Surprise 393

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Nr. 393 | 3. bis 16. Februar 2017 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

Dürfen wir das? Ein Sonderheft zum öffentlichen Raum


#VendorWeek: Surprise auf Tour! 6. bis 10. Februar 2017, Basel, Bern und Zürich Eine Woche pro Jahr stellt Surprise mit öffentlichen Aktionen die Lebenswelt der Verkaufenden des Strassenmagazins in den Mittelpunkt. Damit beteiligt sich Surprise an der weltweiten Vendor Week des Internationalen Netzwerkes der Strassenmagazine (INSP). Dieses Jahr sind wir unter dem Motto «Begegnungen im öffentlichen Raum – zusammen unterwegs gegen soziale Ausgrenzung» mit einem VW-Bus auf Tour. Der VW-Bus wird zu einem Ort der Begegnung: Persönliche Gespräche sowie Hörstationen bieten die Gelegenheit, Verkaufende des Strassenmagazins kennenzulernen. Kommen Sie vorbei – wir freuen uns auf Sie! Weitere Informationen und detaillierteres Programm auf vereinsurprise.ch oder facebook.com/vereinsurprise

Unsere Tour Montag, 6.2. Basel, Barfüsserplatz | Dienstag, 7.2. Basel, Claraplatz | Mittwoch, 8.2. Bern, Waisenhausplatz | Donnerstag, 9.2. Zürich, St. Jakobskirche | Freitag, 10.2. Zürich, St. Jakobskirche Programm 9–17 Uhr: Öffentliche Heftausgabe und Hörstationen, am 9. Februar Heftausgabe mit Leonardo Nigro ab 11 Uhr 11–12 Uhr und 14–15 Uhr: Begegnungen mit Verkaufenden des Surprise Strassenmagazins 12–14 Uhr: Suppe, Tee und Kuchen Ab 15 Uhr: Live-Musik und Auftritte des Surprise Strassenchors (Chor nur Dienstag und Freitag 17 Uhr)

Eine Tasse Solidarität! Machen Sie mit: Zwei bezahlen, eine spendieren. Café Surprise gibt es hier: In Basel BackwarenOutlet, Güterstr. 120 Café Bohemia, Dornacherstr. 255 Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstr. 10 Café Flore, Klybeckstr. 5 Café Restaurant Haltestelle, Gempenstr. 5 Kiosk Amann, Claragraben 101 Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg Quartiertreffpunkt Kleinhüningen, Kleinhüningerstr. 205 Quartiertreffpunkt Lola, Lothringerstr. 63 Rest. Les Gareçons, Schwarzwaldallee 200 Rest. Manger et Boire, Gerbergasse 81 Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstr. 96 In Luzern Jazzkantine zum Graben, Garbenstr. 8 Meyer Kulturbeiz, Bundesplatz 3 In Rapperswil Café good, Marktgasse 11 In Schaffhausen Kammgarn Beiz, Baumgartenstr. 19

In Bern Café Kairo, Dammweg 43 Café MARTA, Kramgasse 8 Café Tscharni, Waldmannstr. 17a Café-Bar das Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 LoLa Lorraineladen, Lorrainestr. 23 Luna Llena Gelateria Rest. Bar, Scheibenstr. 39 Rest. Genossenschaft Bras. Lorraine, Quartiergasse 17 Rest. Löscher, Viktoriastr. 70 Rest. Sous le Pont – Reitschule, Neubrückstr. 8 Rösterei Kaffee und Bar, Güterstr. 6 Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 Zentrum44, Scheibenstr. 44 In Biel Treffpunkt Perron bleu, Bahnhofplatz 2d In Zürich Café Zähringer, Zähringerplatz 11 Sphères, Hardturmstr. 66

www.vereinsurprise.ch/cafesurprise Ein Projekt des Vereins Surprise.


Öffentlicher Raum? Ein technokratischer Begriff. In kantonalen Abstimmungen werden wir ab und zu gefragt, ob wir ein paar Millionen Franken unserer Steuergelder für eine Umgestaltung hergeben wollen. Oft schreibe ich JA hin, und später staune ich nicht nur über ein paar neue Häuser, sondern auch darüber, dass man plötzlich mehr Anzug- als Bierflaschenträgerinnen antrifft. Oder ich wundere mich, dass mein Kind mit lauter Ausländern in die Kita ging, aber jetzt – im gleichen Quartier – mit lauter Schweizern die Schule besucht. Und langsam sickert es mir ins Bewusstsein, dass die Veränderungen der Stadt mich doch stärker angehen, als nur JA oder NEIN auf einen AbstimmungszetDIANA FREI tel zu schreiben. Was tun wir an Orten, die uns allen, aber nicht jedem von uns allein gehören? REDAKTORIN Und wer darf wo was? Kulturwissenschaftler Jürgen Krusche macht sich Gedanken darüber, wieso Ästhetik in der Stadtplanung manchmal eine moralisch unschöne Seite hat, ab Seite 8. Surprise-Verkaufende, die hierher eingewandert sind, berichten davon, was man in ihren Herkunftsländern im öffentlichen Raum tun darf und lassen muss, ab Seite 22. Und wir erzählen die Geschichten hinter drei Orten mit latenten Nutzungskonflikten in Zürich, Bern und Basel, ab Seite 13. Die Vendor Week – die internationale Verkäuferwoche – ist Ausdruck unseres Respekts für die Verkäuferinnen und Verkäufer von Strassenmagazinen weltweit. Respekt nicht nur für den Willen, sich selbst zu helfen. Nicht nur für den Mut zu Brüchen in der Biografie. Sondern dafür, dass sie sich nicht verstecken damit. Wir glauben, diese Haltung trägt viel zur Offenheit einer Gesellschaft bei. Besuchen Sie unsere Aktionen vom 6. bis 10. Februar in Basel, Bern und Zürich. Draussen, im öffentlichen Raum. Herzlich Diana Frei

BILD: WOMM

Titelbild: Philipp Baer

Editorial Mehr als JA oder NEIN

#VendorWeek Basel, 6.2. Barfüsserplatz, 7.2. Claraplatz Bern, 8.2. Waisenhausplatz Zürich, 9. und 10.2. St. Jakobskirche Jeweils von 9 bis 17 Uhr.

BILD: MARC BACHMANN

BILD: JÜRGEN KRUSCHE

08 Stadtforschung Lob der Hässlichkeit SURPRISE 393/17

BILD: THOMAS HAEMMERLI

Inhalt 04 Aufgelesen Viel Phone 04 Vor Gericht Richterin im Operndrama 05 Sozialzahl Sicher unterwegs 06 Wir alle sind #Surprise «Spannend, ehrlich, spontan» 07 Challenge League Als London unterging 22 Umfrage Wer darf wo was? 29 Buch Wanderwunder 30 Surplus Eine Chance für alle 31 In eigener Sache Impressum

13 Ortsgeschichten Wem gehört die Stadt?

26 Kultur Mein Kampfplatz für den Frieden

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Aufgelesen News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Wenig Geld Kiel. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten in den neuen Bundesländern arbeitet für einen Bruttostundenlohn von weniger als 10 Euro. Dies ergab eine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag an das Bundesarbeitsministerium. In den alten Bundesländern lag die Geringverdienerquote 2014 mit 19,3 Prozent deutlich niedriger, einzelne Bundesländer wie Schleswig-Holstein lagen mit 22,5 Prozent aber deutlich drüber. Am besten schnitt Hamburg ab, hier gehörten nur 15,5 Prozent zu den Niedriglohnempfängern.

Viel Phone Stuttgart. 88 Mal am Tag schalten wir den Bildschirm unseres Smartphones ein. Das ergab eine Untersuchung der Universität Bonn, an der über 300 000 Handynutzer teilnahmen. Demnach verbringt der Durchschnittsnutzer insgesamt zwei Stunden täglich mit seinem Mobiltelefon, checkt Mails, Uhrzeit oder Nachrichten. Nur sieben Minuten werden vertelefoniert. Vergangenes Jahr war das Smartphone mit 66 Prozent und einem Zuwachs von 14 Prozent erstmals das meistgenutzte Gerät für den Internetzugang in Deutschland.

Grosse Diskrepanz London. Grossbritanniens öffentliches Gesundheitssystem (NHS) strauchelt. Schuld seien Gesundheitstouristen aus EU-Ländern, die das System ausbluten liessen, behaupten Populisten und Brexit-Begeisterte. Dabei ist laut Recherche der BBC allein die Zahl britischer Rentner, die von anderen europäischen Gesundheitssystemen profitierten, weitaus höher als die Zahl der Festlandeuropäer, die sich in Grossbritannien behandeln lassen.

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Vor Gericht Die Richterin im Operndrama Harvard-Professor Paul Freund sagte einst: «Das Wetter des Tages wird kein Gericht beeinflussen.» Doch der Einfluss des Klimas einer Ära ist unvermeidlich. Gerade kann man ja keine Zeitung aufschlagen, ohne Vorahnungen einer «finsteren Zeit» oder Elaborate zur «Spaltung der Gesellschaft» zu lesen. Deshalb wollen wir an dieser Stelle für einmal feiern. Abfeiern. Und zwar eine Feministin der Supermegalative: Ruth Bader Ginsburg, Richterin am obersten Gerichtshof der USA. Die 83-Jährige ist ein hartes Guetzli, zweimal schon hat sie den Krebs besiegt. Bereits vor seiner Wahl forderte Trump ihren Rücktritt – sie hatte ihn auf CNN einen «Fake» genannt. Zum Entsetzen selbst ihr zugewandter Medien wie der New York Times, die Einmischung der Justiz in die Politik gilt als höchst unfein. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich in die Nesseln setzte. Wenig verwunderlich bei einer, die sagt: «Für weisse Frauen ist es Bürgerpflicht, nonkonformistische Querdenkerinnen zu sein.» Sie war Jahresbeste an den Elite-Unis von Harvard und Columbia. Einen Job als Anwältin fand sie trotzdem nicht, so war das halt am Anfang der Sechzigerjahre. Sie ging in die Lehre, wurde Professorin – und Frauenrechtlerin im doppelten Wortsinn: Sie verschrieb sich der legalistischen Detailarbeit der Gleichstellung. Sechs Fälle von Frauendiskriminierung focht sie bis zur obersten Instanz aus, fünf erfolgreich. Sie sorgte dafür, dass Lehrerinnen nicht mehr ohne Lohn oder Garantie auf Fortführung des Arbeitsverhältnisses nach Hause geschickt werden konn-

ten, sobald sie sichtbar schwanger waren. Oder dass weibliche Arbeiterinnen der LiptonTeeplantagen ihre Familien über die Firma versichern konnten, wie dies für ihre männlichen Kollegen galt. Als oberste Richterin wurde sie zur Popikone. Als das Gericht Wählerschutzrechte von Minoritäten aufhob, verlas Ginsburg unüblicherweise gleich von der Richterbank aus ihren Dissens. Seither nennt man sie auch «Notorious R.B.G.», in Anlehnung an den legendären Rapper Notorious B.I.G. Dazu meinte sie: «Nun, wir sind beide in Brooklyn aufgewachsen.» Style und Attitude eben. Ihre Jabots, die Richterkragen, ähneln der Halsplatte von Gottesanbeterinnen. Als Biologen eine neue Art dieser Insekten entdeckten, gaben sie ihr deshalb den Namen: Ilomantis ginsburgae. Dennoch ist Ginsburg auch ein Symbol des konstruktiven Dissenses – ausgerechnet gemeinsam mit ihrem ultrakonservativen Richterkollegen Antonin Scalia, der unterdessen verstorben ist. Als sich Bill Clinton 1993 über seine erste Richterberufung den Kopf zerbrach, fragte er Scalia: «Wen hätten Sie lieber: Larry Tribe oder Mario Fuomo?» Der Hardliner sagte: Ruth Bader Ginsburg. Und so kam es. Scalia sagte über die oft abweichenden Meinungen Ginsburgs, sie hätten die Urteile des ganzen Kollegiums verbessert. Die beiden zeigten, wie sich auch fundamental verschiedene Positionen konstruktiv ergänzen können. Es gibt sogar eine Oper über diese Freundschaft: Sollte Scalia/Ginsburg je in der Schweiz aufgeführt werden, ich würde hingehen.

Yvonne Kunz ist seit 2008 als akkreditierte Gerichtsberichterstatterin wöchentlich an den Gerichten des Kantons Zürich unterwegs.

Priska Wenger ist Illustratorin in Biel und New York. SURPRISE 393/17


BILD: WOMM

Gefühl der Unsicherheit, wen n man im Dunkeln allein unte rwegs ist Daten für 2104 in Prozentangab en der Bevölkerung. Alter der Befragten: 15 Jahre und älter. 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Frankreich Frauen

Grossbritannien

Spanien

Quelle: Franziska Ehrler et al.

(Hrsg) (2016): Sozialbericht 2016

Die Sozialzahl Sicher unterwegs Fühlen Sie sich sicher auf dem Nachhauseweg, auc h wenn es spät wird? Oder steigt der Adrenalinspiegel, we nn Sie durch eine schlecht beleuchte te Unterführung oder ein e sch wer überschaubare Strasse ent langgehen müssen? Gefüh le der Un sicherheit oder Sicherhei t im öffentlichen Raum sin d wichtige Indikatoren für die Beschr eibung von Gesellschaften . Berichte über Überfälle und Überg riffe auf offener Strasse, die regelmässige Publikation von Kriminalitätsstatistiken, aber auch konkrete eigene Erfahrun gen oder solche aus dem nahen Umfeld beeinflussen die eig ene Gefühlslage. Und die wiederum wird allzu häufig für pol itische Zwecke instrume ntalisiert. Kaum eine Abstimmung in den letzten Jahren, wo nicht auch Gefühle der Angst und der Unsicherheit eine Rolle spielten. Regelmässig werden Bü rgerinnen und Bürger in verschiedenen Ländern nach ihr en Unsicherheitsgefühle n befragt. Konkret ist anzugeben, wie sicher man sich füh lt oder fühlen würde, wenn man in sei ner Wohngegend nach Ein bruch der Dunkelheit allein zu Fus s unterwegs ist oder wä re. Die Schweiz gehört seit vielen Jahren zu jenen Ländern, in denen sich die überwiegende Me hrheit der Leute sicher füh lt. Nu r etwa jede achte Person gib t an, auf dem Nachhaus ew eg un sicher zu sein. Allerdings verbergen sic h hinter dieser Zahl ein paar sozioökonomische Muster, die zu denken geben mü sse n. So geben dreimal mehr Frauen als Männer an, sich un sicher zu fühlen. Fast doppelt so häufig wie Erwachsene vor dem Rentenalter fühlen sich älte re Menschen unsicher, wenn sie am Abend alleine unterwe gs sind. Und schliesslic h zeigt sich auch, dass dieses Gefüh l der Unsicherheit auc h vom Bil-

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Deutschland

Männer

Schweden

Schweiz

: Wohlbefinden. Zürich: Seism

o Verlag

dungsniveau beeinflusst wird. Menschen mit tiefer Bildung fühlen sich ungleich unsicherer auf dem Nachhauseweg als Menschen mit einem hohen Ausbildungsabschluss. Man darf vermuten, dass diese auch in «besseren» Wohngegenden zu Hause sind. Viel wird über mehr Sicherheit im öffentlichen Raum diskutiert. Die Vorschläge reichen von einer grösseren Präsenz der Polizei auf der Strasse bis hin zu Lady-Taxis, die warten, bis die (älteren) Frauen in den Hauseingang eingetreten sind. Und von noch mehr Überwachungskameras bis zur besseren Durchmischung von Quartieren mit günstigem Wohnraum. Das mag alles nützlich sein, zeigt aber auch eine gewisse Hilflosigkeit. Entscheidend scheint etwas anderes zu sein, wenn man sich den internationalen Vergleich anschaut. Demokratische und offene Gesellschaften, die allen ihren Bürgerinnen und Bürgern eine Chance und einen Platz bieten, die eine tiefe Arbeitslosigkeit aufweisen und eine massvolle Ungleichheit der Einkommen, Gesellschaften, die stärker von Respekt, Anerkennung und Toleranz als von Vorurteilen und Ressentiments geprägt sind, und in denen Diskriminierungen aller Art wenigstens ansatzweise Einhalt geboten wird: In solchen Gesellschaften herrscht offenbar auch im öffentlichen Raum eher ein Gefühl der Sicherheit. Noch gehört die Schweiz zu dieser Gruppe von Ländern. Stimmt die obige These, dann ist auch klar, wie mehr Sicherheit im öffentlichen Raum zu schaffen wäre. Wie so oft geht es letzten Endes um Fragen der Erwerbsbeteiligung und der Lohneinkommen, der sozialen Sicherheit und Chancengleichheit im Bildungswesen. Prof. Dr. Carlo Knöpfel ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

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Msgane Desta Imaha kennen wir schon seit etlichen Jahren. Er begrüsst meinen Mann und mich immer sehr herzlich mit Handschlag, manchmal auch mit Umarmung, und freut sich, ein Surprise verkaufen zu können. Darum würde ich nie und nimmer auf Abo wechseln. Für dieses Foto hat sich Mr. Desta ernst und konzentriert hingestellt. Ansonsten lacht er gerne, auch dann, wenn ihm etwas Sorgen macht. E. M. Jodl und H. W. Huppenbauer, Affoltern am Albis

Wir alle sind #Surprise Wer das Strassenmagazin kauft, tauscht mehr als Geld gegen Ware: Fast immer gibt es ein Lächeln dazu, oft werden ein paar Worte ausgetauscht – und manchmal sogar gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. Viele Leserinnen und Leser berichten uns von ihren Begegnungen mit den Verkaufenden. Und sie schreiben der Redaktion, was sie gut gefunden haben und was weniger. Wir bedanken uns herzlich für diese Rückmeldungen – und teilen hier einige davon mit Ihnen.

Stadtrundgang Wir möchten uns ganz herzlich für die Führung bedanken. Es war so spannend, ehrlich, spontan, vorbereitet und menschlich. Diese Einblicke und Erzählungen werden wir nicht so schnell vergessen. Schön, was ihr da auf die Beine gestellt habt. M. Hürlimann, Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV, Zürich

Leserbrief Ausgabe 389 Mich hat sehr gefreut, dass die Leiterin des Flüchtlingstheaters Malaika, Nicole Stehli, so schön porträtiert ist. Dann ist der Artikel über «I, Daniel Blake» sehr fundiert (ein notwendiger und höchst berührender Film, meilenweit vom Sozialkitsch entfernt, als welchen gewisse Kritiker ihn in ihrer Geschwätzigkeit bezeichnen). Etliche, die Surprise verkaufen, können wohl ähnliche Geschichten erzählen, selbst wenn sie nicht die Regel sind. Besonders gefreut hat mich zudem, dass «Alles muss glänzen» mit Chantal Le Moign und Ingo Ospelt im Theater Winkelwiese vorgestellt wird. R. Bressler, über Facebook

Anita Pfister

steht immer gut gelaunt am Eingang unseres Quartier-Coops im Seefeld und hat stets Zeit für einen kurzen, erfreulichen Schwatz. Sie winkt mir zu, wenn ich an der Haltestelle auf das Tram warte, oder bringt mir sogar ein Heft dorthin. Sie ist eine Bereicherung im Alltag. Danke, Anita Pfister, für Ihre freundliche Art, und natürlich dem Verein Surprise. E. Laimer, Zürich

Leserbrief Ausgabe 391, Kolumne Wörter von Pörtner «Der Aufstand der Alten»

Leserbrief Ausgabe 389, Reportage «Jetzt erst recht»

War das Satire? Oder ist das ernst gemeint? Die Beschreibung der heutigen Alten im Text des Surprise Nummer 391 ist eine Beleidigung für alle solidarischen Alten, die u.a. auch regelmässig Surprise kaufen. Wenn es Satire war, habe ich sie nicht verstanden. Dazu bin ich vielleicht mit meinen 80 Jahren zu alt.

In der Geschichte von Laila und Toufik hat mich das professionelle Verhalten des Leiters der Berner Fremdenpolizei sehr berührt. Er hat die beiden über ihre rechtlichen Möglichkeiten umfassend informiert. Das hat ihnen die Möglichkeit, sich wieder zu finden, aufgezeigt. Eine wunderschöne Weihnachtsgeschichte.

A. Fankhauser, Alt-Nationalrätin, Graue Panther, Oberwil

C. Hutmacher-Perret, über Facebook

Stadtrundgang Im Namen des ganzen Teams des Gefängnis Affoltern am Albis möchte ich mich für die Offenheit der Stadtführer Peter und Hans sowie die gewonnenen Eindrücke von einer Welt bedanken, die die meisten von uns meistens im Alltag kaum beachten. Die Stadtführer erzählten uns sehr offen und nachvollziehbar aus ihrem Leben und davon, wie sie an den Punkt gekommen sind, an dem sie jetzt stehen. Beeindruckend fanden wir, dass nie der Anschein erweckt wurde, es gehe um Mitleid. Vielmehr war eine grosse Bereitschaft spürbar, die eigenen Anteile zu benennen sowie die Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Zudem war es faszinierend und bedrückend zugleich, wie nahe in Zürich Armut und Reichtum nebeneinander zu finden sind. C. Klein, Leiter Gefängnis Affoltern, Zürich

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Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Schreiben auch Sie uns – oder schicken Sie uns Bilder von Ihren Begegnungen mit Surprise! leserbriefe@vereinsurprise.ch oder Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel SURPRISE 393/17


BILD: FLURIN BERTSCHINGER

Challenge League Als London unterging

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mals ist mir die Idee zu meinem Buch gekommen, aber seit ich ab 2012 in der Autonomen Schule Zürich (ASZ) aktiv bin, haben sich die Ideen im Detail entwickelt.» Katharina hat noch zwei andere Bücher mit Kurzgeschichten geschrieben. In ihrem ersten Buch «Sie tragen die Welt auf dem Kopf» – erschienen 2008 – erzählt sie Kurzgeschichten aus Zimbabwe. Ihre zweite Veröffentlichung von 2012, «Ein Teppich fürs Leben», handelt vom Reisen. Es sind Kurzgeschichten von den Märkten, den Basaren dieser Welt. «Als London unterging» ist ihr erster Roman. «Manche von meinen Lesern haben es bedauert, da sie meine Kurzgeschichten mochten.» Trotz der traurigen Geschichte von London empfahl sie mir, es zu lesen. «Die Geschichte ist traurig, aber es gibt viele lustige Momente der Auseinandersetzung mit den Kulturen, die das Buch unterhaltsam machen.» Mit der Geschichte über einen Asylsuchenden möchte Katharina ein

Zeichen setzen, wie sie sagt: «Die Flüchtlinge sind nicht eine Gruppe ohne Namen und ohne Gesicht.» Im Gegenteil, jeder Flüchtling habe seine eigene Geschichte: «Ich bin nur einer davon gefolgt, einer, über die ich viel recherchiert habe», sagt Katharina Morello. Mit ihrer Arbeit hat mir Katharina gezeigt, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer bewusst sind, was für Schicksale Migrantinnen und Asylsuchende in der Regel mit sich tragen.

Der iranische Kurde Khusraw Mostafanejad kam als Flüchtling in die Schweiz. In der ASZ sass er oft zusammen mit Katharina Morello an einem Tisch und sprach mit ihr bei einem Tee oder Kaffee über die kurdische und deutschsprachige Literatur, über Geschichten und Erlebnisse.

BILD: FLURIN BERTSCHINGER

Ich lernte Katharina Morello (50) 2015 bei Sitzungen an der Autonomen Schule Zürich (ASZ) kennen, wo Asylsuchende von Aktivistinnen und Aktivisten kostenlos Deutsch lernen und ich mich ebenfalls engagierte. Eines Tages habe ich sie «die literarische Aktivistin» genannt, weil sie so schön spricht. Nachher sah ich, dass sie sich wirklich viel mit Literatur beschäftigt. Katharina ist in Zürich geboren und auf dem Hirzel aufgewachsen, wo sie immer noch mit ihrem Mann und den drei Kindern lebt. Sie studierte Theologie in Zürich und absolvierte die Diplomausbildung Journalismus am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern. Sie hat bereits als interkulturelle Beraterin, Journalistin, Redakteurin, Kommunikationsfachfrau und Lehrerin für Religion und Kultur gearbeitet. Sie habe sich immer für die Vielfalt der Kulturen interessiert, sagt sie. Ende November gab sie mir ein Exemplar ihres neuen Buches. Ich schaute auf den Titel: «Als London unterging». Ich fand es lächerlich und dachte mir: «London? Wasser? Was für eine Fantasie ist das denn? Und warum leben die Romanautoren in der Irrealität?» Ich erinnere mich daran, dass ich im Zug unterwegs nach Hause viel darüber lachte, nachdem ich zwei Seiten über ein Gespräch zwischen zwei Personen beim Biertrinken gelesen hatte. Ich murmelte vor mich hin: «London ist weit genug entfernt von der See.» Ich warf das Buch auf meinen Tisch und las es nicht mehr. Anfang Dezember lud Katharina mich dann zur Vernissage ins Zürcher Buch-Café Sphères ein. Da verstand ich, dass ihr Roman nichts mit Wasser, der See oder der Stadt London zu tun hat. Es geht um Folgendes: Ein Asylbewerber aus Zimbabwe überlebt die schwierige Flucht in die Schweiz. Er heisst London. Eines Tages ertrinkt er in einem See. Für die Behörden ist der Fall bald abgeschlossen. Doch das Dorf ist uneins darüber, was mit der Leiche geschehen soll, schlussendlich wird sie von der Verwaltung des Dorfes verbrannt. Für die angereisten Verwandten des Verstorbenen sind die Ahnengeister in Aufruhr und müssen besänftigt werden. Londons Tod verursacht ein Aufeinandertreffen von schweizerischem Denken und afrikanischen Kulturen. Die Geschichte nährt sich aus Katharinas eigenen Erlebnissen. Ein Jahr lang lebte sie in Zimbabwe, als ihr Mann 2001 dort in einem Landspital arbeitete. Sie sagt: «Mein Protagonist ist aus Zimbabwe, weil ich viel von dieser Kultur verstehe.» Auch der See ist kein Zufall in der Geschichte, da sie oft mit ihrem Sohn fischen geht. «Ich habe sogar einen Angelkurs mit meinem Sohn besucht.» Von 1989 bis 1991 arbeitete sie in einer Asylunterkunft in Horgen. «Da-

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Ein für Berlin typisches Ensemble: Gartentische, Monoblocks – wie die Stühle in der Fachsprache heissen – und grüner Teppich.

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Stadtforschung Abgründe des Schönen Im 19. Jahrhundert galt: Nur schön ist richtig. Viele Städte scheinen dieser Prämisse noch heute zu folgen. Was dabei jedoch vergessen geht: Öffentlicher Raum ist sozialer Raum. Er muss nicht unbedingt schön sein, sondern lebendig, sagt Kulturwissenschaftler Jürgen Krusche.

VON JÜRGEN KRUSCHE (TEXT UND BILDER)

nach der Mach- und Planbarkeit von Urbanität klar negativ und fordern den Abschied davon. «Urbanität kann man nicht bauen, sie widersetzt sich der zweckvollen Inszenierung und sie entsteht nicht von heute auf morgen», schreiben sie in ihrer Publikation «Stadt und Urbanität» von 2007. Darin heisst es weiter: «Aber doch hat sie ihre Orte, an denen sie gleichsam materielle Gestalt gewinnt und erlebbar wird. Solche Orte sind oft Ergebnis des Alterns der Stadt, des Zerfalls, der Lücken hinterlässt, in denen urbanes Leben sich breitmachen kann. Die Planung kann solche Prozesse nur zulassen, aber allzu oft verbaut sie sie. Räume des Dazwischen und Zonen des Übergangs zuzulassen und Architekturen zu bauen, die altern können, die Lücken, Zerfall und Zweckentfremdung vertragen, ist das Beste, was die Planung für den Erhalt der urbanen Stadt tun kann.» Neben der Planbarkeit müssen auch die ästhetischen Ideale, die oft stillschweigend als gegeben und unverrückbar akzeptiert werden, neu hinterfragt werden. Denn auch der in der Diskussion über attraktiven öffentlichen Raum häufig verwendete Begriff des «ästhetisch Ansprechenden» offenbart ein Problem. Was hier unter ästhetisch verstanden wird, entspricht der Vorstellung des Schönen, wie sie bis weit in das 19. Jahrhundert hinein Gültigkeit hatte. Das Schöne, Wahre und Gute bildeten damals eine Einheit, die für jede Art von Gestaltung verbindlich war.

Es heisst immer, Berlin sei keine schöne Stadt. Schmutzig obendrein. Dennoch zieht die Stadt jährlich über sieben Millionen Touristen an, Tendenz steigend. Auch Kreative aus der ganzen Welt wollen sich hier niederlassen. In sogenannten City Rankings, wo jährlich die «Städte mit der höchsten Lebensqualität» aufgelistet werden, mischt die deutsche Hauptstadt aber nicht ganz vorne mit, im Gegensatz zu München, Wien oder Zürich. Die Studie des Beratungsunternehmens Mercer, die insgesamt 230 Grossstädte der ganzen Welt umfasst, basiert auf der Beurteilung von 39 Kriterien, die unter anderem politische, soziale, wirtschaftliche und umweltorientierte Aspekte umfassen. Hinzu kommen Faktoren wie Gesundheit, Bildungs- und Verkehrsangebote sowie andere öffentliche Dienstleistungen. 2016 untersuchte Mercer erstmalig gesondert das Merkmal «persönliche Sicherheit». Die Kriterien, die für einen guten Platz in den City Rankings relevant sind, erfüllt Berlin laut der aktuellen Mercer-Studie nur unzureichend. Was macht dennoch die nicht zu leugnende Attraktivität der deutschen Hauptstadt aus? Im Gegensatz zu Berlin ist Zürich seit Jahren mit auf den vordersten Plätzen der verschiedenen Städte-Rankings dabei. Die grösste Stadt der Schweiz erfüllt viele der üblichen Kriterien: ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz, gute Schulen und Kinderbetreuung, sichere Arbeitsplätze, soziale SiDie Spuren der Zeit sind wichtig, weil sie gesellschaftliche wie indivicherheit, ein grosses kulturelles Angebot und duelle Erinnerungsräume bilden, die zum Leben jeder Stadt gehören. viele Freizeitmöglichkeiten. Auffallend ist, dass die Qualität öffentlicher Räume kein Bewertungskriterium darstellt, obwohl die Lebendigkeit der Plätze und Dieses Dogma wurde erstmals von Karl Rosenkranz angezweifelt. Als Strassen zweifellos zur Attraktivität jeder Stadt beiträgt. Dabei ist sich Gegenpol zu der dominierenden Ästhetik (und dem damit verbundenen die Stadt Zürich durchaus im Klaren darüber, dass private Nutzungen Schönheitsideal), wie sie unter anderem von Immanuel Kant in seiner den öffentlichen Raum entscheidend mitprägen. In einem Strategiepa«Kritik der Urteilskraft» formuliert wurde, verfasste Rosenkranz bereits pier der Stadtverwaltung heisst es: «Private Nutzungen im öffentlichen 1853 eine «Ästhetik des Hässlichen». Raum sollen den Stadtraum beleben, dürfen den öffentlichen Charakter und die Nutzungen, Zugänglichkeit und Durchlässigkeit des öffentÖffentlicher Raum ist sozialer Raum lichen Raums aber nicht beeinträchtigen.» Ziel ist also ein belebter Wenn man heute die Diskussionen um den öffentlichen Raum verStadtraum, gleichzeitig soll dieser kontrollierbar bleiben. Hier zeigt sich folgt, meint man oft, sich immer noch im 19. Jahrhundert zu befinden. ein Problem, mit dem nicht nur Zürich zu kämpfen hat, sondern das Auch heute wird das Schöne allzu leicht mit dem moralisch Guten verauch in vielen anderen Städten aktuell und weitgehend ungelöst ist: Wie knüpft, sei es in der Politik, der Mode oder im Design. Was als schön wird man beidem gerecht, der erwünschten Lebendigkeit und dem Bedeklariert wird, muss auch gut sein. Und diese oberflächliche und verdürfnis nach Sicherheit, Regulierung und Kontrolle? Wie schafft man lekürzende Haltung ist es, an der sich Investoren wie viele Stadtverantbendigen öffentlichen Raum? Können «Gestaltungssatzungen» oder «äswortliche noch heute orientieren. Wohin diese Verschränkung von thetisch ansprechende» Objekte, wie es etwa in den offiziellen Leitlinien längst überholter Ästhetik und ökonomischer sowie politischer Macht zur Gestaltung des öffentlichen Raums in Zürich heisst, etwas dazu beiführen kann, zeigt der zunehmende «Fassadismus», der von immer tragen? mehr Altbauten nur noch die schöne Hülle stehen lässt. Viele mitteleuropäische Innenstädte verkommen so zu touristisch einträglichen AtUrbanität als Lebensqualität trappen. Berlin folgt diesem Trend mit dem Vorhaben, ein ganzes Zunächst sollte geklärt werden, was Lebendigkeit im Wesentlichen Schloss neu zu errichten. ausmacht, und ob sich diese überhaupt gestalten lässt. Die StadtsozioWährend die Stadtverantwortlichen von einem Berlin des 19. Jahrlogen Hartmut Häussermann und Walter Siebel beantworten die Frage hunderts träumen, wird die Stadtgesellschaft des 21. Jahrhunderts imSURPRISE 393/17

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gestellt werden. Begründung: Er widerspricht der Norm des ästhetisch mer heterogener und unübersichtlicher. Damit müssen sowohl die BürAnsprechenden, sprich Schönen. Banal gesagt: Er ist hässlich. Für Städger und Bürgerinnen wie auch die Verantwortlichen umzugehen lerte, die grossen Wert auf ihr Branding legen, ist dieser Stuhl deshalb innen. Die Gestaltung des öffentlichen Raums kann nicht mehr allein akzeptabel. Doch scheint dieser Stuhl nicht nur hässlich zu sein, sonAufgabe der Architektinnen und Stadtplaner sein. So argumentiert dern auch eine Bedrohung darzustellen. In seinem Aufsatz über das auch der Soziologe Jens Dangschat 2010 in seinem Text «FreiraumverHässliche schreibt der Architekturtheoretiker Marc Cousins: «Schmutz antwortung – Wer nutzt den öffentlichen Raum? Wem nutzt der öffentist die unschöne Kehrseite des ‹guten› Raums – nicht nur, weil er Raum liche Raum?»: «Aus der Planungserfahrung der letzten vier Jahrzehnte einnimmt, sondern weil er den guten Raum ringsherum gewissermasist deutlich geworden, dass das Urteil der Fachleute über die Qualität sen ansteckt. In diesem Sinne hat ‹Schmutz›, das hässliche Ding, eine des gebauten Raums oft nicht ausreicht, um mehrere soziale Gruppen räumliche Kraft, die dem schönen Ding fehlt.» Das Hässliche scheint alvor Ort zufriedenzustellen. Durch eine schrittweise Integration auch so wirkungsmächtiger als das Schöne zu sein, es ist bedrohlich und löst partizipativer Verfahren hat sich die Vorstellung herausgebildet, dass Ängste aus. die Gestaltung des öffentlichen Raums eine Frage der sozialräumlichen Angst dominiert nicht nur das Thema Ordnung und Sicherheit, sonGestaltung ist.» dern zu einem nicht unwesentlichen Teil auch den ästhetischen Diskurs, Damit zurück zur Ausgangsfragestellung: Wie gestaltet man Sozialwodurch sie zu einem unbewussten Faktor bei der Entscheidung über räume? Können diese überhaupt bewusst gestaltet werden? Sind es Bauprojekte wird. War es nicht vielleicht auch die Angst vor dem Hässnicht die Akteure selbst, die Bewohner und Bewohnerinnen jeder Stadt, lichen, die für das Verschwinden des Palastes der Republik, des letzten die durch ihre Handlungen und Aneignungen den sozialen Raum hernoch bestehenden Prestigebaus der ehemaligen DDR, verantwortlich vorbringen oder «produzieren», wie es Henri Lefebvre bereits in den Siebzigerjahren formulierte? Das Bewusstsein dafür, dass alle durch ihre Wahrnehmung, VorNicht nur Objekte werden auf ihre ästhetische Qualität hin beurteilt, stellungen und Handlungen an der Raumprosondern zunehmend auch Subjekte. duktion beteiligt sind – vom Stadtplaner und der Politikerin bis hin zu jedem und jeder Einwar? Statt das Unschöne als Bedrohung zu empfinden und zu verbieten zelnen, die sich auf der Strasse aufhalten –, hat sich bis heute noch nicht – oder einfach abzureissen –, sollte das Potenzial, das auch im Hässüberall durchgesetzt. Es ist also weiterhin notwendig, deutlich zu malichen steckt, genutzt und in das Konzept der lebenswerten Stadt intechen, dass öffentlicher Stadtraum in erster Linie sozialer Raum ist. Ein griert werden. Dass dies gelingen kann, hat die Zwischennutzung des Raum, in dem das «Rendezvous der Gesellschaft mit sich selbst» in aller Palastes in den Jahren vor seinem Abbruch deutlich gezeigt. Offenheit stattfinden kann, wie es der Soziologe Hans Paul Bahrdt einst formulierte. Mehr Ethik statt Ästhetik Rankings wie das der Mercer-Studie gehen nach absoluten Kriterien Im Zuge von Ranking und Branding wollen viele Städte genau so und Massstäben vor. Sie reden uns ein, dass Lebensqualität messbar sein, wie es ihnen die damit beschäftigten Firmen und Hochglanzmawäre. Je öfter die Strassenbahn fährt, je mehr Kindergärten, umso besgazine vorgeben: sauber, sicher und schön. Doch birgt diese Vereinfaser. Das mag wohl stimmen, doch wie steht es mit Dingen, die nicht abchung die Gefahr, dass nicht nur Objekte auf ihre ästhetische Qualität zählbar sind, wie soziale Beziehungen, Atmosphären oder eben Lebenhin beurteilt werden, sondern auch Subjekte. Nicht nur der Plastikstuhl digkeit? Erzeugen kohärente Gestaltung und ästhetisch Ansprechendes wird aus dem öffentlichen Leben verbannt, sondern zunehmend auch lebendige Orte? Nein. Vielmehr ist es die Inkohärenz und Heterogenität unwillkommene Menschen aus sozialen Randgruppen. Unter der Flagder Phänomene, der Kontrast zwischen hellen und dunklen Ecken, zwige der ordentlichen und sauberen Stadt werden sie vermehrt aus dem schen Hoch- und Subkultur, die eine lebendige Atmosphäre hervorzuöffentlichen Raum verdrängt und aufgrund gesetzlicher Bestimmungen bringen vermögen. Vielleicht brauchen wir, wie Häussermann und Sieweggewiesen. Diese Übertragung der Vorstellungen des Schönen und bel sagen, mehr Lücken und Zerfall. Die Spuren der Zeit sind wichtig, Guten von Objekten auf Menschen ist ein ernst zu nehmendes Problem, weil sie gesellschaftliche wie individuelle Erinnerungsräume bilden, die welches weit über rein ästhetische Fragestellungen hinausführt. Das Äszum Leben jeder Stadt gehören. thetische hat hier seine Grenzen. Will man die Interessen der vielfältigen gesellschaftlichen Gruppierungen wirklich ernst nehmen und ihnen Der Wert des Hässlichen Raum bieten, sollte der Wunsch nach kohärenter Gestaltung verabDerzeit wird alles vermeintlich Unschöne, Gebrauchte und Rohe soschiedet und das Kriterium des ästhetisch Ansprechenden relativiert fort eliminiert und durch glatte Neuheiten ersetzt. Was sich hier maniwerden. Anerkanntes Ziel sollte die lebendige und nicht die schöne festiert, ist der unheilvolle Kurzschluss von Schönheit und Sauberkeit: Stadt sein. Auch die Bedürfnisse und Ideen von Randgruppen müssen So wie am Schönen nicht zu zweifeln ist, scheint auch Sauberkeit a prioin die Strategien zur Verbesserung des öffentlichen Raums aufgenomri richtig zu sein. Sauberkeit ist durchaus ein akzeptables Kriterium für men werden. Erforderlich ist also ein Wechsel von einer ästhetischen zu eine lebenswerte Stadt. Problematisch wird es, wenn Sauberkeit und Sieiner ethischen Perspektive. cherheit zum allein seligmachenden Programm erhoben werden. Daher Oft sind es Künstler, die über das Verhältnis von Ästhetik und Ethik ist die Grenze zwischen Sauberkeit und Schmutz ebenso wie zwischen reflektieren. In der urbanen Perspektive sind es vor allem Street Artists, Schönheit und Hässlichkeit nicht eindeutig bestimmbar, sie liegt nicht Strassenkünstler, die gängige Normen sprengen und sich einer Komin den Dingen selbst. Schmutz und Unordnung sind kulturell bedingt merzialisierung entziehen. Sie beleben den Stadtraum, sie aktivieren und sozial konstruiert. ihn und nutzen die Haut der Stadt als Kommunikationsoberfläche. LeiDie gleichen Dinge können in unterschiedlichen Kontexten und von der schätzen viele Stadtbewohner diese Art des Kommunizierens nicht. unterschiedlichen sozialen Gruppen als schön oder hässlich angesehen So gelten Graffiti gemeinhin als Schmiererei, erst recht das Taggen, das werden, sie können Ordnung oder Unordnung suggerieren. nur aus gezielt plazierten Signaturen besteht. Die ästhetischen ErscheiEin prägnantes Beispiel hierfür ist der allgegenwärtige Plastikstuhl, nungsweisen von Street Art sind zu weit vom allgemeinen Verständnis auch Monoblock genannt, der in Berlin und vielen anderen deutschen von Schönheit entfernt, auch wenn es mittlerweile zahlreiche kunstStädten zur gewohnten Möblierung öffentlicher Räume gehört. Als erste und kulturwissenschaftliche Publikationen über das Phänomen gibt. Stadt der Welt führte die Schweizer Hauptstadt Bern ein PlastikstuhlDer «Street Art Cityguide Berlin» hat sogar schon so manche Touristen Verbot ein. Seit 2003 darf dieser nicht mehr im öffentlichen Raum auf-

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Der KĂźnstler 4rtist.com arbeitet vor allem mit vorgefundenem Abfallmaterial. SURPRISE 393/17

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Künstler sp38 reagierte mit handgemalten Plakaten auf die globale Finanzkrise.

in die Stadt gelockt, die sich für Cut Outs aus Papier, mit Siebdruck gestaltete Aufkleber, Schablonen- und Kreidezeichnungen, handgemalte Plakate oder Installationen aus Abfallmaterial begeistern. Richtig betrachtet, könnte Street Art zu einem Vorbild für einen lebendigen und kritischen Umgang mit dem urbanen Raum werden. Denn wichtig ist, mitzutun, mitzugestalten, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass jeder Einzelne durch seine Wahrnehmungen, Vorstellungen und Handlungen den öffentlichen Raum mitgestaltet. Die Bewohner einer Stadt sind keine passiven Raumkonsumenten, sondern aktive Raumproduzenten. Der Berliner Strassenkünstler kinokidcash sagt: «Wir gestalten den städtischen Raum nach unserer Vorstellung und bauen uns dadurch eine Beziehung zur eigenen Stadt auf, um uns mit ihr und in ihr wohl zu fühlen. Wir verschönern, zerstören, kleben zu, installieren, probieren aus, provozieren, lieben, wir leben, kommunizieren, halten zusammen, stänkern, greifen ein, denken nach, respektieren oder nicht, zerstören Grenzen und schaffen neue.» Wenn sich jeder Einzelne eine eigene Beziehung zu seiner Stadt aufbaut, den eigenen Wün-

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schen und Vorstellungen entsprechend, werden ästhetische Normen ausser Kraft gesetzt. Die Stadt wird dann nicht schöner, dafür aber lebendiger. Und das sollte letztlich das entscheidende Kriterium für eine lebenswerte Stadt sein. So ist Berlin eine lebendige und attraktive Stadt, nicht obwohl sie nicht schön ist, sondern weil sie nicht schön ist. ■

Dieser Text erschien erstmals 2011 in einer anderen Fassung in der Zeitschrift ARCH+ 201/202.

Jürgen Krusche ist Kulturwissenschaftler und arbeitet an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Er forscht seit Jahren zum öffentlichen Raum. SURPRISE 393/17


Ortsgeschichten Wer gestaltet den öffentlichen Raum? Öffentlicher Raum ist öffentlich. Aber nicht jeder fühlt sich in jedem Park, auf jedem Platz gleich wohl. Eine Frage steht immer dahinter: Wer bestimmt, wie ein Ort gestaltet wird?

VON BEAT CAMENZIND, SIMON JÄGGI (TEXTE) UND MARC BACHMANN (BILDER)

Wasserfontäne und einen Spielbereich für Kinder, eine Burg mit Kletterturm, Brücken, Rutsch- und Seilbahnen.

Der Kanton ist für finanzielle Zuschüsse offen Zum Beispiel die Basler Claramatte Nachts beleuchten farbige Leuchtdioden den Park, klassische Sitz«Teil unserer Absicht war, den Park wieder allen, vor allem auch Kinbänke sind kaum mehr zu finden. Zudem beruhigte der Kanton mit 2,1 dern und Familien zurückzugeben und die soziale Kontrolle zu erhöMillionen Franken den «fliessenden Individualverkehr» um den Park, hen», schreibt Roland Raderschall, Geschäftsführer der Meilener Landdamit er für Fussgänger besser zu erreichen ist. Belebt wird der Park von schaftsarchitekten Raderschall und Partner. Das Büro hatte im Jahr 2000 den Animatoren der «Kindertankstelle» der Robi-Spielaktion. Sie überden Wettbewerb zur Neugestaltung der Claramatte in Basel gewonnen. nähmen dabei mehr oder minder freiwillig auch einen Teil der sozialen Ausgeschrieben und finanziert hatte den Umbau die Basler Christoph Kontrolle, erzählt ein Mitarbeiter der Robi-Spielaktion. Nachts schaut Merian Stiftung (CMS). Kosten: 3,5 Millionen Franken. Auch die Stifdie Polizei nach dem Rechten. tung zielte darauf ab, die soziale Kontrolle im Park zu erhöhen. Mit der Ganz vertreiben konnte man die Prostituierten nicht. Denn die nahe Neugestaltung sei das automatisch passiert, «was als positiver Aspekt sogenannte Toleranzzone an der Weber- und Ochsengasse, wo Prostitugewertet werden kann», wie CMS-Sprecher Toni Schürmann betont. Es tion toleriert wird, ist überbelegt. Das bestätigen Surprise-Stadtführer sei nicht darum gegangen, Obdachlose, Drogenkranke oder ProstituierMarkus Christen und Peter Stirnimann vom Verein Claramatte. Gerade te aus dem Park fernzuhalten, so Schürmann weiter, Randgruppen seien an Messe-Tagen weichen einige Frauen auf die Trottoirs um die ClaraTeil der Gesellschaft. Beim Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons matte aus. Und das gelbe «Sprütze-Wäspi» wird vor Ort des Öfteren Basel-Stadt heisst es dazu: «Bei der Neugestaltung wurde vor allem dargesehen. Die Leute vom Gesundheitsdepartement säubern die Anlage auf geachtet, den Anwohnern einen Ort mit hoher Aufenthaltsqualität professionell von gebrauchten Spritzen und Nadeln. Denn auch die Dround den Kindern einen sicheren Ort zum Spielen zu bieten.» genszene liess sich nicht ganz aus dem Park vertreiben. Trotzdem: PeEin Blick zurück: Im und vor allem um den Park tummelten sich Droter Stirnimann vom Verein Claramatte ist «mehr als zufrieden» mit dem genprostituierte. 1998 beschwerte sich der Verein Claramatte bei den 2006 neu eröffneten Park. Er sei von der Quartierbevölkerung schnell Basler Behörden. Eine Polizeiaktion 1999 vertrieb die Szene nur für kurund gut aufgenommen worden. «Die Erwartungen wurden um ein ze Zeit. 2002 beschrieb der Verein die Probleme so: Freier würden sämtMehrfaches erfüllt, die Menschen kommen in Strömen hierher.» Inzwiliche Frauen als käuflich betrachten und so ansprechen, Kinder im Park schen sei die Claramatte so beliebt, dass sie im Sommer fast übervoll belästigen und mit ihrem Suchverkehr Wohn- und Lebensqualität der Anwohnenden beeinträchtigen. Zur Sache gehe es in Hinterhöfen oder öffentlichen ToiletMit der Neugestaltung sei automatisch die soziale Kontrolle im Park ten. In der Frauentoilette auf der Claramatte erhöht worden. «Was als positiver Aspekt gewertet werden kann», wie sei es sogar zu einer Vergewaltigung gekomCMS-Sprecher Toni Schürmann betont. men. Zudem zögen die Junkies Dealer an, oft gebe es Streit zwischen Süchtigen, Prostituiersei. Auch das Basler Baudepartement schliesst aus der hohen Nutzung ten und Anwohnern. Surprise-Verkäufer und Stadtführer Markus Chrisder Claramatte bei jedem Wetter, dass die Anwohner zufrieden sind. ten erinnert sich: «Vor dem Umbau war der Park unübersichtlich. Kleinbasel sei zudem dicht bevölkert und verfüge über wenig Spiel- und Büsche und Hecken waren höher. Drogendealer und -konsumenten beGrünflächen. Die Christoph-Merian-Stiftung «erachtet das Projekt auch völkerten die Claramatte. Oft kam es zu Schlägereien. Auch die Strasaus heutiger Sicht als gelungen». senprostitution florierte.» Aber wie kommt es, dass eine private Stiftung einen öffentlichen Park In vielen Gesprächen, Workshops und Sitzungen besprachen der Verumgestaltet? Kann jeder, der genug Geld hat, einen Platz neu gestalten? ein Claramatte, Vertreter der Behörden und die CMS die Neugestaltung Beim Basler Baudepartement beteuert man: «Der Kanton behält bei der der Claramatte. Beim Kanton Basel-Stadt bezeichnet man das Vorgehen Stadtentwicklung sowie bei der konkreten Planung die Oberhand. Es beals «Musterbeispiel für die Zusammenarbeit mehrerer Akteure». Das lief darf einiger politischer Prozesse, bis ein Projekt oder Teilprojekt realisiert so: Erst suchte man einen privaten Investor für den Bau eines neuen wird. Die ordentlichen Bewilligungsverfahren werden nicht ausgeheParkhauses. Denn die Parkplätze um die Claramatte sollten aufgehoben belt.» Dennoch: «Der Kanton ist für finanzielle Zuschüsse offen, um eine werden, damit der Park seine ursprüngliche Grösse zurückerhält. Die FiUmgestaltung oder gar Erschliessung neuer Grünflächen früher als sonst nanz- und Baugesellschaft zum Greifen AG übernahm den Auftrag und möglich anzugehen.» Zwei Beispiele: Den Pavillon im St. Johanns-Park investierte 8,5 Millionen Franken in den Bau eines neuen Parkhauses. finanzierte auch die Christoph Merian Stiftung, und der Garten der Alten Danach begann der Umbau der Parkanlage. 70 Bäume liess man stehen, Universität wird dank des Nachlasses von Gärtner Karl Schlecht bis Mit12 pflanzte man neu dazu. Hecken und Büsche mussten weichen für eite 2017 saniert, umgestaltet und öffentlich zugänglich gemacht. (bc) ■ ne grosse, offene Fläche. Am Rand baute man ein Planschbecken mit SURPRISE 393/17

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Basler Claramatte: FrĂźher war sie ein Ort der Drogen und Prostitution.

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Heute tummeln sich hier Familien. Finanziert wurde die Umgestaltung von der Christoph Merian Stiftung.

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Schützenmatte, Bern: Wer darf bestimmen, wie es hier aussehen soll? Bevölkerung, Wirtschaftsverbände und Politik sind sich nicht einig.

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und nichts muss. Offen für Ideen und Initiativen aus der Bevölkerung. Zum Beispiel die Berner Schützenmatte Zudem wurden mehrere Massnahmen zur Verbesserung der VerkehrssiEine Asphaltfläche so gross wie ein Fussballfeld. Betonpfeiler, Parktuation rund um den Platz beschlossen. felder, eine öffentliche Toilette. Trotz der dünnen Schneeschicht, die sich Wenig Resultat für viel Zeit und Geld, könnte man denken. Doch in der vergangenen Nacht über den grauen Boden gelegt hat: Die Berner Walter Schenkel widerspricht: Der Politologe und Stadtplaner wurde Schützenmatte ist kein schöner Ort. Zwischen den parkierten Autos früh von der Stadt Bern mit der Leitung des Planungs- und Partizipasteht Stéphanie Penher, Stadträtin, Parteipräsidentin des Grünen Bündtionsprozesses beauftragt. Es selber bezeichnet sich als Prozessmananis und entschlossene Kämpferin gegen den motorisierten Privatverger. «Zu Beginn der Planung war alles möglich, vom Hochhaus bis zum kehr. «Das hier ist vergeudeter Raum», eine weisse Dunstwolke bildet Park», sagt Schenkel. Nebst den zahlreichen Austauschplattformen war sich beim Sprechen vor ihrem Mund. «Wir befinden uns hier auf einem es auch das sogenannte Neustadt-Lab, welches der mittlerweile bestädtebaulich wichtigen und zentralen Platz. Und was sehen wir? Nichts schlossenen Umgestaltung den Weg ebnete. In den vergangenen zwei als parkierte Autos und Teer.» Sommern hatte die Stadt die Parkfelder temporär aufgehoben und der Die Berner Schützenmatte ist seit vielen Jahren ein Politikum. ZwiBevölkerung zur Nutzung übergeben. Innerhalb kurzer Zeit wurde aus schen Bahnhof und Aare am Rand der Altstadt gelegen, prallen hier seit dem Unort ein lebendiges Stück Stadt mit Bars, abendlichen Konzerten, Jahren Nutzungsinteressen aufeinander. Am hinteren Rand des Platzes, Zirkusshows, Ausstellungen und Angeboten für Schulkinder. «Diese Meauf der anderen Seite der massigen Betonpfeiler mit den Geleisen, auf denen die Schnellzüge nach Zürich rollen, steht die linksautonome Reitschule. Der davorMitwirkungsprozesse für die Bevölkerung seien in einem direktdemokratigelegene Parkplatz wandelt sich nach Einbruch schen System «völlig falsch», findet Stadtratspräsident Christoph Zimmerli. der Dunkelheit zum Drogenumschlagplatz. Zwischen den Parkreihen wickeln Dealer ihre thode hatte sich bewährt», sagt Schenkel. «Die Schützenmatte erwachte Geschäfte ab. Die Kunden kommen oftmals mit dem Auto, halten nur zu neuem Leben. Und es gab währenddessen kaum Zwischenfälle, die kurz und fahren dann weiter. Und am Wochenende eskalieren hier KonProblematik mit Gewalt und Drogen entspannte sich deutlich.» In Saflikte, die sich zuvor in den angrenzenden Bars und Clubs angebahnt chen Mitwirkung sei die Umplanung der Schützenmatte ein Vorreihaben. Schlägereien, Verletzte und Polizeieinsätze gehören zum Alltag. terprojekt, sagt Walter Schenkel. Er beobachte generell ein wachsendes Politik und Medien bezeichnen die Schützenmatte wahlweise als Unort, Bedürfnis der Bevölkerung, sich an solchen Planungsprozessen zu beSchandfleck oder verpasste Chance. teiligen. «Im stillen Kämmerlein planen und dann darüber abstimmen Doch mit dem schlechten Ruf soll es demnächst vorbei sein. Im verlassen, das funktioniert in der Stadtplanung nicht mehr.» gangenen Herbst entschloss sich der Berner Stadtrat mit grossem Mehr Allerdings sind nicht alle in Bern mit dem Vorgehen einverstanden. für eine Umgestaltung. Die Parkplätze sollen verschwinden, aus der Die Berner Wirtschaftsverbände und mehrere Unternehmen haben eine anonymen Betonfläche soll ein öffentlicher Begegnungsraum werden. Beschwerde gegen die Aufhebung der Parkplätze eingereicht. Mit der «Ein Ort für alle», sagt Stadträtin Stéphanie Penher. Aus der behaglichen Begründung, diese verletze die Wirtschaftsfreiheit und das Gebot der Wärme des Restaurants O’Bolles am Rand der Schützenmatte, wo sie Verhältnismässigkeit. Kritik äussert auch FDP-Stadtratspräsident Chrisauf einen Cappuccino eingekehrt ist, blickt sie nun durch die verglaste toph Zimmerli: Demokratiepolitisch sei das Vorgehen der Behörden Front über die Strasse auf das Parkfeld. Dass die Schützenmatte zum Be«hochproblematisch». In Ländern wie Deutschland seien solche Mitwirgegnungsort werden soll, ist auch ihr Verdienst. Vor sechs Jahren forkungsprozesse sinnvoll, in einem direktdemokratischen System sei das derte Penher in einer Motion, die Stadt müsse die Umnutzung der Schütjedoch «völlig falsch». Das Parlament werde so übergangen und habe zenmatte endlich angehen. Und dabei die Bevölkerung von Beginn weg kaum mehr die Möglichkeit, mitzubestimmen. Zimmerli kritisiert, die in die Planung einbeziehen. «Für uns war von Anfang an klar, dass sich Verantwortlichen würden Konflikte scheuen und stattdessen lieber Taudieser Ort nur dann umgestalten lässt, wenn Nutzerinnen und Anwohsende von Franken für irgendwelche «Berichtli» ausgeben. Seine Vision ner in die Planung involviert werden.» für die Schützenmatte ist ohnehin eine andere. «Mit einem WolkenkratDas Parlament überwies Penhers Antrag an die Regierung. Vier Jahzer wäre allen gedient. Es gäbe Platz für Geschäfte, Kitas, vielleicht auch re später starteten die Behörden einen Mitwirkungsprozess, wie ihn die ein Schwimmbad. Aber das wollte man ja alles nicht.» Stadt Bern, und in Sachen Stadtplanung die gesamte Schweiz, noch Der Kritik zum Trotz, im Berner Stadtplanungsamt ist man zufrieden nicht gesehen hatte. Vertreter von rund siebzig Interessengruppen kamit dem Ergebnis. Das Vorgehen sei aufwändig, bringe aber gute Remen zusammen, Planungsbüros wurden engagiert, die Bevölkerung traf sultate. In Zukunft wolle man deshalb noch stärker auf Mitwirkungssich zu offenen Foren und Stadtlabors. Die Frage, die dabei im Mittelprozesse setzen, sagt Nadine Heller. Sie leitet beim Stadtplanungsamt punkt stand, lautete simpel: Was soll mit der Schützenmatte geschehen? die Fachstelle Gestaltung Öffentlicher Raum. «Nur wenn wir frühzeitig die Bevölkerung einbinden, lernen wir auch die Bedürfnisse der BetrofVom Unort zum lebendigen Stück Stadt fenen kennen.» Der nächste Mitwirkungsprozess ist bereits in VorbereiNach zwei Jahren, ungezählten Sitzungen, sommerlichen Zwischentung. (sim) nutzungen und Ausgaben in der Höhe von rund 700 000 Franken war ■ klar: Ein Hochhausprojekt, wie es bürgerliche Politiker gefordert hatten, ist nicht erwünscht. Anstelle der Parkplätze soll stattdessen ein «multifunktionaler Begegnungsraum» entstehen. Ein Ort, an dem vieles kann

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wohnung an der Turbinenstrasse kostet 2300 Franken pro Monat, ein Zum Beispiel die Zürcher Pfingstweid 3,5-Zimmerappartement schlägt mit 4180 Franken Miete zu Buche. Im Morgens um fünf dröhnten die ersten Sattelschlepper am Haus vorLuxushochhaus «Renaissance» von Immobilien-Investor Mobimo sind bei und liessen es erzittern. Sie zwängten sich durch die schmale Turbinoch vier Wohnungen zu verkaufen. Bei dessen Eröffnung 2011 lagen nenstrasse zum Coop Verteilzentrum in Zürich-West. Schon eine Woche die Preise zwischen einer und sieben Millionen Franken. Im benachnach dem Einzug hatte ich mich daran gewöhnt und die Laster rüttelten barten Zölly-Hochhaus von Losinger-Marazzi waren die Wohnungen ab mich nicht mehr aus dem Schlaf. Und wenn doch, sagte ich mir jeweils, einer halben Million Franken zu haben. Es ist erstaunlich: Der Zürcher für 350 Franken Miete erhältst du nicht das Paradies, und entspannte Bauboom hat nicht nur die Mieten in der Stadt in die Höhe schnellen mich beim Blick aus meinem Wohnzimmerfenster. Die Aussicht nach lassen. Er hat auch die Wahrnehmung verändert, was teure Wohnungen Westen über die Familiengärten ins Limmattal hatte etwas Beruhigensind. Inzwischen gelten 2000 Franken für eine Dreizimmerwohnung als des, vor allem wenn gerade die Sonne unterging. Das ist 15 Jahre her. günstig. Das kann und will sich nicht jeder leisten. Der Bauboom hat Inzwischen erhielt das Gebäude den Namen «Nagelhaus». Denn die BeMenschen aus der Stadt vertrieben, die nicht bereit sind, die überrissesitzer wehrten sich bis vor Bundesgericht gegen den Abriss. Vergeblich: nen Mieten zu bezahlen. Und er hat andere angezogen, die genug verDas Haus ist weg, die Turbinenstrasse wurde verbreitert. Auch der Coop dienen, oder denen es egal ist, die Hälfte ihres Lohnes für Miete auszuzog weg und machte einer teuren Wohnsiedlung und einem Hochhaus geben. mit Luxushotel und Eigentumswohnungen Platz. Und die FamiliengärOb diese Menschen Zeit und Musse finden, den Pfingstweidpark zu ten mussten, trotz einer Petition mit 15 000 Unterschriften, einem Park beleben, bleibt offen. Planen musste die Stadt den Park ohne Beteiliweichen: dem Pfingstweidpark. gung der Anwohner – die Häuser waren schlicht noch nicht erstellt. 2005 hatte das Zürcher Stadtparlament mit einer Umzonung dafür geStadtforscherin Litscher: «Eine partizipative Planung war weder möglich sorgt, dass das Areal zwischen dem Gleisbogen und der vierspurigen noch sinnvoll. Es wohnte niemand dort. Deshalb sollte der Park mögPfingstweidstrasse nicht auch noch überbaut wird. Bereits zuvor hatten lichst flexibel genutzt werden können.» Trotzdem hat die Stadt 2009 eiPolitiker einen Park gefordert, denn nach dem Wegzug der Industrie aus nen Workshop mit «Bewohnerinnen und Bewohnern, Arbeitenden, Pardem Quartier und entsprechenden Umzonungen rechnete man mit teien und Institutionen aus Zürich-West» durchgeführt. Lokales Wissen 30 000 neuen Arbeitsplätzen und 8000 Neuzuzügern. Diese sollten sich verbessere das Projekt, war man überzeugt. Eingebracht haben sich vorin einem Park mit WC-Anlage und Café entspannen können. wiegend Vertreter der benachbarten Hochschule der Künste und der IG Doch ihren Kaffee müssen die Anwohnerinnen und Angestellten anHardturm von der anderen Seite des Quartiers. Sie konnten auch Wünderswo trinken: Um zu sparen, strich der Gemeinderat das Herzstück sche anbringen: «Glacégarten», «Nutzungsflexibilität», «Ganzjahresdes Projekts. Der Park hingegen ist seit 2015 fertig, aber noch etwas karg park», «lauschig» waren oftgenannte Stichworte beim Workshop. und wenig belebt. Ein Wasserbecken, eine Betonlandschaft mit Rutsche Als der Park 2015 eingeweiht wurde, protestierten Politikerinnen und und ein riesiger Sandkasten sollen die jüngsten Quartierbewohner mit Politiker der Alternativen Liste. Ihr Slogan lautete: «Wer zahlt? Die Stadt ihren Eltern anlocken. Den Lärm und den Feinstaub der vierspurigen Zürich. Wer zockt ab? Die benachbarten Immobilien-Unternehmen MoPfingstweidstrasse soll dereinst ein Schulhaus schlucken. Die Planer bebimo und Losinger-Marazzi.» An die Baukosten von knapp acht Millioschrieben das so: «Die Schule wirkt als Emissionsbarriere.» Baubeginn ist im Sommer 2017, derzeit liegt auf der Parzelle Kies, und der Verein Kulturweid organiOb Menschen, die überrissene Mieten bezahlen können, Zeit und Musse siert Ausstellungen und Veranstaltungen. Ins finden, den Pfingstweidpark zu beleben, bleibt offen. Leben gerufen hat den Verein die Stadt Zürich. Er muss mit einem jährlichen Betrag von 5000 nen Franken für den Park hätten die Immobilien-Unternehmen nur rund Franken auskommen. Im Vorstand des Vereins sitzen Menschen aus der zwei Millionen Franken beigesteuert. Die Zürcher SP-Nationalrätin IT-, der Pharma- oder der Finanzbranche. Als eine Architektin und eine Jacqueline Badran hatte dies bereits früher kritisiert: Der Staat berappe Soziologin die Brache mit Sponsorengeldern in einen «Lustgarten» mit die Kosten für die Infrastruktur wie Tram und Aufwertung PfingstweidFlohmarkt, Zirkus und Street-Kitchen-Festival verwandeln wollten, erstrasse, Aufwertung Bahnhof Hardbrücke oder Pfingstweidpark in Züteilte der Verein ihnen eine Absage. Sie hätten die Aufgaben des Vereins rich-West, während die privaten Unternehmen mit ihren Luxus-Wohpraktisch übernommen, heisst es dort. nungen Gewinne erzielten und in ihren Hochglanz-Broschüren mit der guten Erschliessung und dem lauschigen Park werben würden. Wer zahlt? Wer zockt ab? Ein Beispiel: Allein das Tram kostete rund 150 Millionen Franken. BeVolksaufläufe konnte der Verein weder der Brache noch dem Park bezahlt haben das Bund, Kanton, Stadt und SBB. Auch der Zürcher Gescheren. Das ist nicht verwunderlich. Laut Stadtforscherin Monika Litmeinderat hatte die Stadtregierung mit einer Erhöhung der privaten scher dauert es zehn Jahre, «bis ein neues Quartier und seine öffentBeiträge beauftragt. Doch diese wollte nicht neu verhandeln. Grund: Es lichen Räume zum Fliegen kommen. Da braucht es sicher noch etwas gebe im Kanton Zürich keine Rechtsgrundlage für die Abschöpfung Geduld.» Litscher ist gespannt, ob aus der ehemaligen Kuhwiese dereines Planungs- oder Ausstattungsmehrwerts. Dennoch: Auch Stadtforeinst wirklich ein urbaner Park wird, in dem sich Schülerinnen und Stuscherin Monika Litscher findet, alle Unternehmen, die planen und baudenten der nahen Schulhäuser, Angestellte der Betriebe im Quartier und en, sollten dazu verpflichtet werden, der Öffentlichkeit etwas zurückdie Bewohner der teuren Wohnungen begegnen. Und teuer ist die Gezugeben, das nicht kostet und keine Rendite abwirft. (bc) gend: Das zeigt ein Blick in die Immobilienportale. Eine 2,5-Zimmer■ SURPRISE 393/17

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Ein weites Feld f체r Pl채ne, W체nsche, Hoffnungen: Fraglich, ob der Z체rcher Pfingstweidpark je Leben anziehen wird.

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Umfrage Wer darf wo was? Viele Menschen aus der Surprise-Familie kommen aus anderen Ländern als der Schweiz. Wir haben sie gefragt, was in ihrem Herkunftsland öffentlicher Raum bedeutet, was dort üblich und was erlaubt ist. AUFGEZEICHNET VON DIANA FREI UND ISABEL MOSIMANN

Kamerun/Frankreich/Schweiz «Es gibt kaum etwas, das verboten ist» Louis Douglass Nké, 41, Sänger im Surprise Strassenchor Ich lebte in Kamerun, bis ich knapp acht Jahre alt war. Es gibt in Kamerun viele Märkte, auch Flohmärkte. Es gibt Gärten in der Stadt, es gibt auch Kinos, oder man geht in die Bibliothek. Für Kinder und Jugendliche gibt es Schulspielplätze, wo man nach der Schule mit den Kollegen aus dem Dorf oder aus der Stadt spielen gehen kann. Ich kenne viele Städte in Kamerun, zum Beispiel Yaoundé, Douala, Monatelé und Mbalmayo. Dort war ich überall oft, in den Schulferien, mit dem Grossvater, den Grosseltern, mit der Mutter, Tante. Ich war häufig mit den Verwandten in den Ferien, wir haben andere Verwandte besucht. Wenn man draussen sitzt, um mit anderen Leute zu reden, geschieht das oft auf dem eigenen Balkon. Man spricht mit dem Nachbarn, trinkt mit ihm Tee und Kaffee, oder man spielt Tischspiele und Kartenspiele. Auch spielt man draussen Fussball und geht schwimmen im Fluss. Es gibt aber auch Tennisplätze, Basketballanlagen und Schwimmbäder. In Kamerun hat man viel Kontakt mit den Nachbarn. Man kennt sich. Wenn man sich mit Kollegen trifft, geht man auf den Flohmarkt oder ins Dorf, und es gibt Gärten, wo man sich trifft. Man geht auf die Plantagen im Dorf, um Kaffee zu holen, Kakao, Bananen, Mangos, Papayas. Man geht dort hin, um mitzuarbeiten, aufzuräumen, zu putzen und zu ernten. Solche Arbeiten macht man entweder gratis, oder man fragt, ob man etwas dafür bekommen kann. Entweder Geld oder etwas von den Früchten und dem Gemüse. Oder man geht zusammen an den Fluss, um zu fischen und Kleider zu waschen. Man geht ab und zu zusammen an irgendeinen Ort, wo sie deine Hilfe brauchen können, um dort gemeinsam Arbeiten zu erledigen. Man nimmt seine Kollegen mit, und wer Zeit und Lust hat, ist dabei. Wenn es nichts zu tun gibt, geht man ins Kino, in einen Club, ein Restaurant, in eine Bar oder einfach spazieren. Es gibt in Kamerun kaum etwas, das verboten ist. Jeder weiss selbst, wann er nachts nach Hause muss. Die Polizei interessiert sich nicht für solche Dinge. Es gibt immer Aktivitäten und einen Ort, wo man hinge-

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hen kann, weil man Kollegen und Bekannte hat. Wenn man Schwierigkeiten hat, helfen die Nachbarn, man redet miteinander und findet Lösungen. Unterdessen gibt es zwar immer mehr internationale Organisationen von ausserhalb: Leute, die nicht hier wohnen, kümmern sich um die Menschen. Es gibt neue Strukturen, NGOs und Vereine, die Arbeitsplätze anbieten, und Stiftungen, die solche Projekte finanzieren. Dann geben dir externe Berater einen Ratschlag und machen Versprechungen. Aber die Leute haben meistens selbst genügend Erfahrung damit, sich durchzuschlagen – mit den kleinen Arbeiten, die es ja gibt. Ein Arbeitsamt wie hier gibt es nicht. Hier in Basel treffe ich mich mit Freunden im Park, im Restaurant oder an der Tramhaltestelle, da setzen wir uns auch mal hin, um zu reden. Oder auch im Bahnhof, manchmal treffen wir uns da einfach, oder wir gehen einen Kaffee trinken. Oder Fussball spielen beim Surprise Strassenfussball. Oder ich gehe mit Verwandten in einen Park. In Frankreich gibt es keine Plantagen und Gärten, sondern Lebensmittelgeschäfte, Spielplätze und Parkplätze, Gemeindefeste und Musikfestivals. In Frankreich gibt es mehr Orte für die Jugendkultur als in Kamerun. In der Schweiz haben wir dafür mehr Institutionen und Anlaufstellen für Leute, die in Schwierigkeiten sind und Hilfe brauchen. In Basel etwa den Schwarzen Peter, Planet 13 oder das Union. Man hat die Möglichkeit, sich dort zu treffen und um Rat zu fragen, wenn du in Not bist.

Serbien «Die Polizei kommt schneller» Jelena Hofer, 56, Surprise-Verkäuferin in Basel Ich komme aus Strižilo, einem Dorf zwei Stunden von Belgrad entfernt. Das ist ein Ort, der mit dem Kleinbasel vergleichbar ist. Strižilo ist auch städtisch gebaut, es gibt zwei-, dreistöckige Häuser. In Serbien darf man im öffentlichen Raum nicht so viel machen wie hier, die Polizei kommt viel schneller. Nach 12 Uhr nachts darf man sich nicht mehr in einem öffentlichen Warteraum aufhalten. StrassenSURPRISE 393/17


musik darf man nur in Dörfern machen, nicht in den Städten. Wenn ein Weg von Gras gesäumt ist, darf man nicht auf dem Gras laufen. In einem Park darf man allerdings schon auf das Gras sitzen, aber nicht picknicken oder gar grillieren. Es gibt bestimmte Orte, wo man picknicken darf. Die sind speziell dafür vorgesehen, zum Beispiel am Meer. Aber in der Stadt geht das nicht. In einem Brunnen darf man nicht baden. In Basel ist das normal. In Basel darf man alles, auch irgendwo ins Gras sitzen. Die Kinder spielen in Parks auf Kinderspielplätzen, das ist genau wie hier. Aber hier ist die Lebensqualität besser, zum Beispiel fahren die Trams, in Serbien ist das eine Katastrophe. Als Kind habe ich oft in unserem Hof hinter dem Haus gespielt. Dort gab es auch einen Spielplatz. Genau wie hier auch kommt es auf die Eltern an, was man als Kind draussen tun darf und was nicht. Wir selbst hatten bestimmte Zeiten, wann wir draussen sein durften, wir mussten immer sagen, mit wem wir spielten und wohin wir gingen. Das ist in der Schweiz wohl nicht anders. Wenn man Freunde treffen will, geht man oft zu ihnen nach Hause, oder man geht raus in ein Bistro. Für die Jungen gibt es ein Lokal, wo sie Karten spielen gehen. Oder sie gehen in die Disco. Dass Jugendliche in der Stadt herumhängen wie hier am Barfüsserplatz oder am Rhein, das sieht man nicht so oft. Obdachlose gibt es in den grossen Städten auch. Man sieht sie in Bahnhöfen und in Parks. Es gibt eine Organisation, die die Leute versorgt. Hier in der Schweiz besuchen meine Freunde und ich uns gegenseitig zuhause, wir sitzen auch mal in einem Park oder gehen in Reinach spazieren. Ich lebe jetzt hier und bin mich an das Leben hier gewohnt. Meine Heimat ist für mich zeitlich weit weg. Sie ist mir unterdessen ein bisschen fremd geworden.

«Wir trafen uns auf dem Spielplatz» Zaklina Buša, 47, Verkäuferin in Thun Ich bin in einer kleinen Stadt in Serbien aufgewachsen, dort waren das Leben und die Regeln eigentlich gleich wie in der Schweiz. Alle Leute können sich in den Parks, am Bahnhof oder auf dem Marktplatz treffen, solange sie friedlich sind. Die Polizei kommt nur, wenn es einen Konflikt gibt. Als meine Kinder noch klein waren, traf ich mich mit meinen Nachbarinnen auf dem Spielplatz. Während die Kinder spielten, plauderten wir. Ein wichtiger Treffpunkt war auch die Kirche. Den meisten Leuten begegnete ich, wenn es eine Taufe oder eine Hochzeit gab. In Thun treffe ich die meisten Leute, wenn ich Surprise verkaufe oder selbst einkaufen gehe. Manchmal verabrede ich mich auch mit einer Kollegin zum Kaffee.

Sri Lanka «Meistens wurde über Politik gesprochen» Yogendra Duraiswamy, 58, Verkäufer in Bern Ich stamme aus dem Süden von Sri Lanka und bin in einem Vorort einer kleineren Stadt aufgewachsen. Dort traf man sich an verschiedenen Orten, zum Beispiel auf dem Markt, in der Bibliothek oder am Bahnhof, natürlich aber auch in Restaurants und Bars. Auf dem Markt kauften die Leute ein und plauderten dabei miteinander. Als ich Ende der Siebzigerjahre noch dort lebte, wurde meistens über Politik gesprochen. Auf dem Markt und am Bahnhof traf man alle Leute an, Junge, Alte, Frauen, Männer, Kinder. Hier in der Schweiz gehe ich oft zum Berner Hauptbahnhof, wenn ich, ohne etwas abzumachen, unter die Leute kommen will. Ich weiss, dass ich im Restaurant Sous-Sol oder im McDonald’s auf Bekannte von mir treffe. SURPRISE 393/17

Iran «Man muss aufpassen, was man tut» Tareq, 35, hat einen Chancenarbeitsplatz im Vertrieb Basel Ich komme aus Qom, einer Stadt im Iran, deutlich grösser als Basel, wo ich jetzt wohne. Es gibt dort eigentlich keinen öffentlichen Raum. Wenn wir jeweils unsere Kollegen trafen, gingen wir in die nahegelegenen Berge spazieren, um zu reden. Oder man läuft einfach die Strasse entlang. Es gibt zwar schon Plätze und kleine Parks in der Stadt. Aber da kann man sich nicht aufhalten. Sobald fünf, sechs Männer zusammensitzen, kommt die Polizei und scheucht sie weg. Das ist staatliche Kontrolle, und für mich als Afghane im Iran war das ein grosses Problem. Fast alle Afghanen im Iran haben keinen Aufenthaltsstatus, sind also illegal. Das galt auch für mich, obwohl ich im Iran geboren bin. Allerdings dürfte auch eine Gruppe von fünf, sechs Iranern nicht auf einer Parkbank sitzen. Die Polizei weist auch sie weg, sagt, sie sollen weitergehen. Ja, sogar wenn du als Mann allein im Park sitzt, hast du ein Problem. Die Polizei kommt und fährt dich an, fragt: «Was machst du da?» Deshalb läuft man immer, man ist immer unterwegs. Oder man ist bei jemandem zuhause. Im öffentlichen Raum kann man sich nicht wirklich aufhalten. Frauen allerdings schon. Sie dürfen auch zu sechst zusammen draussen sein. Sie gehen hinaus, um Freundinnen zu treffen. Sie essen, trinken, reden draussen miteinander. Aber sie müssen nach Vorschrift angezogen sein, mit Kopftuch. Sonst bekommen auch sie Probleme. Obdachlose wiederum gibt es trotz der strengen Regeln. Sie verstecken sich irgendwo, unter Brücken zum Beispiel. Aber auch sie werden andauernd weggewiesen. Man muss generell aufpassen, was man tut. Alkohol ist natürlich sowieso verboten. Wenn man Freunde treffen will, geht man in eine Schischa-Bar. Aber auch das ist für ledige Leute ein Problem, denn du musst da als Paar hin. Wenn du nicht verheiratet bist, darfst du nicht in eine normale Schischa-Bar. Dann musst du in eine Schischa-Bar gehen, die weit weg ausserhalb der Stadt liegt, dort werden Ledige eher geduldet. Solange du nicht verheiratet bist, triffst du dich meistens zuhause mit deinen Freunden. Das alles gilt für die Stadt Qom. Jede Stadt im Iran hat ihre eigenen Regeln. Manche Städte sind streng, andere weniger. Teheran ist offener, dort gibt es mehr Freiheiten. Qom ist eine sehr religiöse Stadt. Es steht dort die grösste Schule religiöser Akhwand – sie sind eine Art Mullahs: Sie lehren den Islam und missionieren auch. Sie regieren die Stadt. Politik und Religion sind in meinem Herkunftsland nicht getrennt. Und so sind es religöse Regeln, die für das öffentliche Leben gelten. Seit 2006 bin ich in Basel. Hier treffe ich meine Freunde auf dem Barfüsserplatz, am Rhein, auf dem Theaterplatz oder im St. Jakob. Ich fühle mich hier ganz frei.

Äthiopien «Ich hatte nie viel Zeit, um zu plaudern» Haimanot Ghebremichael, 43, Verkäuferin in Bern In Äthiopien, wo ich früher gelebt habe, traf ich meine Bekannten auf dem Markt. Man tauscht sich aus: Wie geht es dir? Wie geht es deiner Familie? Den Kindern? Ich hatte nie viel Zeit, um länger zu plaudern. Ich musste heim zu den Kindern und die Hausarbeit erledigen. Das war nicht wie in Europa, wo man für alles eine Maschine hat. Ich hatte keine Wasch- und keine Abwaschmaschine, auch keinen Staubsauger. Ich wusch alle Kleider von Hand und putzte die Böden mit dem Besen. Mehr Zeit blieb mir am Wochenende beim Besuch der Kirche. Hier in der Schweiz treffe ich meine Freunde und Bekannten auch vor allem in der Kirche, manchmal auch privat. Dann bereite ich oft unser traditionelles Essen Injera zu, Sauerteigfladen mit verschiedenen Fleisch- und Gemüsesaucen. Unter der Woche habe ich viel tun, verkaufe Surprise oder arbeite in einem äthiopischen Restaurant.

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Slowakei «Viele junge Leute leben auf der Strasse» Gabriel Horvat, 38, Surprise-Verkäufer in Basel Ich komme aus Tornala, das ist eine ganz kleine Stadt nahe der ungarischen Grenze. In der Slowakei herrschen schwierige Verhältnisse. Es gibt viele Arbeitslose, und deshalb leben auch viele Menschen auf der Strasse. Wohnungen sind teuer. Man sieht viele Obdachlose auf der Strasse, das gehört zum Stadtbild. Man sieht sie auf der Strasse schlafen. Man sieht sie auch im Park, unter den Bäumen. Es gibt auch welche, die ihr Zelt dabeihaben. Sie dürfen nachts im Park ihr Zelt aufstellen, das wird geduldet. Niemand weist sie weg. Wenn jemand kein Geld hat, hält er sich auf der Strasse auf. Man läuft herum und bettelt sich sein Geld zusammen. Eigentlich ist es verboten, aber es gehört dazu. Die Leute geben den Bettlern auch ab und zu Geld, ähnlich wie hier. Trotzdem sind die Passanten Bettlern gegenüber auch sehr distanziert, obwohl es ein viel gewohnteres Bild ist als in der Schweiz. Viele, die auf der Strasse leben, sind junge Leute, die nach der Ausbildung keine Arbeit gefunden haben. Es gibt sichtbare Unterschiede in Tornala, wer wo wohnt und wer sich wo aufhält: Die reichen Leute trifft man eher im Zentrum, die ärmeren eher in den abgelegenen Quartieren. Wir haben immer zusammengehalten, meine Frau und meine Kinder. Mit ihnen ging ich oft auf Spielplätze. Ich selbst bin nie auf der Strasse herumgehangen. Aber mit Freunden trifft man sich schon, um einfach draussen zu sein und zu reden.

Somalia «Die Al-Shabaab-Milizen zerbomben die Strassen» Ali (Name geändert), 31 Jahre, verkauft Surprise in Basel In Somalia gibt es ganz viele Dinge, die interessant und wertvoll sind, aber man sieht sie nicht. Öl, Gas. Es gibt genug, aber man sieht es nicht. Was man sieht, ist der Krieg deswegen. Somalia ist ein gutes Land, aber es ist zur Zielscheibe von Terroristen geworden, weil die auch sehen, dass es ein gutes Land ist. Wenn sichtbar ist, dass es einem Land gut geht, wird es interessant für Terroristen. In Mogadischu zerbomben die Al-Shabaab-Milizen die Strassen, man sieht zerstörte Hotels, es gehen Autobomben hoch. Aber Leute wie du und ich müssen eigentlich keine Angst haben. Die Terroristen suchen sich bestimmte Gruppen von Leuten aus, sie zielen auf Politiker ab, auf Parlamentarier, Regierungsleute. Sie suchen sich auch ganz bestimmte Orte für ihre Anschläge, Orte, an denen die arbeiten, die sie treffen wollen: Versicherungen, Banken. Ich achte darauf, wer sich in meiner Nähe aufhält. Es geht weniger darum, ob man in einer grösseren Menschengruppe ist, sondern darum, wer diese Menschen sind. Die vom Terrorismus zerstörten Häuser werden schnell wieder aufgebaut. Auch um zu zeigen: Wir lassen uns nicht bodigen. Es wird schnell und einfach gebaut, die Leute arbeiten für wenig Geld. Man verdient zwischen 200 und 800 Dollar pro Monat, aber von 200 Dollar kann man schon mehr oder weniger leben. Mogadischu hat einen grossen Flughafen, es gibt Krankenhäuser, materiell geht es langsam besser, das sieht man der Stadt auch an. Auch der Hafen von Mogadischu ist gross und neu: Das Öl und das Gas liegen unter dem Meer, vor der Küste. Sobald man das einfacher abbauen kann, wird es dem Land noch besser gehen. Am Meer trifft man sich auch, wenn man mit anderen zusammen sein will. Man geht schwimmen, ist draussen, viele Leute essen draussen. Am Meer musst du auch keine Angst haben, dort hält sich niemand auf, der die Terroristen interessiert. In Somalia treibt man auch viel Sport. Hochsprung ist sehr verbreitet. Hoch- und Weitsprung macht man einfach draussen am Meer. Viele Leute aus den Dörfern sind stark

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und sportlich, sie machen im Alltag viel körperliche Arbeit. Aus Somalia kommen einige gute Sprinter. Abdi Bile ist ein bekannter Mittelstreckenläufer, er hat 1987 die WM gewonnen. Was in Somalia auch anders ist als in der Schweiz: Die Kinder sind selbständiger. Man sieht sie draussen spielen und basteln. Sie basteln ihre eigenen Puppen aus Maiskolben, die langen Fäden sind dann die Haare. Jungs basteln Autos aus Metalldosen, sie nehmen Schuhsohlen und basteln daraus die Pneus, alles ohne Technik und Motor natürlich. Vor 25 Jahren blieben die Frauen noch zuhause. Heute fahren sie auch Auto und gehen arbeiten. Sie sind jetzt auch draussen in der Stadt, früher sah man nur Männer. Seit zehn Jahren gibt es Frauen im Parlament, heute haben wir 30 Prozent Frauen im somalischen Parlament. Aber die meisten Frauen verkaufen Tomaten auf der Strasse oder haben einen kleinen Laden.

Sudan/Libanon/Eritrea «Männer wie Frauen joggen am Meer entlang» Negussie Weldai, 58, Surprise-Verkäufer und Mitarbeiter Vertriebsbüro Bern 14 Jahre war ich in der eritreischen Befreiungsarmee aktiv. Als ich zu Unrecht beschuldigt wurde, ich würde der Oppositionspartei angehören, steckte man mich ins Gefängnis. Nach acht Monaten kam ich frei und floh in den Sudan. So kam es, dass ich von 1988 bis 1992 in der sudanesischen Hauptstadt Khartum lebte. Dort trafen sich vor allem Familien und verheiratete Paare am Nil-Ufer, auf dem Markt, am Busbahnhof oder in einem Einkaufszentrum. Frauen waren fast nur in Begleitung von männlichen Verwandten unterwegs. Wenn ich mich mit meinen eritreischen Freunden auf ein Bier treffen wollte, mussten wir uns privat verabreden. Man kann im Sudan, wo der Islam Staatsreligion ist, zwar Alkohol kaufen, aber nicht in der Öffentlichkeit trinken. Als ich 2005 nach Khartum zurückkehrte und nochmals vier Jahre im Sudan lebte, war die Situation vor Ort die gleiche. Verändert hatte sich mein respektive unser Leben – ich lernte meine Frau kennen, heiratete, und gemeinsam hatten wir so viel Arbeit im Fotostudio, dass uns wenig Zeit blieb, um auszugehen. Zudem kann es in Khartoum wahnsinnig heiss werden. Da mag man auch nicht mehr viel unternehmen. Ganz anders, viel lockerer war das Leben im Libanon, wo ich 1994 gelandet bin. Elf Jahre lang, bis 2005, habe ich in Beirut gewohnt und gearbeitet. In den Sommermonaten treffen sich alle Leute an der Promenade, am Meer vorne. Die einen veranstalten Picknicks, die anderen sitzen in einem der vielen Restaurants und Cafés, trinken und essen etwas oder rauchen Schischa. Männer wie Frauen joggen am Meer entlang. Eine Ausnahme bildet das Hizbullah-Quartier – dort sind sie strikt wie im Sudan. Es war eine gute Zeit, der Libanon ist ein sehr schönes Land, auch das Essen war herrlich. Wenn ich es nicht versäumt hätte, meine Aufenthaltsbewilligung frühzeitig zu verlängern, wäre ich vielleicht noch heute dort.

Spanien «Wasser ist wie Gold» Angel Fragoso, 45, singt im Surprise Strassenchor Ich bin in Badajoz aufgewachsen, eine Stadt ähnlich wie Basel. Ich bin nun seit drei Jahren hier. Basel erinnert mich sehr an meine Heimatstadt, weil Badajoz auch an der Grenze liegt, an der zu Portugal. Man hört Portugiesisch in den Strassen, aber es gibt auch viele Nordafrikaner und Roma. In Badajoz finden viele Events im öffentlichen Raum statt, da kommen viele Portugiesen in die Stadt. Und umgekehrt geht man auch mal SURPRISE 393/17


nach Portugal, um dort zu feiern. Es gibt – auch wie in Basel – einen grossen Karneval. Und dann die heilige Woche über Ostern, da finden Prozessionen statt, bei denen die Jungfrau Maria durch die Strassen getragen wird. Die ist mit ihrem Kleid und einer Art Thron Hunderte von Kilos schwer, es sind 15 bis 20 Personen, die sie tragen. Auch der heilige Johannes wird gefeiert: Am 24. Juni werden draussen auf der Strasse alte Möbel und andere alte Sachen verbrannt. Auch schlechte Erinnerungen, Traumata. Man zerstört das Alte und fängt etwas Neues an. Und die Stierkampfsaison fängt in Badajoz an. Es gibt in fast jeder Stadt in Spanien eine Stierkampfarena. Aber wie wir wissen, werden sie in Frage gestellt, es läuft eine Debatte über Kulturerbe und Tierschutz. Zurzeit ist es so, dass in derselben Woche der heilige Johannes gefeiert wird wie die Stiere umgebracht werden, auch wenn das eine mit dem andern natürlich nichts zu tun hat. In Badajoz finden die Stierkämpfe in der Arena statt. Anderswo, in einigen kleinen Dörfern rund um Valencia zum Beispiel, rennt der Stier durch die Strassen. Wie in der Schweiz gibt es natürlich auch Sicherheitsdispositive. Wenn die Jungfrau Maria durch die Strassen getragen wird, sind Polizisten da, aber nicht extrem viele. Beim Stierkampf gibt es ein grosses Polizeiaufgebot, und auch beim Karneval. In meiner Heimat finden viele Feste draussen statt. Das ist für mich öffentlicher Raum in Spanien: immer voller Leute. Aber Badajoz ist doch eher eine kleine Stadt, und abgesehen von den grossen katholischen Feiertagen ist nicht viel los. Ansonsten gleicht das öffentliche Leben dem in Basel. Es gibt zwei, drei typische Plätze in der Stadt, wo sich die Leute treffen, es gibt Parks und Grünanlagen, ähnlich wie der Kannenfeldpark hier. Am Wochenende gehen die Leute nach draussen, man trifft sich, oft geht man in die Natur hinaus, Fahrrad fahren, walken. Der Sommer ist lang, und es gibt viele Wandergruppen: Man geniesst das Leben draussen. Spanien ist gross, man legt oft viele Kilometer zurück.

In der Stadt geht man eher in die Tapas-Bars. Die Zeit ist anders strukturiert als in der Schweiz. Wir fangen um 9 Uhr an, arbeiten bis 14 Uhr, machen dann Pause bis 17 Uhr und gehen danach wieder arbeiten. Die meisten gehen während der Siesta nach Hause. Man darf nicht grillieren im Park, da kommt die Polizei. Es ist zu heiss, man hat Angst vor Bränden. Aber man muss sagen, dass die Gesellschaft auch nicht dazu erzogen wird, Respekt gegenüber der Natur zu haben. Der Abfall bleibt liegen, auch Plastikflaschen zum Beispiel, auch wenn die Leute unterdessen ein bisschen sensibler geworden sind. Hier in der Schweiz waren ja mal die sogenannten Botellones ein Thema, Massenbesäufnisse. Das ist in Spanien ein grosses gesellschaftliches Problem. Es ist nicht ein Gemeinschaftserlebnis, viele betrinken sich einfach. Wir haben auch ein grosses Drogenproblem in meinem Herkunftsland. Es gibt zu wenig Kontrolle, und die Kinder verlieren ihren Respekt. Jugendliche können überall Alkohol kaufen. Aber sie hängen nicht in der Stadt herum wie hier auf dem Barfüsserplatz oder Theaterplatz. Die Stadt bestimmt die Orte, wo Jugendliche sich aufhalten können, damit der öffentliche Raum nicht schmutzig wird und die Nachbarn sich nicht gestört fühlen. Sie können zum Beispiel auf dem Sportplatz sein, wo es Fussballfelder und Basketballplätze gibt. Sie halten sich auch gerne dort auf. Ältere Leute sitzen eher in den Parks oder gehen spazieren. Aber du darfst dich nicht ins Gras setzen, um zu picknicken. Wasser ist wie Gold. Daher auch die Sorge um das Gras: Wenn du schönes Gras hast, willst du es nicht zerstört haben. Das gilt vor allem für den Süden Spaniens, weil es dort trocken ist. Und Kinder dürften nie im Leben in einem Brunnen baden. Als ich meinen ersten Sommer in Basel erlebte, sah ich einen Erwachsenen in einem Brunnen baden. Ich dachte, jetzt kommt demnächst ein Polizist und gibt ihm eine Busse. Aber nichts passierte. ■

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Pites¸ti: Man sitzt auf der Endlosbank.

Wer unterwegs ist, macht nicht nur eine Reise durch Städte und Landschaften, sondern auch durch Gesellschaftskonzepte. Zwölf Bemerkungen zu öffentlichem Raum und Exklusion von Bulgarien bis Zürich Aussersihl.

Kultur Mein Kampfplatz für den Frieden VON THOMAS HAEMMERLI

1 Pites¸ti, eine Industriestadt 120 Kilometer westlich von Bukarest, ist hässlich und nichts Besonderes. Nie aber werde ich sie vergessen, weil ich dort, als ich mit dem Auto von Zürich nach Georgien unterwegs war, eine Art Erweckungserlebnis hatte: Pites¸ti ist ein Paradebeispiel, wie eine gelungene Nutzung von öffentlichem Raum ausschaut. Die verkehrsfreie Strada Victoriei ist gesäumt von nicht enden wollenden Reihen von Parkbänken, die noch dazu bequem sind. Dort hockten Jung und Alt in der Abendsonne, besprachen, was man, weil man ein Sozialtier ist, so bespricht, und begutachteten, wer gerade vorbeimarschierte. Niemanden sah ich an einer Mineralflasche oder einer Bierdose nuckeln. Alle schienen zufrieden damit, gemeinsam in der Sonne hocken zu können. Zu tratschen. Zu schauen.

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2 Zu meinen Ostreise-Erfahrungen gehören all diese Gemeinschaftseinrichtungen, die dem Westler auffallen. Orte, die man betreten und nutzen kann, ohne etwas bestellen zu müssen. Orte, denen ein Selbstverständnis eignet in ihrer Zweckbestimmung für das Kollektiv. Wobei: Schauen wir bei Pites¸ti genauer hin. Die Strada Victoriei ist erst seit 2008 verkehrsfrei. Und den Bankbandwurm dürfte die EU finanziert haben. Ausserdem: Pites¸tis Name ist unlöschbar mit dem Begriff «Pites¸ti-Experiment» verbunden. Nachdem die rumänischen Kommunisten rund zwei Prozent aller Studenten als potenzielle Feinde gefangen gesetzt hatten, zwangen sie in Pites¸tis Kerkern die einen dazu, die anderen ohne Unterlass zu foltern und zu quälen. Denn wer schnurstracks ins sozialistische Paradies will, der darf unterwegs nicht zu zimperlich sein.

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Georgien: Das Open-Air-Kino hat ausgedient.

3 In meiner Wahlheimat Georgien befällt mich meist Melancholie, wenn ich die im Bürgerkrieg von 1991 zerstörten Kultur- und Gemeinschaftseinrichtungen sehe. Die verfallenden Open-Air-Kino-Anlagen, ausgeweidete Hallenbäder, in denen Ziegen umherspringen, kuhfladenverseuchte Sporthallen, in denen die Tiere Schutz vor der Augustsonne suchen. 4 In Georgien treffe ich immer beides: Nostalgiker, die mir erklären, was alles hinter dem Eisernen Vorhang funktionierte. Was gratis und gemeinschaftlich war. Wie gut das Bildungssystem funktionierte. Und anderseits dann all die Intellektuellen und Künstler, die sich an die Sowjetunion erinnern und die den Marxismus hassen, weil unter Stalin jeder, der etwas konnte, gemeuchelt wurde. Und weil man danach unter Breschnews Glocke von Biedersinn und Verlogenheit existieren musste. SURPRISE 393/17

Unvergessen sind mir die georgischen Künstler und Kuratoren, die degoutiert waren, als man an der Biennale in Venedig Werke von Marx als gerade kurrente Modepose vorlas. 5 Ausgerechnet! Im Zentrum des Kunstsystems, bei dem es ja weiss Gott vor allem um Marktwerte, um Branding, um Ratings und Rankings, um Ausschluss hier, um VIP, Golden-VIP, Super-VIP und sonstigen Spezialzugangsschnickschnack geht. 6 Wobei: Die unverblümten Ausschlussmechanismen von Grosszusammenrottungen der Kunstblase von der Art Basel über die Manifesta bis zur Frieze sind untypisch für die Kunstwelt. Normalerweise gilt: Eine Vernissage oder eine Ausstellungseröffnung steht jedem, der davon weiss, offen. In- sowie Exklusion erfolgen sehr viel subtiler. Über feine

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São Paulo: Hier sitzt der Wachmann und sieht nach dem Rechten.

Unterschiede. Über kleinste Gesten der Zu- und Abneigung. Wem das egal ist, der kriegt – wie einige durstige Kehlen, die stets dabei sind – immer etwas ausgeschenkt, auch wenn von Anfang an jedem klar ist: Der gehört nicht dazu. 7 In der DDR gab es den Slogan: «Mein Arbeitsplatz, mein Kampfplatz für den Frieden». Das bedeutete, wo immer einer im Produktionsprozess des sozialistischen Staates stand: Erledigte er seine Arbeit ordentlich, so unterstützte er den Aufbau des Sozialismus und kämpfte gegen die imperialistischen Kriegstreiber. Ergo für den Frieden. 8 Meine zweite Wahlheimat ist São Paulo. Die sozialen Unterschiede zwischen den Bewohnern der prosperierenden Wirtschaftsmetropole und den Binneneinwanderern aus dem bettelarmen Nordwesten sind frappant. Die Crackprobleme sind frappant, die Kriminalität ist frappant. Deshalb sind all die Hochhäuser von der Strasse abgetrennt durch hohe Zäune. Durch Elektrodraht. Durch Mauern. Man hat Angst in São Paulo. Und bunkert sich ein. 9 Dazu kommen Wachen, die manchmal in Wachhäuschen, meist aber auf den Gehwegen geparkt sind. Ihr Arbeitsplatz besteht in der Regel aus einem ausrangierten Bürostuhl. Einem ohne Räder. Ohne Armlehne. Oder ohne Polster. Da hockt dann der Wachmann über viele Stunden. Und sorgt dafür, dass keiner rumlungert. Dass Habenichts und Tunichtgut dem bessergestellten Patron nicht ans Leder gehen. Seit Längerem dokumentiere ich diese Arbeitsstätten-Stühle, die ein Sinnbild sind für idiotische Jobs. Wobei es auf die Perspektve ankommt. Denn die Wachleute schützen ja die, die drinnen sind. Und tragen zur Eindämmung des Faustrechts auf der Strasse bei. Ich nenne die Serie «Mein Arbeitsplatz – Mein Kampfplatz für den Frieden»: Bosheit hilft zuweilen, klarer zu sehen. Die Lügen der Kommunisten. Den Irrsinn des ungezügelten Kapitalismus.

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10 Als ich 1984 nach Zürich Aussersihl in den Kreis 4 zog, heulte meine gutbürgerliche Grossmutter wie ein Schlosshund. Aussersihl war ihr Synonym für verworfen. Für ungebildet. Für unzivilisiert. Auch heute, wenn ich in Zürich bin, wohne ich wieder im Kreis 4. Und verfolge, wie jeden Tag irgendwo renoviert wird. Wie Strassenevangelisten und ein freikirchlicher Vegetarierkonzern (Tofu und Ingwertee statt «mein Fleisch und Blut»!) sich breitmachen. Wie Boutiquen und Yogastudios das Quartier versehren. Wie jedes Quäntchen Verworfenheit ausgetrieben wird. 11 Den Willen zur Verwandlung des Zürcher Langstrassenquartiers vom Rotlichtviertel mit hohem Ausländeranteil hin zum gehobenen Trendquartier verkörperte vor allem der Polizeifunktionär Rolf Vieli, der sich als «Mister Langstrasse» feiern liess. Vieli erklärte seinen Kampf gegen Sexstudios und Drogensüchtige gerne damit, man müsse beispielsweise die tamilischen Kinder im Quartier vor den Auswüchsen schützen. Bloss: Gibt es keine Auswüchse mehr, wird renoviert. Es steigen die Mieten. Ciao ciao, kleine tamilische Freunde. Adios Bordsteinschwalben. Tschüss, Giftler. Immer wieder habe ich mich gefragt, ob Mr. Langstrasse ein Zyniker oder ein Dummkopf war. 12 Die Klage über den Wandel von Quartieren ist so sinnlos wie das Jammern über die Kälte des Winters. Steter Umbruch, stete Neuerfindung gehören zum Wesen der Stadt. Trotzdem scheint mir zuweilen, es würde in meiner dritten Heimat, in Zürich, noch etwas mehr EndlosParkbänke, etwas mehr italienischen Corso, etwas mehr Laissez-faire, ja, ein wenig mehr Pites¸ti vertragen. Ohne dass ich jetzt sozialistischen Experimenten das Wort reden möchte. ■ Thomas Haemmerli ist Dokfilmer und Autor, er lebt zwischen Zürich, Tbilisi und São Paulo. Zurzeit arbeitet er an einem Film mit dem Arbeitstitel «Die Gentrifizierung bin ich – Beichte eines Finsterlings». SURPRISE 393/17


In diesem Buch geht es um mehr als ums Kilometerzählen.

Buch Wanderwunder Der Wanderführer «Schweizer Wunder» lädt zum Staunen auf Schusters Rappen ein. VON CHRISTOPHER ZIMMER

«Wunder – ein schillernder Begriff», so übertitelt der Journalist und Wanderer Thomas Widmer das Vorwort zu seinem neuen Ausflugsbuch, mit dem er in uns «eine kindliche Entdeckerfreude» bewahren möchte. Mit Wunderbarem aus Natur, Geologie, Geografie, Geschichte oder Gegenwart, mit Dingen, die «gwunder» machen, und auch mit Wunderlichem, von kurios bis befremdlich. Nicht weniger als 184 Wunder hat Widmer in seiner Fibel für alle Fähnlein Fieselschweifs (notabene heisst sein eigenes Wandergrüppchen so) versammelt. Wobei er ganz bewusst nicht auf Top-Destinationen wie Matterhorn oder Rheinfall setzt, sondern auf Unbekannteres, für viele noch zu Entdeckendes – und wie schon erwähnt, auch auf Abseitiges. Und so finden sich denn neben zahlreichen sehenswerten Schluchten, Höhlen, Kirchen, Wasserfällen, Brücken, Bäumen, Dolmen und Menhiren auch allerlei Kuriositäten. Die abgeschnittene Hand von Greyerz etwa, die so gut zum dort ansässigen Museum H.R. Giger passt; der Tierfriedhof von Läufelfingen, auf dem die Tierliebe bunte Blüten treibt; Frutigens Tropenhaus mit Blick auf schneebedeckte Berge; die bärtige Sankt Kumera in Tuggen, eine Art Conchita Wurst der Christenheit; die Arche Noah in Vicques, in der sich Ausgestopftes aller Arten bis hin zu Harry Potters Eule Hedwig tummelt; oder, wen's gelüstet, das Sissacher Henker-Museum, in das unter anderem eine Hühnerguillotine lockt. Keine Frage, dass es zu so viel Staunens- und Wundernswertem auch viel zu erzählen gibt, etwa über so schillernde Figuren wie den Unglückspiloten vom Ägerisee oder den waschechten Türkenprinzen von Obstalden. Das aber handelt Widmer stets kurz und knapp ab – der kürzeste Absatz zählt gerade mal vier Zeilen –, schliesslich soll nichts den Vorwärtsdrang aufhalten. Die Sprache ist klar und griffig, wie mit festen Wanderschritten. Und vor allem auch mit einer erfrischenden Portion Schalk versehen. Einige Orte tauchten schon in Widmers «Zu Fuss»-Trilogie auf, die ebenfalls im Echtzeit-Verlag erschienen ist, andere in seinem Blog «www – Widmer wandert weiter». Sie sind mit Koordinaten, wie man sie aus Google Maps und Co. kennt, verortet. Dazwischen sind etliche Bilder eingestreut, allerdings nur nüchterne Luftaufnahmen. Denn die Wunder und ihre Schönheiten soll man sich schon selbst erwandern.

BILD: ZVG

Kultur

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

01

ChemOil Logistics AG, Basel

02

Schluep & Degen Rechtsanwälte, Bern

03

Institut und Praxis Colibri, Murten

04

Kaiser Software GmbH, Bern

05

Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

06

Rechtsanwalt Peter von Burg, Zürich

07

Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

08

Hofstetter Holding AG, Bern

09

Hedi Hauswirth Privat-Pflege, Oetwil am See

10

Echtzeit Verlag, Basel

11

OpenTrack Railway Technology GmbH, Zürich

12

Intercelix AG, Basel

13

Naef Landschaftsarchitekten GmbH, Brugg

14

Schweizerisches Tropeninstitut, Basel

15

PS: Immotreuhand GmbH, Zürich

16

Iten Immobilien AG, Zug

17

Proitera GmbH, Basel

18

Petra Wälti Coaching, Zürich

19

Alfred Rappo-Kolenbrander, Breitenbach

20

Botanica GmbH, Sins

21

Brother (Schweiz) AG, Dattwil

22

InhouseControl AG, Ettingen

23

Maya-Recordings, Oberstammheim

24

noline.ch GmbH, Buus

25

Imbach Reisen AG, Wanderreisen, Luzern

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

Thomas Widmer: Schweizer Wunder. Ausflüge zu kuriosen und staunenswerten Dingen. Echtzeit Verlag 2016. 26.90 CHF SURPRISE 393/17

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Surprise – mehr als ein Magazin

Ich möchte Surprise abonnieren! 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–

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Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

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Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der Deutschschweiz um den Titel des Schweizermeisters. Einige Spieler nehmen am Homeless World Cup teil. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren.

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.

Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsleitung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (Mitglied der Geschäftsleitung), Jannice Vierkötter (Mitglied der Geschäftsleitung) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami), Beat Camenzind (bc), Diana Frei (dif, verantwortlich für diese Ausgabe), Simon Jäggi (sim), Thomas Oehler (toe), Sara Winter Sayilir (win) redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Florian Burkhardt, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Khusraw Mostafanejad, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Marc Bachmann, Philipp Baer, Thomas Haemmerli, Jürgen Krusche, Isabel Mosimann Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 21000, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising, Kommunikation T +41 61 564 90 50 Zaira Esposito, Katrin Pilling, marketing@vereinsurprise.ch Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Vertrieb Basel T +41 61 564 90 83/85 Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Regionalstelle Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Christian Sieber, Kanzleistr. 107, 8004 Zürich, zuerich@vereinsurprise.ch Regionalstelle Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Barbara Kläsi, Alfred Maurer Scheibenstrasse 41, 3014 Bern, bern@vereinsurprise.ch Café Surprise T +41 61 564 90 50 Zaira Esposito (Leitung), z.esposito@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40 Paloma Selma (Leitung), p.selma@vereinsurprise.ch Strassenfussball T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach), d.moeller@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Basel T +41 61 564 90 40 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Paloma Selma (Koordination), rundgang@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Zürich T +41 44 242 72 14 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Carmen Berchtold (Koordination), rundgangzh@vereinsurprise.ch Vereinspräsident Beat Jans Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt: PC 12-551455-3, IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 SURPRISE 393/17


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Elsa Fasil Bern

Kostana Barbul St. Gallen

Ralf Rohr Zürich

Marlis Dietiker Olten

Negasi Garahassie Winterthur

Josiane Graner Basel

Tatjana Georgievska Basel

Emsuda Loffredo-Cular Basel

Anja Uehlinger Baden

Andreas Hossmann Basel

Haimanot Ghebremichael Bern

Roland Weidl Basel

Daniel Stutz Zürich

Markus Thaler Zürich

Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken

1/2 Jahr: 3000 Franken

1/4 Jahr: 1500 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

1 Monat: 500 Franken

393/17 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3



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