Surprise 385

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Nr. 385 | 7. bis 20. Oktober 2016 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

Sind Sie das? Was wir aus den Ergebnissen unserer Leserbefragung schliessen


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Was glauben Sie, wer die US-Präsidentschaftswahl gewinnen wird? Ist diese Frage angesichts eines Kandidaten wie Donald Trump überhaupt nüchtern zu beantworten? Wer emotional beteiligt ist, sich besonders gut auskennt oder religiös ist, hat schlechtere Chancen, fundierte Prognosen abzugeben. Das fand ein Forscherteam rund um US-Psychologieprofessor Philip Tetlock heraus. Einige wenige Menschen aber sagen die Zukunft erstaunlich exakt voraus. So einer ist mein ehemaliger Kommilitone Bruno Jahn, von dessen Karriere zum «Supervorherseher» Sie ab Seite 10 lesen. Auch wenn wir die Zukunft nicht kennen: Einfluss nehmen auf das, was noch kommt, können wir alle. Sie beispielsweise, liebe Leserinnen und Leser, konn- SARA WINTER SAYILIR ten über die Leserbefragung im Juni unsere Arbeit beeinflussen. Ein paar Er- REDAKTORIN gebnisse sehen Sie ab Seite 14. Der Gewerkschafter Ulf Christiansen sorgt mit seinem Einfluss im Hafen Hamburg dafür, dass Seeleute aus aller Welt zu ihrem Tariflohn kommen. Wie er das macht, lesen Sie ab Seite 18. Und wir wären nicht Surprise, würden wir Sie nicht erneut um Mitarbeit bitten: Machen Sie einem Menschen eine Freude und schreiben Sie einen Brief. Ihrem Lieblingsverkäufer oder einer Chorsängerin, der Geschäftsleitung oder dem Fussballcoach – sie alle wünschen sich Post. Warum, verraten wir Ihnen auf Seite 21.

BILD: TOBIAS SUTTER

Titelbild: Sarah Weishaupt

Editorial Einfluss nehmen

Ich wünsche Ihnen einen guten Lese- und Schreibfluss. Sara Winter Sayilir

ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT

BILD: PHILIPP BREU

10 Zukunft Mann mit Weitblick SURPRISE 385/16

BILD: MAURICIO BUSTAMANTE

Inhalt 04 Aufgelesen Allzeit bereit? 04 Vor Gericht Nachruf 05 Basteln für eine bessere Welt Orakel 06 Wir alle sind #Surprise «Berührend» 07 Challenge League Nach dem Unglück 08 Porträt Hart und zart 21 Briefeschreiben Wir wollen Post! 22 Wörter von Pörtner Falsche Bescheidenheit 23 Kunst Ausstellung online 24 Kultur Flüssignahrung 26 Ausgehtipps Howe aus Lucerne 28 Verkäuferinnen-Porträt Ivana Dimkic 29 Projekt SurPlus Eine Chance für alle 30 In eigener Sache Impressum 31 Mehr als ein Magazin Chor im Grünen

14 Leserbefragung Das sind Sie

18 Schifffahrt Nicht umsonst angeheuert

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Aufgelesen News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Mit Kindern im Stich gelassen Hamburg. Kinder von Alleinerziehenden sind in Deutschland stärker von Armut bedroht als Kinder mit zwei Eltern zuhause. Der Grund ist simpel: Die Hälfte der Alleinerziehenden erhält vom Partner für die Kinder keinen Unterhalt. Ein weiteres Viertel erhält weniger, als ihm zusteht. Die Folge: Knapp eine Million Kinder leben von der Sozialhilfe (Hartz IV). Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden hat sich in den vergangenen zehn Jahren zudem erhöht. Das zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Immer erreichbar sein macht krank Kiel. Wer auch nach dem Feierabend für den Chef und seine Mitarbeiter erreichbar sein soll, fühlt sich früher oder später erschöpft. Bei einer Studie der deutschen Initiative Gesundheit und Arbeit gaben zwei Drittel der Befragten an, sie litten unter schlechtem Schlaf und könnten sich weder lösen noch erholen. Dies bestätigten auch diejenigen, die für ihren Chef freiwillig allzeit erreichbar sind, dies positiv sehen und als nötig betrachten.

Kinder gegen Trinker Hannover. «Lärm, Gestank, Glasscherben und zu viel Aggressivität», so beschreibt die Hannoversche Allgemeine die Szenerie in einem Park im Osten der Stadt unter dem Titel: «Trinkerszene besetzt den Weissekreuzplatz». Medienberichte wie dieser haben den Oberbürgermeister der Stadt dazu bewogen, einen Spielplatz im Park bauen zu lassen. Die Kinder (und ihre Eltern) sollen die Trinker vertreiben. Eine ähnliche Verdrängungspolitik ist auch in der Schweiz zu beobachten.

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Vor Gericht Hut auf, Tür zu Der Hut, das stupende Gedächtnis und eine Referenz an Hildebrand «Hildy» Johnson, den Reporter aus Billy Wilders «The Front Page». Diese drei Zutaten dürfen in einem Nachruf auf den kürzlich verstorbenen Zürcher Gerichtsberichterstatter Attila Szenogrady nicht fehlen. Zürich betrauert nicht nur den Verlust einer unvergleichlichen Persönlichkeit, sondern das Aussterben einer Spezies: «Der letzte klassische Gerichtsreporter», war zu lesen. Das heisst immer auf Zack, mit immer noch einer Frage, die drängte, und noch einem Fall, den es abzudecken galt. Szenogrady, der als freier Reporter über die Jahre für Dutzende Medien über 12 000 Texte verfasste und so eine einzigartige Übersicht der Zürcher Kriminalgeschichte in sich trug, verkörperte diesen Typus exemplarisch. Es wäre zu wünschen gewesen, er hätte noch die Zeit gehabt, tiefer aus diesem Fundus zu schöpfen. Auch andere Städte hatten ihre «Hildys» oder Szenogradys. In London war es Tony Asciak – wie Szenogrady betrieb er eine spezialisierte Agentur. Als er das traditionsreiche Büro 1976 übernahm, hatte es noch sechs Vollzeitreporter. Schon 1994 waren alle weg und Asciak spulte wöchentlich Dutzende Fälle im Alleingang ab. Als er 2006 starb, war es auch das Ende der Agentur – und genauso geschieht es nun mit Szenogradys Büro, für das auch Ihre werte Gerichtskolumnistin jahrelang im Einsatz war. Eine Ära endet, ein Ende, das auf ganz grundsätzliche Medienmiseren verweist. Dies betrifft nicht nur die Freiberufler. Noch vor 20 Jahren waren bei den grossen Tageszeitun-

gen mehrere Gerichtsreporter im Einsatz, jetzt noch je eine, zwei. Dabei ist die Gerichtsberichterstattung eine nie versiegende Quelle von guten Geschichten. Eigentlich weisen die Geschichten, die vor dem Richter landen, jene faszinierende Mehrschichtigkeit auf, die eben mehr ist als eine «geile Story»: Verhandelt wird nicht nur das Urmenschliche, es sind auch die verborgenen Spannungen in der Gesellschaft, die mit der Kriminalität zutage treten. Und die Justiz ist jene Instanz, die sich nicht theoretisch mit Gesetzen auseinandersetzt wie die Politik, sondern praktisch, im Alltag. Doch die Zeit, Fälle mitsamt des nötigen Kontextes darzustellen, bleibt selten. Der Einfachheit halber scheint derzeit auch klar, welche Geschichten man der Leserschaft – verzeihen Sie die rüde Sprache – zum Frass vorwirft: Der ausländische Vergewaltiger macht mehr Quote als der Steuerhinterzieher aus Hinterpfupfigen. Wer die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren als Errungenschaft des Rechtsstaats schätzt, dem könnte bange werden. Die Gerichtsberichterstattung leistet einen Beitrag zur Rechtspflege, indem sie die Justiz einem breiten Publikum näherbringt – und den Richtern auf die Finger schaut. Nicht nur Kostendruck und Quotenpeitsche sorgen dafür, dass die Medien ihre Funktion als Wachhund nicht mehr wahrnehmen können. Auch die Tendenz zur Justiz hinter verschlossenen Türen festigt sich mit jeder neuen Strafprozessordnung. Attila Szenogrady hätte sich nie eine staatstragende Rolle zugeschrieben. Aber er war einer, der diese Türen öffnete. Und immer noch eine Frage stellte. Yvonne Kunz ist seit 2008 als akkreditierte Gerichtsberichterstatterin wöchentlich an den Gerichten des Kantons Zürich unterwegs.

Priska Wenger ist Illustratorin in Biel und New York. SURPRISE 385/16


ILLUSTRATION: WOMM

Basteln für eine bessere Welt Die Zukunft jetzt schon erfahren Sie wollen wissen, was morgen oder in drei Wochen passiert? Falls Sie keinen Superforecaster kennen, fragen Sie doch das Orakel. Das kann jeder selbst herstellen. Zwei Anleitungen:

Die griechische Methode Die alten Griechen hatten in Delphi ihre Kultstätte mit einer weissagenden Priesterin. Diese badete (Duschen reicht), trank heiliges Wasser (Getränk nach Wahl) und berauschte sich mit Dämpfen (je nach Getränk kann man sich diesen Schritt sparen). Bei der günstigen Version des Orakels darf man nur Fragen stellen, die man mit Ja oder Nein beantworten kann. Die Priesterin griff aus einem Behälter mit schwarzen oder weissen Bohnen eine heraus: Weiss heisst Ja, schwarz Nein.

Die japanische Methode Wer gerne faltet, baut sich in weniger als fünf Minuten ein etwas facettenreicheres Orakel.

Die Herstellung dieses Orakels ist denkbar einfach.

Falten Sie die Ecken in die Mitte des Blattes. Drehen Sie das Blatt um und klappen Sie wiederum die Ecken des Blattes in die Mitte. Nun falten Sie das Blatt in der Hälfte, greifen mit Daumen und Zeigfinger beider Hände unter die vier «Fingerkammern» und drücken sie in die Mitte. Öffnen Sie das Orakel und beschriften Sie die acht Dreiecke mit den Zahlen 1 bis 8. Nun öffnen Sie die Dreiecke und zeichnen unter die Zahlen folgende Symbole: Sonne, Mond, Stern, Wasser, Haus, Baum, Tier, Herz.

Es braucht: – eine Tüte getrocknete weisse Bohnen – eine Tüte getrocknete schwarze Bohnen – eine Schuhschachtel. Damit das Orakel funktioniert, geben Sie die gleiche Anzahl Bohnen beider Farben in die Schachtel. Beim Herausgreifen sollten Sie NICHT in die Schachtel schauen.

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Dazu braucht es: – ein quadratisches Blatt Papier – einen Schreibstift.

Das Spiel geht so: Sie fragen Ihr Gegenüber nach einer Zahl und bewegen ihre Finger entsprechend oft nach oben und zur Seite. Dann sieht der Mitspieler vier Zahlen. Davon wählt er eine aus, darunter kommt eine Zeichnung zum Vorschein. Anhand dieser sagen Sie ihm die Zukunft voraus.

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Abraham Amanual bietet

Zeggai Mussie schenkt am Eingang

bei jedem Wetter freundlich und aufgestellt seine Hefte an, und wenn Not am Mann ist, hilft er auch schwere Einkäufe aufzuladen.

vom Coop und Migros in Gümligen allen Menschen ein Lächeln. Wir bedanken uns für die unaufdringliche Freundlichkeit.

E. Wahban, Bern

E. Bleuer und I. Piller, Gümligen BE

Wir alle sind #Surprise

«Relevant» Ich bin zwar keine

beeindruckt mich, wie er bei Nässe und Kälte in Winterthur auf der Steinberggasse und Umgebung steht und unaufdringlich mit einem feinen (traurigen?) Lächeln Surprise verkauft. Was diesem Menschen aus Afrika wohl durch den Kopf geht, wenn die Leute an ihm vorbeihasten? Ich freue mich jedes Mal, ihn zu sehen und wenige Worte mit ihm auszutauschen.

regelmässige Surprise-Leserin, aber ich habe schon einige Ausgaben in der Hand gehabt und aufmerksam gelesen. Nun wollte ich euch einfach mal sagen, wie spannend und relevant die Zeitschrift immer wieder ist. Surprise ist wirklich etwas ganz anderes als andere Zeitschriften, und deshalb finde ich es auch wichtig. Ihr thematisiert Themen, die andere übersehen oder nicht als relevant empfinden, die ich aber sehr wichtig finde, wie Sozialhilfe und wie es sich damit leben lässt, spannende Porträts von Surprise-Mitarbeitern, aber auch spannende politische Themen. Deshalb möchte ich euch danken für euren super Einsatz und wichtigen Beitrag für die Medienwelt!

M. Paur, Winterthur

A. Janki, Thun/Gwatt

Wer das Strassenmagazin kauft, tauscht mehr als Geld gegen Ware: Fast immer gibt es ein Lächeln dazu, oft werden ein paar Worte ausgetauscht – und manchmal sogar gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. Viele Leserinnen und Leser berichten uns von ihren Begegnungen mit den Verkaufenden. Und sie schreiben der Redaktion, was sie gut gefunden haben und was weniger. Wir bedanken uns herzlich für diese Rückmeldungen – und teilen hier einige davon mit Ihnen.

Negasi Garahassie

Stadtrundgang

«Berührt»

Wir bedanken uns ganz herzlich für die eindrückliche Führung durch Basel. Wir waren noch nie an einer Führung, die uns so fasziniert hat. Die Art, wie Heiko und Markus diesen Rundgang machen, finden wir genial. Ihre offene Art und wie sie mit den Umständen umgehen, haben uns sehr berührt. Sie haben es geschafft, dass wir nun mit anderen Augen durch die Stadt laufen und uns öfter Gedanken über die Situation von Armutsbetroffenen machen.

Cabdisalan Cali Xasan macht seine Arbeit engagiert, freundlich, unaufdringlich und spricht recht gut deutsch. Ich wünsche dem jungen Mann alles Gute! E. Menzinger, Füllinsdorf BL

Lea und Leonie, Klasse M3c, Basel

Oliver Guntli

Stadtrundgang

«Der ideale Stadtführer»

Es war sehr eindrücklich, wie professionell Heikos Führung gestaltet war. Die Verbindung von selbst Erlebtem und Fakten hat mich sehr beeindruckt. Heiko hat eine bewundernswerte Eloquenz und spricht die Leute direkt an, er ist wirklich der ideale Stadtführer für dieses Thema. Wir wurden sensibilisiert für die Situation von obdachlosen Menschen in der Stadt Basel, haben dabei gespürt, dass es jeden treffen kann, und wie arrogant unsere Gesellschaft ist (zu der ich auch gehöre). Ich schäme mich für die Stadt Basel und deren Haltung gegenüber Obdachlosen. Ein Dank und ein Kompliment an Heiko und das Surprise-Team. R. Aeberhard, Basel

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ist immer gut gelaunt, für ein herzliches Lachen und einen «Schwatz» zu haben – trotz Zahnlücke und wenigen «Mäusen» im Portemonnaie. Wenn man die anderen Leute sieht – alles hastet und pressiert –, dann tut er einem richtig gut. R. Stämpfli, Bern

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Schreiben auch Sie uns – oder schicken Sie uns Bilder von Ihren Begegnungen mit Surprise! leserbriefe@vereinsurprise.ch oder Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel SURPRISE 385/16


BILD: FLURIN BERTSCHINGER

Challenge League Seit Kurzem wieder Lachen

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Manal Haschasch, 35, mit Wahid Yousof, 50, und Tochter Yara aus Syrien.

nicht über das Sozialamt, nicht dass wir später Probleme bekommen.» Doch er erzählt weiter: «Ich könnte ja arbeiten, wenn mein Knie operiert würde. Manal kann auch nicht wegen des Kindes und dem Haushalt. Wir sind keine Bettler.» Er seufzt und zündet sich eine Zigarette an. «Die Probleme mit der Operation hängen mit dieser F-Aufenthaltsbewilligung zusammen. Obwohl ich glaubhafte Beweismittel habe, hat das SEM unser Asylgesuch abgelehnt.» Er legte die Zigarette in den Aschenbecher. Nun wartet er auf die Zeit nach der OP: «Ich kann dann wieder arbeiten und mit Yara spazieren gehen. Das macht mir Hoffnung.»

BILD: FLURIN BERTSCHINGER

Im Winter 2014 lebte ich im Asylzentrum Buch bei Schaffhausen, dort verbrachte ich viel Zeit mit Wahid Yousof. Wir tranken Tee und redeten. Mittlerweile wohnen er und seine Frau Manal Haschasch in einer Wohnung in Neuhausen, wo ich sie kürzlich besuchen ging. An der Wand hingen die Bilder von vier Mädchen, geordnet von links nach rechts, von der Jüngsten bis zur Ältesten. Wahid und Manal sassen davor. Auf Manals Schoss: ihre jüngste Tochter Yara, in der Schweiz geboren. Daneben, die Bilder an der Wand, das war die Vergangenheit. Wahid, der einer armen kurdischen Familie entstammt, hatte bereits Ende der Neunzigerjahre Probleme mit der Regierung in Syrien bekommen. Als er nach seinem Medizinstudium in Sankt Petersburg nach Aleppo zurückkehrte, erhielt er Drohungen, weil er, wie er sagt, Mitglied der Kommunistischen Aktionspartei (Hizb al-’Amal al-Schuyu’i) gewesen sei. Also ging er nach Libyen, wo er in einem staatlichen Spital Arbeit fand. Dort leitete er zuletzt die Abteilung für Innere Medizin. Auch seine Frau Manal lernte er in Libyen kennen, wohin die Syrerin bereits als Kind mit der Familie gezogen war. Als das Land nach Gaddafis Sturz im Chaos versank, habe er Drohungen von Islamisten bekommen, so Wahid. Sein ganzes Vermögen gab er den Schleusern für die Überfahrt der Familie nach Italien. Das Boot kenterte im Mittelmeer. Wahid wurde von Maltas Küstenwache gerettet, Manal von der italienischen. Nach drei Wochen fand sich das Paar im Schweizer Aufnahmezentrum in Kreuzlingen wieder. Manal hatte die ganze Zeit geglaubt, die vier Töchter seien bei Wahid. Und er hoffte, sie seien bei ihr. Während die beiden erzählen, ist Baby Yara eingeschlafen. Sie ist vier Monate alt und kann schon lachen, sagt ihre Mutter. Dann schaut sie ihren Mann an und erzählt: «Seit Yaras Geburt denke ich weniger an das Unglück. Früher erinnerte ich mich immer an die Kinder.» Und Wahid fügt hinzu: «Ich spiele mit Yara, das ist wie ein neues Leben.» Wahid geht an Krücken. Im Herbst 2013 hatte man das Ehepaar aus Kreuzlingen in das Asylzentrum Buch verlegt. Dort verunfallte Wahid. «Ich war immer traurig und dachte an die Kinder, da bin ich beim Duschen ausgerutscht und aufs Knie gefallen.» Seitdem ist das Kniegelenk gebrochen und Wahid wartet auf einen OP-Termin. «Es dauerte zwei Jahre, bis ich eine Bestätigung vom Sozialamt für eine Knieoperation bekam.» Als er das sagt, dreht Manal sich blitzschnell um und flüstert ängstlich: «Sprich

Khusraw Mostafanejad floh allein aus dem Iran in die Schweiz, wo er Manal Haschasch und Wahid Yousof begegnete. Das Mittelmeer überquerte er zwischen Griechenland und Italien auf einer Fähre.

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Porträt Weiches Herz, harter Schlag Die Berner Boxerin Aniya Seki ist still und schüchtern. Nur nicht im Ring. Im Dezember verteidigt die 37-Jährige einen ihrer zwei Weltmeistertitel. VON CLAUDIA LANGENEGGER (TEXT) UND ANNETTE BOUTELLIER (BILD)

zu Bruno Arati: «Ich hatte ihn im Fernsehen gesehen und wollte unbedingt zu ihm», sagt Seki. Arati hat etliche gute Boxer gecoacht und ist berühmt-berüchtigt für harte Trainings und gnadenlosen Drill. Er schickte die schnelle und ehrgeizige Seki bald in ihren ersten Amateurkampf. Sie wurde Schweizer Meisterin und mit 29 Jahren Profi. Angst vor Schlägen und harten Treffern hatte sie nie. «Ich habe mehr Angst vor Worten. Die können viel verletzender sein», sagt Seki. Man merkt in diesem Moment etwas von dem zarten Wesen, das in ihr steckt. Lange war ihr härtester Kampf der Fight gegen und mit sich selbst: Als 13-jähriges Mädchen erkrankte Seki an Bulimie und litt viele Jahre darunter. Vor fünf Jahren, als sie ihren ersten Weltmeistergürtel gewann, machte eine Journalistin die Krankheit publik. Heute will die Sportlerin nichts mehr dazu sagen. Nur so viel: «Das Boxen hat mich gerettet.» Unterkriegen lässt sich die 37-Jährige sowieso nicht. So filigran und jugendlich sie wirkt, so erstaunlich ist ihre Hartnäckigkeit und Willenskraft. Zu Beginn ihrer Boxkarriere suchte sie ihre Gegnerinnen oft selbst aus. Auf eigene Faust trieb sie Sponsoren auf, damit sie in den Ring steigen konnte. Sie wollte auch etwas verdienen mit dem Sport. Als sie sich vor drei Jahren mit dem Besitzer ihres früheren Boxclubs überwarf, nahm sie die Gelegenheit wahr, sich weitere Lebensträume zu erfüllen: Sie reiste nach Mexiko, um beim Coach ihres Vorbildes zu trainieren. Vergangenen Sommer konnte Seki in Berlin bei Sauerland, dem grossen Boxstall Deutschlands, mit der Crème de la Crème Runden drehen und sich im Sparring messen. Im vergangenen Herbst stand das Bantamgewicht dann sogar in einem Sauerland-Event im Ring. In den Zuschauerrängen sassen Starboxerin Regina Halmich und Trainer-Legende Ulli Wegener. Eigentlich ist Aniya Seki ausgebildete Detailhändlerin, gelernt hat sie in einer Berner Luxusboutique. In den vergangenen Jahren hielt sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser: Sie war in einem Fitnessclub tätig, gab Schülern Boxunterricht, arbeitete im Boxclub. Derzeit sucht sie ei-

Aniya Sekis Wangen sind rot vor Anstrengung, Schweiss perlt von ihrer Stirn, nässt ihr Shirt, durchweicht ihre Bandagen. Ihre langen, dunkelbraunen Haare hat sie zu einem Zopf zusammengebunden, Fransen bleiben im Gesicht kleben. «Runter! Liegestütz! Bleiben, wippen!», schreit Bruno Arati ihr zu, der Mann mit breitem Schnauz, kurzgeschorenen Haaren und lauter Stimme. «Und jetzt nochmals Sprint!» Seki kämpft sich durch die letzten Minuten des Morgentrainings im Boxclub Bern. «Bruno ist gnadenlos», sagt die Bernerin eine halbe Stunde später. Ein herzerwärmendes Lächeln überzieht ihr Gesicht, ihre Augen werden schmal. Sie hat geduscht, trägt Stretchjeans, ein Baumwolljäcklein und sitzt auf dem Sofa im Eingangsbereich des Clubs. Ein Duftgemisch aus Schweiss und Tigerbalsam hängt in der Luft. «Er weiss genau, wie er mich antreiben und an meine Grenze bringen kann», sagt sie über ihren Trainer, der sie seit acht Jahren betreut. Der Italoberner ist ihre wichtigste Bezugsperson. «Er ist immer für mich da.» Aniya Seki hat 35 Profikämpfe hinter sich und so viele gewonnen wie noch keine Boxerin vor ihr hierzulande. Sie trägt die Weltmeistertitel der Verbände Global Boxing Union (GBU) und Womens’ International Boxing Federation (WIBF) sowie den Silverbelt des World Boxing Council (WBC). Man sieht der zierlichen Frau mit dem hübschen Gesicht nicht an, wie hart sie zuschlagen kann. Schon als kleiner Knirps hat sie ihre Liebe zur Kampfkunst entdeckt: Sie war noch im Kindergarten, als ihre Mutter Klein-Aniya zum Karate schickte. «Ich war schüchtern. Sie wollte, dass ich damit mein Selbstbewusstsein stärke.» Während sie erzählt, streichelt sie das cremefarbene Fell ihrer AkitaHündin Hachiko, die neben ihr liegt. Hachiko bedeutet Acht auf Japanisch – dort eine Glückszahl. Der Bezug zum asiatischen Land ist kein Zufall. Aniya Sekis Vater ist Japaner, sie wuchs die ersten vier Jahre ihres Lebens in Tokio auf. Angst vor harten Treffern hatte sie nie. «Worte können viel verletzender Als ihre Eltern sich trennten, zog sie mit ihrer sein», sagt Aniya Seki. Mutter, einer Bernerin, zurück in die Schweiz. Für das kleine Mädchen war der Umzug nicht leicht. «Ich hatte Heimweh nach Japan, vermisste die Düfte, den Alltag, ne feste Stelle und plant, therapeutisches Boxen für Senioren anzubiemeine Verwandten», erinnert sie sich. Der Kontakt zu ihrem Vater blieb ten. Wird es finanziell knapp, hilft ihr ihre Mutter aus. Viel zum Leben bestehen, oft kam er zu Besuch, später reiste sie regelmässig zu ihm braucht sie nicht, ihr Alltag besteht aus Trainieren, Essen und Schlafen. nach Japan. Sie hat geweint, wenn sie sich von ihm verabschieden musIn den Ausgang geht sie nur selten. «Ich bin nicht so der gesellschaftliste. «Er sagte mir, ich hätte ein zu weiches Herz», sagt sie. «Damals hat che Typ, das war ich noch nie.» In der Freizeit spaziert sie gern mit Hund mich das geärgert», meint sie mit einem belustigten Lächeln. Hachiko an der Aare entlang. «Zwei Minuten zu Fuss von meiner WohIhr Vater ist mittlerweile gestorben und die letzte Reise ins Land der nung in der Elfenau – und ich bin am Wasser.» Kirschblüten schon eine Weile her. Die starke Verbundenheit spürt sie Seit Coach Arati letztes Jahr seinen eigenen Boxclub eröffnet hat, ornoch immer: «Japan steckt tief in mir drin.» Dann fügt sie an: «Ein eheganisiert er auch wieder Kämpfe für Seki in Bern. Im Juni trat sie erstmaliger Boxprofi sagte kürzlich zu mir: Du hast japanischen Kampfgeist, mals nach drei Jahren wieder in ihrer Heimatstadt an. Im Dezember das Herz eines Samurais.» steht dann die Titelverteidigung an. Obwohl sie zu den älteren BoxerinDas Boxen hat Seki als 26-Jährige entdeckt. «Ein Freund von mir war nen gehört, denkt Aniya Seki noch lange nicht ans Aufhören. «In mir Thaiboxer. Ich wollte es auch mal ausprobieren.» Und wie so oft, wenn drin habe ich diese Stimme, die mir sagt, mach weiter», erklärt sie. «Mein sie was anpackt, tat sie dies gründlich: Sie reiste nach Bangkok und lebTraum ist es, den Weltmeistertitel des WBC zu erkämpfen. In diesem te dort drei Monate in einem Muay-Thai-Gym. Zurück in Bern zog es sie Verband war auch Muhammad Ali Weltmeister.» ■

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Zukunft Mann mit Weitblick Bleiben die Bilateralen bestehen? Wie real ist die Gefahr einer Reaktorkatastrophe in Europa? Kommt es zu einem Terroranschlag in der Schweiz? Bruno Jahn weiss Bescheid.

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VON MICHAEL KNEISSLER (TEXT) UND PHILIPP BREU (BILDER)

prüft werden. Dafür verwendete Tetlock den sogenannten Brier-Score, eine Auswertungsmethode, die eigentlich für die Bewertung von Wettervorhersagen erfunden wurde. Grob gesagt funktioniert die so: Die beste Bewertung (null Punkte) erhält man, wenn die Vorhersage voll ins Schwarze trifft. Beispiel: Jemand sagt für einen bestimmten Tag eine 100-prozentige Regenwahrscheinlichkeit voraus, und es regnet tatsächlich. Die schlechteste Note (einen Punkt) gibt es dann, wenn die Prognose völlig danebengeht. Beispiel: Jemand sagt eine 100-prozentige Regenwahrscheinlichkeit voraus, und es bleibt den ganzen Tag trocken. Auf diesem Weg erhielten die Teilnehmer ein unmittelbares Feedback und konnten daraus lernen. Über 28 000 Menschen machten bei diesem Projekt mit. Es waren Professoren darunter, aber auch Angestellte, Handwerker, Hausfrauen, sogar ein Balletttänzer. Die meisten begnügten sich zunächst damit, die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Ereignisses zu bewerten – mit Prozentzahlen zwischen 0 und 100. Weiteres Beispiel: Die Wahrscheinlichkeit, dass Nordkorea bis Ende 2014 einen Atomtest durchführt, beträgt 70 Prozent. Auch dafür gibt es einen Brier-Score. Wenn das Ereignis eintritt, beträgt er in diesem Fall sehr gute 0,09 Punkte, im anderen Fall magere 0,49 Punkte (siehe Kasten). Selbst wenn einzelne Forecaster übel danebenlagen, kombiniert waren ihre Prognosen nahezu unschlagbar. Die Zuverlässigkeit des «aggregated judgment», der zusammengerechneten Prognose, lag bei über 90 Prozent. Das ist allerdings keine neue Erkenntnis. Die Intelligenz der Masse, die sogenannte Schwarmintelligenz, ist Grundlage aller empiri-

Bruno Jahn ist 33 Jahre alt und lebt in Berlin. Er hat Islamwissenschaften studiert, arbeitet in der Immobilienbranche und hat zwei Kinder. Wenn sie in der Schule sind, brüht er sich einen Tee, Darjeeling, kein Zucker, ein Schuss Milch. Dann fährt er seinen Computer hoch und checkt seinen Twitter-Account. Facebook, Slate, ein amerikanisches Online-Magazin. The Atlantic, ein amerikanisches Polit-Magazin. Die Newsseiten der New York Times. Später liest er noch Spiegel Online, die Online-Seite der Süddeutschen Zeitung und eine Vielzahl von Blogs. Er will wissen, was los ist auf der Welt. Denn Jahn ist im Nebenberuf Superforecaster. Diese können besser als alle anderen vorhersagen, was passieren wird. Es gibt nur etwa 200 von ihnen, darunter vier deutsche. Bruno Jahn ist einer davon. Seine geopolitischen Vorhersagen sind 60 Prozent besser als die von sogenannten Experten und etwa 30 Prozent genauer als die der amerikanischen Geheimdienste. Diese für die Geheimdienste peinlichen Zahlen haben – ausgerechnet! – Geheimdienste herausbekommen. Nach dem Attentat auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 mussten sie eingestehen, dass sie keine Ahnung von der Terrorgefahr gehabt hatten. Auch die Entwicklungen in Afghanistan, im Nahen Osten, in Afrika und sogar den Fall der Mauer in Deutschland sahen sie nicht voraus. Die Analyse-Experten der Geheimdienste hatten offensichtlich versagt. Deshalb gründeten sie vor zehn Jahren eine Organisation, die geopolitische Prognosen besser machen sollte. Sie nannten die Organisation IAPRA (Intelligence Advan«Ein Schimpanse, der mit Pfeilen auf eine Dartscheibe wirft, hat eine ced Research Projects Activity) und schrieben einen Wettbewerb für gute Vorhersagen aus. genauso hohe Trefferquote wie unsere sogenannten Experten», sagte An dem Wettbewerb beteiligten sich PrognoseTetlock. Institute, sogenannte «Think-Tanks», Statistiker, Psychologen, IT-Fachleute, Mathematiker, schen Forschungen und wurde in zahlreichen Experimenten bewiesen. Beratungsfirmen – und die Geheimdienste selbst. Ergebnis: Am besten Das vermutlich berühmteste ist das Mastochsen-Experiment des britischnitt ein Team um dem Psychologie-Professor Philip Tetlock an der schen Naturforschers und Erfinders Francis Galton: Bei einer NutztierUniversity of Pennsylvania ab. Tetlock gilt als einer der erfahrensten Promesse in England konnten Besucher für sechs Pence das Gewicht eines gnoseforscher der Welt. Zwanzig Jahre lang wertete er 82 361 VorhersaOchsen schätzen. Wer das am besten machte, bekam einen Preis. Galgen von 284 Fachleuten aus und verglich sie mit der Wirklichkeit. Das ton werte die Ergebnisse aller 787 Teilnehmer aus und war erstaunt, wie Ergebnis war beschämend. Die Fachleute lagen ständig daneben, ihre nahe der Mittelwert von 1207 Pfund dem tatsächlichen Schlachtgewicht Erfolgsquote unterschied sich kaum noch vom statistischen Zufall. «Ein des Ochsen von 1198 Pfund kam. Der Durchschnitt aller Schätzungen Schimpanse, der mit Pfeilen auf eine Dartscheibe wirft, hat eine genauwar deutlich besser als die beste Einzelschätzung des Gewinners. so hohe Trefferquote wie unsere sogenannten Experten», sagte Tetlock. Was Galton allerdings übersah, war die Tatsache, dass einige der Die US-Geheimdienste luden Tetlock zum IAPRA-Wettbewerb ein. Messebesucher verdammt gut geschätzt hatten. Es ist das Verdienst von Tetlock entwickelte dafür das Good Judgment Project (GJP). Dort konnTetlock und seinem Team, diese aussergewöhnliche Begabung Einzelner te im Netz jeder Möchtegernprognostiker klar formulierte Fragen aufruentdeckt zu haben. Den Wissenschaftlern war aufgefallen, dass ein paar fen und beantworten. Sie lauteten zum Beispiel folgendermassen: wenige der 28 000 Teilnehmer am Good Judgment Project viel besser in ihren Prognosen waren als die anderen, und das nicht nur bei einer FraWird es bis Ende des Jahres 2014 einen weiteren Atomtest Nordkoreas geben? Wie viele Menschen werden 2015 aus Syrien fliehen? Wird vor dem 30. Juni 2015 ein Hacker-Angriff auf ein Atomkraftwerk Der Brier-Score bekannt werden? Die Berechnungsformel des Scores lautet: Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eintritt (0 für 0%, 1 für 100%) minus Ergebnis (1 für trat Geopolitische Wetterfrösche ein, 0 für trat nicht ein) im Quadrat. Das Besondere an den Fragen war nicht nur, dass sie so konkret waBei der 70-Prozent-Prognose für den Atomtest lautet die Gleichung, ren – sondern auch das klar gesetzte Ablaufdatum. So konnten die Antwenn der Test stattfand: (0,7–1)2 = 0,32 = 0,09. Wenn er nicht stattworten unmittelbar zum festgelegten Zeitpunkt auf Richtigkeit überfand: (0,7–0)2 = 0,72 = 0,49. SURPRISE 385/16

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In einem Korbsessel auf dem Gelände der ehemaligen US-Abhörstation in Berlin bekommt das Sammeln von Informationen fast ein subversives Flair.

ge, sondern bei vielen. Oft toppten sie sogar das «aggregated judgment» für ein bestimmtes Thema. Tetlock identifizierte die 200 besten und nannte sie Superforecaster, kurz Supers. Auf diese konzentrierte sich nun die weitere Forschung. Obwohl sie unterschiedliche Berufe haben, unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters und Geschlechts sind, haben die Supers eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Sie sind keine Experten. Sie sind weder ideologische noch religiöse Fundamentalisten. Sie sind neugierig und offen für andere Meinungen und Sichtweisen. Sie wollen lernen. Sie sind kreativ. Sie können Fehler zugeben und korrigieren.

daneben, als es um die Frage ging, ob der deutsche Bundespräsident Christian Wulff wegen des Verdachts der Vorteilsnahme zurücktreten würde. Jahn war der festen Überzeugung, dass der Skandal zu geringfügig für einen Rücktritt sei und hielt ihn mit 80 Prozent Wahrscheinlichkeit für unmöglich. Viele amerikanische Forecaster waren anderer Meinung. Weil in den USA über deutsche Politik nur wenig berichtet wird, Wulff es aber auf die Titelseiten der grossen US-Zeitungen geschafft hatte, bewerteten sie den Vorgang anders. Mittlerweile weiss man, dass die Amerikaner recht hatten und Jahn falsch lag. Wulff legte sein Amt am 17. Februar 2012 nieder. «Das ist ein typisches Beispiel», sagt Jahn. «Ich war überinformiert und glaubte, dass ich als Deutscher Deutschland-Experte sei. Das war in gewisser Weise arrogant und hat meine Prognose verfälscht.» Ein anderes Mal ging es darum, ob es ein potenziell tödliches Zusammentreffen zwischen chinesischen und koreanischen Schiffen im umstrittenen Seegebiet des Gelben Meeres geben würde. Jahn und eine

Bruno Jahn ist ein typisches Beispiel für einen Super. Er schrieb sich 2011 in das Projekt ein und suchte sich ein paar Fragen aus, zu denen er etwas sagen konnte. Seine Vorgehensweise war simpel. Er checkte das Thema auf Google News, machte sich schlau, überprüfte seine ei«Viele Menschen beurteilen die Zukunft auf der Basis ihrer Wünsche genen Vorurteile und tippte dann seine Vorherund Erwartungen. Davon muss man sich freimachen. Nur weil ich mir sage in die entsprechende Online-Maske ein. etwas wünsche, muss es noch lange nicht eintreten», so Jahn. «Es ist wichtig, zwischen normativer und positiver Meinung zu unterscheiden», sagt er. «Vieganze Reihe anderer Forecaster hielten das zu 95 Prozent für unmöglich. le Menschen beurteilen die Zukunft auf der Basis ihrer Wünsche und ErIhrer Ansicht nach würde keine der beiden Konfliktparteien eine derwartungen. Davon muss man sich als Super freimachen. Nur weil ich artige Eskalation riskieren wollen. Und dann passierte es doch. Im mir etwas wünsche, muss es noch lange nicht eintreten.» Oft passiert Dezember 2011 stoppte ein koreanisches Patrouillenschiff einen chinesiauch das genaue Gegenteil. Menschen halten Szenarien, vor denen sie schen Fischtrawler. Bei der Kontrolle erstach der Kapitän aus China besonders grosse Angst haben, für wahrscheinlicher, als sie sind. Einige einen Offizier aus Korea und verletzte einen zweiten. Schlüsselerlebnisse gaben Jahn jedoch zu denken. Einmal lag er völlig

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Dieses Phänomen nennt man in der Prognoseforschung einen «schwarzen Schwan». Der Finanzanalyst Nassim Taleb hat diesen Begriff geprägt. Er bezeichnet damit ein absolut unwahrscheinliches Ereignis, das dann doch eintritt. Hintergrund dieser Bezeichnung ist, dass man lange Zeit glaubte, es gäbe keine schwarzen Schwäne – bis einige Exemplare in Australien entdeckt wurden. Gegen das SchwarzeSchwan-Phänomen sind auch Superforecaster nicht gefeit. Zwei Stunden Zukunft täglich Vor drei Jahren erhielt Jahn Post vom Good Judgment Project. Seine Vorhersagen waren so akkurat, dass er befördert und in die elitäre Gruppe der Supers aufgenommen wurde. Sein Brier-Score liegt bei hervorragenden 0,17 Punkten: oberes Mittelfeld der Superforecaster. Jetzt ist er Mitglied eines der acht weltweiten Superteams, in denen jeweils etwa 15 Supers organisiert sind. Die Teammitglieder erhalten besondere Schulungen und diskutieren ihre Prognosen und den Weg dorthin online. Ihre Vorhersagen sind extrem genau. In über neun von zehn Fällen liegen die Superteams richtig. Mittlerweile beschäftigt sich Jahn etwa zwei Stunden täglich mit der Zukunft der Welt. Wird Mosul bis Jahresende von der irakischen Armee zurückerobert werden? Kommt es zu einer gewaltsamen Konfrontation zwischen der chinesischen Marine und der eines anderen Landes im südchinesischen oder ostchinesischen Meer? Wie viele Flüchtlinge kommen 2016 über das Meer in Europa an? Es ist nicht zu befürchten, dass der Vorrat an geopolitischen Fragen jemals zur Neige geht. Reich werden kann man als Forecaster aber nicht. Normale Teilnehmer erhalten als Aufwandsentschädigung pro Jahr einen Amazon-Gutschein im Wert von 250 US-Dollar. Superforecaster bekommen zwar etwas mehr, es bleibt aber bei einer symbolischen Entschädigung. Allerdings werden sie einmal im Jahr zu einer Konferenz in den USA eingeladen. Dort lernen sie ihre Teampartner aus dem Internet persönlich kennen und erfahren Aktuelles aus der Prognoseforschung. Der Input ist dabei sehr überschaubar. Zwar gibt es zahlreiche TrendInstitute, «Think-Tanks», Analyseabteilungen bei den Geheimdiensten und Strategieabteilungen in grossen Firmen. Aber die Anzahl der Forschungseinrichtungen ist bescheiden. Die Universitäten von Kalifornien und Pennsylvania in den USA gehören dazu, die Lancaster University in Grossbritannien und die Monesh Universität in Australien. In Deutschland befasst sich das Berliner Max Planck Institut für Bildungsforschung im «Center of Adaptive Rationality» mit Schwarmintelligenz und Entscheidungsforschung. Am Institut für Numerische Simulation des «Hausdorff Center for Mathematics» der Universität Bonn beschäftigen sich die Wissenschaftler mit Big Data, der unendlichen Menge an Daten, die auf den Rechnern der Welt zur Verfügung stehen. Sie versuchen zu ergründen, wie man mithilfe von mathematischen Formeln diejenigen Daten aus der gigantischen Datenmenge herausfinden kann, die gute Prognosen möglich machen. Ein «Exzellenz-Cluster» am Center for Advanced Studies der Universität München wurde gerade wieder aufgelöst. Die Forscher hatten ein Verfahren namens Pollyvote entwickelt, mit dem die chronisch mangelhaften Wahl-Prognosen verbessert werden können. «Umfragen sind die schlechteste Methode, um Wahlen vorherzusagen», sagt Andreas Graefe, Professor an der privaten Macromedia-Hochschule und Sprecher der Münchener Uni-Forscher. Insbesondere die klassische Sonntagsfrage: «Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, welche der folgenden Parteien würden Sie dann wählen?» verfälsche die Ergebnisse, so Graefe. Menschen neigen dazu, bei so persönlichen Fragen politisch korrekt zu antworten. Das begünstigt die grossen Mainstream-Parteien gegenüber Parteien am Rand des politischen Spektrums. Besser wäre es zu fragen: «Was glauben Sie, was die Menschen wählen, wenn nächsten Sonntag gewählt würde?» Das ist eines der Ergebnisse der Münchner Forschung. Die in München entwickelte Pollyvote-Methode kombiniert deshalb Umfrage-Ergebnisse, Expertenmeinungen, Wetten auf Prognosemärkten und mathematische SURPRISE 385/16

Berechnung. Damit war Pollyvote exakter als jedes einzelne der beteiligten Verfahren. Aber abgesehen davon, dass Pollyvote bisher nur für Wahlprognosen getestet wurde, sind die Vorhersagen der Superforecaster immer noch um Längen besser. Niemand will die Zukunft wissen Ob die guten Vorhersagen der Superforecaster die Welt besser machen können, ist nicht sicher. Dazu müssten Manager und Politiker überall auf dem Globus ihre ideologischen Scheuklappen ablegen und die Super-Prognosen in ihre Entscheidungen einbeziehen. Aber bei Bruno Jahn zum Beispiel hat noch kein einziges Ministerium und keiner der deutschen Geheimdienste nachgefragt. Dabei hat Jahn extra die Beratungsfirma Fuchsschwarm gegründet, um seine Expertise anzubieten. Auch das Good Judgment Project bietet inzwischen seine Schwarmintelligenz für Organisationen und Individuen auf kommerzieller Basis an (www.goodjudgment.com). Beide beziehen sich dabei auf die griechische Fabel vom Fuchs und vom Igel. Der Lyriker Archilochus beschreibt darin den Unterschied zwischen verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen: Der Fuchs weiss wenig von allem, der Igel viel von einer einzigen Sache. Philip Tetlock hat diese Fabel verwendet, um die Qualität von Vorhersagen zu kennzeichnen. Die meisten Experten sind nach seiner Meinung Igel, Fachleute auf ihrem Gebiet. Das engt ihren Horizont ein. Im schlechtesten Fall sind sie Fachidioten. Die schlauen Füchse dagegen sind intellektuell offen und flexibel, «liberale Freidenker», wie Jahn beispielsweise sich selbst bezeichnet. Manchmal scheint es, als hätten sie keine Prinzipien, aber für gute Prognosen ist das ein entscheidender Vorteil. Denn wenn ein Ergebnis der bisherigen Prognoseforschung sicher ist, dann das: Die Zukunft der Welt hält sich nicht an Prinzipen. Doch was macht Jahn, bis er endlich von den Entscheidungsträgern gefragt wird? Abwarten und Tee trinken. Und die richtigen Prognosen stellen. ■ Der Artikel entstammt dem P.M. Magazin Nr. 04/2016 und erscheint mit freundlicher Genehmigung.

So werde ich Superforecaster Gehen Sie auf die Good-Judgment-Seite www.gjpopen.com und melden Sie sich an. Nehmen Sie an Umfragen teil. Wenn Sie besser sind als 98 Prozent der anderen Teilnehmer, werden Sie zum Super ernannt.

Wie man gute Prognosen erstellt Das Good Judgment Project empfiehlt dafür die CHAMP-Methode: Comparison: Nutzen Sie vergleichbare Ereignisse als Ausgangspunkt für Ihre Prognose. History: Verwenden Sie geschichtliche Ereignisse als Basis Ihrer Prognose, es sei denn es gibt gute Gründe, eine vollkommen andere Entwicklung anzunehmen. Average opinion: Vergleichen Sie unterschiedliche Expertenmeinungen zu diesem Thema und suchen Sie den Mittelwert. Mathematical models: Beziehen Sie mathematische Modelle zum Thema mit ein, wenn es solche gibt. Predictable biases: Achten Sie auf Vorteile und persönliche Wunschvorstellungen und lassen Sie Ihre Prognose dadurch nicht beeinflussen.

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Leserbefragung Die Ergebnisse im Überblick VON JOHANNA LEITNER, AMIR ALI (AUSWERTUNG), SARA WINTER SAYILIR (TEXT) UND SARAH WEISHAUPT (ILLUSTRATIONEN)

Haben Sie sich erkannt? Auf der Titelseite dieser Ausgabe oder oben auf dem Bild? So stellen wir uns unsere treusten Leserinnen vor – und höchstwahrscheinlich gehören Sie dazu. Denn wir wissen jetzt: Surprise wird vor allem von Frauen gelesen. Sie sind über 56 Jahre alt, verfügen über eine höhere Bildung und sind entweder bereits pensioniert oder arbeiten in Teilzeit. Und Sie kaufen das Strassenmagazin, weil Sie die Verkaufenden unterstützen wollen, aber auch weil Sie unsere Inhalte schätzen – und die weitere Arbeit des Vereins fördern wollen. Und Sie haben gern Papier in der Hand, denn Sie lesen ungern längere Texte online. Die sozialen Medien nutzen Sie nur vereinzelt. Im Juni haben wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, gefragt, was Sie vom Strassenmagazin Surprise halten. Mit Ihren Antworten haben Sie uns bei unserer Arbeit weitergeholfen. Für Ihre Teilnahme an der Leserinnen- und Leserbefragung möchten wir Ihnen herzlich danken. Und weil wir vermuten – denn das haben wir nicht abgefragt –, dass Sie auch gern wüssten, was wir alles herausgefunden haben, möchten wir die wichtigsten Erkenntnisse aus der Befragung mit Ihnen teilen.

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GRAFIKEN: WOMM

Anderes 0,3

16 –35 Jahre 11,1 Männlich 25,6

56 Jahre und älter 57,1

36 – 55 Jahre 31,8

Weiblich 74,1

Geschlecht Deutlich mehr Frauen als Männer haben an der Befragung teilgenommen. Bereits die WEMF-Zahlen 2012 für Surprise dokumentieren, dass die Gesamtleserschaft zu 56 Prozent aus Frauen und 44 Prozent aus Männern besteht. Die Surprise-Leserumfrage zeigt ein noch deutlicheres Ungleichgewicht zugunsten von Frauen auf.

Altersgruppen Der Grossteil der Surprise-Leserschaft ist älter: Junge Lesende zwischen 16 und 35 Jahre kaufen das Strassenmagazin seltener.

Andere 1,6

In Ausbildung 2,4

Nicht erwerbstätig 3,1

Berufslehre 22,3

Teilzeitbeschäftigt 34,1 Fachhochschule/ Uniabschluss 44,9

Vollzeitbeschäftigt 20,9

Matura 3,8

Hausarbeit 0,7 Freiwillig tätig 0,3 Höhere Fach-/ Berufsbildung 25,9

Anderes 1,3 Selbständig 1,6

Pensioniert 35,6

Grundschule 1,4

Bildung Unsere Leserschaft kommt mehrheitlich aus dem gebildeten Sektor der Gesellschaft: Fast die Hälfte sind Akademiker, aber auch gestandene Fachleute bilden eine grosse Gruppe.

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Tätigkeit Zum Lesen braucht man Zeit: Pensionäre und Teilzeitbeschäftigte haben offenbar mehr davon.

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Wenig bis nichts 1,5

Alle paar Monate 14,9

Weniger als die Hälfte 11,8

Nie 1,3

Fast alles bis alles 53,8

Alle zwei Wochen 48,9

Mehr als die Hälfte 32,9

Einmal pro Monat 30

Seltener als alle paar Monate 5,1

Wie oft kaufen Sie das Strassenmagazin? Fast die Hälfte der Leserinnen und Leser verpassen keine Ausgabe.

Wie viel einer Ausgabe lesen Sie in der Regel? Wer das Magazin kauft, will auch wissen, was drinsteht. Reine Unterstützungskäufe sind selten.

Ich kaufe das Strassenmagazin …

weil mich die Inhalte darin interessieren 74,3

weil ich die Verkaufenden unterstützen will 94,9

weil ich den Verein Surprise unterstützen will 50,6

wenn mich die Titelseite anspricht 6,2

wenn ich gerade in der Stimmung dazu bin 13,6

Anderes 2,7

Was motiviert Sie zum Kauf von Surprise? Die Verkaufenden stehen nicht nur bei Surprise, sondern auch bei den Leserinnen und Lesern an erster Stelle.

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Vielleicht gehören Sie auch zu denjenigen, die das Strassenmagazin häufig, aber nicht regelmässig lesen. Auch hier finden sich in der Mehrzahl Frauen wieder, allerdings etwas Jüngere als unsere regelmässigen Leserinnen. Sie lesen nicht immer alle Inhalte des Magazins gern, aber doch gut die Hälfte. Aber manchmal sind Sie einfach nicht in der Stimmung, das Heft zu kaufen. Vielleicht weil Sie bildschirmaffiner sind, auch mal längere Texte online lesen und sich auch über die sozialen Medien informieren. Für mehr Lesefutter bleibt da kaum noch Zeit.

Oder haben wir mit Ihnen einen Leser erreicht, der nur ab und zu mal ein Heft kauft? Sie lesen Texte lieber online, wenn Sie denn Zeit dazu finden, schliesslich arbeiten Sie vollzeit und sind meist zu beschäftigt, um das Strassenmagazin zu lesen. Dabei finden Sie die Themen schon irgendwie in Ordnung, wenn auch nicht alle, und der Titel überzeugt Sie auch nicht immer. Die Verkaufenden unterstützen Sie aber gern.

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Schifffahrt Nicht umsonst angeheuert Der Gewerkschafter Ulf Christiansen kämpft im Hamburger Hafen für die Rechte von Seefahrern aus aller Welt. Er war selbst Matrose und hat einen unerschütterlichen Sinn für Fairness. Harte Verhandlungen mit Schifffahrtsunternehmen sind sein täglich Brot.

VON ULRICH JONAS (TEXT) UND MAURICIO BUSTAMANTE (BILDER)

Deutschlands grösstem Seehafen-Terminal für Eisenerz und Kohle, liegt die «Gertrude Oldendorff». Den neuen Frachter einer deutschen Reederei hat noch keiner der weltweit 135 ITF-Inspektoren besucht. Das Schiff fährt unter portugiesischer Flagge – eine beliebte Methode von Reedern, sich den hohen deutschen Lohn- und Sozialstandards zu entziehen. Als Christiansen an Bord geht und sich vorstellt, wird deutlich, warum der Titel «Inspektor» durchaus passt. Ein Matrose begrüsst ihn mit sichtbarem Respekt. «Alles in Ordnung?», fragt Christiansen den Philippiner auf Englisch. Der antwortet: «Ja, deutscher Arbeitgeber ist gut!» Dann spricht er in sein Handfunkgerät. Wenige Augenblicke später sitzen sich Gewerkschafter und Kapitän gegenüber und tauschen höfliche Floskeln aus. Christiansen weiss: Anders als die Gewerkschafter in vielen anderen Branchen hat er wirkungsvolle Hebel in der Hand, um seine Anliegen durchzusetzen – zur Not streiken auch mal die Hafenarbeiter und sorgen so dafür, dass ein Schiff nicht wegkommt, wenn eine Reederei sich hartnäckig Tarifverträgen verweigert. Christiansen ist aber auch bewusst: Zu einem erfolgreichen Besuch gehört ein gutes Gesprächsklima. Aus welchen Ländern stammen die Seeleute an Bord? Wie viel Kohle wird der Frachter laden? Wohin soll die Reise als nächstes gehen? Bereitwillig gibt der Kapitän, ein junger Türke, Auskunft. Dann stellt der Inspektor die entscheidende Frage:

Wer verstehen will, warum Ulf Christiansen Erfolg hat, lauscht den Telefonaten, die er an diesem Julivormittag im Hamburger Hafen führt. Seit 25 Jahren kämpft der Gewerkschafter dafür, dass Seeleute anständig bezahlt und behandelt werden. Lange ist der 61-Jährige mit Kapitänspatent selbst über die Weltmeere gefahren, zuletzt als Erster Nautischer Offizier. Er kennt die oft rauen Sitten des Gewerbes. Heute beisst sich der Agent der «Xing Zhi Hai» die Zähne an ihm aus. Der Frachter liegt an einem Umschlagterminal namens Kalikai fest – Auslaufverbot. Anlass dafür ist ein Hilferuf, der die Seeleute-Gewerkschaft ITF über ihre internationale Hotline erreicht hat: Die Besatzung der «Xing Zhi Hai» warte seit fünf Monaten vergeblich auf Lohn. Noch am selben Tag ist Ulf Christiansen aufs Schiff geeilt und hat in zahlreichen Gesprächen festgestellt: Die chinesische Reederei hat ihren Leuten tatsächlich nichts bezahlt – nicht einmal dem Kapitän. Sofort hat der Gewerkschafter Polizei, Hafenamt und Berufsgenossenschaft informiert und dafür gesorgt, dass der Frachter Hamburg nicht verlassen kann. Laut einem internationalen Abkommen können Behörden ein Auslaufverbot verhängen, wenn die Heuer nicht bezahlt wurde. Der Job des Agenten ist es, das Schiff möglichst schnell wieder aufs Meer zu bringen – jeder Tag im Hafen kostet die Reederei, die ihn beauftragt hat, viel Geld. «Ich habe mit der Reederei vereinbart, dass die Heuer in meinem Beisein Doch Christiansen sagt dem Anrufer mit sehr ausbezahlt wird. Und vorher tut sich gar nichts. Damit das klar ist.» ruhiger Stimme: «Ich habe mit der Reederei vereinbart, dass die Heuer in meinem Beisein ausbezahlt wird. Und vorher tut sich gar nichts. Damit das klar ist.» «Kapitän, gibt es für dieses Schiff irgendeine Vereinbarung mit der ITF?» Es geht um rund 278 000 US-Dollar (rund 270 000 CHF), die der gut Der Kapitän bejaht. Ob er bitte ein Papier dazu vorlegen könne? Der Ka20 Mann starken Crew zustehen. Und um einen Arbeitgeber, der offenpitän macht sich auf die Suche. Er sei erst seit zwei Wochen auf diesem bar mit üblen Methoden arbeitet: Nachdem Christiansen die Reederei Frachter, sagt er entschuldigend. angemailt hat, hat diese ihm zwar Überweisungsbelege geschickt. Und Derweil lässt sich der Inspektor von einem Offizier die Küche zeigen. tatsächlich haben die Seeleute auf einmal auch Geld bekommen. Aber Dadang Sumpena ist Indonesier, seine Gerichte sind aber international, nicht die Summe, die angeblich überwiesen wurde und die ihnen laut erzählt der Schiffskoch. Mit seinem Arbeitgeber ist er zufrieden: «Die dem ITF-Tarifvertrag zusteht, der für dieses Schiff gilt. Sondern gut Firma ist gut!» Drei Monate habe er vergangenen Winter Urlaub machen 70 000 US-Dollar (rund 68 000 CHF) weniger. «Gefälschte Banküberweidürfen, nachdem er acht Monate auf den Meeren unterwegs war. Der sungen, doppelte Buchführung, tricky», sagt Christiansen. Seemann kennt schlechtere Arbeitsbedingungen. Zehn Jahre hat er für eine Reederei aus Singapur gearbeitet. «Da haben wir oft nicht freibeNotfalls wird gestreikt kommen, um unsere Familien zu besuchen.» Nachdem der Gewerkschafter den Schwindel in mühevoller Rechenarbeit aufgedeckt hat, sieht die Reederei nun offenbar ein, dass sie vollKann mal jemand übersetzen? ständig zahlen muss. Der Agent soll am nächsten Tag mit einem GeldKurz darauf sitzt Ulf Christiansen in der Kapitänskajüte und fachkoffer zum Schiff kommen, so die Vereinbarung. Diese gute Nachricht simpelt mit dem Gastgeber über Fussball. Schliesslich muss der Kapitän will Christiansen der Besatzung heute persönlich überbringen. Und den einräumen, in seinem Computer keinen Tarifvertrag gefunden zu haben. Seeleuten erklären, warum es so wichtig ist, dass sie die Heuer noch vor Hat er etwas übersehen? Oder muss die Gewerkschaft für dieses Schiff der Abfahrt an ihre Familien überweisen. «Meine Befürchtung ist, dass die Löhne noch aushandeln? Der Inspektor wird bei der Reederei nachder Kapitän das Geld wieder einsammelt, sobald das Schiff den Hafen fragen. Nur wenige Tage später wird sie einen Tarifvertrag für die Beverlassen hat.» Doch bevor der Gewerkschafter mit seinem Dienst-VW satzung der «Gertrude Oldendorff» unterzeichnen. «Manche Reedereien das Problemschiff ansteuert, steht ein Routinebesuch an. Im Hansaport, kommen von alleine», sagt Ulf Christiansen. «Andere brauchen einen

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Dieser chinesische Seemann in der Hamburger Seemannsmission hofft, dass seine Reederei endlich den Lohn auszahlt. Falls nicht, erhält sein Schiff Auslaufverbot. SURPRISE 385/16

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Übers Telefon schaltet Christiansen auch mal eine Mandarin-Übersetzerin hinzu, wenn es nötig ist.

kleinen Schubser.» Eine Stunde später betritt Christiansen erklärt den Seeleuten, warum es so wichtig ist, dass sie die der Inspektor den «Duckdalben». Seeleute aus Heuer noch vor der Abfahrt an ihre Familien überweisen: «Meine Bealler Herren Länder kaufen hier ein, sehen fürchtung ist, dass der Kapitän das Geld wieder einsammelt, sobald das fern, surfen im Internet, telefonieren oder spieSchiff den Hafen verlassen hat.» len. Christiansen hofft, einige Männer von der «Xing Zhi Hai» zu treffen, um ungestört mit ihlässt den Raum. Sekunden später schallen Rufe und Gelächter aus der nen reden zu können. Und tatsächlich: Kaum hat er den Seemannsclub Messe. Der Inspektor dreht sich um und geht zurück. Fragt den Kapitän, betreten, kommt ihm einer der Chinesen entgegen. Der Gewerkschafter was das zu bedeuten hat. Der erklärt: «Einer meiner Männer hat eben versucht ihm zu erklären, was er erreicht hat. Der Mann lächelt freundgesagt, dass er nicht wisse, ob er zuerst seinen Eltern oder seiner Frau lich, doch versteht er offenbar wenig. «My English …», sagt er entGeld überweisen soll.» Ulf Christiansen lächelt. Die Mühe hat sich geschuldigend. Da hat der Inspektor eine Idee: Er zieht sein Mobiltelefon lohnt. aus der Tasche und ruft eine Kollegin in der Londoner ITF-Zentrale an, ■ von der er weiss, dass sie Mandarin spricht. Kurz setzt er sie ins Bild, dann überreicht er dem Chinesen das Telefon. Wenige Minuten später weiss der Mann Bescheid. Und kurz darauf auch die fünf ArbeitskolleMit freundlicher Genehmigung von gen, die nebenan Billard gespielt oder E-Mails geschrieben haben. «GuHinz und Kunzt te Idee!», ruft einer der Seeleute. www.insp.ngo/hinzundkunzt Inzwischen ist es später Nachmittag. Der Kapitän der «Xing Zhi Hai» hat auf Bitte Christiansens den Teil der Mannschaft zusammengerufen, der heute an Bord geblieben ist. Ein Dutzend junge Männer sitzen in der Messe, als der Inspektor das Wort ergreift. «Der Kapitän wird das Geld Dachverband ITF morgen an euch auszahlen, und ich werde als Zeuge dabei sein», sagt Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) ist ein Gewerker auf Englisch. «Dann werden Busse kommen, und ihr habt die Mögschaftsdachverband mit Hauptsitz in London, dem auch fünf Schweilichkeit, das Geld im Seemannsclub nach Hause zu überweisen.» Die zer Organisationen wie die Unia oder die Gewerkschaft des VerkehrsMänner murmeln. «Versteht ihr mich?» Keiner antwortet. Christiansen personals SEV angehören. Schliesst eine Reederei einen Tarifvertrag bittet den Kapitän, seine Worte zu übersetzen. Dessen Fassung hört sich für ein Schiff ab, muss sie pro Seemann und Jahr 84 bis 90 Dollar (74 kürzer an. Der Inspektor wiederholt nochmals seine Botschaft. «Wir sebis 80 Euro) als Mitgliedsbeitrag an die Seefahrer-Gewerkschaft überhen uns morgen!», sagt er zum Abschluss. «See you tomorrow!», antweisen. Weltweit fahren gut 11100 Schiffe mit Tarifbindung über die worten die Seemänner. Christiansen hebt die Hand zum Gruss und verWeltmeere, laut ITF profitieren davon knapp 260 000 Seeleute.

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Briefschreiben Schreiben Sie zurück! Es gibt etwas, das einzigartig ist bei einem Strassenmagazin: der persönliche Kontakt zwischen den Verkaufenden und den Leserinnen und Lesern. Immer wieder zeigen die Zuschriften aus der Surprise-Leserschaft, welch reger Austausch hier besteht, was für tiefe Beziehungen sich aus diesem scheinbar flüchtigen Moment auf dem Trottoir oft ergeben und wie wichtig sich Verkaufende und Kunden gegenseitig sind. Wir finden diesen Austausch bemerkenswert und wollen ihn in der kommenden Weihnachtszeit zelebrieren. Und zwar mittels Briefen. Denn die fordern genau das, was Sie, liebe Leserinnen und Leser, jahrein, jahraus ganz offensichtlich zu geben bereit sind: Zeit, seine Gedanken zu sammeln, und Lust, diese mit einem anderen Menschen zu teilen. Wir machen den Anfang. Markus Christen, Surprise-Stadtführer in Basel, schreibt:

Machen Sie sich eine Tasse Tee und schreiben Sie uns zurück! Uns, das heisst: unseren Verkaufenden ganz allgemein, Ihrer persönlichen Verkäuferin, den Stadtführern in Ihrer Stadt. Die Briefe werden gelesen, den Adressaten zugestellt und eine repräsentative Auswahl wird in der Weihnachts-Sondernummer veröffentlicht. Und Sie können sicher sein: Auch wir werden bis dahin noch einige Briefe an Sie schreiben. Briefe (auf Papier, im Couvert, per Post!) schicken Sie in den nächsten Wochen und Monaten an: Strassenmagazin Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel. Wollen Sie es ins Weihnachtsheft schaffen, müsste uns Ihr Brief bis am 1. November erreicht haben. SURPRISE 385/16

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BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Bescheidenheitsprahlen «Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr», besagt ein altes Sprichwort, von dem mir nie ganz klar war, ob es ernst gemeint ist oder nicht. Wie dem auch sei, es gilt ohnehin nicht mehr. Denn sich mit Bescheidenheit zu zieren, ist derart beliebt, dass es im Englischen einen Namen dafür gibt: Humblebragging, was ungefähr soviel heisst wie Bescheidenheitsprahlen. Auch wenn es bei uns noch kein griffiges Wort dafür gibt, die Technik ist weit verbreitet. Wann immer eine Person vor die Kamera tritt, in einer Talkrunde Platz nimmt, um sogleich klarzustellen, es ginge ihr überhaupt nicht um sich selbst, sondern nur um die Sache, ist es Humblebragging. «Seht, wie selbstlos ich mich für die gute Sache einsetze, ohne Rücksicht auf meine natürliche Schüchternheit.» Blödsinn. Niemand sieht und hört sich so gerne wie jene Leute, die stets be-

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tonen müssen, wie unangenehm ihnen der öffentliche Auftritt sei. Ebenso wenig sind Prominente zu bedauern, die klagen, mit ihrer Wohltätigkeitsorganisation ja nur ein Tropfen auf dem heissen Stein zu sein, und so gerne mehr tun würden. Wir haben verstanden: Sie engagieren sich, wir nicht. Schande. Jene, die ihre Gutmütigkeit und Freundlichkeit als ihre grösste Schwäche anführen, haben es meist unter grobem Ellbogeneinsatz an ihren Platz geschafft. Oder jene, die als grösste Schwäche ihren Perfektionismus nennen – falls jemand noch nicht bemerkt haben sollte, dass sie perfekt sind. Besonders grassiert das Humblebragging im Internet: Der Blogger, der schreibt, er nötige rund 9000 Follower, an seinem Leben teilzuhaben, will damit angeben, sonst nichts. Das Wort «nötigen» ist reiner Zierrat. Facebook ist voller Posts wie dieser: «Habe gerade erfahren, dass ich für den XYZ-Preis vorgeschlagen wurde, das muss eine Verwechslung sein/die Jury war wohl besoffen/von Sinnen.» «Nicht einmal in Berlin kann ich in Ruhe ein Bier trinken, ohne erkannt zu werden. Vollstress.» «Ausgerechnet als Roger Federer auf meiner Jacht vorbeikam, trug ich diese alte Badehose. Wie lächerlich ich auf dem Foto nur aussehe!» Humblebragging gibt es aber schon viel länger als das Internet. Wo immer Menschen zusammenkommen, fallen Sätze wie: «Es mir immer peinlich, wenn ich mich selber im Fernse-

hen sehe.» «Sei froh, dass du Mieter bist, du glaubst nicht, was so ein Haus mit Garten für Arbeit macht.» Ein Milliardär behauptet, er wäre am liebsten Bauer geworden. Darum das Jus-Studium bis zur Promotion. Zum Kühemelken braucht es bekanntlich einen Doktortitel. Der bescheidene Berufswunsch macht sich halt besser, als ehrlich zu sagen: Ich wollte schon immer der mächtigste und reichste Mann im ganzen Land sein. Bei Start-ups gehört die Floskel, man strebe keinen persönlichen Reichtum an, sondern wolle «die Welt verbessern», schon derart zum Repertoire, dass sie in der grandiosen Satireserie «Silicon Valley» ausgiebig zitiert wird. Bescheidenheitsprahlen ist überall. Sie glauben ja nicht, wie es mich ärgert, wenn mir Leute sagen, dass sie Surprise nur wegen meiner Kolumne kaufen. Mir geht es doch nur um die gute Sache.

Stephan Pörtner ist Autor und Übersetzer in Zürich und haut gerne Neuwortschöpfungen in die Pfanne.

Sarah Weishaupt ist freie Illustratorin aus Basel. SURPRISE 385/16


Kunst Online durch den Nahen Osten BILD: PARASTOU FOUROUHAR (VIDEOSTILL)

Teheran, Ramallah, Kabul. Im ersten Augenblick denkt man unwillkürlich an Krisengebiete. Aber die OnlineAusstellung «Treibsand» zeigt: Die Orte sind auch künstlerische Brennpunkte. VON PHILIPP SPILLMANN

Wie macht man eine Ausstellung auf DVD? Vor dieser Frage stand die junge Kuratorin Susann Wintsch 2003, als sie angefragt wurde, eine Ausstellung im DVD-Format zusammenzustellen. Thema sollte die neue Kunst des Balkans sein. Alles andere war offen. Der Balkan war in Westeuropa gerade im Trend: «Es war auffällig, wie viele Balkanausstellungen nach dem Mauerfall in Europa stattfanden. Oft hatte man den Eindruck eines Bazars. Viele Stimmen und laute Arbeiten, die häufig um das Thema Gewalt kreisten, waren gleichzeitig im Raum zu hören», sagt Susann Wintsch. Umgehend kontaktierte sie eine Bekannte von ihr, die serbische Künstlerin Milica Tomic. Sie fanden eine gemeinsame Grundlage: «Uns interessierte vor allem die Frage, ob es entgegen der vielen politischen Kunst nicht auch poetische, analytische oder visionäre Werke zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen aus dem Balkan gab.» Sie legten sich dafür auf die fünf Länder Ex-Jugoslawiens fest. In den kommenden zwei Jahren reisten sie viel, besuchten die lokalen Szenen, immer auf der Suche nach neuen Künstlern, Werken und Stimmen. 2005 erschien die DVD mit dem Namen «Compiler». Wintsch entschied sich, alleine weiterzumachen. «Treibsand» entstand. Ihr Blick richtete sich weiter nach Südosten, in den Iran: «Da ich eine obsessive Zeitungsleserin bin, wurde sehr schnell klar, dass der Iran im Fokus stehen wird, weil er plötzlich in allen Feuilletons war.» Das Berliner Haus der Kulturen der Welt zeigte 2004 eine grosse Ausstellung über iranische Kunst. Also reiste sie dorthin und stiess auf die Werke von Parastou Forouhar, einer in Deutschland lebenden Künstlerin aus Teheran: «Als ich ihre Werke sah, wurde mir sofort klar, dass ich weiterhin eng im direkten Austausch mit Künstlern arbeiten möchte.» Forouhar war begeistert vom Projekt. 2007 erschien die erste Ausgabe von Treibsand. Als Thema ergab sich das Warten. Das war nicht von Anfang an so gedacht, sondern entwickelte sich aus der Recherche: «Das Warten, das war ein Wort, das ich überall antraf, mit wem ich auch immer sprach. Es kam immer auf: warten auf bessere Zeiten, genughaben vom Warten, das Warten hat kein Ende. So lag das Thema auf der Hand.» 2012 folgte die zweite Ausgabe. Im Fokus stand jetzt Istanbul. «Der Nahe Osten ist ein sehr heterogenes Territorium. Jedes Land allein ist bereits ein Vielvölkerstaat. Istanbul bildet eine gute Parallele zu Teheran. Obwohl die Metropolen sehr verschieden sind, gibt es in beiden eine grosse Kunstszene mit internationaler Ausrichtung. Vielleicht gibt es Themen, die diesen Künstlern näher sind als uns hier. Versteht man solche Arbeiten ausserhalb ihres Kontextes überhaupt noch? Oder gibt es universelle Themen, etwa Gerechtigkeit, eine bessere Zukunft oder Kritik an Institutionen?» Wintsch versteht sich weder als Feldforscherin noch als Dokumentarfilmerin, die ein möglichst exaktes Porträt machen will: «Ich habe vor allem ein kuratorisches Interesse: an utopischen, visionären Arbeiten, die etwas formulieren, was noch nicht ist. Das interessiert mich auch hier in der Schweiz.» So sind die Treibsand-DVDs auch nicht als GeSURPRISE 385/16

Das ist erst der Anfang vom Farbklecksen in Parastou Forouhars Video.

schichten angelegt. Zwar kann man sie an einem Stück schauen, aber das Ganze fügt sich nicht zu einem ganzen Film zusammen. Zu sehen sind vor allem Kunstwerke: Filme, Videos, Fotografien oder Studiofilme in Ateliers. Das Menü der DVD funktioniert als eine Art Korridor, der zu einzelnen, abgetrennten, aber sich manchmal auch aufeinander beziehenden Räumen führt. Mit der Zeit entstand allerdings ein immer grösser werdendes Problem: «DVDs sind heute bereits ein veraltetes Speichermedium, leider, denn eine DVD bietet grosse Vorteile: Man kann sie leicht verschicken und alles, was man braucht, ist ein Abspielgerät. Dadurch erreicht sie eine viel grössere Reichweite als eine physische Ausstellung.» Aber solche Abspielgeräte werden immer seltener. Deshalb verwandelte Susann Wintsch Treibsand in ein Onlineprojekt. Seit Anfang Oktober ist die erste Treibsand-Ausgabe mit neuen Werken aus Teheran aufgeschaltet. Neben den einzelnen Web-Ausstellungen gibt es eine weitere Rubrik, die sich nicht mehr auf eine einzelne Stadt beziehen wird, sondern dokumentarischen Formaten oder Textessays Raum bietet. Die nächste Ausgabe widmet sich 2017 Istanbul, dann kommen Jerusalem und Ramallah und darauf – 2018 – Kabul. ■ «Treibsand», Online-Magazin mit Schwerpunkt zeitgenössische Kunst aus dem Nahen Osten, «#01 Teheran» enthält neue Videoarbeiten von Hamed Sahihi, Iman Afsarian, Samira Eskandarfar, Leily Derafshkaviani, Haleh Anvari und Parastou Forouhar. «Treibsand» zeigt zudem physisch eine Installation von Parastou Forouhar: Sa, 5. November bis Fr, 17. Februar 2017, Vernissage Fr, 4. November, 18 Uhr, Grand Palais, Thunstrasse 3 (Helvetiaplatz), Bern. Die Künstlerin ist anwesend. www.treibsand.ch

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BILD: BATKOVIC

BILD: ZVG

Kultur

Aber bitte nicht ins Buch kleckern.

Mondtag vergleicht hedonistische und islamistische Selbstzerstörer.

Buch Suppenlängelang

Theater Hedonistische Sackgasse

Ein literarisches Kochbuch der Wiener Wortstätten macht Appetit auf Texte und Suppen.

Die Terrorangst macht Untergangsszenarien wieder populär. Das Theaterstück «Die Vernichtung» stellt dazu unbequeme Fragen.

VON CHRISTOPHER ZIMMER VON MONIKA BETTSCHEN

«Buchstabensuppen» nennt sich eine Lesereihe des interkulturellen Autorentheaterprojekts Wiener Wortstätten, bei der von den Autorinnen und Autoren gekochte Suppen zur Lesung gereicht werden. Von Schreibenden aus aller Welt, u.a. aus der Türkei, Russland, Bosnien, Kroatien, der Slowakei, Rumänien oder dem Iran, aber auch aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Allen gemeinsam ist, dass sie ihre Texte aufgrund ihrer Biografien auf Deutsch schreiben, wobei Themen wie Macht, Migration oder Arbeitswelten besonders im Fokus stehen. «Buchstabensuppen» ist auch der Titel eines Buches, das anlässlich des Zehn-Jahre-Jubiläums der Wiener Wortstätten 22 Prosa- und Theatertexte versammelt, jeder mit einem dazu passenden, mitunter auch im direkten Bezug zum Text stehenden Suppenrezept versehen. So vielfältig wie die Suppen – arabische, tunesische, slowakische oder persische, Hendl-, Zwiebel- oder Fischsuppe bis hin zur Bündner Gerstensuppe oder einer Post Drunknight Soup zum Wohle aller Verkaterten – sind auch die Texte. Diese spannen den Bogen von Ohnmachtsgefühlen angesichts der Macht der Konzerne (Stichwort Glyphosat und Gen-Soja) bis zur kulinarischen Krimi-Groteske (Crème fraîche mordet Ketchup). Literarisch ist auch die Präsentation der Rezepte, was dem Buch zusätzliche Würze verleiht: Mal erscheint ein Rezept als eigenständige (vielleicht erfundene) Geschichte, mal werden die Zutaten theatralisch «in Reihe ihres Auftretens» gelistet, oder die Rezeptur wird ganz und gar auf die dramatische Spitze getrieben, wenn der Herausgeber Bernhard Studlar den Schlusspunkt mit einer Rindsuppe mit Buchstabeneinlage in einem Prolog und fünf Akten setzt. Die Fülle der Texte und Rezepte macht Appetit – nicht zuletzt darauf, Freunde einzuladen, die Suppen nachzukochen und beim gemeinsamen Genuss einander suppenlängelang die dazugehörigen Texte vorzutragen. Buchstabensuppen. Ein literarisches Kochbuch. Hrsg. Bernhard Studlar. Residenz Verlag 2015. 26.90 CHF

Irgendeine europäische Metropole und mittendrin drei junge Menschen, die mittels Rauschzuständen und Sex die Langeweile aus ihrem Leben vertreiben wollen. Der Effekt verpufft jeweils schnell, Leere macht sich breit und es regt sich das Bedürfnis, dass doch endlich irgendetwas Grosses geschehen möge. Als dieses grosse Etwas in Form einer terroristischen Bedrohungslage via Social Media in den Alltag der kleinen Gruppe einbricht, schwanken ihre Reaktionen zwischen Betroffenheit und Unlust. Der deutsche Regisseur Ersan Mondtag und die junge Autorin Olga Bach präsentieren mit ihrem Stück «Die Vernichtung» die Momentaufnahme einer abendländischen Welt, die gelähmt ist durch die Angst vor äusseren Bedrohungen einerseits und die tiefsitzende Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit andererseits. «Mondtag und Bach wollten den aktuellen Zustand der Jugend darstellen, die viel zu privilegiert ist, um sich für eine Sache einzusetzen, und völlig abgestumpft gegenüber den Meldungen, die ununterbrochen via Smartphone in ihre Welt einsickern», sagt Dramaturgin Eva Maria Bertschy. «Diese hedonistische, übersättigte Jugend ist das Feindbild jener, die mit ihren terroristischen Akten den westlichen Way of Life, dem sie gerade eben zu entkommen versuchen, gewaltsam infrage stellen.» «Die Vernichtung» verleitet den Zuschauer zum unangenehmen Gedankengang, was denn wäre, wenn die aktiven, mit Sprengstoff beladenen Selbstzerstörer und die passiven, hedonistischen Selbstzerstörer mehr Parallelen hätten, als uns lieb wäre. Ersan Mondtag liebt das Spiel mit den Ängsten der Gesellschaft. Der erst 29-jährige Shootingstar der deutschsprachigen Theaterszene ist über Installationen zur Bühnenkunst gekommen. Starke Bilder und Räume sind bei ihm zentrale Elemente. «Seine Stücke folgen sehr viel mehr konzeptionellen Entscheidungen als einer klassischen Dramaturgie, was nicht zuletzt ein Grund dafür ist, dass seine Arbeit oft polarisiert», sagt Bertschy. Auch «Die Vernichtung» wird mit seiner Endzeit-Atmosphäre zweifellos für viel Gesprächsstoff sorgen. Ersan Mondtag: «Die Vernichtung», Uraufführung, 15. und 22. Oktober, 4., 10., 17., 26. November und 11. Dezember, Vidmar 1, Bern, www.konzerttheaterbern.ch

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BILD: GEORGE HOLZ

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Das Herz ist ein einsamer Jäger. Findet Suzanne Vega wohl auch.

Musik Bücherlieder Seit ihrer Teenager-Zeit ist Suzanne Vega fasziniert von den Werken der Schriftstellerin Carson McCullers. Jetzt hat sie ihre lange Lektüre in Lieder umgesetzt.

01

Imbach Reisen AG, Wanderreisen, Luzern

02

mcschindler.com gmbh Online-PR, Zürich

03

Scherrer + Partner GMBH, Basel

04

Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

05

Coop Genossenschaft, Basel

06

Treuhand U. Müller GmbH, Bern

07

Lions Club Zürich-Seefeld, Zürich

08

Supercomputing Systems AG, Zürich

09

Fraumünster Versicherungstreuhand AG,

VON HANSPETER KÜNZLER

Es ist aus heutiger Warte kaum mehr nachvollziehbar, wie ungewöhnlich Suzanne Vega und ihre Lieder waren, als die New Yorkerin im Jahre 1985, 26-jährig, ihr Debutalbum veröffentlichte. Es war eine Zeit der schrillen Pop-Diven. Singende Songschreiberinnen mit einem Hang zum In-sich-Gehen und einer Vorliebe für akustische Instrumente waren eine grosse Rarität. Wie etliche andere Künstlerinnen, die nicht in die Vermarktungsschubladen der amerikanischen Medien passten, fand auch Vega zuerst in Grossbritannien Gehör. Hier wurde ihr elegantes Debutalbum mit Platin ausgezeichnet. Es folgte eine feine Reihe von wunderbaren Alben, die dann und wann sogar einen Hit aufwarfen: «Luka» zum Beispiel oder «Tom’s Diner». Mit ihrem neuesten Album nun schlägt Vega einen Bogen zurück über (fast) ihr ganzes Leben. «Lover, Beloved: Songs from an Evening with Carson McCullers» erzählt die Geschichte einer amerikanischen Schriftstellerin, mit der sich Vega seit ihrer Studentenzeit immer wieder beschäftigt hat. McCullers – 1917 in Columbus (Georgia) geboren – war eine eigenwillige, komplexe und von Krankheit gebeutelte Frau. Mit skalpellhafter Sprache sezierte sie die komplizierten, oft auch unterdrückten Emotionen im Alltag der amerikanischen Südstaaten. Der grossartige Roman «Das Herz ist ein einsamer Jäger» brachte ihr früh Ruhm und Erfolg. Intensiv, aber unglücklich verliebte sie sich in die Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach. Die darauffolgende turbulente Ehe endete mit dem Freitod des Mannes. Vega erzählte diese Geschichte erstmals vor fünf Jahren in einer Mischung aus Revue, Konzert und Inszenierung an einem New Yorker Theater. Zehn der damals zusammen mit dem Songwriter Duncan Sheik komponierten Lieder finden sich nun auf diesem wohltuend knappen Album wieder. Einige Songs sind jazziger, als man das von Vega sonst gewohnt ist. Die Instrumentierung ist gediegen akustisch, da mit einem Banjo-Tupfer, dort mit einer gedämpft hupenden Trompete. Den Ton geben aber Piano, Bass und natürlich Vegas so entspannte wie flexible Stimme an. Wie immer sind die Melodien bitter-süffig wie ein guter Martini. Das Highlight ist indes das komplexe, eigenartig Haken schlagende «Instant of the Hour After».

Zürich 10

VXL Gestaltung und Werbung AG, Binningen

11

AnyWeb AG, Zürich

12

A. Reusser Bau GmbH, Recherswil

13

Kreislauf 4+5, Zürich

14

Thommen ASIC-Design, Zürich

15

Proitera Betriebliche Sozialberatung, Basel

16

Kaiser Software GmbH, Bern

17

Hervorragend AG, Bern

18

Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

19

Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

20

Frank Türen AG, Buchs

21

Schweizerisches Tropen- und Public HealthInstitut, Basel

22

Familie Iten-Carr Holding AG, Zug

23

Brother (Schweiz) AG, Dättwil

24

Maya-Recordings, Oberstammheim

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Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

Suzanne Vega: «Lover, Beloved: Songs from an Evening with Carson McCullers» (Cooking Vinyl) SURPRISE 385/16

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BILD: LORENZO PUSTERLA

BILD:

© TADANORI YOKOO

BILD: ZVG

Ausgehtipps

Eritrea ist nicht so heiter wie in der Propaganda.

Zürich Raus aus dem Dunkel Barbara Signer mag das Durchlässige, Unfassbare.

Zürich Kunst kompakt Die Stadt Zürich vergibt jedes Jahr Stipendien und Atelieraufenthalte. Junge Künstlerinnen und Künstler wollen nach Paris, Genua, Kunming, New York, Istanbul und Kairo, um dort den Blick auf Neues zu richten und so vielleicht manch Gewohntes in neuem Licht zu sehen. Und uns danach bestenfalls auch ein bisschen die Augen zu öffnen. 194 Dossiers wurden diesmal eingereicht. Die StipendienJury hat daraus 42 ausgesucht, die nun eine Übersichtsausstellung über die Zürcher Kunstszene hergeben. Im Begleitprogramm geht es auch um die Meta-Ebene, wenn Barbara Basting von der Kulturabteilung Zürich mit einem Kommissionsmitglied über Freud und Leid des Jurierens redet («Willkommen in der Problemzone!»). Dazu werden die sogenannten 5-UhrThesen weitergeführt: Man redet über Buchprojekte und nennt die Veranstaltung «Fragile KünstlerInnen verpacken ihre Werke besonders gut», man fragt sich, inwiefern Förderung auch Forderung ist, schaut in die Zukunft des Pop und lässt mit Fai Baba und Domi Chansorn auch Musik in die Ausstellung rein. (dif)

Mehr als hundert unserer Verkaufenden kommen aus Eritrea. Sie sprechen grossenteils Tigriniya, eine Sprache, die entfernt mit Arabisch und Hebräisch verwandt ist, sind Muslime oder Christen und haben meist einen mühevollen Weg durch Flüchtlingslager und über Fluchtrouten hinter sich, bevor sie in der Schweiz Fuss fassten. Mit rund 30 000 Personen ist die eritreische Diaspora hierzulande eine der grössten in Europa. Und doch wissen wir kaum etwas über das Land am Horn von Afrika, das rund dreimal so gross ist wie die Schweiz, aber nur etwas mehr als 6,3 Millionen Staatsbürger zählt. Anstatt also hilflos zuzuschauen, wie der Schweiz von manch lauter Stimme ein «Eritrea-Problem» attestiert wird, schlagen wir vor, einmal genauer hinzuschauen und mit Betroffenen ins Gespräch zu kommen. Die Rote Fabrik in Zürich bietet dazu ein ganzes Wochenende lang Gelegenheit. (win)

Traditionelles und Populäres auf’s Plakat gebracht.

Yverdon-les-Bains Japans Warhol

Di, 8. Nov., 20.30 Uhr; Helmhaus, Limmatquai 3,

Pop-Art, würde man meinen, sei etwas Amerikanisches. Aber auch in Japan traf die künstlerische Avantgarde auf die Populärkultur und liess daraus viel farbenfroh Plakatives entstehen, dessen Verwandtschaft mit den allseits beliebten Mangas nicht zu übersehen ist. Weniger bekannt sind dagegen die Namen der Künstler: Tadanori Yokoo, 1936 geboren – Maler, Grafiker und Buchgestalter – ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Künstler in Japan und gilt als japanischer Warhol. Die Maison d’Ailleurs zeigt die erste Retrospektive seines Werks in der Schweiz. Auch zu sehen in diesem Museum der «Science-Fiction, der Utopie und der aussergewöhnlichen Reisen» (Selbstdeklaration) ist Osamu Tezuka, der in seiner Heimat als «Gott des Mangas» gilt. Tezuka, Jahrgang 1928, hat die Manga-Industrie geprägt. Stark beeinflusst von NachkriegsMangas, von europäischen Schriftstellern und von Filmemachern, speziell Walt Disney, schuf er über 700 Mangas. Die bekanntesten sind «Metropolis» (1949) und «Astro Boy» (1952). Yokoo wie Tezuka kombinierten traditionelle japanische Kunst auf eigene Weise mit westlichen Trends. In Yverdon-les-Bains kann man das für sich wieder auseinanderdröseln. (dif)

Zürich, www.helmhaus.org

«Pop Art, mon Amour», bis zum 30. April 2017,

Werk- und Atelierstipendien der Stadt Zürich 2016, bis zum 20. November, Veranstaltungen: Kunstförderung, Mi, 19. Oktober, 17 Uhr; Fai Baba und Domi Chansorn, Di, 25. Oktober; «Willkommen in der Problemzone!», Do, 3. Nov, 18.30 Uhr, «Fragile KünstlerInnen …», Mi, 16. Nov., 17 Uhr; «Futur Arrrt Pop»,

«Blackbox Eritrea? Alles, was sie schon immer über Eritrea wissen wollten», Podiumsdiskussion, Expert/innen-Gespräche, Theater, Filme, Bilder, Essen, Musik und Tanz, Sa, 15. und So, 16. Oktober, ab 14 Uhr, Rote Fabrik, Seestrasse 395, Zürich, Eintritt frei. www.eritreischer-medienbund.ch www.rotefabrik.ch

Di bis So 11 bis 18 Uhr, Maison d’Ailleurs, Place Pestalozzi 14, Yverdon-les-Bains www.ailleurs.ch

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BILD: GEM HALL PHOTOGRAPHY

BILD: ZVG

Howe Gelb (in Blau) mit seinem musizierenden Rudel.

Vieux Farka Touré wurde vom Vater gewarnt und wurde trotzdem Musiker.

Luzern Proben ist überschätzt

Rubigen Hendrix aus Mali

Manchmal spielt er Gitarre, manchmal Klavier, und er singt dazu. Mit seinen Liedern hat Howe Gelb eine eingeschworene Fangemeinde gewonnen. Über sich selbst schreibt der Liedermacher, er sei in Pennsylvania geboren und von Wölfen aufgezogen worden. Wegen einer Flut in den Siebzigerjahren sei er nach Tucson in Arizona umgezogen. Etwas später veröffentlichte er Country-Songs und spielte in der Punk-Band The Stains mit. In den Achtzigern gründete er die Band Giant Sand, die bis nach Europa tourte und bis heute besteht. Seit den Neunzigern tritt Gelb auch solo auf. Sein Leben ist gezeichnet von Umzügen, wechselnden Beziehungen und Musikprojekten. Über ihn schreiben andere, er halte Proben für überschätzt, ja das sei eigentlich Betrug, weshalb Konzerte mitunter zur öffentlichen Probe werden könnten. Auch sei er aus Luzern, habe er behauptet. Als Geburtsort gibt er Wilkes-Barre an. Die Stadt ist Verwaltungssitz des Luzerne County, PA. (bc)

Ali Farka Touré war ein legendärer Gitarrist aus Mali. Mit diesem Beruf macht man sich das Leben in der Sahelzone nicht einfacher. Deshalb wollte Touré nicht, dass sein Sohn Vieux denselben Weg einschlägt. Zusammen mit einem Freund der Familie konnte Vieux aber seinen Vater überzeugen und lernte Schlagzeug am Nationalen Kunstinstitut in Mali. Seit 2001 übte er (heimlich) auch noch Gitarre. Als sein Vater im Sterben lag, eröffnete er ihm, dass er ein Album aufnehmen wolle. Zusammen spielten sie einige Songs ein, es sollten die letzten Aufnahmen von Farka Touré Senior sein. Der Tonträger erschien 2006 und katapultierte den damals 25-jährigen Sänger und Gitarristen auf die Bühnen der Welt. Vieux Farka Touré mischt westafrikanische Stile mit Blues und Reggae. (bc) Vieux Farka Touré, Konzert, So, 16. Oktober, 20 Uhr, Mühle Hunziken, Rubigen BE, www.muehlehunziken.ch

Howe Gelb, Mo, 17. Oktober, 20.30 Uhr, Jazzkantine, Grabenstrasse 8, Luzern,

BILD: ZVG

www.jsl.ch/kantine.htm

Basel Erinnerung Man sieht das Gesicht einer alten Dame, die zuhört. «Ich wäre fast gestorben», sagt sie, damals an ihrem 21. Geburtstag 1943. Eine andere Frau wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Auge, als sie ihrer eigenen Stimme zuhört. «Wait, then it was Yugoslavia», hört sich eine Belgraderin sagen, sie schaut weg, horcht nach innen. Der Videokünstler Mats Staub befragt Menschen an verschiedenen Orten und verschiedenen Alters nach ihrem 21. Geburtstag, was damals passierte und wie sie erwachsen wurden. Er nimmt ihre Stimmen auf. Drei Monate später besucht er sie erneut und spielt ihnen vor, was sie gesagt haben. Dabei filmt er die Reaktion auf die eigene Erzählung der ganz persönlichen Geschichte. Stolz, Freude, Unbehagen, stoische Ruhe, Lachen – ein intimer Moment der Reflexion über das eigene Leben. Ein Projekt, dass sich von Ort zu Ort immer weiterentwickelt. (win) Mats Staub, «21», Videoinstallation, Vernissage Do, 20. Oktober, 18 Uhr, Ausstellung Fr, 21. Okt. bis Fr, 28. Okt., 8 bis 20.30 Uhr, Kollegienhaus Universität,

Manchmal staunt man darüber, was man alles erlebt hat. SURPRISE 385/16

Petersplatz 1, Basel, Eintritt frei. www.kaserne-basel.ch

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Verkäuferinnenporträt «Ich bin das schwarze Schaf der Familie» Ivana Dimkic hat all ihre Kraft aufgebracht, um einer familiären Katastrophe im Kosovo zu entkommen. Den Glauben daran, dass in der Schweiz ein gutes Leben mit ihren Söhnen möglich ist, hat sie nicht verloren.

Ich bin Serbin aus dem Kosovo. Ich bin 35 Jahre alt und in einem Dorf nahe der Hauptstadt Priština aufgewachsen. Ende der Neunzigerjahre gab es Krieg, unser Haus wurde zerstört. Auch in Serbien, wo ich 1999 meine Ausbildung als Zolldisponentin abschloss, war ich nicht akzeptiert. Ich wusste nie warum. Ich bin ein offener Mensch, Nationalität und Religion spielen für mich keine Rolle. Ich verstehe das nicht, wenn man jemanden aufgrund der Herkunft oder Hautfarbe hasst. Mensch ist Mensch. 2001 musste ich heiraten. Meine Eltern bestanden darauf. Für sie war es undenkbar, dass ich mit einem Mann einfach so zusammenlebte. 2002 kam mein Sohn Stefan zur Welt, 2003 sein Bruder Lazar. Als er fünf Tage alt war, vergewaltigte mein Mann meine damals 14-jährige Schwester. Er kam ins Gefängnis, das war eine Schande für unsere ganze Familie. Ich liess mich scheiden und arbeitete an einer Tankstelle, um meine Kinder zu ernähren. 12-Stunden-Schichten waren normal. In Serbien gibt es keine staatliche Hilfe für Alleinerziehende. Ich wurde krank, war traurig, alleine, fühlte mich wie tot. Ich wollte aber, dass es meine Kinder einmal besser haben als ich. Deshalb kam ich 2006 in die Schweiz. Die Buben liess ich bei meinen Eltern. Der Anfang im Asylheim war schwierig. Ich sprach nur Serbisch und Russisch. Mit meinen Mitbewohnerinnen aus Bangladesch, Sri Lanka und der Türkei musste ich mich in Zeichensprache unterhalten. Aber von ihnen habe ich viel gelernt. Wir sind zu einer Art Familie zusammengewachsen und treffen uns heute noch. Nachdem mein Asylantrag bewilligt wurde, arbeitete ich in einer Konditorei. 2010 heiratete ich zum zweiten Mal und meine Kinder konnten in die Schweiz kommen. Doch sie hatten Probleme, sich an die Schweiz zu gewöhnen, sie kamen aus einem Dorf im Kosovo in die Stadt. Sie konnten die Sprache nicht, mein Mann und ich waren dabei keine grosse Hilfe. Zudem begann mein Mann zu trinken und machte Schulden. Ich wurde depressiv, hatte wie keine Augen, keine Ohren und keinen Mund mehr. Ich ass damals sehr viel Schokolade und nahm 40 Kilogramm zu. 2012 hatte ich die Probleme meines Mannes satt und trennte mich von ihm. Für meine Familie bin deshalb das schwarze Schaf. Heute lebe ich allein mit meinen Jungs in Basel, arbeite 50 Prozent als Putzfrau und verkaufe Surprise in Allschwil und Basel. Dabei lerne ich nette Menschen kennen. Das gibt mir Kraft. Mit dem Lohn bringe ich meine Familie einigermassen über die Runden. Aber ich will nicht immer von der Sozialhilfe abhängig sein. Deshalb will ich eine Ausbildung als Konfiseurin machen. Dazu muss ich aber mein Deutsch verbessern. Das mache ich in meiner Freizeit. Zudem tanze ich Zumba und koche für mein Leben gern. Ich kenne Spezialitäten aus Eritrea, Sri Lanka oder Thailand. Das isst man mit den Händen. Ich liebe das. Meine Jungs bedeuten mir alles. Ich versuche ihnen all meine Liebe zu geben. Auch wenn der ältere, Stefan, manchmal Probleme macht. Als er frisch in der Schweiz war, ging es ihm nicht gut, und er hat ADHS.

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BILD: BC

AUFGEZEICHNET VON BEAT CAMENZIND

Nun ist er 14 und zahlt das zurück. Er schlägt oft drein, musste auch schon ein halbes Jahr ins Heim. Ich habe dort vorgesprochen und ihn wieder zu mir geholt. Nun gehen wir in die Therapie. Ich hielt das nicht aus, als er im Heim war. Er hat sich nun auch gebessert und freut sich auf seine Lehre als Bodenleger. Das ist zwar ein harter Job. Aber er will das unbedingt. Danach will er sich selbständig machen. Lazar, der 13Jährige, ist sehr ruhig und lieb. Er liebt Musik und ist einer der Besten in seiner Klasse. Ich glaube nicht an die strenge Erziehung meiner Eltern. Ich durfte weder Velo fahren noch Fussball spielen. Meine Mutter hat mir meine Fussballschuhe zerstört, damit ich nicht ins Training konnte. Aus Trotz habe ich meine langen Haare abgeschnitten. ■ SURPRISE 385/16


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Elsa Fasil Bern

Kostana Barbul St. Gallen

Ralf Rohr Zürich

Marlis Dietiker Olten

Negasi Garahassie Winterthur

Josiane Graner Basel

Tatjana Georgievska Basel

Emsuda Loffredo-Cular Basel

Anja Uehlinger Baden

Andreas Hossmann Basel

Haimanot Ghebremichael Bern

Oliver Guntli Bern

Roland Weidl Basel

Daniel Stutz Zürich

Markus Thaler Zürich

Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken

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1 Monat: 500 Franken

385/16 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 385/16

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Surprise – mehr als ein Magazin

Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–

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Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration ‹ › 20, 4051 Basel Spalentorweg F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

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Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der Deutschschweiz um den Titel des Schweizermeisters. Einige Spieler nehmen am Homeless World Cup teil. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren.

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.

Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsleitung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (Mitglied der Geschäftsleitung), Jannice Vierkötter (Mitglied der Geschäftsleitung) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami, verantwortlich für diese Ausgabe), Beat Camenzind (bc), Diana Frei (dif), Thomas Oehler (toe), Sara Winter Sayilir (win), redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Florian Burkhardt, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Melanie Kobler (Grafik), Yvonne Kunz, Khusraw Mostafanejad, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Monika Bettschen, Annette Boutellier, Mauricio Bustamante, Markus Christen, Ulrich Jonas, Claudia Langenegger, Johanna Leitner, Michael Kneissler, Hanspeter Künzler, Philipp Spillmann Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 20 900, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke (Leitung), Zaira Esposito

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83/85 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Sara Huber, Christian Sieber, Kanzleistr. 107, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Barbara Kläsi, Alfred Maurer, Fabian Steinbrink Scheibenstrasse 41, 3014 Bern, bern@vereinsurprise.ch Café Surprise T +41 61 564 90 50 Zaira Esposito (Leitung), z.esposito@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40 Paloma Selma (Leitung), p.selma@vereinsurprise.ch Strassenfussball T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach), d.moeller@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Basel T +41 61 564 90 40 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Paloma Selma (Koordination), rundgang@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Zürich T +41 44 242 72 14 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Carmen Berchtold (Koordination), rundgangzh@vereinsurprise.ch Vereinspräsident Beat Jans

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt: Spendenkonto PC 12-551455-3 SURPRISE 385/16


Surprise – mehr als ein Magazin

Strassenchor Den ganzen Bus unterhalten Der Surprise Strassenchor am Längifest in Pratteln und am Sonntag im Grünen – mal ganz unter sich.

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Am Sonntag, 11. September hatte der Chor seinen jährlichen Ausflug ins Grüne, wo grilliert und geschmaust wurde und für Musse und gegenseitiges Kennenlernen endlich mal genügend Zeit war. Das Wetter war sommerlich heiss und prächtig, und wir brauchten Sonnenschirme und Wasserschlauch für die Abkühlung am Waldrand von Zeiningen, wo wir im Weekendhaus der Chorleiterin uns breitmachten und fröhliches Singen und Tanzen angesagt war, ebenso wie Boulespiel und Badminton. Berührend waren auch die Geschichten aus unserer Kindheit, die wir einan-

der im von Pflanzen beschatteten Iglu auf der Wiese erzählten und die uns einmal mehr bewiesen, dass wir im Chor einen familiären Ort haben, wo alle sich aufgehoben fühlen können und in ihrer ganzen Persönlichkeit gesehen werden. Ariane Rufino dos Santos, Chorleiterin

Kommende Auftritte 19. November, 11 Uhr, 30-jähriges Jubiläum des claro Weltladens in Sissach, Hauptstrasse 74

BILD: ZVG

Wohl kaum ein anderer Auftritt passt so gut zu unserem Chor wie dieses Fest, das jedes Jahr durch den Quartierverein im Längiquartier auf die Beine gestellt wird. Dies vor allem wegen der ebenso internationalen Zusammensetzung des Publikums wie auch unseres Chors: Wir waren 14 Leute aus sechs Nationen! Dieses Jahr waren wir die einzige Live-Attraktion, doch inmitten des fröhlich-lärmigen Festgetümmels mit vielen exotischen Verpflegungsständen und mangels Bühne war es nicht ganz einfach, einen geeigneten Ort zu finden, wo wir von den meisten Festteilnehmern gut gehört und gesehen werden konnten. Wir stellten uns vor einen Laternenpfahl mitten auf dem Platz vor dem Schulhaus und wurden von Beginn weg von zwei Reihen staunender Kinder aller Altersgruppen und Nationen bewundert, die sich direkt vor uns stellten und unsere Bewegungen und Töne mit grösster Aufmerksamkeit mitverfolgten. Ein Junge wollte auch gleich mitsingen und stellte sich auf unsere Seite, um den Blick auf den Textständer ebenfalls zu erhaschen und tatkräftig mitzumachen. Die leuchtenden Augen aus den farbigen Gesichtern, das unverfälschte Interesse und die Begeisterung dieser kleinen Zuhörer freuten uns sehr und waren den Auftritt wert, wenn wir sonst auch ziemlich im Lärm der Erwachsenen untergingen. Nachdem alle ChorsängerInnen ihre Essund Trinkbons – ein wichtiger Teil unserer Konzerte – eingelöst hatten, traten wir den Heimweg an und sangen so ausgelassen im Bus Richtung Basel, dass der Chauffeur uns offiziell über seinen Lautsprecher für die gute Stimmung dankte, während zwei Mädchen sich von ihren Lachanfällen unseretwegen kaum mehr erholen konnten … wo der Surprise Strassenchor hinkommt, garantiert er für gute Laune, das ist nicht zu viel gesagt!

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Eine Tasse Solidarität! Machen Sie mit: Zwei bezahlen, eine spendieren. Café Surprise gibt es hier: In Basel BackwarenOutlet, Güterstr. 120 Café Bohemia, Dornacherstr. 255 Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstr. 10 Café Flore, Klybeckstr. 5 Café Restaurant Haltestelle, Gempenstr. 5 Kiosk Amann, Claragraben 101 Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg Quartiertreffpunkt Lola, Lothringerstr. 63 Rest. Les Gareçons, Schwarzwaldallee 200 Rest. Manger et Boire, Gerbergasse 81 Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstr. 96 In Biel Treffpunkt Perron bleu, Bahnhofplatz 2d

In Bern Café Kairo, Dammweg 43 Café Tscharni, Waldmannstr. 17a Café-Bar das Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 Luna Llena Gelateria Rest. Bar, Scheibenstr. 39 Rest. Genossenschaft Bras. Lorraine, Quartiergasse 17 Rest. Löscher, Gotthelfstr. 29 Rest. Sous le Pont – Reitschule, Neubrückstr. 8 Rösterei Kaffee und Bar, Güterstr. 6 Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 Zentrum44, Scheibenstrasse 44 In Zürich Café Zähringer, Zähringerplatz 11 Sphères, Hardturmstrasse 66

In Rapperswil Café good, Marktgasse 11 In Schaffhausen Kammgarn Beiz, Baumgartenstr. 19

www.vereinsurprise.ch/cafesurprise Ein Projekt des Vereins Surprise.


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