Surprise 389

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Nr. 389 | 2. bis 15. Dezember 2016 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

Happy End Laila, Toufik und das Wunder von Bern



Heiraten können, wen man liebt, das sollte jedem offenstehen. So sieht es zumindest der Schweizer Rechtsstaat. Im konkreten Fall kann es jedoch zu massiven Schwierigkeiten kommen, etwa wenn einem der beiden Partner ein entscheidendes Papier fehlt. So wie dem Marokkaner Toufik, der kurz vor dem Standesamt in der Ausschaffungshaft landete. Wie er und die Jemenitin Laila doch noch zueinander fanden, ist eine filmreife Geschichte, die Dominik Galliker für uns aufgeschrieben hat, ab Seite 10. Dass Filme die öffentliche Meinung beeinflussen können, hat der britische Filmemacher Ken Loach vor Jahrzehnten mit «Cathy Come Home» bewiesen. Plötzlich war vielen in Grossbritannien klar: Wer auf der Strasse lebt, ist nicht SARA WINTER SAYILIR notwendigerweise selber schuld. Ob Regisseur Ken Loach mit seinem neuen REDAKTORIN Film über die Probleme des britischen Sozialsystems diesmal auch ein Umdenken bewirkt hat, lesen Sie ab Seite 14. Filme wirken immer dann besonders intensiv, wenn die Zuschauer sich gut in die Protagonisten hineinversetzen können. Das gilt auch für Fotografien. Die Künstlerin Eva Borner hat Schlafplätze obdachloser Menschen in Athen aufgenommen. Dabei hat sie bewusst auf Menschen im Bild verzichtet, um es dem Betrachter einfacher zu machen, sich selbst in die Bilder zu denken, ab Seite 18.

BILD: TOBIAS SUTTER

Titelbild: Julien Gregorio

Editorial Identifikationsräume

Ich wünsche Ihnen viel Spass beim Lesen und Betrachten. Sara Winter Sayilir

10 Liebe Jetzt erst recht SURPRISE 389/16

BILD: EVA BORNER

BILD: ZVG

BILD: JULIEN GREGORIO

Inhalt 04 Aufgelesen Dichter und Denker 04 Vor Gericht Muschigrapscher 05 Basteln für eine bessere Welt Vorsorgen 06 Wir sind alle #Surprise «Mit anderen Augen» 07 Challenge League «Du verdienst den Hunger» 08 Porträt Die 200-Prozent-Frau 22 Wörter von Pörtner Selbstfahrzeuge 23 Film «Sei gut. Sei höflich. Störe nicht.» 24 Kultur Stilles Wunder 26 Ausgehtipps Heisenberg haut rein 28 Verkäuferporträt «Man ist wieder wie ein kleines Kind» 29 Surplus Eine Chance für alle 30 In eigener Sache Impressum

14 Film Ist das die Wende?

18 Athen Die Unsichtbaren

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Aufgelesen News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Ständegesellschaft 2.0 Düsseldorf. Wer in Deutschland reich ist, wird ziemlich sicher noch reicher sterben. Das geht aus dem aktuellen Regierungsbericht «Lebenslagen in Deutschland» hervor. Ein Grossteil des Wohlstands kommt aus der Familie: 66 der 100 reichsten Deutschen sind durch Erbschaften reich geworden. Die Erbschaftssteuer wollen Familienunternehmer sich jedoch gern sparen: Zwischen 2011 und 2014 wurden deshalb Firmen im Wert von mehr als 144 Milliarden steuerfrei auf die Kinder übertragen.

Land der Dichter und Denker Hannover. Deutschland gibt immer weniger Geld für Schulen aus: Nur 4,2 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts fliessen in die Bildung. Wurden vor 20 Jahren noch 45 Prozent der kommunalen Gesamtausgaben in den Erhalt von Schulen investiert, waren es laut Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) 2015 nur noch rund 25 Prozent. Der Bedarf an Investitionen in diesem Bereich wird indes auf 34 Milliarden Euro geschätzt. Zwei Millionen Menschen zwischen 20 und 34 haben keine Berufsausbildung.

Kalte Fakten London. In Grossbritannien steigt die Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Allein die Stadt Manchester erlebte in den letzten fünf Jahren einen Anstieg um das Zehnfache. Hier nahm auch die Zahl der Kinder in Notschlafstellen zu: Waren es 2015 noch rund 500, fanden ein Jahr später rund 1000 Kinder Unterschlupf. Rekordzahlen verzeichnet auch Dublin, hier befinden sich derzeit rund 2000 Kinder in Notunterkünften. Im Ort Milton Keynes nahm die Wohnungslosigkeit sogar um 237 Prozent zu.

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Vor Gericht Muschigrabscher Nach Trumps Wahl gerieten in den USA einige Eltern in Erklärungsnotstand. Wie konnte so ein Mann zum mächtigsten Mann der Welt gewählt werden? Einer, der sagt: «Wenn du berühmt bist, lassen dich die Frauen alles tun. Alles, auch ihre Muschis begrabschen.» Wie soll man den Kindern da noch klar machen, dass so ein Verhalten nicht okay ist? Wenn gar eine Mehrheit der weissen Frauen für einen Muschigrabscher stimmt? Die Mädchen werden denken, mit ihnen stimme was nicht, wenn sie das nicht wollen. Und die Jungs wollen alle reich und berühmt werden. Ist man kein prominenter Baulöwe und Showstar, sondern südamerikanischer Bauarbeiter und Zirkusartist wie der Angeklagte, liegen die Dinge anders. Elf Frauen hatten den Mann wegen verschiedenen Sexualdelikten von Exhibitionismus bis Vergewaltigung angezeigt. Mehrere Opfer waren minderjährig. Der Angeklagte hatte sie auf dem Schulweg in schlüpfrige Gespräche verwickelt und dann unvermittelt geküsst. Auch spärlich besetzte Züge zu später Stunde gehörten zu seinen Tatorten. Dabei setzte er sich ungefragt neben sie, fasste ihnen zwischen die Beine, küsste sie plötzlich auf den Mund. Einer Frau folgte er auf dem Heimweg und sagte immer wieder: «Du hast einen geilen Arsch.» Die nächste verfolgte er bis ins Treppenhaus, wo er sie betatschte und nach ihrer Muschi grabschte. Die Parallelen zu Trump sind unheimlich. Es ist dieselbe Zahl Frauen, die Donald Trump bezichtigen, ganz ähnliche Dinge getan zu haben. Statt im Zug, im Flugzeug. Wie Trump lungerte auch der Angeklagte in Umkleidekabinen herum: Trump bei seinen

Misswahlen, der Angeklagte im Schulhaus um die Ecke. Apropos Umkleidekabinen, selbst die Verteidigungsstrategie des Angeklagten gleicht jener des nächsten US-Präsidenten: «Ja, es stimmt. Ich habe schon ein loses Mundwerk.» Eine Frau fragte er, ob sie nicht lieber seinen fitten jungen Schwanz hätte als den verschrumpelten ihres Mannes. Aber das sei nur Gerede, nicht ernst zu nehmen – ein Argument à la Trumps «Umkleidekabinengeschwätz». Erst seien die Taten des Angeklagten ja Bagatellen gewesen, sagt der Staatsanwalt. Juristisch gesehen hat er recht. Denn das Verhalten des Angeklagten eskalierte zur krassen Brutalität. Sein letztes Opfer war eine Prostituierte. Als diese nicht so wollte wie er und zu schreien begann, steckte er ihr Zeige- und Mittelfinger in den Hals, dass sie blutete. Dann würgte er sie, bis sie fast starb, um sie dann mehrmals zu vergewaltigen. Der Verteidiger sagt, die Prostituierte sei kein wehrloses Opfer, sondern eine abgebrühte Lügnerin. Einige der Frauen hätten hysterisch reagiert und übertrieben. Sexuelle Nötigung brauche nun mal eine gewisse Intensität, um als solche anerkannt zu werden. Er entschuldigt sich nicht. Auch Trump hat sich für sein Verhalten nie wirklich entschuldigt. Nicht dass er auf dieselbe Ebene gestellt werden soll wie ein brutaler Verbrecher. Aber er sorgt mit für ein Klima, in dem «die gewisse Intensität», die es braucht, damit ein sexueller Übergriff als solcher zählt, grösser wird. Vorläufig zählt aber vor allem das Wort der Richter: Zehneinhalb Jahre Gefängnis. Yvonne Kunz ist seit 2008 als akkreditierte Gerichtsberichterstatterin wöchentlich an den Gerichten des Kantons Zürich unterwegs.

Priska Wenger ist Illustratorin in Biel und New York. SURPRISE 389/16


ILLUSTRATION: WOMM

Basteln für eine bessere Welt Vorsorgen Wie jedes Jahr werden wir auch an diesem Weihnachten zusehen müssen, wie in Ermangelung besserer Ideen eine unermessliche Anzahl Socken als Geschenk unterm Tannenbaum landet. Gut beraten ist, wer sich schon jetzt überlegt, wie beim Öffnen der Mitleidsgaben ernsthafte Freude vermittelt werden kann. Eine Möglichkeit: jeder Socke einen Sinn geben, zum Beispiel als Reiskissen für Wärmebedürftige.

1. Sie brauchen Socken (je flauschiger, desto besser), Reis, Bindfaden, Trichter.

2. Nehmen Sie die Socke und füllen Sie

3. Binden Sie die Socke zu und verteilen Sie den Reis gleichmässig.

durch den Trichter so lange Reis hinein, bis die Socke locker gefüllt ist.

4. Legen Sie die Socke zum Wärmen in die Mikrowelle, in den Ofen oder auf die Heizung. (Vorsicht mit Temperatur und Erhitzungsdauer, sonst fängt die Socke Feuer oder der Reis wird zu Puffreis.)

5. Legen Sie die Reissocke auf den zu erwärmenden Körperteil und geniessen Sie.

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Ferenc Stojkov

steht seit geraumer Zeit vor der Arlesheimer Coop-Filiale. Recht ernst sah er aus, als er dort anfing. Heute hat er sichtlich guten Kontakt zu vielen Coop-Kunden und Passanten. Ich möchte meine Hochachtung zum Ausdruck bringen vor diesem Menschen, vor dieser Verbindung von Ernst, Freundlichkeit, Zurückhaltung bei gleichzeitg vollkommen unaufdringlicher wie selbstverständlicher Hilfsbereitschaft im Kleinsten gegenüber anderen, insbesondere älteren Menschen. W. Bonhoeffer, Arlesheim

Wir alle sind #Surprise

Stadtrundgang

war lange Zeit meine Aufheiterung nach einem mühsamen Arbeitsalltag. Ob im Anzug oder im Tenue légère, sie hat mich immer mit einem Lächeln begrüsst, und ich bin fast jeden Abend einen Umweg gelaufen, um ihr kurz «Hallo» zu sagen. Und auch jetzt, ein Jahr nachdem ich zwischenzeitlich weggezogen war, erkennt sie mich immer noch und schwatzt mit mir.

Ich möchte mich nochmals für den sehr interessanten und spannenden Stadtrundgang mit Heiko Schmitz bedanken. Wir sechs Frauen, alle im Sozialbereich tätig, waren und sind immer noch sehr beeindruckt nach zwei Stunden Führung durch ein Basel, das wir alle so nicht gekannt haben. Es wird uns noch lange beschäftigen, und wir schauen mit anderen Augen auf unsere Stadt.

Fabian Bracher, Bern

S. Denzer, Basel

Wer das Strassenmagazin kauft, tauscht mehr als Geld gegen Ware: Fast immer gibt es ein Lächeln dazu, oft werden ein paar Worte ausgetauscht – und manchmal sogar gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. Viele Leserinnen und Leser berichten uns von ihren Begegnungen mit den Verkaufenden. Und sie schreiben der Redaktion, was sie gut gefunden haben und was weniger. Wir bedanken uns herzlich für diese Rückmeldungen – und teilen hier einige davon mit Ihnen.

Haimanot Ghebremichael

Stadtrundgang

Stadtrundgang

Auf unserer Bildungsreise des Ausschusses für Sozialpolitik, Gesundheit und Pflege der Arbeiterkammer Vorarlberg besuchten wir im Oktober auch Basel. Durch zwei Stadtführungen durften wir die schöne Stadt kennenlernen. Am ersten Tag wurde uns das Basel der Reichen und Mächtigen präsentiert, die wunderschöne Bauten und Plätze hinterlassen haben. Mich hat jedoch der Soziale Stadtrundgang am folgenden Tag mehr beeindruckt. Stadtführer Markus Christen öffnete uns mit viel Professionalität die Augen für Menschen, die am sogenannten Rand der Gesellschaft leben, aber auch für Menschen, welche sich für diese engagieren. Er machte für uns die unsichtbare Armut sichtbar und zeigte uns das andere Basel, das wir viel zu gerne aus unserer täglichen Wahrnehmung ausblenden. Er erinnerte uns an unsere christliche Verantwortung. Auch die Geringsten unter uns sind Teil der Schöpfung Gottes und haben ein Recht auf Teilnahme. Armut ist keine Schande, sondern ein Versagen der Gesellschaft.

Wir möchten uns nochmals ganz herzlich für die Führung von Hans Peter Meier und Ewald Furrer in Zürich bedanken. Es war so spannend, ehrlich, spontan, vorbereitet und menschlich. Diese Einblicke und Erzählungen werden wir nicht so schnell vergessen. Es ist sehr schön, was ihr da auf die Beine gestellt habt.

E. Zucalli, Dornbirn, Österreich

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Das Team der Abteilung II, Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV, Stadt Zürich

Kadi Haliye Dirye verkauft seit Jahren Surprise in Wädenswil vor dem Migros oder Coop. Immer wenn ich ihn antreffe, wechseln wir ein paar Worte. Er fragt nach der Familie und ist immer freundlich. M. Tobler, Feusisberg

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Schreiben auch Sie uns – oder schicken Sie uns Bilder von Ihren Begegnungen mit Surprise! leserbriefe@vereinsurprise.ch oder Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel SURPRISE 389/16


BILD: ISTOCKPHOTO

Challenge League «Du verdienst den Hunger»

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Schlange stehen für ein bisschen Brot: Alltag für viele Flüchtlinge wie hier in Idomeni.

des Überlebens.» Und brach in Gelächter aus. Shorsh sprach besser griechisch als ich, er war seit vier Jahren da. Er war auch sehr kreativ und fand fast immer einen Weg aus der Krise. Nachdem er stundenlang vergeblich herumtelefoniert hatte, um irgendwo etwas zu essen aufzutreiben, sagte er schmunzelnd: «In Griechenland ist Wirtschaftskrise, und wir haben kein Geld. Wir sind doppelt in der Krise.» Am späten Abend klingelte plötzlich Shorshs Telefon. Jemand gab ihm eine Adresse durch. Ich fragte, was los sei, aber er war im Stress und meinte, wir sollten uns beeilen, das Geschäft sei nur bis 23.00 Uhr geöffnet. Er lief trotz seiner Krücke so schnell, dass es mir schwerfiel, mit ihm Schritt zu halten. Dazu rief er laut: «Es ist eine Bäckerei, die gegen Ladenschluss die Süssigkeiten und das Brot verteilt, die sie während des Tages nicht verkauft haben.» Ich stellte mir sofort einen vollen Bauch vor und lief noch etwas schneller. Als wir ankamen, standen die Leute bereits Schlange. Shorsh meinte, er könne sich wegen seiner Verletzung nicht anstellen. Ich bin eher schüchtern, und ich fand die Situation schwierig. Die meisten waren Migranten, und die Schlange bestand zu mehr als der Hälfte aus Kindern. Dem Aussehen nach zu schliessen, stammten sie aus Syrien und Afghanistan. Der Bäcker hatte begonnen, die Lebensmittel zu verteilen. Ich beobachtete die Kinder, wie

sie sich um die kleinen Tüten mit Brot und Gebäck stritten. In Gedanken versunken schaute ich zu. «Kann ich diesen Kindern etwas wegnehmen?», fragte ich mich. «Gehört es nicht mehr ihnen als mir? Wo ist die Gerechtigkeit, an die ich glauben soll? Und warum mussten diese unschuldigen Kinder überhaupt zu Migranten werden?» Plötzlich spürte ich einen Klaps auf dem Hinterkopf. Als ich mich umdrehte, sah ich Shorsh, mit ernstem Gesicht und ohne Lächeln. «Du verdienst den Hunger», sagte er. «Dir ist nichts mehr geblieben, und du überlegst noch?»

BILD: FLURIN BERTSCHINGER

Nach sechs Monaten und 17 Tagen in einem griechischen Gefängnis (siehe Surprise 388/16) kam ich im Februar 2013 frei. Eine Kampagne von Amnesty International, unterstützt durch Politiker wie den damaligen italienischen Senator Marco Perduca, hatte Wirkung gezeigt. Meine schlimmsten Befürchtungen – die Ausschaffung nach Iran und dort die Hinrichtung – waren vorerst abgewendet. Ich bekam ein Papier, das mir ein Aufenthaltsrecht von sechs Tagen in Griechenland gewährte. Ich blieb neun Monate. Nach meiner Freilassung kaufte ich ein Ticket für den ersten Bus von Komotini nach Athen, wo ich am frühen Morgen ankam. In einem Zimmer, in dem drei andere Flüchtlinge wohnten, mietete ich mich für fünf Euro pro Tag ein. Mein Geld reichte für eine Woche, danach suchte ich nach dem Schleuser, dem ich Monate zuvor 4600 Euro für den schlecht gefälschten Pass gegeben hatte, wegen dem ich schliesslich im Gefängnis gelandet war. Ich fand die Handynummer eines seiner Freunde. Der Schleuser war längst in Schweden, er zahlte mir keinen einzigen Euro zurück. Meine Familie in Iran schickte mir immer wieder Geld, obwohl sie nicht reich sind. Aber Europa ist teuer, erst Recht im Verhältnis zur damals immer schwächer werdenden iranischen Währung. Nach fünf Monaten konnte mir meine Familie nichts mehr schicken. Eines Tages in August 2013 hatte ich seit einer Woche kein Geld mehr und seit einem Tag nichts gegessen. Der kurdische Supermarkt, von dem ich auf Kredit Lebensmittel bekam, gab mir nichts mehr. Ich rief meinen Freund Shorsh an. Er sagte: «Ich habe auch seit zwei Tagen kein Geld bekommen, aber ich komme bei dir vorbei, damit wir zusammen Hunger haben können.» Ich weiss nicht, ob er vor Freude oder aus Trauer lachte, aber mit seinen zynischen Witzen brachte er auch mich zum Lachen. Shorsh war vielleicht der lustigste Mensch, den ich in meinem ganzen Leben kennengelernt habe. Er kam an mit seinen 1.65 Körpergrösse, gestützt auf eine Krücke, die fast so gross war wie er selbst. Er war zwar klein, aber sehr mutig und kämpferisch, so dass ich ihm den Spitznamen Braveheart verpasste. Bevor ich fragen konnte, sagte er: «Es ist nichts Schlimmes, nur eine Knieverletzung. Gestern haben mich ein Schleuser und seine Leute die Treppe runter geworfen, als ich nach meinem Geld fragte.» Shorsh machte sich auch gern über mich und meine Gedanken lustig: «Also mein Freund, das ist Sozialismus, was du da vertrittst», sagte er, während wir uns den Hunger und die Zeit um die Ohren schlugen. «Du hättest dir besser meine Philosophie angeeignet, die Philosophie

Der kurdische Journalist Khusraw Mostafanejad, 31, verliess 2011 seine Heimat Iran und wurde 2015 in der Schweiz vorläufig aufgenommen. Hier erzählt er Geschichten vom Fliehen und vom Ankommen.

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Porträt Die 200-Prozent-Frau Nicole Stehli macht Theater mit Flüchtlingen, mit Randständigen – und mit grosser Leidenschaft. Dafür verzichtet sie auch auf ein festes Einkommen. VON BEAT CAMENZIND (TEXT) UND PHILIPP BAER (BILD)

la. «Seit ich denken kann, habe ich mein Geld fürs Reisen gespart.» Und wenn Nicole Stehli reist, bedeutet das für sie fremde Menschen und Kulturen sowie neue Projekte kennenlernen. Sie ist selten «touristenmässig» unterwegs. Lieber hilft sie in einem Projekt für Strassenkinder in Peru oder einem Gefängnistheater-Projekt in Chile mit. Aber wie wird aus einer Sozialpädagogin eine Theaterfrau? Ganz einfach (vieles erscheint ganz einfach, wenn man Stehli zuhört): Fürs Diplom als Sozialpädagogin 2009 stellte sie einen Theaterkurs für Randständige auf die Beine. Denn sie traf bei Pfarrer Sieber viele Leute mit versteckten Ressourcen, die sie «aufblühen lassen» wollte. Die Woche verlief turbulent, die Aufführung war ein Erfolg, die Truppe wollte weitermachen. Nun hatte sie die Schrägen Vögel am Hals – so nannte sie das Theaterprojekt fortan. In langjähriger freiwilliger Arbeit kümmerte sie sich um ihre «Familie», wie sie die Gruppe nennt, doch Stehli merkte schnell, dass es mehr braucht als Liebe, um das Projekt über Wasser zu halten. Schliesslich musste sie zwei Dutzend nicht immer konzentrierte Menschen von ihren Theaterideen überzeugen und potenzielle Geldgeber zum Spenden animieren. Also absolvierte Stehli eine Ausbildung zur Theaterpädagogin, später ein Nachdiplom in Kommunikation für Non-Profit-Organisationen. «Früher war ich sehr scheu», sagt sie. «Ich traute mich in der Schule nicht, mich zu melden.» Heute hat sie diese Angst abgelegt. Sie arbeitet zwar lieber im Hintergrund, hat aber gelernt, sich durchzusetzen und abzugrenzen. Und das muss manchmal sein, denn wie in jeder Familie gibt es auch bei den Schrägen Vögeln mal Eifersüchteleien und Knatsch. Etwas ganz anderes ist die Theatergruppe Malaika, die Stehli nach einem Besuch 2012 in einem Deutschkurs für Flüchtlinge gegründet hat. Als sie in dem Kurs 200 Menschen aus aller Welt beim hochkonzentrierten Lernen zusah, dachte sie sich: «Mit diesen Leuten möchte ich

Nicole Stehli rührt bedächtig in ihrem Latte Macchiato. Sie spricht leise und schaut ihrem Gegenüber unentwegt in die Augen. Ihre eigenen sind hellblau und mit Kajal umrahmt. Unter ihrer braunen Mähne verstecken sich Ethno-Ohrringe, über dem grauen Wollmantel trägt sie einen riesigen, grau-schwarzen Schal. Es ist kalt an diesem Novembertag. Trotzdem macht es ihr nichts aus, draussen zu sitzen. Sie klammert sich an ihren Kaffee und redet. Nicole Stehli erzählt gerne aus ihrem Leben. Oft sagt sie «wir». Das ist kein Pluralis Majestatis, wie ihn Könige brauchten, um Macht zu demonstrieren. Im Gegenteil: Nichts, was sie erreicht hat, schreibt sie allein sich selbst zu. Das «Ich» verwendet sie nur bei persönlichen Fragen. Und trotzdem bekommt man das Gefühl: Die 33-Jährige ist ziemlich stolz auf ihre Karriere. Es steckt viel Energie in der kleinen Frau: Frühmorgens hat sie in Oerlikon jemandem zu einem Beschäftigungsprogramm verholfen, durchquerte die Stadt Zürich, um zuhause in Wiedikon zu arbeiten. Am Mittag erscheint sie pünktlich am Hauptbahnhof zum Interview (das «Zeitfenster» hat sie vorgeschlagen), um danach in Schlieren einen Tontechnikkurs zu absolvieren. So geht das in ihrem Leben. Dranbleiben, drauf los, durchhalten, kurz Luft holen, überlegen, weitermachen, ohne Ellbogen, einfach sehr beharrlich. Und das fing schon früh so an. «Mit 16 wusste ich, ich will mit Obdachlosen arbeiten.» Nicole Stehli war aber noch zu jung für dieses Engagement. Also kümmerte sie sich um Kinder. Sie zog vom Elternhaus in Affoltern am Albis nach St. Gallen und begann dort eine Lehre als Grossfamilienerzieherin. Auf dem ehemaligen Bauernhof lebte sie mit einer fünfköpfigen Familie, die neun Pflegekinder betreute. «Die Kinder waren zwischen zwei und zwölf Jahren alt. Ich habe viel gearbeitet, viel gelernt und war viel So geht das in Stehlis Leben: dranbleiben, drauf los, durchhalten, kurz Luft alleine mit ihnen.» Als nach zwei Jahren die holen, überlegen, weitermachen, ohne Ellbogen, einfach sehr beharrlich. Schule dichtmachte, brachte sie die Lehre an einer Schule für Kleinkinderzieherinnen zu Ende. Ihr missfiel aber der strukturierte Tagesablauf in der Krippe. «Das Theater spielen.» Gesagt, getan: Schon bald leitete sie ein zweites Theaist wichtig für die Kinder, aber nichts für mich. Ich liebe es, wenn nicht terprojekt mit rund 40 Mitgliedern. «Wenn man zu viel überlegt, macht alle Tage verplant sind.» Zudem habe sie eine «Spielplatzphobie» entman vieles nicht», sagt Stehli. Beim Flüchtlingstheater muss sie sich wewickelt, sagt sie und lacht. Also ging sie zurück nach Zürich. Denn sie niger um die Motivation der Mitglieder, mehr um sprachliche Barrieren hatte ja ein Ziel. kümmern. Der Anfang war hart, die Theaterpädagogin musste feststelStehli war nun alt genug, um mit Erwachsenen zu arbeiten. Sie heulen: «Die können ja wirklich kein Wort Deutsch.» Inzwischen hat die erte bei Pfarrer Sieber in Wollishofen an. Erst erhielt sie eine PraktiTruppe eine Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Zürich. Wenn sie kumsstelle, dann eine feste. Berufsbegleitend absolvierte sie die Ausbilsieht, wie die Menschen aufleben, gibt ihr das viel. «Das lohnt sich, dung zur Sozialpädagogin, «gezwungenermassen», wie sie sagt, denn auch wenn ich wenig Geld verdiene. Ich bin mit Leidenschaft dabei und mit Kindern wollte sie nicht mehr arbeiten und für die Arbeit mit Ergehe Risiken ein. Aber das treibt mich an.» wachsenen fehlte ihr die Ausbildung. Beim Sozialwerk Sieber blieb sie Doch mittlerweile sind Stehli ihre zahlreichen Engagements zu viel. sechs Jahre. Sie hat dort «alles» gemacht: Sekretariat, Sozialbegleitung, Bei den Schrägen Vögeln tritt sie deshalb kürzer. Neue Ideen prüft sie Sozialarbeit, «die Menschen kamen zu uns, tranken einen Kaffee, ergründlich, auch sie muss sich erholen. Das tut sie bei langen Spazierzählten von ihrem Problem, und wir haben versucht zu helfen». Später gängen, beim Gebet, einem Kaffee mit Kollegen oder beim Abendessen co-leitete sie die Notschlafstelle Pfuusbus, wieder arbeitete sie viel zu mit ihrem Freund. Und mit ihm will sie eine Familie gründen, «denn ich viel, sie brauchte eine Auszeit und verabschiedete sich nach Guatemabin ja auch nicht mehr die Jüngste», sagt sie und kichert vor sich hin. ■

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Liebe Jetzt erst recht Sie gingen zur Fremdenpolizei, um sich Papiere f체r ihre Hochzeit zu besorgen. Stattdessen landete er im Gef채ngnis. Die Geschichte einer 체berfl체ssigen Ausschaffung.

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VON DOMINIK GALLIKER (TEXT) UND JULIEN GREGORIO (BILDER)

Nervös? «Ein wenig.» Sie lacht. Verlegen. «Ich habe nichts gegessen», sagt sie, in der Hand eine Tüte mit Chicken Nuggets vom Bahnhofs-Take-Away. «Ich wollte nichts essen, bis ich sicher bin, dass alles klappt.» Der Zug fährt ein. Abfahrt 14.34 Uhr, Richtung Fribourg, Lausanne, Genève, Genève-Aéroport. «Gehen wir nach oben?», fragt Laila, 31-jährig, die Lippen geschminkt, ein mattes Pink. «Ich habe es niemandem erzählt, weisst du?», sagt sie, nachdem sie sich gesetzt hat. «Es soll eine Überraschung sein. Eine grosse Überraschung für alle. Ich werde ein Bild bei Facebook hochladen, sobald er angekommen ist.» Der Zug fährt los. Der Bahnhof zieht vorbei, dann die Reitschule, Blick auf die Aare, die Brücken. «Er hat Bern sehr vermisst», sagt sie. ***

Laila und Toufik. «Wir hatten sie zwecks Abklärung des Aufenthaltsstatus hergebeten», sagt hingegen Alexander Ott, der Leiter der Berner Fremdenpolizei. Die Beamten trennten die beiden. Laila ging in den einen Raum, Toufik wurde in den anderen geführt. Glaubte sie. Zwei Beamte befragten Laila. Sagten komische Sachen. Ob sie wisse, dass er keine Aufenthaltsbewilligung habe. Dass er nicht hier sein dürfte. Zwei Stunden lang fragten sie, erzählt Laila später. Dann hätten sie gesagt: Toufik sitzt nicht nebenan. Toufik sitze im Gefängnis, drüben, Genfergasse 22. Er sei festgenommen worden. Administrativhaft. Damit alles vorbereitet werden könne. Für die Ausschaffung. *** Laila schweigt. Der Zug hat den Genfersee erreicht, es ist bewölkt. Der Servicewagen kommt vorbei, jemand bestellt Cappuccino. Nach einer Weile sagt Laila: «Bitte schreib nichts Negatives über die Fremdenpolizei. Und über Herrn Ott. Herr Ott ist ein Freund.» Toufik sass fast drei Monate im Gefängnis, bis er nachgab. Freiwillige Rückführung nach Marrokko, 25. Februar 2016. «Lass uns über etwas anderes sprechen», sagt Laila. Nächster Halt: Lausanne. «Oh Gott, wir sind schon so nah. Nur noch eine Stunde.» Laila nimmt einen Spiegel aus der Tasche, Schminkzeug, tupft Rouge nach,

Erinnerst du dich gut an damals, Laila? Damals. Predigergasse 5. Ein Jahr ist es her. 8. Dezember 2015, um genau zu sein. Laila und Toufik hatten einen Termin bei der Fremdenpolizei. Einen guten Termin, wie sie glaubten. «Müssen wir darüber reden?», fragt Laila, isst ein Chicken Nugget. Sie hatten Vorbereitungen getroffen für ihre Hochzeit. Waren auf dem Standesamt gewesen. Bei der Sans-Papiers-Stelle. Seit anderthalb Jahren waren sie zusammen. Laila, Frauenrechtsaktivistin aus dem Jemen, war schon länger als Heiraten darf in der Schweiz jeder. Man erhält dazu sogar eine AufFlüchtling anerkannt. Toufik, Marokkaner auf der Suche nach einem besseren Leben, wohnenthaltsbewilligung. Nur die richtigen Papiere muss man haben. te im Asylzentrum. Sein Gesuch auf Asyl war Und Toufik fehlte eines. abgelehnt worden, vor mehr als einem Jahr bereits. Er war ein Illegaler, ein Sans-Papiers. obwohl es schon vorher zu viel war. Holt das Telefon hervor. Schaut Doch den Behörden fehlte ein Laissez-Passer, ein Passierschein der Manoch einmal nach. Ankunft des Zuges in Genève-Aéroport: 16.27 Uhr. rokkaner, um ihn in sein Heimatland abschieben zu können. Toufik war Ankunft des Flugs aus Casablanca: 16.20 Uhr. «Wir werden uns beeilen geduldet. Er wohnte im Asylzentrum, bestätigte täglich seine Anwesenmüssen», sagt Laila. heit mit Unterschrift, bekam 8.50 Franken Nothilfe pro Tag. Wie Hunderte andere Abgewiesene auch. *** *** Heiraten darf in der Schweiz jeder. Heiraten ist ein Menschenrecht. Man erhält sogar eine Aufenthaltsbewilligung, um zu heiraten. Nur die richtigen Papiere muss man haben. Und Toufik fehlte eines: ein «Staatsangehörigkeitsnachweis», also ein gültiger Pass. «Schau mal!» Laila kramt in der Plastiktasche, die sie bei sich hat. «Ich habe ihm ein Geschenk gekauft.» Sie zieht einen Schal hervor, schwarz, das Etikett ist noch dran. «Ich bin sicher, er hat nicht genügend warme Kleider dabei. Er vergisst das immer. In Marokko ist es so warm.» Eine Lautsprecherdurchsage unterbricht sie. Nächster Halt: Fribourg. Ausstieg in Fahrtrichtung links. Die marokkanische Botschaft wollte Toufik keinen Pass ausstellen. Illegale erhalten keinen Pass. Dafür bräuchte Toufik erst eine Schweizer Aufenthaltsbewilligung, hiess es bei der Botschaft. Für die Aufenthaltsbewilligung aber brauchte er einen Pass. Es ist dieses Dilemma, das Laila und Toufik der Fremdenpolizei erklären wollten, an jenem 8. Dezember vor einem Jahr. Die Beamten hatten sie eingeladen, um über die Hochzeit zu sprechen. So lautet die Version von SURPRISE 389/16

Toufik war 2012 erstmals in die Schweiz eingereist. Er hatte nie vor zu bleiben. In Rabat, seiner Heimatstadt, hatte er als Schreiner gearbeitet. Das Geld habe zu nichts gereicht, schon gar nicht, um eine Familie zu gründen. Die Freundin habe ihn für einen anderen verlassen, sagte Toufik bei der Befragung. Er beschloss zu gehen. Er schlich sich auf ein Schiff, entging in Montpellier der Grenzwache. Reiste nach Italien. Lebte in verlassenen Häusern oder auf der Strasse. Arbeitete als Koch, dann auf dem Markt, verdiente 30 Euro pro Tag. Kurz vor Wintereinbruch 2012 wurde er von einem Security-Mitarbeiter kontrolliert. Als er keine Papiere vorweisen konnte, musste er gehen. «Ich will einfach einen legalen Job mit festem Lohn, wie das in Europa üblich ist», sagte Toufik nach seiner Einreise in die Schweiz. «Kann ich nicht einfach ein paar Monate hierbleiben und dann, im Frühling, nach Italien zurückgehen?», fragte er. «Ich erfriere noch, wenn ich in Italien bleibe.» Das Staatssekretariat für Migration prüfte, ob es Toufik nach Italien oder Frankreich zurückschicken kann. Dublin-Verfahren CH 153652. Negativ. Toufik war dort nie registriert worden. Ihm blieben zwei Möglichkeiten: Er konnte in der Schweiz Asyl beantragen. Oder man würde ihn zurück

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nach Marokko fliegen. «Nur wenn Sie mir alles Geld der Schweiz geben, kehre ich nach Marokko zurück», sagte Toufik. Und stellte ein chancenloses Asylgesuch. In einem Land, in dem er nie hatte bleiben wollen. *** Der Zug fährt in den Bahnhof Lausanne ein. Im Gang stehen die Leute, warten, bis sich die Türen öffnen. «Hallo?» Ein Anruf aus Rabat. Eine schnelle Unterhaltung auf Arabisch. Dann bricht die Verbindung ab. «Toufiks Familie», erklärt Laila. «Sie haben ihn zum Flughafen gebracht, nach Casablanca.» Sie versucht es erneut. Keine Verbindung. «Es war ein trauriger Abschied für seine Familie», sagt Laila. «Sie hatten ihn sieben Jahre lang nicht gesehen. Er war bis zu seiner Ausschaffung sieben Jahre illegal in Europa. Kannst du dir das vorstellen? Sieben Jahre!» ***

Laila schaut auf ihr Handy, legt es zur Seite, dreht am Ring, den sie an der linken Hand trägt. Ein Ehering? «Ja», sagt Laila. «Wir sind schon verheiratet, weisst du? Nur auf dem Papier nicht.» Es gab eine Zeremonie, nach islamischer Tradition, im Asylheim in Thun. Ein grosses Fest. Einer hatte afrikanische Musik aufgelegt, alle tanzten, sogar Toufik. «Der Ring ist wirklich aus Gold», sagt Laila. «Aber aus Marokko, darum war er nicht so teuer. Toufik wusste nicht, welche Grösse ich habe. Er hat einfach den grössten gekauft.» Sie hat den Ring auf der einen Seite mit Klebeband umwickelt. Jetzt passt er. *** Betreff: Medienanfrage. E-Mail an den Migrationsdienst des Kantons Bern: Warum existiert ein Haftbefehl für einen Mann, der die längste Zeit in einer ihrer Asylunterkünfte lebt? Und warum wird er erst dann verhaftet, wenn er heiraten will? Die Antwort: «Wir bedanken uns für Ihre Anfrage und bitten Sie um Verständnis, dass wir uns zu Einzelfällen grundsätzlich nicht medial äussern.» Punkt.

Predigergasse 5, einige Wochen zuvor. Herr Ott ist Mitte 50, Kurzhaarschnitt, Schnauz, beides grau, dazu eine randlose Brille. Ein Mann mit Autorität, für die Medien stets erreichbar. *** Warum wurde Toufik festgenommen, Herr Ott? Genf, Hauptbahnhof. Kaum fährt der Zug an, steht Laila auf, greift zu «Herr S. war nach einem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid unterihrem Mantel, legt den Schal um den Hals. Noch bevor die Ansage getaucht. Es lag ein gültiger Ausschaffungsauftrag gegen ihn vor», sagt kommt: Genève-Aéroport. «Ich muss mir im Flughafen noch die Haare Alexander Ott. machen», sagt sie. Und fügt an: «Hoffentlich ist Toufik gut angezogen. Tatsächlich war Toufik zwischenzeitlich untergetaucht und nach Ich habe ihm noch gesagt, er soll sich förmlich kleiden.» Deutschland gereist. Doch dies lag lange zurück. Nach seiner Rückkehr hatte er mehr als ein Jahr lang offiziell in einer Asylunterkunft gewohnt. Wie geht das auf? «Wir sind schon verheiratet, nur auf dem Papier nicht», sagt Laila. «Fallrelevante Daten sind einer Vollzugsbehörde nicht bekannt», sagt Ott. «Wir haben jedoch Es gab eine Zeremonie im Asylheim, ein grosses Fest. Alle tanzten, vor der Anhaltung bei den zuständigen Behörsogar Toufik. den entsprechende Abklärungen vorgenommen. Es wurde bestätigt, dass der AusschafGesuch an das Staatssekretariat für Migration (SEM). Antrag auf Aktenfungsauftrag nach wie vor aktuell ist. Hätte Herr S. die notwendigen einsicht im Fall Toufik S., marokkanischer Staatsangehöriger. Nach einUnterlagen für eine Eheschliessung vorweisen können, hätte man den gehender Prüfung schickt das SEM 200 Seiten Unterlagen, stellenweise Fall neu beurteilen können. Aber Herr S. hatte keine Dokumente dabei geschwärzt. Es ist Toufiks Geschichte aus Sicht der Behörden, von der und befand sich irregulär in der Schweiz. In einem solchen Fall bleibt ersten Vernehmung bis zur Bestätigung der Ausschaffung. Daraus geht einer Vollzugsbehörde kein Ermessensspielraum. Im Sinne einer korFolgendes hervor: Im Sommer 2014 versuchte das SEM erstmals, Toufik rekten Rechtsanwendung waren wir zum Handeln verpflichtet.» auszuschaffen. Sie schickte der marokkanischen Botschaft einen Identifizierungsantrag, forderte ein Laissez-Passer. Keine Antwort. Im Januar *** 2015 reicht das SEM eine Mahnung nach. «Die betroffene Person ist nicht im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung und wird daher das Der Zug neigt sich in die Kurve. Draussen ist es jetzt klarer. Blick auf das Schweizer Gebiet unverzüglich verlassen müssen.» Keine Antwort. Den Schloss Nyon, auf den See. Es ist kurz nach 16 Uhr. «Ich habe darüber dritten Brief sandte das SEM im Mai 2015. «Wir weisen freundlich darnachgedacht, mir die Haare rot zu färben», sagt Laila. «Nicht ganz rot, auf hin, dass wir nach wie vor auf eine Antwort in dieser Angelegenheit nur so unten ein wenig.» Ein Blick aufs Handy, keine Nachricht aus Rawarten.» Keine Reaktion. Den vierten Brief schickte das SEM nicht an bat. «Aber dann fiel mir ein, dass Toufik das nicht mag. Rote Haare. Dadie marokkanische Botschaft, sondern direkt nach Rabat. Die Antwort rum habe ich es gelassen.» kommt innerhalb eines Tages: ein Versprechen der marokkanischen Behörden, man werde ein Laissez-Passer ausstellen. Das war am 12. No*** vember 2015. Nur einen Monat, bevor Toufik und Laila zur Fremdenpolizei gingen. Zu diesem Zeitpunkt konnten die Behörden noch nicht Wie habt ihr euch kennengelernt, Laila? wissen, dass die beiden heiraten wollten. Es war: ein Zufall. Im Jahr 2014 war das, im Juni. Sie waren beide in einer Asylunterkunft in Thun. Laila wartete auf ihren Asylentscheid. Sie hatte in der Schweiz ein Praktikum gemacht, bei einer Menschenrechts-Organisation. Wäh*** renddessen hatte sich in Jemen die Situation zugespitzt. Und Laila hatEndstation, bitte alle aussteigen. Laila geht über den Perron, vor der Rollte Asyl beantragt. Sie traf Toufik in einem Einkaufszentrum nahe der treppe drängen sich Leute mit Rollkoffern. 16.25 Uhr. «Vielleicht landet er Unterkunft. Alle Asylsuchenden gingen dort hin. Denn dort gab es grain diesem Moment», sagt Laila. «Okay, jetzt fängt mein Herz an zu schlatis Zugang zum Internet. Er sah aus wie ein Araber. «Auch aus dem Jegen.» Die Treppe hoch. «Okay», sagt Laila nochmal. Lacht. «Okay. Okay. men?», fragte sie. «Aus Marokko», sagte er. Und wollte wissen, wie lanOkay.» Durch die Drehtür, vorbei am Suisse Chalet, die Uhr zeigt 16.30 ge sie schon in Thun sei. «Seit vier Tagen», antwortete Laila. Er ging in Uhr. Laila steuert auf die Toilette zu. «Nur die Haare. Es dauert nicht laneinen Laden. Kam zurück. Und sagte: «Komm, ich zeig dir die Stadt.» So ge», verspricht sie. Kommt nach fünf Minuten zurück. Entschuldigt sich. war das, damals.

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Am Schluss der Beweis: Laila und Toufik sind wieder vereint. Auch auf Facebook.

Wie geht es dir jetzt, Laila? «Sobald das hier vorbei ist, schicke ich Herrn Ott einen Dankesbrief», «Gut», sagt sie. «Gut, gut. Aufgeregt.» Sie geht sagt Laila. «Es ist alles so gelaufen, wie er es versprochen hat.» voraus, Richtung Ankunftshalle. Vorbei an Leuten mit Rucksäcken, am Kaffeestand. Vor Um 17.12 Uhr versucht Laila, Toufik anzurufen. Auf seiner Schweizer dem Bildschirm bleibt sie stehen. Der Flug aus Casablanca ist der viertNummer. Ausgeschaltet. Um 17.15 Uhr geht sie zum Bildschirm. «Geoberste in der Liste. Geplante Ankunft: 16.20 Uhr. Voraussichtliche Anlandet», steht da. Zurück im Café dreht sie den Ring an ihrem Finger, kunft: 17.10 Uhr. Verspätung. schaut aufs Handy. Um 17.22 Uhr mag sie nicht mehr sitzen. Geht durch Deutlich langsamer geht Laila den Weg zurück durch die Ankunftshaldie Ankunftshalle. Der Bildschirm zeigt an, dass die Gepäckausgabe le. In einem Café nimmt sie Platz. Sie bestellt Kaffee und Kuchen, bezum Flug aus Casablanca gestartet hat. Laila geht zwischen den Warsteht darauf, alles zu zahlen. Sie schaut aufs Handy. Keine Nachricht. tenden hindurch, ganz nach vorne, an die gelbe Linie. Ihre Augen sprin«Ich werde ein Bild auf Facebook hochladen», sagt sie abermals. «Und gen hin und her, von der einen Tür, die in die Ankunftshalle führt, zur alle, die mir geholfen haben, werde ich erwähnen. Und sobald das hier anderen. Eine Frau mit Blumen kommt durch die Tür, eine Gruppe johlt, vorbei ist, schicke ich Herrn Ott einen Dankesbrief. Es ist alles so geals ein junger Mann ankommt. Laila wartet. Kommt dann nach hinten. laufen, wie er es versprochen hat.» «Vielleicht befragen sie ihn noch», sagt sie. «Die Grenzpolizei, meine ich. Glaubst du, sie befragen ihn?» Sie wartet die Antwort nicht ab, geht *** zurück an ihren Platz. Eine Frau mit gelbem Rollkoffer, eine Polizistin, dann ein Mann im Rollstuhl. Eine Frau wird vom Gatten umarmt, jeNach der Festnahme von Toufik hatte Alexander Ott Laila zu einem mand winkt, als er durch die Tür tritt. Gespräch eingeladen. Und ihr aufgezeigt, welche rechtlichen Möglichkeiten ihr blieben. Kurz darauf stimmte Toufik einer freiwilligen Rückkehr nach Marokko zu. Zurück in Rabat beantragte er einen neuen *** Pass. Er stellt bei der Schweizer Botschaft in Rabat einen Antrag für eiEs ist 17.33 Uhr, als sie Toufik sieht, irgendwo hinter dem Backpacker, ne Einreisebewilligung. Zweck: Heirat. Der Antrag wurde weitergeleider durch die Türe kommt. Sie übertritt die gelbe Linie. Geht ihm enttet, landete im Büro der Stadtberner Fremdenpolizei, Predigergasse 5. gegen. Die Dokumente wurden auf ihre Richtigkeit geprüft. Und am 12. OkEinen Monat später, am 15. November 2016, geben sich Toufik und Laitober 2016, acht Monate nach seiner Festnahme in Bern, erhielt Toufik la auf dem Standesamt in Bern das Jawort. einen Brief: Aufenthaltsbewilligung zwecks Eheschliessung. Gültig ab ■ sofort. SURPRISE 389/16

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Film Wer kennt sein Land besser – Regisseur Ken Loach oder Politiker Damian Green? «I, Daniel Blake» ist der eindrücklichste Film von Ken Loach seit «Cathy Come Home» aus dem Jahr 1966. Und sein Einfluss scheint über die Leinwand hinauszureichen. Das britische Strassenmagazin The Big Issue hat Ken Loach gefragt: Hat der Film die englische Sozialpolitik beeinflusst? VON STEVEN MACKENZIE

konkrete Auswirkungen haben wird. Mit seinem vielleicht letzten Film knöpft sich Loach das Sozialleistungssystem vor, das viele im Stich lässt. Ist es denkbar, dass die Aufmerksamkeit, die dem Film zuteil wurde, die Regierung darin beeinflusst hat, ihre Haltung gegenüber dem Sozialstaat zu revidieren?

Der Brexit hat alles verändert. Dreht sich ein Gespräch um die Zukunft, dann ist stets auch die Rede davon, was Grossbritanniens Abschied aus Europa alles nach sich ziehen wird. Der künftige Weg ist noch unerforscht, sicher ist nur: Wir alle werden die Auswirkungen des Whistleblower aus dem Arbeitsministerium Volksentscheids noch jahrelang zu spüren bekommen. Unbestritten ist Drehen wir das Rad der Zeit ein wenig zurück: Es ist November 2015. auch, dass die Abstimmung eine unmittelbare Wachablösung auf höchBenwell Grove gehört zu den typischen Reihenhausstrassen im Westen ster Regierungsebene mit sich brachte. Und die neuen Amtsinhaber von Newcastle. Vor der Kirche namens Venerable Bede steht eine Menschlagen – so zumindest macht es den Anschein – einen anderen Kurs schenschlange. Der Kirchenraum dient als lokale Spendentafel. Viele ein als ihre Vorgänger. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, die der Wartenden sind hier Dauergäste, doch heute treten sie als Statisten gesamte politische Landschaft werde dieser Tage neu choreografiert. in «I, Daniel Blake» auf. Am 13. Juli liess Theresa May in ihren ersten Leitsätzen als PremierDer Film erzählt die Geschichte des 59-jährigen Schreiners Daniel ministerin wissen, dass sie sich mit armutsbetroffenen Familien austauBlake, dem nach einem Herzinfarkt geraten wird, nicht mehr zu arbeischen wolle. Sie erklärte: «Das Leben ist mitunter ein Kampf, dessen bin ten. Gleichwohl zwingt man ihn dazu, 35 Stunden pro Woche nach eiich mir nur zu bewusst. Dementsprechend hat die von mir geführte Renem Job zu suchen, den er gar nicht annehmen kann. Um Anspruch auf gierung nicht die Interessen von ein paar Privilegierten im Kopf, sondern die Ihrigen.» Damian Green, neuer Chef des Ministeriums für Arbeit und Rente, kündigte unDer Kirchenraum dient als lokale Spendentafel. Viele der Wartenden sind längst Änderungen im Sozialwesen an. Obhier Dauergäste, doch heute treten sie als Statisten in «I, Daniel Blake» auf. schon die Richtlinien nicht drastisch überarbeitet wurden, zeigt sich: Die Tonalität ist milder Sozialleistungen zu haben, muss er dieser Prozedur Folge leisten. Zugeworden und die Rhetorik gemässigter. Der Druck, den Greens Amtssammen mit Katie, einer alleinerziehenden Mutter, die von London nach vorgänger Ian Duncan Smith sechs Jahre lang unablässig auf die SozialNewcastle gezogen ist, versucht er – und das bis zur Verzweiflung –, hilfeempfänger ausübte, hat nachgelassen. Am Parteitag der Konservatisich durchs kafkaeske System zu schlagen, das nicht nur unflexibel ist, ven, der unter dem Motto «Britische Jobs für britische Arbeiter» stand, sondern auch mit Gleichgültigkeit reagiert. waren diesen Oktober auch kritische Worte zur Lage der Nation zu verDrehbuchautor Paul Laverty hat zwölf der Filme von Loach verfasst, nehmen. Es war ein Hinweis darauf, dass wieder vermehrt gesunder darunter «Sweet Sixteen» und «The Wind That Shakes the Barley». Er Menschenverstand sowie ein einfühlsamerer Umgang mit den Bürgerinsagt über die Szene, die gerade gedreht wird und in der Katie seit Tagen nen und Bürgern, die von Armut betroffen oder bedroht sind, gefragt ist. hungert, um ihre Kinder ernähren zu können: «Solche Geschichten gibt Zufall oder nicht: In diesen Tagen kommt auch «I, Daniel Blake» ins es wie Sand am Meer. Klar, auch den Behörden darf mal ein Fehler Kino. Der Film von Regisseur Ken Loach wurde am diesjährigen Filmfesunterlaufen. Doch diese passieren derart oft, dass man nicht mehr von tival von Cannes mit der Palme d’Or ausgezeichnet und gewährt kraftZufall sprechen kann. In Tat und Wahrheit wird weiterhin eine unvolle Einsichten ins Leben im Königreich. Vor 50 Jahren erreichte Loach menschliche Kampagne gegen die verletzlichsten Mitglieder unserer Gemit seinem Film «Cathy Come Home», dass Grossbritannien das Thema sellschaft geführt.» Im Rahmen seiner Recherchen suchte Laverty im Obdachlosigkeit mit ganz anderen Augen zu betrachten begann. Der ganzen Land Spendentafeln auf. Dort traf er auf Menschen, die in einer aufmüpfige Filmemacher, inzwischen 80-jährig, ist hoffnungsvoll, dass Art «bürokratischem Stacheldraht» gefangen waren, wie er es beschreibt. auch sein neuer Streich nicht nur Aufsehen erregt, sondern wiederum

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Loachs Figuren wollen mehr sein als eine Nummer im Sozialamt: Daniel Blake und die alleinerziehende Katie.

Er setzte sich auch mit Whistleblowern aus dem Ministerium für Arbeit und Rente zusammen. Sie klagten über den Druck, der auf sie ausgeübt wurde, damit sie Sanktionen aussprechen. Massnahmen, die oft zur Folge hatten und haben, dass Betroffene selbst bei kleinsten Vergehen ihre allerletzte Einnahmequelle verlieren.

Ken Loach macht sich Gedanken über die passende Position der Kameras und der Schauspieler. Das Filmemachen hat sich in den vergangenen 50 Jahren verändert. Die Welt an sich hat sich verändert. Aber wieso bestehen ausgerechnet jene Probleme immer noch, von denen speziell Arme betroffen sind? Ken Loach sagt: «Kurz gesagt entstand der Wohlfahrtsstaat zum Zeitpunkt, als der Kapitalismus gerade zum Höhenflug ansetzte. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es viel Wiederaufbauarbeit, dementsprechend herrschte Vollbeschäftigung. Die ersten Probleme tauchten in den Siebzigerjahren auf. Thatcher gelangte mit dem Vorhaben ins Amt, die Arbeiterklasse einfacher ausbeuten zu können. Es folgten neue Gesetze, die sich gegen die Gewerkschaften richteten. In der Folge kam es zu Streiks, die die Regierung für sich entschied. Und im Nu stieg die Arbeitslosenzahl von einer halben auf drei Millionen Menschen an. Unter solchen Umständen verliert Arbeit an Wert. Wenn einer den Job nicht will, dann findet sich ein anderer, der die Arbeit zum halben Lohn macht», so Loach. «Seither hat sich die Situation nur noch verschlechtert. Während sich der Kapitalismus immer weiter-

Je stärker die Konzerne, desto schwächer die Arbeiter «Die Sanktionen sind dazu da, die Menschen mit Hunger zu bedrohen. Damit sich die Leute fügen, wird Hunger als Waffe eingesetzt», sagt Laverty. Immer wieder sei er Leuten begegnet, die nicht ausreichend zu essen hatten. «Doch ich glaube nicht, dass sich Menschen dadurch in die Arbeitswelt zwingen lassen. So macht man Menschen fertig, das ist alles.» Als die Filmszene mit Katie abgedreht ist, beginnt sich die Statistenmenge aufzulösen. Viele drängen sich um den Regisseur. Mit dem Ziel, ein Selfie mit ihm zu ergattern. «Eigentlich erstaunlich, dass hier alle wissen, wer Ken Loach ist», sagt Dave Johns, der die Titelrolle innehat. «Die vier Männer, mit denen ich eben gesprochen habe, leben im Wohnheim am Ende der Stras«Ich glaube nicht, dass man Menschen in die Arbeitswelt zwingen kann, se. Ganz normale Jungs.» Die Statisten drängen indem man sie Hunger leiden lässt. So macht man Menschen fertig, das in die Kirche, wo Tee und Kaffee bereitsteht. ist alles.» Drehbuchautor Paul Laverty Für ihren Aufwand werden die Beteiligten mit Essensgutscheinen der britischen Supermarktentwickelt, wird es wettbewerbsbedingt schwieriger, Gewinne zu erziekette Morrisons entschädigt. Dann ist es Zeit für die nächste Szene, die len. Dadurch wird der Bedarf an billigen Arbeitskräften immer grösser. sich in der Kirche selbst abspielt. Das Gotteshaus beherbergt die grösste Die Grosskonzerne streben eine uneingeschränkte Vormachtstellung an Spendentafel des Landes. Die Kirche steht in einer dicht besiedelten Ge– und das sowohl in politischer wie in international ökonomischer Hingend. Die Wohnhäuser waren für Arbeiter gedacht, die für eine der Firsicht. Je mehr Macht diese Konzerne erlangen, desto mehr Mühe hat die men am nahe gelegenen Fluss tätig waren. Während die Unternehmen Arbeiterklasse wiederum, dagegenzuhalten. Das ist eine unausweichlilängst weg sind, harren die Arbeiter oder deren Nachfahren weiterhin che Entwicklung», sagt Loach. hier aus. SURPRISE 389/16

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Wo ist die Bohnendose mit Aufreissring? Nach mehreren Szenen mit den freiwilligen Mitarbeitern der Spendentafel und den armutsbetroffenen Gästen wird es dramatisch: Scheinbar aus dem Nichts heraus krallt sich Katie, ebenso blass wie ermattet, eine Dose Bohnen, reisst sie auf und schaufelt sich den Inhalt in den Mund. Danach bricht sie erniedrigt und immer noch hungrig zusammen. Die Statisten sind sich im Unklaren darüber, wie sie reagieren sollen. Eine schockierende Szenerie. Nur langsam zeichnet sich ab, dass das Ganze geplant und der Anflug von brutaler Realität gewünscht war. Drehbuchautor Paul Laverty erklärt: «Als ich die erste Spendentafel aufsuchte, fragte ich die Betreiber nach gravierenden Vorfällen. Zeitgleich sah ich, wie eine Mutter die Bohnendosen inspiziert. Nicht, um nach einer bestimmten Marke zu suchen, sondern um eine Büchse mit Aufreissring zu finden, damit sie die Bohnen sofort runterschlingen könnte. Dann brach die Frau in Tränen aus und die freiwilligen Mitarbeiter der Spendentafel mit ihr.» Damian Green, Minister für Arbeit und Rente. Sechs Monate später ist «I, Daniel Blake» am Filmfestival in Cannes im Gespräch. Als Loach die «Palme d’Or» für seinen Film entgegennimmt, attackiert er «die gefährliche Austeritätspolitik» der britischen Regierung und erklärt: «Wir müssen endlich wieder einmal einen Blick Sie stehen einem Departement vor, das nicht gerade im Ruf steht, darauf werfen, wie grausam Unterstützungsleistungen und Sanktionen sonderlich mitfühlend zu sein. als gezielte Methoden eingesetzt werden.» Wir brauchen einen Sozialstaat, der fit fürs 21. Jahrhundert ist. EntIn einem gewissen Sinn ist der Blick für die Probleme von sozial Beworfen wurde dieser von Visionären wie dem 1963 verstorbenen Ökonachteiligten seither tatsächlich wacher geworden. Weniger als einen nomen William Henry Beveridge. Und das zu einer Zeit, in der sich der Monat nach der Preisverleihung kam es zum Brexit und – in direkter Arbeitsmarkt noch völlig anders präsentierte. In den Vierzigerjahren Folge davon – zum Abgang von David Camerons Regierung. Bei der andes letzten Jahrhunderts zeigte sich dieser noch von Männern domischliessenden Parteikonferenz der Torys glaubte man, eine Aufbruchsniert, die für eine begrenzte Periode ihres Lebens einer Vollzeitbeschäfstimmung zu verspüren. Damian Green, der neue Minister für Arbeit tigung nachgingen, dann pensioniert wurden und wenige Jahre später und Renten, kündigte nämlich an, die fortwährende Überprüfung der Arbeitsfähigkeit «Es mag vorkommen, dass wir versagen, dafür möchten wir uns entvon chronisch kranken Sozialhilfebezügern abzuschaffen. schuldigen. Doch die Fehler, die passieren, sind ganz gewiss nicht Das Ansinnen von Green, der sein Amt systembedingt.» nach eigenen Angaben «hartnäckig, aber nicht Damian Green, Minister für Arbeit und Rente hartherzig» ausüben möchte, ist begrüssenswert. Ist «I, Daniel Blake», der jetzt in den Kinos läuft und das wahnwitzige Sozialsystem Englands offenlegt, am starben. Das hat sich mittlerweile komplett geändert. Dennoch wollen Umdenken beteiligt? Immerhin legt Loach seinen Fokus genau auf jene wir an den Prinzipien des Wohlfahrtsstaates festhalten, sprich: Wir Konflikte, die Green jetzt anpacken und revidieren will. wollen den Bürgerinnen und Bürgern helfen. Es wird immer eine be«The Experience» ist ein Glasgower Freizeitzentrum, das häufig für stimmte Anzahl von Personen geben, denen es unmöglich ist, zu arKinderpartys gebucht wird. Nebst einer Go-Kart-Bahn sorgen hier Labeiten. Die Betroffenen benötigen dementsprechend nicht nur Betreuserspiele und der Rumpf einer Boeing 737 für Unterhaltung. Betreiber ist ung, sondern auch Sozialleistungen. Viele weitere Menschen könnten die schottische Wohltätigkeitsorganisation «Kibble». Sie bildet junge Arjedoch sehr von einer Arbeit profitieren. Diese müssen wir auf einen beitslose aus und vermittelt ihnen erste Arbeitserfahrungen. Damian völlig veränderten Arbeitsmarkt vorbereiten. Wirklich mitfühlend hanGreen ist hier, um mit den Lehrmeistern, den Auszubildenden und The deln wir, indem wir die Betroffenen dabei unterstützen, mit dem WanBig Issue zu sprechen. Als wir ihn auf die Parallelen zwischen seiner Podel Schritt zu halten. Denn so können wir einer möglichst grossen Zahl litik und Loachs Film ansprechen, wehrt er ab. Zwar sei ihm der Film an Menschen helfen. ein Begriff, doch gesehen habe er ihn noch nicht. In Grossbritannien gibt es zusehends mehr Teilzeitstellen und VerThe Big Issue: Herr Green, Programme, die darauf abzielen, junge träge ohne garantierte Mindestarbeitszeit. Was kann man tun, damit Menschen auszubilden und diese später in der Arbeitswelt unterzudie Leute wieder mehr Sicherheit haben? bringen, sorgen bei den Beteiligten selten für Begeisterung. Das AnDie Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Aber es lässt sich ein reaktionsgebot von «The Experience», das auch Go-Karts und Laserspiele umschnelleres Sozialleistungssystem aufgleisen. Essenziell ist, dass sich fasst, scheint jedoch Anklang zu finden. Arbeit stets lohnen soll. Früher war dem nicht immer so. Da stellten sich Damian Green: Absolut. Wenn die Leute über Ausbildungsprogramme manche Menschen die Frage, ob es sinnvoll sei, einen Job anzunehmen. und Arbeitserfahrungen sprechen, dann klingt das nie nach grosser PoSie sagten sich: «Nehme ich diese Arbeit an, dann verliere ich meine Solitik. Dabei ist es eine Riesensache, denn solche Angebote sind imstanzialleistungen und ich bin vielleicht schlechter dran als zuvor.» Selbst de, Lebensläufen eine neue Wendung zu geben. Einen Job zu haben, ist wenn es sich nur um einen Temporärjob für ein paar Monate handelte, etwas vom Besten, das einem Menschen passieren kann. Nicht nur, weil mussten sich Betroffene danach erneut durch den ganzen Anmeldungsman durch Arbeit Geld verdient, sondern weil diese uns allen Struktur prozess kämpfen, um wieder an Sozialleistungen zu kommen. Viele kaverleiht und gut fürs Selbstwertgefühl ist. men zum Schluss, das rentiert sich nicht. Wir benötigen ein Wohlfahrtssystem, in dem es Sinn ergibt, eine Arbeit anzunehmen, selbst wenn es eine befristete oder eine Teilzeitstelle ist.


BILD: JOSS BARRATT/SIXTEEN FILMS

Hat mit Sozialkritik die Goldene Palme gewonnen: Regisseur Ken Loach.

nen bloss verlieren.» Einige Dinge hätten sich aber auch verbessert: Am bisher geschäftigsten Tag der Spendentafel – kurz vor Weihnachten 2014 – standen über 1000 Menschen vor der Kirche Schlange. Ein Jahr später lag die Zahl etwa bei 700. Diese Entwicklung war jedoch nicht zuletzt den Betreibern zu verdanken, die zahlreiche Menschen bei der Lösung ihrer Probleme unterstützten und sich dafür einsetzten, dass die Betroffenen überhaupt imstande waren, ihre Ansprüche auf Sozialleistungen einzufordern. Sowohl die freiwilligen Mitarbeiter als auch die Klienten der Spendentafel hoffen, dass «I, Daniel Blake» hilft, ein anderes Bild der Menschen zu vermitteln, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Nixon sagt: «Wir sind noch so froh, wenn jemand auf die aktuelle Situation aufmerksam macht. Alles, was das Problembewusstsein der Öffentlichkeit steigert, trägt dazu bei, einer Lösung näher zu kommen.» ■ Aus dem Englischen von Michael Gasser.

Ken Loach: «I, Daniel Blake», 97 Min., Grossbritannien / Frankreich 2016, Hayley Squires, Dave Johns. Der Film läuft ab 8. Dezember in Deutschschweizer Kinos.

Eine Umfrage hat ergeben, dass die Öffentlichkeit davon überzeugt ist, mehr als ein Viertel der Sozialleistungen werde mit betrügerischer Absicht beansprucht. In Tat und Wahrheit liegt diese Zahl gerade mal bei 0,7 Prozent. Wie kommt es zu diesem Irrglauben? Weil gewisse Einzelfälle medial ausgeschlachtet werden. Es trifft zwar zu, dass es Menschen gibt, die das System auszunutzen versuchen, doch es handelt sich dabei um eine absolute Minderheit. Und wir kommen diesen Leuten stets auf die Spur. «I, Daniel Blake» fokussiert auf zwei Menschen, die von einem System im Stich gelassen werden, das ausserstande ist, auf spezifische Einzelschicksale einzugehen. In der Realität gibt es unzählige solcher Einzelschicksale. 22 Millionen Menschen in Grossbritannien erhalten vom Ministerium für Arbeit und Rente entweder eine Pension oder Sozialleistungen. Von daher wird es immer den einen oder anderen Fall geben, bei dem fehlerhaft gearbeitet wird. Das Ministerium tut sein Bestes und auch die Arbeitsvermittlungszentren sind zunehmend besser darin, den Menschen zur Seite zu stehen. Es mag vorkommen, dass wir versagen, dafür möchten wir uns entschuldigen. Doch die Fehler, die passieren, sind ganz gewiss nicht systembedingt.

Mit freundlicher Genehmigung von INSP.ngo / The Big Issue UK bigissue.com / @BigIssue

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Als ich Ken Loach wieder begegne, bin ich überzeugt, er freue sich, dass Damian Green mit dem Gedanken spielt, sich «I, Daniel Blake» anzusehen. Aber nein: «Er muss meinen Film nicht anschauen, um zu erfahren, was sich in den Arbeitsvermittlungszentren abspielt. Und falls doch, macht er seinen Job nicht richtig.» Obschon das Personal im Ministerium für Arbeit und Renten seit dem Regierungswechsel ausgewechselt wurde, glaubt Loach nicht daran, dass sich etwas bewegt hat. «Die Gesinnung ist dieselbe, und das wird sich auch nicht ändern, weil sich dahinter eine Ideologie versteckt. Diese will beweisen, dass die Armen selbst schuld an ihrer Armut sind. Wäre dem nicht so, müssten die Leute ja das System hinterfragen. Bist du arm? Dein Fehler. Hast du kein Zuhause? Nochmals dein Fehler. Von solchem Gedankengut lässt sich die Politik der britischen Regierung leiten.» Die Spendentafel in Newcastle ist die meistfrequentierte im ganzen Königreich. Ich rufe Michael Nixon an, den Betreiber der Einrichtung, und will von ihm erfahren, ob die Menschen vom Wohlfahrtssystem im Stich gelassen werden. «Das, was Paul Laverty in seinem Drehbuch beschreibt, kommt der Realität ziemlich nahe. Es ist nach wie vor ein Problem, dass die Arbeitsvermittlungszentren nicht genug Mitarbeitende haben, um genügend Zeit für ihre Klienten aufzubringen und ihnen die Situation eingehend zu erklären. Kommt hinzu, dass viele der Klienten erhebliche Mühe mit Lesen und Schreiben haben. Die Betroffenen könSURPRISE 389/16

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ALLE BILDER: EVA BORNER

Athen Die Unsichtbaren Mit der Ausstellung «Border-Crossing» widmet sich die Schweizer Künstlerin Eva Borner Wohnorten von Obdachlosen in Griechenland. Ihre Fotografien zeigen nicht die Betroffenen selbst, sondern deren Schlafplätze. Dabei wird offensichtlich, wie viel allein schon die Habseligkeiten eines Menschen über diesen erzählen können.

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Bild links: Das Haus ist inzwischen abgerissen. Damals zeichnete sich der Schlafort, der unweit des SyntagmaPlatzes gelegen ist, durch seine geradezu liebevolle Einrichtung aus. Der Betroffene hat es sich überaus wohnlich gemacht. Das lässt sich alleine am Kopfkissen mit Herzmuster und den aufgehängten Bildern ablesen.

VON MICHAEL GASSER (INTERVIEW)

Frau Borner, auf Ihrer Facebook-Seite findet sich ein «I love Greece»Bild, das jemand mit «Greece loves you too» kommentiert hat. Was verbindet Sie mit dem Land? Eva Borner: Seit 25 Jahren besuche ich dieses Land regelmässig. Und ich habe vier Jahre lang in Griechenland gelebt, erst in Santorini, dann in Athen. Seither habe ich dort gute Freunde. Die Basis Ihrer Foto- und Videoarbeit bildet die Auseinandersetzung mit der Ästhetik der Absenz. Auch Ihre neue Installation zu Schlafplätzen von Obdachlosen zeigt keine Menschen. Warum? Ich empfinde das als offener: Der Betrachter hat die Möglichkeit, sich in die Situation hineinzuversetzen – ohne befangen zu sein. Mein aktuelles Projekt «invisible people/Wenn ich weiss, wo ich bleibe» geht auf meine letzten Aufenthalte in Griechenland zurück. Bei diesen bin ich angesichts der immer grösser werdenden Anzahl von Obdachlosen erschrocken. Laut der griechischen NGO Klimika leben alleine in Athen an die 15 000 Obdachlose. Eine Zahl, die sich zwischen 2013 und 2015 vervierfacht haben soll. Wie wirkt sich das auf die Stadt und ihre Bewohner aus? Die Stimmung in Athen ist angespannt. Man spürt, dass das Land unter den erbarmungslosen Sparmassnahmen leidet. Diese haben die soziale Infrastruktur weitgehend zusammenbrechen lassen. Alle haben Geldsorgen, auch meine Freunde. Selbst diejenigen, die gut ausgebildet sind. Darunter etwa ein Professor für Ökonomie, der jetzt – wie so viele – nur noch ein Drittel seines früheren Lohnes erhält. Und das, obschon die Preise stetig steigen. Wo leben die Obdachlosen in Athen? Im vergangenen Winter fand ich in vielen Häusernischen Indizien für menschliche Behausungen. Um mich genauer zu informieren, kontaktierte ich das Athener Strassenmagazin Shedia. Ich wollte an einem ihrer von Obdachlosen geführten Stadtrundgänge teilnehmen. Man konnte mir Michalis vermitteln, einen ehemaligen Flugzeugingenieur der 2009 privatisierten Olympic Airways. Er hatte in den USA studiert, spricht perfekt Englisch und wohnt jetzt in einem Männerwohnheim. Er hat mich in die Welt der Obdachlosen eingeführt. Haben Sie gezögert, die Schlafstätten der Obdachlosen zu fotografieren? Darf man das aus ethischer Sicht? Wäre ich selbst in der Situation, wüsste ich nicht, wie ich reagieren würde, wenn jemand meine Privatsphäre fotografierte. Das gebe ich zu. Doch Michalis war der Auffassung, es sei essenziell, auf die Obdachlosigkeit in Griechenland aufmerksam zu machen und diese zu dokuSURPRISE 389/16

mentieren. Ich habe mir dies zu Herzen genommen und versucht, gut hinzuschauen. Dank meinen Begegnungen wurde mir rasch klar, auf welche Betroffene ich zugehen kann und auf welche nicht. Ich habe mich mit den Menschen unterhalten und sie gefragt, ob ich ihre Schlafplätze fotografieren darf. Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, ob und wie ich die Bilder verwenden würde. Trotzdem haben mir alle erlaubt, ihre Situation in meinen Arbeiten darzustellen. Sind Sie auch obdachlosen Frauen begegnet? Gemäss Shedia sind 30 Prozent der Obdachlosen weiblich. Doch ich muss gestehen, dass ich in den neun Monaten in Athen keiner einzigen obdachlosen Frau begegnet bin. Überrascht hat mich, wie gut ausgebildet die Betroffenen sind. Alle sprachen ein exzellentes Englisch. Bei den Gesprächen wurde mir bewusst, wie wenig es in Griechenland braucht, um auf der Strasse zu landen: Man wird entlassen, findet keinen neuen Job, und bereits zwei, drei Monate später verlieren manche ihr Dach über dem Kopf. Was zeigt sich, wenn man den Blick nicht auf die Obdachlosen, sondern auf deren Habseligkeiten richtet? Durch dieses Vorgehen wollte ich die Obdachlosen auch schützen. Ihre Situation sollte nicht rücksichtslos öffentlich werden. Und ich denke, dass alleine die Schlafplätze sehr viel erzählen. Deshalb habe ich mir auch nie die exakten Namen oder Geschichten der Bewohner notiert. Haben Sie die Fotos in irgendeiner Form inszeniert? Nein, ich habe die Situation exakt so abgelichtet, wie sie sich mir präsentierte. Insgesamt habe ich rund 50 Schlafstätten fotografiert. Und immer verspürte ich grossen Respekt davor. Nach und nach fiel mir auf, dass die Obdachlosen ihre Plätze sehr bewusst auswählen. Es waren oftmals schöne Orte, die sich durch ein auffälliges Graffito oder tolle Poster auszeichneten. In der Regel waren die Plätze überdies gut einsehbar. Durch diese Öffentlichkeit wollten die Obdachlosen wohl nicht nur sich selbst, sondern auch ihr weniges Hab und Gut schützen. Sind Sie seit dem Abschluss Ihrer Arbeit einem der Obdachlosen nochmals begegnet? Nur zu gerne hätte ich den Betroffenen die Bilder gezeigt. Doch bis auf einen waren alle bei meinem nächsten Besuch bereits weitergezogen. Wohin, weiss ich nicht. Vielleicht finde ich es diesen Winter heraus, wenn ich wieder nach Griechenland reise. ■

«Border-Crossing» (im Rahmen der Regionale 17): FABRIKculture Hegenheim, Rue de Bâle 60, Hegenheim, jeweils Sa und So, 11 bis 18 Uhr, bis zum 15. Januar 2017. Der Erlös des Projekts kommt den Betroffenen zugute. www.fabrikculture.net

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Bild oben: Dieses Bild entstand in unmittelbarer Nähe des Athener Regierungsviertels, das keine 200 Meter entfernt liegt. Die Ecke ist schattig und überdacht und befindet sich an einer stark befahrenen Strasse. Umringt ist das Bett von ehemaligen Geschäften, die ihre Tore längst geschlossen haben. Der Schlafplatz gehört einem Obdachlosen, der als Einziger länger an seinem Flecken ausgeharrt hat. Und vielleicht immer noch dort ausharrt.

Bild unten: Die Decke auf dem Bild stammt vom UNHCR, welches diese im Winter verteilte. Gut möglich also, dass sich hier ein Flüchtling eingerichtet hat. Oberhalb des etwas versteckt liegenden Betts befinden sich Büros. Das Ganze ist an einer sehr belebten Strasse situiert, die zum Monastiraki-Platz führt, dem eigentlichen Herzen von Athen.

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Bild oben: Hier lebte ein sehr junger Mann, wohl keine 25 Jahre alt. Er hatte sein Bett direkt neben einem Polizeiposten aufgestellt und liess sich durch die Beamten nie aus der Ruhe bringen. Wahrscheinlich gab ihm die Tatsache, dass sich stets Polizisten in seiner Nähe aufhielten, auch ein gewisses Mass an Sicherheit. Der junge Mann besass selber fast nichts, aber es war ihm wichtig, sein Bett unter einem schönen Graffito aufzuschlagen.

Shedia Das griechische Strassenmagazin Shedia – zu Deutsch «Floss» – gibt es seit 2013. In Athen und Thessaloniki verkaufen rund 200 Armutsbetroffene zwischen 20 und 80 Jahren pro Ausgabe mehr als 25 000 Exemplare. Damit ist Shedia eines der auflagenstärksten Monatsmagazine Griechenlands. Wie Surprise ist Shedia Mitglied des Internationalen Netzwerks der Strassenzeitungen INSP, in dem mehr als 100 Publikationen in 35 Ländern und 24 Sprachen organisiert sind. Über den gemeinsam betriebenen Street News Service stellen die Strassenmagazine sich gegenseitig Artikel und Bilder zur Verfügung. (win) www.shedia.gr, www.insp.ngo www.de.streetnewsservice.org SURPRISE 389/16

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BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Selbstfahrzeuge Wer die Lebensmitte deutlich hinter sich gelassen hat, neigt entweder dazu, die Vergangenheit so weit zu verklären, dass sie zurückwünschenswert erscheint, oder versucht durch bedingungsloses Mitmachen und Befürworten neuer Trends der unausweichlichen Zurechnung zum alten Eisen zu entgehen. Ich gebe mir Mühe, in keine dieser beiden Fallen zu tappen. Trotzdem erfüllt mich eine für die nahe Zukunft in Aussicht gestellte Erfindung mit grosser Hoffnung und Zuversicht: selbstfahrende Autos. Schauen Sie sich eine beliebige Autowerbung an. Es wird nicht oder nur am Rande mit technischen Finessen geworben. An erster Stelle stehen die Emotionen – und die sind beim Lenken eines Fahrzeuges denkbar fehl am Platz. Es gibt unzählige Möglichkeiten, Emotionen auszuleben: Beziehungen, Sport, Politik, Spi-

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ritualität, Familie. Im Verkehr verursachen sie Behinderungen, Ärgernisse und Unfälle. Wahrscheinlich werden die ersten selbstfahrenden Fahrzeuge Lastwagen sein. Kaum auszurechnen, wie viel flüssiger der Verkehr auf der Autobahn liefe, wenn sich Lastwagen nicht mehr in langwierigen Manövern überholen würden, um 60 Kilometer später mit einem Vorsprung von 15 Sekunden auf den Parkplatz einer Raststätte zu fahren. Es gäbe weder Raser noch Bummler, ein harmonischer Strom von Fahrzeugen, da Prozessoren nicht das Geschlechtsteil abfault, wenn sie nicht überholen dürfen. Interessant wird auch, wie diese selbstfahrenden Autos aussehen werden. Da die Dinger ja nur noch selten ineinanderkrachen, wäre die vorherrschende Übermotorisierung kaum mehr zu rechtfertigen – Geschwindigkeitsübertretungen würden die Hersteller aus versicherungstechnischen Gründen sowieso nicht zulassen. Im Stadtverkehr kämen alle viel besser aneinander vorbei, weil der Computer im Gegensatz zum Menschen rechnen kann: So würde der Abstand zum entgegenkommenden Auto nicht mehr mindestens einen Meter betragen, während bei den Velos auf der anderen Seite fünf Zentimeter genügen sollen. Kein Drängeln, kein Wegabschneiden, kein Abbiegen ohne Blinker und vor allem kein Erziehen der anderen Verkehrsteilnehmer mehr. Möglich, dass die menschengesteuerten Velos, Töffs und Roller dann ständig gegen die kor-

rekt fahrenden Maschinen donnern, weil sie eben immer noch emotional unterwegs sind. Die Versicherungsprämien fürs Selbstfahren würden rasant ansteigen. Bald gäbe es sogar selbstfahrende Velos oder Fahrzeuge, bei denen man mit Muskelkraft Energie einspeisen kann. Nach ein paar Jahren würde man sich nur noch kopfschüttelnd an die Zeit erinnern, in der Menschen Fahrzeuge selbst gelenkt haben, eine Tätigkeit, zu der sie entgegen weitverbreiteter und tiefster Überzeugung denkbar ungeeignet waren. Es sei denn, eben diese Überzeugung verhindert, dass sich die Selbstfahrzeuge überhaupt durchsetzen. Weil es uns schwerfällt einzugestehen, dass wir nicht die Krone der Schöpfung, sondern höchst unzulängliche Wesen sind, die notorisch dazu neigen, die eigenen Fähigkeiten masslos zu überschätzen. Ausser den paar wirklich schlauen Menschen, die in der Lage sind, Dinge wie Selbstfahrzeuge erfinden. Am besten solche, die keine Emissionen verursachen.

Stephan Pörtner ist Zürcher Veloselbstlenker aus rostfreiem Edelstahl. Von wegen altes Eisen.

Sarah Weishaupt ist freie Illustratorin aus Basel. SURPRISE 389/16


Film «Sei gut. Sei höflich. Störe nicht.» Die Schauspielerin Mirjana Karanovic´ sah man vor genau zehn Jahren in Andrea Štakas «Das Fräulein», jetzt zeigt sie mit «A Good Wife» ihr eigenes Regiedebüt. Die Protagonistinnen der Filme haben gewisse Ähnlichkeiten. Karanovic´ erklärt, wieso.

«A Good Wife», heisst Mirjana Karanovic´s Film, aber was ist das – eine gute Ehefrau? «Sie ist nett, anständig und stellt keine Fragen», sagt die serbische Regisseurin, die man bis anhin als Schauspielerin kannte. «Das ist ein sehr verbreiteter Anspruch, den Eltern an ihre Kinder haben: Sei gut. Sei höflich. Störe nicht. Bringe die Leute nicht in Verlegenheit. Aber wenn um dich herum schreckliche Dinge geschehen, kannst du nicht mehr gut sein.» Im Leben der Protagonistin Milena ist das der Moment, in dem sie auf einem alten Videoband sieht, was sie unterbewusst schon lange ahnte: Ihr Mann Vlada war als paramilitärischer Führer im Krieg an Gräueltaten beteiligt. Milena wird im moralischen Dilemma aufgerieben. Richtig wäre es, Fragen zu stellen. Richtig ist in ihren Augen aber auch: Ihre Kinder in einem stabilen Umfeld aufwachsen zu lassen und die Familie in der Gesellschaft das Gesicht wahren zu lassen. «‹A Good Wife› ist für mich eine Metapher für viele Menschen in meinem Land. Während des Krieges haben sie die politische Führerschaft unterstützt, indem sie ihr nichts entgegensetzten. Sie wählen immer wieder die gleichen Leute, um ihre eigene Sicherheit zu bewahren», sagt Mirjana Karanovic´. Sie selbst macht, was sie für richtig hält, und zeigt dabei keine Berührungsängste. Bekannt wurde sie mit etlichen Filmen Emir Kusturicas, dem damals seine Nähe zu serbischen Nationalisten vorgeworfen wurde. Nach dem Krieg war sie dafür die erste serbische Schauspielerin, die wieder in einem kroatischen Film mitspielte. Für Karanovic´ zu selbstverständlich, als dass es als politisches Statement gemeint gewesen wäre: «Die Story war gut, die Leute waren nett, ich bin Schauspielerin, ich mache meinen Job.» Auch die Frage, weshalb sie mit «A Good Wife» nun als 59-jährige Schauspielerin ein Regiedebüt vorlege, scheint sie zu erstaunen. «Ich wollte diese Geschichte so erzählen, wie ich sie sah. Ich wollte meine künstlerischen Möglichkeiten ausbauen.» SURPRISE 389/16

BILD: ZVG

VON DIANA FREI

Regisseurin und Hauptdarstellerin Mirjana Karanovic´ zeigt eine stabile Ehe auf wackligem Grund.

Daraus wurde eine sorgfältige Erzählung, die von Mirjana Karanovic´s Leinwandpräsenz lebt. Als Hauptdarstellerin scheut sie sich nicht vor Nacktheit und lässt uns über Grossaufnahmen ihres scheinbar unergründbaren Gesichts doch in das Seelenleben der serbischen Ehefrau vordringen. Wir kennen dieses Gesicht auch aus Jasmila Žbanic´s «Grbavica» und aus Andrea Štakas «Das Fräulein». Karanovic´ spielte hier Frauen, die einiges mit der Milena aus ihrem eigenen Regiedebüt gemeinsam haben: Sie versuchen, die Dinge unter Kontrolle zu behalten, und zeigen keine grossen Gefühle. Sie bemühen sich, die Vergangenheit zu verdrängen, tragen Geheimnisse mit sich herum und drohen hinter der rauen Fassade emotional zu implodieren. Ist das Zufall? «Ich mag Figuren, die ein kompliziertes Gefühlsleben haben, es aber nicht zeigen. Andrea Štakas ‹Das Fräulein› war für mich der erste Film, der verlangte, eine Figur auf diese Art zu spielen, und ich war fasziniert davon, dass es funktioniert: Du versteckst alles, und trotzdem ist es für den Zuschauer sichtbar.» Karanovic´ spielte davor meistens offene, extrovertierte Frauen, die zeigen, wer sie sind. Dass die verletzten Seelen hinzugekommen sind, liegt aber nicht nur am Interesse für die Figurenzeichnung, sondern

schlicht daran, dass solche Menschen reale Vorbilder haben: «Gefühle nicht zu zeigen, war schon ganz früh eine Überlebensstrategie. Wir sind sehr gut darin, Ärger und andere explosive Gefühle auszuleben, aber wir versuchen, unsere Schwächen zu verstecken. Das ist im Balkan sehr verbreitet und hat auch mit Kriegserfahrungen zu tun. Wir verstecken die tragischen Wahrheiten über die Generationen hinweg. Das ist der Grund vieler unserer Probleme. Dass wir so tun, als sei nichts geschehen.» In Filmen aus krisengeschüttelten Regionen wird oft deutlich, wie tief sich die politischen Konflikte in die Seelen der Menschen einfressen können. Oder, wie Karanovic´ es formuliert: «Die Menschen leben mit den Konsequenzen des Krieges, indem sie ihren emotionalen Preis dafür bezahlen.» ■

Mirjana Karanovic´ : «A Good Wife – Dobra Žena», Serbien/BIH/Kroatien 2016, 94 Min., mit Mirjana Karanovic´, Boris Isakovic´, Bojan Navojec u. a. Der Film läuft zur Zeit in den Deutschschweizer Kinos.

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BILD: TABEA HÜBERLI

BILD: ZVG

Kultur

Ornitologen brauchen Ferngläser, keine Worte.

Mal schauen, wie die drei aufeinanderprallen. Musikalisch oder körperlich.

Buch Stilles Wunder

Schlagzeug Regeln wider das Chaos

«Die Rettung» von Jane Gardam ist eine Weihnachtsgeschichte, die durch Schlichtheit berührt.

Die drei Schlagzeug-Cracks Fritz Hauser, Rob Kloet und Peter Conradin Zumthor proben derzeit intensiv für ihr Stück «Die Hintertür». Regisseur Tom Ryser verrät, wohin die gemeinsame Reise führen soll.

VON CHRISTOPHER ZIMMER

«Zwei Jungen gingen über die Brücke. Es waren etwas ältere Schüler aus der Privatschule auf der reichen Seite des Flusses. Einen Nachmittag pro Woche mussten sie sich um andere Menschen kümmern. (…) Das war eine feste Einrichtung.» So schlicht und dabei doch so präzise beginnt die kurze, von Wolf Erlbruch illustrierte Erzählung «Die Rettung» der englischen Autorin Jane Gardam. Schon allein das «mussten sie sich» macht sogleich die Ausgangslage klar. Denn die reichen Zöglinge haben eigentlich gar keinen Bock auf die Mitwirkung bei diesem Sozialprojekt. Vor allem Pratt, dem ein kleiner chinesischer Junge aus einer Schule «auf der schwierigen Seite» des Flusses zugewiesen wird. Eine echt harte Nuss, denn Henry Wu, knapp sieben Jahre alt, spricht kein Wort, weder in der Schule, noch, wie sich später herausstellt, zuhause. Das Einzige, was er stumm und beharrlich macht, ist, Tiere zu beobachten, besonders Vögel, die sich ihm vertrauensvoll nähern. Also geht Pratt mit ihm zu den Tauben und Stockenten in den Park. Er selber nutzt die Zeit zum Büffeln, den Jungen überlässt er weitgehend sich selbst. Und während der Trimesterprüfungen und Sommerferien verschwendet er kaum einen Gedanken an den Kleinen. Und doch lässt ihn die Sache nicht los. Er lernt Henry Wus chaotischen Grossfamilienkosmos kennen, fröhlich lautstarke Immigranten, die im 12. Stock eines Vorstadtblocks hausen – und mit diesen nicht nur eine andere Welt, sondern auch die wahre chinesische Küche. Und wie gross die Unterbrüche auch sind, immer wieder kehrt Pratt dorthin zurück, um den kleinen Henry Wu zu den Vögeln im Park abzuholen. Dann sieht Henry Schwäne. Staunend blickt er Pratt zum ersten Mal direkt an und will wissen, was das für Vögel sind. Jetzt beginnt die vorsichtige Annäherung der beiden sichtbar zu werden und gipfelt in einem kleinen Weihnachtswunder, das so still ist wie das Schweigen des Jungen, das stumme Einverständnis mit den Vögeln und das Band zwischen Pratt und Henry Wu, das ohne Worte auskommt. Jane Gardam: Die Rettung. Eine Weihnachtsgeschichte. Hanser Berlin 2016. 5.40 CHF

VON MICHAEL GASSER

Seit Jahren hätten Fritz Hauser und er davon gesprochen, mal gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten, sagt Tom Ryser. «Jetzt hat sich die Gelegenheit ergeben, grossartig.» Dementsprechend habe er nicht gezögert, die Regie für «Die Hintertür – Schlagzeug und Pingdugonggong» zu übernehmen. «Zumal die drei beteiligten Schlagzeuger absolute Cracks sind.» Sowohl Fritz Hauser als auch Peter Conradin Zumthor und Rob Kloet, Drummer bei der holländischen Pop-Institution The Nits, begnügen sich nicht mit der üblichen Rezeption ihres Instrumentes. Aus Sicht des ungleichen Trios sind die Drums weit mehr als simple Taktgeber. Und auch Ryser gibt zu verstehen, dass er seit je von der Wandlungsfähigkeit des Schlagzeugs fasziniert sei. Noch laufen die Proben, noch ist das Stück am Entstehen. «Meine Rolle ist die des Beobachters. Aktuell schaue ich, wie die drei aufeinanderprallen. Und das nicht nur in musikalischer, sondern auch in körperlicher Hinsicht», so Ryser. Man habe schon massig Material erarbeitet, doch jetzt geht’s darum, dieses auszufeilen. «Schliesslich soll das Ganze mehr als nur ein Konzert sein.» Um dieses Ziel zu erreichen, gelte es, die Grenze zwischen Schauspiel und Musik auszuloten. «Das kann zu Reibungen führen», sagt der Basler. Und wovon handelt «Die Hintertür»? Laut Ryser nicht zuletzt vom Raum, den ein Mensch in der Gesellschaft einnimmt. Mittels seiner Inszenierung soll ein temporeicher Abend mit stringenter Dramaturgie, aber auch mit meditativen Phasen, Irrfahrten und Wortfetzen entstehen. Ebenfalls ihren Platz haben soll die Improvisation. «Doch auch für diese existieren klare Regeln. Alles andere wäre Chaos», betont der ausgebildete Schauspieler. Tom Ryser hofft, dass der Funke, den er selbst bereits verspürt, sich bei den Aufführungen aufs Publikum überträgt. Die Zuschauer sollen sich dabei lustvoll auf die drei verschiedenen Schlagzeugwelten der Protagonisten einlassen. Wer die Beteiligten und ihre Arbeiten kennt, weiss: Das lohnt sich. «Die Hintertür – Schlagzeug und Pingdugonggong», Mi, 13. bis Sa, 17. Dezember, jeweils 20 Uhr, Postremise, Chur; Do, 5. bis Sa, 7. Januar, jeweils 20 Uhr, Gare du Nord, Basel; Mi, 11. Januar, 20.15 Uhr, Theater im Kornhaus, Baden; Fr, 13. und Sa, 14. Januar, 20.30 Uhr, und So, 15. Januar, 17.30 Uhr, Theater Ticino, Wädenswil. www.hintertuer.ch

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BILD: ISTOCKPHOTO

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Der Psychologe Walter Mischel wusste: Wer sofort zugreift, verliert im Leben.

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Alfred Rappo-Kolenbrander, Breitenbach

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Botanica GmbH, Sins

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Brother (Schweiz) AG, Dattwil

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InhouseControl AG, Ettingen

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Maya-Recordings, Oberstammheim

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noline.ch GmbH, Buus

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Imbach Reisen AG, Wanderreisen, Luzern

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mcschindler.com GmbH, Zürich

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Scherrer + Partner GmbH, Basel

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Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten

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Coop Genossenschaft, Basel

Der Echte Eibisch ist seit den Römern als Heilpflanze bekannt. Vor allem der Pflanzensaft aus den Wurzeln und Blättern wird wegen seiner hustenmildernden Wirkung eingesetzt. Die Franzosen verwendeten die Masse später nicht für medizinische, sondern für kulinarische Zwecke. Aus aufgeschlagenem Eiweiss, Zucker und eben diesem Saft stellten sie die Pâte de guimauve her, welche aber erst später als Marshmallow ihren Siegeszug als Süssigkeit antrat. Die watteähnlichen Gebilde waren einst so verlockend, dass sie in den Sechzigerjahren gar als Belohnung für psychologische Tests über die Selbstkontrolle eingesetzt wurden: Nur wer richtig willensstark ist, kann der Versuchung des sofortigen Verzehrs widerstehen. Künstliche Farb- und Aromastoffe machten dem Genuss allerdings den Garaus. Aber es ist sehr einfach, Marshmallows selber zu machen. Zuerst die Form vorbereiten: Am besten eignet sich eine 20 mal 20 cm grosse Form, welche mit neutralem Öl eingestrichen wird. Je ein Esslöffel Puderzucker und Maizena vermischen und die Form damit auspudern. Dann 2 Päckchen gemahlene Gelatine mit 150 ml kaltem Wasser in einem Topf verrühren. Ca. 2 Minuten quellen lassen. Danach unter Rühren erhitzen, kurz aufkochen und sofort unter Rühren zu 250 g Puderzucker in einer grossen Schüssel giessen. Die Puderzucker-GelatineMischung mit den Schneebesen eines Rührgeräts ca. 4 Minuten zu einer schaumigen Masse aufschlagen. Sie muss am Ende Spitzen bilden wie fester Eiweissschnee. Jetzt noch 2 Esslöffel Fruchtaufstrich in Schlieren unter die Masse ziehen und sofort in die vorbereitete Form giessen. Mit einem eingeölten Spachtel flachstreichen und eine Stunde trocknen lassen. Danach aus der Form lösen und mit dem Messer oder mit dem Guetzliförmli in die gewünschte Form schneiden. Dabei immer alles mit einer Puderzucker-Maizena-Mischung einpudern, damit die Angelegenheit nicht zu klebrig wird. Heute verwenden auch wir keinen Eibischsaft mehr. Aber Sie werden sämtliche Selbstkontrolle verlieren, wenn Sie die Marshmallows noch fruchtiger machen. Etwa indem Sie der Grundmasse ein bisschen abgeriebene Zitronen- oder Orangenschale beigeben oder die Gelatine nicht in Wasser, sondern in Fruchtsaft auflösen.

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Treuhand U. Müller GmbH, Bern

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Lions Club Zürich-Seefeld, Zürich

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Supercomputing Systems AG, Zürich

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Fraumünster Versicherungstreuhand AG, Zürich

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VXL Gestaltung und Werbung AG, Binningen

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AnyWeb AG, Zürich

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A. Reusser Bau GmbH, Recherswil

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Kreislauf 4+5, Zürich

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Thommen ASIC-Design, Zürich

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Proitera Betriebliche Sozialberatung, Basel

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Kaiser Software GmbH, Bern

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Hervorragend AG, Bern

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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

Bezugsquellen und Rezepte: http://www.piattoforte.ch/surprise

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Piatto forte Der Saft des Echten Eibischs Aus dem Pflanzensaft des Echten Eibischs hat man früher Marshmallows gemacht. Bis die Industrie dieses süsse Nichts nahezu ungeniessbar gemacht hat. VON TOM WIEDERKEHR

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Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

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BILD: LANDBOTE/H. DIENER

BILD: MICHAEL STREUN, THE GREEN BOTTLE, 2015

BILD: ZVG

Ausgehtipps

Da flutet das pralle Leben die heimische Küche.

Zürich Walverwandtschaften Die Kraft der Trommeln erwischt jeden.

Basel Haut rein Zu tief in die PET-Flasche geguckt.

Vor dem ersten Schlag, dem Zerreissen der Stille, hat jede Trommelanfängerin Respekt. Doch schon nach wenigen Tönen löst sich die Befangenheit, lockern sich die Muskeln, kommt der Spass ins Spiel. Je grösser die Gruppe, je tiefer die Trommeln, desto beeindruckender und mitreissender. Der Initiator der legendären Veranstaltungsserie «Heisenberg tanzt», Claude Karfiol, weiss um die magische Wirkung selbstgeschlagener Beats und lädt daher Gross und Klein in die Elisabethenkirche ein, um gemeinsam mit ihm und dem senegalesischen Musiker Magatte N’diaye ordentlich reinzuhauen. Sie bringen Kesselpauken, japanische Taikos und westafrikanische Djembé zum Schwingen, zusätzlich bekommt jeder Teilnehmende eine eigene Trommel zum Mitnehmen. Der Erlös der Veranstaltung geht an Amnesty International, und auch Hiphop-Altmeister Black Tiger gibt sich die Ehre und rappt für die Menschenrechte. (win) «Heisenberg tanzt – Trommelzauber», Sa, 10. Dezember, 19.30 Uhr, anschliessend Benefizdisko bis 24 Uhr, Eintritt Erwachsene 35 Fr., Jugendliche 20 Fr., Kinder (ab 8 Jahre) 10 Fr. Reservation: trommelzauber@heisenberg-tanzt.ch, www.heisenberg-tanzt.ch

Bern/Jura Wege der Kunst Entstanden sind die Cantonalen und Regionalen, die derzeit mancherorts stattfinden, aus den traditionellen Weihnachtsausstellungen. Verschiedene Ausstellungsinstitutionen bieten dabei zusammen einen Überblick über das Kunstschaffen der Region. Es lohnt sich also, eine kleine Winterreise zu machen. Für die Cantonale Berne Jura ginge diese nach Biel ins CentrePasquArt, wo man künstlerischen Ansätzen in unterschiedlichen Medien nachgeht. Nach Porrentruy, ins EAC (les halles), wo anthropomorphische, räumliche, sinnliche oder metaphysische Formensprache zum Zuge kommt. Oder nach Interlaken, wo sich das Kunsthaus auf Fotografie, Computerkunst, Video und Installationen konzentriert. Wer es gerne handfester hat, reist weiter ins Kunsthaus Langenthal: Hier wird gedruckt, gesprüht, belichtet und gesprochen, die Themen reichen vom Ornament übers Verbrechen bis hin zu persönlichen Archiven oder künstlicher Intelligenz. Im Kunstmuseum Thun widmet man sich Tag und Nacht, in La Nef in Le Noirmont zeigen die Künstler ihren Hang zu Musikalität und ihre Freude an Alpenklischees, und im Musée jurassien des Arts wird in der Stadtvilla aus dem frühen 20. Jahrhundert das Dasein des Menschen ergründet und im Neubau die Natur betrachtet. Machen Sie einen von zwei offiziellen Circuits, wenn Sie ungern alleine unterwegs sind. (dif)

Wenn das Theater etwas kann, das alle anderen Kunstgattungen nicht können, dann ist es das Ausbreiten der Seele in einem Bühnenraum. Dazu gehört, wenn der Autor gut ist, das genaue Hineinschauen in Familienkonstellationen und in individuelle Bedürfnisse. Man kann die Sintflut am Küchenfenster emporsteigen lassen und der Hausfrau einen Wal vor die Füsse spülen. Und man kann die Traurigkeit der Welt plötzlich urkomisch erscheinen lassen. Wir sehen also Rebecca dabei zu, wie sie gegen den Weltuntergang ankocht, -putzt und -bügelt, verlassen von ihrem Gatten, ihrem Sohn und bald auch von ihrer Tochter Rachel. Sie deckt den Tisch weiterhin für alle, die nicht mehr da sind. Sie verteidigt ihre Erinnerungen und ihren Stolz gegen alle herannahenden Katastrophen. Es ist ein Abend im Leben einer Hausfrau, an dem die Sintflut Fische in Rebeccas Küche spült: mit dem Wal den verlorenen Sohn, Nachbarn, den früheren Lateinlehrer und andere Wesen aus vergangenen Tagen. Der Amerikaner Noah Haidle, Meister der komischen Dialoge, hat mit «Alles muss glänzen» («The Homemaker») ein Stück über die Liebe geschrieben, über das Verrinnen der Zeit und – trotzdem – den Glauben an das Leben. Es wurde von der Zeitschrift Theater heute zum besten ausländischen Stück 2015 ernannt. Die Schweizer Erstaufführung im Theater Winkelwiese inszeniert Leiter Manuel Bürgin mit der wunderbaren Chantal Le Moign. (dif) «Alles muss glänzen», Fr, 2., So, 4., Mi, 7. bis Fr, 9. Dezember, Do, 15. bis So, 18. Dezember, Mi und Do, 21. und 22. Dezember, jeweils 20 Uhr, sonntags um 19 Uhr. www.winkelwiese.ch

«Cantonale Berne Jura», ab 4. Dezember (je nach Ort) bis Mitte/Ende Januar, Circuit 1 am So, 15. Januar, Circuit 2 am Sa, 21. Januar. www.cantonale.ch

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BILD: ISTOCKPHOTO

BILD: ISTOCKPHOTO

Man muss kein Spurenleser sein, um folgen zu können.

Wer keinen bleibenden Eindruck hinterlässt, dem kann man auch nicht folgen.

Basel Spuren nachgehen

Zürich Spuren verwischen

Die Wärmestube Soup & Chill am Basler SBB feiert ihr Zehnjähriges. Zum Anlass gibt es eine Lesung aus dem neuen sozialen Lesebuch mit zwei Lektürerichtungen: Man geht «Schritte, Wege, Eindrücke … durchs soziale Basel» von einer Seite und «Schritte, Wege, Eindrücke … durch die Welt», wenn man umkehrt. Mit Texten von Franz Hohler, Ueli Mäder, -minu, Jean Ziegler und vielen mehr. (win)

Souverän über seine Datenspuren zu bestimmen, im Zeitalter des Internets scheint das nur noch Profis möglich. Dem wollen Karl der Grosse und der Chaos Computer Club entgegenwirken und bieten Workshops zum verantwortlichen Surfen im World Wide Web. Wer unerkannt bleiben will, kommt hin. (win)

Lesung und «LiteraturSuppenKuchenBrunch», 11. Dezember, ab 11 Uhr,

Datenpolitikern und allgemeinen Netzprofis», Fr, 9. Dezember, ab 18.30 Uhr, Saal

Soup&Chill, Solothurnerstrasse 8, Basel.

im Karl der Grosse, Kirchgasse 1, Zürich. Bitte Laptop mitbringen.

«Die 1. Zürcher Dark Night. Workshopnacht mit Hackern, Programmiererinnen,

www.karldergrosse.ch

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Verkäuferporträt «Man ist wieder wie ein kleines Kind» BILD: AMI

Zeru Fesseha (34) und Sarah Tesfaldet (31) leben seit gut acht Jahren in der Schweiz. An ihrem gemeinsamen Verkaufsplatz in Allschwil sieht man Zeru nur noch selten – er ist ein nahezu mustergültiges Beispiel für eine gelungene Arbeitsintegration. Sarah hatte bisher weniger Glück. AUFGEZEICHNET VON AMIR ALI

Zeru: «Wir gingen dieses Jahr wieder mit auf den Surprise-Ausflug. Es stand das Rütli auf dem Programm. Die Fahrt mit dem Raddampfer über den Vierwaldstättersee war unser erstes Mal auf dem Wasser, seit wir mit dem Gummiboot über das Mittelmeer gekommen waren.» Sarah: «Wir hatten lange keine gute Erinnerung ans Wasser. Aber auf einem sicheren Schiff kann man so eine Fahrt sogar geniessen.» Zeru: «Wir kamen Ende 2008 in die Schweiz. Etwa nach einem Jahr machte uns eine Bekannte auf Surprise aufmerksam. Da könne man etwas dazuverdienen, sagte sie. Wir hatten damals noch den Ausweis N für Asylsuchende. Mittlerweile hat der Kanton Baselland den Heftverkauf für Leute mit diesem Status untersagt, aber damals ging das noch. Heute sind wir als Flüchtlinge anerkannt und hätten dieses Problem nicht mehr.» Sarah: «Ich fing 2010 mit dem Heftverkauf an, als ich mit unserer ersten Tochter schwanger war. Zeru fing etwa ein Jahr früher an. Wir verkauften von Anfang an am selben Platz in Allschwil. Wir teilen uns den Verkaufsplatz und die Kinderbetreuung. Mittlerweile haben wir zwei Töchter, die ältere ist im Kindergarten.» Zeru: «Am Anfang sang ich auch mit dem Surprise Strassenchor. Dort und vor allem beim Hefte verkaufen habe ich unglaublich viele Menschen kennengelernt. Sie kaufen mir nicht nur das Heft ab, sondern unterhalten sich mit mir und helfen mir weiter, wenn ich irgendwo ein Problem habe. Ich habe oft von Kunden Tipps und Informationen erhalten, wie etwas weitergehen könnte.» Sarah: «Die Fachleute bei Surprise wiederum unterstützen uns bei den grösseren Schwierigkeiten. Mir helfen sie derzeit beim Verbessern meiner Bewerbungsunterlagen. Ich bin auf der Suche nach einer Teilzeitstelle im Service, als Zimmermädchen oder als Küchenhilfe.» Zeru: «Nachdem wir eine Aufenthaltsbewilligung hatten, machte ich fünf Monate lang Deutschkurs. Später lernten wir in der Kirche in Allschwil Studenten kennen, die uns freiwillig Sprachunterricht gaben. Einmal luden sie uns Flüchtlinge an die Universität Basel ein, um Essen aus unseren Heimatländern zu kochen. Nach dem Essen tanzten und feierten wir alle zusammen. An jenem Abend lernten wir eine junge Frau kennen, die in der Ausbildung zur Pflegefachfrau war – und ich war in Eritrea auch Pfleger gewesen! Sie half mir, Bewerbungen zu schreiben. Nach 50 Bewerbungen wurde ich zu zwei Vorstellungsgesprächen eingeladen, und am Ende bekam ich ein einjähriges Praktikum in einem Pflegeheim in Binningen. Es war ein strenges Jahr: Tagsüber arbeitete ich im Heim, und abends besuchte ich entweder den Kurs ‹Lehreingang in die Pflege› des Schweizerischen Roten Kreuzes oder den Deutschkurs. Und daneben verkaufte ich Surprise. Nach dem Praktikum bot mir das Pflegeheim eine Vollzeitstelle als Pflegehelfer an, und mittlerweile arbeite ich seit etwa vier Jahren dort.» Sarah: «Ich hatte weniger Glück. Im Sommer 2015 begann ich ein Praktikum als Service-Mitarbeiterin in einem Integrationsprojekt hier in Basel, wo alle Mitarbeitenden Flüchtlinge sind. Am Anfang war alles gut, ich bekam einen Vertrag für ein Jahr. Aber dann begannen die Probleme: Im Arbeitsplan, den der Chef machte, kamen unsere Ferien nicht vor, später verlangte er, dass wir ihm unser Trinkgeld aushändigen. Und

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schliesslich hinterging er mich, als ich eine richtige Stelle bekommen hätte. Es kamen nämlich oft Gastronominnen zum Essen, die sich bei uns nach Personal umschauten. Als mich eine von ihnen einstellen wollte, sorgte er dafür, dass jemand anders die Stelle bekam. Mein Vertrag ist jetzt zu Ende, und ich bin froh darüber. Auch wenn es nicht leicht wird, etwas Neues zu finden.» Zeru: «Mit meinem Job haben wir es geschafft, von der Sozialhilfe wegzukommen. Es ist zwar sehr knapp, aber es reicht gerade so. Umso wichtiger wäre es, dass Sarah auch ihren Teil beisteuern kann.» Sarah: «Kürzlich habe ich einen Kurs beim RAV gemacht, wo wir lernten, bessere Bewerbungen zu schreiben. Und wie gesagt, hier bei Surprise bekomme ich auch Hilfe.» Zeru: «Wenn du in ein fremdes Land kommst, dann verstehst du anfangs gar nichts. Weder die Sprache noch die Mentalität der Menschen. Man weiss nicht, wie man auf diese oder jene Aufforderung oder Rechnung reagieren muss. Und man weiss nicht, was man tun muss, um eine Arbeit zu bekommen. Man ist wieder wie ein kleines Kind. Und Surprise ist so etwas wie unsere Eltern hier. Das gilt für die Kundinnen genauso wie für die Angestellten.» ■ SURPRISE 389/16


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

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Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

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Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der Deutschschweiz um den Titel des Schweizermeisters. Einige Spieler nehmen am Homeless World Cup teil. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren.

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.

Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsleitung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (Mitglied der Geschäftsleitung), Jannice Vierkötter (Mitglied der Geschäftsleitung) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami), Beat Camenzind (bc), Diana Frei (dif), Simon Jäggi (sim), Thomas Oehler (toe), Sara Winter Sayilir (win, verantwortlich für diese Ausgabe), redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Florian Burkhardt, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Khusraw Mostafanejad, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Philipp Baer, Dominik Galliker, Michael Gasser, Julien Gregorio, Steven Mackenzie Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 31 400, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising, Kommunikation T +41 61 564 90 50 Svenja von Gierke (Leitung), Zaira Esposito, Katrin Pilling Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83/85 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Sara Huber, Christian Sieber, Kanzleistr. 107, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Vertriebsbüro Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Barbara Kläsi, Alfred Maurer Scheibenstrasse 41, 3014 Bern, bern@vereinsurprise.ch Café Surprise T +41 61 564 90 50 Zaira Esposito (Leitung), z.esposito@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40 Paloma Selma (Leitung), p.selma@vereinsurprise.ch Strassenfussball T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach), d.moeller@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Basel T +41 61 564 90 40 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Paloma Selma (Koordination), rundgang@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Zürich T +41 44 242 72 14 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Carmen Berchtold (Koordination), rundgangzh@vereinsurprise.ch Vereinspräsident Beat Jans Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt: Spendenkonto PC 12-551455-3 SURPRISE 389/16


Gutes tun – sinnvoll schenken!

Surprise bietet armutsbetroffenen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe. Mit Geschenken von Surprise unterstützen Sie uns dabei.

Gibt neue Perspektiven: ein Sozialer Stadtrundgang Die Surprise Stadtführer erzählen persönliche Geschichten aus ihrem Alltag als Obdachlose und Armutsbetroffene in ihrer Stadt. Verschenken Sie einen anderen Blick auf Basel oder Zürich. Geben einen coolen Look: eine Tasche, eine Mütze, ein Cap oder ein Handtuch Eine Mütze oder ein Cap für jede Jahreszeit, eine Tasche mit schönem Design oder ein farbenfrohes Handtuch – schenken Sie Mehrwert von Surprise. Unsere Mützen, Taschen und Caps gibt es in diversen Farben.

Gibt Gesprächsstoff: ein Surprise Jahresabo Das Surprise Strassenmagazin liefern wir gerne alle zwei Wochen in den Briefkasten. Auch im Abo unterstützen Sie unsere Arbeit. Gibt Einblicke: das Buch «Standort Strasse» Das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» porträtiert zwanzig Surprise-Verkaufende und zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen.

CHF 37, Anzahl ______

Ja, ich möchte sinnvoll schenken und bestelle

Buch «Standort Strasse»

Sozialer Stadtrundgang Basel: pro Person CHF 15, Anzahl ______ Gruppe bis 20 Personen CHF 250 Zürich: pro Person CHF 30, Anzahl ______ Gruppe bis 20 Personen CHF 300 (Rabatt für Lernende und Auszubildende)

Surprise Tasche CHF 45, Taschenfarbe: schwarz orange grün blau rot Farbe Surprise-Schriftzug: schwarz weiss silber Farben solange vorrätig. Wir sind dabei unser Sortiment umzustellen!

Surprise Jahresabo 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189 (Inland)/CHF 229 (Europa) Gönner-Abo CHF 260

Surprise Mütze Aktionspreis CHF 21 Surprise Cap Aktionspreis CHF 11

rot

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beige

schwarz

Surprise Handtuch Aktionspreis CHF 38 Anzahl ______

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift 389/16

Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, Spendenkonto PC 12-551455-3 SURPRISE 389/16

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