Jahre hinweg. Derzeit bin ich vor allem damit beschäftigt, den Text zu überarbeiten. Dazu habe ich meine eigene Methode: Ich spreche die Geschichte auf Band, alles an einem Stück. Für die 360 Seiten brauche ich rund zwölf Stunden. Früher habe ich dazu noch ein Revox G36-Tonbandgerät verwendet, mittlerweile mache ich es mit Aufnahmegerät mit Chipspeicherkarte. Nach der Aufnahme höre ich sie mir an und mache stilistische Verbesserungen. Dieses Prozedere habe ich jetzt schon zehn bis 15 Mal gemacht, mittlerweile kann ich ganze Passagen auswendig. Es ist eine sehr intensive Konfrontation mit meinem eigenen Leben. Manchmal macht es mich auch traurig. In einer Szene beschreibe ich, wie ich mit meiner mittlerweile verstorbenen Mutter im Quartierrestaurant etwas Kleines essen gehe. Ich erinnere mich noch genau, wie ich zum Wurlitzer ging und ein paar alte Schlager wählte. Und auf Wunsch meiner Mutter ‹Lara’s Lied›, die Titelmelodie von Dr. Schiwago. Ich sehe, wie sie mir gegenüber am Tisch sitzt und höre innerlich das Lied. Die Situation wird wieder lebendig, und das macht mich sentimental. Als das Buch zum grössten Teil fertig geschrieben war, hatte ich als IV-Rentner plötzlich viel freie Zeit. Und mir wurde, ehrlich gesagt, etwas langweilig. Ich dachte mir: Du musst etwas tun, damit du unter die Leute kommst. Am Claraplatz hatte ich schon ab und zu Surprise-Verkäufer gesehen. Und so bin ich dann zum Strassenmagazin gekommen. Es setzt mir zu, wenn ich von frühmorgens bis am Abend draussen stehe, das fällt mir schwer. Zudem muss ich, wenn ich einigermassen gut verkaufe, zwei Drittel meines Verdienstes abgeben, so sind die Regeln der IV. Aber es ist die Mühe allemal wert. Ich habe sozialen Kon-

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BILD: DIF

AUFGEZEICHNET VON AMIR ALI

takt und kann am Ende trotz allem ein klein wenig Geld auf die Seite legen. Wenn ich mir Mühe gebe und zum Beispiel konsequent in Deutschland einkaufe, dann komme ich alles in allem gut durch. Für grosse Sprünge reicht es natürlich nicht, Ausflüge liegen nicht drin. Ich würde gerne mal verreisen, nach Köln, Amsterdam oder Berlin. Ich hoffe, dass das mit den Einnahmen aus meiner Biografie dann geht. Ich habe übrigens Anfang der Siebzigerjahre schon einmal etwas Ähnliches gemacht wie Surprise: Nach der Scheidung meiner Eltern steckte mich die Vormundschaftsbehörde 1962 für sechs Jahre ins Erziehungsheim. Als ich da endlich rauskam, ging ich ins Elsass. Dort schlug ich mich erst als Küchenhilfe durch, schrubbte Pfannen und Geschirr. Ein grosser Teil des Lohns ging für das schäbige Zimmer drauf, das mir der Besitzer vermietete. Also suchte ich etwas anderes und landete bei einem Magazin, das zugunsten behinderter Kinder verkauft wurde. Wir fuhren zu viert mit dem Auto durch die Dörfer und verkauften die Hefte. Die Hälfte des Verkaufspreises durften wir behalten, wie bei Surprise. Das war sehr unterhaltsam. Und es ist immer wieder erstaunlich, wie sich im Leben Kreise schliessen.» ■ SURPRISE 368/16


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Elsa Fasil Bern

Kostana Barbul St. Gallen

Ralf Rohr Zürich

Marlis Dietiker Olten

Negasi Garahassie Winterthur

Josiane Graner Basel

Tatjana Georgievska Basel

Emsuda Loffredo-Cular Basel

Anja Uehlinger Baden

Fatma Meier Basel

Haimanot Ghebremichael Bern

Oliver Guntli Bern

Roland Weidl Basel

Daniel Stutz Zürich

Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken

1/2 Jahr: 3000 Franken

1/4 Jahr: 1500 Franken

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368/16 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 368/16

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Surprise – mehr als ein Magazin

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit einem Netzwerk aus freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der ganzen Deutschschweiz. Sie kämpfen um den Titel des Schweizermeisters und des Weltmeisters beim Homeless World Cup. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen kostenlosen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine einfache und charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren. Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Gönner-Abo für CHF 260.– Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali und Diana Frei (ami, dif, Co-Heftverantwortliche), Sara Winter Sayilir (win), Simon Jäggi (sim), Thomas Oehler (tom) redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Olivier Joliat, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Annette Boutellier, Elif, Mia Rizzoli, Karin Scheidegger, Franziska Staerkle Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 20 050, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke (Leitung), Zaira Esposito

Geschenkabonnement für: Vorname, Name

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Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83/85 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Reto Bommer, Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Barbara Kläsi, Alfred Maurer, Pappelweg 21, 3013 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40 Paloma Selma (Leitung), p.selma@vereinsurprise.ch Strassensport T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach) www.strassensport.ch Sozialer Stadtrundgang Basel T+41 61 564 90 40 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Paloma Selma (Koordination), rundgang@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Zürich T +41 44 242 72 14 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Carmen Berchtold (Koordination), rundgangzh@vereinsurprise.ch Vereinspräsident Peter Aebersold Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt: Spendenkonto PC 12-551455-3 SURPRISE 368/16


Surprise – Mehr als ein Magazin

BILDER: ANETTE METZNER

Vertriebe Bern, Basel und Zürich Warme Jacken Strahlende Gesichter gab es bei der Übergabe des Weihnachtsgeschenkes von Surprise. Die Verkaufenden in Bern, Basel und Zürich erhielten für ihren Einsatz auf der Strasse – auch bei kaltem und nassem Wetter – eine warme, wind- und wasserdichte Softshell-Jacke. Wie jedes Jahr feierten die Vertriebsmitarbeitenden zusammen mit den Verkäuferinnen und Verkäufern ein Weihnachtsfest mit einem gemeinsamen Abendessen und Musik. ■

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Buch: Standort Strasse Bewegende Lebensgeschichten

Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand 152 Seiten CHF 40.– inkl. Versand- und Verpackungskosten ISBN 978-3-85616-679-3

Die belebten Plätze und Strassen der Deutschschweizer Innenstädte sind bekannt. Die Lebensgeschichten der Surprise-Verkaufenden, die hier arbeiten, jedoch nicht. Das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» rückt diese Personen ins Scheinwerferlicht und zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. Das Buch porträtiert zwanzig stolze Menschen, die trotz sozialer Not alternative Lebensentwürfe abseits staatlicher Hilfe gefunden haben. Die Angebote des Vereins Surprise haben ihnen dabei geholfen. Gastbeiträge sowie eine Fotoserie von Surprise-Standorten runden das Buch ab. Erfahren Sie mehr über die Lebensgeschichten unserer Verkaufenden und kaufen Sie jetzt das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand». Ein Teil des Geldes kommt direkt den Surprise-Verkaufenden zugute. Bestellen bei Verkaufenden oder unter: www.vereinsurprise.ch/shop/


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