Nr. 391 | 6. bis 19. Januar 2017 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.
Du darfst! Die Geschichte einer Befreiung vom Schlankheitsdiktat
#Vendor Week Surprise auf Tour – Kommen Sie vorbei! 6. bis 10. Februar 2017 Eine Woche pro Jahr stellen wir mit öffentlichen Aktionen die Lebenswelt der Verkaufenden des Strassenmagazins in den Mittelpunkt. Damit beteiligt sich Surprise an der weltweiten Vendor Week des Internationalen Netzwerkes der Strassenmagazine. Dieses Jahr sind wir unter dem Motto «Begegnungen im öffentlichen Raum – zusammen unterwegs gegen soziale Ausgrenzung» mit einem VW-Bus auf Tour.
Unsere Tour Montag, 6.2. Basel, Barfüsserplatz | Dienstag, 7.2. Basel, Claraplatz (17 Uhr Auftritt des Surprise Strassenchors) | Mittwoch, 8.2. Bern, Waisenhausplatz | Donnerstag, 9.2. Zürich, St. Jakobskirche | Freitag, 10.2. Zürich, St. Jakobskirche (17 Uhr Auftritt des Surprise Strassenchors)
Kommen Sie vorbei, lernen Sie unsere Verkaufenden kennen und erfahren Sie mehr über ihre Geschichten.
Jeweils von 9 bis 17 Uhr Weitere Informationen auf vereinsurprise.ch oder auf facebook.com/VereinSurprise
Wir freuen uns auf Sie.
Ist gut. Kaufen! Trendige Surprise Taschen in bunten Sommerfarben! Gemeinsam mit dem Secondhand-Shop Zweifach aus Basel haben wir diese trendigen Surprise Taschen entworfen! Die Taschen werden umweltfreundlich aus nicht mehr gebrauchten Lastwagenplachen genäht und mit Autogurten versehen. Sie sind geräumig und verfügen innen über ein grosses Zwischenfach. Erhältlich sind sie in den Farben Rot, Blau, Grün, Orange und Schwarz. Je nach Vorrat kann die Lieferung bis zu drei Wochen in Anspruch nehmen. Zweifach ist ein Betrieb der Eingliederungsstätte Baselland und bietet jungen und erwachsenen Menschen mit einer Behinderung die Möglichkeit, im beruflichen Alltag Fuss zu fassen. Tun Sie sich, Zweifach und auch Surprise etwas Gutes und bestellen Sie noch heute Ihre Tasche in Ihrer Lieblingsfarbe!
Surprise City-Taschen (24,5 x 35,5 cm); CHF 45.– (exkl. Versandkosten) schwarz orange grün blau rot
Der Surprise Schriftzug soll folgende Farbe haben schwarz weiss silber
Farben nur solange der Vorrat reicht. Wir sind dabei unser Sortiment umzustellen.
Anzahl Taschen
Vorname, Name
Telefon
Strasse
PLZ, Ort
Datum, Unterschrift 391/16
*gemäss Basic 2008-2. Seite bitteMACH heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch
Das Wort «normal» benutzen wir häufig. Dafür ist es allerdings ziemlich schlecht definiert. Wir können kaum sagen, was wir eigentlich als normal empfinden – wir wissen nur, was nicht normal ist. Trotzdem beeinflussen uns Normen stark. Wir glauben sie zu benötigen, um einen allgemeinen Konsens zu erlangen, aus dem wir uns eine kollektive Identität basteln können. Dabei geht vergessen: Es gibt nicht das eine Kollektiv. Jeder einzelne von uns ist zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenen Bereichen des Lebens Teil von Gruppierungen – oder eben auch nicht. Vielfalt ist der Normalzustand. Und nichts ist vielfältiger als unsere Körper. Dick, dünn, gross, klein, alles ist AMIR ALI normal. Besonders für junge Menschen aber – und besonders für junge Frau- REDAKTOR en – scheint diese Erkenntnis heutzutage etwas zu sein, was sie sich erst erkämpfen müssen. Ab Seite 10 lesen Sie die Geschichte der jungen Schweizerin Morena Diaz, die einst ihren Vorbildern in den Sozialen Medien nachhungerte – und heute für ihre Bauchröllchen auf Instagram gefeiert wird. Dass wir ausgerechnet bei der Intimität unserer Körper einer Norm unterworfen sind, die nahezu jeden scheitern lässt; dass sich unser Schönheitsideal alternativlos gibt und dabei alle bis auf wenige ausgrenzt – ich glaube sagen zu dürfen: Das ist nicht normal.
BILD: TOBIAS SUTTER
Titelbild: Jérôme Egloff
Editorial Kollektiv divers
Ich wünsche Ihnen einen guten Start ins neue Jahr. Amir Ali
10 Körperkult Morenas Befreiung SURPRISE 391/17
14 Psychiatrie Offene Türen
BILD: JENNIFER BRAUN
Frieda* ist 55 Jahre alt. Mit 16 musste sie zum ersten Mal in die Psychiatrie. Sie hatte eine Psychose. Sie beschreibt den Verlauf so: Ich wurde ganz anders, wusste nicht, was geschieht, war wie weg und habe geschrien. Mein Vater kam ins Zimmer, ich dachte, er sei ein Polizist. Ich hörte alle Anwesenden reden, verstand aber nicht, was sie sagten. Bei späteren Schüben tobte ich so lange, bis die Pfleger kamen. Zu zehnt hielten die mich fest und spritzten Haldol ins Gesäss. Ab und an musste ich in die Isolierzelle. Das ist schlimm. Da musste ich bleiben, bis ich mich beruhigt hatte. Zum Glück kam manchmal ein Pfleger vorbei, um eine zu rauchen.
BILD: WOMM
BILD: JÉRÔME EGLOFF
Inhalt 04 Aufgelesen Kinder in Skid Row 04 Vor Gericht Die Möchte-Gang 05 Die Sozialzahl Verschiebungen 06 Challenge League Einfach reich 07 Hausmitteilung Danke! 08 Porträt Er spricht aus Erfahrung 22 Wörter von Pörtner Alte Kämpfer 23 Film Der Tonmeister 24 Kultur Mensch mit Kamera 26 Ausgehtipps Grotesk in Aarau 28 Verkäuferinnenporträt Meryem Menur 29 Surplus Eine Chance für alle 30 In eigener Sache Impressum
16 Stadtrundgang Lernen von den Berbern
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Aufgelesen News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
Im Ozean Berlin. Rund 18 000 Plastikteile schwimmen laut einer Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen in jedem Quadratkilometer der Ozeane. Jährlich sterben etwa 100 000 Meeressäuger und über eine Million Seevögel durch den schlecht abbaubaren Müll. Deshalb setzen Experten nun auf einen neuen Lösungsansatz: Anstelle von Recycling propagieren sie Precycling, nämlich die Entstehung von Abfall generell zu vermeiden.
Auf der Strasse Denver. 3691 Menschen lebten laut städtischen Angaben 2016 im Stadtteil Skid Row in Downtown Los Angeles auf der Strasse. Damit hat der Stadtteil eine der grössten Obdachlosigkeitsraten des Landes. Die Los Angeles Union Rescue Mission ist eine der grössten privaten Obdachlosenunterkünfte vor Ort. Bis zu 1100 Menschen finden hier Unterschlupf. Derzeit sind die Mehrheit der Schutzsuchenden Frauen und Kinder, ein Novum in der 125-jährigen Geschichte der Organisation.
In der Schuldenfalle Hamburg. Jeder zehnte Deutsche hat Geldprobleme. Über 6,8 Millionen Menschen gelten in der BRD als überschuldet, das sind 1,9 Prozent mehr als im Vorjahr, wie der Schuldneratlas der Wirtschaftsauskunft Creditreform Auskunft gibt. In Hamburg betrifft dies 157116 Menschen. Als überschuldet gilt, wer seine Zahlungsverpflichtungen über längere Zeit nicht erfüllen kann. Die durchschnittliche Schuldenhöhe liegt bei 34 300 Euro, das entspricht rund 37 000 Franken.
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Vor Gericht Alles wegen nichts Frage an den Angeklagten: «Was machen Sie?» Antwort: «Nix. Nüt. Nada.» Nirgendwo hört man das Wörtchen «nichts» so oft und in so vielen Sprachen wie vor Gericht. Wellington* hat auch schon vor anderthalb Jahren «nix» gemacht. Und was tut ein Nichtstuer, wenn ihm langweilig ist? Er raucht mit seinen Kumpels erst mal einen Joint. Dann steigen sie ins Auto, bewaffnet mit einer SoftAir Pistole, einem Messer und allerlei Ganoven-Werkzeug. Sie fahren ziellos durch die Agglo. Beim Parkplatz eines Restaurants halten sie an. «Lasst uns durchs Fenster einbrechen.» Die beiden Mitfahrer gehen auf Wellingtons Idee ein, sie wollen keine Loser sein. Die zwei Minderjährigen wurden separat vors Jugendgericht gestellt. Nun muss sich der 23-jährige Wellington vor Bezirksgericht verantworten und sitzt da wie ein hilfloser Bub, der etwas ausgefressen hat: kleinlaut und eingeschüchtert. Neben Langeweile war es auch «Dummheit», wie der gebürtige Dominikaner einräumt. Schliesslich fuhrwerkten zwei von ihnen, während einer Schmiere stand, sage und schreibe 30 Minuten lang am vergitterten Fenster herum: Sie versuchten, mit einem Bolzenschneider das Gitter aufzuschneiden, mit einem Akkuschrauber das Schloss aufzubohren, mit dem Brecheisen das Fenster aufzubrechen. Doch all das half nichts. Wellington gesteht kleinlaut: «Wir wollten es mit Gewalt versuchen. Aber wir waren zu bekifft und hatten keine Kraft.» Die Männer packen das Werkzeug wieder ein, als plötzlich ein Auto kommt. In Panik rennt Wellington gegen einen Zaun: «Ich habe mir Jacke und Hose zerrissen.» Das Trio versteckt sich hinter
einem Gebüsch. Und als die Luft wieder rein ist, packen sie fertig ein und fahren davon. Am Ende der Strasse wird ihr Wagen bereits von einer Polizeistreife angehalten. Die Beamten durchsuchen das Fahrzeug, finden den Werkzeugkasten, das Brecheisen, den Bolzenschneider, ein 17 Zentimeter langes Messer, in der Ablage der hinteren Türablage die Pistole sowie unter dem Sitz 10,3 Gramm Marihuana. Noch am selben Abend legen die drei jungen Männer, allesamt vorbestraft, bei der Polizei ein vollumfängliches Geständnis ab. Das Marihuana nimmt Wellington auf seine Kappe. Er hat inzwischen auch für ein Jahr den Führerschein abgegeben und wird, um diesen wieder zu bekommen, einen «Idiotentest» ablegen müssen. Das weitaus grössere Problem stellt jedoch die Tatsache dar, dass beim Versuch des Diebstahls Waffen involviert waren. Dass die Waffen die ganze Zeit im Auto lagen, reicht dem Richter nicht aus: «Sie hätten sich der Waffe jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand bedienen können, das reicht. Und sie hatten Munition dabei.» Der jüngste der Bande, ein 17-jähriger Brasilianer, hatte Pistole und Messer mit sich geführt. Unter Berücksichtigung aller Umstände und in Anbetracht der Tatsache, dass der Diebstahl gescheitert war, übt der Richter gleichwohl Milde: Er verurteilt Wellington, der den Diebstahl initiiert hatte, zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 12 Monaten und einer Busse von 500 Franken. Und das alles für nichts. * Name geändert Isabella Seemann ist freie Journalistin in Zürich und porträtiert monatlich die kleinen und grossen Fische, die es in die Gerichtssäle geschwemmt hat.
Priska Wenger ist Illustratorin in Biel und New York. SURPRISE 391/17
BILD: WOMM
Politische Überzeugungen
1995 und 2015 in Prozent
)
der Bevölkerung (18 und älter
alausgaben
Für eine Erhöhung der Sozi
alausgaben
Für eine Verringerung der Sozi Für den EU-Beitritt Gegen den EU-Beitritt
änder/-innen
Für gleiche Chancen für Ausl
weizer/-innen
Für bessere Chancen für Sch
Wirtschaftswachstum Umweltschutz wichtiger als als Umweltschutz Wirtschaftswachstum wichtiger euern
Hohe Einkommen höher best
euern
Hohe Einkommen tiefer best
0 1995
Die Sozialzahl Verlagerte politische Überzeugungen Regelmässig versuchen Meinungsforscher zu erkunden, wie Stimm- und Wahlberechtigte entscheiden und wählen würden, wenn sie jetzt zu anstehenden konkreten Vorlagen und Personen Ja oder Nein sagen müssten. Die Prognosen sind in letzter Zeit nicht sehr treffsicher ausgefallen, wie der Wahlsieg von Donald Trump in den USA, der Entscheid über den Brexit in Grossbritannien oder das knappe Ja zur Masseneinwanderungsinitiative in der Schweiz aufgezeigt haben. Aussagekräftiger sind hingegen Befragungen, die jenseits der Tagesaktualität nach den Haltungen zu grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Fragen suchen. Hier werden langfristige Verschiebungen in den politischen Überzeugungen besonders gut sichtbar. Damit diese Verlagerungen in ihrer Bedeutung besser eingeschätzt werden können, ist zu beachten, in welcher sozialen Lage sich die Befragten zum Zeitpunkt der Umfrage befanden. Vergleichen wir also die politischen Überzeugungen von 1995 und 2015, so ist sich beispielsweise in Erinnerung zu rufen, dass die Schweiz sich vor 20 Jahren in einer wirtschaftlichen Krise mit rekordhohen Arbeitslosenzahlen befand, während heute eine eher verhaltene, aber immer noch positive Entwicklung des Arbeitsmarktes zu beobachten ist. Zu einigen zentralen gesellschaftspolitischen Fragen haben sich die politischen Überzeugungen weiter akzentuiert: So sind heute deutlich mehr befragte Personen der Ansicht, dass der Umweltschutz wichtiger ist als Wirtschaftswachstum, und eine Mehrheit ist der Meinung, dass hohe Einkommen höher besteuert werden sollten. Die Resultate sind auch bei näherem Hinsehen erstaunlich robust. So sind die Meinungsunterschiede zwischen Jung und Alt relativ gering. Von einem Generationenkonflikt kann keine Rede sein.
h: Seismo Verlag
ht 2016: Wohlbefinden. Züric
r et al. (Hrsg) (2016): Sozialberic
Quelle: Quelle: Franziska Ehrle
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70 80 90 100 10 20 30 40 50 60
2015
dass Fragen zeigen hingegen an, Drei gesellschaftspolitische sind So . sind elt eiss in Stein gem Mehrheitsmeinungen nicht s das t, ich Ans der der Befragten heute weniger als die Hälfte n alte erh n nce Cha n der die gleiche Ausländerinnen und Auslän t bildet und Schweizer. Das Resulta en inn sollten wie Schweizer länderaus n che auch in zahlrei jene Polarisierung ab, die sich der gewie er der letzten Jahre imm politischen Abstimmungen zeigt hat. ge, zu denken geben: Auf die Fra Ein weiteres Resultat muss rten wo ant Sozialausgaben seien, ob sie für eine Erhöhung der weJa. Dies sind fast 13 Prozent nur noch knapp ein Drittel mit t zen Pro gekehrt sind heute fast 30 niger als vor 20 Jahren. Um soll usgaben verringert werden der Ansicht, dass die Soziala en ich s die veränderten wirtschaftl ten. Man darf vermuten, das beMeinungsänderung wesentlich Rahmenbedingungen diese ist, nicht leicht zu beantworten einflussen. Dass diese Frage ent kt Pun sem die zu ragten, die zeigt der hohe Anteil an Bef oder sich dazu nicht äussern weder keine Meinung hatten sste nicht ganz 40 Prozent die grö wollten. Sie bilden 2015 mit Gruppe. enzerinnen und Schweizer geg Bei der Haltung der Schwei te ulta Res die en schliesslich lass über der Europäischen Union hen itisc pol n che Von einer eigentli der Befragung keine Zweifel. p. Waren 1995 noch eine kna sein e Umkehr muss hier die Red te heu sind so einen EU-Beitritt, pe Mehrheit der Befragten für die uns wir n. Vergegenwärtigen zwei Drittel dezidiert dagege Europäischen Union und ihr der aktuellen Entwicklungen in der die zukünftige Ausgestaltung Ringen mit der Schweiz um ses die hen Beziehungen, vermag wirtschaftlichen und politisc rraschen. Ergebnis nicht wirklich zu übe lanung, Dozent am Institut Sozialp Prof. Dr. Carlo Knöpfel ist hschule Hoc der lung wick tent und Stad Organisationaler Wandel iz. hwe stsc dwe Nor hhochschule für Soziale Arbeit der Fac
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BILD: FLURIN BERTSCHINGER
Challenge League Am goldenen Ufer
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«Stress lenkt vom richtigen Denken ab», findet Ismail Bajrami.
Ismail und ich diskutieren oft über Geld und die Wirtschaft. Unsere Meinungen gehen auseinander: Er findet, man müsse alle Gelegenheiten zum Geld verdienen nutzen, die einem sein Netzwerk bietet – ich finde, das wäre rücksichtslos anderen Menschen gegenüber. Ismail hatte als Jugendlicher Stress, er habe damals «seine Zeit verschwendet», sagt er. Jetzt will er sie produktiv nutzen: «Beim Autofahren höre ich immer meine Hörbücher über Finanzen und Wirtschaft statt Musik.» Er empfiehlt ein ruhiges Leben: «Wer gestresst ist, kann nicht erfolgreich sein. Stress lenkt vom richtigen Denken ab.» Er wisse, wovon er spreche. Ismail wohnt jetzt an der Zürcher Goldküste und hat eine Niederlassungsbewilligung. Im
März 2017 steht der Test für seine Einbürgerung an. Und er hat Pläne, nicht nur mit seiner Firma: Bajrami will ein Buch über seinen Erfolg schreiben. Er spricht den Titel mit Stolz aus: «Reich werden ist einfacher als arm bleiben.»
BILD: FLURIN BERTSCHINGER
Im März 2014 fing ich mit dem Deutschkurs C1 an und habe dort Ismail Bajrami kennengelernt. Mit seinem roten Gesicht und dem braunen Haar sieht der heute 35-Jährige aus wie ein Mitteleuropäer und nicht wie vom Balkan. Er ist schnell und schlagfertig im Gespräch, reagiert immer sofort auf die Worte des Gegenübers. Er ist zwar kritisch, aber mit seinem Lächeln zieht er die Menschen an. Wir sitzen in einem Restaurant in der Goldküstengemeinde Herrliberg, Ismails Blick ruht auf dem Zürichsee. Fast schon senkt sich die Abenddämmerung, man sieht die Lichter auf der anderen Seite. «Wie immer das Ingwergetränk», sagt er dem Kellner. Auf dem Smartphone sucht er nach der Online-Ökonomenkonferenz, an der er teilnimmt. Als die Getränke da sind, beginnt er mit seiner Geschichte: Mit 15 war er zwei Monate zu Besuch in der Schweiz. Zürich habe ihm damals gefallen. Jahre später lernte er seine zukünftige Frau kennen. Sie ist ebenfalls ursprünglich Mazedonierin, wuchs aber in Zürich auf und war damals auf Heimaturlaub. 2003 heirateten sie, kurz darauf kam Bajrami in die Schweiz. Er erhielt eine B-Bewilligung, die ersten sechs Monate war er arbeitslos. Dann fing er als Gipser bei einer Firma in Zürich an, danach wurde er Fahrer in derselben Firma. «Nach drei Jahren wurde ich entlassen. Wegen Führerscheinentzugs», lächelt er. Kurz darauf fand er wieder Arbeit, diesmal als Maler. Beim Deutschlernen hat er eine Vorliebe für Autodidaktik. Den Anfänger-Sprachkurs, den er während seines ersten Jahres in der Schweiz begann, beendete er schon nach zwei Monaten. Er sagt dazu: «Ich lernte lieber beim Sprechen und beim Radiohören im Auto, als mich mit der Grammatik im Unterricht abzumühen.» Jetzt drückt der Mazedonier für den C1Deutschkurs wieder die Schulbank – sein Berufsleben macht es nötig. Ismail stammt aus einer armen Familie, weshalb ihn das Buch «Reicher Vater, armer Vater» des US-Amerikaners Robert Kiyosaki stark interessierte – ein Ratgeber, der sich mit dem Verhältnis zu Geld und Erfolg beschäftigt. «Als ich als Maler hart arbeitete und gleichzeitig das Buch las, verstand ich, wie sehr der wirtschaftliche Erfolg von deiner gedanklichen Einstellung abhängt», sagt Bajrami. Acht Jahre lang haben er und seine Frau einen Teil ihrer beiden Einkommen gespart. Anfang 2016 gründete Bajrami sein eigenes Bauunternehmen mit zehn Mitarbeitern und kaufte drei Wohnungen: «Aus dem Buch habe ich gelernt, wie man vom Angestellten oder Selbständigen zum Unternehmer und Investor wird.»
Der kurdische Journalist Khusraw Mostafanejad, 31, wurde 2015 in der Schweiz vorläufig aufgenommen. Hier erzählt er von Migranten in der Schweiz – und davon, wie sie sich ihren Platz in der neuen Heimat erarbeiten.
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Eine kurze Begegnung, ein unerwartetes Dankeschön, und ein trüb geglaubter Horizont hellt sich auf. Manchmal kommt die Freude wie ein Blitz aus heiterem Himmel. So auch neulich, als ich Markus traf. Ich kenne Markus noch aus der Zeit, als er im «normalen» Berufsleben stand. Das ist lange her. Eine Krankheit warf ihn aus seinem Job. Hoffnungslosigkeit und Alkohol folgten. Der Sturz war tief, seine Selbstachtung am Boden. Das Leben setzte ihm zu. Immer wenn ich ihn später sah, schnellte dieser beklemmende Gedanke durch meinen Kopf: Es kann auch mich treffen. Kürzlich sah ich Markus wieder. Er sprach mich an. Meine Freude über diese Begegnung hält noch heute an. Es geht ihm gut. Dank Surprise, sagt er. Dafür sei er sehr dankbar. Der Verkauf des Strassenmagazins hatte seinem Leben wieder etwas Struktur und Sinn gegeben. Und etwas Geld. Das brachte ihn zurück in die Bahn. Heute ist er Surprise-Stadtführer. Er geht fast täglich durch die Strassen und zeigt interessierten Menschen die sozialen Einrichtungen Basels und vermittelt ihnen einen unvergesslichen Einblick in das oft versteckte Leben armer Menschen. Dem Dank von Markus gibt es wenig beizufügen. Wenn Menschen ihre Selbstachtung und ihre Unabhängigkeit zurückgewinnen, dann hat Surprise sein Ziel erreicht. Dazu tragen viele bei. Auch Sie, die Sie dieses Heft gekauft haben. Surprise ist ein Verein, der vollständig ohne staatliche Gelder auskommt. Er ermöglicht es, dass 2.70 Franken (plus AHV) dieses Heftes an den Verkaufenden gehen. Und weil Surprise gut läuft, können wir diesen Anteil ab sofort erhöhen: Wer mehr als 250 Hefte im Monat verkauft, verdient pro Heft neu 2.80 Franken, wer mehr als 350 Hefte verkauft 2.90 Franken und ab 450 Stück sogar 3 Franken – immer plus AHV.
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Die gesamte Lohnsumme, die sich Verkaufende so erarbeiten, beträgt inzwischen stattliche 1.2 Millionen Franken pro Jahr. Dieses Einkommen ist für viele Menschen existenziell. Deshalb arbeiten wir daran, das Verteilnetz zu vergrössern. In Basel, Zürich, Bern bauen wir weiter aus. Neue Vertriebsstandorte sollen folgen. Unsere Mitarbeitenden in den Regionalstellen geben nicht nur Hefte ab, sie sind auch Vertrauenspersonen. Sie haben ein offenes Ohr, unterstützen die Verkaufenden bei wichtigen Entscheiden oder beim Kontakt mit Sozialbehörden. Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, wollen wir Lesevergnügen und spannende Information bieten. Dafür können wir auf eine Redaktion zählen, die das Strassenmagazin professionell produziert, hochwertigen Journalismus liefert und immer wieder mit starken, exklusiven Geschichten überzeugt. Im letzten Jahr konnten wir dank unserer Partnerschaft im International Network of Street Papers INSP sogar ein Interview mit dem Papst publizieren. Welches andere Schweizer Printmedium kann so was schon bieten? Weil jedes verkaufte Heft hilft, haben wir alles vorbereitet, damit das Surprise-Magazin 2017 noch attraktiver und noch lieber gekauft wird. Bei der Produktion des Heftes hört die Arbeit des Vereins Suprise aber nicht auf. Mit unserem Projekt Café Surprise etwa können Sie in einem Café zwei Cafés bezahlen, und jemand mit wenig Geld erhält im selben Lokal einen Café unsonst. Wir führen eine Strassenfussball-Liga mit Teams aus der ganzen Schweiz, haben einen Chor und organisieren in Basel, Zürich und bald auch Bern Soziale Stadtrundgänge. Das alles mit Erfolg. Gerade die Stadtführungen haben unsere Erwartungen übertroffen. Sie sind oft auf Monate hinaus ausgebucht. Wenn Sie schon mal dabei waren, dann wissen Sie,
BILD: TOBIAS SUTTER
Hausmitteilung Markus’ Dank ist unser Dank
was ich meine, wenn ich sage: So eine Führung werden Sie nie mehr vergessen. Hinter Surprise steckt ein grosses Netz an Menschen, die Kleines und Grosses leisten. Zum Beispiel Markus, unser Stadtführer in Basel. Lieber Markus, danke, dass du nicht aufgegeben hast. Liebe Leute vom Surprise-Team, danke für eure wertvolle Arbeit und dass ihr Leute wie Markus die Chance gebt, sich selbst zu helfen. Liebe Leserin, lieber Leser: Danke, dass Sie die Verkaufenden mit Ihrem Heftkauf oder einer Spende unterstützt haben. Und danke, wenn Sie das auch im kommenden Jahr tun.
Herzlich, Beat Jans Präsident Surprise
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Porträt Bubi, Drugs und Rock’n’Roll Grenzgänger und Menschenfreund: Die Nächte schlägt sich Bubi Rufener als Sänger und Musiker in Clubs um die Ohren – tagsüber arbeitet er in der Leitung einer Anlaufstelle für Drogenabhängige. Die zwei Welten seien sich sehr ähnlich, findet er. VON GISELA FEUZ (TEXT) UND ANNETTE BOUTELLIER (BILD)
Auch Rufener hat früher mit Drogen experimentiert. Er habe einfach das Glück gehabt, dass er nie von etwas abhängig geworden sei. «Aber ich habe mit grossem Vergnügen und Interesse alles getestet, was es da so gibt», gesteht er freimütig. Heute ist er nicht mehr so zügellos. Die Zigaretten hat er bereits vor 13 Jahren aufgegeben. «Ich interessiere mich für guten Rotwein, für guten Weisswein, für guten Champagner und eher selten für guten Gin. Alle anderen Drogen reizen mich schlichtweg nicht mehr.» Beim Trinken schlägt er allerdings immer noch ab und an über die Stränge. «Aber nur, wenn ich am nächsten Tag frei habe», sagt Rufener. Dafür versetzt sich der 48-Jährige heute gern mit anderen Hilfsmitteln in Rauschzustände: mit dem Velofahren – wann immer möglich schwingt er sich auf sein Mountainbike – und mit Musik. Bereits seit seiner Jugend hat Bubi Rufener in diversen Bands mitgespielt, so etwa bei Bishop’s Daughter, Boob oder dem Hip-Hop-Spassprojekt Allschwil Posse. Seit 2014 ist Rufener nun Frontmann bei Bubi Eifach und frönt dem Mundartrock. In zwei Jahren hat das Herren-Quartett zwei Alben aufgenommen, die Hitparade gestürmt und rund 80 Konzerte gespielt. Rufener findet die beiden Welten gar nicht so unterschiedlich: diejenige der suchtkranken Menschen in der Anlaufstelle und die des Showbusiness. «Im Musikbusiness herrscht ein ähnlicher Fatalismus, wie ich ihn von suchtkranken Menschen kenne. Gerade im Moment der Euphorie unmittelbar nach einem Konzert sind viele Musiker in einer exzessiven und grenzenlosen Stimmung, wie das Süchtige oft auch sind. Als ob es keinen Morgen gäbe. Das kenne ich auch von mir selber bestens. Und ausserdem ist Kunst doch nur dann gut, wenn sie extrem ist und Grenzen auslotet und nicht, wenn sie angepasst und genormt ist», führt Rufener weiter aus. Am frühen Nachmittag ist es in der Anlaufstelle an der Hodlerstrasse ruhig, die alkoholfreie Bar im Parterre des Gebäudes und der Tögge-
Den meisten ist er bekannt als lautstarker Frontmann der Berner Mundart-Gruppe Bubi Eifach, der auf der Bühne gerne kesse Sprüche klopft und den Rock’n’Roll-Lifestyle zelebriert. Christian Rufener, den alle nur «Bubi» nennen, kann aber auch ganz anders. Seit 20 Jahren arbeitet der 48-Jährige bei Contact, Stiftung für Suchthilfe, und betreut in der Berner Anlaufstelle suchtkranke Menschen. Zu seiner Stelle bei Contact gelangte der gelernte Buchhändler durch Zufall: Nach einem einjährigen Aufenthalt in Paris kehrte er ohne einen Rappen in der Tasche nach Bern zurück. Ein Job musste her. Eigentlich hätte er seine alte Anstellung in der Comicabteilung einer renommierten Buchhandlung wieder antreten können, er habe aber etwas Neues ausprobieren wollen, erzählt Rufener. Ein Kollege habe ihn dann auf die freie Stelle bei Contact hingewiesen. Die Anlaufstelle beherbergt einen Konsumationsraum, in dem selbst mitgebrachte Drogen in sauberer Umgebung konsumiert werden können. Ausserdem können in dem Haus an der Hodlerstrasse Kleider gewaschen und medizinische Grundversorgung in Anspruch genommen werden. Und Sozialarbeiter stehen für Beratungsgespräche zur Verfügung. Anfänglich habe er gezögert, sich zu bewerben, irgendwie sei ihm dieses Arbeitsumfeld nicht ganz geheuer gewesen, schildert Rufener. Trotzdem sei er sich dann vorstellen gegangen, und seitdem arbeitet er dort, mittlerweile als stellvertretender Betriebsleiter. Er sei aber kein «Sesselfurzer», betont er. Seine Funktion beinhalte zwar viel planerische Arbeit, aber ihm sei der Umgang mit den Menschen wichtig. Er möchte allen Besuchern der Anlaufstelle vermitteln, dass sie als Menschen wahr- und ernst genommen werden. «Ich mag meine Arbeit sehr, ich bin ein Menschenfreund. Zudem sind mir Grenzüberschreitungen vertraut und nahe. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass man mal einen Schritt zu weit geht», sagt Rufener. Schicksale von Menschen, die hingefallen, wieder aufgestanden und wieder hingefallen «Ich bin ein extremer Mensch, der sehr hoch fliegen, aber auch sehr tief fallen sind, interessieren ihn mehr als geschliffene kann. Für mein Umfeld ist das nicht immer einfach zu ertragen.» Lebensläufe, wo alles nach Plan verlaufen ist. Klar doch, es sei nicht immer ganz einfach, am Abend nach getaner Arbeit abzuschalten, gibt er zu. Immer wieder gelikasten sind verwaist, im Konsumationsraum liegen fein säuberlich aufbe es auch Schicksale, die einen länger beschäftigen. Aber Rufener hat gereiht sterile Löffel und Pflaster bereit. «20 Jahre Arbeit in der Anlaufgute Instrumente zur Hand, dank derer er sich abgrenzen und «psychostelle haben mir klargemacht, dass der einzige sinnvolle Umgang mit hygienisch reinigen» kann, wie er es nennt. «Sport und Punkrock haben Drogen die komplette Legalisierung aller Substanzen ist», sagt Rufener mir immer geholfen. Und ausserdem bin ich grundsätzlich eine Frohnaund betont, dass dies seine persönliche Meinung sei und nicht diejenitur. Das hilft.» ge der Stiftung Contact. Natürlich solle es Heroin nicht gerade im DenÜber die Stränge zu schlagen ist Rufener vertraut, und zwar in allen ner zu kaufen geben, aber der Konsum sollte straffrei erfolgen dürfen. Facetten, sei es im Sport, in der Musik oder durch Rauschmittel. «Ich «Verstecken, verbieten und stigmatisieren ist doch komplett die falsche war immer ein Grenzgänger mit exzessiven Phasen», charakterisiert Herangehensweise. Vielmehr müsste man legalisieren, sensibilisieren sich der quirlige Schnellredner. «Ich bin ein extremer Mensch, der sehr und aufklären», sagt Rufener mit Nachdruck. Dann verabschiedet er hoch fliegen, aber auch sehr tief fallen kann, manchmal bin ich wahnsich, die Arbeit ruft. «Ich habe heute nach sechsmonatiger Pause endsinnig egoistisch, dann wieder sehr altruistisch. Für mein Umfeld ist das lich mal wieder eine Schicht im Konsumationsraum und bin gespannt, nicht immer einfach zu ertragen. Aber ich bin, wie ich bin.» wie es meinen Leuten geht», sagt er und schreitet energisch davon. ■
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Körperkult Ausweitung der Kampfzone Die junge Schweizerin Morena Diaz verfiel einst im Sog der Sozialen Medien dem Schlankheitswahn. Heute beklatschen über 41 000 Follower auf Instagram Fotos ihrer Bauchröllchen. Die Geschichte einer Befreiung.
VON KARIN WENGER
«Morena, zieh den Bauch ein!» Sechsjährig war sie, stand neben ihren Cousinen am Strand, ein Urlaubsfoto. Nie wird sie diesen Satz vergessen. 17 Jahre später, Sommer 2016. Wieder ein Strand, Urlaub auf Formentera, wieder ein Bikinifoto. «Boah, ist mein Bauch flach», freut sich Morena Diaz. Der Grund: Lebensmittelvergiftung, schlechten Fisch erwischt. Drei Tage lang war ihr übel gewesen, hatte sie sich von Zwieback und Bananen ernährt. Sie ertappte sich beim Gedanken, ihrem Freund vorzugaukeln, noch ein paar Tage weiter nichts essen zu können. Doch sie sagte zu sich selber: «Nein Morena, du tust dir keinen Gefallen, wenn du jetzt wieder damit anfängst!» Anstatt das Aufflammen der Versuchung in ihrem Inneren zu verstecken, schreibt sie diese Gedanken in einen Blogbeitrag, lässt die Follower in ihren Kopf schauen. Das Verlangen, dünn zu sein, es hatte mehrere Jahre lang Morenas Leben bestimmt. Unzählige Nächte lag sie mit Kopfschmerzen im Bett, weinte, ihr Magen knurrte. Versagerin, ich bin so eine Versagerin, dachte sie immer wieder. Blogeintrag vom 23. März 2014: «Ich habe für meine Verhältnisse ziemlich viel Schokolade gegessen. Einen kurzen Augenblick lang stieg Verzweiflung in mir auf. Gedanken wie ‹Oh gott, wieso kann ich nicht aufhören?!› oder ‹Oh gott, das wird sich sicher noch auf meine Figur auswirken› schiessen mir durch den Kopf.»
vielleicht grösser als bei den Schweizer Kindern, aber du hast schon immer gerne gegessen und das sollst du auch weiterhin.» Biologie ist nicht Schicksal. Der Körper ist ein Makel, den es zu korrigieren, ein Kunstwerk, das es zu gestalten gilt. So beschreibt die britische Psychoanalytikerin Susie Orbach den Zeitgeist in ihrem Buch «Bodies: Schlachtfelder der Schönheit». Die mittlerweile 70-jährige Londoner Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin befasst sich schon ihr halbes Leben lang mit der Thematik. Ihr erstes Buch hiess «Fat is a Feminist Issue» und eroberte 1978 die internationalen Bestsellerlisten. Ihre Analysen zu den gesellschaftlichen Zusammenhängen und Ursachen von gestörtem Essverhalten haben nichts von ihrer Aktualität eingebüsst. Die Probleme, die sie Ende der Siebzigerjahre zu beschreiben versuchte, hätten sich massiv ausgebreitet, schreibt Orbach in «Bodies». Vielen Menschen erscheine es heute normal, sich im eigenen Körper unwohl zu fühlen. Eine Befragung der Gesundheitsförderung Schweiz bestätigt dies: 60 Prozent der Mädchen zwischen 13 und 17 wären gerne schlanker, gleich viele haben bereits eine Diät gemacht. Drei Viertel der Jungs wünschen sich mehr Muskeln. Hier setzt Orbachs Gesellschaftskritk an: Sie fragt, weshalb sich Millionen Menschen einem Schönheitsideal unterwerfen, das beinahe alle von Anfang an ausschliesst. 17. Juli 2014: «Auf dem Weg, ein möglichst perfekter Mensch zu werden, vergessen wir, was LEBEN heisst. Und damit noch nicht genug! Traurigkeit, Stress und Egoismus sind dauernd zu Besuch.»
Für Morena beginnt das Unheil im April 2013. Sie ist 20 Jahre alt, besucht den Vorkurs der pädagogischen Hochschule. Zwei Tage Unterricht Die Aargauerin Morena Diaz, bald 24 Jahre alt, gehört heute zu den pro Woche, viel Freizeit. Sie verfängt sich im Universum der Fitnesserfolgreichen Bloggerinnen der Schweiz. Sie fotografiert ihren runden Blogger. Deren Motto: mit Wille und Disziplin zum Traumkörper. Wer Bauch im eng anliegenden Kleid. Stellt das Bild auf Instagram und scheisse aussieht, ist selbst schuld. Unter dem Hashtag #Transformaschreibt darunter: «Ich sehe aus wie schwanger.» Dahinter setzt sie ein tionTuesday präsentieren sie jeden Dienstag Vorher-Nachher-Bilder ihSmiley. Unter Fotos von Dehnungsstreifen an den Oberschenkeln setzt sie den Hashtag #TeamSelbstliebe. Und auf ihrem Blog schreibt sie: «Ich dachte, mein Körper Manchmal wird ihr schwarz vor Augen. Trotzdem geht sie zusätzlich sei nicht gut genug für unsere Gesellschaft. Ich jeden Tag joggen. Und stellt ihre Ernährung um: zuerst gesünder, dachte immer, ich müsste ihn verändern, disdann weniger. ziplinieren, fordern und bestrafen.» Ihre ehrliche Art ist gefragt: Mehr als 41 000 Menschen rer schrumpfenden Bäuche und Gesässmuskeln, die sie «definiert» nenfolgen ihrem Instagram-Profil, die Zahl steigt stetig. Auch Firmen haben nen. Morena ist begeistert: «Wenn die das alle können, kann ich das die Marke Morena entdeckt, setzen sie für Kooperationen ein. Morena auch.» Sie entdeckt eine Amerikanerin, die für ein DVD-Programm erzählt ihre Geschichte ohne Filter. Es ist die Geschichte ihres Kampfes wirbt, mit dem sie selber stark abgenommen hat. Morena kehrt jeden gegen den Selbsthass, gegen eine Essstörung, gespiesen aus der virtuelTag auf ihr Instagram-Profil zurück und ist schliesslich überzeugt: Sie len Gegenwelt der Sozialen Medien. bestellt sich die DVD, rund 120 Franken für das Versprechen «zum BeDünner sein wollte Morena schon immer. In der fünften Klasse war achbody in nur zwei Monaten». Der Einsatz: 45 Minuten abrackern, eine Freundin von ihr zwei Wochen krank und verlor stark an Gewicht. sechs Tage die Woche. Hampelmänner, Sprünge, sprinten auf der Stelle, Die Mitschüler machten ihr Komplimente – und Morena wünschte sich, immer synchron mit der gestählten Fitnesstrainerin auf dem Fernsehauch krank zu sein. In der Oberstufe riefen ihr die Jungs «Fette Kuh!» bildschirm. Die Nachbarn kommen wegen des Lärms, Morena kümmert zu. Zuhause tröstete sie ihre italienische Mama: «Dein Bäuchlein ist
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«Ich darf so aussehen, wie ich aussehe, auch mit ein paar Kilos mehr.»
es nicht, sie schwitzt weiter im Wohnzimmer. Manchmal wird ihr schwarz vor Augen. Trotzdem geht sie zusätzlich jeden Tag joggen. Und stellt ihre Ernährung um: zuerst gesünder, dann weniger. Nach zwei Monaten kauft sie sich die erste XXS-Jeans. Rückblickend sagt sie: «Ich hatte ja keine Ahnung von Ernährung. Jetzt wüsste ich die Wege zum Abnehmen, aber ich beachte sie nicht mehr.» Damals denkt sie: Endlich, endlich sehe ich so aus, wie sich es alle immer wünschten. Und endlich so wie ihre allzeit gestählten Vorbilder auf Instagram. Zu Beginn erhält sie Komplimente, von der Familie, von Freunden. Alle wollen wissen, wie sie es geschafft habe abzunehmen. Morena ist so motiviert, dass sie andere ansteckt: Ihre Mutter, die Tante, zwei Cousinen und ein paar Freundinnen kaufen sich dasselbe DVDProgramm. Morena freut sich – und lässt vom Teller weg, was sie weglassen konnte. Zum Mittagessen ein Häufchen grünes Gemüse und ein Stück Fisch. Nie Lachs, denn Lachs hat Fett. Als sie im Sommer 2013 ihren Vater in Spanien besucht, erkennt der seine Tochter kaum wieder. Die Grossmutter weint, sie will Morena zwangsernähren. Für Frauen gilt die Direktive dünn und grosse Brüste, für Männer schlank und muskulös. Diese Schönheitsnormen haben sich in den letzten Jahrzehnten verengt, schreibt Psychotherapeutin Orbach. Zwar ist das Streben nach Schönheit keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Doch nie zuvor hätten gesellschaftliche Normen so viel Druck auf Menschen zwischen sechs und 80 Jahren ausgeübt. Die Unsicherheit dem eigenen Körper gegenüber und die obsessive Beschäftigung mit ihm werden Kindern laut Orbach bereits in der Familie vermittelt: zum Beispiel durch die Mutter, die sich über ihre Figur beklagt und sagt, dass sie dieses oder jenes nicht essen sollte. So halten es Kinder für normal, dass mit ihrem Körper etwas nicht in Ordnung ist. 27. März 2014: «Ach scheisse, jetzt ist es schon die zweite Schüssel Milch mit Corn Flakes. Was ist nur los mit mir?? Egal … jetzt habe ich eh schon zu viel Müll gegessen, auf ein bisschen mehr oder weniger kommt es nicht drauf an.» Im September startet das Studium an der Pädagogischen Hochschule, Morena hat weniger Zeit für Sport. «Ich war psychisch so stark unter Druck und hatte mega Angst zuzunehmen.» Der Teufelskreis beginnt. Morena, die mit ihrer Mutter wohnt, sitzt an ihrem Pult vor dem Laptop. Komplett überfordert mit einer Arbeit, die sie schreiben muss. In ihrem Kopf ist alles blockiert, ihre Gedanken kreisen seit Monaten nur um ihre Figur, Fitness und ums Abnehmen. Sie geht zum Küchenschrank, bricht ein Stück Schokolade ab. Zehn Minuten später nochmals. Dann immer wieder und wieder. Die erste Fressattacke von vielen. Fressattacken, die ihr nächstes Jahr dirigieren werden. Krampfhaft versucht Morena, die runtergeschlungenen Süssigkeiten wegzutrainieren. Sie befolgt jegliche Ratschläge aus dem Fitness-Universum, egal wie irr: Lege dich mit Sportkleidern schlafen, damit du beim Wecker um SURPRISE 391/17
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fünf Uhr morgens keine Ausrede hast! An Weihnachten sagen Verwandte zu ihr: «Wir sind froh, hast du zugenommen, du siehst wieder viel besser aus.» Morena hört nur das Wort «zugenommen» und zerbricht innerlich. Wenn Morena von dieser Zeit erzählt, bleibt sie ernsthaft. Sie legt kaum Pausen ein. Man merkt, dass dieses Thema ein grosser und wichtiger Teil ihres Lebens ist – und doch wirkt es, als spreche sie über etwas Alltägliches. 22. September 2014: «Eine selbstbewusste Haltung und eine innere Zufriedenheit lassen dich gelassen und schön aussehen. Wenn dich dein Spiegelbild so dermassen stört, dann höre auf, in den Spiegel zu sehen. Das setzt dich nur unnötig unter Druck und dünner wirst du dadurch auch nicht (ich weiss, wovon ich rede!).» Morenas Feindbild lauerte im Spiegel. In jeder Autoscheibe, in jedem Schaufenster sieht sie ihren Bauch. Wie stark steht er heute raus? Anfang 2014 beginnt sie einen neuen Diätversuch, nimmt Teil an der «Sixpack-Challenge» eines Fitnessmagazins. Das Ziel: Bauchmuskeln in zwei Monaten. Für Morena heisst das: kein einziges Stück Schokolade, abgesehen von ihrer Geburtstagsfeier am 26. Januar. Am Vorabend hat sie dermassen Angst vor dem Zunehmen, dass ihr Freund den Teig für die Muffins kosten muss. Dann ist Ende Februar, und Morena hat keine Bauchmuskeln. Wieder ist da dieses bekannte Gefühl: eine Versagerin zu sein. Morena kann nicht begreifen, wieso sie nicht einfach sein kann wie ihre Vorbilder auf Instagram. Die Fressattacken nehmen eine neue Dimension an. Sie isst einen halben Tag nichts, stopft dann alles in sich rein, Milchschokolade, M&M’s, Toffifees, Schokoladenbrötli, Milch mit Cornflakes. Bis sie vor Bauchschmerzen nicht mehr schlafen kann. Und sich fest vornimmt, am nächsten Tag wieder nichts zu essen. «Ich fühlte mich überflüssig für diese Welt, wie ein unkontrolliertes Monster, das mit dem Essen nicht mehr aufhören kann.» Bis zu jenem Samstag, als sie weinend zwischen ihrem Zimmer und der Küche hin und her geistert. Kurz vor dem Mittag schaut ihre Mutter in den Abfalleimer und fragt erschrocken: «Hast du das jetzt alles gegessen?» Morena nickt. Erleichterung breitet sich in ihr aus, endlich bemerkte es jemand. «Willst du darüber reden?», fragt die Mutter. «Nein», sagt Morena. «Ich habe schon länger das Gefühl, dass mit dir etwas nicht stimmt. Aber ich habe mich nicht getraut, dich zu fragen», sagt die Mutter. Morena ruft noch am selben Tag ihre Cousine an, eine Psychologin. Sie weiss, dass sie ihr Leben ändern muss. Und beginnt damit dort, wo alles anfing: im Internet. Auf ihrem Blog lässt sie ihren Gedanken freien Lauf. «Ich kam mir vor wie ein Alien mit meinen Fressattacken und hoffte, durch den Blog jemanden zu finden, der gleich fühlt wie ich», sagt sie. Die ersten Nachrichten ploppen bald in ihrem Postfach auf. Mitleidende, die erleichtert sind, dass endlich jemand den Mut hat, über das Tabu zu sprechen. Je mehr Menschen Morena schreiben, desto wütender wird sie auf die Gesellschaft. «Ich mache heute nur noch, was mir Freude bereitet.»
User-Kommentar auf Morena Diaz’ Blog am 15. Juni 2015: «Du spricht mir aus der Seele Morena … Und doch ist es so schwer heut zutage stolz auf seinen Körper zu sein! Du bist ein tolles Vorbild.» Noch aber hat sich Morena nicht von der Vorstellung eines idealen Körpers gelöst. Im Sommer 2014 startet sie eine letzte dreiwöchige Diätkur: 500 Kalorien pro Tag, propagiert von einer Fitness-Bloggerin auf Instagram, die durch die Werbung ihr Geld verdient. Morena hält sich die Nase zu, damit sie die Eiweiss-Shakes trinken kann. Danach ist sie völlig entkräftet, psychisch wie körperlich. «Ich war müde von dem ganzen Abnehmen und Zunehmen.» Sie löscht alle Fitness-Blogger aus ihrem Instagram-Account, kauft sich das Buch «Intuitiv abnehmen», das eigentlich nichts mit Gewicht verlieren zu tun habe, wie sie sagt. Vielmehr wolle es vermitteln: Hör auf deinen Körper.
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Morena liest das Buch in einem Tag durch. Sie versucht, nur dann zu essen, wenn sie wirklich Hunger verspürt. Und nur das zu essen, worauf sie Lust hat. Sich auf das Essen zu konzentrieren, keine Ablenkung durch TV, Radio oder Handy. Morena nimmt sich vor, fremde Meinungen zu ignorieren. Sie schminkt sich nicht mehr. Fragil ist sie trotzdem: Oft geht sie in dieser Zeit in Leggins oder Trainerhosen aus dem Haus, weil Jeans an ihrem Bauch drücken und sie sich dadurch nicht verunsichern lassen will. Und mit Leichtigkeit hat auch diese Selbsttherapierung wenig zu tun: Hin und wieder überkommen sie Fressattacken, frustrieren sie, doch sie sagt sich selber: «Das hat mich so viel Zeit, Mühe und so viele Tränen gekostet, ich muss streng mit mir sein und nicht essen, wenn ich keinen Hunger empfinde.» Die Angst, sich zu überessen, ihr intuitives Gefühl von Hunger und Sättigung wieder zu verlieren, verspürt sie noch heute manchmal. 17. Januar 2015: «Andere, die in unseren Augen diesem Idealbild viel näher sind als du oder ich. Andere, die in deinen Augen perfekt sind … und dann sieht man sie an und fragt sich, ob sie wohl zufrieden mit sich selber sind. Bestimmt sind sie es. Sie haben ja keine sichtbaren Makel.»
nas Fotos auf Instagram, zum Beispiel ein Vorher-Nachher-Bild. Links ein dünnes Mädchen, rechts eine strahlende Frau, die sich durch das lockige Haar fährt. Hashtag: #BodyPositivity. Die Community, sagt Morena, habe ihr geholfen, an sich zu glauben und weiterzumachen. Eine wichtige Komponente war auch ihr Selbstbewusstsein: «Ich habe mich immer hübsch gefühlt, also das Gesicht. Das half mir sicher.» Ihrem Freund, mit dem sie seit fast sieben Jahren zusammen ist, ist Morena heute «uuh dankbar». Er habe immer Verständnis gezeigt, egal wie oft sie ihn angezickt habe, weil sie entweder hungrig oder übersättigt war. 29. November 2016: «Ich habe keine Makel! Ja, du hast richtig gelesen. Makel sind eigentlich Eigenschaften, die von der Gesellschaft als unerwünscht betrachtet werden. Makel gibt es nur, weil die Gesellschaft es so bestimmt hat. Aber im Grunde gehören diese Eigenschaften zu uns, weil sie in unseren Genen liegen.» Bloggerinnen wie Morena geben Susie Orbach Hoffnung: «Würden wir statt ständiger Fotos von dünnen Frauen solche von Frauen jeglicher Statur sehen, dann hätten wir nicht immer das Bedürfnis, unsere Figur verändern zu wollen.» Ansonsten sieht Orbachs Prophezeiung eher düster aus. Seit fast vier Jahrzehnten warnt die Feministin vor dem Schönheitswahn. Sie fordert die Menschen auf, mehr Variationen von Körpern zu akzeptieren, die Mütter dazu, gute Vorbilder zu sein und sich gegen die Diätindustrie zu wehren. An dieser Front kämpft Morena mit. Als
Ändere deinen Körper, werde glücklich, gehöre dazu – so fasst Psychotherapeutin Susie Orbach das Motto der milliardenschweren Mode-, Schönheits- und Ernährungsindustrie zusammen. Werbung im Fernsehen, auf Plakaten, im Internet: Orbach schätzt, dass wir wöchentlich 2000 bis 5000 «Ich war lange Zeit mein eigener Feind, doch ich arbeitete daran, Fotos digital manipulierter Körper sehen. Diese Bilder würden uns von denjenigen präsenmein eigener Freund zu werden.» Morena hält kurz inne. «Oh, das ist tiert, die vom Körperhass profitierten. «Und so ein gutes Quote! Das muss ich mir merken.» wird der Anspruch, den Körper ständig zu verändern und anzupassen, zu einem Diktat, das Primarlehrerin stellt sie sich bewusst ungeschminkt vor ihre Schülerinwir als selbstverständlich hinnehmen», sagte Orbach 2010 in einem nen und Schüler, sie plant eine Vortragsserie und möchte irgendwann Interview mit der Basler Zeitung. Für jeden sogenannten Mangel gebe ein Buch veröffentlichen. Bis dahin versprüht sie Selbstliebe auf Social es Abhilfe, und das werde nicht als repressiv empfunden, sondern als Media. Chance, etwas aus sich zu machen. Das Problem liege darin, dass alle Bilder dasselbe Ideal zeigten, 29.11.2016: «Indem du dich selbst bist, bist du schon ziemlich mutig, schreibt Orbach. Als 1995 auf Fidschi, einem Inselstaat im Südpazifik, denn heutzutage ist das schon viel und fast unmöglich.» erstmals ein US-amerikanischer Fernsehkanal startete, waren drei Jahre später zwölf Prozent der jugendlichen Fidschianerinnen bulimisch. Die Vor ein paar Wochen hat Morena wieder einmal die DVD in den PlayStudie ist zwar nicht repräsentativ, die Forscher befragten rund 130 einer gesteckt und synchron mit der Fitnesstrainerin auf dem Bildschirm heimische Mädchen, doch ähnlich breiteten sich Essstörungen auch in Hampelmänner geschlagen. Nach sieben Minuten dachte sie ans AufOstdeutschland nach dem Fall der Mauer aus. Körperhass als westlicher hören, nach einer Viertelstunde schaltete sie den Fernseher aus. «Ich Exportschlager, nennt Orbach diese Phänomene. Deshalb sei die Betomache heute nur noch, was mir Freude bereitet», sagt sie. Joggen zum nung von Verschiedenheit und Vielfalt wichtig. Für die Kosmetik-Firma Beispiel. Früher habe sie es gehasst, heute mag sie die Bewegung. Dove hat Orbach eine Werbekampagne mitentwickelt, in der «normale» Manchmal läuft sie zwei Mal pro Woche, dann zwei Wochen gar nicht. Frauen, alt und jung, die Vielfalt von Frauenkörpern repräsentieren. Den Kopf zerbricht sich Morena darüber nicht mehr. «Ich darf so ausseAuch die Modekette H&M lancierte kürzlich einen Werbespot, in dem hen, wie ich aussehe, auch mit ein paar Kilo mehr.» Der Prozess, das neben dünnen auch molligere und sehr muskulöse Frauen durchs Bild vorherrschende gesellschaftliche Ideal zu ignorieren, war nicht einfach. tanzen. «Wahrscheinlich ist das bloss fürs Marketing, weil Individualität «Ich war lange Zeit mein eigener Feind, doch ich arbeitete daran, mein gerade ein bisschen im Trend liegt», sagt Morena. Doch schlimm finde eigener Freund zu werden.» Sie hält kurz inne. «Oh, das ist ein gutes sie das nicht, Hauptsache andere Körperformen erhielten eine PlattQuote! Das muss ich mir merken für ein Instagram-Bild.» Sie lacht. Ihform. «Dadurch fühlen sich viele Menschen etwas akzeptierter.» re Botschaft posaunt Morena hinaus in die Weiten der virtuellen Welt, Die Werbeindustrie scheint das Potenzial von Kurven entdeckt zu haimmer in der Hoffnung auf ein Echo. ben. Morenas authentische Art und ihr Erfolg auf Social Media bringen ■ ihr viele Anfragen für Marketing-Kooperationen. Sie empfehle nur Produkte, die sie selber kaufen würde, erklärt die Bloggerin ihren Follower immer wieder. Ihre Glaubwürdigkeit sei ihr wichtig. Mit der Werbung für Müesli, Onlineshops oder Make-up-Produkte verdient sie sich ein Taschengeld. Geholfen hat Morena, was sie einst in die Misere zog: die Sozialen Medien. Sie schlitterte hinein in die Wirren des digitalen Universums, fühlte sich auf dem Höhepunkt, als sie eigentlich tief unten war. Bis sie sich entschied, die Regeln zu ändern. Ihre Follower beklatschen MoreSURPRISE 391/17
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Psychiatrie Wenn die Tür der Klinik weit offen steht Seit Basel-Stadt die Regeln in der Psychiatrie verändert hat, sind immer mehr psychisch Kranke im öffentlichen Raum und bei sozialen Einrichtungen anzutreffen. Dort ist man mit ihnen überfordert. VON BEAT CAMENZIND
Es gibt Spaghetti «Zolli», eine Eigenkreation des Hauses mit Brät und Tomatensauce. Dazu griechischer Salat und Profiterolles. Das Menü kostet drei Franken, die Getränke sind gratis. Hinter dem Tresen sind vier Personen mit Schöpfen beschäftigt. Es ist ein Montagabend, Ende August, 17.30 Uhr, der Andrang in der Basler Gassenküche hält sich noch in Grenzen. Das Publikum besteht aus älteren Herren, jüngeren Drogenabhängigen, Alkoholikern, Ausländern jeglicher Hautfarbe, wenigen Frauen. Die Stimmung ist entspannt. Einige ältere Personen schlürfen wortlos die Spaghetti in sich hinein, andere sind geselliger, lachen, erzählen die Erlebnisse vom Tag, geben sich Tipps im Umgang mit den Behörden, tauschen Adressen aus. Vor dem Haus sitzt ein Italiener in der Abendsonne und raucht genüsslich seine Verdauungszigarette. Am Tisch erklärt ein Schweizer einem Ausländer, was Brät ist. Eine Frau hört zu und kratzt sich stark am Kopf. Ihre Kleider sind zu gross, die Zähne bräunlich. Ein jüngerer Mann setzt sich an den Tisch zu einem Pensionär. Sie kommen schnell miteinander ins Gespräch. Thema sind Ausländer. Nach kurzer Debatte einigen sie sich: Ob jemand frech ist, hat nichts mit der Herkunft zu tun. Bei diesem Satz schüttelt sich die Frau am Tisch. Dann dreht sich die Diskussion um das Menü: «För drü Schtotz chasch eh nüt säge.» Jeder der hereinkommt prüft zuerst die Menütafel. Doch keiner macht wieder kehrt, der tiefe Preis und der Hunger sind zu starke Argumente. Kein lautes Wort, kein Streit, das Essen scheint die Gemüter friedlich zu stimmen. Wer in diesem Gemisch aus Herkunft und Problemen verweilt, erhält den Glauben an das Gute im Menschen gratis mitgeliefert. Natürlich geht es nicht immer so ruhig zu und her. Und eine neue Entwicklung macht den Verantwortlichen der Gassenküche derzeit Sorgen: Immer öfter essen psychisch kranke Personen in desolatem Zustand in der Gassenküche. Das geht manchmal nicht ohne Rumschreien. Eine einzelne Person kann die Stimmung im Raum mit 140 Personen zum Kippen bringen. Das Personal versucht dann zu beruhigen. Oft stosse man in solchen Situationen aber an Grenzen, sagt Brigitte Tschäppeler, die Leiterin der Gassenküche. Diesen Eindruck teilen Sozial- und Gassenarbeiterinnen aus anderen niederschwelligen sozialen Einrichtungen.
Frieda* ist 55 Jahre alt. Mit 16 muss te sie zum ersten Mal in die Psychiatrie. Sie hatte eine Psychose. Sie beschreibt den Verlauf so: Ich wurde ganz anders, wusste nicht, was gesc hieht, war wie weg und habe geschrien. Mein Vater kam ins Zimmer, ich dachte, er sei ein Polizist. Ich hörte alle Anwesenden reden, verstand aber nich t, was sie sagten. Bei späteren Schüben tobte ich so lange, bis die Pfleger kamen. Zu zehnt hiel ten die mich fest und spritzten Haldol ins Gesäss. Ab und an musste ich in die Isolierzelle. Das ist schlimm. Da musste ich bleiben, bis ich mich beruhigt hatte. Zum Glück kam manchmal ein Pfle ger vorbei, um eine zu rauchen.
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Haldol hilft laut Packungsbeilage gegen Wahnvorstellungen, ungewöhnliches Misstrauen, Halluzinationen und starke Erregungszustände. Einige der häufigsten Nebenwirkungen sind: Erregungszustände, traurige Stimmung, übermässige Schläfrigkeit oder psychotische Störungen. Frieda kann sich nicht mehr an alle Medikamente erinnern, die sie über die Jahre genommen hat. Derzeit nimmt sie Leponex. Das macht sie schläfrig und zittrig.
Die Basler Frauenoase ist eine offene Anlaufstelle. Frauen können dort essen, sich waschen, neu einkleiden, im Internet surfen, reden, sie erhalten Medikamente, Kondome und Spritzen. Auch dort häufen sich die Besuche von psychisch kranken Personen. Leiterin Elfie Walter sagt im Telefoninterview, man habe sich dank der Fallsupervision gut darauf eingestellt. Und sie nennt auch den Grund für das Phänomen: Das neue Konzept der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK), im Volksmund Friedmatt genannt. Seit einem Jahr sind 17 der 18 Abteilungen der UPK offen. Das bedeutet, Patienten können nach Absprache in den Ausgang. Die sind dann sich selbst überlassen und «suchen sich ihr Plätzchen», sagt Elfie Walter. Brigitte Tschäppeler von der Gassenküche ergänzt: «Diese Personen landen bei den niederschwelligen Angeboten, weil sie diese oft bereits kennen.» Denn häufig handelt es sich bei diesen Personen um Menschen mit Psychosen, Depressionen und einem Suchtproblem. Zudem gilt seit 1. Januar 2013 das neue Psychiatriegesetz. Eines der Ziele der Gesetzesänderung war, die Würde des Menschen besser zu schützen – weshalb es heute schwieriger ist, Zwangseinweisungen zu verordnen. Und: Viele dieser Personen mit Schizophrenie oder Psychosen wollen sich nicht helfen lassen. Sie sagen, alle anderen hätten ein Problem, nicht sie. Ein ehemaliger Beistand aus Basel, der anonym bleiben möchte, bestätigt die Eindrücke von Tschäppeler und Walter. Beistände vertreten hilfsbedürftige Personen auf deren eigenes Ersuchen hin oder von Amtes wegen, wenn diese ihren administrativen Alltag nicht bewältigen können. Der Beistand sagt: «Häufig werden Patienten zu früh und ohne Absprache mit dem Helfersystem aus der Friedmatt entlassen.» Er nennt auch mehrere Gründe dafür: Die UPK habe keinen Platz, die Personen länger zu beherbergen; es gebe in der Stadt zu wenig Heime für solche Patienten; es sei wegen des neuen Gesetzes schwieriger, die Menschen zwangsweise in der Psychiatrie zu behalten. Die Beistände versuchten jeweils, Lösungen für die psychisch Kranken zu finden, damit sie nicht in der Notschlafstelle bleiben müssen. Das dauert aber jeweils seine Zeit, während der die niederschwelligen Angebote diese Personen aushalten müssten. SURPRISE 391/17
Emilia* ist 67 Jahre alt. Sie stammt aus dem Baselbiet und bezieht AHV. Seit über zehn Jahren lebt sie ohne festen Wohnsitz. Sie schläft am Flughafen, bei ihrem Sohn, bei Bekannten, in der Notschlafstelle und im Sommer draussen. Aber nur ausserhalb der Stadt. Sie fühlt sich verfolgt, beobachtet und kontrolliert. Schulden hat sie keine. Bevor sie eine Wohnung suche, müsse sie ein paar Dinge klären, sagte sie zu ihren Vertrauenspersonen. Den Grund für ihre Obdachlosigkeit will sie nicht nennen. Dafür müsste sie zu weit ausholen.
Was erwidert man bei der UPK zu den Vorwürfen? Bei einem Treffen sind CEO Anne Levy, die Chefin der Erwachsenenkliniken Undine Lang und eine Stabsleiterin anwesend. Die ersten vierzig Minuten des Gesprächs sind ein Werbespot von Lang für das Konzept der offenenPsychiatrie. Sie untermauert ihren Vortrag mit Umfragen und mehreren Studien, die sie zum Teil selbst an der UPK durchgeführt hat, an deren Ende jeweils der Satz: «Es bestehen keine Interessenskonflikte» steht und worin sie sich auch selbst zitiert. Das ist nichts Aussergewöhnliches im wissenschaftlichen Betrieb. Professorinnen wie Lang müssen in der Fachwelt wahrgenommen werden. Langs Argumente in Kürze: Weniger Patienten verlassen die Klinik gegen ärztlichen Rat und hauen einfach ab, die Verweildauer auf den ehemals geschlossenen Stationen ist gestiegen, es gibt weniger Zwangsmedikation und -isolation, mehr Patienten bleiben freiwillig in Behandlung, und die Selbstmordrate ist gleich hoch wie in geschlossenen Kliniken. Dank der neuen Behandlung mit Psychoanalyse und engmaschigerer Betreuung wisse man zudem besser, welche Patienten ein Risiko sind, also sich oder andere gefährden. Allerdings sagt Lang auch: «Wenn die Patienten die Klinik verlassen, heisst das nicht, dass das Risiko einfach weg ist.» Dann werden Lang und Levy konkret: Es sind etwa 150 Menschen, die immer wieder in die Friedmatt kommen. Oft sind das Drogenabhängige mit psychischen Problemen. Sie haben keine Wohnung, fliegen aus den Heimen raus und landen in der UPK. Allerdings: Ein Fünftel der Suchtkranken verlassen auch die UPK entgegen dem ärztlichen Rat und werden rückfällig. Bei solchen Patienten sind auch die Psychiater und Psychologen am Ende ihres Lateins, sie sehen wenig Chancen zur Heilung, die Behandlung könne allenfalls die Lebensqualität steigern. Lang sagt: «Es ist nicht immer die beste Lösung, in die UPK zu kommen.» Leute zur Abstinenz zu zwingen, funktioniere nicht, zudem lasse dies das Gesetz nicht zu. Suchtkranke müssten zum Entzug motiviert sein. Allerdings: Es gibt auch Patienten der UPK, die in der Klinik bleiben möchten, trotz der Diagnose des Arztes, sie seien stabil genug für eine Entlassung. Die Klinik-Leitung beteuert, man suche jeweils eine Anschlusslösung für diese Personen und betreue sie weiterhin. Zur Beratung gehöre auch das Vermitteln einer Wohnung und einer Beschäftigung. Schliesslich plädieren Lang und Levy für mehr Toleranz: Die Psychiatrie könne nicht Probleme der Gesellschaft wie Wohnungsnot oder Drogenprobleme lösen. «Man muss auch akzeptieren, dass Leute in der Stadt leben, die auffallen. Das gehört zum Stadtbild. Wenn es aber keine medizinische Indikation gibt, können wir die Person nicht stationär hier behandeln», sagt Klinik-CEO Levy. Sie und Chefärztin Lang schliessen: «Vielleicht fehlt ein Angebot für solche Menschen.» Mit diesen Vermutungen sind sie nicht allein. Der ehemalige Beistand ortet auch einen Mangel an Toleranz in der Gesellschaft gegenüber psychisch kranken Menschen. Zudem könnten sich immer mehr Menschen SURPRISE 391/17
nicht an die Regeln von begleiteten Wohnformen halten. Die landen in der Notschlafstelle oder auf der Strasse. Es brauche mehr Angebote, wie sie etwa der Verein für soziale Psychiatrie Baselland anbiete. Dort versucht man, individuell auf die Probleme der Menschen einzugehen. Ähnliches ist auch aus der Abteilung Sucht der Stadt Basel zu vernehmen. Leiterin Eveline Bohnenblust schreibt von einer «angespannten Wohnungslage für sozial benachteiligte Personen». Insbesondere Menschen mit Sucht- und psychischen Problemen würden «im Moment noch durchs Netz fallen». Zu streng sind teilweise die Bedingungen in den Wohnheimen und auf dem Wohnungsmarkt. Bohnenblust findet, man sollte Lösungen mit den zuständigen Stellen «prüfen». Derweil hofft man bei der Frauenoase auf eine engere Zusammenarbeit, wenn psychisch kranke Menschen aus der UPK entlassen werden, auf «mehr Raum zum Sein, zum sich unverbindlich Treffen» und auf «mehr finanzielle Ressourcen». Dann «könnte man auch mal zu dritt arbeiten und erweiterte Öffnungszeiten anbieten». Bei der Gassenküche hingegen gibt man sich abgeklärt: Man setzt auf Weiterbildung im Umgang mit psychisch Kranken. Und Leiterin Brigitte Tschäppeler bringt es auf den Punkt: «Es sind wohl einfach alle überfordert.» ■ *Alle Namen geändert. Frieda hat der Autor persönlich getroffen. Die Beispiele von Pia und Emilia stammen aus dem Jahresbericht 2015 der Frauenoase.
Pia* ist 58 Jahre alt und konsumiert seit Jahrzehnten Drogen, auch Heroin. Vor sieben Jahren kam sie ins Methadonprogramm. Danach griff sie auch immer öfters zur Flasche. Heute sind es vier bis sechs grosse Bier pro Tag. Der Alkohol hat sie verhärmter gemacht. Sie hat Phasen, in denen sie ausfällig wird und herumschreit. Früher hatte sie das nicht. Mit ihrem ebenfalls drogensüchtigen Ex-Mann hat sie drei heute erwachsene Kinder, welche grösstenteils bei den Grosseltern aufgewachsen sind. Sie hat nicht mehr viel Kontakt zu ihnen. Seit rund sieben Jahren lebt sie auf dem Flughafen, bei einer Kollegin oder im Wald. Aus der Notschlafstelle fliegt sie immer wieder raus, weil sie sich nicht an die Regeln hält.
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BILD: JENNIFER BRAUN
«Mein Hund Clayd und ich haben einen ganz besonderen Blick auf unsere Stadt. Wir wissen, wo es günstig Mittagessen, eine Gratis-Suppe am Abend und ärztliche Versorgung für Mensch und Tier gibt. Und wo man gut Platte machen (draussen übernachten, Anm. d. Red.) kann. Wenn jemand Hilfe braucht, dann bin ich für ihn da. Das ist alte Berber-Ehre, auch wenn ich ja inzwischen eine Wohnung habe.» Linda, 53, Köln
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Stadtführer Im Norden bei den Berbern Wenn einer eine Reise tut – dann kriegt er was zu hören. Den Surprise-Stadtführern aus Zürich und Basel jedenfalls ging es so, als sie sich kürzlich mit ihren Kollegen in Köln und Düsseldorf austauschten. Die Bildungsreise zeigte, dass in ganz Europa ein neues Berufsbild entsteht: das des engagierten Ex-Obdachlosen, der den Leuten mit seiner Expertise den Blick öffnet.
VON CHRISTINA BACHER (TEXT), HANNA WITTE UND JENNIFER BRAUN (BILDER)
rungen, die in Köln nur gelegentlich und auf Nachfrage durchgeführt werden, will sie vor allem eines erreichen: Die Menschen sollen nicht mehr wegschauen. «Ich mache eben Politik. Im Kleinen», sagt die Frau, die sogar einen eigenen Verein gegründet hat, um obdachlosen Frauen zu helfen. Nach der Führung wird sie als Rednerin auf einer Kundgebung zum Thema «Wohnraum für alle» erwartet. Einen Tag später und rund 40 Kilometer weiter nördlich: Auch in Düsseldorf geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Jeder zweite Einwohner hat Anspruch auf Mietzuschüsse, und die offiziellen Schätzungen gehen von rund 1000 wohnungslosen Menschen aus – die Dunkelziffer ist viel höher. Gut 20 Minuten Spaziergang von der berühmten Königsallee, einer der Luxus-Shoppingmeilen Deutschlands, liegt das Büro der Organisation Fifty Fifty, die sich in der Stadt der Gegensätze seit vielen Jahren um die Randständigen kümmert. Das gleichnamige Strassenmagazin ist nur ein Teil des breiten Angebots der Einrichtung, die neben der Sozialberatung und Gassenarbeit auch eine Galerie betreibt, die mit dem Verkauf von hochwertigen Kunstwerken das Ganze mitfinanziert. Als neues Standbein sind vor drei Jahren die sozialen Stadtrundgänge hinzugekommen, die immer im Team durchgeführt werden. Eines der Duos besteht aus zwei Frauen, Mirjam und Sandra – das ist einzigartig und bie-
Die Steinsarkophage vor dem Römisch-Germanischen Museum, knappe 100 Meter vom Kölner Dom entfernt, sind seit Jahren mit schweren Eisenplatten zugenagelt. Früher legten sich hier Obdachlose zum Schlafen rein. Die «Kölsche Linda», die selbst viele Jahre auf der Strasse gelebt hat, erlebte das noch mit, sagt sie. Linda ist Verkäuferin von Deutschlands ältester Strassenzeitung, dem Draussenseiter in Köln. Seit zwei Jahren ist sie zudem auch als Stadtführerin der «Bürger und Berber»-Tour unterwegs, die sie für gewöhnlich gemeinsam mit dem Historiker Martin Stankowski absolviert. (Obdachlose im Rheinland nennen sich in Anlehnung an die nordafrikanischen Nomaden «Berber», Anm. d. Red.) Geplant und ausgeschrieben werden die Touren von der Wohnungsloseneinrichtung Oase, die auch den Draussenseiter herausgibt. Der Einrichtung kommen auch die Einnahmen zugute – von Lindas Honorar einmal abgesehen. Heute ist die gebürtige Kölnerin mit einer ganz besonderen Truppe um den Dom unterwegs, nämlich mit Kolleginnen und Kollegen, die in Basel, Zürich und Düsseldorf genau das Gleiche tun wie sie. Angezettelt hat diese spezielle Art der Begegnung das Team um die stellvertretende Surprise-Geschäftsleiterin Sybille Roter, die auch für die Sozialen Stadtrundgänge in Basel, Linda lebte auf dem Grab ihrer eigenen Grossmutter, bis sie nicht Zürich und bald auch Bern zuständig ist. Eine Art Betriebsausflug also – mit Weiterbildungsmehr konnte. Heute führt sie einen Verein, der obdachlosen Frauen faktor. hilft. «Ich mache eben Politik. Im Kleinen», sagt sie. Lindas Befürchtung, dass sich die erfahrenen Stadtführer auf ihrer Tour ohne Historiker tet einen ganz speziellen weiblichen Blickwinkel auf das Thema ObStankowski langweilen könnten, ist unbegründet: Alle hängen an den dachlosigkeit. Die beiden wissbegierigen Freundinnen haben sich heute Lippen der Frau, die viele Jahre auf einem Friedhof Unterschlupf gefunebenfalls der Gruppe angeschlossen, um die Kollegen aus der Schweiz den hat – ohne Decke und Schlafsack, wohlgemerkt. Sie hat so lange auf kennenzulernen. «Wir Stadtführer sind offenbar aus demselben Holz gedem Grab ihrer Grossmutter gelebt, bis sie nicht mehr konnte. Abgemaschnitzt, egal, wo wir herkommen», freut sich Sandra über die Begeggert und schwer krank wurde sie vom Sozialdienst katholischer Frauen nung. «Wir alle dürfen keine Angst vor grossen Gruppen haben und aufgenommen und nach und nach aufgepäppelt. «Dass ich heute hier so müssen eine Sprache sprechen, die jeder versteht. Das ist schwerer, als vor euch stehe, verdanke ich auch Projekten wie dem Draussenseiter man sich das so vorstellt!», sagt sie. Sowohl Selbstbewusstsein als auch und vielen Menschen, die an mich geglaubt haben.» Mit den StadtfühSURPRISE 391/17
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BILD: HANNA WITTE BILD: JENNIFER BRAUN
Bild oben: «Auch wenn die Touren von Stadt zu Stadt variieren, verfolgen wir alle offenbar ein und dasselbe Ziel: die Menschen zu sensibilisieren für Themen wie Ausgrenzung und Armut. Dass das jeder von uns auf seine ganz persönliche Art und Weise schafft, macht die Sozialen Stadtrundgänge zu etwas Besonderem.» Peter, 53, Zürich Bild unten: «Ich wusste, wenn ich nicht mutiger werde und in Zukunft nicht strikter eine Position beziehe, würde ich nicht vor dieser grossen Gruppe Menschen bestehen können. Aber nun bin ich schon 1,5 Jahre dabei und sage gerne meine Meinung. Jedenfalls, solange es noch Männer gibt, die die spezielle Position der Frau in der Obdachlosigkeit dementieren. Das Thema liegt mir am Herzen und ist somit auch fester Bestandteil meiner Touren.» Sandra, 49, Düsseldorf
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«Ich hatte eigentlich ein super Leben. Bis es mir bei einem Unfall die Schulter zerfetzt hat. Viele Operationen später verlor ich nicht nur meine Frau, sondern auch meinen Job und kurz darauf meine Wohnung. Und dann stand ich da in einer Stadt, die ich vorher wie meine Westentasche zu kennen glaubte, und wusste nicht wohin. Warum? Weil ich immer weggeschaut hatte.» Rolf (Mitte), 65, Basel. Links im Bild: Stadtführer Johnny aus Düsseldorf.
die laute Stimme hat sie sich im Laufe der Zeit antrainiert – beides wichtige Voraussetzungen für ihren Job, auf den sie sehr stolz ist. «Willkommen auf der einzigen Wohnungsbesichtigung, bei der das Dach fehlt», begrüsst Jörg die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Stadtführung in Düsseldorf. Mittlerweile hat sich in der Gruppe das Gefühl eingestellt, man kenne sich schon seit Jahren. Für die Fakten zu Beginn der Tour ist Sozialarbeiter Johannes Dörrenbächer zuständig, der die Organisation der sozialen Stadtrundgänge bei Fifty Fifty mitbetreut. «Inzwischen kommen auch immer mehr Anfragen von Schulen», erklärt er. «Deshalb haben wir ein Begleitheft erarbeitet, weil wir die pädagogische Aufarbeitung der Tour nicht auch noch leisten können und wollen.» Er teilt das dünne, für Jugendliche gestaltete Heftchen aus. «Klasse!», lautet die erste Rückmeldung von Markus Christen aus Basel, «so etwas bräuchten wir auch. Nicht nur für Jugendliche!» Eine Anspielung darauf, dass nicht jeder Teilnehmer eines Sozialen Stadtrundgangs die nötige Toleranz und Offenheit mitbringt: «Neulich beschwerte sich eine Frau, weil sie auf der Tour gar keinen Obdachlosen in der Gosse liegen gesehen hat», ergänzt Peter aus Zürich. «Dabei achten wir ja extra darauf, dass wir niemanden vorführen. Dafür fehlt bei manchen Teilnehmern das Verständnis.» Eine Erfahrung, die auch die beiden Stadtführer Jörg und André in Düsseldorf schon gemacht haben, wo sie die Einrichtungen und Wohnhäuser der Obdachlosenhilfe immer nur von Weitem zeigen. Nur heute wird eine Ausnahme gemacht: In der Altstadtarmenküche gibt es für die Weitgereisten einen deftigen Eintopf und zum Ende der Führung im Fifty-Fifty-Büro einen starken Kaffee. Den braucht auch der eine oder andere, um das Gehörte zu verdauen. SURPRISE 391/17
«Ich nehme viel von dieser Reise mit», sagt Surprise-Stadtführer Markus, als er nach drei Tagen in Deutschland wieder im Zug nach Basel sitzt. Vor allem die Besichtigung der Überlebensstation Gulliver am Kölner Hauptbahnhof hat ihn beeindruckt (siehe Text Seite 21). Für ihn war die Tätigkeit als Stadtführer von Anfang an mehr als ein Zusatzverdienst zu Sozialhilfe und Rente. Er weiss, dass er den Menschen etwas Wichtiges mitzuteilen hat. Dass er sich gut ausdrücken kann, merkt er an den positiven Rückmeldungen und dem Feedback nach seinen zweistündigen Touren. «Ich sehe jeweils, wie sich das Denken in einer Gruppe nach und nach wandelt, während wir gemeinsam unterwegs sind. Und dass wir uns am Ende einer Stadtführung auf Augenhöhe begegnen. Ein unglaublich gutes Gefühl.» Der heute 63-Jährige, dessen Selbstwertgefühl noch vor fünf Jahren vollkommen am Boden gewesen sei, wie er sagt, geht ganz offen mit seiner eigenen Geschichte um: Heimkindheit, Lehre zum Schriftsetzer, Jobverlust bei der Umstellung auf Computertechnik. Als er wegen einer zu spät diagnostizierten Schlafapnöe beinahe einen Unfall baute, war er seinen zweiten Job als Chauffeur auch los. Nach Jahren der Arbeitssuche galt er auf dem Arbeitsamt schliesslich als nicht mehr vermittelbar. Depressive Schübe gaben ihm den Rest. «Obdachlos war ich nie, aber ich war am Ende. Und dann passierte eine Art Wunder», erinnert er sich an das Jahr 2013, als Sybille Roter von Surprise auf ihn zukam und ihm die Idee der Sozialen Stadtrundgänge vorstellte. Zuerst zögerlich, dann immer begeisterter entwickelte er mit seinem Stadtführer-Partner verschiedene Touren, die seit Jahren gut gebucht sind. Besonders stolz ist er auf seine Kandidatur für den Basler Grossen Rat in diesem Jahr. «Mir ist klar geworden, dass die Themen Armut und Ausgrenzung auch in der Poli-
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«Ich mache seit 2014 Stadtführungen für Surprise. Mein Rekord sind 27 Führungen im Monat. Das macht mir grosse Freude. Heute geht es mir gut. Das war nicht immer so. Als meine Grossmutter gestorben ist, war das für mich ein harter Schlag. Aber ich habe gelernt, immer wieder aufzustehen und zu kämpfen.» Ruedi (Mitte), 58, Zürich. Im roten Pulli: Stadtführerin Myriam aus Düsseldorf.
tik stärker vertreten werden müssen. Mit meiner Kandidatur habe ich einen enormen Achtungserfolg erzielt.» Dass letztlich nur 400 Stimmen zu einem Sitz fehlten, motiviert ihn, diesen Weg weiter zu verfolgen. Nur wenige Tage nach der gemeinsamen Reise ins Rheinland treffen sich die beiden Surprise-Stadtführer Peter und Ruedi am Zürcher Hauptbahnhof zum Mittagessen. Die beiden Männer bewältigen gemeinsam bis zu vier Stadtführungen in der Woche und treffen sich auch privat, weil sie sich gut verstehen. Heute tauschen sie erst einmal Reiseerlebnisse aus. «Es war sehr berührend zu sehen, dass wir alle im gleichen Boot sitzen», fasst Peter zusammen. «Und am Samstag hast du echt noch was verpasst, Ruedi», neckt er den Freund, der sich wegen einer wichtigen Stadtführung schon einen Tag früher auf den Rückweg gemacht hat. Der zuckt nur mit den Schultern. «Wenn ich versprochen habe, dass ich eine Führung übernehme, dann mache ich das auch», sagt der Mann mit der bunten Mütze selbstbewusst. Er klappt seinen Kalender auf, in den er fein säuberlich jede einzelne Führung einträgt, über seine Einnahmen Buch führt und seine Termine plant – was gar nicht so einfach ist, denn seine nächsten Wochen sind jetzt schon komplett ausgebucht. Aber Ruedi hat gelernt, sich durchzusetzen – seit seinem ersten Lebenstag als Frühchen, wie er erzählt. «Die Chancen, das ich überlebe, standen fifty-fifty», grinst er. «Und ich habe es geschafft.» Nicht alle, die sich als Stadtführer bewerben, sind so zuverlässig und belastbar wie Ruedi, Peter, Markus, Rolf, Linda, Sandra, Mirjam, Jörg oder André. Die gesundheitliche Verfassung ist bei Menschen, die jahrelang auf der Strasse oder an anderen Rändern der Gesellschaft gelebt haben, oft nicht die beste – weder psychisch noch physisch. Vielen geht bei einer derart verantwortungsvollen Tätigkeit auch die Puste aus. An-
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dere verlässt dann doch beim Anblick einer grossen Gruppe Menschen der Mut, frei zu sprechen. So scheint es, als entstehe gerade ein ganz neues Berufsbild: das des politisch engagierten Ex-Obdachlosen, der mit seiner Expertise anderen Menschen den Blick öffnet. Der 65-jährige Rolf ist in Basel Stadtführer der ersten Stunde. Für ihn war der Ausflug ins Rheinland eine Art Abschiedsgeschenk von Surprise: Ausgerechnet er, der jahrelang im Strassenchor mitmischte, bevor er sich massgeblich an der Entwicklung der unterschiedlichen Sozialen Stadtrundgänge in Basel und Zürich beteiligte, hat sich auf seine alten Tage frisch verliebt – und zwar bei der Arbeit. Gemeinsam mit seiner neuen Partnerin, die ebenfalls im Strassenchor singt, hat er inzwischen ein neues Leben in Griechenland begonnen. An der Sonne, in einem kleinen Dorf auf dem Peloponnes, fühlt er sich schon nach den ersten Besuchen wie zuhause. «Dass ich gemeinsam mit meinen Kollegen noch mal eine letzte Runde durch Köln und Düsseldorf drehen konnte, bedeutet mir viel», sagt Rolf dankbar. Für ihn jedenfalls war der Job als Stadtführer der Schlüssel zu einem neuen Lebensglück. Oder eben wie ein Sechser im Lotto. ■
Die Autorin ist Redaktionsleiterin der Kölner Strassenzeitung Draussenseiter.
Fifty Fifty und Draussenseiter sind wie Surprise Mitglieder im International Network of Street Papers. www.fiftyfifty-galerie.de, www.draussenseiter-koeln.de Für Stadtrundgänge in Zürich und Basel: www.vereinsurprise.ch SURPRISE 391/17
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«Ich trete bei unseren Stadtführungen nicht als Bittsteller auf, sondern als Experte. Dadurch erfahre ich täglich eine enorme Wertschätzung!» Markus (links), 63, Basel. Rechts: Stadtführer-Kollege Jörg aus Düsseldorf.
Stadtführer Meine Lehren aus Köln Die zwei Etagen in der Überlebensstation Gulliver sind gut besetzt. Wer den Tagestreffpunkt für Obdachlose und Randständige unter der Brücke gleich neben dem Kölner Hauptbahnhof betritt, wird an der Theke begrüsst. Saubere Badetücher liegen bereit – wer will, kann hier duschen. «Hier kann man auch rein, wenn man stinkt», drückte es ein Nutzer aus. An der Wand gibt es Schliessfächer, wo die Gäste ihre wenigen Habseligkeiten für maximal eine Woche einschliessen können. Ganz am Ende eine Glasscheibe und dahinter zwei Füsse, und nur schwach sichtbar der dazu gehörende schlafende Mann in seinen Klamotten. Schuhe ausziehen ist die einzige Pflicht, wenn man die Möglichkeit in Anspruch nehmen will, auch tagsüber mal schlafen zu können. Das Donnern der Züge über die Brücke in den Hauptbahnhof macht dieses Vorhaben allerdings im Minutentakt zur Illusion. Im ersten Stock sitzen die Leute dicht gedrängt. Die Gäste, die meisten von ihnen Männer, sitzen an den kleinen Tischen und schlürfen Suppe, Kaffee, Tee. Am Rande dieser Komfortzone erhebt sich die offene Gepäckaufbewahrung, gut belegt mit den Utensilien, welche diese Leute mitnehmen, wenn sie wieder auf die Strasse gehen: prallvolle Rucksäcke mit aufgeschnallten Schlafsäcken und Isomatten. Die Ansprüche dieser Einrichtung sind hoch. Und ab und an werden sie sogar erreicht. Das Ziel ist – kurz und bündig – die Reintegration von Menschen, denen die Gesellschaft genau diese nicht mehr zugetraut hat. Die Basis ist ein Vier-Stufen-Modell. Wer will, kann hier arbeiten. Subtil beginnt der Weg zurück, zunächst als Tagelöhner in kurzen EinSURPRISE 391/17
sätzen. Sukzessive werden die Ansprüche erhöht. Bei Eignung bekommt die Person in der Endphase ein auf ein Jahr befristetes Arbeitsverhältnis als Vorarbeiterin. Ab diesem Zeitpunkt wird aktiv auf die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt hingearbeitet. Klar erreichen das nicht alle. Es bleibt das Grundangebot: ein geschützter Raum, in dem man einfach sein darf. Vergleiche ich die Schweiz mit Köln, sehe ich grossen Nachholbedarf. Mir ist – zumindest in meiner Stadt Basel – keine staatlich unterstützte Einrichtung bekannt, in die Betroffene ihre Tiere mitnehmen können. Will man Menschen in prekären Situationen erreichen, muss man sie aber nehmen, wie sie sind – mit Hund, Katze oder Ratte. Die Verweigerung des Tiers bedeutet in vielen Fällen die Verbannung aus allen Netzen. Was in der Schweiz ebenfalls fehlt, sind bedingungslose, niederschwellige Angebote zur Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt. Die Sozialfirmen, vom Staat alimentiert, sind dessen Vorgaben unterworfen. Damit scheitert das Vorhaben der Rückführung in ein unabhängiges Leben an den Einschränkungen, den Vorschriften und der Kontrolle. Hier braucht es mehr Freiraum. Will heissen: Der Staat muss auch mal zurückstecken, um ans Ziel zu kommen. Die Bereitschaft hierzu sehe ich im derzeitigen politischen Klima der Schweiz aber nicht. ■
Markus Christen ist Stadtführer in Basel.
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BILD: GUIDO SÜESS
Wörter von Pörtner Der Aufstand der Alten Bei einer Umfrage über die weniger angenehmen Eigenheiten der Schweizerinnen und Schweizer (genau genommen, die als weniger angenehm empfundenen Eigenheiten, denn wir haben selbstredend nur angenehme Eigenheiten) unter jenen Ausländern, die nicht Ausländer, sondern Expats heissen, weil sie englisch sprechen und Jobs haben, die wir auch machen würden, wurde unter anderem das permanente Vordrängeln der Pensionierten genannt. Wir haben uns schon derart daran gewöhnt, dass es uns kaum mehr auffällt. Wohl sang die Schweizer Band Stahlberger einst über «Gwaltbereiti Alti», aber grösstenteils lässt man sie gewähren. Dieses Problem, das wage ich vorherzusagen, wird sich noch verschärfen. Diejenigen, die mir mit dem Auto den Weg abschneiden, die mit dem Velo – gerne auch: dem E-Velo – ungebremst durch die Fussgängerzo-
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ne brettern, die zwischen den Regalen in der Migros die Ellenbogen ausfahren, sie haben eines gemeinsam: die grauen Haare. Die heutige Generation rüstiger Rentner, die in Züge und Busse drängt und an Schaltern abkürzt, war in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren jung, als das Hinterfragen und Brechen von starren Regeln als Akt der Rebellion wider die Obrigkeitsgläubigkeit der Kriegsgeneration erlebt wurde und noch nicht zur Parole für den Verkauf von Sportartikeln und Motorfahrzeugen verkommen war. Wenn auch nur ein kleiner Teil aktiv an dieser Rebellion teilgenommen hat, so machten sich selbst erbitterte Gegner die erkämpften Freiheiten rasch zu eigen. So haben wir es mit einer Generation zu tun, die fast fünfzig Jahre Erfahrung im Die-Füsse-aufdie-Sitzbank-legen hat und sich, angefeuert von einer den Altersstarrsinn verklärenden Jetzterst-recht-Philosophie, nicht mehr ändern wird. Die zukünftigen Pensionierten, und das ist der wahre Grund zur Besorgnis, sind die Leute in meinem Alter. Der endgültige Bruch mit jeder Konvention, eine als Individualität missverstandene Rüpelhaftigkeit hat uns geprägt. Für uns waren die jetzigen Alten die lahmen Hippies, denen es in den Hintern zu treten galt. Dieser Geist ist noch wach und munter, wenn auch in abgekämpften Körpern und matt gewordenen Köpfen. Punkkonzerte sind 50plusVeranstaltungen, die No-Future-Generation hält sich erstaunlich zäh. Vor rund vier Jahr-
zehnten begehrte sie gegen die Gesellschaft und die Politik auf, heute hat sie diese auf ihrer Seite, und sei es nur aus demografischen Gründen. Keine Partei legt sich mit den Alten und Pensionierten an. Es gibt einfach zu viele davon. Sie werden umworben, sie entscheiden Abstimmungen, sie bestimmen die Zukunft, an der sie nicht teilnehmen werden. Wer ein Höchststimmrechtsalter fordert, ist politisch erledigt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich die AHV sanieren liesse, wenn sie nur denjenigen zukäme, die sie brauchen. Auch die Rentner-Vergünstigungen gelten für alle, egal wie reich oder arm sie sind. Daran wird sich nichts ändern. Diese Sonderbehandlung führt zu einem ausgeprägten Gefühl des Berechtigtseins, das sich in schlechten Manieren niederschlägt. So braucht sich niemand zu wundern, wenn es statt der seit Jahrzehnten ausbleibenden Jugendunruhen dereinst zu Alterskrawallen kommt, mit denselben Leuten wie seinerzeit. Nur das mit dem Wegrennen wird schwierig.
Stephan Pörtner lässt sich wegen des nahenden Pensionistendaseins vorerst keine grauen Haare wachsen.
Sarah Weishaupt ist freie Illustratorin aus Basel. SURPRISE 391/17
Sounddesign Wie klingt die Lebenslüge? Der international tätige französisch-schweizerische Sounddesigner François Musy ist Ehrengast an den 52. Solothurner Filmtagen. Das Spezialprogramm «Rencontre» lässt uns in seine Arbeit hineinhorchen.
Zwei Mal den César – den wichtigsten französischen Filmpreis – hat François Musy gewonnen, beide für den besten Ton in Filmen von Xavier Giannoli: «Marguerite» (2015) und «Quand j’étais chanteur» (2006). «Marguerite» ist die Geschichte einer Baronesse, die als Sängerin auftritt, obwohl sie nicht singen kann. (Es ist die Geschichte der realen Florence Foster Jenkins, die dieses Jahr auch von Stephen Frears verfilmt wurde.) «Giannoli erzählt immer die gleiche Geschichte, die Geschichte der Lüge und Täuschung», sagt François Musy. «Es geht um Leute, die lügen, um eine ganz bestimmte Wahrheit aufrechtzuerhalten.» Und wie klingt sie nun also, die Lebenslüge? Wie klingt das Monströse, das an der eleganten Oberfläche kratzt? – Eben: kratzend. Wie eine Grammophonnadel. Oder wie knarzende Holzböden, raschelnde Zeitungen, knisternde Feuer. Es sind die feinen Geräusche, die Risse in der Oberfläche, der Staub auf der Schallplatte, das Knirschen der unterschiedlichen Wahrheiten, die sich aneinander reiben. Nicht umsonst hören wir den Plattenspieler auch genau dann eindringlich knistern, als Marguerite entdeckt hat, dass ihr Mann eine Geliebte hat. Die Nadel auf der Schallplatte wird zum Dorn im Herzen, der Ton ist mit Bedeutung aufgeladen, unterstützt die Handlung und vor allem die zentralen Motive. «Das Drehbuch war bereits entsprechend geschrieben, das war von Anfang an durchdacht», sagt François Musy. «Der Plattenspieler, all die kleinen Geräusche: Das sind fast musikalische Momente in der Erzählung.» «Die Kunst der schiefen Töne», heisst der Untertitel der deutschen Filmversion. Die Kunst von François Musy ist es, die schiefen Töne zu den genau richtigen zu machen. Musy arbeitet als Cheftechniker auf dem Set und vertont Produktionen im eigenen SoundStudio in Rolle (VD). Er hat die Tonbearbeitung für viele Filme mit ungewöhnlichem Sound gemacht, etwa für Jean-Luc Godards «Passion» und «Film Socialisme» mit ihren Textfragmenten und Dialogfetzen, Tonlöchern und Ton-Bild-Scheren. Godard macht mit dem Ton dasselbe wie immer wieder mit Schriften, Bildern und Texten: Er überlagert verschiedene Sprachen, Dialoge und Geräusche und stösst uns damit auf die selbstreferenzielle Ebene des Films. SURPRISE 391/17
BILD: JEAN-VINCENT SIMONET
VON DIANA FREI
François Musy mag aussehen wie der Alleinherrscher über den Ton, aber er stellt sich in den Dienst der Regie.
Bei Claire Simon darf man dafür ganz in eine Welt eintauchen: In «Le Bois dont les rêves sont faits» (2015) schlendern wir durch den Pariser Stadtwald Bois de Vincennes, wo die Natur mit Pflanzen und Vögeln ihren Soundtrack vorspielt und die Menschen ihre eigenen Geräusche mit hineinbringen. Von Godard über Giannoli bis Simon – grösser kann die Bandbreite eines Tonmeisters kaum sein. Der in Genf geborene Musy ist international auch für Regiegrössen wie Olivier Assayas, Manoel de Oliveira und Tony Gatlif tätig, in der Schweiz hat er oft mit Westschweizer Autorenfilmern wie Godard, Alain Tanner und Claude Goretta oder dem Tessiner Silvio Soldini zusammengearbeitet. Fragt man François Musy, was ihn bei der Arbeit am Ton am meisten interessiere – Stimmungen zu erzeugen vielleicht, oder einen Rhythmus zu schaffen? –, sagt er: «Der Ton im Allgemeinen.» Das ist im ersten Moment eine scheinbar wenig ergiebige Antwort, aber es spricht doch Wesentliches daraus. Erstens: Ton hat tausend Möglichkeiten – einen Tonmeister kann man nicht auf eine einzelne Präferenz festnageln. Zweitens: Musy redet nicht gern
über sich selbst. Drittens: Dem Sounddesigner geht es nicht darum, was er am liebsten macht, sondern darum, was ein Film am meisten braucht. «Mit Giannoli arbeite ich extrem gerne, weil ich finde, er hat sein eigenes Universum. Es ist einzigartig, darin einzutauchen.» Zum Beispiel in das von «Marguerite», der Sängerin, die nicht singen kann. Ist das nicht eine Qual für einen Sounddesigner? Doch, «ein bisschen ermüdend» sei es schon gewesen, sich vier Tage lang die kreuzfalsch gesungene Königin der Nacht anhören zu müssen. «Xavier Giannoli fand zwar am Schluss, sie singe nicht mehr falsch genug. Er hörte es gar nicht mehr, dass sie so falsch sang. Man gewöhnt sich daran. Es ist schrecklich, das zu sagen, aber so ist es.» ■
Solothurner Filmtage: 19. bis 26. Januar, Filmprogramm «Rencontre» (u. a. «Marguerite»: Fr, 20. Januar, «Le Bois dont les rêves sont faits»: Di, 24. Januar) Gespräche: «Sound is Half the Picture»: Sa, 21. Januar, Masterclass François Musy: So, 22. Januar. www.solothurnerfilmtage.ch
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© BAUDOUIN BIKOKO, KINSHASA BILD: JEAN DEPARA
BILD: ZVG
Kultur
Der Wolf quengelt lieber rum, statt dass er schläft.
Jean Dépara fotografierte das Nachtleben Kinshasas.
Buch Nur noch eine Geschichte
Ausstellung Diesseits von Afrika
«Mond aus!» von Dana Grigorcea und Anna Luchs nimmt Kinder auf leisen Pfoten mit in den Schlaf.
Eine Fotoausstellung in der Zürcher Photobastei öffnet Perspektiven auf Afrika und dekonstruiert subtil Klischees.
VON CHRISTOPHER ZIMMER
VON VALERIE THURNER
Das ist so eine Sache, das mit dem Schlafengehen. Vor allem für kleine Kinder. Eigentlich sind sie schon so müde, aber da gibt es noch so vieles, was man verpassen könnte. Und also ruft man nach noch etwas zu trinken, hat plötzlich so einen Hunger oder will nur noch eine allerletzte Geschichte hören. Obwohl der Sandmann seine Pflicht längst erfüllt hat. Alles, bloss nicht schlafen! Warum auch? Schliesslich brennt bei den Grossen ja auch noch Licht. Und wenn gar der Vollmond scheint … also um des lieben Friedens willen halt doch noch eine letzte Geschichte. Zum Beispiel die vom Wolf, der auch nicht schlafen kann. Denn am Nachthimmel steht rund und hell und gross der Mond. Wie soll der Wolf da Schlaf finden? «Mond aus!», poltert er, also gäbe es einen himmlischen Schalter, mit dem sich das Mondlicht ausknipsen liesse. Und als das Mondlicht auch noch in den Teich fällt und die Frösche ihr Quakkonzert beginnen, ist es mit der Ruhe ganz und gar vorbei. Wer sollte da nicht verstehen, dass der Wolf mächtig schlechte Laune hat? Was nützt es da, wenn die anderen Tiere mit gutem Beispiel vorangehen und vormachen, wie leicht das mit dem Schlaf eigentlich ist? Einfach die Augen zudecken und dem Mondlicht Paroli bieten. Der Fuchs mit seinem buschigen Schwanz, das Eichhörnchen in seiner Baumhöhle oder die Maus unter einem Blatt. Ein Kinderspiel! Doch der Trotzkopf von Wolf verbeisst sich in seine Wut und ruft beharrlich sein «Mond aus!». Die schweizerisch-rumänische Autorin Dana Grigorcea hat – für ihre eigenen und alle anderen schlaflosen Kinder – ein so schlichtes wie einfühlsames Einschlafbuch geschrieben. Mit Bildern von Anna Luchs, die zugleich künstlerisch und ganz nah bei Kinderzeichnungen sind. Und mit einem struppigen Wolf, dem man seine Kinds- und Dickköpfigkeit selbst bei Mondlicht ansieht. Doch so wie beim Wolf werden sich spätestens auf der letzten Seite auch die Kinderaugen schliessen – und der Schlaf wird auf leisen Pfoten kommen.
Beim Stichwort «afrikanische Fotografie» denken viele spontan an die Savanne mit weidendem Grosswild unter den obligaten Regenschirmbäumen, die Szene im tiefroten Licht des Sonnenuntergangs. Wir erinnern uns womöglich an lachende oder ausgemergelte Kinder, die uns von den Plakatkampagnen der Spendensammler anschauen. Oder an die Medienbilder von Krieg und Chaos, die sich ins Hirn brennen. Solche visuellen Klischees von Afrika sind im Westen weit verbreitet, während in der Kunstwelt Künstler aus Afrika stark untervertreten sind. Die Ausstellung «Zeitgenössische und historische Afrikanische Fotografie im Dialog» – aktuell in der Zürcher Photobastei zu sehen – setzt erfrischende Gegenakzente zu diesen reduktionistischen Afrikabildern. Sie zeigt die 13 Gewinner der Preisausschreibung der Non Profit Initiative POPCAP. Diese fördert Fotografie aus Afrika und bietet ihr eine Plattform, um neue Perspektiven auf den vielseitigen Kontinent zu öffnen. Der Kenianer Tahrir Carl Karmali nimmt mit seiner Serie «Jua Kali» Bezug aufs informelle gleichnamige Kleingewerbe, das afrikanische Städte prägt: Hier weiss man alles zu flicken oder zu recyclen. So schätzt man in Nairobi eine halbe Million Jua-Kali-Unternehmer. Die Serie tritt in einen Dialog mit historischen Fotografien von traditionellen Tänzern: eine Gegenüberstellung, die auf die hybride Alltagskultur zwischen Tradition und Moderne verweist, die viele afrikanische Kulturen prägt. Sämtliche historischen Fotografien in der Ausstellung sind aus dem Konvolut der Basler African Photography Initiatives, die eine Übersetzungsleistung in der visuellen Tradition leisten möchten. Eine deutliche Referenz an den fotografischen Kosmos des legendären Jean Dépara macht die Arbeit «The Uncanny» des Belgiers Léonard Pongo. Sie erinnert atmosphärisch stark an die Bilder von Dépara, der in den Fünfziger- und Sechzigerjahren das Nachtleben des kosmopolitischen Kinshasa festhielt. Pongo macht sich auf die Suche nach einem Kongo fernab der omnipräsenten Kriegsbilder im Ostkongo. Und er beweist, dass Fotokunst aus Afrika durchaus als Korrektiv unserer Wahrnehmung wirken und einen Beitrag zur kulturellen Dekolonisation Afrikas leisten kann.
Dana Grigorcea (Text), Anna Luchs (Bilder): Mond aus! Baeschlin 2016. 24.90 CHF
«Zeitgenössische und historische Afrikanische Fotografie im Dialog», bis So, 22. Januar; Di bis So ab 12 Uhr, Di und Mi bis 21 Uhr, Do, Fr, Sa bis 24 Uhr, So bis 18 Uhr. www.photobastei.ch
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© SABINE WEISS BILD:
Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.
Auch Prominente wirken natürlich: Françoise Sagan 1954 in Paris.
Ausstellung Der menschliche Blick Die Fotografin Sabine Weiss gehört zu den grossen Namen der «école humaniste». Das Museum im Bellpark in Kriens zeigt uns ihren Blick auf die Welt. VON MONIKA BETTSCHEN
Ein Fundbüro in einem New Yorker Warenhaus 1955: Eine Mutter hebt ihre kleine Tochter vom Tresen herunter. Die 1924 in der Schweiz geborene Fotografin Sabine Weiss hat exakt jenen Moment eingefangen, in dem die Arme der beiden in Wiedersehensfreude bereits ausgebreitet sind, sich aber noch nicht berühren. Die Erleichterung, das Kind wohlbehalten wiedergefunden zu haben, verdichtet sich zu einem zeitlosen Sinnbild für die bedingungslose Liebe, natürlich und frei von Pathos. Die 92-jährige Sabine Weiss versteht es bis heute, sich einem Menschen mit ihrer Kamera anzunähern, ohne ihm dabei zu nahe zu treten. Der Betrachter ihrer vorwiegend in Schwarzweiss gehaltenen Fotografien wird Zeuge von feinsten Regungen der Freude, Nachdenklichkeit oder Melancholie. Weiss ist eine der bekanntesten Vertreterinnen der «école humaniste», einer französischen Strömung, der auch Robert Doisneau oder Willy Ronis angehörten. Nicht Ereignisse werden dabei in den Fokus gerückt, sondern der Alltag: ungekünstelte und zufällige Momente, die durch das Weglassen einer kreierten Geschichte den Blick frei machen für das echte Leben der Menschen. «Sabine Weiss hat dieses feine Gespür für Timing, Komposition und Situation», sagt Hilar Stadler, Direktor des Museums im Bellpark in Kriens. «Sie begegnet ihren Modellen auf Augenhöhe, erfasst deren Eigenheiten und schafft so Fotografien, die lange nachwirken.» Sabine Weiss wusste bereits sehr früh, dass sie Fotografin werden wollte. Im Genfer Atelier Paul Boissonnas erlernte sie das Handwerk von Grund auf und zog mit 22 Jahren nach Paris. Dort lernte sie ihren Mann Hugh Weiss und durch ihn Joan Miró, Alberto Giacometti und andere namhafte Künstler der Nachkriegszeit kennen. Viele von ihnen hat sie auch porträtiert. «Diese Porträts von bekannten Persönlichkeiten weisen genau die gleiche Natürlichkeit auf wie ihre Fotografien von Kindern, Musikanten oder Strassenverkäufern», sagt Hilar Stadler. «Die aktuelle Ausstellung ist eine von der Pariser Galérie nationale du Jeu de Paume erarbeitete Hommage an eine Künstlerin, die seit 2010 Trägerin des französischen Ordre national du Mérite ist, deren Werk aber in der Deutschschweiz noch wenig bekannt ist.»
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Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich
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Hofstetter Holding AG, Bern
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Hedi Hauswirth Privat-Pflege, Oetwil am See
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Echtzeit Verlag, Basel
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OpenTrack Railway Technology GmbH, Zürich
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Intercelix AG, Basel
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Naef Landschaftsarchitekten GmbH, Brugg
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Schweizerisches Tropeninstitut, Basel
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PS: Immotreuhand GmbH, Zürich
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Iten Immobilien AG, Zug
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Proitera GmbH, Basel
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Petra Wälti Coaching, Zürich
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Alfred Rappo-Kolenbrander, Breitenbach
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Botanica GmbH, Sins
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Brother (Schweiz) AG, Dattwil
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InhouseControl AG, Ettingen
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Maya-Recordings, Oberstammheim
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noline.ch GmbH, Buus
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Imbach Reisen AG, Wanderreisen, Luzern
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mcschindler.com GmbH, Zürich
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Scherrer + Partner GmbH, Basel
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Ingenieurbüro BEVBE, Bonstetten
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Coop Genossenschaft, Basel
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Treuhand U. Müller GmbH, Bern
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Lions Club Zürich-Seefeld, Zürich
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.
«Sabine Weiss», Museum im Bellpark in Kriens, bis am 5. März 2017 www.bellpark.ch
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BILD: KATHARINA WERNLI
BILD: ZVG BILD: COOKIE FISCHER-HAN
Ausgehtipps
Scheitern hilft: Das Penicillin war ein Fehler.
Pfäffikon/SZ Scheitern für Fortgeschrittene
Edamame ist out. Jetzt ist Kimchi angesagt.
Macht Kunst, egal wie. In Zürich nun als Musiker.
Zürich Zum Heulen gut
Zürich Fünfte Tote Hose
Das schärfste Essen, das ich je zu mir genommen habe, bekam ich in einem koreanischen Restaurant in New York serviert. Ich hatte mutig behauptet, ich würde «spicy food» schon aushalten. Ich wusste nicht, worauf ich mich eingelassen hatte. Weil es aber göttlich schmeckte, ignorierte ich die Tränen einfach, die mir während des ganzen Essens die Wangen herabliefen, und die tadelnden Blicke der Bedienung, die sicher nicht die erste Touristin leiden sah. Ich würde trotzdem sofort wieder hingehen. Weil das Essen so gut war, so schön, so wenig angepasst an den Gaumen der Allgemeinverträglichkeit. So war das Restaurant auch prall gefüllt mit koreanisch sprechenden Menschen, die sich offenbar zuhause fühlten. Auch die Schweiz beherbergt koreanische Migranten, und ihre Küche erobert schleichend die hiesige Kulinarikszene. Das Zürcher Museum für Völkerkunde widmet diesen Menschen und ihrem gaumenschmeichelnden Integrationsprozess nun eine ganze Ausstellung. (win)
Der Mann wird bald 60 und ist in der Schweiz eher Geheimtipp als grosser Abräumer. Der Holländer Franz-Josef Hagmanns-Dajka ging mit 20 nach Berlin, um die Ausbildung als Grafiker zu absolvieren. Er hat aber ganz anderes vor: Er will Kunstmaler werden. Ab 1980 stellt er seine Bilder aus, 1985 eröffnet er eine Art Galerie und spielt in erfolglosen Bands. Ende der Achtzigerjahre folgen seine ersten SoloProgramme als Liedermacher unter dem Namen Funny van Dannen. In den Neunzigerjahren beginnt er auch noch Bücher zu schreiben. Er wird doch noch als Musiker bekannt, das trägt ihm dann den Nebenjob als Autor der Toten Hosen ein. Inzwischen füllt er in Deutschland regelmässig die grossen Hallen, sei es mit Konzert- oder mit Lesetouren. In Zürich stellt er sein 14. Album «come-on» vor. (bc)
Ausstellung «S(e)oul food – Koreanisch-kulinarische
Funny van Dannen, Fr, 13. Januar, 20 Uhr, Plaza, Badenerstrasse 109, Zürich
Es verbocken. Sich irren. Versagen. Scheitern ist ein Sammelbegriff für Nuancen eines Umstands: Mensch will wo hin – macht sich auf den Weg – und landet woanders als geplant. Scheitern ist menschlich und doch tabuisiert. Die Folgen: Versagensängste und Scham, Flucht vor Verantwortung sowie die Suche nach Schuldigen. Dabei könnte Scheitern mehr sein: Wer seinem Scheitern etwas Konstruktives abgewinnen darf, lernt dazu. Wird stärker und kommt auf Ideen. (Auch dafür sind viele Surprise-Verkaufende Experten.) Die Ausstellung «Ein Knacks im Leben» lädt ein, dort hinzuschauen, wo es wehtun könnte: Etwa in einer interaktiven Installation, die den Besucher auffordert, Satzanfänge («Ein verpasster Karriereschritt ist kein Scheitern, weil …», «Ich möchte nicht scheitern, weil …») zu vervollständigen und der Installation hinzuzufügen. So entsteht im Verlauf der Ausstellung eine Übersicht über ein kollektives Empfinden des Scheiterns, die Rückschlüsse auf unsere Gesellschaft erlaubt. Einen anderen Ansatz und Massstab wählen die deutschen Fotokünstlerinnen Haubitz + Zoche, die Hotelanlagen im Baustopp fotografierten. Einen seltsam komischen Spiegel hält uns die Videokünstlerin Gabriela Vanga vor, die in ihrer Videoarbeit «What if Tom invented Jerry?» die Maus wegretuschiert und Kater Tom ein unsichtbares Hirngespinst jagen lässt: Ist Scheitern möglicherweise nur eine soziale Konstruktion? (ami) «Ein Knacks im Leben. Wir scheitern … und wie weiter?» Noch bis So, 26. März 2017, Vögele Kultur Zentrum, Gwattstrasse 14, Pfäffikon SZ www.voegelekultur.ch
Erinnerungen mit Bildern von Cookie Fischer-Han», bis 23. April 2017, Völkerkundemuseum der Universität Zürich; Di, Mi, Fr, 10 bis 17 Uhr, Do, 10 bis 19 Uhr, Sa, 14 bis 17 Uhr, So, 11 bis 17 Uhr, Eintritt frei. musethno.uzh.ch/de/ausstellungen/seoulfood.html
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BILD: «LO SOUND DESERT», REGIE JÖRG STEINECK
BILD: DOMINIQUE SPIRGI
Für alle: Das Norient Musikfilm Festival.
Bern/St. Gallen/Lausanne Klanggeschichten Musik ist Widerstand. Suche nach Wurzeln. Ermächtigung. Ekstase. Experiment. Die Macher des Norient Musikfilm Festival kennen musikalisch kaum Berührungsängste und laden die Zuschauer ein zu einer Reise um die Welt. Von den brasilianischen Favelas über das Zentralgefängnis in Kingston, durch den afrikanischen Sahel und weiter in die Weiten des Kaukasus. Immer auf den Spuren von neuen Klängen, musikalischen Untergründen und Randregionen. Sehens- und hörenswert ist das Festival dabei auch für jene Besucher, die sich nicht zum harten Kern der Musik-Aficionados zählen. Denn Musik ist auch Zeitdokument, verwoben mit Geschichten und Kontexten. Diese sind es, die das Norient-Festival auf der Leinwand sichtbar macht. Und so in den Vordergrund bringen, was dem Hörer oftmals verborgen bleibt. (sim)
So sah der Bär letztes Jahr aus.
Basel Surprise tanzt mit dem Bär Vor langer Zeit gab es in Kleinbasel vier Zünfte. Die Gesellschaften zum Greifen, zum Haeren, zum Rebhaus und zum Bären. Jedes Jahr im Januar feierten sie den Vogel-Gryff-Tag. Zusammen mit den Wappentieren Vogel Gryff, dem Wilden Mann und dem Leu zog ein Bär durch die Quartiere. Er war das Symbol für das offene, freie und unabhängige Kleinbasel. Die Bärengesellschaft setzte sich für Arme ein und war sehr beliebt. Das sahen die anderen drei nicht gern und ersäuften den Bären im Rhein. Die Gesellschaft wurde liquidiert. Bis 1998. Dann stieg der Bär wieder aus dem Rhein, und seither tanzt er am Bärentag durchs Kleinbasel. So weit die Legende. Am 12. Januar ist es ab 14 Uhr wieder so weit: Kinder begleiten den Bären tanzend und trommelnd durch die Stadt. Ab 18 Uhr schlagen sie sich in der Reithalle der Kaserne am Bärenmähli die Bäuche mit Köstlichkeiten aus aller Welt voll. Unter den Ehrengästen ist auch Paola Gallo, Geschäftsleiterin von Surprise. (bc)
8. Norient Musikfilm Festival, Dokumentarfilme, Kurzfilme, Videoclips, Live-Performances; Do, 12. bis So, 15. Januar, Reitschule Bern, Le Bourg Lausanne, Palace St. Gallen www.norient.com
Bärenmähli, Zunftfest, Do, 12. Januar, 18 Uhr, Kaserne, Basel
BILD: NACHLASS HERMANN BURGER, SLA BERN
www.kaserne-basel.ch
Aarau Aargauer Sittengemälde Hermann Burgers «Lokalbericht» erscheint jetzt, 27 Jahre nach dem Tod des Autors. Er ist damit also nichts Geringeres als ein bisher unbekannter Romanerstling. Ein Studenten-, Schlüssel, Künstler- und Kleinstadtroman. Und er ist ein richtiges Burger-Werk: Ständig thematisiert er seine eigene Entstehungsgeschichte, ständig ist man als Leserin darüber verunsichert, was nun trockene Fakten sind und was blühende Fantasie ist. «Lokalbericht» ist ein satirisches Sittengemälde einer Schweizer Kleinstadt und bereits ähnlich grotesk wie sein späteres Werk «Schilten». Geht es in «Schilten» um einen wunderlichen Dorfschullehrer, so ist es im Erstlingsroman eine ähnliche Figur: ein Doktorand der Germanistik und zugleich Hilfslehrer an der Alten Kantonsschule Aarau, der glücklos an seiner Dissertation arbeitet. Aber wir wissen, wie es oft ist: Des Protagonisten Unglück ist des Lesers Glück. Die Ausstellung dazu läuft natürlich in Aarau – am Ort des Romangeschehens. (dif) «Lokalbericht. Hermann Burgers Romanerstling», bis So, 22. Januar, Forum Schlossplatz und Stadtmuseum Aarau
So sieht Inspiration aus: Hermann Burger 1970. SURPRISE 391/17
www.stadtmuseum.ch, www.forumschlossplatz.ch
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Verkäuferinnenporträt «Wir waren nur physisch getrennt» BILD: ALFRED MAURER
Meryem Menur, 34, ist Muslimin, ihr Mann Christ. Das führte zu Problemen, wegen denen er in die Schweiz floh. Jetzt endlich konnte sie ihm nach Jahren der Trennung nachreisen. Sie teilen sich den Surprise-Verkaufsplatz – und hoffentlich bald auch eine Wohnung. AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN
«Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, rund 25 Kilometer von Addis Abeba entfernt. Meine Mutter führte einen kleinen Laden für Haushaltartikel, mein Vater einen Kleiderladen. Da fast alle meiner sieben Geschwister jünger sind als ich, entschieden meine Eltern, dass ich nach der Grundschule nicht weiter zur Schule gehe, sondern zu meinen Geschwistern schaue und im Haushalt helfe. Viel Zeit brauchte jeweils das Wasser holen für die ganze Familie, weil es damals in unserem Haus noch keinen Wasseranschluss gab. Während die einen Geschwister die Schule besuchten und später an der Universität studierten und die andern in den Läden meiner Eltern mitarbeiteten, blieb für mich die Hausarbeit. Irgendwann hatte ich genug davon und ging nach Dubai, um dort als Hausangestellte zu arbeiten. Ich sagte mir: Wenn schon Hausarbeit, dann wenigstens gegen Lohn. Zusammen mit einer andern Äthiopierin und je zwei Frauen aus den Philippinen und Indien arbeitete ich für eine reiche Familie, bestehend aus dem Ehemann, seinen drei Frauen und 24 Kindern. Nach eineinhalb Jahren kehrte ich nach Hause zurück. Da sich in meiner Familie jedoch nicht viel verändert hatte und mir in Äthiopien die berufliche Perspektive fehlte, reiste ich im April 2005 in den Sudan, um in der Hauptstadt Khartoum wiederum bei einer wohlhabenden Familie zu arbeiten. Nur einen Monat vor mir war Negussie, mein späterer Ehemann, der aus Eritrea geflüchtet war, nach Khartoum gekommen. Zufälligerweise begegnete er einem Bekannten aus seiner Heimatstadt Asmara, der bei einer reichen Familie als Chauffeur arbeitete – meinen Arbeitgebern. So lernten wir uns kennen. Negussie hatte eigentlich ein Visum für Ägypten in der Tasche und wollte wenige Monate später abreisen, doch er blieb. Ich gab meine Arbeitsstelle auf, und wir zogen zusammen. In den ersten Monaten sah unser Zusammenleben so aus: Wir stellten jeweils am Abend ein Bett auf im Fotostudio von Negussies Arbeitgeber! Gekocht haben wir auf der Strasse, mit Töpfen von Nachbarn, gewaschen haben wir uns in der Moschee gegenüber. Schliesslich fanden wir eine Wohnung und konnten auch ein eigenes kleines Foto- und Kopierstudio eröffnen. Negussie machte Passfotos für Leute, die bei den umliegenden Botschaften Visaanträge stellen wollten, und ich besorgte die Auslieferungen und war verantwortlich für die Kasse. Mit der Zeit waren wir sehr erfolgreich. Für unsere Konkurrenten wohl zu erfolgreich, denn sie fingen an, vor allem Negussie zu schikanieren und denunzieren, weil er als Christ mich, eine Muslimin, geheiratet hatte. Um am Ende nicht im Gefängnis zu landen, entschied er sich Ende 2009 zur Flucht in die Schweiz, wo bereits sein Bruder lebte. Ich blieb mit unserer äthiopischen Angestellten in Khartoum und betrieb das Fotostudio weiter. Wir hatten die Hoffnung, dass ich im Familiennachzug bald in die Schweiz reisen durfte, doch Negussie bekam lange Zeit keinen Asylentscheid und schliesslich eine Aufenthaltsbewilligung F. Mit dieser war der Nachzug nicht möglich. Nach drei Jahren ausharren in Khartoum verkaufte ich das Fotostudio und kehrte zu meiner Familie nach Äthiopien zurück. Weil ich keine andere Möglichkeit sah, um wieder mit Negussie zusammen zu sein, versuchte ich, ein Touristenvisum für Italien zu bekommen. Im Herbst
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2015 klappte es endlich, und ich konnte nach Mailand fliegen. Von dort reiste ich weiter an die Schweizer Grenze. Wenige Tage später sah ich meinen Mann nach fünf Jahren und vier Monaten im Asylempfangszentrum Vallorbe wieder! Die Trennung in dieser langen Zeit war aber nur physisch – denn dank den heutigen Möglichkeiten konnten wir jeden Tag telefonieren, manchmal sogar mehrmals. Hier in der Schweiz bin ich glücklich, weil ich wieder mit meinem Mann zusammen sein kann. Etwas schwierig ist für mich das Deutschlernen, da ich in meiner Heimat ja nicht lange die Schule besuchen durfte. Verbessern könnte sich auch unsere Wohnsituation: Wir leben beide in Belp in der Flüchtlingsunterkunft, in der Negussie schon vor meiner Ankunft gewohnt hat. Ich mit drei Frauen in einer Wohnung, er mit zwei Männern in einer andern Wohnung. Für uns ist es nicht einfach, eine Wohnung zu finden, weil wir momentan über kein grosses Budget verfügen. Aber Negussie und ich haben schon grössere Schwierigkeiten gemeistert – ich werde die Sprache schon lernen, und eine Wohnung finden wir sicher auch bald.» ■ SURPRISE 391/17
SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin
verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!
Elsa Fasil Bern
Kostana Barbul St. Gallen
Ralf Rohr Zürich
Marlis Dietiker Olten
Negasi Garahassie Winterthur
Josiane Graner Basel
Tatjana Georgievska Basel
Emsuda Loffredo-Cular Basel
Anja Uehlinger Baden
Andreas Hossmann Basel
Haimanot Ghebremichael Bern
Roland Weidl Basel
Daniel Stutz Zürich
Markus Thaler Zürich
Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken
1/2 Jahr: 3000 Franken
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391/17 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 391/17
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Surprise – mehr als ein Magazin
Ich möchte Surprise abonnieren! 24 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–
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Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden.
Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der Deutschschweiz um den Titel des Schweizermeisters. Einige Spieler nehmen am Homeless World Cup teil. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren.
Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.
Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.
Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsleitung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (Mitglied der Geschäftsleitung), Jannice Vierkötter (Mitglied der Geschäftsleitung) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami), Beat Camenzind (bc), Diana Frei (dif), Simon Jäggi (sim), Thomas Oehler (toe), Sara Winter Sayilir (win, verantwortlich für diese Ausgabe), redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Florian Burkhardt, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Khusraw Mostafanejad, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Christina Bacher, Monika Bettschen, Annette Boutellier, Jennifer Braun, Jérôme Egloff, Gisela Feuz, Isabel Mosimann, Valerie Thurner, Karin Wenger, Hanna Witte Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 20100, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising, Kommunikation T +41 61 564 90 50 Zaira Esposito, Katrin Pilling, marketing@vereinsurprise.ch Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.
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Buch: Standort Strasse Bewegende Lebensgeschichten
Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand 152 Seiten CHF 40.– inkl. Versand- und Verpackungskosten ISBN 978-3-85616-679-3
Die belebten Plätze und Strassen der Deutschschweizer Innenstädte sind bekannt. Die Lebensgeschichten der Surprise-Verkaufenden, die hier arbeiten, jedoch nicht. Das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» rückt diese Personen ins Scheinwerferlicht und zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. Das Buch porträtiert zwanzig stolze Menschen, die trotz sozialer Not alternative Lebensentwürfe abseits staatlicher Hilfe gefunden haben. Die Angebote des Vereins Surprise haben ihnen dabei geholfen. Gastbeiträge sowie eine Fotoserie von Surprise-Standorten runden das Buch ab. Erfahren Sie mehr über die Lebensgeschichten unserer Verkaufenden und kaufen Sie jetzt das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand». Ein Teil des Geldes kommt direkt den Surprise-Verkaufenden zugute. Bestellen bei Verkaufenden oder unter: www.vereinsurprise.ch/shop/
Eine Tasse Solidarität! Machen Sie mit: Zwei bezahlen, eine spendieren. Café Surprise gibt es hier: In Basel BackwarenOutlet, Güterstr. 120 Café Bohemia, Dornacherstr. 255 Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstr. 10 Café Flore, Klybeckstr. 5 Café Restaurant Haltestelle, Gempenstr. 5 Kiosk Amann, Claragraben 101 Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg Quartiertreffpunkt Kleinhüningen, Kleinhüningerstr. 205 Quartiertreffpunkt Lola, Lothringerstr. 63 Rest. Les Gareçons, Schwarzwaldallee 200 Rest. Manger et Boire, Gerbergasse 81 Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstr. 96 In Luzern Jazzkantine zum Graben, Garbenstr. 8 In Rapperswil Café good, Marktgasse 11 In Schaffhausen Kammgarn Beiz, Baumgartenstr. 19
In Bern Café Kairo, Dammweg 43 Café MARTA, Kramgasse 8 Café Tscharni, Waldmannstr. 17a Café-Bar das Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 LoLa Lorraineladen, Lorrainestr. 23 Luna Llena Gelateria Rest. Bar, Scheibenstr. 39 Rest. Genossenschaft Bras. Lorraine, Quartiergasse 17 Rest. Löscher, Viktoriastr. 70 Rest. Sous le Pont – Reitschule, Neubrückstr. 8 Rösterei Kaffee und Bar, Güterstr. 6 Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 Zentrum44, Scheibenstr. 44 In Biel Treffpunkt Perron bleu, Bahnhofplatz 2d In Zürich Café Zähringer, Zähringerplatz 11 Sphères, Hardturmstr. 66
www.vereinsurprise.ch/cafesurprise Ein Projekt des Vereins Surprise.