Surprise 376

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Spätes Glück? Die Kinder von alten Eltern erzählen Am Ball – die Geschichte der etwas anderen Schweizer Nati

Blues und Bussgelder: Strassenmusiker Cello Inferno in der Paragrafen-Hölle

Nr. 376 | 3. bis 16. Juni 2016 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.


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FĂźr eine solidarische Welt ohne Ausgrenzung!

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Titelbild: Keystone

Die Titelseite für unser Heft hat diesmal für längere und intensivere Diskussionen gesorgt als üblich. Zur Auswahl stand, neben der schwangeren Dame, die Sie jetzt sehen, ein wunderbares Bild, das unser Fotograf Lucian Hunziker von SurpriseNationalspieler Filmon Brhane gemacht hat (Seite 17). Das Bild von Brhane zeigt einen Menschen, der aufgrund seiner Hautfarbe und seines Aufenthaltsstatus diskriminiert wird, sich aber dennoch selbstsicher mit dem Ball vor die Kamera stellt und uns in die Augen schaut. Auf diesem Bild ist er kein Flüchtling oder Sozialfall, nein: Er vertritt als Spieler der Surprise StrassenfussballNationalmannschaft die Schweiz am Homeless World Cup in Glasgow. Das Bild erzählt von Ermächtigung, Gemeinschaft und Sinnstiftung – kein Wunder, dass es ungeteilten Anklang fand. AMIR ALI Das Problem ist aber, ganz ehrlich gesagt: Strassenfussball verkauft sich nicht. Das REDAKTOR sage nicht ich als budgetverantwortlicher Redaktor, sondern unser langjähriger Zürcher Magazinverkäufer und leidenschaftlicher Strassenfussballer Ruedi Kälin, der dieses Jahr selbst als Nationalspieler am Homeless World Cup teilnehmen wird. Und der, ohne staatliche Unterstützung, einen Grossteil seines Einkommens mit dem Heftverkauf erzielt. Wenn sich ein Heft nicht verkauft, dann hat Ruedi Kälin ein Problem. Das Bild der Schwangeren rief heftigere Reaktionen hervor. Es irritiert, weil es eine kontroverse Thematik anspricht, die auch im Rahmen der Initiative zur Präimplantationsdiagnostik derzeit breit debattiert wird. Das Bild irritiert aber auch, weil es den Betrachter – und besonders die Betrachterin – spiegelt und zum Vergleich herausfordert: Ist sie älter als ich? Würde ich in diesem Alter noch schwanger werden wollen? Die beiden Bilder stehen exemplarisch für den publizistischen Spagat, den das Strassenmagazin vollbringen muss: Hier die anwaltschaftliche Erhebung von sogenannten Randständigen zu Hauptdarstellern, dort das gesellschaftlich relevante Thema, das unser Innerstes berührt, Aufmerksamkeit erregt und den Verkaufenden deshalb den besseren Absatz beschert. Wir müssen und wollen den Verkaufenden sowohl zu einer Stimme in der Öffentlichkeit als auch zu einem Einkommen verhelfen. Das tun wir seit bald 20 Jahren, und es ist wieder einmal an der Zeit, unsere Arbeit grundsätzlich zu überdenken. Unser erster Schritt: Wir wollen wissen, was Sie, liebe Leserinnen und Leser, von unserem Magazin halten. Wir freuen uns, wenn Sie den umgehefteten Fragebogen ausfüllen und uns, ganz ehrlich, die Meinung sagen. Herzlichen Dank für Ihre Hilfe! Amir Ali

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@strassenmagazin.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/ vereinsurprise SURPRISE 376/ 16

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BILD: WOMM

Editorial Jetzt mal ganz ehrlich


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10 Familie Späte Kinder, spätes Glück? Schweizerinnen und Schweizer werden statistisch gesehen immer älter, bis sie Eltern werden. Hinter diesem demografischen Prozess verbergen sich Lebensgeschichten: Was für die Eltern die Erfüllung des lang gehegten Kinderwunsches bedeutet, ist auch für ihre spätgeborenen Kinder prägend. Unser Autor hat mit ihnen gesprochen.

14 Strassenfussball Mehr als ein Spiel Im Juli fährt die Surprise Strassenfussball Nationalmannschaft erneut an den Homeless World Cup, diesmal nach Glasgow. Für die Spieler ist das eine ein malige Chance, die sie sehr ernst nehmen. Im Vorfeld erzählen sie von ihren grössten Herausforderungen und Hoffnungen – und wer bei den Profis in Frankreich Europameister wird.

BILD: LUCIAN HUNZIKER

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Inhalt Editorial Unser Spagat Die Sozialzahl Gefragte Sans-Papiers Porträt Der fluchende Heiler Randnotiz Geister, die man rief Vor Gericht Der Bock als Möchtegern-Gärtner Hausmitteilung Surprise bekennt Farbe Starverkäufer Amanuel Mehari Fremd für Deutschsprachige Eine ganz, ganz Herzige Festival Flexible Traditionen Kultur Angeknackste heile Welt Piatto forte Durstlöscher Ausgehtipps Rund um den Untergrund Verkäuferporträt «Hier war früher mein Büro» Projekt SurPlus Eine Chance für alle In eigener Sache Impressum INSP

ILLUSTRATION: PATRIC SANDRI

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BILD: DOMINIK PLÜSS

20 Strassenmusik Ein Mann, die Musik und das Amt

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Marcello Palermo lebt von der Hand in den Mund – selbständig, ohne staatliche Hilfe. Und zwar von der Musik. Als Cello Inferno spielt er mit seinen selbstgebauten Arme-Leute-Gitarren den Blues, die Strassen der Schweizer Städte sind seine Bühne. Die teilt er sich mit den Beamten der jeweiligen Polizei, und die haben vor allem eine Aufgabe: Bussen verteilen.

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BILD: WOMM

Herkunftsländer von Sans-Pa

piers (Anteil in Prozent)

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Zentral- und Südamerika Europa (ohne EU/ EFTA) Afrika Asien

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Nordamerika /Australien

24 Quelle: Staatssekretariat für Migra tion (2016) Sans-Papiers in der Schweiz. Studi e 2015, Bern.

Die Sozialzahl Papierlos integriert San s-Pa piers sind Men sche n, die ohn e Aufenth alts bew illigun g in der Sch weiz lebe n und oft auch arbe iten . Eine neu e Stud ie im Auftrag des Staa tsse kret aria ts für Migratio n (SEM) kom mt zum Sch luss, dass schä tzun gsw eise zwische n 58 000 und 105 000 San s-Pa piers in uns erem Lan d anw esen d sind . Kna pp zwe i Drit tel von ihne n kam en als Tou riste n ode r ohn e gült ige Reis edo kum ente in die Sch weiz. Je ein Fün ftel reis te nach eine r Nich tern eue run g der Aufenth alts bew illigung ode r nach eine m negativen Asylent sche id nich t aus. Viele von ihnen sind scho n sehr lange hier , ohn e eine n rech tlich en Aufenth alts stat us zu bekomm en. Die befragte n Exp ertin nen und Exp erte n geh en davon aus, dass run d ein Drit tel der San sPap iers fünf bis zeh n Jahre, run d ein Fün ftel soga r scho n meh r als zeh n Jahre in der Sch weiz lebe n. Die grös ste Gru ppe, run d 40 Proz ent, stam mt aus Zen tralund Süd ame rika . Ein Vier tel kom mt aus euro päis che n Län dern aus serh alb von EU und EFTA. Ein weitere s Fün ftel kom mt aus Afrika, ein Zeh ntel aus Asie n. Die meisten von ihnen sind alle ine in der Sch weiz. Das heis st abe r nich t, dass sie nich t eine Fam ilie im Her kun ftsla nd hab en. Der Ant eil der Frau en und Män ner ist etw a glei ch gros s. San s-Pa piers lebe n in stän dige r Angst, aufgegriffen und aus gew iese n zu werden . Bes ond ers krit isch wird es, wen n sie eine Woh nun g find en müs sen, eine med izin isch e Beh and lung ben ötigen ode r die Kin der eingesch ult werden sollten. Weil San s-Pa piers kein en Ans pru ch auf mat erie lle Hilfe vom Staa t hab en, sind sie gezw ungen, unte r teilw eise wid rigs ten Um stän den eine r Erw erbs arbe it nachzu geh en. Die Hälfte der erw ach sene n San s-Pa piers arbe itet in privaten Hau sha lten . Vielen Fam ilien ist gar nich t bew usst , in welche r Situ atio n sich ihre Angeste llte befinde t. Auc h in der Bau wirt scha ft und

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Arb eitgeber, die San s-Pa piers in der Gas tron omie find en sich hingegen sind heu te selte ner anst ellen . In der Lan dwirtschaft den durch Arb eitsm igra nSan s-Pa piers anz utre ffen – sie wur ten aus Port uga l erse tzt. Arb eitsverhä ltnis se. Die Oft han delt es sich um prek äre n unre gelm ässig, die Arb eitsLöh ne sind tief, die Arb eitsz eite kön nen sich San s-Pa piers so plat zsicherh eit gering. Trot zde m Sie sind gera de durch ihre n ihre mat erie lle Exis tenz sich ern. arkt inte grie rt als and ere Stat us sehr viel bess er im Arb eitsm soziale Gru ppe n. die Sch ule besu chen . Das Kind er von San s-Pa piers dürfen enth altss tatu s vor. Man kan n Recht auf Bild ung geh t dem Auf d dies e Situ atio n für alle Besich abe r vors telle n, wie bela sten hab en juge ndliche San s-Pa teiligten ist. Seit einigen Jahren Beru fsleh re zu abso lvie ren. piers auch die Möglich keit , eine n gen utzt . Doch dies e Möglich keit wird selte tz zu and eren Län dern , ensa Geg Die Sch weiz ken nt, im San s-Pa piers. Es bleibt nur kein e rege lmä ssige Am nest ie für igun g, die jedo ch selte n geder Weg übe r eine Här tefa llbewill ist mit eine m gros sen Risiko wäh rt wird . Sch on der Ant rag ton eine ano nym isier te Ein verb und en, weil kau m ein Kan s-Pa piers sich daz u zu erke ngab e berü cksichtigt und die San and ere Möglich keit en der nen geb en müs sen. Es brau cht also in der Sch weiz. Die AnlaufRegular isier ung des Aufenth alts derh olt Vors chlä ge form ustellen für San s-Pa piers hab en wie s, die scho n sehr lange in liert . Vor alle m jene n San s-Pa pier ern sollt e der Weg in die der Sch weiz lebe n, und ihre n Kind Nor malität erle icht ert werden . nt am Institut Sozialplanung, Prof. Dr. Carlo Knöpfel ist Doze tentwicklung der Hochschule Stad Organisationaler Wandel und schule Nordwestschweiz. für Soziale Arbeit der Fachhoch

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Porträt Die Kräfte der Orangensäfte Der studierte Theologe Matthias Weiss arbeitet als Geistheiler. Doch auch bei ihm befindet sich nicht immer alles im angestrebten Gleichgewicht – etwa, wenn es um die Bezahlung seiner Dienste geht. VON RAMONA THOMMEN ( TEXT) UND FLURIN BERTSCHINGER ( BILD)

Trotzdem ist Weiss mittlerweile angekommen. «Ich habe durch Scheisse Gold gefunden», so Weiss und spielt auf seinen Frust im regulären Kirchenbetrieb an, über den er schliesslich zum Geistheilen gelangt ist. Er flucht überraschend viel, sagt auch mal Gopferdammi – für ihn kein Widerspruch zu seiner Religiosität. «Das hat doch nichts mit meiner Beziehung zu Gott zu tun, die ist eine ganz andere», sagt er. Seine Arbeit als Heiler löst genau das aus, was ihm als Pfarrer immer gefehlt habe: «Da ist diese Nähe, diese Wärme – alles ist wohlig.» Doch das Heilen kostet Weiss auch Kraft und Energie. Deshalb sei es ihm umso wichtiger, dass er gut zu sich selbst schaue. Konkret heisst das: Er kocht selbst, hält Mittagsschlaf und versucht, in seiner Mitte zu bleiben. Dafür muss er auch einmal die Tür seines Praxiszimmers schliessen, das in einem Haus liegt, in dem gemäss eigenen Angaben auch «Heinrich Pestalozzi, Johann Wolfgang Goethe, Johann Caspar La-

Es muss irgendwann in den Nullerjahren gewesen sein, als Matthias Weiss seinen Weg zu Gott fand. Das Theologiestudium hatte er soeben abgeschlossen, und er arbeitete als Seelsorger für Gehörlose. Doch Weiss war unzufrieden: «Ich fühlte nicht, was ich mir erhofft hatte.» Er wollte mehr mit seinen Händen arbeiten, sagt er. Und das nutzen, was heute die Basis seiner Arbeit ist: die Kraft, wie er es nennt. Deshalb liess er sich zum Geistheiler ausbilden, und zwar bei einer in der Szene international bekannten Koryphäe in der Nähe von Bern. Auf Fragen, was genau Geistheilen denn sei, nach den Vorgängen und Abläufen antwortet der Mittvierziger mit Gegenfragen: Was stellen Sie sich darunter vor? Was meinen Sie denn, was ich mache? Immer wieder betastet er seine knotigen, eher kurzen Finger, umfasst mit der einen Hand die andere, reibt sie aneinander. Dann versucht er seine Berufung doch zu erWeiss flucht überraschend viel, sagt auch mal Gopferdammi – für ihn klären. Das Wichtigste zuerst: «Heilen ist keikein Widerspruch zu seiner Religiosität. ne Gabe, das kann jeder», sagt Weiss. Denn beim Heilen gehe es um die Kraft – und die würden wir alle kennen. «Wenn Sie in einem Geschäft stehen und sich vater oder auch Johann Gottlieb Fichte ein- und ausgegangen sind». Im für einen von fünf verschiedenen Orangensäften entscheiden müssen, Behandlungszimmer ziert nichts die Wände, das auf Weiss’ Nähe zu wie wählen Sie aus?», fragt er und fügt hinzu: «Ich nehme denjenigen, Gott hinweisen könnte. Oder? «Doch, wenn Sie genau hinschauen, seder am meisten Kraft auf mich ausübt. Und das funktioniert mit allen hen Sie einige Dinge», sagt Weiss und zeigt auf ein kleines Kreuz, das Dingen so. Auch mit Menschen.» maximal fünf Zentimeter gross ist. An der gegenüberliegenden Wand Wenn Weiss jemanden in seiner Praxis empfängt, dann kann es zum hängt auch ein kleines Ikonenbildchen, das Jesus mit seinen Jüngern Beispiel passieren, dass er sich während des Heilens mit der Person zubeim letzten Abendmahl zeigt. Was wirkt, als sollte es verborgen bleisammen in dieselbe Situation versetzt: «Einmal, da stand ich mit einer ben, kommentiert Weiss mit einer Frage: «Wieso erwarten Sie in meiKlientin an einem Abgrund. Wir hatten beide dieses Bild vor Augen. Was nem Arbeitszimmer denn ein grosses Kreuz oder ähnliches?» macht man da? Ich konnte ihr nur sagen, dass ich mit ihr springen würSein stetiges Gegenfragen zementiert den Eindruck, dass Weiss gern de, wenn sie springen wolle. Denn springen – das kann ich, das habe ich gegen den Strom schwimmt und auch gerne damit kokettiert. Dazu schon etliche Male gemacht im Leben.» Das sei Heilen, sagt Weiss. passt auch, dass er glaubt, die reformierte Kirche habe es nicht immer Seit nunmehr elf Jahren arbeitet er nun als Geistheiler und freier Theeinfach mit seinem Doppelberuf als Heiler und Pfarrer. Zwar hat sich ologe in seiner eigenen Praxis in Richterswil. Studiert hat er in Zürich, niemand bisher öffentlich in diese Richtung geäussert, eine gewisse einen Teil seiner Ausbildung in Bern absolviert. Das überschaubare Skepsis liesse sich jedoch spüren, ist er überzeugt. Richterswil blieb ihm zunächst fremd, ebenso dessen Einwohner. «Als Hat Weiss denn bei sich selbst die Balance zwischen Körper, Geist unverheiratete Person ohne Kinder ist es schwierig, Anschluss zu finund Seele schon gefunden, die das Heilen erreichen soll? «Nein, um den.» Die üblichen Treffpunkte im Dorf wie etwa Sport- und Turnverein Himmelswillen, sicher nicht. Auch ich ärgere mich oder komme ins Zausagten Weiss wenig zu, tägliche Aktivitäten wie Einkaufen oder der dern.» Etwa, wenn es um die Bezahlung seiner Dienste geht. Wenn Gang zur Arbeit brachten ihm zu wenig Kontakt mit der Bevölkerung. Weiss als freischaffender Pfarrer Trauungen oder Abdankungen abhält, Also schrieb er ein Buch: «Zum Beispiel Richterswil». In Interviews mit folgen die Preise klaren Vorgaben. Nicht so bei seinen Heilkünsten: Da17 Persönlichkeiten aus dem Ort – Bäuerin, Beizer, Bademeister – porfür bezahlen die Kunden, was sie für richtig erachten. «Ich habe mich trätiert er die Gemeinde am oberen Zürichsee und deren Bewohner. für diese Art der Entlöhnung entschieden. Ich bin überzeugt, wenn du Weiss beschreibt es als «Werk, das Mut macht, vermehrt über den GarVertrauen willst von den Leuten, dann musst du ihnen auch Vertrauen tenzaun zu grüssen». Und tut er selbst es tatsächlich? Ja, sagt er, räumt schenken», erzählt er. Und räumt ein, dass es nicht immer ganz einfach aber ein: «Über die Rolle als Autor und Interviewer tatsächlich Ansei. Es habe Fälle gegeben, bei denen er insgeheim auf einen anderen schluss zu finden, hat nicht ganz funktioniert.» Zu sehr habe man ihn Betrag gekommen sei als der Klient. ■ als professionellen Schreiber statt als Nachbarn wahrgenommen. SURPRISE 376/ 16

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Randnotiz Masse ohne Mass Als ich Ende der Neunzigerjahre Konzepter in einer erfolgreichen Internetagentur in Zürich war, wollte ich vor allem eines: mit dem Internet Leute verbinden und Kommunikation vereinfachen. Wir kreierten neue Technologien, um aus dem damals statischen Internet etwas Lebendiges und Multimediales zu machen. Wir sahen im Internet eine Chance, die gefühlt unendlich viele Möglichkeiten bot und uns mit der ganzen Welt verbinden konnte. Das Netz fand immer grössere Verbreitung, immer mehr machten mit und wurden Teil einer Community, die anwuchs und zur Masse wurde. Online sein wurde zum Standard. Wer ein Smartphone hatte, musste sich einst rechtfertigen – heute gehört es selbst beim Waldspaziergang dazu. So, wie damals das Internet avantgardistisch war, ist heute wieder die gute alte Realität zur Alternative geworden. Früher war das Internet das Spezielle und Reizvolle. Wer heute etwas auf sich gibt, bleibt offline. Weg vom Overload an Informationen und hinaus aus der Unterhaltungsflut, in der man unterzugehen droht, wenn man sich nicht schützt. Als hätte man Geister gerufen, die man nicht mehr loswird. Ich bin kein Facebook-Profil, und das Internet ist nicht mehr als Technologie, die ich nutzen kann, wenn dies sinnvoll ist. Die Möglichkeiten wurden ausgeschöpft und ausgestopft. Der Output ist reine Reizüberflutung. Mir war davon mit der Zeit schlecht geworden. Ich hatte aus den Augen verloren, worum es überhaupt geht und was mir guttut. Ich musste aufhören, ohne Unterbrechung zu kommunizieren, denn mitzuteilen gab es eigentlich wenig bis nichts. Die Masse an Informationen hatte jedes Mass an Nützlichkeit überschritten und mir – wie die grauen Männer in «Momo» – so lange die ganze Zeit geklaut, bis ich krank wurde. Keine Technik ist schlecht, es geht nur darum, wie und wozu ich sie nutze. Die Zeit war reif für ein Date mit mir selbst, ohne technische Hilfsmittel, ohne Ablenkung und ohne Hintergrundmusik. Ich verwende jetzt das Internet gezielt. Und stelle fest, dass ich unglaublich viel Zeit zur neuen Verwendung habe. Ich entscheide bewusst, was ich an mich heranlasse. Ich habe keine Zeit, Zeit zu verschwenden. Und mache lieber nichts. Florian Burkhardt alias Electroboy war erfolgreicher Sportler, Model und Internetpionier, bis ihn eine Angststörung arbeitsunfähig machte. Heute beobachtet er die Gesellschaft vom Rand aus.

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Vor Gericht Von der Bank ins Casino Bankräuber beflügeln die Fantasie: Wer einen Millionencoup landet, dabei kein Blut vergiesst und der Polizei ein Schnippchen schlägt, gerät zum Volkshelden. Wer, wie etwa Milan B.* im Oktober 2013, morgens um acht in der ZKB-Filiale an der Zürcher Langstrasse den Bankangestellten höflich mitteilt, dies sei ein Überfall, und sich nach dem Einpacken der Barschaft zum Abschied bedankt, der wird für seine Chuzpe bewundert. Zwar hatte er zwei Frauen mit einer Waffe bedroht, doch war sie ungeladen, und ein Opfer sagte aus, dass er «nett zu uns war, zuvorkommend». Die Boulevardpresse nannte ihn «Romeo-Räuber». Wie er so dasteht vor dem Richter, mit gebügelter Hose, weissem Hemd und Pullunder darüber, sieht er aus wie ein Bankbuchhalter. Doch die einzige buchhalterische Tätigkeit seines Lebens hat er längst eingestellt: seine Überfälle und die hinter Gittern verbrachten Jahre zu zählen. Noch nicht mal das Geld zählte er, das er aus den Banken trug und im Casino verzockte. Rund ein Drittel seines 34jährigen Lebens hat der in Berlin geborene Serbe im Gefängnis verbracht. Ein Drehtürgefangener, rein, raus, Banküberfall, wieder rein. Als ob er mit seiner Freiheit nichts anzufangen wüsste. Nüchtern, karg, emotionslos klingt alles, was er vor Gericht erzählt. Einen Beruf hat er nie erlernt, seine Jugend verbrachte er vor Spielautomaten. Hin und wieder arbeitete er für einen Landsmann schwarz auf dem Bau, so auch in der Schweiz. Was er denn für Zukunftspläne habe, fragt der Richter. «Ich will Gärtner im Gefängnis werden.»

Mit 2,5 Millionen Franken, die er in schwarze Abfallsäcke packte, spazierte Milan B. von der ZKB in ein Café, liess sich später vom Taxi zu einem Ledergeschäft chauffieren, wo er einen Rollkoffer erstand, und verspielte noch am gleichen Tag einen Teil im Casino Zürich. «Wie viel? Keine Ahnung. Geld hat keinen Wert für mich, wenn ich spiele», erklärt Milan. Ein paar Tage darauf fuhr Milan mit dem Rest der ZKB-Beute im Zug nach Serbien, wo er einen Bauernhof kaufen wollte. Sein Lebenstraum. Doch stattdessen fiel er in eine Depression und verspielte bis auf 270 000 Franken alles in den Spielhallen des Balkans. In Kroatien wurde er verhaftet und in die Schweiz ausgeliefert. In der Untersuchungshaft stellte sich heraus, dass er auch versucht hatte, mit einer Rohrbomben-Attrappe eine CS-Filiale am Rigiplatz zu überfallen. Doch der Bankangestellte hatte ihn buchstäblich in die Flucht geschlagen. «Da haben Sie es!», sagt Milans Pflichtverteidiger, «Nicht der Bankräuber war gewalttätig, sondern der Bankangestellte.» Ein Dutzend Mal nennt er seinen Mandanten begeistert «Gentleman-Räuber» und beschreibt ihn als Ausbund an Tugend, der nur leider spielsüchtig sei. «Aber angenehmer kann ein Banküberfall gar nicht ablaufen.» Der Richter lässt sich nicht blenden und verurteilt Milan wegen Raubes zu sechs Jahren Gefängnis. Zudem ordnet er eine ambulante Spielsuchtherapie an, «dass Ihnen so was nicht wieder passiert». * alle Namen geändert Isabella Seemann ist Journalistin in Zürich und porträtiert als Gerichtsreporterin die kleinen und grossen Fische, die es in die Gerichtssäle geschwemmt hat. Priska Wenger ist Illustratorin in Biel und New York. SURPRISE 376/ 16


Hausmitteilung Sind Sie bereit?

Nominieren Sie Ihren Starverkäufer! Schreiben Sie uns mit einer kurzen Begründung, welche/n Verkäufer/in Sie an dieser Stelle sehen möchten: Verein Surprise, Redaktion Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 (0)61 564 90 99 redaktion@vereinsurprise.ch

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BILD: TOBIAS SUTTER

Wir leben in düsteren Zeiten: Menschen ertrinken im Meer, Krankenhäuser werden bombardiert, Terroranschläge finden in immer näherer Umgebung statt. Ein Klima der Verunsicherung und diffuser Ängste macht sich in der Schweiz und in Europa breit, Ausgrenzung und der Ruf nach Abschottung bestimmen zunehmend unsere Befindlichkeit und unsere politischen Entscheide. In dieser ungemütlichen gesellschaftlichen Grosswetterlage lanciert das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz HEKS die Kampagne «Farbe bekennen für eine menschliche Schweiz». Das Ziel: die solidarischen Stimmen in der Schweiz bündeln. Das Mittel: ein Menschlichkeitsarmband, ein buntes Symbol, mit dem die Leute Farbe für eine menschliche Schweiz bekennen sollen. Sie werden sich fragen: So einfach? Ja! Solidarität kann ganz einfach und unerwartet stattfinden. Das zeigt etwa das Beispiel der Verkäuferinnen und Verkäufer des dänischen Strassenmagazins «Hus Forbi». Unsere Kollegen dort feiern ihr 20-jähriges Bestehen – und verschenken als Dank an die Leserinnen und Leser kurzerhand die Jubiläumsausgabe. Den Beschluss dazu fällten die Verkaufenden. Sie sagten sich: 20 Jahre lange haben wir etwas bekommen, und nun möchten wir etwas zurückgeben. Solidarität ist ein einfacher Akt von Geben und Nehmen. Solidarität ist der Einbezug aller Menschen, und zwar unabhängig von Herkunft und Bildung, von Religion und Geschlecht –

oder welche Merkmale auch immer zur Unterscheidung oder eben Ausgrenzung herangezogen werden. Für uns beim Verein Surprise ist dies die tägliche Arbeit, und entsprechend ist es für uns keine Frage, dass wir die Initiative des HEKS mittragen. Menschen aufzunehmen, die ihren Platz in unserer Gesellschaft verloren oder erst gar nie gefunden haben, sie wieder teilhaben zu lassen – wie geht das? Im Fall des Vereins Surprise ist es sehr einfach: mit der Arbeit als Verkäuferin des Strassenmagazins oder als Stadtführer, als Spieler in einem der 18 Streetsoccer-Teams oder in der Nationalmannschaft, oder als Sängerin im Surprise Strassenchor. Das Zusammenleben und -arbeiten unterschiedlicher Menschen ist keineswegs einfach und unproblematisch. Es braucht ständige Absprachen. Regelungen müssen laufend überdacht, Missverständnisse und Vorurteile in zahlreichen Gesprächen abgebaut werden. Das Wichtigste in der alltäglichen Umsetzung ist die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Angesichts der politischen Lage braucht es heute – mehr denn je – den Mut zu einer Vision für unser Zusammenleben. Surprise bekennt sich zu einer Gesellschaft, in der Menschenrechte, Menschlichkeit und die Solidarität eine tragende Rolle spielen. Im Alltag kann dies vielfältig umgesetzt werden. Wir müssen dazu, im Gegensatz zu den Millionen Menschen auf der Flucht, nicht unser Leben riskieren. Wir können intervenieren, wenn die Diskussion am Stammtisch zu sehr aus dem Ruder läuft; wir können spenden; wir können Kleider sammeln; wir können bei Be-

gegnungstreffs oder Deutschkursen für Flüchtlinge mithelfen; wir können Briefe an Bundesräte und Parteien mitunterschreiben. In jedem Fall sollten wir an unsere Kinder und Enkelkinder denken. Und uns fragen, welche Geschichte sie in 50 Jahren über uns erzählen werden. Danke, dass Sie nicht schweigen. Danke, dass auch Sie Farbe bekennen. Paola Gallo Geschäftsleiterin Verein Surprise

BILD: ZVG

Liebe Leserinnen, liebe Leser

Starverkäufer Amanuel Mehari Aus Bern schreibt Corinne aus der Au: «Mein Lieblings-Surprise-Verkäufer Amanuel Mehari steht beim Coop in Bümpliz beim Eingang. Immer wenn ich einkaufe, strahlt er mich so an, dass ich nachher noch lange vor mich hinlächeln muss. Vielen Dank, dass ihr so aufgestellte und freundliche Verkäufer habt, das spricht eindeutig für euch!»

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Familie Unsere alten Eltern Immer mehr Paare bekommen spät Kinder. Viele ältere Mütter begreifen das als Akt der Emanzipation, viele Väter als spätes Glück. Doch was sagen die Kinder dazu? Unser Autor, selbst ein Kind von alten Eltern, hat betroffene Erwachsene interviewt.

VON ERIC BREITINGER ( TEXT) UND PATRIC SANDRI ( ILLUSTRATIONEN)

Meine Mutter trug stets altm odische Röcke und Stützstrüm pfe. Ihre Haare waren sichtbar gefärbt, und sie war dick. Doch ich liebte sie, auch wenn sie m it 59 aussah wie 70. Ich aber war 14 und verm ied es tunlichst, m it ihr draussen gesehen zu werden. Ich fürchtete vor allem eine Frage: Ist das deine Om a?

ensache sind: Sechs von zehn erwerbstätigen Frauen arbeiten Teilzeit, bei den Männern ist es einer von zehn. Besonders Akademikerinnen bekommen daher spät oder gar keinen Nachwuchs. Späte Kinder wachsen daher besonders häufig als Einzelkind auf. Vielleicht haben sie noch Geschwister, aber die leben woanders. Die meisten heutigen Spätgeborenen sind Kinder des zweiten Frühlings ihrer Väter oder der letzten Chance ihrer Mütter. Laut dem Altersforscher François Höpflinger hat die «überwiegende Anzahl später Kinder heute ältere Väter, die bereits Nachkommen aus erster Ehe haben». Höpflinger, emeritierter Soziologieprofessor der Uni Zürich, nennt sie «Zweit ehenkinder». Typisch ist, wenn eine Frau um die 40, kurz bevor sie keine Kinder mehr bekommen kann, mit einem Mann um die 50 zusammenkommt. Früher waren späte Kinder vor allem Nachzügler, die Jüngsten von mehreren Geschwistern. Heute haben nur noch 17 Prozent der Schweizer Familien überhaupt drei oder mehr minderjährige Kinder. 41 Prozent der Familien haben zwei. 42 Prozent nur eines. Laut dem US-Forscher Andrew L. Yarrow vergrössert das Alter der Eltern «die typischen Vorteile und Nachteile eines Aufwachsens als Ein-

Wie mir ergeht es vielen Spätgeborenen. Ein US-Forscher befragte 1991 rund 800 erwachsene späte Kinder. Ergebnis: 38 Prozent von ihnen schämten sich als Teenager für das Aussehen ihrer Mütter und 27 Prozent für das der Väter. In der Regel sprachen sie nicht darüber. Möglicherweise spiegelt sich in dieser Scham der Jugendlichkeitskult unserer Zeit, der in den USA noch stärker ist als hier. Doch auch eine 25-jährige Studentin aus dem Aargau sagt, dass es ihr peinlich war, mit ihrem über 75-jährigen Vater, der an Alzheimer litt, im Supermarkt einzukaufen: «Jeder, der uns sah, dachte, dass auch mit mir etwas nicht stimmt.» In der Diskussion um späte Elternschaft tauchen heikle Themen meist nicht auf. Denn hier kommen fast ausschliesslich die Eltern zu Wort: Väter jenseits Die «Sandwich-Generation» ist eingeklemmt zwischen der Betreuung der 50 schwärmen von den Freuden des nächtkleiner Kinder und der Versorgung gebrechlicher Eltern. lichen Windelnwechselns und nachmittäglicher Spielplatzbesuche. Mütter über 40 bezelkind nochmals». Einzelkinder fühlten sich häufiger einsam als Gerichten stolz, wie sie Karriere und Kinder doch noch zusammenbekomschwisterkinder. Dafür bekommen sie mehr Aufmerksamkeit und erben men haben. Nicht wenige betonen, ihr Alter spiele überhaupt keine Rolspäter alles. Späte Kinder bewegen sich mehr unter Älteren, die sie wie le, nur die Liebe zähle. «kleine Erwachsene» behandeln. Nicht wenige geben sich altklug, was Späte Kinder sind längst ein Massenphänomen: Jede sechste Gebäsie unter Gleichaltrigen schnell zu Aussenseitern macht. rende ist hierzulande heute über 35, jeder fünfte Vater über 40. Selbst Viele lernen auch nie Oma oder Opa kennen. Denn die potenziellen 22 600 AHV-Rentner haben minderjährige Kinder. Schweizer Mütter Grosseltern sind oft schon nicht mehr da, wenn sie zur Welt kommen. sind bei der Geburt ihrer Babys im Durchschnitt 31,7 Jahre alt. Vor 20 Oder sie sind zu alt, um ihre Enkel lange begleiten zu können. Laut AlJahren waren Gebärende im Schnitt noch 2,4 Jahre jünger. tersforscher François Höpflinger handelt es sich bei «späten Familien Die Hauptbetroffenen dieses Trends kommen öffentlich kaum vor: überdurchschnittlich oft um Zwei-Generationen-Familien». Den Kindern die späten Kinder. Wer mit ihnen spricht, erfährt aber, dass es nicht fehlen so zusätzliche Bezugspersonen – und den Eltern Babysitter. In leicht ist, von Eltern aufgezogen zu werden, die ihre Grosseltern sein der Schweiz, wo das Kinderbetreuungsangebot den meisten anderen könnten. Ein spätes Kind zu sein, hat viele Schattenseiten, die die Eltern Ländern Westeuropas hinterherhinkt, fällt das doppelt ins Gewicht: Für oft nicht sehen oder nicht sehen wollen. eine Schweizer Mutter, die Teilzeit arbeitet, springt meist das Grosi ein. Dass wir das Kinderkriegen aufschieben, hat viele Ursachen. Die 73 Prozent der Grossmütter sehen laut Bundesamt für Statistik junge Enwichtigste: Immer mehr junge Erwachsene absolvieren lange Ausbilkel einmal pro Woche oder mehr – ein europäischer Spitzenwert. Dumm dungen. Der deutsche Soziologe Hans Bertram spricht von der neuen nur, wenn eine späte Mutter keine einsatzbereiten Eltern mehr hat. Rush-Hour des Lebens, eine extrem verdichtete Lebensphase, die viele Viele späte Kinder erlebten ihre Eltern, wie es eine 45-jährige Nachzwischen Ende 20 und Ende 30 erleben. Sie müssen vieles gleichzeitig züglerin formuliert, als «bereits ermüdet», von der Erziehung früherer hinbekommen: berufliche Karriere, eine Partnerschaft, Kinder und die Kinder und den Pflichten des Alltags ihrer Kräfte beraubt. «Ich habe keiErziehung. Hinzu kommt, dass in der Schweiz Kinder immer noch FrauSURPRISE 376/ 16

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nen Vater erlebt, sondern einen Grossvater», sagt zum Beispiel die 73jährige Bestsellerautorin und Psychologin Julia Onken über ihren Vater, der bei ihrer Geburt 65 Jahre alt war. Er habe nicht mehr mit ihr herumtollen oder auf Bäume klettern können. Auch die 25-jährige Basler Studentin Anna sagt, dass «ich leider die Zeit verpasst habe, in der mein Vater noch zelten ging». Der 56-jährige Peter aus Thun bedauert, dass sein 56 Jahre älterer Vater wegen seines Alters und eines Hüftleidens nicht mehr mit ihm Fussball spielte, obwohl er früher ein begeisterter Kicker war. Vor allem Männer tragen es laut dem US-Autor Andrew L. Yarrow ihren späten Vätern nach, dass sie früher zu wenig körperlich mit ihnen unternommen haben. Jungs seien stärker auf solche Aktivitäten fixiert als Mädchen. Dieser Rückzug ist oft nur ein Anfang. Viele späte Väter ziehen sich Schritt für Schritt aus dem Familiengeschehen zurück. François Höpflinger nennt das «informelle Grossvaterschaft»: Der Spätzeuger schlüpft in die Rolle des Grossvaters. Er überlässt seiner Frau die Erziehung. Sie muss den Sprösslingen Grenzen setzen, über deren Einhaltung wachen. Er erspart sich so die Konflikte. Für die Kinder ist das eine zweischneidige Sache: Sie bekommen mehr Freiheiten – und manche stehen viel zu früh allein da. Paul wurde von seinen Geschwistern grossgezogen Paul war verm utlich ein Unfall. Seine Eltern, 51 und 40 Jahre alt bei seiner Geburt, hatten schon drei Kinder. Sie hatten kaum m ehr Kraft, sich um ihn, den jüngsten Nachzügler, zu küm m ern. Seine drei älteren Geschwister m ussten darum öfter für sie einspringen. Zu seinen Eltern fand Paul nie einen Draht: «Vielleicht waren sie schon zu alt und zu m üde.» Paul durfte nie jem anden zum Spielen m itbringen. Die Mutter wurde depressiv, die Kinder rückten näher zusam m en. Sein Bruder half ihm beim Anziehen, brachte ihn zum Kindergarten. Paul ist heute 52, Gym nasiallehrer und selbst später Vater zweier Söhne, 12 und 14 Jahre alt. Als sein Vater starb, hinterliess er Mem oiren. Pauls Nam e taucht auf den 94 Seiten kein einziges Mal auf. Paul sagt: «Ich habe vieles nicht bekom m en, was ein Kind braucht.»

Aus späten Kindern werden häufig frühe Pflegende. Manche müssen sich bereits mit 20 um einen Elternteil kümmern, der körperlich oder geistig abbaut. Im Extremfall füttert eine späte Tochter mit der einen Hand ihr Baby, während sie mit der anderen am Handy die Spitex für den dementen Papa organisiert. Soziologen sprechen von der «Sandwich-Generation». Sie meinen damit, dass Betroffene zwischen der Betreuung kleiner Kinder und der Versorgung gebrechlicher Eltern oder Schwiegereltern eingeklemmt sind. Die Doppelbelastung macht einer jungen Frau meist mehr zu schaffen als einer gestandenen Mittfünfzigerin. NichtSpätgeborene bekommen in der Regel diese Verpflichtungen nacheinander aufgehalst, nicht gleichzeitig: Sie müssen ihren alternden Eltern meist erst dann helfen, wenn die Kinder schon aus dem Haus sind.

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Nadine muss neben dem Baby die Eltern pflegen «Ich fühle m ich für m eine Eltern verantwortlich», sagt Nadine. Doch in ein paar Wochen bekom m t sie ihr erstes Baby. Die 31-jährige Erzieherin küm m ert sich bisher um die Pflege der betagten Eltern, die beide zunehm end auf Hilfe angewiesen sind. Nadine chauffiert sie zum Arzt, besucht sie, wenn nötig, im Spital, schaut, dass keine Rechnungen liegen bleiben. Sie wohnt seit einiger Zeit in ihrem Haus, 1. Stock, die Eltern im Parterre. Als Jüngste von drei Schwestern ist sie die Einzige, die noch in ihrer Nähe wohnt. Als Nachzüglerin lebt sie nun bald im Spagat zwischen eigenem Kind und der Betreuung der Eltern.

Viele späte Kinder machen sich früh schon Sorgen um ihre Eltern. Als 12-Jährige merkte Nadine plötzlich, wie alt ihre Eltern waren, und sie überfiel die irrationale Furcht, dass beide am nächsten Morgen tot im Bett liegen würden. Tagelang beschäftigte sie der Gedanke: Wer wird dann für mich sorgen? Wo werde ich leben? Die Ängste sind begründet, auch wenn heutige späte Eltern in der Regel länger leben und fit bleiben als frühere Eltern-Generationen: Späte Kinder sind dennoch oft frühe Waisen, wie ein spanisches Sprichwort prophezeit. Denn sie haben ein grösseres Risiko als Nachkommen junger Eltern, früh ein oder beide Elternteile zu verlieren. Mit neun Jahren verlor Johannes seinen Vater «Der Verlust prägt m ich bis heute», sagt Johannes, der den Lebensm ut verlor, als sein Vater m it 67 Jahren starb. Sein letzter Wunsch an den Sohn: «Küm m er dich um deine Mutter.» Da war Johannes neun. Seine Mutter fiel in eine Art Schockstarre und war ab da nicht m ehr erreichbar für ihn. Sie suchte sich nie m ehr eine neue Stelle, sass viel in der Küche oder auf der Couch herum , löste Kreuzworträtsel, rauchte, trank Kaffee, plauderte m it Nachbarinnen, die ab und zu vorbeischauten. Ansonsten wartete sie, dass ihr Sohn von der Schule kam . Und später von der Uni. Für ihn steht heute fest, dass «die Mutter auch m ich angesteckt hat m it ihrer Passivität, Trauer und Lebensangst». Auf jeden Fall fuhr er noch lange m it ihr in die Ferien, besuchte sie, telefonierte regelm ässig: «Ich pflegte ein fast krankhaft enges Verhältnis zu ihr.» Erst nach dem Krebstod der Mutter fühlte er sich frei. Er war 37 und begann sein eigenes Leben zu leben. Nicht alle späten Kinder erleben das fortgeschrittene Alter der Eltern als lebenslanges Problem. Aber vielen macht es irgendwann zu schaffen, egal ob sie sich früh um einen gebrechlichen Vater kümmern müssen, sie sich für das Aussehen der Mutter schämen, den Daddy als Spielpartner vermissen oder die antiquierten Wertvorstellungen von beiden SURPRISE 376/ 16


beklagen. Und alle Kinder prägt es. Denn auch wenn viele späte Eltern das bestreiten: Ihr Alter zählt. Es lässt ihre Kinder «älter» und vereinzelter aufwachsen als Gleichaltrige mit jüngeren Eltern und grösseren Familien. Die Erfahrung, mit älteren Eltern gross zu werden, macht Spätgeborene unter Gleichaltrigen zu Fremden. Manche beraubt es ihrer Kindheit. Andererseits erkennen viele meiner Gesprächspartner auch die Vorzüge, die es haben kann, mit älteren Eltern aufzuwachsen. Denn ihr reiferes Alter schränkt die Eltern zwar zuweilen physisch ein, bringt Kindern aber oft auch psychologische Vorteile: Sie haben das Glück, dass ihre Väter und Mütter sie besonnener, reifer und zugewandter erziehen als jüngere Erzeuger, die oft noch stark mit sich beschäftigt sind. Soziologe Hans Bertram betont: «Je gefestigter Mütter und Väter sich in ihrer Biografie fühlen, desto stabiler sind das Wissen und die Werte, die sie vermitteln.» Sie haben zudem gute Chancen, von den Eltern gemeinsam aufgezogen zu werden. Denn ältere Paare trennen sich seltener als jüngere, das zeigen alle Statistiken. Fünf von sechs späten Kindern sagen gemäss einer US-Studie von 1991 rückblickend, dass sie von den guten finanziellen Verhältnissen ihrer Eltern profitiert haben. Laut Soziologe Höpflinger haben «späte Eltern oft einen höheren sozialen Status erreicht und sind in einer Phase, die beruflich weniger intensiv ist». Sie haben Zeit, ihre Kinder zum Martinsumzug zu begleiten oder ihnen beim Flötenvorspiel zuzuhören. Nicht selten dienen diese Kinder der Sinnstiftung. Die Eltern nahmen die Chance wahr, ihrem Leben nochmals einen neuen Inhalt jenseits des Materiellen zu geben. Diese Kinder sind erwünscht und geliebt, vielleicht manchmal auch verwöhnt. Kurz gesagt: Späte Kinder haben eher reife, besonnene Eltern, die viel Zeit, Aufmerksamkeit und Zeit in sie investieren. Sie haben oft einen besseren Start ins Leben als Nachkommen jüngerer Paare. Nur haben sie ihre Eltern eben oft nicht so lange. Späte Eltern können die Risiken für ihre Kinder durch eigenes Zutun verringern, indem sie sich nicht scheuen, auch heikle Themen dieser Familienkonstellation anzusprechen, etwa das Gefühl des Beschämtseins, das viele Kinder empfinden, wenn sich jemand abfällig über das Äussere ihrer Eltern auslässt. Oder ihre Verlustängste. Kinderarzt und Buchautor Remo Largo nimmt vor allem alte Väter in die Pflicht: Jüngere Kinder brauchen, falls der Vater stirbt, weitere erwachsene Bezugspersonen

neben der Mutter, die sich um sie kümmern. Largo fordert vor allem eines: Ältere Eltern sollten offen mit der eigenen Vergänglichkeit umgehen. Günthers Eltern taten das. Günther hat viel Unterstützung von den Eltern erfahren Günthers Mutter hatte schon wieder Bauchweh und dachte, sie habe Krebs. Was sonst? Ihre Tage hatte sie schon lange nicht m ehr. Erst die Frauenärztin sagte: «Sie werden einen schönen Krebs zur Welt bringen.» Daran hatte sie nicht m ehr gedacht. Sie war bei Günthers Geburt 40, der Vater 45. Die Tochter bereits 19 Jahre alt. Sie waren einfache Leute, die Mutter half auf einem Bauernhof, der Vater war Anstreicher – doch ihre Lebenserfahrung hatte sie gelassen, tolerant und pragm atisch gem acht. Heute ist Günther selbst 66, Ex-Manager und sagt, seine Eltern hätten ihn als politisch aufm üpfigen, unkonventionellen Sohn stets unterstützt. Sein Vater sagte: «Was kann ein Kind durch Hiebe lernen, was es durch Liebe nicht begreift?» Seine Eltern hielten im m er zu ihm , auch als er m al einen jungen Mann und m al ein Mädchen zum Übernachten heim brachte. Und als er 1968 m ehr Zeit auf Dem os verbrachte als im Hörsaal – und später einen gutbezahlten Stadtplaner-Job hinwarf, um auf Reisen zu gehen. Seine Mutter rechnete angesichts ihrer fragilen Gesundheit ständig m it ihrem eigenen Tod. Sie sagte jedenfalls im m er: «Ich m öchte noch erleben, wie Günther in die Schule kom m t.» Dann sagte sie: «Ich m öchte erleben, wie Günther zur Kom m union geht.» Später: «Ich m öchte erleben, wie er Abitur m acht.» Und: «Ich m öchte erleben, dass er studiert.» Sie wurde 99. ■

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Eric Breitinger Späte Kinder. Vom Aufwachsen mit älteren Eltern, Ch. Links Verlag 2015, 232 Seiten

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Der 27-jährige Eric N’de spielt als Stürmer für die CSA Teamplayers Aarau. Der Mann von der Elfenbeinküste will in Glasgow möglichst viele Tore schiessen. «Fussball ist mein Leben», sagt der Fan von Ronaldinho. Europameister-Tipp: Schweiz.

Strassenfussball Ein Kick fürs Leben Strassenfussball bringt den Spielern Spass und Motivation in den Alltag. Und die Berufung ins Nationalteam kann eine entscheidende Wende im Leben bewirken. VON BEAT CAMENZIND ( TEXT) UND LUCIAN HUNZIKER ( BILDER)

zwei Eritreer, ein Mazedonier und ein Mann aus der Elfenbeinküste mit. Ob diese Spieler nach Grossbritannien reisen können, ist noch fraglich. Sie brauchen allesamt ein Visum. In Schottland ist man streng mit deren Vergabe, man befürchtet, die Spieler möchten gleich im Land bleiben. Darüber kann Besuchet nur den Kopf schütteln: «Wer zieht denn schon Schottland der schönen Schweiz vor?» Aber auch einem Schweizer Spieler half sie beim Papierkrieg: «Er hatte schlicht keine gültigen Reisedokumente.»

«Nach dem Homeless World Cup werde ich meine Sucht-Vergangenheit abschliessen und bewusst ein neues Leben starten.» Das sagte Juri Locher nach der Teilnahme am Homeless World Cup in Chile 2014 mit der Schweizer Strassenfussball Nationalmannschaft. Er ist nicht der Einzige, der am Turnier neuen Lebensmut gefasst hat. Laut den Organisatoren gehen über 90 Prozent der Spieler mit einem positiven Lebensgefühl und mehr Selbstvertrauen nach Hause. Sie waren Teil einer Spieler, nicht Sozialfälle Mannschaft, haben ihr Land repräsentiert, anderen Menschen vertraut Für das Turnier infrage kommen Spieler, die ihr Leben so weit im und dabei Spass gehabt. Einige Spieler finden nach dem Turnier Arbeit, Griff haben, dass sie die Pflichten des Spielervertrags einhalten können. andere eine Wohnung. Ein Spielervertrag? «So zeigen wir: Wir nehmen euch ernst. Und die «Der Anlass motiviert die Spieler, ihr Leben in den Griff zu bekomSpieler zeigen uns: Wir nehmen euch ebenfalls ernst», erklärt Besuchet. men. Er stärkt ihr Selbstwertgefühl, sie übernehmen Verantwortung für ihr Leben», sagt Lavinia Besuchet. Sie leitet beim Verein Surprise den Strassenfussball. ZuDas Turnier ist mehr als ein Spiel: Die Teilnehmer führen Tagebuch, sammen mit Nationalcoach David Möller orgaschreiben über ihre Stärken und Schwächen, ihre Motivation, ihren nisiert sie die Surprise Strassenfussball Liga. Umgang mit Drogen. Dort machen 16 Mannschaften in vier Turnieren jedes Jahr seit 2009 den Schweizermeister Mit dem Vertrag verpflichtet sich jeder Spieler, an sämtlichen Trainings, unter sich aus, wobei das Fairplay für das Punkten im Vordergrund am Turnier und am Trainingslager teilzunehmen. Er spielt fair und drosteht. Aus diesen Teams rekrutiert Möller die Spieler für die Nationalgenfrei. Und er behandelt Material und Unterkunft mit Respekt. «Wir semannschaft. Diese setzt sich jedes Jahr neu zusammen, da jeder Spieler hen die Spieler als Sportler und nicht als Sozialfälle», sagt Besuchet. nur ein Mal am Homeless World Cup teilnehmen kann. Doch das Turnier ist mehr als ein Spiel: Die Teilnehmer halten ihre ErDieses Jahr findet der Cup im schottischen Glasgow statt. 64 Teams lebnisse in einem Tagebuch fest. Sie schreiben darin über ihre Stärken mit 512 Spielern aus 52 Ländern werden vom 10. bis 16. Juli um Titel und Schwächen, ihre Motivation, über den Umgang mit Drogen, über das und Ehre kämpfen. Teilnehmen können Obdachlose, Drogenabhängige, Team, den Teamgeist. Sie definieren Ziele und kontrollieren, ob sie diese Asylsuchende und Strassenzeitungsverkäufer, «sozial benachteiligte erreicht haben. «Das Turnier ist sehr intensiv für die Spieler», sagt BesuMenschen eben», sagt Besuchet. Sie und Möller stecken derzeit mitten chet. Die Strassenfussball-Nationalmannschaft ist kein Touristen-Grüpp in den Vorbereitungen für das Turnier. Und diese sind bisweilen aufli, das mal eben in einem fernen Land ein Grümpelturnier besucht. ■ wendig. Im erweiterten Schweizer Team spielen ein Türke, ein Afghane, SURPRISE 376/ 16

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Oben: Günther Rothenfluh ist Realist: «Deutschland wird Europameister». In Glasgow amtet der FC-BaselFan als Team-Betreuer. Spielen wird der 44-jährige Verteidiger nicht, er war schon 2011 in Paris am HWC. Rechts: David Aellen ist der Teamplayer im Mittelfeld der Strassenfussball-Nati. Mit seinen gefühlvollen Lobs bringt der 33-jährige Dragons-Fussballer die Gegner zur Verzweiflung. Und er kann kämpfen wie Birkir Bjarnason vom FC Basel, sein Vorbild. EM-Tipp: Spanien.

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Filmon Brhane (19) ist der Mittelfeldstratege mit dem strammen Schuss. Der Eritreer verehrt den ehemaligen FC-Liverpool-Spieler Steven Gerrard, spielt für Surprise Basel und freut sich, in Schottland seinem Lieblingssport nachzugehen. EM-Tipp: Deutschland.

«Portugal gewinnt die EM», sagt der Türke Burhan Akkaya. Der 44-Jährige stürmt für die Gassechuchi Luzern. Er sei aber kein eingefleischter FussballFan, sagt er. Seine Stärke im Team: Humor und gute Stimmung.

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«Deutschland gewinnt die EM», ist sich Ruedi Kälin sicher. Der 58-jährige «Allrounder» weiss als ehemaliger Eishockey-Goalie beim HC Davos, dass im Mannschaftssport das Team der Star ist.

Der 28-jährige Afghane Yakoob Rostami schwärmt für Cristiano Ronaldo von Real Madrid. Sein Lieblingsteam ist aber Atlético Madrid. Er spielt bei Multibasel im Sturm. Dort gelingt es ihm, den Ball vorne zu halten. Rostami freut sich auf Glasgow. Fussball ist für ihn der perfekte Sport, «weil jeder mitmachen kann». Sein EM-Tipp: England (oder Frankreich, oder Italien).

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Oben: «Spanien wird Europameister», sagt Efrem Abraham aus Eritrea. Der 23-Jährige sieht sich auf dem Feld als Allrounder. Er spielt bei Surprise Basel, und der gegnerische Torwart sollte sich vor seinem satten Schuss fürchten. Unten: Raphael Garot stürmt aus «purer Freude am Spiel» für Surprise Basel und die StrassenfussballNati. Der 36-jährige schwärmt für Paris SaintGermain und sieht Frankreich als Europameister.

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Strassenmusik Cello im Inferno Marcello Palermo lebt von der Hand in den Mund. Und von Strassenmusik. Die Behörden stört der Kleinstverstärker, den er für seine selbstgebauten Arme-Leute-Gitarren braucht. Immer wieder wird er gebüsst – doch er gibt nicht auf.

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VON BEAT CAMENZIND ( TEXT) UND DOMINIK PLÜSS ( BILD)

Mit dem rechten Fusspedal kickt er auf einen Plastikkanister. Mit dem anderen bearbeitet er eine Metallkiste mit Schellenring. Das gibt den Rhythmus: bumm-tsch-bumm-tsch. Die Gitarre setzt ein. Ein verzerrtes Blues-Riff mit Slide-Einlagen. Dann beginnt er mit seiner Raspelstimme zu singen: «I got – a long way – to drive.» Ein Lied über einen Lastwagenfahrer. Das ist «Cello Inferno». So nennt sich Marcello Palermo als Musiker. Und da ist noch sein Markenzeichen: Mit dem linken Fuss betätigt er gleichzeitig eine Espressomaschine. Die öffnet und schliesst sich im Takt. Beim Öffnen spuckt sie Feuer. Am 8. Januar 2016 trat er zusammen mit einem Feuerschlucker im Garten des Luzerner Konzerthauses «Schüür» auf. Die Proben dazu hatte er gefilmt, reine Realsatire: Kaum hatten die beiden mit Üben vor dem Haus in Kirchberg begonnen, fuhr die Polizei vor. Nach klärenden Worten schauten die Beamten den beiden fasziniert zu. Die Polizisten hatten keine Ahnung, wofür die beiden da probten. Das Konzert in der «Schüür» war ein Benefiz-Anlass für Cello Inferno. Tritt Palermo als Strassenmusiker auf, dauert es oft nicht lange und die Polizei ist vor Ort. Meistens bemängeln sie seinen Kleinstverstärker. Verstärkte Strassenmusik ist ohne Bewilligung verboten. Doch darum kümmert sich Palermo nicht: «Zu umständlich». Manch ein Polizist drückt ein Auge zu, doch längst nicht jeder: «Ich habe schon über 2000 Franken an Bussen bezahlt», sagt Palermo. Beim Benefiz-Anlass kamen 1600 Franken zusammen. Genug Geld, um trotz eifrigen Polizisten weiter auf der Strasse zu spielen.

te er genug vom «militärischen Drill» und fuhr wieder Lastwagen. Länger als zwei Jahre hat Palermo nirgends gearbeitet. «Ich habe ein Autoritätsproblem», sagt er. Als sein Chef ihm für ein Konzert mit seiner Folkband nicht frei geben wollte, hatte er genug. Er kündigte und ging stempeln. Dort hiess es: ab in den Lastwagen. Palermo entschied sich für die Strassenmusik und gegen LKW oder Sozialamt. Steuergeschenke kompensieren? Seine erste E-Gitarre kaufte er sich mit 14 Jahren. Das Geld dafür verdiente er mit einem Ferienjob. Zum Banjospielen kam er beim Zirkus Pipistrello. «Der Musikregisseur hat mir das Ding in die Hand gedrückt und gesagt, du spielst ab jetzt Banjo.» Das brachte er sich selber bei. Inzwischen kann Marcello Palermo von der Musik leben. Immer wieder wird er von der Strasse weg für Konzerte engagiert, mittlerweile sind es vier pro Monat. Reich wird er damit nicht: «Ich lebe von der Hand in den Mund.» Da kommen die eifrigen Polizisten ungelegen. Im Jahr 2015 erhielt Cello Inferno mehrere Bussen in Basel, Bern und Luzern. Der Luzerner hält wenig von der Tiefsteuerpolitik seines Kantons: «Muss die Polizei mit den Bussen die Steuergeschenke an die Reichen kompensieren?» Tatsächlich wollte die Regierung von der Polizei immer mehr Einnahmen sehen. Budgetierte sie 2010 noch 18,1 Millionen Franken, sollten es 2014 schon 22,3 Millionen sein. Und die Polizisten übertrafen die Vorgaben meistens. Christine Wyss organisiert seit dreizehn Jahren das Strassenmusik-Festival «Buskers Bern» und findet die Regeln für Strassenmusik zu strikt. Sie kritisiert das Verbot für Verstärker: Trommler etwa seien lauter als ein kleiner Verstärker. Und die halbe Stunde pro Spielort sei zu kurz. Entsprechend zurückhaltend sollte die Polizei Bussen verteilen. So sehen die Behörden das auch in Thun, Biel und Winterthur. Sie setzen auf das klärende Gespräch. Anders in den grösseren Städten: 2015 stellten Bas-

Immer weniger liberal Wer die Regeln für Strassenmusik der grösseren Schweizer Städte durchliest, versteht Palermos Probleme. In Basel etwa ist lauter Gesang verboten, in Zürich muss man schon nach 20 Minuten den Platz wechseln. Und: Die Regeln werden nicht liberaler. Basel hat die Spielzeiten eingeschränkt, St. «Ich ziehe mein Ding durch. Ich ziehe nicht einmal pro Woche ConverseGallen die Gebühr erhöht. In Biel und WinterSchuhe an und hänge mit ein paar Freunden im Band-Raum rum.» thur muss man bei der Gewerbepolizei vorMarcello Palermo, Musiker spielen. In Winterthur, Chur und St. Gallen bezahlt man eine Gebühr von 20 bis 30 Franken. ler Polizisten 48, Berner 71 und Luzerner 40 Bussen aus. In Zürich zählt In den meisten Städten darf man höchstens eine halbe Stunde am selman diese Bussen nicht. In Biel und Chur kostet die Busse 50, in Winben Ort spielen. Und es gibt Polizisten, die das überprüfen. Palermo erterthur 100 Franken. Beim zweiten Mal verdoppelt sich der Betrag. hielt in Basel eine Busse, weil er fünf Minuten zu lang gespielt hatte. Doch das schreckt ihn nicht ab: «Ich ziehe mein Ding durch», sagt PaKlassik, Metal, Balkansound lermo. «Ich lebe Rock’n’Roll. Ich ziehe nicht einmal pro Woche ConverPalermo weiss, die Polizisten machen einen Job und nicht die Gesetse-Schuhe an und hänge mit ein paar Freunden im Band-Raum rum.» ze. Und bliebe er gelassen, würde er seltener gebüsst. Aber: «Wenn ein Und wenn die 1600 Franken aufgebraucht sind, organisiert er ein Polizist mich viermal am Tag kontrolliert, mich mit Namen anspricht Crowdfunding oder einen weiteren Benefiz-Anlass. Oder er sitzt die Busund ich immer noch meinen Ausweis zeigen soll, werde ich halt stinse im Gefängnis ab. Auf den Verstärker verzichten will er keinesfalls. kig.» Ein Beamter wollte ihm gar den Verstärker wegnehmen, er wehrte Sonst klingen seine selbstgebauten Gitarren nicht. Der Korpus besteht sich. Gegen eine Busse aus Bern hat Palermo Einsprache erhoben. Er beaus Zigarren- oder Guezli-Kisten. Den Rest nimmt er von einer herruft sich auf die Schweizer und die Berner Verfassung. Diese gewährleikömmlichen Stromgitarre. Diese «Cigarbox Guitars» entstanden im 19. sten Wirtschafts- und Kunstfreiheit sowie Schutz vor staatlicher Willkür. Jahrhundert in den USA. Arme Leute spielten damit Blues oder Folk. Palermo macht sich aber keine Illusionen, dass er damit durchkommt. Seit einigen Jahren erleben «Cigarbox Guitars» ein Revival und werden Genauso weiss er, dass er ohne Verstärker kaum Probleme hätte. Aber: mit Tonabnehmer versehen. Für Marcello Palermo ist das Tüfteln an sei«Ich mache nicht Musik, damit mich niemand hört. Und der Verstärker nen Gitarren ein Einstieg in den Gitarrenbau. Und die Gitarren sind ein ist nicht viel lauter als das Banjo.» Publikumsmagnet. Und wie entspannt sich Cello Inferno? «Beim Tüfteln in der WerkDenn: «Mit der akustischen Gitarre ein paar alte Hits runterschramstatt zu klassischer Musik.» Klassik? «Ja, Klassik.» Musikalisch ist er meln zieht heute nicht mehr», weiss Palermo. Seit sechs Jahren tritt er offen: Er hört Blues, Metal, Punk, Old-Time-Jazz, Balkansound, Counals Cello Inferno in halb Europa auf. Der Anfang mit dem Banjo war hartry, nur bei elektronischer Musik bekommt er «Vögel». Kinder hat er zig. Aber das Geld reichte fürs Essen und ein Bier. Und die Auftritte keine, Palermo ist single, «ein Freigeist», sagt er und streicht sich mit machten ihm mehr Spass als Lastwagenfahren. Das hat der 36-Jährige der Hand durch den Bart. Zudem kocht er gerne: «Ich bin Italiener», bei der Migros im luzernischen Dierikon gelernt. Viel konnten die Lehrsagt er stolz und schon wird er wieder lauter: Er regt sich über die SVP meister dem Mechaniker-Sohn nicht beibringen. «Ich habe oft meinem und ihre Initiativen auf. Wenn das so weitergehe, werde er wohl bald Vater in der Werkstatt geholfen.» Das Leben in der Fahrerkabine war ausgeschafft. nichts für ihn. Also heuerte bei einem Zirkus an. Nach zwei Jahren hat■ SURPRISE 376/ 16

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Fremd für Deutschsprachige Böse Männer, arme Frauen Es gab eine Frau im Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, der ich immer aus dem Weg zu gehen versuchte. Ihren bewollsockten und in Klettverschlusssandalen gepackten Fuss auf die Fahrradpedale gestützt, pflegte sie sich vor mir aufzubauen, ein breites Lächeln im Gesicht. Das Rad stellte sie dabei quer vor sich hin. Eine Schranke, die mir den Weg abschnitt. Meine Erinnerung an ihre Fragen ist nicht mehr so klar wie die an ihren Gesichtsausdruck, doch ich weiss noch, dass sie sich stets um den Alltag bei uns drehten, um meine Eltern und insbesondere meinen Vater: Was er so tut, was er mir erlaubt, was nicht. Wenn dann endlich der Moment kam, wo sie sich auf den Sattel schwang und die Schranke wegzog, verabschiedete sie sich mit den Worten: «Du bist wirklich eine ganz, ganz Herzige!» Und manchmal rief sie noch von weitem: «Das kommt schon gut, gell?!»

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Aber was würde gut kommen? Ich war ratlos, spürte aber, dass ich offenbar ein Problem hatte in ihren Augen, den mitleidsvollen. Und der Grund, weshalb mich ihr Kompliment miss trauisch machte, schien irgendwie mit diesem «Problem» zu tun zu haben. Einmal erlebte ich, dass das Lächeln der Frau einer stummen Irritation Platz machte. Das war an einem heissen Sommertag, wo ich ihr am Schwimmbadeingang in die Falle ging. «Warst du in der Badi?», fragte sie. Ohne Lächeln. Ich nickte und nutzte ihren Verwirrungsmoment, um mich an ihr vorbeizudrücken. Ich hatte jahrelang nicht mehr an diese seltsamen Verhöre gedacht, als die Frau mir neulich auf ihrem Mondia-Damenvelo wieder ins Gedächtnis surrte, während der «Arena». Es ging, wie meistens, um den Islam: Hitzig wurde der Fall zweier Schüler debattiert, die der Lehrerin den Handschlag verweigert hatten. Eineinviertel Stunden lang kam nicht der leiseste Zweifel daran auf, dass die Jungen die Lehrerinnenhand nicht schütteln wollten, weil sie als Muslime Frauen gering schätzten. Man könnte nun vieles sagen zu dem vielen dort Gesagten, aber mir geht es hier um den Velofrau-Moment: Die «Arena» wurde regiert von demselben «Problem» von damals, und dieses hat mit Geschichten über Migration und muslimische Männer und Frauen zu tun. Es sind Geschichten von Migration als Problem. Die Hauptrolle darin spielen migrantische Männer: Sie sind

Täter und Ursache des Problems; ein Problem nicht nur fürs Abendland, sondern auch für «deren eigene» Frauen und Töchter. Die ganz, ganz herzigen migrantischen Frauen spielen die Nebenrolle des Opfers. Warum ging es in der «Arena» nicht um den gleichzeitig in den Medien kursierenden Fall von der Frau, die es abgelehnt hatte, ihrem Zahnarzt die Hand zu geben? Da hätte man wohl kaum stillschweigend interpretiert, der Grund für ihre Weigerung liege in der typisch muslimischen Männerverachtung. Die Velofrau fuhr mir bei diesem Gedanken laut klingelnd entgegen, und aus ihrem Einkaufskorb fielen polternd die zig Migrationsproblemgeschichten der letzten Jahre zu Boden: Schweizer aufschlitzende Kosovaren, Mädchen, die den Schwimmunterricht nicht besuchen dürfen, ein gewisser thaiboxender Carlos, ein anonymer Flüchtling mit Tächlikappe, der in der Hängematte liegt, ein Tross Import- und Zwangsbräute, irgendein Typ mit Goldkette und Brusthaar, der Kölner Dom und Julia Onken, die ein paar Kopftuchträgerinnen vor einer Moschee verscheucht, um deren Minarett platt zu machen. Aber eben, das kommt schon alles gut, gell? Shpresa Jashari ist Sprach- und Sozialwissenschaftlerin und lebt in Zürich. Mit diesem Text verabschiedet sie sich nach fast vier Jahren aus der Kolumne «Fremd für Deutschsprachige». Sie bedankt sich ganz herzlich bei den Leserinnen und Lesern und bei Rahel Nicole Eisenring für ihre Illustrationen zur Kolumne. SURPRISE 376/ 16


Belluard Festival Türkischer Greyerzer Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Antworten gibt’s am Fribourger Kunstfestival Belluard Bollwerk International, wo sich zahlreiche Theaterstücke, Tanzperformances und Kunstinstallationen mit lebendigen Traditionen beschäftigen – also auch mit Migration und Identität.

Greyerzerkäse aus der Türkei? Nein, dabei handelt es sich keineswegs um irgendeinen Billigimport, sondern um ein Produkt, dessen Rezept zwei Schweizer Migranten vor einem Jahrhundert nach Ost-Anatolien mitgebracht haben. Innerhalb des neuen lokalen Kontexts ist unter dem Namen Kars Gravyer ein Käse mit einer ganz eigenen Geschichte entstanden. Drei Kunstschaffende aus der Türkei und der Schweiz verknüpfen in «Tales from the Dairy Diaspora» fiktive und dokumentarische Aspekte dieser Geschichte zu einem Video-Essay. Türkischer Gruyère, warum auch nicht? Traditionen, auch jene der Käseherstellung, sollten keine starren Konstrukte sein, sondern sich Veränderungen anpassen können. Nur so bleiben sie lebendig und geben Menschen auch in Zukunft ein Gefühl von Zugehörigkeit. «Unter dem Einfluss von Migration und Demografie ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, dass der Mensch nicht nur eine, sondern multiple Identitäten hat. Kultur ist nichts Festes, sondern entwickelt sich dauernd weiter, deshalb auch unser diesjähriges Motto der lebendigen Traditionen», sagt Anja Dirks, Direktorin des Belluard Festivals, das jedes Jahr Kunstschaffende aller Disziplinen und Zuschauer aus der ganzen Welt im zweisprachigen Freiburg versammelt. Im Programm finden sich Uraufführungen mit lokalem Bezug sowie Gastspiele, die das jeweilige Thema global betrachten. Die Bedeutung lebendiger Traditionen in einer vernetzten Welt offenbart sich in fast allen programmierten Bühnenstücken, Konzerten und Installationen. Die beiden Tanzperformances «Sons of Sissy» und «SunBengSitting» des Österreichers Simon Mayer oder «Itmar» von Géraldine Chollet spüren mit Körpereinsatz und viel nackter Haut der Identität von Mann oder Frau im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne nach. Sie ergründen tänzerisch die archaischen Ursprünge der Volkskultur wie auch männliche Rollenbilder und Archetypen des Weiblichen. Tradition zeigt sich immer auch dort, wo starke Emotionen ausgelebt werden. Der indische Künstler Amitesh Grover präsentiert am Belluard eine Doku-Performance über Klagefrauen, die an Begräbnissen dazu verpflichtet werden, der kollektiven Trauer Ausdruck zu verleihen. Grover lädt eine Klagefrau und eine tamilische Forscherin ein, sich mit ihm über diese Kunst des öffentlichen Trauerns auszutauschen. Wir definieren uns als Mann oder Frau, Schweizer oder Ausländer über unsere Emotionen – oder manchmal auch als Anhänger eines Sportclubs. In Freiburg konzentriert sich die Fankultur auf den traditionsreichen Eishockeyclub Fribourg Gottéron. Der Freiburger Regisseur Julien Chavaz, der auch selber gerne Spiele live im Stadion mitverfolgt, widmet seine Kammeroper «Sholololo!» den Fangesängen der Anhänger. SURPRISE 376/ 16

BILD: OPÉRALOUISE

VON MONIKA BETTSCHEN

«Sholololo!» Diese Dame sieht nach Oper aus, kann aber auch Fussball.

«Zwischen Oper und Sportanlass gibt es viele Gemeinsamkeiten, zum Beispiel sind beide in Akte respektive Halbzeiten oder Drittel aufgeteilt. Beide leben von Inbrunst und grossen Gefühlen, beide haben ein Publikum, und in beiden spielen Melodien eine tragende Rolle», sagt Chavaz. Es war während eines Matchbesuchs, als in ihm die Idee heranreifte, Fangesang und Oper zu verschmelzen: «Ich habe mich irgendwann gar nicht mehr auf das Spiel konzentriert, sondern einfach die Fans angeschaut. Ich war ein Publikum des Publikums.» Aus diesen Beobachtungen entstand «Sholololo!»: Die Protagonisten können sich nur in Fan gesängen ausdrücken. Erzählt wird auf diese eigenwillige Weise eine Liebesgeschichte, die schwungvoll zwischen Humor und Absurdität hin und her pendelt. «Fangesang ist ja nichts Schönes, es geht dabei einzig um die Lautstärke. Die Melodien sind repetitiv und einfach, meistens mit nur drei Noten. Indem solche Melodien nun aber in bester Operntradition vorgetragen werden, erhalten die Zuschauer einen neuen Zugang sowohl zur Fankultur als auch zur Oper. Der Ausdruck rückt anstelle des Inhalts ins Zentrum», so der Regisseur und Mitbegründer der Opernkompagnie Opéra Louise, der diese Produktion als eine Hommage an die universelle Sprache der Oper und der Fangesänge versteht. ■ Festival Belluard Bollwerk International, 23. Juni bis 2. Juli, verschiedene Spielstätten, Freiburg. www.belluard.ch

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BILD: ZVG

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Kultur

Alexandra in den Städten: Die Illustratorin eignet sich das Andere an, indem sie es zeichnet.

Blick hinter die Oberfläche: Die Schuld nagt an der Seele.

Buch Stadtromanzen

DVD Abzweigung in die Schuld

Alexandra Klobouks Liebeserklärungen an Istanbul und Lissabon sind nicht nur Augenweiden, sondern auch ansteckend.

Wim Wenders lässt in «Every Thing Will Be Fine» James Franco seinen Wagen durchs verschneite Kanada steuern – bis …

VON CHRISTOPHER ZIMMER

VON DIANA FREI

Die Illustratorin Alexandra Klobouk hat im wahrsten Sinne des Wortes eine Bilderbuchkarriere hingelegt. So jung wie sie ist (geboren 1983), wurden bereits zwei ihrer Werke von der Stiftung Buchkunst als Schönste Bücher ausgezeichnet: 2012 «Polymeer. Eine apokalyptische Utopie» über Polschmelze und Plastikmüll, und 2013 «Der Islam, für Kinder und Erwachsene». Am Beginn dieser Karriere und an ihrem vorläufigen Endpunkt stehen zwei wunderschöne Reisebücher, beides Liebeserklärungen an aussergewöhnliche Städte voller Widersprüche und Gegensätze, Schönheiten und Sorgen: Istanbul und Lissabon. Gemeinsam ist diesen Büchern ihre unverwechselbare, frischfröhliche Bildsprache und Gestaltung – und die konsequente Zweisprachigkeit. Denn wer sich aufmacht, um eine fremde Stadt nebst Land, Bewohnern und Kultur wirklich kennenzulernen, der kommt nicht darum herum, die Sprache, wenigstens im Ansatz, zu lernen. Dafür bieten beide Bücher in Wort und Bild einen lebendig gestalteten Einstiegskurs. Bedingt durch ihre jeweilige Lebenssituation hat Klobouk für beide Berichte einen ganz eigenen Ansatz gewählt. 2008 lebte sie bereits sechs Jahre in Berlin und begegnete vielen Türken – und mit diesen einer ganzen Palette von Vorurteilen. Doch eine Dokumentation über die junge Musikszene Istanbuls lässt sie an diesen Vorurteilen zweifeln, und so macht sie ein Austauschstudienjahr, um Türkisch zu lernen und um hinter die Pauschalurteile zu blicken. Jahre später, inzwischen mit Diplom, also «Künstlerin, freischaffend und mittellos», beschliesst sie, mit ihrem Freund zusammen für ein Jahr nach Lissabon zu ziehen – eine «Schnapsidee und eine der besten Ideen meines Lebens», wie sie schreibt. Und auch hier, wie schon in Istanbul, verliebt sie sich in die Stadt nicht nur wegen ihrer Schönheiten, sondern gerade auch wegen ihrer Fehler, Unvollkommenheiten und offensichtlichen Probleme. Und eines ist gewiss: Diese Liebe ist ansteckend.

«Every Thing Will Be Fine», alles wird gut: Der Titel spielt mit der Vorstellung der heilen Welt, und die wird hier subtil, aber vielschichtig angeknackst. Am Anfang fahren wir mit Tomas im Schneegestöber eine Strasse entlang, es wird eine schicksalhafte Fahrt werden. Sie kommt an einer Weggabelung zu einem vorläufigen Ende, wo ihm ein kleiner Junge auf einem Schlitten in die Quere kommt. Es knirscht der Schnee, es rascheln die Bäume, und es entfaltet sich ein atmosphärischer Film, der mit fliessenden Kamerabewegungen ein Leben einfängt, das unausweichlich seinen Lauf nimmt. Die Szenen skizzieren Situationen in wenigen Sätzen, und Streichermusik trägt uns ins Innenleben der Figuren hinein, wo einiges am Brodeln ist. Da sind Tomas (James Franco), ein Schriftsteller, und die Illustratorin und hingebungsvolle Mutter Kate (Charlotte Gainsbourg), die in dem roten Häuschen am Ende der Strasse wohnt, in die das Schicksal einmal falsch abgebogen ist. Zwei einsame Seelen, die das Schicksal an diesem Wintertag auf tragische Weise verknüpft. Kate versucht, im Schrecklichen einen Sinn zu sehen, in Tomas gärt es leise weiter. Und es führt ihn vermutlich zum literarischen Erfolg, indem er seine Schuld in seinen Romanen verarbeitet – was ihm Kates Sohn Christopher nach Jahren zum Vorwurf macht. Viel von Tomas’ innerem Drama steckt in jener Szene, in der ihm Christopher – unterdessen ein junger Erwachsener – einen Stapel Bücher zum Signieren in die Hand drückt. Tomas unterschreibt, als ob es ein Ablasshandel wäre: Die Bücher werden zum stillen Vorwurf und die Unterschrift zu einer Art Wiedergutmachung. «Every Thing Will Be Fine» ist ein Film über den Umgang mit Schuld und Schicksal und darüber, dass das Vergangene auch dann seine Spuren hinterlässt, wenn man es einem Menschen von aussen nicht ansieht: Unter der Oberfläche verschiebt sich die Wahrnehmung der Welt. An sich 3D gefilmt, wird hier oft durch Fenster und Spiegelungen geblickt, die tieferliegenden (Wahrnehmungs-)Ebenen suchend. Da es aber nicht als Popcorn-Spektakel konzipiert ist, funktioniert es auch zweidimensional ab DVD.

Alexandra Klobouk: Istanbul, mit scharfe Sosse? Onkel & Onkel TB 2013. 19.90 CHF / Lissabon im Land am Rand. Viel & Mehr 2015. 23.90 CHF

Wim Wenders: «Every Thing Will Be Fine», D/CDN/F/S/N 2015, 118 Min., mit James Franco, Charlotte Gainsbourg, Rachel McAdams u.a. Mit freundlicher Unterstützung von Les Videos, Zürich: www.lesvideos.ch

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Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, in dem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in pre kären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu be gleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Wer viele Blüten pflückt, darf dafür den Durst löschen. 01

Proitera Betriebliche Sozialberatung, Basel

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Kaiser Software GmbH, Bern

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Hervorragend AG, Bern

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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

Der Holunder erfreut uns zweimal: Im Frühling mit jungfräulich weissen Blüten – und im Spätsommer mit schwarzen Beeren.

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Frank Türen AG, Buchs

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Schweizerisches Tropen- und Public Health-

VON TOM W IEDERKEHR

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Familie Iten-Carr Holding AG, Zug

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Brother (Schweiz) AG, Dättwil

Wie so oft im Leben gibt es auch beim Holder nicht den Fünfer und das Weggli: Sie müssen sich entscheiden, ob Sie im Frühling die aromatischen Blüten ernten wollen oder ob Sie bis zum Spätsommer ausharren und auf die herbsüss-saftigen Beeren warten. Egal, wie Sie sich entscheiden: Holunder tut immer gut. In unseren Breitengraden findet sich der Holunder in Gärten sehr oft auf den Grundstücksgrenzen. Er soll die bösen Geister von Haus und Hof fernhalten und für gute Beziehungen zwischen den Nachbarn sorgen. Allerdings empfiehlt es sich nicht, ein Nickerchen in seinem Schatten zu halten: Die unerwünschten Geister, welche der Strauch vom Haus abgehalten hat, sollen sich gemäss einem Aberglauben mit dem Raub der Seele rächen. Kein Aberglaube ist hingegen die gesunde Wirkung des Sambucus: Die Holunderblüten, die Rinde und Blätter haben schweiss- und harntreibende Eigenschaften, tragen im Frühling also zur Entschlackung des Körpers bei. Der Saft der schwarzen Beeren wiederum wirkt antioxidativ und tut so ganz grundsätzlich gut. Um sich den ganzen Sommer lang am feinen Aroma der Blüten zu erfreuen und gleichzeitig ein leichtes und erfrischendes Getränk zu haben, eignet sich der Holunderblüten-Sirup. Pflücken Sie die Blütendolden am besten nach ein paar regenfreien Tagen, sie sollten nicht nass sein. Ideal ist der frühe Nachmittag, wenn die Blüten sich geöffnet haben und intensiv duften. Zur weiteren Verarbeitung die groben grünen Stängel entfernen, denn sie enthalten Bitterstoffe. Die Blüten nicht wässern, nur leicht schütteln. Aber auch nicht zu heftig, sonst gehen mit dem Blütenstaub Farbe und Aroma verloren. Aus acht bis zehn Holunderblütendolden können rund zwei Liter Sirup hergestellt werden. Die Blüten zu einem Liter Wasser in eine Schüssel geben, mit einem Deckel bedeckt am Fenster ca. 24 Stunden ziehen lassen. Danach das so aromatisierte Wasser absieben und mit einem Kilo Zucker und 20 Gramm Zitronensäure, welche in der Drogerie gekauft werden kann, zum Kochen bringen und zwei bis drei Minuten sprudeln lassen. Sofort heiss in saubere, vorgewärmte Flaschen füllen, verschliessen und auskühlen lassen. Kühl und dunkel gelagert hält der Sirup bis zur nächsten Ernte im Frühjahr. «Wer Holunder bei sich trägt, schreckt vor Ehebruch zurück» sagt der Volksglaube. Ob’s stimmt, lässt sich leider nicht abschliessend sagen. Wenn nicht, dann hat er wenigstens den Durst gelöscht.

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Maya-Recordings, Oberstammheim

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Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

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Imbach Reisen AG, Wanderreisen, Luzern

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Institut und Praxis Colibri, Murten

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Scherrer & Partner GmbH, Basel

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Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen

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Petra Wälti Coaching, Zürich

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Bachema AG, Schlieren

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Pro Lucce, Eschenbach SG

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Mcschindler.com GmbH, Zürich

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Burckhardt & Partner AG, Basel

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Schluep & Degen Rechtsanwälte, Bern

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AnyWeb AG, Zürich

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TYDAC AG, Bern

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InhouseControl AG, Ettingen

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Hauswirth Privat-Pflege, Oetwil am See

Bezugsquellen und Rezepte: www.piattoforte.ch/surprise

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Piatto forte Geister, Durst und Ehebruch

Institut, Basel

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Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

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Ausgehtipps

Ein Jubiläum der anderen Art.

Zürich Tuusig, tuusig!

Auf den Spuren von Integration damals und heute.

Luzern Fremd im Untergrund Das Quartier um die Luzerner Bern- und Baselstrasse nennt sich Untergrund. Im Mittelalter wohnten dort Kranke und Alte, es gab einen Pestfriedhof und einen Galgen. Später wurde die Gegend zur ersten Station für Zuzüger. Die Mieten sind tief, die Häuser heruntergekommen. Zwischen Gütschhang und Reuss zwängen sich Strassen und Eisenbahn hindurch. Entsprechend laut ist es. Erst kamen die Entlebucher, dann die Deutschen und Italiener, später Menschen vom Balkan, aus der Türkei, aus Lateinamerika und Afrika. Sie alle prägten das Quartier. Nicht alle waren gleich willkommen. Das weiss Urs Häner. Der Theologe bietet die «Untergrundgänge» an, etwas andere Stadtrundgänge. In der Führung «Fremd sein – heimisch werden» erzählt er von schwierigen Einbürgerungen, Schulproblemen vor 100 Jahren, von der jüdischen Gemeinde. Und er erklärt, wie und wo die Einwanderer im Quartier Zeichen setzten. (bc)

Immer montags am Sihlquai 240 – das ist eigentlich alles, was man über die Boschbar wissen muss. Wer in Zürich auf der Suche nach Trink- und Tanzkultur die ausgetrampelten Pfade verlässt, landet irgendwann dort. Ein Geheimtipp ist «die Bosch» jedoch schon lange nicht mehr. Sonst würde sie nicht diesen Juni ihren tausendsten Abend feiern können. Die Boschbar funktioniert als Kollektiv, Eklektizismus ist Programm. Kleiner Rückblick in die vergangenen Monate: Die Noise-Band Bruital Orgasme («schöner Lärm aus Belgien»); das Singer-Songwriter-Duo Marey («verzaubert dich mit Texten über das Leben, die Liebe, sich selbst»); K a R a ok E («Singen für alle! Alle können singen!»; Rolf Saxer («ein Hardware Only Set mit Drumcomputer, Sampler und Synthesizer»). Was die Jubiläumsnacht angeht, verraten die Organisatorinnen noch nicht mehr als: «tuusig tuusig dunnerwätter». Sicher ist: Es wird getrunken. Es wird getanzt. Und alles wird gut. Aber Achtung: Ausnahmsweise findet die Bar an einem Samstag statt montags statt. Das ist alles, was man wissen muss. (ami) Boschbar zum 1000. Mal, Sa, 18. Juni, ab 22 Uhr, Sihlquai 240, Zürich. www.strandbaer.ch/bosch

Heuen, misten oder über Zürich nachdenken.

Zürich Mir heis gäbig hie Anita Geret thematisiert mit ihren Acrylbildern das Leben in den Berner Voralpen, bodenständig, ererbt und – wer weiss das schon – womöglich bis in alle Ewigkeit fortbestehend. Sie zeigt auch ihre Sicht auf die Vorstädte und Randgebiete von Bern, in die man nach einer kurzen Fahrt eintaucht, beinahe ohne es zu merken. Hier stellt man fest: Auch die Agglo ist ein Heimatort für diejenigen, die immer hier waren, aber auch für die, die dazugekommen und hiergeblieben sind – auch wenn sich der grösste Teil des Lebens trotzdem in der Stadt Bern abspielt und sie hier nur wohnen. Im Vorort, mit Ausblick auf Landschaft und Berge. Man ist hier nicht in Zürich, das weit weg und nur über die vollen Pendlerzüge oder die noch vollere A1 zu erreichen ist. Viele hassen es irgendwie, manche lieben und nutzen es. Und die meisten in und um Bern herum finden: «Mir heis doch so gäbig hie.» (dif) Ausstellung in der Galerie werk2, Vernissage Fr, 3. Juni 2016, 18 bis 21 Uhr, Apéro mit Anita Geret, So, 12. Juni 2016, 14 bis 17 Uhr, Finissage Sa, 2. Juli 2016, 18 bis 21 Uhr, unverbindliche Besichtigung nach Vereinbarung unter 079 717 83 02 oder werk2@grube45.ch, Grubenstrasse 45, Zürich www.grube45.ch; www.anita-geret.ch

«Fremd sein – heimisch werden», 18. Juni, 14.30 Uhr, Treffpunkt beim «Lokal» neben dem Historischen Museum, Pfistergasse 24, beim Kasernenplatz, www.untergrundgang.ch

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Perlen, Ramsch und Leckereien zum Abendessen.

Ob sich auch Mah-Jongg in 20 Minuten erlernen lässt?

Basel Zwielichtig

Zürich Analoge Gaming Convention

Kaum brach die Nacht an, begann Scheherazade mit ihren Erzählungen. Denn die schlaue Schöne aus 1001 Nacht wusste genau: Nachts gelten andere Regeln, und auch der strenge Kalif drückt mal ein Auge zu. Wenn auch nicht gleich um Leib und Leben, das nächtliche Verhandeln üben kann jeder: auf dem regelmässigen Nachtflohmarkt in der Basler Markthalle. Zugegebenermassen geht es hier meist um profane Dinge des täglichen Gebrauchs, dafür ist mit dem reichen Angebot an Essensständen auch fürs leibliche Wohl gesorgt. Rund um die längste Nacht des Jahres fällt der Nachtflohmarkt dieses Mal zwar etwas weniger nächtlich aus als auch schon, Spass macht das Stöbern aber auch im Dämmerlicht. (win)

Wer den heimischen Poker-Koffer nicht mehr sehen kann, sucht sich Inspiration für neue Abendunterhaltung am Spielesonntag im Zentrum Karl der Grosse im Oberdorf. Alle bringen mit, was sie am liebsten mögen: Boggle, Twister oder Schach, und finden sich dann alle 20 Minuten mit einem neuen Team zu einem anderen Spiel zusammen. Es sei denn, jemand hat schon vorher verloren oder schmollt. (Bedenke: Mensch, ärgere dich nicht.) Die lustige Spielerochade findet bei Tee, Bier oder Sirup im Innenhof statt, Eintritt frei, Kind und Kegel sind willkommen. Es wird lustig und laut. (win) Das Spiel zum Sonntag, 19. Juni, 15 Uhr, Karl der Grosse, Kirchgasse 14, 8001 Zürich, Innenhof, Eintritt frei, www.karldergrosse.ch

Nachtflohmarkt in der Basler Markthalle, 25. Juni, 17-22 Uhr, Steinentorberg 20,

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4051 Basel, Anmeldung für Verkaufende: www.altemarkthalle.ch/markt/flohmarkt

Bern Menschliche Kunst «Wie viel Menschlichkeit leistet sich die Schweiz?» Dieser Frage geht die Ausstellungsfolge «Weg der Menschlichkeit» nach. An acht Orten in der Schweiz beziehen Künstler Stellung dazu. Im Mai und Juni tun dies 17 Kunstschaffende in Bern. Der Parcours startet beim Bahnhofplatz, wo Thomas Klippers «Leuchtturm für Lampedusa» steht. Weiter geht es im Kulturhaus Progr, wo geflüchtete Künstler arbeiten und sich vernetzen können. Das Ende der Tour ist im Tramdepot Burgernziel. Die grosse Halle beheimatet den Hauptharst der Ausstellungen. Von Fotografien über Installationen bis zu Skulpturen und Performances ist da alles vertreten. Der Besucher soll erfahren, dass humanitäre Katastrophen alle betreffen, auch wenn sie weit weg stattfinden, so die Ausstellungsmacher. Dort finden auch mehrere Anlässe und Diskussionen zum Thema «Humanitäre Tradition der Schweiz». (bc) «Parcourshumain», 28. Mai bis 26. Juni, Bahnhofplatz, Progr, Tramdepot Burgernziel, Mi bis Fr, 12 bis 19 Uhr, Sa und So, 12 bis 17 Uhr, www.parcourshumain.ch

Lampedusa auf dem Bahnhofsplatz. SURPRISE 376/ 16

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Verkäuferporträt «Ich sage, was ich denke» Andreas Hossmann, 63, verkauft das Surprise Strassenmagazin im Basler Gundeliquartier. Seine Laufbahn im Finanzwesen endete ausgerechnet in der Liegenschaft, in der sich heute der Verein Surprise befindet.

«Wir sind hier im Büro der Surprise-Geschäftsleiterin, und weisst du was? Das war früher mal meins. Ja, wirklich, genau hier stand mein Pult. Bei der Treuhandfirma, die früher in diese Liegenschaft eingemietet war, hatte ich eine wichtige Position. Damals waren gerade neue Geldwäschereigesetze eingeführt worden, und ich war dafür verantwortlich, für alle Konten den wirtschaftlich Berechtigten ausfindig zu machen. Das war sehr heikel, die Kunden mussten persönlich vorbeikommen, zum Teil aus dem Ausland. Ich frage einen Kunden nicht per Post oder am Telefon, ob das vielleicht Schwarzgeld sei, das wir da für ihn anlegen. Ich bin schliesslich nicht ganz blöd. Ich begann meine Laufbahn 1968 mit der Banklehre bei einer französischen Bank am Claraplatz in Basel. Nach der Lehre setzte man mich dort in der Abteilung Börse Inland/ Ausland ein. Das war damals noch etwas ganz anderes, man sass mit den anderen Händlern am Ring im unteren Stock, hatte die Telexausdrucke vor sich und telefonierte die ganze Zeit mit den Korrespondenten. Danach konnte ich für anderthalb Jahre nach Paris zur Bank Dupont. Das war für mich ein Traum, der in Erfüllung ging. Ich hatte schon immer mit dem Gedanken gespielt, im Ausland zu leben. Leider ergab sich nach der Zeit bei Dupont keine Anschlusslösung in Paris, und so kehrte ich in die Schweiz zurück. Eine Weile machte ich dann einen Abstecher in die Kunstwelt und arbeitete als Disponent bei einer Firma, die Kunstwerke und Bargeld transportierte. Das Geschäft war noch im Aufbau, und sie brauchten jemanden, der das organisieren kann. Es war viel administrative Arbeit, aber manchmal musste ich auch den Revolver einpacken und bei einem Transport mitfahren. Danach machte ich in den Banken weiter, unter anderem als Börsenhändler bei der Bankgesellschaft, der heutigen UBS. Schliesslich landete ich bei der Raiffeisen in Aesch bei Basel. Meine wichtigste Aufgabe zu Beginn: Ich musste dafür sorgen, dass am Zahltag genügend Bargeld in der Kasse und Personal an den Schaltern war. Nebenbei baute ich den Börsenhandel auf. Mein Chef liess mir freie Hand, und ich verdiente für die Bank sehr viel Geld. Es wäre ein Job gewesen, den ich noch lange Zeit weitergemacht hätte – wenn da nicht ein neuer Chef eingesetzt worden wäre. Den Posten des Finanzchefs, den ich gerne gehabt hätte, belegte er gleich selbst. Und ganz allgemein hatten wir das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Der Mann war vordergründig immer freundlich, aber hintendurch mobbte er mich. Ich hingegen sage, was ich denke. Wenn ich denke, dass mein Chef nicht kompetent ist, dann äussere ich das auch. Irgendwann wurde mir gekündigt. Die Treuhandfirma, die hier in diesen Büros war, ging 2003 zu, weil die Miete nicht mehr bezahlt wurde. Wir gingen in Konkurs, und weil ich in den letzten paar Monaten noch zum Zeichnungsberechtigten der Firma erhoben worden war, hing ich in dem Konkurs mit drin. Dabei wusste ich nur, was meine Abteilung macht. In die Geschäftsbuchhal-

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BILD: AMI

AUFGEZEICHNET VON AMIR ALI

tung hatte ich keinen Einblick. Der Inhaber jedenfalls wanderte ins Gefängnis. Meine Strafe war, dass ich meine Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte: Bis heute sind Lohnforderungen an meinen damaligen Chef offen. Und wenn du erstmal Betreibungen hast, kriegst du natürlich keinen Job mehr in der Finanzbranche. Also jobbte ich kreuz und quer: morgens Zeitungen für die Frühzustellung ausliefern, nachmittags am Telefon die Kunden eines Weinhändlers beraten, abends Pizzakurier. Ein Monsterprogramm, mit dem ich aber auch nicht genug verdiente. Heute mache ich nur noch die Zeitungstouren, und daneben verkaufe ich Surprise. So komme ich durch bis zur Frühpensionierung. Aber ehrlich gesagt trage ich mich nicht mit dem Gedanken ans Aufhören. Die grosse Lehre für mich aus der Geschichte: So lange es dir gut geht, kommen alle und wollen etwas von dir. Wenn du mal unten bist, zeigen die Leute ihr wahres Gesicht. Mit vielen aus meinem einstigen Umfeld will ich heute nichts mehr zu tun haben.» ■ SURPRISE 376/ 16


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Elsa Fasil Bern

Kostana Barbul St. Gallen

Ralf Rohr Zürich

Marlis Dietiker Olten

Negasi Garahassie Winterthur

Josiane Graner Basel

Tatjana Georgievska Basel

Emsuda Loffredo-Cular Basel

Anja Uehlinger Baden

Fatma Meier Basel

Haimanot Ghebremichael Bern

Oliver Guntli Bern

Roland Weidl Basel

Daniel Stutz Zürich

Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken

1/2 Jahr: 3000 Franken

1/4 Jahr: 1500 Franken

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1 Monat: 500 Franken

376/ 16 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 376/ 16

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Surprise – mehr als ein Magazin

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit einem Netzwerk aus freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der ganzen Deutschschweiz. Sie kämpfen um den Titel des Schweizermeisters und des Weltmeisters beim Homeless World Cup. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen kostenlosen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine einfache und charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren. Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Gönner-Abo für CHF 260.–

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Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T + 41 61 564 90 90, F + 41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T + 41 61 564 90 90, M + 41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T + 41 61 564 90 70, F + 41 61 564 90 99 Amir Ali (ami, Heftverantwortlicher), Beat Camenzind (bc), Diana Frei (dif), Thomas Oehler (tom), Sara Winter Sayilir (win), redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Florian Burkhardt, Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Flurin Bertschinger, Monika Bettschen, Eric Breitinger, Lucian Hunziker, Dominik Plüss, Patric Sandri, Ramona Thommen Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 21 300, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./ Jahr Marketing, Fundraising T + 41 61 564 90 50 Svenja von Gierke (Leitung), Zaira Esposito Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugs weise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Vertriebsbüro Basel T + 41 61 564 90 83/ 85 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T + 41 44 242 72 11, M + 41 79 636 46 12 Reto Bommer, Sara Huber, Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T + 41 31 332 53 93, M + 41 79 389 78 02 Barbara Kläsi, Alfred Maurer, Fabian Steinbrink Scheibenstrasse 41, 3014 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T + 41 61 564 90 40 Paloma Selma (Leitung), p.selma@vereinsurprise.ch Strassenfussball T + 41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach), d.moeller@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Basel T + 41 61 564 90 40 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Paloma Selma (Koordination), rundgang@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Zürich T + 41 44 242 72 14 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Carmen Berchtold (Koordination), rundgangzh@vereinsurprise.ch Vereinspräsident Beat Jans Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt: Spendenkonto PC 12-551455-3 SURPRISE 376/ 16


Ist gut. Kaufen! Trendige Surprise Taschen in bunten Sommerfarben! Gemeinsam mit dem Secondhand-Shop Zweifach aus Basel haben wir diese trendigen Surprise Taschen entworfen! Die Taschen werden umweltfreundlich aus nicht mehr gebrauchten Lastwagenplachen genäht und mit Autogurten versehen. Sie sind geräumig und verfügen innen über ein grosses Zwischenfach. Erhältlich sind sie in den Farben Rot, Blau, Grün, Orange und Schwarz. Je nach Vorrat kann die Lieferung bis zu drei Wochen in Anspruch nehmen. Zweifach ist ein Betrieb der Eingliederungsstätte Baselland und bietet jungen und erwachsenen Menschen mit einer Behinderung die Möglichkeit, im beruflichen Alltag Fuss zu fassen. Tun Sie sich, Zweifach und auch Surprise etwas Gutes und bestellen Sie noch heute ihre Tasche in ihrer Lieblingsfarbe! Surprise City-Taschen (24,5 x 35,5 cm); CHF 45.– (exkl. Versandkosten) schwarz orange grün blau rot

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Schön und gut. Im Sommer unverzichtbar! Die Surprise Caps für coole Köpfe. Nur bei uns in Einheitsgrösse erhältlich: zur Auswahl stehen sie in den Farben Schwarz und Beige. Zugreifen! Grosses Badetuch 100 x 180 cm aus sehr langlebigem Zwirngarn, 100% handgepflückte Baumwolle. Mit Surprise Logo eingewebt und von A bis Z in der Schweiz hergestellt. Vorder- und Rückseite verschiedenfarbig: vorne kühles Aquablau, hinten heisses Rot.

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surprise@manifesta: Ein Projekt von JĂźrgen Krusche (ZHdK), Surprise Strassenmagazin und Surprise-Verkaufenden. Das Sonderheft erscheint am 12. August.


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