Surprise 378

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Nr. 378 | 1. bis 14. Juli 2016 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

Kurze Geschichten Für einen langen Sommer mit Lou Meili, Klaus Merz, Milena Moser, Ralf Schlatter, Gian Snozzi, Noemi Somalvico, Peter Stamm und Ulrike Ulrich


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Buch: Standort Strasse Bewegende Lebensgeschichten

Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand 152 Seiten CHF 40.– inkl. Versand- und Verpackungskosten ISBN 978-3-85616-679-3

Die belebten Plätze und Strassen der Deutschschweizer Innenstädte sind bekannt. Die Lebensgeschichten der Surprise-Verkaufenden, die hier arbeiten, jedoch nicht. Das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» rückt diese Personen ins Scheinwerferlicht und zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. Das Buch porträtiert zwanzig stolze Menschen, die trotz sozialer Not alternative Lebensentwürfe abseits staatlicher Hilfe gefunden haben. Die Angebote des Vereins Surprise haben ihnen dabei geholfen. Gastbeiträge sowie eine Fotoserie von Surprise-Standorten runden das Buch ab. Erfahren Sie mehr über die Lebensgeschichten unserer Verkaufenden und kaufen Sie jetzt das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand». Ein Teil des Geldes kommt direkt den Surprise-Verkaufenden zugute. Bestellen bei Verkaufenden oder unter: www.vereinsurprise.ch/shop/

Sommeraktion. Grosses Badetuch 100 × 180 cm aus sehr langlebigem Zwirngarn, 100% handgepflückte Baumwolle. Mit Surprise Logo eingewebt und von A bis Z in der Schweiz hergestellt. Vorder- und Rückseite verschiedenfarbig: vorne kühles Aquablau, hinten heisses Rot.

Strandtuch (100×180 cm) Aktionspreis: CHF 55.– (anstatt CHF 65.–) 50 Prozent des Verkaufspreises kommt Surprise zugute.

Alle Preise exkl. Versandkosten.

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*gemäss Basic 2008-2. Seite bitte MACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

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Titelbild: Priska Wenger

Editorial Schreiben ist Arbeit, Lesen ist Lust BILD: TOBIAS SUTTER

Waren Sie schon einmal Hauptfigur in einem Roman? So erging es mir vor einigen Jahren: Die Ex-Freundin meines Vaters publizierte einen Krimi und hatte mich und mein ganzes Umfeld in die Geschichte eingebaut. Schnell wusste in unserer Kleinstadt jeder, wer gemeint war, und fragte nach, was denn nun dran sei an dem Geschreibsel. Ich fand das gar nicht lustig, immerhin diente ich in dem Plot als Vorlage für die Mörderin. Zuerst wollte ich einen Gegenentwurf schreiben. Stattdessen zog ich es vor, zum Studium in die Grossstadt zu gehen und begegnete dem Buch nur noch einmal, als eine Frau in einem Berliner Bus darin las. Zum Glück wusste sie nicht, wer ihr gerade gegenübersass, dachte ich mir. Warum ich meinen Ärger damals nicht literarisch verarbeitet habe, hat unter ande- SARA WINTER SAYILIR rem damit zu tun, dass kreatives Schreiben eine hohe Kunst und eine Menge Arbeit REDAKTORIN ist. Zur Autorin wird man nicht einfach so. Deswegen sind wir auch besonders dankbar für die grosse Zahl von Kurzgeschichten, die uns zugewandte Schreibende zur Verfügung gestellt haben, um damit unsere Literatur-Sommerausgaben zu bestücken. Die erste der beiden Sondernummern halten Sie gerade in den Händen. Damit können Sie sich mit Peter Stamm an den Pool legen, mit Gian Snozzi nach Madagaskar reisen, in Milena Mosers Zug auf Christy und Ricky treffen, Klaus Merz’ Elefanten dressieren und Schildkröten beobachten mit Ulrike Ulrich, dann selbst zum Tier werden bei Noemi Somalvico, wie Lou Meili eine Frau am Strand verlassen und schliesslich mit Ralf Schlatter einen Leuchtturm bauen. Gerade weil wir wissen, wie viel Arbeit in diesen Geschichten steckt und dass es keinesfalls selbstverständlich ist, dass uns diese ohne finanzielle Gegenleistung geschenkt werden, unterstützen wir von Surprise den Aufruf des Verbandes der Autorinnen und Autoren der Schweiz AdS für eine angemessene Entlöhnung ihrer Arbeit. Denn mittlerweile halten kommerzielle Veranstalter es nicht mehr für nötig, für Autorenlesungen Honorare zu zahlen. Wer nach der Lektüre dieser Ausgabe Lust auf mehr bekommen hat, beim Erscheinen der nächsten Ausgabe am 15. Juli aber in den Ferien weilt, kann diese für sechs Franken plus Versandkosten auf Rechnung direkt bei uns bestellen: Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel oder info@strassenmagazin.ch Einen wunderbaren Sommer wünscht Ihnen Sara Winter Sayilir

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 Ihre Meinung! Wir sind gespannt auf Ihre Kritik, Ihr Lob oder Ihre Anmerkungen. Schreiben Sie uns! Auf leserbriefe@vereinsurprise.ch oder an Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen. Oder diskutieren Sie mit uns auf www.facebook.com/vereinsurprise SURPRISE 378/16

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Inhalt Editorial Schreibarbeit Mein Krimi Mit und ohne Gärtner Rätsel Sudoku und Kreuzworträtsel In eigener Sache Impressum INSP

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Schiffbruch VON PETER STAMM

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Madagaskar VON GIAN SNOZZI

12 Fremde im Zug VON MILENA MOSER

15 Hanni Ball VON KLAUS MERZ

18 Schildkrötentage VON ULRIKE ULRICH

22 Wüstenreise VON NOEMI SOMALVICO

24 Sommerloch VON LOU MEILI

27 Der Leuchtturm VON RALF SCHLATTER

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BILD: ZVG

Die Illustrationen dieser Ausgabe stammen von Priska Wenger. Die freischaffende Illustratorin gestaltet seit vielen Jahren die Bilder zu unserer Gerichtskolumne «Vor Gericht» und hat bereits mehrere Sonderhefte von Surprise bebildert. Priska Wenger lebt und arbeitet in New York und Biel.

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Mein Krimi Wer tut es wem an? Stellen Sie sich vor, Sie verfassen einen Krimi: Wer würde darin den Mord begehen, wer wäre das Opfer? Diese Frage haben wir unseren Verkaufenden gestellt. AUFGEZEICHNET VON BEAT CAMENZIND UND SARA WINTER SAYILIR

«Wenn ich selbst einen Krimi verfassen würde, wäre der Täter natürlich der Gärtner. Als Gärtner kommt man überall rein und niemand verdächtigt einen. Das ist noch lustig, denn ich bin selbst Gärtner. Aber ich bin viel zu lieb für einen Mord. Das Opfer in meinem Krimi wäre natürlich die, die drinnen hockt. Die Hausfrau, weil man geht ja eher aufs schwache Geschlecht. Eigentlich schaue ich lieber Krimis als dass ich sie lese. Zum Beispiel gucke ich gern den ‹Tatort›. Manchmal auch die amerikanischen Krimiserien, wie ‹The Mentalist›, aber ich bin wieder ein wenig weggekommen von diesem Zeug. Aber beim ‹Tatort› muss man ein wenig das Hirn einschalten und mitdenken. Es ist ja nur spannend, wenn die Handlung ein wenig offen ist.» André (Ändu) Hebeisen, Verkäufer in Bern

«In meinem Krimi wäre der Gärtner das Opfer. Täterin wäre eine Frau, die zwei Männer hat. Sie liegt im Bett mit ihrem Geliebten, der Ehemann kommt nach Hause und sie bringt ihn um. Mit einem Messer, und es spritzt viel Blut. Ja, das ist Kälin: Es muss weh tun. Selber habe ich wenig Zeit zum Lesen. Und wenn, dann ein Hitchcock oder so etwas. Aber: Ich schaue jeden Sonntag erst den Sport und dann den ‹Tatort›. Oft weiss ich ziemlich schnell, wer der Täter ist. Meistens bekommt man das am Anfang mit. Ausser die Schauspieler sind gut, dann wird’s schwierig. Kommissär Hunkeler gefällt mir auch gut, vor allem mit Mathias Gnädinger in der Hauptrolle.» Ruedi Kälin, Verkäufer aus Zürich

«Ich mag gern Krimis, die einem schlaflose Nächte bereiten, weil man nicht aufhören kann. So wie die Fernsehserie ‹The Mentalist›. Die Hauptfigur ist ein richtiges mieses Dreckschwein. Seine Art, Fragen zu stellen, ist psychologisch und fies, aber damit erfährt er genau die Dinge, die er wissen muss. Ich bin eben auch so ein Hinterlistiger. Wenn ich selbst schreiben würde, wäre es eine Mischung aus ‹The Mentalist› und ‹Castle› – eine spannende, fesselnde Geschichte, bei der die Leser oder Zuschauer bis zum Schluss nicht wüssten, wer der Täter ist. Denn ich gehe nicht nach dem Motto: Der Mörder ist immer der Gärtner. ‹Der Besuch der alten Dame› von Dürrenmatt ist doch auch so. Da weiss man auch bis zum Ende nicht, was passieren wird. So ist das Leben: Da kennt man einen 30 Jahre lang und weiss doch trotzdem nicht, wer er ist. So wie nach Mordfällen in der Zeitung steht: ‹Der Täter war den Nachbarn stets als netter, freundlicher Mensch bekannt.›» Peter Ortner, Verkäufer in Basel

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Schiffbruch VON PETER STAMM

«Kein Zustand auf der Welt ist so elend und arm, um darin nicht auch etwas Gutes erkennen zu können.» Daniel Defoe Zum Dessert hatte Richard die Heidelbeeren mit Sellerie, Gurke und Ingwer genommen. Das Essen war ein Traum, sagte er zum Küchenchef, der an seinen Tisch getreten war, um ihn zu begrüssen. Richard stutzte. Früher haben wir von anderen Sachen geträumt, nicht wahr? Der Koch lächelte höflich und sagte, er wünsche Herrn Gerster einen schönen Tag. Richards Handy hatte während des Essens ein paar Mal geklingelt, jetzt erst nahm er es ab und trat an die Brüstung der Terrasse. Es war seit Tagen sehr heiss, die Stadt und der See lagen im Dunst, die Berge waren nicht zu sehen. Von der unteren Terrasse drang Musik herauf, und obwohl Richard den Margin Call erwartet hatte, verstand er erst nicht, was sein Broker ihm mitteilte. Sprechen Sie Klartext, sagte er, stellte ein paar kurze Fragen und legte dann auf. Im Zimmer lagen aufgeschlagene Zeitungen herum, Ausdrucke von Newslettern, auf dem Bildschirm des Laptops waren mehrere Fenster mit Charts geöffnet. Richard hatte das Zimmermädchen angewiesen, nichts anzufassen, jetzt räumte er selber auf, warf alle Unterlagen in den Papierkorb und fuhr den Computer herunter. Dann zog er sich aus, schlüpfte in den Bademantel und ging ins Spa im Untergeschoss. Er war jedes Jahr ein paar Mal im Dolder, wenn er nach Zürich kam, um sich mit den Leuten von der Bank zu treffen. Die Sitzungen dauerten nie lange, sie dienten eher der Beziehungspflege. Richard verwaltete sein Vermögen selbst und gab die Aufträge per Telefon durch. Ein einziges Mal hatte Silvia ihn begleitet, aber sie hatte sich gelangweilt und ihn danach gefragt, weshalb er kein Hotel unten in der Stadt nähme, das wäre doch viel bequemer. Den Wellnessbereich nutzt du ja ohnehin nicht. Es ist das beste Haus am Platz, sagte Richard, als sei das eine Erklärung. Das nächste Mal fuhr er wieder allein. Das Schwimmbecken war leer. Richard schwamm ein paar Längen und trat dann ins Freie zu den Whirlpools. Auf einem der Liegestühle, die im Schatten von Sonnenschirmen standen, lag eine braungebrannte junge Frau in einem goldfarbenen Bikini und blätterte gelangweilt in einem Modemagazin. Richard zog einen der Stühle aus dem Schatten und legte sich hin. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so in der Sonne gelegen hatte. Seine Haut war weiss, sein Körper untrainiert und gezeichnet vom vielen Essen und vom Alkohol. Die Strahlen brannten auf seiner Haut und der Schweiss lief ihm über die Stirn. Nach viel-

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leicht einer halben Stunde legte sich ein kahlköpfiger Mann zur Frau im goldenen Bikini. Die beiden sprachen Russisch. Richard kühlte sich in einem der Wasserbecken ab. Als er sich den Fitnessraum anschaute, trat eine der jungen Frauen vom Empfang zu ihm. Soll ich Ihnen etwas erklären?, fragte sie. Richard schaute sich die furchterregenden Geräte an und schüttelte den Kopf. Ich wollte nur schauen, was ich mir all die Jahre erspart habe, sagte er. Die Angestellte sagte, sie böten auch Fitnesskurse an, Pilates, Antara, Body Pump. Richard sagte, er wisse noch nicht einmal, was das sei. Yoga?, schlug sie lächelnd vor. Er schüttelte den Kopf und bedankte sich. Den Rest des Nachmittags verbrachte er damit, sich die Kunstsammlung des Hotels anzuschauen. Dutzende Male war er an den Gemälden vorbeigegangen, die überall im Haus hingen, aber erst jetzt schien er sie wahrzunehmen. Er hatte sich an der Rezeption eine Liste der Werke geben lassen und schaute sich eines nach dem anderen an. Am längsten blieb er vor ein paar Pappschildern stehen, die der Künstler Bettlern abgeschwatzt haben musste und in goldene Rahmen gesteckt hatte. TRAVELING BROKE AND HUNGRY ANYTHING HELPS THANKS, stand auf einem. Die Freiheit der Bettler hatte ihn immer beunruhigt. Er dachte daran, dass er Silvia anrufen musste, um ihr zu sagen, was geschehen war. Dass er einen Lombardkredit auf dem Wertschriftendepot aufgenommen und das ganze Geld mit Währungsspekulationen verloren hatte. Achtzig Millionen verspielt in weniger als zwei Wochen. Wenn er nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden zehn Millionen beschaffen könnte, würde die Bank das Depot verwerten und die Konten sperren. Das Geld war unmöglich aufzutreiben. Das Haus würde versteigert werden, das Ferienhaus. Weiter mochte Richard gar nicht denken. Er setzte sich auf einen der Sessel in der Lobby. Der Raum war voller Pensionäre aus den USA, vermutlich gehörten sie zu einer Reisegruppe. Sie tranken Bier und unterhielten sich lautstark über die Luxusuhren, die sie gekauft hatten, über den schwachen Dollar und die unerträgliche Hitze. Richard kam sich vor wie ein Betrüger, ein Eindringling, der hier nichts mehr zu suchen hatte. Als der Kellner zu ihm trat und fragte, ob er etwas wünschte, schüttelte er den Kopf und stand auf. Er ging in die Bibliothek und schaute die Regale durch, lauter Reiseberichte, Expeditionstagebücher und prächtige Bildbände über ferne Weltgegenden. Er musste an seinen Landschaftsarchitekten denken, der einmal gesagt hatte, Lesen sei das letzte Abenteuer. Mitten zwischen den SURPRISE 378/16


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BILD: ZVG

glänzenden Bänden stand ein unscheinbares Taschenbuch, «Robinson schaute in die Ferne. Das Handy hatte er ausgeschaltet, nachdem es Crusoe» von Daniel Defoe. Richard hatte es als Jugendlicher gelesen und dauernd geklingelt hatte. Wenn die Rezeption einen Anruf durchstellen über alles geliebt. Eine Zeit lang hatte er mit dem Gedanken gespielt, zur wollte, sagte er, er habe keine Zeit. See zu fahren, aber dann hatte er Jura studiert, um später die Kanzlei In der Nacht tobte ein heftiger Sturm, am nächsten Tag war der Himmel seines Vaters zu übernehmen. bewölkt und es blieb kühl, auch nachdem die Sonne hervorgekommen Den Rest des Nachmittags verbrachte er lesend in seiner Suite. Er sagte war. Der Sommer schien endgültig vorbei zu sein. Kurz nach zehn klopfdie Tischreservierung für den Abend ab und bestellte sich ein Clubte der Hotelmanager an Richards Tür und verlangte ihn zu sprechen, sandwich und eine Flasche Wein aufs Zimmer. Er war so gefesselt von der Geschichte, dass er «Ich habe alles verloren. Ich bin ruiniert», stand in der Spalte mit das Buch während des Essens neben den Telder Überschrift «Schlimm» und gleich daneben in der Spalte, über ler legte und weiterlas. Mitten in der Nacht wachte Richard auf. Er trat die er «Gut» geschrieben hatte: «Aber ich bin am Leben.» auf den Balkon. Es war immer noch warm, obwohl es lange nach Mitternacht war. Die Lichter auf der anderen Seite des Sees flimmerten in der warmen Luft, entaber Richard liess ihn nicht herein und antwortete nicht auf die Fragen lang des Ufers war das Blinken der Sturmwarnung zu sehen. Noch nie und Bitten, die gedämpft durch die Tür drangen. Am Mittag erschien der war ihm die Schönheit dieser Aussicht so bewusst gewesen. Es kam ihm Manager mit dem Kellner, der das Essen brachte. Richard bat ihn mit vor, als befände er sich wie Robinson auf einer einsamen Insel, von der scharfer Stimme, das Zimmer zu verlassen. Als er wieder allein war, veres kein Entkommen gab. barrikadierte er die Tür. Von nun an liess er sich keine Mahlzeiten mehr Er legte sich wieder ins Bett und nahm das Buch vom Nachttisch. Es war bringen und lebte von den Vorräten, die er angelegt hatte. Als sie aufunnütz herbeizuwünschen, was nicht zu haben war, die Stelle hatte er gebraucht waren, wickelte er sich in den Bademantel und setzte sich auf sich mit Kugelschreiber angestrichen, und dieser Gedanke war es, der den Balkon, den Blick immer auf den Horizont gerichtet, als könnte dort mich zur Arbeit antrieb. ein Schiff auftauchen, um ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien. Als es dämmerte, sass Richard am Schreibtisch, vor sich eine Liste der Robinson hat achtundzwanzig Jahre durchgehalten, dachte Richard, Vor- und Nachteile seiner Situation, wie auch Robinson sie verfasst hatdas Abenteuer hat gerade erst begonnen. ■ te. «Ich habe alles verloren. Ich bin ruiniert», stand in der Spalte mit der Überschrift «Schlimm» und gleich daneben in der Spalte, über die er «Gut» geschrieben hatte: «Aber ich bin am Leben.» Auf dem Bett hatte er alle seine Habseligkeiten ausgebreitet, dazu den Inhalt der Minibar und der Früchteschale, die Toilettenartikel aus dem Bad, die zwei Regenschirme aus dem Schrank. Sogar die alten ZeitunPeter Stamm, geboren 1963, lebt als freier gen hatte er aus dem Papierkorb geholt und dazugelegt, man wusste nie, Autor in Winterthur. Im Februar ist sein neuwozu man sie noch brauchen konnte. Er erstellte eine Liste aller Gegener Roman «Weit über das Land» im S. Fischer stände, die er besass, und empfand plötzlich eine seltsame Zuversicht. Verlag erschienen. Die nächsten Tage verliess Richard das Zimmer nicht. Da das Bett mit seinen Dingen belegt war, richtete er sich auf dem Sofa einen Schlafplatz ein. Die Reste der Mahlzeiten, die er sich aufs Zimmer bringen liess, wickelte er sorgfältig in Kleenex und legte sie zu den Vorräten auf dem Bett. Er las die meiste Zeit im «Robinson» oder sass auf dem Balkon und


Madagaskar VON GIAN SNOZZI

1. Der Strom ist ausgefallen, der Aufzug funktioniert nicht. Im Lichtschimmer des Handydisplays steigt C die Treppe hinauf, Stufe um Stufe. Obwohl er vor Monaten in den neu errichteten Wohnblock eingezogen ist, hat er den engen Aufgang mit den Sichtbetonwänden noch nie benutzt, schon gar nicht im Dunkeln. Der unvertraute Raum, der sich die ganze Zeit über in seiner Nähe befunden hat, befremdet ihn. Auf dem Sofa liegend, wartet er darauf, dass das Licht zurückkehrt. Dabei denkt er an S. Das Display des Handys, das er fortlaufend zwischen den Fingern dreht, aktiviert sich. Ein blauer Schein fällt auf die Wände des dunklen Zimmers. Auf dem Display erscheint der Name von S. Mit S hat er die Schule besucht und Matura gemacht. Im Laufe der Jahre hat er mitansehen müssen, wie sie mit anderen Männern ging. Aber, oh Wunder, ihre Beziehungen waren allesamt gescheitert, und vor vier Tagen hat er sie endlich geküsst, und vor vier Tagen hat er mit ihr geschlafen. Mit den unerlässlichen Handgriffen ungeschickt zugange, musste ihm S bei allem behilflich sein. Es war sein erstes Mal, was er ihr verschwieg. Im Anschluss an die fleischliche Vereinigung, die gegen Mitternacht stattfand, drückte C kein Auge zu, während S auf der Seite lag und schlief wie ein Stein. Auch in den vier folgenden Nächten, von denen S nur eine einzige bei ihm verbrachte, gelang es ihm nicht, korrekt zu schlafen. Am Telefon erklärt sie nun, dass sie nach Berlin fahren werde. «Nach Berlin?» «Ja, Berlin.» «Für wie lange?» «Ich habe mich beim Writers-in-Residence-Programm beworben und den Zuschlag erhalten.» C weiss nicht, was das ist, das Writers-in-Residence-Programm, und will auch nicht danach fragen. Unter keinen Umständen darf er sich den Ärger, der in ihm hochkocht, anmerken lassen. «Wie lange dauert das?» «Das ist die Chance, auf die ich immer gehofft habe. Wenn ich es nicht tue, werde ich es bereuen.» «Wie lange?» «Ein Jahr.» «Ich gehe mit dir.» «Das werden wir noch sehen», sagt S nach einer kurzen Stille, «denk an dein Studium.» C hat zwei Semester an der ETH hinter sich. Erdwissenschaften. Seine Zensuren sind akzeptabel. Drei Wochen nach dem Telefongespräch, drei Wochen, in denen S fünfmal bei ihm nächtigt, aber nur dreimal mit ihm schläft, verabschiedet sie sich mit einem Kuss in Richtung Berlin. Im ersten Monat ihrer Ab-

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wesenheit schickt sie ihm einen Brief mit Fotos, geknipst mit einer altmodischen Einwegkamera, entwickelt in einem Fachgeschäft der Schlossstrasse. Die Adresse entdeckt er auf dem Umschlag, in dem die Fotos stecken, Fotos in kontrastarmen Grautönen: von ihrem dürftigen Zimmer im Wohnheim, von der Bibliothek, wo sie zu schreiben pflegt, und von der sandsteinernen Stadt mit ihren kahlfallenden Bäumen und den ausladenden Strassenzügen. Er versucht, in den Bildern zu entdecken, was der Grund ihres Fortgangs sein könnte. Aber die Sujets sind öde und unattraktiv; und manchmal bedrohlich. Auf keinem der Fotos ist S abgebildet, obwohl er sie mehrfach darum gebeten hat. Gemäss den Punkten einer Liste, die er in einer Vorlesung über Gesteinsmetamorphose anfertigt, erkundigt er sich in den Telefongesprächen, die ein bis zwei Mal pro Woche stattfinden, nach den Mitbewohnern, dem Essen, dem Wetter und der finanziellen Situation. Seine Bemühungen fallen auf unfruchtbaren Boden. Trotzdem fährt er fort, nach allem zu fragen, was ihm in den Sinn kommt, bis es nichts mehr zu fragen gibt, ausser wie der Tag verlaufen ist und wie sie sich fühlt. Die Antworten werden einsilbig, die Gespräche kürzer. Um die Stille im Hörer auszufüllen, erzählt er ihr von der erdwissenschaftlichen Exkursion, die fürs nächste Jahr geplant sei. Man habe die Wahl zwischen Madagaskar und dem Berner Oberland. Er werde sich für das Berner Oberland entscheiden. Es gelte, doziert er, sich eine solide Basis zu erwirtschaften. Dazu gehöre eben, sich in den eigenen vier Wänden auszukennen. C stellt fest, wie sich die Dinge ohne sein Zutun entwickeln; wie er die Fähigkeit einbüsst – wenn er sie denn überhaupt je besass –, etwas zu schaffen, was für S von Bedeutung ist. Er vernimmt Stimmen im Hintergrund und spürt ihre Unrast. Als er sich nach ihren Schreib-Fortschritten erkundigt, erwidert sie barsch, das könne er nicht nachvollziehen, und legt auf. Obwohl er spürt, dass alles verloren ist, will er sie in den Ferien besuchen. Er nimmt sich vor, mit äusserem Wohlwollen zu fahren und mit insgeheimem Spürsinn. Er will staunen, wo es nichts zu staunen gibt, und sich zurückhalten, wo andere eingegriffen hätten. Auf keinen Fall will er sich erklären, sondern das Leben, das er vertritt, für sich bewahren; und vielleicht, so denkt er, würde sie am Ende mit ihm zurückkehren. 2. Ein nie versiegendes Raunen und darüber flatternde helle Echos erfüllen die Bahnhofshalle. Eine ausländische Grossfamilie mit zwei Handwagen voller Gepäck schneidet ihm den Weg ab. Der Zug ist blau und endet weit hinter der Bahnsteigüberdachung, dort, wo sich die Gleise in der Dunkelheit verlieren. Zum Einsteigen muss er die Reisetasche hochwuchten und die Füsse auf metallene Klapptritte setzen. Ein Mann und eine Frau sitzen in seinem Abteil. Der Mann grüsst mit einem Nicken. Die Frau starrt aus dem Fenster. Der Mann sagt «Hi», die SURPRISE 378/16


«Where are you from?», fragt er. Der kleine Mann spricht, aber C verFrau sagt nichts. C vergleicht die Schlafplatznummerierung mit derjenisteht nicht. Es liegt an seiner Aussprache, denkt er und spürt dabei, wie gen auf der Fahrkarte: 28-D. Seine Liege befindet sich auf Brusthöhe etwas Bitteres in seinen Magen tröpfelt. rechts vom Eingang. Heruntergeklappt, was gegenwärtig der Fall ist, «I’m from Houston», sagt Mike, «Texas.» Katrin lacht. Ihr Zahnfleisch ist dient sie als Rückenlehne der Bank. Eine zweite Liege darunter fungiert blau. «Texas!», sagt sie viel zu laut und dreht sich ruckartig und stiert als Sitzfläche. Die gleiche Vorrichtung gibt es noch einmal auf der anaus dem Fenster. C würde wirklich gerne die Betten aufklappen und sich deren Seite. Das Abteil ist für vier Personen ausgelegt. schlafen legen. Unmerklich hat sich der Zug in Bewegung gesetzt. Der Mann und die Frau sitzen einander gegenüber am Fenster. Sie bliMike steht im Begriff, Katrin und den kleinen Mann in ein Gespräch zu cken hoch zu ihm und anschliessend nach draussen. Der Bahnsteig ist verwickeln. Reiseanlässe sind das Thema. Mike und Katrin sind Tourileer. Ein oberhalb der Tür eingelassenes Fach ist auf einer Plakette in sten, das versteht C, die Beweggründe des kleinen Mannes bleiben ihm fünf Sprachen als Gepäckablage gekennzeichnet. Um seine Tasche zu schleierhaft. Er beschliesst, dass ihn das Geplauder, das in zahlreiche verstauen, muss C zwei heikle Stufen einer schmalen Leiter an der gangRichtungen geht, nicht interessiert. seitigen Kabinenwand hinaufklettern. «Oh, listen!», sagt Mike, dreht seine Handflächen nach oben und holt eiEr setzt sich neben die Frau. Ihre Haare sind drahtig, ihr Mund rot wie nen gelben Notizblock aus der Manteltasche. Mit einem kurzen Bleistift Prittkleber. Sie hat ihre Arme um einen bunten Rucksack geschlungen. fertigt er eine Skizze an, zeichnet einen Fluss und verschiedene BrüC prüft seine Armbanduhr, studiert das Ticket, blickt aus dem Fenster cken, eine kleine Karte, denkt C. Mike redet auf Englisch, zählt auf Engüber den leeren Bahnsteig. Der Zug bewegt sich nicht. lisch, «one, two, tree, four», «impossible!», hört er ihn sagen, «impossi«I’m Mike», sagt der Mann und streckt die Hand aus. C schüttelt sie und ble!», und das Wort löst in ihm etwas aus, das sich rasend ausdehnt. stellt sich vor, mit vollem Namen. Mikes Augen sind schwarz und rollen verzückt in ihren weissen Höhlen hin und her. «Eim Kätrin», sagt die Frau, bricht im selben Er will staunen, wo es nichts zu staunen gibt, und sich zurückhalten, Moment in Gelächter aus und zerrt am Reissverschluss ihres Rucksacks. wo andere eingegriffen hätten. Auf keinen Fall will er sich erklären, Auf dem benachbarten Gleis fährt ein dunkelsondern das Leben, das er vertritt, für sich bewahren; und vielleicht, blauer Zug ein. Menschen steigen aus und so denkt er, würde sie am Ende mit ihm zurückkehren. Menschen stehen bereit, um an Bord zu gehen. Manche ziehen Rollkoffer hinter sich her, anMike kritzelt Ziffern und Buchstaben aufs Papier. Katrin pfeift durch die dere schleppen Skiausrüstungen. Manche tragen Militäruniformen, Zähne und wackelt mit dem Kopf. Der kleine Mann nickt und streicht andere dunkle Geschäftsanzüge. Ihr Atem entweicht in gefrierenden sich über die Schläfen. Wolken. «Exceptional!», sagt er. Plötzlich schwingt die Tür auf. Ein Mann schiebt sich rückwärts ins AbC steht auf und verlässt das Abteil. Im Gang ist niemand zu sehen. Er teil. Er ist klein, mit breitem Nacken und grauer Haut. Mit dem Fuss vernimmt Rollgeräusche wie aus alten Spionagethrillern. Die Wände bugsiert er eine grosse Ledertasche unter die Sitzbank. und der Teppich sind dunkel, an der Decke leuchten mattgelbe Lampen, Der kleine Mann setzt sich C gegenüber auf den letzten freien Platz. Er die Fenster sind niedrig. Er muss sich bücken, um hindurchsehen zu riecht nach Rasierwasser. Für Sekunden mustert der kleine Mann das können. Warum haben sie die Fenster nicht weiter oben angebracht? Der Abteil, dann starrt er auf den abgeschabten Teppichboden. Aus den AuZug fährt derart schnell, dass die Autos auf der parallel zum Bahndamm genwinkeln erkennt C, wie Katrin mit aufgerissenem Mund in ihrem verlaufenden Landstrasse zurückbleiben. Unvermittelt wird der Zug von Rucksack herumkramt. einem Waldstück verschlungen. Aber bald öffnet sich der Blick auf ein Er erwägt, sein Buch (Alpentektonik, eine ausführliche Einführung von ausgedehntes, von Scheinwerfern taghell erleuchtetes Areal. Drei HunProf. Dr. W. Gräuer) aus seiner Tasche zu fischen. Doch der kleine Mann de schiessen dem Zug hinterher und brechen ihre Jagd erst ab, als sie hat seinen rechten Arm auf die Eisenleiter gelegt, die er hochklettern von einem Maschendrahtzaun mit Stachelkrone aufgehalten werden. müsste, um an das Gepäck heranzukommen. C tastet sich die Fensterwand entlang in Fahrtrichtung. Im Bereich der Katrin atmet hörbar aus. Mike sagt: Wagenkopplung stösst er auf eine geschlossene Tür. «Drücken» steht in «I’m Mike.» fünf Sprachen auf einer Plakette. Er drückt auf den Knopf, die Tür gleiDie Antwort des kleinen Mannes entgeht C. Mike nickt eifrig. Seine Autet zur Seite. Im nächsten Wagen ist eine Bar untergebracht. Ein halbes gen rollen wie Vulkanbasalte auf weissen Schneefeldern. SURPRISE 378/16

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Wenig später liegt C mit dem Rücken zur Wand auf Pritsche 28-D. Er Dutzend Passagiere sitzt auf Hockern oder stützt sich mit den Ellbogen spürt, wie der Zug über die Nähte der Schienenstränge rollt, vernimmt auf Stehtische. Sie trinken Bier oder Kaffee und nehmen kalte Snacks zu die Atemgeräusche Katrins und wie Mike leise schnarcht. Vom kleinen sich. Alles ist blau. C geht weiter, bringt noch eine Kopplung hinter sich Mann ist nichts zu hören. Es ist vollkommen dunkel, nur manchmal, und erreicht einen Teil des Zugs, der mit zwei Liegesitzdoppelreihen ausgestattet ist. C schiebt sich weiter vorwärts. Die Luft ist dick. Als er fast bei der nächsten Das Essen liegt auf ausgebreiteten Zeitungen. Es gibt Fladenbrot, daTür angelangt ist, bleibt er plötzlich stehen. Eizu Olivenöl und eine gelbliche Paste. C ahmt nach, was die anderen ne glitzernde Hitze saust über seinen Rücken. «Meine Sachen! Meine Sachen!» tun, reisst das Brot in kleine Stücke, tunkt diese in die Paste und träuEr denkt an seinen Koffer in der Gepäckablage, felt Olivenöl drauf. Es schmeckt gut. vor allem aber denkt er an die Jacke mit dem Portemonnaie, dem Geld und den Karten. Inwenn der Zug durch einen Bahnhof oder eine Siedung fährt, blitzt Licht stinktiv macht er kehrt, setzt sich in Bewegung, erhöht das Tempo, verdurch einen Spalt zwischen den Vorhängen. C überlegt, nicht ohne sich fällt in leichten Trab, öffnet die Schiebetür, rennt durch den blauen Barin einer Weise berauscht zu fühlen, die ihm neu ist, während der Nacht wagen, bringt die zweite Schiebetür hinter sich, hört Gelächter und irgendwo auszusteigen, in Hamburg oder Wolfsburg, wo ihn niemand reisst die Tür zum Abteil auf. kennt. Am Morgen erwacht er als Erster. Seine Sachen befinden sich exakt dort, wo er sie zurückgelassen hat. Er «See you», sagt er zu den anderen, nachdem der Zug in den Hauptüberprüft die Jacke: alles da. Mike, Katrin und der kleine Mann sind verbahnhof eingefahren ist. stummt, als er hereinplatzte. Nun folgen sie aufmerksam seinen Hand«Bye», sagen sie, «good-bye.» lungen. Wichtig ist, sich nichts anmerken zu lassen, denkt C und versucht, seinen schwer gehenden Atem zu unterdrücken. Auf dem Tisch3. chen, das unterhalb des Fensters angebracht ist, liegt etwas. Cs Blick S wartet auf dem Bahnsteig. Sie winkt mit verhaltenen Bewegungen ihbleibt daran kleben. Er zwingt sich zu einem Lächeln. rer rechten Hand. Sie trägt neue Kleider und einen seltsamen Hut. «It’s food», sagt Mike. «Du siehst toll aus», sagt C. Nie zuvor hat er etwas Vergleichbares zu S «Have some», sagt der kleine Mann. Offenbar ist es sein Essen. gesagt, und längst ist ihm bewusst, was kommen würde. S küsst ihn «Thank you», sagt C und setzt sich, «thank you.» nicht. Trotzdem ist er guter Dinge. Er spürt die Massen auf dem Bahn«Exceptional!», sagt der kleine Mann und lacht. Mike und Katrin lachen steig, hört das Raunen und das Echo in der Halle, fühlt die wohltuende ebenfalls. Das Lachen des kleinen Mannes ist ansteckend. Sie lachten Kälte auf seinem Gesicht und wie sich das leuchtende Sonnenlicht alle. durchs Glaskuppeldach herabsenkt. Mit der Rolltreppe fahren sie in den Das Essen liegt auf ausgebreiteten Zeitungen. Es gibt Fladenbrot, dazu Untergrund. Olivenöl und eine gelbliche Paste. C ahmt nach, was die anderen tun, «Hattest du eine angenehme Reise?» reisst das Brot in kleine Stücke, tunkt diese in die Paste und träufelt Oli«Ja», sagt er, «es gab Fladenbrot.» Mit dieser Antwort ist er sehr zufrievenöl drauf. Es schmeckt gut. den, weil er glaubt, S damit zu überraschen. Er lächelt. Als er mit dem ersten fertig ist, nimmt er sich noch ein zweites und Das Wohnheim liegt an einer sechsspurigen Strasse. S führt ihn in die trinkt von dem gezuckerten Pfefferminztee. Zum Nachtisch gibt es ein Küche, ein schmutziger Raum mit abgenutzten Möbeln. Süssgebäck, das er noch nie zuvor gekostet hat. Es ist klein und einge«Es tut mir leid, wie es hier aussieht.» rollt und obendrauf sitzt eine nackte Mandel. Es schmeckt hervor«Nein-nein.» ragend. «Einen Augenblick bitte.» Der kleine Mann erzählt eine Geschichte und lacht. Alle lachen. C hört, S geht hinaus, C weiss nicht, wohin. Er setzt sich auf einen der hell lawas er zu sagen hat, aber meistens kaut er nur und trinkt in kleinen ckierten Holzstühle. Im Lampenschirm zeichnen sich die Umrisse toter Schlucken. Später klappen sie die Betten auf. Mike, der kleine Mann und Insekten ab: Flügel, Beine, zarte Körper. Einige der Keramikfliesen am C verlassen das Abteil, damit Katrin sich umziehen kann. Sie stehen im Boden sind zerbrochen. An der Rauputzwand vor ihm haftet ein Poster, Gang und schauen gebückt aus dem Fenster. Sonnenaufgang in einem fremden Land. Im Vordergrund heben sich die «Look at the moon», sagt der kleine Mann. Der Mond ist fast voll und zylinderförmigen Körper dreier Bäume ab, riesenhafte Bäume mit mächschön.

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tigen, astfreien Stämmen und kleinen, knorrigen Kronen, Bäume von erstaunlicher Beschaffenheit. C spürt das dringende Verlangen, einen solchen Baum zu sehen und zu berühren. Er steht auf und tritt näher an das Poster heran. «That is my home», hört er eine Stimme hinter sich. Eine Frau steht in der Tür. Sie lacht und streckt ihm die Hand entgegen. «I’m Isabel and that is my home», sie deutet auf das Poster, «Madagascar!» «Exceptional», sagt C.

Gian Snozzi, geboren 1982 in Wattwil, studierte Geografie, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften sowie literarisches Schreiben. Veröffentlichungen in Zeitschriften, Zeitungen und im Radio.

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4. Die folgende Nacht verbringt er allein in S’ Zimmer. Sie komme so lange bei einem Freund unter, sagte sie, und es tue ihr alles schrecklich leid. Der Abendverkehr rauscht über die sechsspurige Strasse. Irgendwo wird Musik gespielt, geredet und gelacht. Sekunden nach Mitternacht stimmt jemand «Happy Birthday» an. Mehrmals steht C auf, um an der Tür zu lauschen oder den Vorhang beiseite zu schieben und aus dem Fenster in die graue Nacht zu starren. Weit nach drei Uhr, endlich ist es still, schleicht er sich in die Küche. Er macht Licht. Die Schatten der toten Insekten im Lampenschirm wirken vertraut wie alte Freunde. Er horcht, aber ausser dem Surren des Kühlschranks ist nichts zu hören. Vor dem Poster schaltet er die Kamera ein, wartet, bis das Objektiv aus dem Gehäuse gefahren ist, stellt das Bild mit einem Tippen auf den Auslöser scharf und drückt ab. «Klick», macht die Kamera. Er lauscht gespannt – nichts regt sich. Er macht noch ein Foto und noch eins. Dann legt er den Lichtschalter um und tippelt auf Zehenspitzen durch den kalten Flur zurück ins Zimmer. ■

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Fremde im Zug VON MILENA MOSER

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Universität im Mittleren Westen neben Alex, Christy und Rick neben «Tut mir leid, aber das mach ich nicht mit. Nein, nein, nein!» Ich schütmir. Ich erklärte noch zwei weitere Male, dass ich aus der Schweiz kam, telte den Kopf. Bockte vor dem Eingang zum Speisewagen wie ein störwo es tatsächlich sehr schön ist. Auf dem Tisch stand eine Plastikvase risches Pferd. «Sorry, Ma’am, aber das sind die Regeln hier!» Those are mit roten Nelken. Ich berührte sie. Sie waren echt. Wir bestellten: Steak the rules. Der bisher meist gehörte Satz hier. Im Land der unbegrenzten oder Hamburger oder Salat mit Hähnchenbrust. Alles im Fahrpreis inMöglichkeiten. Unbegrenzt, innerhalb bestimmter Regeln? Die Speisebegriffen. Alex bestellte ein Bier, ich Kaffee – ich musste wach bleiben. wagenkellnerin – «Paula» stand auf ihrem Namensschild – hatte die ArBei klarem Verstand. Das Essen kam schnell. Christy und Ricky senkten me in die Hüften gestemmt. Selbst in der hässlichen hellblauen Unidie Köpfe und murmelten ein Gebet. Bill, Jeannette und ich liessen unformkittelschürze sah sie aus wie ein Topmodel. Gross, schmal, mesgeschickt das Besteck, das wir schon im Anschlag hatten, auf halber Höserscharfe Backenknochen, kurz geschorenes schwarzes Ringelhaar he verharren. Alex hingegen liess sich nicht aufhalten, er schnitt sein und silbergrüne Schatten auf den tiefbraunen Lidern. Sie konnte nicht Steak in mundgerechte Stücke und erklärte uns mit vollem Mund, wamehr als 50 Kilo wiegen, doch hatte ich Hemmungen, sie einfach zur rum er grundsätzlich nur mit dem Zug verreiste: «Fliegen ist nicht mehr, Seite zu schieben. «Hier ist doch alles frei!», wehrte ich mich, zeigte was es einmal war!» Er musste es wissen, war früher für die TWA geüber ihre Schulter auf die unbesetzten Tische. «Ausserdem habe ich reflogen, die Trans World Airlines, die es heute nicht mehr gab. Wie geserviert, für 18 Uhr!» Normalerweise ass ich nicht so früh zu Abend. sagt, es war nicht mehr dasselbe. Aber ich hatte noch etwas vor. Ich hatte einen Plan. Und der sah nicht «Amen», murmelten Christy und Ricky. Wir interpretierten das als Ervor, dass ich mit Fremden redete. Der Plan war, noch ganz andere Relaubnis, ebenfalls zu essen. Ich hatte, wie Alex, das Steak bestellt, allergeln zu brechen als die Sitzordnung im Speisewagen, die mir Paula jetzt dings blutig. Es war erstaunlich gut. Ich dachte an die Flasche Rotwein, erklärte: «Sie können hier nicht alleine essen. Sie setzen sich dahin, wo wir Sie hinsetzen!» Hinter mir hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Aber niemand «Warum ich Zug fahre?» Weil man im Flugzeug keinen Korkenzieher murrte. Paula zog mich am Ellbogen in den Wagen hinein, wo mich ein anderer Kellner in mitführen kann. Von einer halbautomatischen 9mm Baby-Glock ganz Empfang nahm, ein ebenfalls aussergewöhnzu schweigen. Das sagte ich aber nicht laut. lich gut aussehender junger Mann mit dem Namensschild «Cesar». Er setzte mich an eidie ich in meiner Reisetasche hatte. Aber nicht für heute. Für später. nen der 6er-Tische. Murrend rutschte ich ans Fenster. Draussen ging geNach erfolgreicher Ausführung meines Auftrages. Morgen Abend, spärade die Sonne unter. Hinter einer Reihe von Palmen, über dem Meer. testens. Eine Explosion in Orange und Pink. Doch selbst dieser Postkartenblick «Warum ich Zug fahre?» Weil man im Flugzeug keinen Korkenzieher konnte mich nicht versöhnlich stimmen. Ich zog meinen Laptop aus der mitführen kann. Von einer halbautomatischen 9mm Baby-Glock ganz Tasche. Ich würde die anderen Gäste ignorieren, auf brauchbaren Interzu schweigen. Das sagte ich aber nicht laut. «Weil ich etwas vom Land netzugang hoffen und endlich meinen Auftrag entgegennehmen könsehen will», behauptete ich. Das leuchtete allen ein. Schliesslich kam nen. Bisher wusste ich nur, was ich zu tun hatte. Nicht wann, nicht wer. ich aus der Schweiz. Einem sehr viel kleineren Land. Jeannette meinte, Cesar, der gerade einen älteren Herrn an meinen Tisch führte, warf nur eine Zugfahrt entspreche ihrem eigenen Tempo. «Meiner Hirntumor-Geeinen Blick auf meinen Laptop und schüttelte stumm den Kopf. Ich liess schwindigkeit.» den Computer wieder in der Tasche verschwinden. Von Hirntumoren kam das Gespräch bald auf rezeptpflichtiges Canna«Guten Abend, ich bin Alex.» bis, mit einem kleinen Schlenker über Donald Trump, den Alex bewun«Miriam.» derte, Bill und Jeannette hingegen als «Schande für unser Land» be«Jüdisch?» Ich zuckte zusammen. «Nein, aus der Schweiz …» Was für zeichneten. Der Gesprächston blieb aber durchgehend freundlich und eine idiotische Antwort. Als ob das eine das andere ausschloss. Anderuhig. Irgendjemand fragte, ob Cannabis nicht paranoid mache – nicht rerseits: Was für eine Frage. ich. Mich machte schon das Gespräch paranoid. Wo blieb hier der Small «Die Schweiz ist OK», sagt Alex. «Die Schweiz ist sogar sehr schön.» Talk? Waren die Amerikaner nicht für ihre Oberflächlichkeit bekannt? «Ähh … danke?» «Erzähl die Geschichte von den Potbrüdern!» Christy stiess ihren Mann, «Aber sonst … Europa ist ja ist ja unterdessen komplett in muslimischer der sich nicht lange bitten liess. Ricky arbeitete für die Autobahnpolizei Hand, nicht?» irgendwo in Arizona. «Wir leben in einer kleinen Stadt», begann er. «Bei Er schien keine Antwort zu erwarten. Zwei Paare wurden an unseren uns ist nicht viel los. Aber da waren diese Brüder, ich glaube, sie waren Tisch geführt, sie setzten sich brav nebeneinander, wie Cesar das von sogar Zwillinge. Die hatten im Keller ihres Elternhauses eine regelrechihnen forderte. Bill und Jeannette in identischen Pullovern von einer

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solut nachvollziehen konnte. Frauen, die Geflügel züchteten und vor dem Essen beteten, Männer, die Geschwindigkeitsüberschreitungen ahndeten oder Donald Trump wählen würden. Paare, die Paarpullover trugen und sie mit Bernie-Anstecker verzierten. Menschen, die ich nie zuvor wahrgenommen hatte. Plötzlich wollte ich zu ihnen gehören. Zu ihnen allen. Doch die nächste Essensschicht stand schon in einer ordentlichen Schlange vor dem Speisewagen. Wir unterschrieben unsere Belege und verabschiedeten uns voneinander. Morgen würden wir uns beim Frühstück wieder sehen oder auch nicht. Es hing von Paula ab, und von Cesar. Als ich in mein Schlafwagenabteil kam, war mein Bett bereits gemacht. Ich zog meine Reisetasche hervor und öffnete sie. Zuoberst lag nicht die Flasche Wein, die ich hervorziehen wollte, sondern ein Briefumschlag mit meinem Namen. Aufgedruckt, nicht handgeschrieben. Ich nahm ihn in die Hand, drehte ihn hin und her. Ich wusste, was das war. Mein Auftrag. Aber ich konnte den Umschlag nicht öffnen. Meine Hände weigerten sich. Statt dessen machte ich mich auf die Suche nach Roland, dem Schlafwagenkellner. Er stand im Gang und unterhielt sich mit einem Kollegen. «Emojis kann man nur dann wirklich verstehen, wenn man sie wirklich von Anfang an mitbekommen hat», vertrat dieser gerade eine Theorie. «Also, wenn man dreizehn war, als sie das erste Mal aufkamen. Was meinst du dazu, Roland?» Roland überlegte so lange, dass ich das Gespräch beinahe unterbrochen hätte. «Wer hat diesen Umschlag in meine Tasche gesteckt?», wollte ich fragen. «Sie, Roland? Wer hat Sie dazu überredet, dafür bezahlt?» Doch dann sagte Roland zu seinem Kollegen: «Ich weiss nicht. Ich war nie dreizehn.» «Komm schon, jeder war mal dreizehn!» «Meine Mutter starb am Tag vor meinem dreizehnten Geburtstag. Ich bin der Älteste von vieren. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich siebenundzwanzig.» Ich ging in mein Abteil zurück. Nahm den Rotwein aus der Tasche, den Korkenzieher und mein Pyjama. Dann öffnete ich das Fenster und warf die Tasche in die dunkle Nacht hinaus. Mitsamt dem Umschlag, mitsamt meiner treuen Baby-Glock. Heute würde ich niemanden umbringen. ■

Milena Moser, geboren 1963 in Zürich, hat in den letzten 25 Jahren 18 Bücher veröffentlicht, darunter «Die Putzfraueninsel», «Das wahre Leben» und zuletzt «Das Glück sieht immer anders aus». Sie lebt seit einem Jahr im Wilden Westen.

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te Plantage eingerichtet, mit Wärmelampen und allem. Und die konsumierten offenbar ebenso viel von ihrem eigenen Produkt, wie sie verkauften. Und ja, jetzt, wo ihr die Frage stellt: Die waren tatsächlich komplett paranoid. Mit der Zeit hielten sie jeden Passanten für einen Zivilfahnder. Eines Tages, als sie gerade eine Lieferung machen wollten, schaukelten sie sich gegenseitig hoch: Die Frau da mit dem Kinderwagen? Das ist doch kein Baby, das ist eine Kamera, wetten? Und der Typ mit dem Hund, hast du gesehen, wie der in seinen Kragen murmelt? Der trägt ein Mikrofon! Schliesslich hielten sie es nicht mehr aus und riefen die Polizei an: «Warum verhaftet ihr uns nicht endlich? Wir wissen doch, dass ihr uns auf der Spur seid! Macht dieser Folter ein Ende!» «Jenny hat den Anruf entgegengenommen», unterbricht Christy. «Das ist eine ganz patente Frau – nicht zufällig meine Nichte! Die schaltete sofort und sagte: Tut mir leid, aber das können wir nicht machen, die Zivilfahnder haben keine Befugnis, jemanden zu verhaften. Aber wenn ihr es ernst meint, fahrt ihr jetzt gleich zu McDonalds und setzt euch neben euer Auto auf den Parkplatz, im Schneidersitz, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.» «Zehn Minuten später fahre ich bei McDonalds vorbei, und da sitzen sie, brav wie zwei Schulbuben, auf dem Boden. Sie haben sogar den Kofferraum aufgemacht, der war bis oben voll gepackt! Das war der grösste Coup in der Geschichte unseres Kaffs!» Erleichtert stimmte ich in das allgemeine Gelächter ein. Gesetzesvertreter machten mich immer etwas nervös. Aber um Ricky musste ich mir offensichtlich keine Gedanken machen. Der würde eine kriminelle Absicht nicht einmal dann erkennen, wenn sie sich auf seinen Schoss setzte. Jeannette erzählte unterdessen, dass sie zwar von ihrem (operativ entfernten, erfolgreich bestrahlten) Hirntumor geheilt, aber trotzdem arbeitsunfähig war. Die ehemalige Biologielehrerin konnte nur noch ganz einfache Texte erfassen. «Ich schaue eine wissenschaftliche Abhandlung an und weiss, dass ich das mal verstanden habe – aber jetzt könnte es chinesisch sein … Moment, vielleicht hab ich ja früher chinesisch gelesen?» In diesem Moment brachte Cesar die Dessertkarte. Dankbar griff Jeannette danach: «Dies hingegen ist einfach. Die richtige Antwort lautet natürlich: Erdbeer-Käsekuchen!» «Manche Dinge ändern sich nie», sagte Bill und küsste seine Frau. Etwas brannte in mir wie Seitenstechen. Dabei hatte ich Paare, die dieselben Pullover trugen, aus Prinzip nie respektiert. Mein Fehler. «Ich nehme die Schoko-Mousse-Torte», sagte ich zu meinem eigenen Erstaunen. Ich ass nie Kuchen, in meinem Beruf musste man fit sein. Immer zum Einsatz bereit. Aber jetzt wollte ich so lange wie möglich an diesem Tisch sitzen bleiben, mich mit diesen Fremden unterhalten, die mir mehr von sich erzählt hatten als irgendjemand sonst. Gut, das hiess in meinem Fall nicht viel. Ich hatte keine Freunde. Beziehungen konnte ich mir nicht leisten. Bisher hatte mich das nie gestört. Christy zeigte Fotos von ihren grauen Truthähnen, eine seltene Züchtung. «Meine Babys. Ich vermisse sie so!» Ich nickte, als ob ich das ab-

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Hanni Ball VON KLAUS MERZ

1 Hanni Ball stand aufrecht vor ihrem Elefanten und hielt die Peitsche in die Höhe, bis sich das Tier aufs Kunsteis setzte und die Verwandtschaft auf der Tribüne applaudierte. Neben dem Dickhäuter balancierte Wilk in seinem schwarzweissen Linesman-Hemd eine perfekte Standwaage aus. Sein Sinn für Gerechtigkeit hatte ihn über verschiedene Aufbauprojekte in der Dritten Welt, Trinkwasserbrunnen, Schulen, Buschspitäler, zurück auf das heimatliche Kunsteis geführt, wo er, mit einem neuen Hohlschliff versehen, jedoch ohne Schutzhelm, in einer der unteren Ligen pfiff. Der Schiedsrichter hatte Hanni Ball auf seiner Rückreise nach Norden vor den Toren Roms angetroffen, als sie mit dem Elefanten am Stadtrand sass, eine Hand noch halbwegs in den spätherbstlichen Himmel gereckt, ihr letzter Gruss an die in alle Windrichtungen davonziehende Artistentruppe, auf die sie im vorangegangenen Frühjahr tiberaufwärts gestossen war. Wilk in seinem khakifarbenen Wüstenfahrzeug pilotierte auf Hannis vermeintliches Haltezeichen hin seinen Wagen hart an den Strassenrand. Erfreut über ihre gemeinsame Muttersprache, verluden die beiden Hannis Dickhäuter kurzerhand im geräumigen Laderaum, stellten Hannis Reisegepäck auf den Kardantunnel und beschlossen, die Alpenüberquerung gemeinsam und ohne Hast in Angriff zu nehmen.

Jahren solle es ja Menschen geben auf der Erde, fügte er hinzu, als wollte er sich dafür entschuldigen, dass er auf Hannis Traum keine Antwort gab und sie bei den Gräbern nicht Halt machten. «Die Elefanten sind älter», sagte Hanni Ball und schaute durchs Rückfenster nach ihrem Tier. Als Wilk bemerkte, dass ihm Hanni beim Zurückschauen die Hand auf die Schulter legte, spürte er für Augenblicke sein Herz. Er schoss mit seinem Wüstenfeuerzeug eine flachgedrückte Turmac in Brand. – Er selber sei in der Wüste jeweils von einem sehr winterlichen Bild heimgesucht worden, das ihn letztlich wohl zur Rückkehr aus den Tropen gezwungen habe: Ein grosser, hölzerner Schneepflug, ein gewaltiges A aus ungehobelten Eichenbrettern sei immer wieder zweispännig vor ihm aufgefahren. Aus den Fenstern seines Elternhauses habe man mit dem Fuhrmann zwei, drei Worte über den Schnee gewechselt. Auch den beiden vermummten Armenhäuslern, die als Zusatzgewichte auf dem Querbalken mitgeschleppt worden seien, sei ein Kräuterschnaps durchs Vorfenster gereicht worden, den sich die Männer wortlos zwischen die Wollsachen gekippt hätten, um dann mit neuer Kraft weiterzupflügen. – Selbstverständlich besorge diese Arbeit jetzt längst ein Henschel, ein Volvo oder ein Magirus Deutz. – Vermutlich habe er in den vergangenen Jahren einfach zu viel Sommer gehabt, denn für die eindrücklichsten Veränderungen, so glaube er zunehmend, sorgten in einem Menschenleben die Jahreszeiten.

2 Kurz vor Tarquinia, sie mieden die Autobahn und folgten der schmaleren Meeresstrasse, erzählte Hanni Ball ihren stets wiederkehrenden Traum von einer langen Reihe mausgrauer Strandhäuschen in der Zahl ihrer Lebensjahre, die sich unverhofft in immense Kraftwerkshallen verwandelten. Lauter silbrig blitzende Turbinenmesser der Brown Boveri Company begännen sich in den grossen Gebäuden wie wild zu drehen. «Und du treibst im Strom der noch kommenden Jahre darauf zu und merkst es nicht», sagte Hanni Ball. «Ich will heimkehren und bleiben. Es wird Zeit.» Wilk wies nach einer Weile des Sinnens auf die weithin jalonierten Sehenswürdigkeiten der Etrusker in dieser Gegend hin. Es handle sich bei den Wandmalereien in den Grabkammern vor allem um Spiegelbilder des Lebens, auch um Jenseitsvorstellungen. – Seit über einer Million

3 In Livorno legte das Paar dem Elefanten ein Fusseisen um. Wilk besorgte Wasser und Heu, Hanni besprach sich mit ihrem Tier. Die Pension lag direkt am Meer. Sie waren die einzigen Gäste im Speisesaal, der eigentlich ein Spiegelsaal war. Der Wirt stellte Rosen auf ihren Tisch. Sie bestellten alles, was ihnen der Chef als Gedicht vortrug. Nach dem Essen machte Wilk keine Annäherungsversuche. Das Leben habe ihn im Lauf seiner Zeit immer ordentlicher gemacht, sagte er und streute sich lächelnd eine Prise Salz in die Hand. Hanni Ball langte nach seinen Fingern und las ihm aus der Hand. Dann leckte sie sorgfältig das Salz von seiner Haut. Ihr Schoss roch anders, als Wilk es sich vorgestellt hatte. Er folgte mit seiner Zungenspitze der Mittellinie ihres Körpers, seine Liebe zur Symmetrie, und schloss mit einem Achterbogen zwischen den Brüsten,

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überliess sich ganz der Sehnsucht seiner Haut, die in seinem Handinnern geweckt worden war. Als der Elefant vor der Pension Hannis namenloses Rufen vernahm, antwortete er ihr mit Trompetenstössen, die für Augenblicke das Branden des Meeres übertönten. Hanni war froh um Wilks selbstverständliche Wortlosigkeit. Nach einer Weile legte sie ihr Ohr horchend auf den Nabel seiner Welt. 4 Das Meer trug das Grau des Elefanten. Es war Morgen. Ein Tanker zog vorüber, zwei winzige Menschen standen auf der Brücke. Manchmal spüre er einfach den Sand, der schon durchgelaufen sei, sagte Wilk und schaute aufs Wasser hinaus. «Wir haben eine Binnen-Seele, Wilk», antwortete Hanni und streichelte vorsichtig seine Schulter. Wolken zogen auf. Ein Bass-Solo im Transistorradio begann zusätzlich an ihrem ins Rutschen geratenen Glück zu zupfen. Hanni stellte den Apparat ab. «Ich will heiter bleiben», sagte sie. Der Küstenstreifen im rechten Fensterflügel legte seine runden Formen in ein neues Licht. Hanni Ball zog Wilk in ihre Arme zurück. Sie fühlte das Erschrecken seiner Haut, liess ihn wieder los und drehte sich zu ihm, ohne ihn zu berühren. Wilk schob eine Hand auf Hannis Bauch, die andere drückte er als Faust vor den Mund. Er ahmte das sehnsüchtige Tuten eines grossen Schiffes nach.

schnelle Freier. Vor Marina di Carrara stand ein Mönch am Meer. Die meisten Häuser und Hotels lagen wie eingemottet hinter ihren Zäunen. Landeinwärts setzten sich im Gewölk die Berge fort. «Schön, wie einen das Reisen enthebt», sagte Hanni Ball. «Man ist Teil eines fahrenden Systems, muss sich selber nicht bewegen und entfernt oder nähert sich doch. Und man kann Landschaften lesen wie Bücher.» Der Marmortransport von Lardellis Söhnen kreuzte Wilks Wüstenfahrzeug ausgerechnet auf einem unbewachten Bahnübergang. Wilk reagierte schnell und richtig, eine leichte Streifkollision. Hanni Ball beruhigte den Elefanten. Lardelli junior überprüfte den Sitz seiner Steinblöcke. Wilk steckte sich etwas abseits eine Turmac an, während Hanni mit dem Italiener verhandelte. Man teilte die Schuld am Unfall. Aus einem fremden Garten hörten sie schnelles Gerede. 6 Eine kurze, ungläubige Verzweiflung zog auf, als Wilk mit schmerzverzerrtem Gesicht wortlos um sein Wüstenfahrzeug herumzutigern begann, nur noch oberflächlich atmete. Hanni Ball beschwor Wilk, etwas zu sagen, ein Wort nur, seinen Namen, «Wilk», und einmal tief durchzuatmen. Der Elefant tutete. Plötzlich brach Wilk in stummes Gelächter aus, zog Hanni mit, sie rangen gemeinsam nach Luft, hielten sich aneinander fest, bis Wilk eine ungeschickte Bewegung machte und laut aufschrie. Ein Radrennfahrer in grünen Beinkleidern flitzte vorüber. Hanni Ball bat Wilk, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, setzte sich selber hinters Steuer, fuhr Richtung Genua los. Linker Hand ragte das blaue Gestänge einer Wilden Maus ohne Mäuse in den Himmel, am rechten Strassenrand zogen auf Plakatwänden die

5 Zu dritt stellten sie sich vor den Schiefen Turm in Pisa. Nach einigem Zureden war der fliegende Fotograf zutraulicher geworden und versprach die fertigen Bilder bis zum Mittag. Vorher aber stellte er sich selber noch zwischen Turm und Elefant. Wilk drückte ab. Schweigen strengte Wilk am wenigsten an, und Hanni konnte sich Hanni Ball liess sich auf dem Rüssel vom Platz ganz aufs Fahren konzentrieren. Keines von beiden wusste, ob es dem tragen. Ausserhalb der Stadt kauften sie drei Zentner Heu und assen Spaghetti bolognese. rasch wachsenden Gefühl von selbstverständlicher ZusammengehöAuf dem Rückweg zum Camposanto fragte rigkeit trauen sollte. Wilk seine Begleiterin nach ihrem richtigen Namen. neusten Computer-Modelle und Reklamen für italienische Salami vor«Eigentlich Anna Graf», sagte Hanni Ball. Die Symmetrie ihres Vornabei. Lauter falsche Kulissen für Wilks stechenden Schmerz. mens freute Wilk und erinnerte ihn an die vergangene Nacht. Während Der Internist in Nervi empfahl Wilks baldige Heimschaffung. Er hatte sich die beiden umarmten, sammelte der Elefant Strassenstaub und sich auf dem Bahnübergang bei Massa tatsächlich drei Rippen gebroblies ihn über den Rücken zurück. chen und es erst richtig wahrgenommen, als Lardelli hinter einer DieDer Fotograf zeigte ihnen auch das Bild, auf dem er selber in Grossselwolke bereits wieder Richtung Rom unterwegs gewesen war. wildjägerpose neben dem Dickhäuter stand. Hanni Ball hatte er wegreDen Hinweis auf eine ansatzweise Hühnerbrust hätte sich der Arzt touchiert, um den Eindruck zu verstärken. Die Hälfte der übrigen Bilder sparen können, als er mit seinen feuchten Fingern den kuriosen Vorüberliess er ihnen als Geschenk. wölbungen an der Knorpel-Knochengrenze von Wilks Rippen entlangHanni Ball zog beim Weiterfahren die Knie unters Kinn. Viareggio. fuhr: «Ein rachitischer Rosenkranz», kommentierte er fachmännisch. Pietrasanta. Massa. Vereinzelt warteten Frauen am Strassenrand auf

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8 Als sie gegen Morgen erwachten, weil Schützenpanzer zu Manöverzwecken durch die engen Strassen von Hospental rollten, glaubten die beiden Rückkehrer im ersten Moment, auch ihrerseits wieder zur Normalität des Landesüblichen zurückfinden zu müssen. Sie empfanden grosse Bangigkeit bei diesem Gedanken, und eine unverhoffte Scheu voreinander stellte sich ein. Aber der Elefant auf der anderen Strassenseite liess sich nicht einfach wegdenken, er begrüsste den hellen Berg-

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morgen mit gewaltigen Trompetenstössen. Wie es eigentlich mit dem Recht auf ein Happy End stehe, fragte Wilk unvermittelt hinter seinen schmerzenden Rippen hervor. Er streckte seine Hand nach Hanni aus. «Ruf die Schlafwandler nicht an!», antwortete Hanni Ball nachdenklich und spürte, wie Wasser in ihre Augen stieg. Sie wendete ihr Gesicht ab und schob sich behutsam rittlings auf Wilks Geschlecht, stützte die Unterarme auf seine kalten Knie, so dass jetzt beide durchs offene Fenster die Furka vor Augen hatten. Vorsichtig und tief fuhren sie zusammen in jede Serpentine hinein. Bis der Schmerz vor Lust verging. 9 Nach Wilks Genesung richteten sich die Heimkehrer mit dem Elefanten zusammen zwischen zwei Seen ein. Vom Futtersilo aus konnten sie an klaren Tagen den Jura sehen, während südwärts der Titlis mit seinem Schneerücken grüsste und die Nachbarn allmählich zutraulicher wurden. Wilk baute das alte Gebäude um und bot den einheimischen Eishockeyanern schriftlich seine guten Dienste an. Er arbeitete sich gewissenhaft ins gültige Regelwerk des internationalen Hockeyverbandes ein. Seine Trillerpfiffe und die Präzision seiner Handzeichen liessen an Deutlichkeit bald einmal nichts mehr zu wünschen übrig. In der Tenne übte Hanni Ball mit dem Elefanten. Sie gewöhnte ihn an die sorgfältige Zusammenarbeit mit Mäusen, eine Kleinkunstnummer, von der sie schon seit ihrer Kindheit geträumt hatte. – Der Traum von den dreiunddreissig Strandhäuschen, die sich in drohende Turbinenhäuser verwandeln, hatte sich seit ihrer Rückkehr vom Meer nicht mehr wiederholt. – Aus Gründen des Kontrastes musste Hanni für ihren Auftritt zu weissen Mäusen greifen, obwohl sie sich die Nummer immer grau in grau vorgestellt hatte. Die Premiere fand statt auf dem Eis. In Anwesenheit der gesamten Verwandtschaft und unterm Reisregen von Wilks Hockeyanern liessen sich Hanni und Wilk, den Wonnemonat nicht abwartend, auf dem Kunsteis zusammengeben. ■ © Aus: Klaus Merz, Fährdienst. Werkausgabe Bd. 3, Haymon Verlag, Innsbruck 2012 BILD: ZVG

Katholik, dachte Wilk, sagte es aber nicht. Der Doktor hielt seine drei Schwurfinger in die Höhe, für jede gebrochene Rippe einen. Wilk bezahlte ihn bar. 7 Genua liessen sie links liegen, bogen Richtung Norden ab. In den finsteren Tunneldurchfahrten schlug der Elefant jeweils mit dem Rüssel gegen die Blechwände. Wilk biss auf die Zähne, holte eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach und leuchtete durchs Rückfenster in den Laderaum, um das Tier zu beruhigen. Nachdem sie auf ihrer hastigen Weiterreise die Geschehnisse der vorangegangenen Stunden einige Male gemeinsam memoriert hatten, redeten sie nur noch das Nötigste miteinander. Schweigen strengte Wilk am wenigsten an, und Hanni konnte sich ganz aufs Fahren konzentrieren. Keines von beiden wusste, ob es dem rasch wachsenden Gefühl von selbstverständlicher Zusammengehörigkeit trauen sollte. Überall standen Erntefahrzeuge in den Rebgärten, und die Winzer schwitzten. Wilk trug sein Messer zwischen den Rippen, Hanni kaute an einem Stück Brot. Die Alpen kamen schnell näher. Auf der Gotthard-Passhöhe rieb sich Hanni das Gesicht mit altem Schnee ein. «Nur noch bis Hospental», entschieden sie bei der Wegfahrt vom Hospiz. Es herrschte Föhn. Ihr Gasthof lag am Dorfrand und war ganz aus Holz gebaut. Hanni Ball stellte den Elefanten im Lagerschuppen des gegenüberliegenden Baugeschäftes ein, gab ihm zu fressen und ein Kantholz zum Spielen. Wilk legte sich mit hochgelagertem Oberkörper auf sein Bett. Im Halbschlaf zählte er die Astlöcher im Deckentäfer nach. Hanni brachte in einer Papiertragtasche vier Flaschen aufs Zimmer. Olivenöl, Kampferöl, Eukalyptusöl und eine Flasche Dôle. Sie goss den Rotwein in die beiden Zahngläser und stiess mit Wilk an. Dann musste er die Brust freimachen. Hanni rieb Wilk vorsichtig mit Olivenöl ein, danach folgte die Kampfertinktur und zum Schluss das Eukalyptusöl. Wilk zählte für jedes Öl einmal bis sechzig, damit die Heilwirkung (nach Pater Häberle) gewährleistet bliebe. Hanni redete ihrem Verletzten gut zu, wischte die Hände am Hosenboden ab. Mit einem müden Lachen auf dem Gesicht spielte sie Wilk das ermattete Niedersinken auf ihr Doppelbett vor, blieb liegen und schlief sofort ein. Wilk betrachtete mit warmem Herzen Hannis glänzende Frauenhände, schnippte ein Elefantenhaar von ihrer Pulloverbrust.

Klaus Merz, geboren 1945, lebt als freier Schriftsteller in Unterkulm. Jüngste Publikationen: «Der Argentinier: Novelle»; «Unerwarteter Verlauf» (Gedichte 2011 bis 2015), erschienen bei Haymon, zudem eine siebenbändige Werkausgabe, herausgegeben von Markus Bundi. Merz wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hermann-Hesse-, dem Gottfried-Keller- und dem Friedrich-Hölderlin-Preis.

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Schildkrötentage ULRIKE ULRICH

und Beine von sich streckt und sie gleichmässig in der Luft bewegt, Jeden Freitag geht sie zu den Schildkröten. Jeden Freitag, wenn es nicht während sich ihr eigener kleiner Panzer langsam, aber sicher in ein Feregnet, setzt Hanna sich auf die rote Bank, die am Rand des Goldfischderkleid verwandelt, fragt sich Hanna, ob es nicht tatsächlich fliegende grabens steht, direkt neben das Schildkröten-Warnschild, über das sie Schildkröten gibt, so wie es doch auch fliegende Fische gibt und fliemit ihm gesprochen hat, über das sie überhaupt erst ins Gespräch kagende Hunde. men. Er hat sie angesprochen. Sie hätte sich nicht getraut. Wenn er heute wiederkommt, denkt sie, könnte sie ihm von diesem Letzten Freitag, als es geregnet hat, ist sie am Graben vorbei ins PalTraum erzählen, es ist lange her, dass sie jemandem einen Traum erzählt menhaus gegangen und hat sich auf die Bank gesetzt, die dem Innenhat, vielleicht wäre es zu persönlich. Wenn er heute wiederkommt, becken am nächsten steht, aber sie hat dann genauso wenig daran gekönnte sie ihn auf Elsas Federpanzer aufmerksam machen und behaupglaubt, dass er kommen wird, wie sie daran glaubt, dass die Schildkröten, dass das Tier erst vorhin eine Runde über dem Palmenhaus gedreht ten beissen. Trotzdem blieb sie zwei Stunden lang im Palmenhaus. und mit einer gekonnten Landung auf dem Wasser aufgesetzt habe. Sie Trotzdem hat sie den Schildkröten noch nie über den Panzer gestreikönnte herumspinnen und er würde etwas dazu erfinden, so wie beim chelt, obwohl sie Lust dazu hätte, besonders über den verbeulten Panletzten Mal, als sie auch plötzlich angefangen hatten, sich absurde Dinzer von Agnes würde sie gerne mit den Fingerspitzen fahren, er erinnert ge auszumalen, sie hatte mit einem fremden Mann auf dieser Bank gesie an die Beifahrertür ihres ersten Kadetts, die auf eine ähnlich unsessen und laut gelacht, und es war ihr nicht peinlich gewesen. Drei Wonachvollziehbare Weise eingedrückt war, schon damals vor fast dreissig chen ist das her und sieben, seit sie ihm zum ersten Mal begegnet ist. Jahren, als sie den Wagen von ihrem Grossvater zum Abitur geschenkt Jetzt bewegt sich eine der beiden Grossen, ganz wenig nur, und Elsa bekam. purzelt ins Wasser, aber sie klettert sofort zurück, benutzt den Panzer Gerade jetzt kriecht Agnes an den Rand des grossen Steins, auf dem der niedrigeren Ida als Stufe und schon ist sie zurück an ihrem Platz. heute alle Schildkröten neben- und übereinanderlagern, und taucht ihAuch darüber haben sie gesprochen, über das Aufeinanderstapeln, er re Vorderfüsse ins Wasser, während eine andere Schildkröte, der Hanna noch keinen Namen gegeben hat, sich ganz in den Wassergraben rutschen lässt und dabei eiNatürlich weiss sie auch, dass es nichts bedeutet, dass er sie angene weitere mitreisst. Bis die unfreiwillig untergetauchte Schildkröte, die Burkhard heissen sprochen hat, dieser junge, viel jüngere Mann, sie denkt noch immer könnte, den Stein wieder erklommen hat – so an ihn, obwohl sie seinen Namen kennt. Das Alter ist präsenter als zweimal fällt sie mit dem Panzer voran zurück sein Name. ins Wasser – vergeht eine Minute, in der Hanna sich fragt, ob die Unterseite der Weibchen hat gefragt, ob sie wisse, dass diese Schildkrötengruppe im letzten Jahr und Männchen gleich aussieht. Es vergeht eine Minute, in der Hanna die Schweizer Meisterschaft im Pyramidenbauen gewonnen habe. Es beinahe gar nicht daran denkt, wo er bleibt und wieso er nun schon an sind tatsächlich fünfzehn, perfekt für eine fünfstöckige Pyramide. Sie zwei Freitagen nicht da war, wieso er vielleicht auch an diesem nicht hat ihm dann offenbart, wie sie, als sie mit dem Leichtathletikverein an kommen wird, obwohl die Sonne scheint und die Schildkröten sich alle der Nordsee war, und zuoberst bei einer vierstöckigen Pyramide kniete, auf der grossen Steinplatte versammelt haben, Elsa wie immer obenauf, wie sie damals, obwohl unten Sand war, einen Moment lang gedacht die kleine Elsa, deren Panzer ausfranst und aussieht, als wolle er zu Fehatte, sie würde sich den Hals brechen. Dass sie selbst fliegen kann, hat dern werden. In der vorletzten Nacht hat Hanna, die seit zwei Jahren sie schon ewig nicht mehr geträumt, und natürlich weiss sie, dass Elsas Agnesstrasse Ecke Elsastrasse wohnt, von Schildkröten geträumt, die Federn nicht echt sind. Natürlich weiss sie auch, dass es nichts bedeuauf Bäumen sitzen, von einem Schildkrötenhaus hat sie geträumt, da tet, dass er sie angesprochen hat, dieser junge, viel jüngere Mann, sie sassen sie auf den Bäumen – und Hanna in ihrem Traum hat gewusst, denkt noch immer so an ihn, obwohl sie seinen Namen kennt. Ivo. Das dass die Schildkröten fliegen können. Und wenn sie jetzt Elsa anschaut, Alter ist präsenter als sein Name, denkt sie und findet das allein schon wie sie quer über die Panzer der beiden grössten Tiere liegt, die Arme

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verdächtig. Er war schon drei Wochen der junge Mann für sie, als er ihr bei der letzten Begegnung seinen Namen gesagt hat. Bei der ersten hielt er ihr das Türchen zum Park auf, als sie kam, bei der zweiten nickte er ihr zu, als sie an ihm vorbeiging, bei der dritten, vor vier Wochen, sass er eine ganze Stunde auf einer der Bänke im Schatten, während sie mit den Schildkröten in der Sonne brütete, und schaute zu ihr herüber. So wie jetzt trafen die Sonnenstrahlen beinahe senkrecht auf ihr dunkelbraunes Haar, und nachher hatte sie eine rote Kopfhaut. Trotzdem trägt Hanna ihren Sonnenhut nur noch am Meer. Als sie ihn gekauft hat, die Mädchen waren noch gar nicht auf der Welt, da wirkte er extravagant und ein bisschen witzig, inzwischen macht er sie damenhaft. Sie ist sich nicht sicher, ob das an ihrem veränderten Gesicht liegt oder daran, dass nur noch alte Damen Hüte tragen, während alle anderen sich die Sonne auf den Kopf brennen lassen, ganz wenige nur tragen Baseballkappen oder Strohhüte, wie ihr Grossvater einen hatte, aber nicht hier bei den Schildkröten, hier tragen nur Kleinkinder etwas auf dem Kopf. Hanna stellt sich vor, Ivo würde sie mit dem Sonnenhut sehen. Vielleicht würde sein Lachen ihrem Hut wieder in die Welt helfen. Als er sich vor drei Wochen, beim vierten Treffen, neben sie setzte, war es bedeckt, angenehm warm, aber nicht heiss, sie sassen fast eine Stunde zusammen, und als sie aufstehen musste, weil sie ausgerechnet an diesem Tag zum Laufen verabredet war, sagte er: Bis nächsten Freitag.

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Um zwölf. Gern würde Hanna jetzt die Füsse ins Wasser halten, so wie Agnes, die dazu noch ihren Kopf eingezogen hat, der Panzer schützt sie wie ein Hut. Hanna hätte beinahe auch den Kopf eingezogen, als er sie ansprach, sie ist es nicht mehr gewöhnt, mit Männern zu sprechen, die weder Kollegen sind noch werdende Väter, und schon gar nicht ist sie es gewöhnt, mit jemandem zu sprechen, der ihr so sehr gefällt, dass sie es körperlich spürt. Während er auf sie zukam und kein Zweifel darüber bestehen konnte, dass er auf sie zukam, war sie ausserdem plötzlich besorgt, er könne vielleicht eine unangenehme Stimme haben oder würde auf eine andere Weise beim Sprechen den Zauber verlieren, der sie seit der letzten Begegnung in eine so fröhliche, hoffnungsvolle und weltfremde Stimmung versetzt hatte. Dann duzte er sie. Natürlich hat sie längst gelernt, dass man sich hier in der Schweiz, hier in Zürich viel leichter duzt als in Hamburg. An ihrem ersten Arbeitstag im Krankenhaus schon hatten ihr alle das Du angeboten oder es einfach vorausgesetzt, die Schwestern und Pfleger genau wie die Ärztinnen und Ärzte, auch in den Lokalen in ihrem Quartier wird sie selbst von den jüngsten Kellnerinnen und Kellnern meistens geduzt. Aber ein ganz fremder Mann, Anfang dreissig. Da hatte sie kurz gehofft, dass es stimmt, was die Patientinnen immer sagen, dass sie jünger aussehe, dass es kaum vorstellbar sei, dass ihre älteste Tochter schon mit dem Grundstudium fertig ist.

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unddreissig ist. Seit sie hier ist, telefoniert sie einmal in der Woche mit Er arbeitet in einem Grafikbüro in der Nähe. Hat er gesagt und von dem Sabine, und quasi quartalsmässig fragt Sabine nach, ob es immer noch Plakat erzählt, das er fast fertig habe und auf dem es nun auch eine keinen netten Arzt oder Pfleger in der Klinik gebe. Bei einem der letzten Schildkröte gebe, er habe sie in der Pupille eines Astronauten versteckt. Telefonate hat Hanna Sabine dann von dem Gespräch auf der Bank erSchon bei der ersten Begegnung am Türchen sind Hanna seine leuchzählt, hat ihr gesagt, dass sie einen Mann getroffen habe, der ihr so oftenden Augen aufgefallen. So sehen ihre eigenen Augen höchstens am fen begegnet sei wie lange niemand mehr. Aber sie hat weder das N auf Meer aus, nur wenn sie gerade aus dem Wasser kommt. Dann leuchten seinen roten Turnschuhen erwähnt noch die verstrubbelte Frisur, die ihre Augen wie grüne Ampeln, den Vergleich hat Matthias gefunden, als eindeutig eine Frisur und kein Zufall ist und die allein schon reichen sie mit den Kindern an der Adria waren und solche Sätze noch über die würde, ihn von den Männern ihres Alters zu unterscheiden, die entweanderen Sätze hinweghalfen. der kaum noch Haare haben oder ihnen keine Aufmerksamkeit schenHanna streift die Schuhe von den Füssen, er wird nicht kommen, und ken. Solche gewollten Strubbelfrisuren kennt Hanna von den Freunden wenn doch, kann sie ihre Zehen auch wieder verstecken, an Arbeitstaihrer Töchter – neuerdings tragen auch viele von denen Bart, sobald ihgen trägt sie Clogs und trotzdem sind ihre Zehen keine Vorzeigeexemnen ein brauchbarer wächst. An die Freunde ihrer Töchter will sie jetzt plare, sie schaut sie an und überlegt, was das mit dem Anschauen der lieber nicht denken. Auch wenn die Kleine endlich die Hoffnung auf eiZehen war, Tante Hedwig hatte gesagt, dass es Unglück bringe, wenn ne Wiedervereinigung ihrer geteilten Eltern aufgegeben hat, auch wenn man Zehen vergleiche. So hat sie es in Erinnerung und das würde sie ja beide immer seltener kritische Bemerkungen über das Liebesleben ihres ohnehin nicht tun, der Gedanke heitert sie auf, die Vorstellung, wie sie Vaters fallen lassen und dafür umso öfter zeigen, dass sie ihrer Mutter ihn bitten würde, seine roten Turnschuhe auszuziehen, um dann seine auch eines wünschen: An einen Mann, der für sie selbst infrage käme, Zehen mit ihren zu vergleichen. Hanna taucht ihre Zehen ins Wasser. denken sie dabei sicher nicht. Nun wird sie ja sehen, ob sich die Schildkröten dafür interessieren. Oder Die namenlose Schildkröte ist noch immer als einzige im Wasser, die vielleicht die Goldfische, die unter dem grossen Stein hervorschauen. ganze Zeit über schwimmt oder taucht sie das Gitter entlang, das die Ein Mann mit einem Buch setzt sich auf eine der Schattenbänke. Er Schildkröten und auch die Fische vom Rest des langen Wassergrabens packt ein Sandwich aus, isst und liest gleichzeitig. Nur einmal schaut er trennt. Sie schwimmt nie eine lange Bahn, immer nur den knappen Mekurz auf und grüsst die junge Frau mit dem Pferdeschwanz, die Hanna ter, den der Graben breit ist, hin und her, und immer mit dem Kopf am schon mehrmals gesehen hat, meistens hat sie eine Tupperdose mit Müesli dabei, in das sie dann frische Früchte einrührt. Die junge Frau setzt sich auf die mittWährend er auf sie zukam und kein Zweifel darüber bestehen konnlere der Schattenbänke und faltet ihre NZZ te, dass er auf sie zukam, war sie ausserdem plötzlich besorgt, er könauseinander. Es sollte Hanna egal sein, dass jetzt alle drei Schattenbänke besetzt sind. ne vielleicht eine unangenehme Stimme haben oder würde auf eine Wenn er käme, dann würde er sich ohnehin zu andere Weise beim Sprechen den Zauber verlieren. ihr setzen. Dennoch wünscht sie sich, dass die ältere Dame aufsteht, die neben sich auf der Gitter, manchmal steckt sie ihn durch eins der kleinen Löcher, manchBank, auf der er die letzten beiden Male sass, gerade eine Serviette ausmal sieht es aus, als bliebe sie darin hängen. Für Hannas Füsse interesbreitet. Wird man sie in zehn Jahren auch als ältere Dame bezeichnen? siert sich das Tier genauso wenig wie die anderen, die in der Sonne Dann werden ihr nur noch sechs bis zur Rente fehlen, aber wer weiss, liegen. Hanna denkt, dass es ein gutes Zeichen wäre, wenn diese Schildvielleicht ist das Rentenalter dann längst heraufgesetzt. Die Dame auf kröte auch den Stein erklimmen würde, wenn alle gleichzeitig oben seiner Bank hat graue Haare, geschminkte Lippen, sie ist klein und wären, das wäre ein gutes Zeichen. rundlich, trägt trotz der Hitze ein blaues Kostüm. Hanna kann sich nicht Als Sabine am Telefon sagte, ein jüngerer Mann wäre doch wunderbar, vorstellen, dass sie in zehn Jahren so aussehen wird, vermutlich wird sicher weniger verkorkst als die Exemplare, mit denen sie beide es in der sie zierlich bleiben, und in ihrer Vorstellung wird sie auch in zehn JahVergangenheit zu tun gehabt hätten, da hat Hanna sich sofort für die ren noch Jeans und T-Shirts tragen und an Tagen wie heute Sommerfünf aufgestockten Jahre geschämt, aber zurückgenommen hat sie sie kleider, die schwingen. Vielleicht nicht mehr ärmellos, etwas länger, auch nicht. Sie weiss nicht, was ihre Töchter wirklich sagen würden, sivielleicht überall ein bisschen mehr Stoff, aber sicher keine Kostüme. cher würden sie ihre Mutter nicht so verächtlich anschauen wie Hanna Trotzdem ist es natürlich absurd. Es ist so absurd, dass sie ihn Sabine vor zwanzig Jahren ihren eigenen Vater angeschaut hatte, als er – geragegenüber älter gemacht hat. Gegen die vierzig, hat sie gesagt. Nicht de Mal zwei Jahre Witwer – die Biologiestudentin zum Osterbrunch mitdass sie es genau wüsste, aber sie ist sich sicher, dass er noch keine fünf-

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rote Bomben. Hast du sie schon mal beissen sehen, hat er gefragt und sich hingesetzt. Was ist nur mit ihrem Schildkrötenfrieden geschehen, denkt sie. Sie hatte bei den Schildkröten Zuflucht gefunden. Immer noch fühlt sie sich fremd in der Stadt, manchmal sehr überflüssig. Als sie bei einem Spaziergang die Schildkröten entdeckte, da kam es ihr vor, als hätte sie jetzt etwas Eigenes, etwas, das ihr niemand gezeigt oder empfohlen hat, einen Ort, an dem sie sich vorstellen kann, dass man sie für eine hält, die schon immer da war. Aber jetzt sind die Schildkrötentage Wartetage geworden, Elsa, Agnes, Ida, Burkhard und die anderen sind nur noch Ablenkung, nicht mehr die Hauptattraktion, und sie zweifelt daran, dass es wieder so wird wie vorher, vielleicht sollte sie ein paar Freitage nicht herkommen, vielleicht wäre es danach möglich, den Schildkröten wieder so zu begegnen wie zu Beginn. Tatsächlich versucht die namenlose Schildkröte, die immer am Gitter entlanggeschwommen ist, jetzt auf den Stein zu klettern, sie hat endlich ihr Gittertauchen aufgegeben. Hanna feuert sie innerlich an, aber das Tier schafft es nicht. Es versucht es an der falschen Seite. Diese Schildkröte macht Hanna ganz nervös, sie kann kaum mit ansehen, wie sie an dem Stein scheitert. Hanna zieht die Füsse aus dem Wasser, schüttelt sie, schlüpft in die Schuhe und steht auf. Als sie schon fast beim Nebenausgang ist, sieht sie Ivo, sie erkennt ihn von Weitem, obwohl er ein Jackett trägt und an Krücken geht. Er schaut nicht in ihre Richtung, er schaut zu der Bank am Schildkrötenbecken, die jetzt wahrscheinlich leer ist, ein Holunderbusch versperrt ihr die Sicht. Ivo geht an Krücken, nur ganz langsam kommt er voran. Krücken, denkt Hanna, aber sie bewegt sich trotzdem nicht, sie steht nur da und fragt sich, was ihm wohl nach ihrem letzten Treffen zugestossen ist, ob er sogar im Krankenhaus war. Als sie dann doch losgeht, auf den Nebenausgang zu, als sie dann das kleine Tor öffnet, ohne zu schauen, ob von dort aus das Schildkrötenbecken zu sehen ist, ob sie dort vom Schildkrötenbecken aus zu sehen ist, denkt sie, dass sie ja nächsten Freitag wieder hierherkommen kann, und dass er das ja vielleicht auch tun wird. ■

Ulrike Ulrich, freie Schriftstellerin in Zürich, lebt derzeit als Writer-in-Residence in London. Zuletzt erschien ihr Erzählband «Draussen um diese Zeit». Sie ist Mitglied der AutorInnengruppe index und engagiert sich für das Writers-in-Exile-Programm des Deutschschweizer PEN für verfolgte AutorInnen aus dem Ausland.

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brachte. Sie sei kurz vor dem Examen, hatte ihr die junge Frau in der Küche gesagt, war gleich mitgekommen, um zu helfen, und erzählte beim Schneiden des Rosinenbrots, sie habe zuvor schon einige Semester Mathematik studiert, da habe ihr aber das Lebendige gefehlt. Mit grossen ernsthaften Augen hatte die junge Frau sich in Hannas Küche für ihr Jungsein gerechtfertigt, während Hanna, daran erinnert sie sich gut, den Moment hinauszuzögern versucht hatte, in dem sie gemeinsam ins Wohnzimmer gehen würden, wo die Kinder und Matthias auf sie warteten, und der Vater, der seinen beiden Töchtern das Studium auszureden versucht hatte, seiner neuen Freundin den Stuhl vom Tisch abrücken würde, sie an der Schulter oder am Rücken berühren, während sie sich setzte, den Moment, von dem ab nichts mehr stimmen würde. Heute liest Hannas Vater die Seminararbeiten seiner Enkelinnen, mit der Studentin war er nur ein paar Monate zusammen, aber Hanna hat sie ihm noch lange übel genommen, so wie sie es viel älteren Männern lange übel genommen hat, wenn sie ihr nachsahen, sie ansprachen. Wenn ältere Patienten oder auch Kollegen sich mit ihr verabreden wollten, hat sie nicht bloss sofort auf ihren Zivilstand hingewiesen, sie hat ihnen auch einen Teil ihrer Achtung entzogen – wegen Dreistigkeit oder fehlerhafter Selbsteinschätzung. Sie weiss noch, wie Sabine und sie sich gemeinsam darüber empört hatten, bis Sabine sich dann irgendwann in einen viel älteren Mann verliebt hatte, einen Kunden aus ihrem Laden. Wie kann es sein, dass sie selbst Sabine gegenüber Hemmungen hat. Damals, als das mit Matthias begann, da hatte sie mit Sabine Blicke, Sätze und Handlungen besprochen, alles interpretiert. Erst nachdem Matthias gefragt hatte, ob sie mit ihm nach Roskilde komme, ein Zelt für sie beide, da war alles klar gewesen, und von da an sprach sie mehr mit ihm als über ihn. Vielleicht ist sie ja auch einfach aus dem Alter raus, vielleicht behält man so etwas mit Ende vierzig für sich. Auf jeden Fall hat sie Sabine nicht erzählt, wie Ivos Unterarm ihren Unterarm berührt hat, sie hat nicht erzählt, dass sie sich beide nicht bewegt haben, sondern minutenlang so da sassen, seine etwas kühlere feste an ihrer sonnenwarmen dünnen Haut, sie konnte die Rosen auf der anderen Seite des Grabens riechen. Auch dass er ihr tief in die Augen gesehen hat, konnte sie nicht erzählen, ist sich auch manchmal nicht mehr ganz sicher, ob es wirklich so war, dass er ihr tief in die Augen gesehen hat, als er sie fragte, ob sie immer am Freitag hierherkomme oder ob es ein Zufall sei, ihr Wiedersehen, hier am Schildkrötenbecken. Eigentlich, denkt sie, war das mutig von ihm, sich zu ihr zu setzen, aber dann ruft sie diesen Gedanken zurück, denn er setzt ein Interesse auf seiner Seite voraus, das sie sich dann immer wieder doch nicht vorstellen kann. Besser kann sie sich vorstellen, dass er einfach zu den Schildkröten gegangen ist und sich über das Warnschild gewundert hat. Wie Himbeeren sehen die aus, oder, hat er gesagt und auf die Stückchen gezeigt, die die Warnschild-Schildkröte von der Warnschildhand abbeisst. Und die wirklich wie fliegende Himbeeren aussehen – oder wie kleine

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Wüstenreise VON NOEMI SOMALVICO

Schwein nennt seinen Namen und hört sich zeitgleich aus dem Radio Wenn Schwein in seinem leeren Zimmer aufwacht und es in ihm drin sagen: «Schwein.» still ist, so still, dass Schwein den Staub sich setzen hört, wird die Dring«Hallo, hallo!» Der Radiosprecher scheint sich zu freuen, Schwein weiss lichkeit aufzustehen, etwas zu tun, unüberhörbar. Schwein zieht sich alnicht worüber, aber auf der Skala von 1 bis 10 scheint er sich auf einer so in Windeseile an und fährt zum Flohmarkt in die Stadt. Es könnte ei10 zu vergnügen. ne Lampe suchen für Hector oder ein Gemälde. Angenommen, Schwein «Du hast gewonnen! Das nenne ich Glück …», sagt der doppelte Radiofindet eine Lampe, es stellt die Lampe in Hectors Zimmer und die warsprecher und: «Freust du dich auf das, was hier im Studio für dich betet dann dort ein Jahr lang darauf, dass Hector zurückkommt und sie reitliegt?» anknipst. Da stellt sich die Frage, welche Lampe ein Jahr darauf warten Schwein nickt. möchte, gebraucht zu werden. Und weil aus dem Radio nichts mehr kommt, ergänzt es: «Ich freue mich.» Mitten im Gewimmel des Flohmarkts bleibt Schwein stehen. Vielleicht «Zu Recht», sagt der Radiosprecher, «wir haben nämlich eine wunderist es die Tatsache, dass es so viel Volk hat, ein solches Gedränge, laut schöne kleine Ölkanne für dich! Hier im Studio.» und grob, vielleicht ist es auch einfach die Traurigkeit über Hectors Fort«Oh», sagt Schwein. sein. Schwein lässt sich auf einem kalten Mäuerchen nieder. «Scherz! Scherz! Scherz!», wirft der Radiosprecher ein und lacht laut In ein violettes Tuch gehüllt, schleicht ein Karnickel um Schwein herum. aus beiden Lautsprechern. «Ich halte in meiner Hand: Einen Gutschein Schwein presst die Hufe auf die Taschen seines Overalls. Es hat von Karfür eine zehntägige Reise durch die Kalahari-Wüste.» nickeln gehört, die einem ganz offenkundig das Portemonnaie entwen«Oh Gott», sagt Schwein. den und einen dabei so frech angucken, dass einem der Schrei im Hals Und jeder, der jetzt das Radio eingeschaltet hat, ist sich nicht schlüssig stecken bleibt. darüber, ob es sich dabei um ein freudiges Oh Gott oder um das Oh Gott «Ich wollt, ich dürfte Ihnen aus der Hand lesen», flüstert das Karnickel. eines Schocks handelt. «Nein, danke», sagt Schwein. Ich hab eine Wüstenreise gewonnen, schreibt Schwein Hector und setzt Das Karnickel schleicht weiter, wenn auch gebückter, weil eingeangestrengt einen Doppelpunkt und eine Klammer dahinter. Für zwei… schüchtert von Schweins Abfuhr. Du kannst nicht allenfalls eine Woche frei nehmen und mit mir nach KaIn einem Kaffeehaus bestellt Schwein eine Ovomaltine, trotz seiner Laklahari fliegen? toseintoleranz. Der Stieglitz, der bedient, ist so freundlich, dass Schwein Schwein fragt sich, ob der Ort Kalahari überhaupt existiert, und macht die Tränen kommen. Dass die Tasse gepunktet ist und ein brauner, schon auf seinem Computer ein neues Fenster auf. Die Kalahariwüste, liest nur beim Anblick trockener Keks daneben liegt, macht es nicht besser. Schwein auf Wikipedia, ist eine Dornstrauchsavanne, teilweise auch Über der Kaffeemaschine hängt eine Uhr. Hector ist jetzt irgendwo auf Trockensavanne, wird aber gelegentlich wegen des vorherrschenden Sander anderen Hälfte der Erdkugel und philosophiert in einer Schwein undes als Wüste bezeichnet. bekannten Sprache mit Schwein unbekannten Freunden über Schwein unbekannte Dinge. Seit Schwein und Hector nicht mehr zusamEs macht keinen Sinn, denkt Schwein, als es vier Stunden später men kochen, gibt es meistens einfach Teigwaaufwacht, in einer Pfütze aus Mondlicht, es macht keinen Sinn. ren. Und dazu manchmal einen «konsumfertigen» Schnittsalat. Beim Abschütten der FarfalNach New York müsste ich gehen oder in ein anderes grossstädtile fällt Schweins Blick über die Schulter zur sches Gewusel, wo ich den Überblick über mein Dasein hilflos, aber Tür. Da ist niemand. Da wird niemand sein. ebenso glücklich verlöre. Schwein schaltet das Radio ein. «Rufen Sie jetzt an», sagt der Radiosprecher Es sieht sich das exemplarische Bild an, und plötzlich fällt wie Platzreund leiert eine Nummer runter. Schwein ruft jetzt an, um zu – es weiss gen: Erleichterung über Schwein. Das ist gar keine richtige Wüste. Es selbst nicht, warum. Seine Finger sind nass vom Dampf der Teigwaren. stehen ein paar Bäume auf den Bildern rum, die, wenn die Sonne nicht Aus der Hörermuschel ertönt tatsächlich ein Tuten und dann dringt eigerade im Zenit steht, Schatten spenden werden, und plötzlich freut ne Stimme an Schweins Ohr und dieselbe Stimme dringt aus dem LautSchwein sich, freut sich ernsthaft, und tropft ein bisschen Öl in die Farsprecher des Radiogeräts. Die zwei Stimmen sagen synchron: «Ciao! falle, es hätte zwar lieber eine Reise nach Sizilien oder in den Norden Und wen haben wir am Apparat?»

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Sie beschliessen spontan, sich während eines Telefonats besser kennenzulernen. Schwein schwitzt. «Könnten Sie mir ein Bild von sich schicken?», fragt Wisent, und kurz ist Schwein gekränkt. «Ehm, natürlich», sagt es am Telefon, aber was soll schon ein Bild an der Entscheidung ändern. Später kann Schwein sich eingestehen, dass es denselben Wunsch an Wisent hat, und es nimmt sich vor, dies auf der Rückseite des Bildes zu vermerken. Schwein in der Fotokabine. Ein Abzug kostet acht Franken. Schwein macht einen Abzug, somit hat es vier potenzielle Bilder von sich in verschieden ernsthaften Posituren. Auf dem ersten Bild hat sein Lächeln etwas Sadistisches, auf dem zweiten erinnert Schwein sich an einen Musiker mit Alkoholproblem, das dritte schneidet Schwein den Hals zu weit oben ab – das Lächeln wäre nicht schlecht –, das vierte und letzte entpuppt Schwein als allzeitmüde. Als Schwein mit seinen vier Porträts im Tram zu sich nach Hause sitzt, wird es Zeuge eines winzigen Unglücks. Ein Wildschwein, schlecht angezogen und übelriechend, prallt in ein feingliedriges Reh, das bis jetzt aus dem Fenster des Trams gesehen und dazu Pommes Frites aus einem Karton gegessen hat. Der Inhalt des Kartons fliegt beim Zusammenstoss über die Ränder. Etwa zwanzig Pommes Frites und vier Chicken Nuggets landen auf dem Boden. Das Wildschwein entschuldigt sich kleinlaut und verschwindet durch den langen Schlauch des Trams. Das Reh scheint kurz nachzudenken, beginnt dann die Pommes Frites, eines nach dem anderen, aufzulesen und alle vier Seiten zu prüfen. Schwein steigt bei der nächsten Station aus, eine eigenartige Beklemmung hat es beim Anblick des Rehs mit den dünnen Handgelenken befallen, die traurige Präzision, mit dem das Reh jedes einzelne Pommes Frites aufhob, die Enttäuschung, die es durch dieses Aufheben zu überwinden galt. Schwein drückt sich in den Windschatten des Billetautomaten. Hector hat immer gesagt: Du bist zu nah am Wasser gebaut. ■

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gewonnen, aber hat es sich an Silvester nicht den Vorsatz Mut zu neuen Erfahrungen notiert? Es macht keinen Sinn, denkt Schwein, als es vier Stunden später aufwacht, in einer Pfütze aus Mondlicht, es macht keinen Sinn. Nach New York müsste ich gehen oder in ein anderes grossstädtisches Gewusel, wo ich den Überblick über mein Dasein hilflos, aber ebenso glücklich verlöre. Würde Schwein an ein Schicksal glauben, würde es meinen, dass diese ihm in die Hand gefallene Wüstenreise eine wichtige sein wird, wenn nicht unverzichtbar. Schwein sieht die Schönheit des Monds, aber es hört auch den Tinnitus, der seit einer Woche in seinem Innenohr den Bogen über ein hohes C zieht. Hector lässt drei Tage warten auf seine Antwort. Es sei viel los, er hoffe, er kriege überhaupt eine Woche Ferien, es sei aber schön hier, es gäbe immer was zu lachen. Es sei lustig, dass Schwein diese Reise gewonnen habe. Das schreibt er auch noch. Also fragt Schwein Wiesel. Wiesel kann nicht. Also fragt Schwein Reh. Reh kann nicht. Mit allen anderen Freunden möchte Schwein nicht mehr als drei Tage unterwegs sein. Wolf ist zu schweigsam und Pferd ist das Gegenteil: viel zu abenteuerlustig. Schwein hat Pferds Mund niemals länger als zwanzig Sekunden geschlossen erlebt. Ausserdem schnarcht es. Mäusebart fällt Schwein noch ein, aber mit dem hatte es zu lange keinen Kontakt. Es ist nicht so, dass Schwein die Reise nicht absagen könnte. Aber sagt es sie ab, wird eine gewisse Reue während Monaten in Schweins Nacken kleben bleiben. Und was sagt Schwein dann zu seinen Grosskindern, wenn es eines Tages welche haben sollte: Ich habe ganz spontan beim Radio angerufen und eine Wüstenreise gewonnen. Ich hab gemerkt, dass das nichts für mich ist, und abgesagt? Wer begleitet mich, schreibt Schwein in ein Reiseforum im Internet, im April zehn Tage durch die Kalahari Dornstrauchsavanne? Fünf Antworten. Die erste lautet: Ich heisse Pferd und bin 45 Jahre alt. Ich war schon einmal in der Wüste mit meiner Frau. Es hat mir sehr gefallen. Die Landschaft ist grossartig, die Leute sind grossartig, das Essen ist grossartig. Das wird grossartig. PS. (Ich bin versichert über HELSANA.) Die zweite lautet: Ich möchte ein Brustkrebs-Patienten sein. Ich werde in der Türkei. Würden Sie mir einen Arzt? Meme estetig˘i Die dritte ist ein Smiley, so: xD Und die Worte: Für ales zu haben. Alles mit einem L. Schwein schickt diese drei Nachrichten unmittelbar in den Papierkorb und schreibt einem Wisent zurück, das sich für Mineralien, aber auch für Astrologie interessiert.

Noemi Somalvico wurde im Sommer statt im Herbst 1994 in Solothurn geboren. Hat nach der Matur ihr Studium am Schweizerischen Literaturinstitut aufgenommen und eingesehen, dass ihre schönsten Texte den unschönsten Erfahrungen entspringen. Schont sich dennoch hin und wieder oder schreibt Briefe, zur Beruhigung.

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Sommerloch VON LOU MEILI

Ich wandere den Strand entlang. Ich gehe da, wo das Wasser Algen angespült hat, die stinken, aber angenehm kühl an den Fusssohlen sind. Ein Kind baut eine Sandburg, die eigentlich nur ein Sandhügel mit ein paar bunten Steinen darauf ist. Es ist zufrieden und vertieft, bis eine junge Frau zu ihm hingeht, sich bückt, erst freundlich auf es einredet und ihm dann seine Schaufel aus der Hand reisst. Das Kind beginnt zu plärren, die Frau lässt es ungerührt stehen, nimmt die Schaufel mit. Sie setzt sich in der Mitte des Strandes. Genug weit weg vom Wasser, von den schattenwerfenden Bäumen und weg auch von den Handtüchern und Sonnenschirmen. Etwas verloren sieht sie aus, mit so viel Abstand von allem, was an einem Strand wichtig ist. Sie gräbt im Sand, sehr stetig und geduldig. Es sieht friedlich aus, also setze ich mich neben sie. Mein Hotelzimmer ist leer und am ersten Abend habe ich mit meiner Strandhaut das ganze Bett versandet, deshalb habe ich überhaupt keine Lust, dahin zurückzukehren. Ich sage Hallo und dass ich Sand unter dem Badeanzug hätte, was kratze. Sie lacht und meint, das habe sie auch, aber es gebe Schlimmeres, wenigstens sei der Strand sauber. Wir sprechen Englisch und sie hat einen Akzent, den ich nicht einordnen kann. Er ist aber immer noch weniger stark als meiner, und da sie nicht fragt, wo ich herkomme, frage ich sie auch nicht. Aber ob sie auch ein hässliches Hotelzimmer habe, in einem der alten Häuser, die von aussen so verlockend aussehen, das frage ich. Habe sie nicht, sie habe es sich noch nicht verdient, sich hier auszuruhen, sie bleibe am Strand. Soso, sage ich, und dass es wahrscheinlich ohnehin besser sei, weil das Hotelzimmer, wie gesagt, sehr hässlich sei. Wir schauen uns gemeinsam einen kitschigen Sonnenuntergang an. Eigentlich schaue ich auf den Sonnenuntergang und ärgere mich, dass ich meine Kamera im Hotelzimmer gelassen habe, weil diese Szene zuhause allen einen sehr erfolgreichen Urlaub bewiesen hätte. Sie gräbt weiter, genau wie zuvor, nur dass sie jetzt orange aussieht im Licht. Als die Sonne verschwunden ist, verabschiede ich mich, um meine Laken auszuschütteln und schlafen zu gehen. Sie nickt mir freundlich zum Abschied zu, see you soon. Am nächsten Tag bin ich zufriedener mit meinen Ferien. Ich habe mir auf dem Markt Mangos und Pfirsiche gekauft und diese an den Strand mitgenommen. Der Himmel ist blau und ich fühle mich so, wie ich mich fühlen sollte.

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Ich beginne, eine Postkarte zu schreiben, aber mir fallen keine Worte Erst finde ich die Frau von gestern nicht, aber dann merke ich, dass das ein, um meine Ferien zu beschreiben. Ausserdem finde ich das PostkarWasser gesunken ist und ich am falschen Ort suche, viel zu nah am tenmotiv doof. Ein Delfin, obwohl ich noch nie einen gesehen habe. Ich Meer. Sie ist tatsächlich noch an der gleichen Stelle und ihre Beine sind beschwere mich bei der Frau, aber sie meint nur, es sei doch egal, was jetzt ganz vom Sand bedeckt, den sie weiter schaufelt. Ich biete ihr da drauf ist, solange es schön aussehe, und das tue es ja. Gibt es hier Früchte an und wir schälen, essen, knirschen mit dem Sand zwischen denn überhaupt Delfine, will ich wissen. Die Frau weiss es auch nicht, den Zähnen. Es windet, und er saugt sich an allem Feuchten fest, dem sie hat noch keine gesehen, aber sie glaubt gerne an sie. Und ob die LeuFruchtfleisch und den Saftflecken auf unseren Bäuchen. Ich frage, ob sie te bei mir zuhause denn wissen, ob es hier Delfine gibt oder nicht. Ich schwimmen und sich den Sand abwaschen kommen wolle, aber sie will schüttle den Kopf. Sie lacht, ich glaube, über mich. Was dann das Thenicht. Sie habe genug vom Meer, sie sei schon durchs Meer hergeater solle, dann sei es doch sowieso egal. Ich biete ihr die Postkarte an, schwommen. da sie ihr ja so gefällt, aber sie hat niemanden, an den es eine zu schreiAlso gehe ich alleine ins Wasser, mache lange Züge und stelle mir vor, ben gäbe. Ausserdem sagt sie, Postkarten schreibe man aus dem Urlaub, wie die Frau hier angekommen sein muss. Bestimmt ganz salzig und verschrumpelt nach dem langen Schwimmen. Und erschöpft. Ich würde nie erschöpft irgendEine Weile beschäftige ich mich damit, so zu tun, als würde ich erwohin fahren, deshalb fliege ich auch nie in der Nacht. Sonst hat man gar keine Energie, trinken. Es eilt mir niemand zu Hilfe, obwohl es anstrengend ist und seine Ferien zu geniessen. ich mich verschlucke. Eine Weile beschäftige ich mich damit, so zu tun, als würde ich ertrinken. Es eilt mir niemand und sie wohne jetzt hier. Am Strand, frage ich, und sie nickt. Am Strand. zu Hilfe, obwohl es anstrengend ist und ich mich verschlucke. So wird Ich überzeuge sie, mir die Postkarte zu schreiben und mir von ihrem mir langweilig und ich mache einen Krakenschwumm zurück ans Ufer. schönen Zuhause zu erzählen, damit ich eifersüchtig über diese wunIch frage die Frau, ob sie mit mir Pizza essen kommen wolle. Ich bin alderbare Wohnlage ohne Bürokomplexe und lauten Strassen sein kann. lein in den Ferien, was mir zuhause wie die ultimative Erholung vorgeDann lasse ich sie mit dem Stift und der Karte sitzen und gehe authenkommen war. Aber jetzt habe ich zu viel Zeit, mir Gedanken darüber zu tisch italienische Pizza essen, allein. machen, was mir diese Zeit am Meer eigentlich wirklich bringt. Ich lerAm nächsten Tag komme ich fast nicht aus dem Bett. Der Strand, das ne keine neue Kultur kennen, mache auch gar keinen Versuch. Das hier Buch neben meinem Bett und das Sonnenbaden fühlen sich an wie eiist ein Touristenort, und die Einheimischen scheinen vor der Invasion ne Aufgabe, wie ins Büro fahren. Ich würde gerne etwas tun, das ich geflohen zu sein. Das Einzige, was wirklich für diesen Ort spricht, ist, nicht muss, zum Beispiel ins Büro fahren, jetzt wo ich frei habe. Stattdass er nicht zuhause ist. dessen esse ich Eis zum Frühstück, weil man so was darf in den Ferien. Die Frau möchte nicht mit mir Pizza essen gehen oder kann nicht, denn Am Strand finde ich die Frau, die jetzt bis zu den Schultern eingegraben sie ist jetzt bis zur Hüfte eingegraben. Ich bin eben geflüchtet, erkläre ist, schnell, da sie mir schon winkt, als ich gegen Mittag ankomme. Ob ich ihr, und sie nickt ernst. Aber ziemlich erfolglos, weil ich muss in drei die Pizza gut gewesen sei, fragt sie, und ich sage nein, die beim ItalieTagen wieder zurück, Arbeit. Ich verwerfe die Hände. Sie meint, ich soll ner bei mir um die Ecke sei besser. Ich streiche mir eine dicke Schicht mich doch etwas integrieren hier, mit den Leuten sprechen, nicht mit Sonnencreme aufs Gesicht, denn ich beginne schon rot zu werden. Meiihr, sie sei ja auch nicht von hier. Sie war wohl noch nie im Städtchen, ne Haut mag Sonne nicht besonders, und mit einem Sonnenbrand ins sonst wüsste sie um die Unmöglichkeit dieses Vorhabens. Wir sitzen alBüro zurückzukommen ist noch peinlicher als ganz weiss. Dann gehe so nebeneinander, fühlen uns beide fremd.

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Die paar Tage haben gereicht, dass ich ihn nicht mehr sehe. Ich finde die ich ein paar Muscheln sammeln und lege sie auf den Sandhügel, unter Frau oder besser, ihre Haare, die das Einzige sind, das noch aus dem dem der Körper der Frau ist. Besonders freue ich mich über ein grünes Sand herausschaut. Ich beginne, sie zu flechten. Ich kann mich nicht Seeigelskelett. Es ist ganz fein und leicht, und ich verstehe, wieso die mit den Touristen identifizieren, sage ich zu dem Zopf. Ich habe immer Seeigel all diese Stacheln brauchen, um es zu schützen. Ich habe schon das Gefühl, ich gehöre nicht zu ihnen, obwohl ich alles tue, was sie auch wieder begonnen zu packen, sage ich mit einer Grimasse. Ich liste auf, tun. Meinst du, du hast etwas falsch gemacht mit dem Ankommen hier was ich noch alles machen wollte hier, ich müsste jetzt eigentlich los, oder ich, frage ich. Jaja, sage ich, da keine Antwort aus dem Sand wenn ich die Klippenwanderung noch schaffen will. Willst du, fragt sie. kommt. Du kennst jetzt wenigstens den Boden, du bist schon mehr anEigentlich will ich nicht, aber der Reiseführer behauptet, es sei ein Highgekommen. Ich fliege morgen ab. Es ist langweilig, mit Haaren zu reden, light. Ich kann mich nicht überwinden. also gehe ich schwimmen. Danach dusche ich das Meerwasser nicht ab. Ich solle doch einfach etwas länger bleiben, sagt sie. Dann könne ich Ich möchte im Flugzeug am Salz auf meiner Haut lutschen und mir ein auch all die Highlights ansehen. Ich lache, merke dann, dass sie es ernst paar schöne Erinnerungen ausdenken. meint, und verziehe hilflos das Gesicht. Das geht doch nicht, Arbeit, Freunde und so. Ob ich mich also auch auf zuhause freue, fragt sie. Auf die Vertrautheit und Ich müsste jetzt eigentlich los, wenn ich die Klippenwanderung noch die lieben Leute und sogar die Arbeit. Ich zuschaffen will. Willst du, fragt sie. Eigentlich will ich nicht, aber der cke mit den Schultern, ich möchte nicht undankbar erscheinen, aber eigentlich langweilt Reiseführer behauptet, es sei ein Highlight. Ich kann mich nicht übermich die Vertrautheit gerade sehr. Sogar die winden. Vertrautheit des Ferienorts, der wie jeder Ferienort ist, macht mich wütend. Ob sie das Kurz bevor mein Taxi für den Flughafen kommt, gehe ich noch einmal denn möge, frage ich. Es habe keinen Wert, es zu mögen, sie habe es ja schnell an den Strand, verabschiede mich vom Meer. Jetzt ist es plötznoch nicht. Ihr Zuhause sei hier, aber vertraut sei es noch nicht. Sie lich wieder schön und schmeichelnd, wie es an meinen Füssen leckt. Es freue sich aber schon darauf und gebe ihr Bestes, sich mit dem neuen versucht, mich zum Bleiben zu verführen, und fast ist es erfolgreich. Ich Boden anzufreunden. Die Rede klingt einstudiert und ich denke, sie hat könnte untertauchen, wie die Frau, die nirgendwo zu sehen ist. Aber ich sie sich vermutlich während dem Schwimmen schön zurechtgelegt, mag nicht so lange graben. oder vielleicht während dem Graben. Sie winkt mit der Kinderschaufel. Ich mache ein Foto von dem Sandhaufen, unter dem die Frau ist. Ich lasWir lernen uns kennen, sagt sie und streicht liebevoll über den heissen se den Italienisch-Dix neben dem Hügel liegen. Ich grabe meine Zehen Sand auf ihrem Bauch. in den Sand, dann meine Füsse. Es wird kühl und feucht unter der OberIch lese ihr aus meinem Reisedix vor, Italienisch mit deutscher Übersetfläche. zung. Sie versteht beides nicht, hört aber aufmerksam zu. Ich lese die Der Taxifahrer muss vier Mal hupen, bevor ich einsteige, mit nackten, Wörter und vergesse sie gleich wieder, für zwei Tage lohnt es sich ja sandigen Füssen. auch nicht mehr, ausserdem können hier alle Englisch. Am Flughafen google ich mit dem langsamen Internet, ob man Leute, Ich lege mich auf den Bauch und öffne meinen Bikini, sodass mein Sondie im Sand eingegraben sind, ausgraben muss, aber ich bekomme keinenbrand wenigstens keinen Abdruck haben wird. Ich warne sie, dass ne befriedigenden Ergebnisse. An einem Automaten kann man Fotos zu sie nicht braun werden wird, wenn sie ganz mit Sand bedeckt ist, aber Postkarten machen, und ich schicke allen das Bild vom Sandhaufen. sie schaufelt trotzdem weiter. Sie muss ja auch nicht zurück und beDas ist mein Urlaub, schreibe ich darauf. Es ist schön hier, ich freue weisen, dass woanders wirklich schöneres Wetter ist als bei uns. mich auf euch. Der Sand steigt und steigt um sie, und kurz bevor die Sonne untergeht, ■ verabschiedet sie sich freundlich, um dann den Sand über ihren Mund zu schaufeln. Ich sage ihr, dass ich zurück ins Hotel gehen werde, weil da heute der Gala-Abend des All-Inclusive-Pakets stattfindet. Im Prospekt haben alle so ausgesehen, als hätten sie unglaublich viel Spass dabei. Die Frau kann nichts mehr sagen, also interpretiere ich den Ausdruck ihrer Augen, die man in der Dämmerung fast nicht mehr sieht, als Trauer darüber, nicht mitkommen zu können. Lou Meili ist 1996 in Zürich geboren und Ich habe einen Kater an meinem zweitletzten Ferienmorgen, weil ich am auch da aufgewachsen. Seit 2015 lebt sie in Gala-Abend zu viel getrunken habe. Ich versuchte, unglaublich viel Biel und studiert dort am Schweizerischen Spass zu haben wie die im Prospekt, wurde dabei aber nur sehr beLiteraturinstitut. trunken. Trotzdem muss ich jetzt aus meinem Hotelzimmer, weil es mich in den Fingern juckt, meine Emails zu checken, und ich habe mir versprochen, das nicht zu tun während meiner kurzen Auszeit. Also gehe ich an den Strand und versuche mir bewusst zu machen, wie schön er ist, mit seinem weissen Sand und der schäumenden Brandung.


Der Leuchtturm VON RALF SCHLATTER

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Haus bekamen und wie sie das alles gefeiert haben, ist eine andere Geschichte. Aber da stand es tatsächlich, am nächsten Morgen, und Fredi machte sich an die Arbeit. Drei Wochen später hatte er eine Wendeltreppe ins Silo hineingebaut. Weitere zwei Wochen später oben einen Boden und eine Grillstelle. Und als Zugabe einen Flaschenzug für die Bierkisten. Dann fehlte nur noch die Farbe. Rot und weiss gestreift natürlich, und noch einmal schwitzte Fredi drei Tage lang, auf der Bockleiter, und konnte nachher nur noch mit Mühe seine Arme bewegen. Kaum war die Farbe trocken, setzte Regen ein, und Fredi war drauf und dran, sich wieder ins Auto zu setzen Richtung Süden, Norden, Südwesten. Aber tags darauf, gegen Abend, liess der Regen nach, so wie jeder Regen irgendwann nachlässt, die Sonne brach durch die Wolken, die Luft roch schwer nach Feuchtigkeit und Sommer, kleine Dampfwolken stiegen aus den Büschen, eine Amsel begann ihr Abendlied. Der Moment war gekommen. Fredi nahm seinen beigen Leinenanzug aus dem Kasten, gekauft in Marseille, im Quartier du Panier, zwinkerte der Frau im Bikini zu, zog den Anzug an, ging zum Haus hinaus, durch den Garten, öffnete die Metalltür und stieg feierlichen Schrittes auf seinen Leuchtturm. Oben angekommen, machte er ein Feuer. Dann nahm er ein Bier aus der Kiste, öffnete es und trank einen tiefen Schluck. Dann nahm er den Feldstecher und schaute, knapp übers Mehrfamilienhaus hinweg, aufs Meer hinaus. Suchte die Linie. Am Horizont. Dort hinten. Sah stattdessen genau auf die Dachterrasse des Hauses hinter dem Mehrfamilienhaus. Sah die verschwommenen Umrisse eines Menschen. Stellte scharf. Und sah Patrizia, im Liegestuhl, im Bikini. Mit Blumenmuster. Und als hätte sie den Blick aus der Ferne gespürt, schaute sie auf von ihrer Illustrierten. Und sah die verschwommenen Umrisse von Fredi auf seinem Leuchtturm. Sie winkten sich zu. Und mit einer grosszügigen Geste rief ihr Fredi zu, sie solle doch zu ihm rüberkommen. Und Patrizia liess sich das nicht zweimal sagen. Sie legte die Illustrierte zur Seite, stand auf, warf die Strickleiter über die Hausmauer, kletterte hinab, stieg ins Boot und ruderte los. ■ Ralf Schlatter, geboren 1971 in Schaffhausen, lebt als Autor und Kabarettist in Zürich. Zu seinen Werken gehören die Romane «Federseel», «Maliaño» und «Sagte Liesegang», der Erzählband «Verzettelt», der Lyrikband «König der Welt». Er schreibt Hörspiele und tritt mit Anna-Katharina Rickert als «schön&gut» mit poetischem und politischem Kabarett auf. Gewinner des Salzburger Stiers 2004 und des Schweizer Kabarettpreises Cornichon 2014.

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Fredi ging es im Grunde genommen gut. Er hatte eine Wohnung, er hatte einen Job, er war gesund. Nun ja, eine Frau hätte er gerne auch noch gehabt, aber er beklagte sich nicht. Fredi hätte es im Grunde genommen gut gehabt. Wäre da nicht seine unstillbare Sehnsucht gewesen nach dem Meer. Er wusste nicht, woher sie kam. Von seinen Eltern bestimmt nicht. Seine Eltern waren Bauern, und Bauern haben keine Sehnsucht nach dem Meer, Bauern haben Sehnsucht nach dem Boden. Er konnte sich nicht erinnern, dass seine Eltern jemals am Meer gewesen wären. Wenn es hoch kam, fuhren sie einmal im Jahr an den Bodensee. Von den Kinderbüchern? Vielleicht. Die Möwe Jonathan, Nils Holgersson, und natürlich Huckleberry Finn, auf diesem endlosen Mississippi. Oder doch von dem Kalender, an der Wand, im Wohnzimmer seiner Grosseltern? Wo jahrelang der eine Monat zu sehen war? August 1973, der Strand von Rimini, vom Licht schon ganz verblichen, die endlosen Reihen von Liegestühlen und Sonnenschirmen, und im Vordergrund ein Mann in der Badehose, mit Bart und Brusthaar, im Arm eine Frau im Bikini, mit Blumenmuster, es war die erste Frau im Bikini, die Fredi in seinem Leben sah, er getraute sich nicht, zu fragen, warum seine Grosseltern das Blatt nie umgedreht hatten, vielleicht hatten ja beide etwas davon und liessen es stillschweigend hängen, und als die Grosseltern dann gestorben waren und er die Wohnung räumte, nahm er das Kalenderblatt zu sich und hängte es an die Innentür seines Kleiderkastens. Vielleicht war es also das Kalenderblatt, vielleicht war er auch einfach im ersten Leben Fischer gewesen, wer weiss, das Meer liess ihn nicht los, und kaum hatte er drei Tage hintereinander frei, ging er zu ihm. Setzte sich ins Auto und fuhr südwärts, nordwärts, südwestwärts, Genua, Marseille, Rotterdam, Venedig. Ging ins erstbeste Hotel, stellte seine Tasche ins Zimmer und ging gleich wieder los, zielsicher, auf dem kürzesten Weg zum Ufer. Setzte sich hin und sass stundenlang. Schaute hinaus, schaute einfach nur hinaus, ins Endlose. Auf die Linie, dort hinten, am Horizont, diese Linie, jeden Tag anders, einmal scharf, ganz scharf und unendlich, einmal zerfranst, zerdunstet und nur zu vermuten, einmal fast grün, einmal ein dunkelvioletter Strich, und immer nur Weite dahinter, dort hinten. Wenn es dunkel und kühl geworden war, ging er zurück ins Hotel, bedrückt und gleichzeitig erfüllt, schlief wenig, stand früh wieder auf und ging zurück ans Ufer. Mit der Zeit aber, da gingen die Reisen ins Geld, und Fredi sah seine Freunde kaum mehr, von einer Frau ganz zu schweigen. Also beschloss er eines Tages, das Meer zu sich zu holen. Neben dem Hof seiner Eltern stand seit Jahren dieses alte Getreidesilo. Eines Nachts und Nebels fuhr er mit einem Lastwagen und fünf Freunden vor. Wie sie das Silo auf den Lastwagen bekamen und wie sie mit dem Lastwagen zu Fredis Haus kamen und wie sie das Silo vom Lastwagen in den Garten hinter Fredis


Kreuzworträtsel 1. Preis: Das Strassenmagazin Surprise ein halbes Jahr im Abo. 2. Preis: Zwei Mal Teilnahme für zwei Personen am sozialen Stadtrundgang, wahlweise in Basel oder Zürich. 3. Preis: Drei Mal ein Surprise Badetuch.

Finden Sie das Lösungswort und schicken es zusammen mit Ihrer Postadresse an: SURPRISE Strassenmagazin, Spalentorweg 20, 4051 Basel oder per E-Mail mit Betreff «Rätsel 378» an info@vereinsurprise.ch Einsendeschluss ist der 14. Juli 2016. Viel Glück! Die Gewinnerinnen und Gewinner unter den richtigen Einsendungen werden ausgelost und in der Ausgabe Nummer 379 bekannt gegeben. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt.

Gipfel bei Engelberg 3238m heutiger Name Persiens

nordnorweg. Hafenstadt

engl. Frauenkurzname Berg im Kanton Fribourg

pigmentstoffarmes Tier

engl.: treffen

farblos, matt

Fälschung schweiz. Grenzgewässer

türk. Stadt

Kater bei E.T.A. Hoffmann

Viehhüter

im Zahlungsrückstand

Eingabemarkierung (engl.)

Klotener Eishockeyclub

Fluss im Bergell

Hundelaute

2

3

5

Berg bei Trub

Augenschminke

Internetkürzel Irland

tibetischer Wildesel

kindlich, naiv

schweiz. Rheinzufluss

frz.: wo?

Seufzer Gattin d. Donnergottes Thor

afrikan. Dickblattgewächse Haltung, Position

1 4

quälen

Archäopteryx

Gattin des Gottes Osiris

3

Teil des Vierwaldstättersees

Cocktail

Kurzform von Theresa

frz.: Korn

7

dem Namen nach Stadt in der ZentralUkraine

Entenart: ...ente

engl.: sein (to ...)

5

nordostfrz. Grossstadt

frz.: Tanz

Mahlzahn

Jagdgewehr

Fremdwortteil: mit, zusammen

Nahrung Aufnehmender

10

Speisefisch

Zögling

sehr trocken (Sekt)

4

der Tag in der nord. Sage

kaufm. Lehre (Kw.)

Knochengerüste

Berg im Kt. GR (Piz d'...)

6

unabhängig, eigenständig

1

Qualitätsstufe (engl.)

durch Fakten belegt

Südosteuropäer

14

Gesuch

Lenkrad

ungesittete Menschen

8

Schauspieler Mz.

zu Gott sprechen

2

Stadt in Tennessee

Anglergruss: ... Heil!

Doldengewächs

Golfbegriff

Thunfisch Touristenort am Lago Maggiore

die Haut entfernen, schälen

Ausbilder, Pädagoge

alltäglich, nichtssagend

zu keiner Zeit

das Existierende (philos.)

9

13

Tierhöhlen Hauptstadt v. Kolumbien

Bild von da Vinci: ... Lisa

engl.: Tee

dt. Frauenname

11

Gewässer in den östl. Voralpen

Münze auf Papua-Neuguinea

schläfrig werden

keimfrei

nicht weich

Backware

veralt. Spiel mit 52 Karten

Stadt am LebaSee

Fluss im Berner Jura

aufstacheln

Grubengas

Substanz der Gene (dt. Abk.)

12

USSchauspielerin (Juliette)

Südostasiat

histor. Bez. für Türke

Berner Hausberg

flacher Meeresteil Teil des Kopfes

Gesteinsbrocken

18 raetsel ch

6

7

8

9

10

11

12

13

14 Tipp: Das Lösungswort hat mit einem der Texte dieser Ausgabe zu tun.

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Die 25 positiven Firmen

Sudoku Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, in jeder Spalte und jedem der neun 3 × 3Blöcke nur ein Mal vorkommen. Die Lösungen finden Sie in der nächsten Surprise-Ausgabe.

Mittelschwer

5 6 4 2 9 3 5 1 1 9 3 7 4 5 8 3 4 5

01

A. Reusser Bau GmbH, Recherswil

02

Kreislauf 4+5, Zürich

03

Thommen ASIC-Design, Zürich

04

Proitera Betriebliche Sozialberatung, Basel

05

Kaiser Software GmbH, Bern

06

Hervorragend AG, Bern

07

Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

08

Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

8 4

09

Frank Türen AG, Buchs

10

Schweizerisches Tropen- und Public Health-

8 7 9 6

7 2

Conceptis Puzzles

Institut, Basel

06010031769

Teuflisch schwer

5

8

4

2

Familie Iten-Carr Holding AG, Zug

12

Brother (Schweiz) AG, Dättwil

13

Maya-Recordings, Oberstammheim

14

Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

15

Imbach Reisen AG, Wanderreisen, Luzern

16

Institut und Praxis Colibri, Murten

17

Scherrer & Partner GmbH, Basel

18

Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen

19

Petra Wälti Coaching, Zürich

20

Bachema AG, Schlieren

21

Pro Lucce, Eschenbach SG

22

Mcschindler.com GmbH, Zürich

23

Burckhardt & Partner AG, Basel

24

Schluep & Degen Rechtsanwälte, Bern

25

AnyWeb AG, Zürich

werden?

4 5 4 3 8 8 2 2 4 7 6 7 4

Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

3

2

6 3 Conceptis Puzzles

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Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet

1

9

Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

5

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Surprise – mehr als ein Magazin

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.)

Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit einem Netzwerk aus freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der ganzen Deutschschweiz. Sie kämpfen um den Titel des Schweizermeisters und des Weltmeisters beim Homeless World Cup. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und öffentliche Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss sonst erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen kostenlosen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine einfache und charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren. Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Gönner-Abo für CHF 260.– Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsführung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali, Sara Winter Sayilir (ami, win, Co-Heftverantwortliche), Beat Camenzind (bc), Diana Frei (dif), Thomas Oehler (toe), redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Florian Burkhardt, Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Lou Meili, Klaus Merz, Milena Moser, Ralf Schlatter, Gian Snozzi, Noemi Somalvico, Peter Stamm, Ulrike Ullrich Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 20 600, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke (Leitung), Zaira Esposito

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Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

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Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83/85 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Sara Huber, Christian Sieber, Kanzleistr. 107, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Barbara Kläsi, Alfred Maurer, Fabian Steinbrink Scheibenstrasse 41, 3014 Bern, bern@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40 Paloma Selma (Leitung), p.selma@vereinsurprise.ch Strassenfussball T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach), d.moeller@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Basel T +41 61 564 90 40 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Paloma Selma (Koordination), rundgang@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Zürich T +41 44 242 72 14 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Carmen Berchtold (Koordination), rundgangzh@vereinsurprise.ch Vereinspräsident Beat Jans Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt: Spendenkonto PC 12-551455-3 SURPRISE 378/16


Literarische Arbeit ist weder Hobby noch Selbstmarketing: Sie verdient ein Honorar. Der Verband Autorinnen und Autoren der Schweiz AdS hat seine Mitglieder aufgerufen, aufgrund einer aktuellen medialen Diskussion zur Honorierung von Autorinnen und Autoren in der Romandie folgende Erklärung zur Sensibilisierung für faire Entschädigung von literarischer Arbeit zu unterzeichnen. Weil ein Autor öffentlich darauf bestanden hat, für Lesungen aus seinen Büchern ein Honorar zu erhalten, ist in den Medien der Romandie eine Debatte entbrannt. Der Exponent einer grossen Buchhandelskette nennt es weltfremd, wenn Autorinnen und Autoren erwarten, vom Schreiben leben zu können. Reaktionen kommen auch aus Frankreich. So hat selbst Vincent Monadé, Präsident des Centre National du Livre, Position zur Debatte genommen und sich deutlich für ein angemessenes Honorar für Autorinnen und Autoren ausgesprochen. Die Autorinnen und Autoren der Schweiz möchten bei dieser Gelegenheit an folgende Grundrechte erinnern: Schreiben ist ein Beruf, keine Freizeitbeschäftigung. Dafür ist Leidenschaft zwar gefragt, aber auch Professionalität. Schreiben ist eine Kreativleistung, in der viel geronnene Arbeitszeit steckt. Wie in jedem anderen Beruf auch. Geht man vom Prinzip aus, dass jede Arbeit zu entschädigen ist, fragt man sich, warum dies bei den Leistungen von Autorinnen und Autoren immer noch keine Selbstverständlichkeit ist. Denn auch die Arbeit von Autorinnen und Autoren fordert Zeitaufwand wie die Beherrschung eines Fachgebiets. Als Autor oder Autorin ist man gezwungen, mit einer Vielzahl verschiedener wichtiger Einkommensquellen zu jonglieren: Urheberrecht, öffentliche Lesungen, Diskussionen, Aufträge, Schreibwerkstätten… Also mit allen Formen, die mit Schreiben zu tun haben und es aufwerten, aber auch die spezifischen Kompetenzen von Autorinnen und Autoren abrufen können. Autorinnen und Autoren sind Akteure der Ökonomie. Sie sind der erste Teil der Buchkette. Nur dank ihrer Arbeit können zahlreiche weitere Personen arbeiten, die meisten davon mit angemessener Entschädigung. Ohne Autorinnen und Autoren gäbe es keine Bücher: Und ohne Bücher wäre die gesamte Buchkette – sprich Verlage, Buchhandel, Bibliotheken, Veranstalter, Buchmessen, etc. – schlicht arbeitslos! Deshalb erinnern die Autorinnen und Autoren der Schweiz an ihr Anrecht, für ihre berufliche Leistung ein angemessenes Honorar zu erhalten. Die Autorinnen und Autoren hoffen, gemeinsam mit der Kulturbranche und der Politik, dafür sorgen zu können, dass sie künftig unter besseren Bedingungen und mit Respekt und Wertschätzung für ihre Leistungen arbeiten können. Immer das gemeinsame Ziel von Qualität und Vielfalt der literarischen Produktion vor Augen. Bitte unterschreiben Sie den Aufruf: www.a-d-s.ch, Link «Aufrufe»

Autorinnen und Autoren der Schweiz AdS www.a-d-s.ch

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Anzeige:

«Ich bin sehr oft einfach von Schönheit ergriffen. Von Details. Von Dingen, die alltäglich sind und die man so oft übersieht: ein silberner Löffel, eine Gurkenscheibe, eine Blüte … Da besteht beim Malen die Kunst darin, den Glanz, die Wärme, die Weichheit des Silbers, die Leichtigkeit und das Licht hinzukriegen.» Cristina Choudhary Surprise-Verkäuferin in Zürich

surprise@manifesta: Ein Projekt von Jürgen Krusche (ZHdK), Surprise Strassenmagazin und Surprise-Verkaufenden. Das Sonderheft erscheint am 12. August.


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