Surprise 394

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Nr. 394 | 17. Februar bis 2. März 2017 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

Der Störer Wie Kilian Kleinschmidt die Flüchtlingshilfe aufmischen will


Eine Tasse Solidarität! Machen Sie mit: Zwei bezahlen, eine spendieren. Café Surprise gibt es hier: In Basel BackwarenOutlet, Güterstr. 120 Café Bohemia, Dornacherstr. 255 Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstr. 10 Café Flore, Klybeckstr. 5 Café Restaurant Haltestelle, Gempenstr. 5 Kiosk Amann, Claragraben 101 Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg Quartiertreffpunkt Kleinhüningen, Kleinhüningerstr. 205 Quartiertreffpunkt Lola, Lothringerstr. 63 Rest. Les Gareçons, Schwarzwaldallee 200 Rest. Manger et Boire, Gerbergasse 81 Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstr. 96 In Luzern Jazzkantine zum Graben, Garbenstr. 8 Meyer Kulturbeiz, Bundesplatz 3 In Rapperswil Café good, Marktgasse 11 In Schaffhausen Kammgarn Beiz, Baumgartenstr. 19

In Bern Café Kairo, Dammweg 43 Café MARTA, Kramgasse 8 Café Tscharni, Waldmannstr. 17a Café-Bar das Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 LoLa Lorraineladen, Lorrainestr. 23 Luna Llena Gelateria Rest. Bar, Scheibenstr. 39 Rest. Genossenschaft Bras. Lorraine, Quartiergasse 17 Rest. Löscher, Viktoriastr. 70 Rest. Sous le Pont – Reitschule, Neubrückstr. 8 Rösterei Kaffee und Bar, Güterstr. 6 Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 Zentrum44, Scheibenstr. 44 In Biel Treffpunkt Perron bleu, Bahnhofplatz 2d In Zürich Café Zähringer, Zähringerplatz 11 Sphères, Hardturmstr. 66

www.vereinsurprise.ch/cafesurprise Ein Projekt des Vereins Surprise.


Viele unserer Verkaufenden sind einmal geflüchtet. Sie kamen, oft auf beschwerlichen Wegen, in die Schweiz, weil sie hier Sicherheit und die Chance auf einen Neuanfang zu finden hofften. Entgegen der Behauptungen der politisch Rechten in Europa landet jedoch die Mehrheit der weltweit vor Hunger und Krieg Geflüchteten nicht bei uns, sondern in den Nachbarländern der Krisenherde, ein Teil davon in Flüchtlingslagern. Trotz der guten Absichten der Hilfsorganisationen gleichen viele dieser Lager gigantischen Verwahrungsstationen. Der Deutsche Kilian Kleinschmidt hat eines der grössten dieser Lager geleitet. Dann hat er seinen Job gekündigt. Nun fordert er eine radikale Abkehr von der Flüchtlingshilfe, wie wir sie kennen, im Interview ab Seite 10. SARA WINTER SAYILIR Auch aus der Türkei müssen derzeit wieder Menschen fliehen, weil sie auf- REDAKTORIN grund ihrer Weltanschauung, ihres Berufes oder ihrer Herkunft durch die Politik der Regierung bedroht sind. Noch vor vier Jahren wehte ein anderer Wind: Damals wurde aus einem Umweltprotest gegen die Abholzung des Gezi-Parks eine landesweite Demokratiebewegung. Was die Aktivistinnen und Demonstranten von damals heute bewegt, wollte unser Kollege Felix Huesmann wissen und hat sieben von ihnen in Istanbul getroffen, ab Seite 16. U Han Shin Win hat seine Heimat Myanmar niemals verlassen, obwohl er jeden Grund zur Flucht gehabt hätte. Mehrfach wurde der Anwalt wegen seiner politischen Aktivitäten inhaftiert. Sein Sinn für Gerechtigkeit ist dabei nur gewachsen: Heute hilft er den Ärmsten der Armen, probono wohlgemerkt. Lesen Sie das Porträt ab Seite 8. Ich wünsche Ihnen eine ermutigende Lektüre Sara Winter Sayilir

BILD: MARTIN KATH

BILD: FELIX HUESMANN

Inhalt 04 Randnotiz Der Umweg zum Bürger 04 Vor Gericht Drei Rosenkrieger 05 Basteln für eine bessere Welt Abschottung für den Hausgebrauch 06 Wir alle sind #Surprise Kein Fehler 07 Challenge League In die Berge gehen 08 Porträt Anwalt der Schutzlosen 22 Moumouni … schaut unter die Burka 23 Ausstellung Der uns einen Spiegel vorhielt 24 Blues Medizinische Selbstversorgung 25 Piatto forte Höchste Wirksamkeit 26 Ausgehtipps Gestört? 28 Verkäuferporträt «Ausgerechnet mein Schulitalienisch» 29 Surplus Eine Chance für alle 30 In eigener Sache Impressum

10 Flüchtlingshilfe Falscher Ansatz SURPRISE 394/17

16 Türkei Die Hoffnung ist verloren

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BILD: TOBIAS SUTTER

Titelbild: Martin Kath

Editorial Aufbruchsstimmung?


Randnotiz Der Umweg zum Bürger Wie hassten wir doch früher, was wir Bürgerlichkeit nannten. Wir sahen in ihr unsere Erzieher, das Spiessige und die langweilige Norm. Dem allem zeigten wir den Finger und hauten ab. Wir fühlten uns so besonders und einzigartig, dass wir in der scheinbar kleinen Welt, die uns umgab, nicht genug Raum zur Entfaltung zu finden glaubten. Wir wollten möglichst weit weg und möglichst hoch hinaus. Manche von uns so hoch, dass sie sich auf dem Mond eine Lungenentzündung holten oder von der Sonne verbrannt wurden. Einige mussten ins Irrenhaus, um dort die Wunden von der gefährlichen Reise auszukurieren. Ich brach besonders panisch aus der Bürgerlichkeit aus, weil ich in ihr zu ersticken glaubte. Sie stand für mich für Gefangenschaft und Fremdbestimmung. Ich fand keine Ruhe, denn die Illusion von Freiheit erforderte immer wieder einen Neuanfang. Ankommen ist nicht erlaubt, wenn man vor etwas wegläuft. Die Ironie meiner Geschichte ist, dass es schlussendlich die Bürgerlichkeit war, die mich immer wieder gerettet hat. Da war die finanzielle Unterstützung meiner Eltern, wenn mir das Geld ausging. Die Gesellschaft fing mich auf, als mich psychische Probleme lahmlegten. Sie pflegte mich, bis ich wieder raus auf die Strasse konnte, nur um die Flucht fortzusetzen. Sie finanzierte mich, als ich unfähig wurde, selbst Geld zu verdienen. Alles was mir von der Rebellion blieb, war das Meckern über Behörden und Ämter. Bis ich auch das aufgab und mir eingestand, dass ich dankbar sein sollte, dass es das Bürgertum gab, dessen Sicherheitsnetz mich immer wieder aufgefangen hatte. In meinem Stammcafé sind so manche angekommen, die früher krass und wild waren. Man setzt sich zu den braven Leuten, die ihre Jugend mit Studieren verbracht, danach eine berechenbare Karriere angegangen und Kinder bekommen haben. So kommt irgendwann wieder zusammen, was auseinandergegangen war: Die einen haben sich gleich in der Bürgerlichkeit eingerichtet, anderen fanden wie ich über Umwege zu ihr.

Florian Burkhardt war bis zu einer schweren Erkrankung erfolgreicher Sportler, Model und Internetpionier. Sein Leben wurde im Film «Electroboy» dokumentiert.

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Vor Gericht Drei Rosenkrieger Der Angeklagte liegt quasi auf der Couch, die Richterin geriert sich als Psychiaterin. Die Straftat tritt in den Hintergrund, hervorgeholt werden die privaten Probleme, die zur Tat führten. Liebe und Obsession, solche Dinge. Es geht ums Verlassen und Verlassenwerden und darum, dass Menschen es nicht schaffen, sich unverletzt zu trennen. Patrick und Maurice, nennen wir sie so, sind ein Paar. 41 und 52 Jahre alt, beide mit graumeliertem Haar und charmantem Lächeln, beide in der Luftfahrt tätig. Sie kennen sich ewig, seit zwanzig Jahren. Seit fünfzehn Jahren wohnen sie zusammen in Zürich. So weit, so romantisch, bis kürzlich der Dritte kam, der kleine Bruder von Maurice aus dem Welschland. Die Mutter war gestorben, die Ehe des Kleinen ging auseinander, obendrauf verlor er den Job und musste Alimente zahlen – der Grosse bot ihm Unterschlupf. Der Kleine ist 42, heisst Nicolas, und zwischen ihm und Patrick entstand eine Art Rangkampf um die Gunst von Maurice. Sie fingen an zu streiten. Der Abend fing gut an und endete mit zerbrochenen Gläsern. Anfangs versuchte Maurice zu schlichten, doch als es heftiger wurde, ergriff er Partei für seinen Bruder. Das war bitter für Patrick. Fortan schlug er das Nachtlager im Wohnzimmer auf. Und hoffte: Nicolas würde nicht ewig bleiben, bald würde alles wird wieder gut. Falsche Hoffnung, Unglaube, Enttäuschung – wenn die Gefühlsmelange zur hilflosen Wut wird, kippt manchmal das Ganze. Patrick drohte seinem Partner und dessen Bruder: «Ich bringe euch um, ich stech dich ab!» Dafür steht er vor Gericht. Die Drohung, heisst

es, habe die Brüder in Todesangst versetzt. Patrick sagt, aus seinem Munde sei das nie gekommen. Das hätten sie falsch verstanden. Er drohte, sich selbst umzubringen, wenn es so weitergehe. Der Richterin erscheint die Geschichte nicht glaubhaft. Sie glaubt vielmehr, dass allen dreien böse Worte entfleuchten, nicht nur dem einen. Und der kleine Bruder stülpte Patrick sogar die Salatschüssel über den Kopf, just nachdem er seine Anzeige bei der Polizei gemacht hatte. Von wegen Todesangst. Es geht um Besitzansprüche. Jeder möchte, dass der andere verschwindet. «Ich wollte für die beiden da sein, aber beide haben nicht verstanden, worum ich mich bemüht habe», sagt Patrick. Unter der Last des Konflikts hat sich seine Liebe erschöpft. Am liebsten bliebe er alleine. «Aber die Wohnung, die gebe ich nicht her», sagt er kämpferisch, «ich bin der Hauptmieter!» Maurice hat nicht einmal einen Untermietvertrag. So beginnen Rosenkriege. «Wie sieht’s denn jetzt aus in Ihrer trauten Dreier-WG?», fragt die Richterin. Unverändert. Maurice hat das Schlafzimmer, Patrick das Wohnzimmer, der kleine Bruder ein eigenes Zimmer. Die Richterin anerkennt zwar, Patrick sei in einen Loyalitätskonflikt geraten. Aber Drohungen werden ernstgenommen, und damit er das auch spürt, muss er eine bedingte Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 50 Franken bezahlen. * alle Namen geändert

Isabella Seemann ist freie Journalistin in Zürich und porträtiert monatlich die kleinen und grossen Fische, die es in die Gerichtssäle geschwemmt hat.

Priska Wenger ist Illustratorin in Biel und New York. SURPRISE 394/17


ILLUSTRATION: WOMM

Basteln für eine bessere Welt Abschottung für den Hausgebrauch Wie in der Mode tauchen auch in der Politik bestimmte Trends immer wieder auf. Aktuell der Mauerbau. Wer mitmachen will, seinen Nachbarn aber ungern vor den Kopf stösst, dem bietet sich mit dem Weideniglu eine sanfte Variante. Hier kann sich einflechten, wer sich abschotten will. Mit dem optionalen Tunnelzugang bietet sich zudem die Möglichkeit, ausgewählte Menschen reinzulassen, wenn Bedarf nach Austausch besteht.

Sie brauchen: 1 grosszügige Rasenfläche mit Sonneneinfall

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Weidenstecklinge, Länge ca. 3 Meter (Anzahl entsprechend der Grösse des Iglus) 1 Schaufel 1 Gartenschere Hanfschnur 1 Hilfsstange, ca. 3 Meter lockere Erde Kies

1. Markieren Sie mit einem Schnurzirkel einen Kreis auf der Rasenfläche. Legen Sie den Eingang fest. Tunnel nach Bedarf hinzufügen.

2. Tragen Sie entlang und im Innern des Kreises (und der Tunnelwände) spatenbreit das Gras ab und legen Sie die Graswasen beiseite. Heben Sie nun den Graben 1 bis 2 Spaten tief aus. (Lassen Sie sich vom Bild auf S. 26 inspirieren.)

3. Schneiden Sie die Weidenstecklinge mit der Gartenschere frisch an und stecken Sie diese im Abstand von 20 Zentimetern möglichst tief in die Erde. Füllen Sie den Graben locker mit Erde auf. Wer will, streut das Innere des Iglus (und Tunnels) mit Kies aus.

4. Binden Sie die oberen Enden der Weidensteher mit Hanfschnur an einer mittig platzierten Hilfsstange zusammen. Flechten Sie dann Diagonalen ein und stecken diese ebenfalls tief in den Boden. Hilfsstange entfernen. Alle 3 bis 4 Tage ordentlich giessen.

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Leserbrief

Stadtrundgang

Ich finde das Konzept des Strassenmagazins Surprise toll und kaufe die Zeitschrift gerne und mehrmals pro Jahr. Besonders gefällt mir, dass die Verkäufer ein echtes Produkt verkaufen bzw. eine Leistung erbringen und nicht nur Leistung beziehen.

Wir alle haben sicher schon einiges gelesen und gehört, aber einen persönlichen Kontakt wie mit Stadtführer Peter Conrath hatte von uns noch niemand wirklich gehabt. Er hat dies alles sehr souverän und kurzweilig gemacht – wir danken ihm und dem Verein Surprise für diese Möglichkeit.

S. Arnold, Zürich

Wir alle sind #Surprise Wer das Strassenmagazin kauft, tauscht mehr als Geld gegen Ware: Fast immer gibt es ein Lächeln dazu, oft werden ein paar Worte ausgetauscht – und manchmal sogar gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. Viele Leserinnen und Leser berichten uns von ihren Begegnungen mit den Verkaufenden. Und sie schreiben der Redaktion, was sie gut gefunden haben und was weniger. Wir bedanken uns herzlich für diese Rückmeldungen – und teilen hier einige davon mit Ihnen.

Leserbrief Ausgabe 391, Ausgehtipp «Scheitern für Fortgeschrittene» Das Penicillin war ein Fehler, schreiben Sie in der Bildunterzeile. Wer ist da wohl gescheitert?! Der Autor? Die Menschen, die an unserer Gesellschaft gescheitert sind? Oder das Penicillin, das von den Anwendern, den Konsumenten, nicht richtig erkannt und angewendet wurde!? U. Lüthi, Obfelden

Antwort der Redaktion: Offenbar liegt hier ein Missverständnis vor. Nicht die Entwicklung des Penicillins sollte in der Bildunterzeile als Fehler bezeichnet werden. Tatsächlich ist aber die Entdeckung des Penicillins das Ergebnis eines Fehlers, eines Zufalls: Während einer Forschungsarbeit über Staphylokokken ist dem Wissenschaftler Alexander Fleming 1928 eine Bakterienkultur über die Sommerferien verschimmelt. Dabei stellte sich heraus, dass der Schimmelpilz die Vermehrung der Bakterien in der Kultur verhindert hatte. Auf die Idee, diese Entdeckung medikamentös zu nutzen, kam man dann allerdings erst in den frühen Vierzigerjahren.

E. Weiss, Gruppe Rigert

Haimanot Ghebremichael steht lächelnd bei der Welle und grüsst mich schon von Weitem. Seit ich vom Berner Oberland nach Bern pendle, kaufe ich mir mein Surprise bei ihr. Danke, Haimanot, dass du mir immer die Hände wärmst. Danke, Haimanot, dass du immer ein Lächeln für mich übrig hast. Danke, Haimanot, dass wir zusammen über unsere Zahnschmerzen klagen können. M. Gerber, Unterseen

Leserbrief Ausgabe 392, «Zu viel Kontrolle. Zu wenig Kreativität» Seit Jahren kaufe ich Ihre Zeitschrift. Sie alle machen das sehr gut – immer besser. Zum Gespräch mit Hans Peter Meier und Martin Suter gratuliere ich Ihnen ganz besonders. Es waren in den letzten Tagen sehr viele Medienbeiträge zum neuen Buch von Suter zu lesen, sehen und hören – fast zu viele für meinen Geschmack. Doch Sie haben einen anderen Ansatz gewählt. Das war für mich sehr interessant.

Stadtrundgang Der Stadtrundgang mit Daniel Stutz und Marcel Lauper hat uns sehr gefallen. Die beiden haben den Rundgang sehr authentisch und persönlich gestaltet, uns Einblick in ihre Lebens- und Leidensgeschichte, aber auch in die Institutionen gegeben. Sehr eindrücklich! Würden dies jederzeit in einer anderen Stadt oder in einem anderem Kreis in Zürich wiederholen. C. Meier, Psychiatrische Dienste Graubünden, Cazis

U. Trösch, Gütighausen

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Schreiben auch Sie uns – oder schicken Sie uns Bilder von Ihren Begegnungen mit Surprise! leserbriefe@vereinsurprise.ch oder Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel

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BILD: ZVG

Der kurdische Rekrut hat die Gitarre auch im Trainingscamp dabei. Unser Kolumnist filmt.

Aus aktuellem Anlass hier ein Exkurs in die Nähe meiner Heimat – zumindest so nahe, wie ich derzeit herankomme. Fünf Jahre nach meiner Flucht aus Iran habe ich mich entschieden, nach Kurdistan im Nordirak zu reisen. Da sieht es fast so aus wie in meiner Heimat. Für mich als iranischen Kurden ist diese Reise allerdings nicht ganz ungefährlich: Der Einfluss der Islamischen Republik, vor deren Regime ich damals geflohen bin, ist gross. Eigentlich wollte ich für mein Filmstudium, das ich in Zürich verfolge, eine Dokumentation über eine jesidische Familie drehen, die 2014 vor den Milizen des IS geflohen war. Aber zwei Tage vor meiner Einreise, am traditionellen Fest zur Yalda-Nacht, der längsten Nacht des Jahres am 21. Dezember, explodierte in der nordirakischen Kurdenhauptstadt Erbil eine Bombe vor dem Büro der iranisch-kurdischen Demokratischen Partei Kurdistans KDP (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen irakischen Partei von Präsident Masud Barsani). Sieben KDP-Kämpfer, sogenannte Peschmerga, kamen ums Leben, 15 weitere sowie Zivilisten wurden verletzt. Ich bin selbst KDP-Mitglied und engagiere mich auch in der Schweiz für die Partei. Der Anschlag ging mir nahe, und ich entschloss mich spontan, einen aktuellen Kurzfilm darüber zu drehen. SURPRISE 394/17

Aus Sicherheitsgründen holten mich zwei KDPPeschmerga in Erbil am Flughafen ab. Über Kontakte fand ich gleich am ersten Tag zwei Protagonisten: Sarwin, eine Dichterin, und Rebwar, einen Maler. Beide sind 19 Jahre alt und Mitglieder in der KDP-Jungpartei. Sie entschieden sich nach dem Anschlag, «in die Berge zu gehen», wie man das bei uns nennt: Kämpfer zu werden also, und sich nicht nur mit ihrer Kunst gegen das iranische Regime zu verteidigen, sondern auch mit der Waffe. Sie waren einverstanden, dass ich ihr neues Leben als Peschmerga dokumentieren und mit ihnen in die Berge reisen würde. Doch die KDP-Behörden gaben mir nicht die Erlaubnis, ihre Basis im Zagrosgebirge zu filmen. Nachdem ich zwei Wochen vor Ort an meinem Dossier geschrieben und mit den Behörden in Kontakt gestanden hatte, war ich ganz schön enttäuscht. Um wenigstens ein bisschen etwas vom Kampf der Kurden zu filmen, reiste ich nach Mosul, in die Millionenstadt, die zur Hälfte immer noch vom IS gehalten wird. Unterwegs an die Front klingelte mein Handy. Ich kannte die Nummer nicht und war sehr skeptisch, rief aber zurück. Als ich am Ende des langen Telefonats lachte, fragte mich mein Freund Farzin, der mich begleitete: «Bist du verrückt geworden? Wir sind mitten im Krieg, und du lachst?» Ich erzählte ihm, dass mir die KDP soeben die Erlaubnis erteilt habe, meinen Film in den Bergen zu drehen. Ich fuhr sofort los. Im Auto dachte ich so viel über den Dreh nach, dass ich bei der An-

kunft in der Kaserne die schlimmsten Kopfschmerzen meines Lebens hatte. Die erste Woche des neuen Jahres verbrachte ich also mit einer Dichterin und einem Maler, die zu Kriegern werden wollten. Sarwin las mir während der Dreharbeiten viele Gedichte vor. Und Rebwar spielte zwischen den Schiessübungen Gitarre. Nach meiner Rückkehr in die Schweiz schrieb mir Sarwin, dass sie in den Bergen Liebesgedichte schreibe. Und auch Rebwar meldete sich, er möchte bei Gelegenheit ein Portrait von mir malen. Ich denke immer noch an ihre Talente und mache mir Sorgen, dass sie sich an die Waffen gewöhnen und darüber vielleicht ihre Gedichte, die Musik und die Malerei vergessen.

Der kurdische Journalist Khusraw Mostafanejad, 31, verliess 2011 seine Heimat Iran und wurde 2015 in der Schweiz vorläufig aufgenommen. Hier erzählt er Geschichten vom Fliehen und vom Ankommen.

BILD: FLURIN BERTSCHINGER

Challenge League In die Berge gehen

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Porträt Anwalt der Schutzlosen Anwalt U Han Shin Win hat die 50-jährigen Wirren der Militärdiktatur in Myanmar hautnah miterlebt. Zweimal war er wegen seines politischen Engagements im Gefängnis. Heute verteidigt er unentgeltlich Bauern, deren Land vom Militär oder korrupten Beamten beschlagnahmt wurde. VON SAMUEL SCHLÄFLI (TEXT UND BILD)

ihm die Regierung die würdige Abdankung. Daraufhin entführten Studenten den Leichnam kurz vor der offiziellen Beerdigung und bestatteten ihn in einem Mausoleum auf dem Universitätscampus. Am 11. Dezember 1974 schritt das Militär ein, erschoss Dutzende und warf mehr als tausend Protestierende ins Gefängnis. Shin Win, mittlerweile wortmächtiger Anführer, wurde zu acht Jahren Haft im berüchtigten InseinGefängnis in Rangun verurteilt. «Wir waren dreizehn Gefangene in einer Zelle von neun Quadratmetern, ohne Trinkwasser, ohne Dusche und WC und ohne medizinische Versorgung», sagt Shin Win. Während der gesamten Gefangenschaft konnte er weder einen Anwalt kontaktieren noch seine Familie sehen. Im Gefängnis traf er auf U Ye Htoon, einen in Burma weithin bekannten Anwalt und politischen Aktivisten, der in den USA studiert hatte. Htoon begann Shin Win hinter Gittern in Englisch und Recht zu unterrichten. Als Shin Win 1980 vorzeitig entlassen wurde, brachte er sein Mathematikstudium zu Ende und holte ein Jurastudium nach. Drei Jahre praktizierte er als Anwalt in seinem Heimatort Yesagyo, bevor er während des «8888 Uprising» (am 8.8.1988) im Zuge einer landesweiten Verhaftungswelle abermals ins Gefängnis gesteckt wurde. Diesmal für zweieinhalb Jahre – abermals ohne Kontakt zu seiner Frau und den beiden Töchtern. «Nach diesen Verhaftungen konnte mich nichts mehr einschüchtern», sagt Shin Win ruhig. «Erst die Zeit im Gefängnis gab mir die mentale Stärke, um später anderen zu helfen.» Mit seiner kostenlosen Arbeit begann er vor rund zehn Jahren. Shin Win schwor sich nach einem verheerenden Wirbelsturm, seine Arbeit künftig jenen Menschen zu widmen, die von der Regierung vergessen werden. «Die meisten Politiker und Anwälte verbringen ihre Zeit im Büro. Die wissen nichts über das harte Leben der Bauern da draussen», sagt er. Zum Beispiel über das Leben von U Myint Aung, einem 63-jährigen Mann aus einem kleinen Dorf nicht weit vom Inle-See, der bei Tou-

Als ich U Han Shin Win in einem ruhigen Quartier Yangons besuche und am Metallgitter seines Zuhauses anklopfe, döst er auf einem Rattansessel im Wohnzimmer. Seine Frau öffnet das Tor und bringt mich zu einem ruhigen Mann, dem eine gewisse Müdigkeit ins Gesicht geschrieben steht. Nichts lässt im ersten Moment den leidenschaftlichen Kämpfer erahnen. Shin Win hat gelernt, sein Temperament zu kontrollieren, durch Lebenserfahrung und regelmässiges Meditieren. Shin Win ist kein gewöhnlicher Anwalt. Nur am Wochenende wohnt er in seinem bescheidenen Haus in Yangon. Dort sitzt er die meiste Zeit am kleinen Pult im Arbeitszimmer, wo im Büchergestell Titel wie «Atlas of Human Rights» und «Webster’s New World Dictionary» stehen. Unter der Woche arbeitet er auf dem Land, in kleinen Dörfern an der Grenze zu Thailand und China oder im Landesinneren. Dort kämpft er gegen all diejenigen, die den Analphabetismus und die fehlenden Rechtskenntnisse der Bauern schamlos ausnutzen. Darunter das Militär, private Investoren und korrupte Regierungsbeamte. Dank seines umfassenden Wissens zur Rechtslage in Myanmar und guten Kontakten zu zivilgesellschaftlichen Gruppen und Politikern hat Shin Win Dutzenden von Bauern zu ihrem Recht verholfen. Dafür ist er manchmal tagelang mit einem portablen GPS unterwegs, vermisst Landparzellen und sammelt Beweise für die gerichtliche Anhörung. Seine Freunde nennen ihn deshalb den «Dschungel-Anwalt». Er selbst bevorzugt den Titel «pro bono lawyer»; der unentgeltliche Anwalt. «Ich mache diese Arbeit nicht, um Geld zu verdienen», sagt er, «sondern aus Stolz und um den sozialen Wandel in Burma mit zu gestalten.» Mehr als fünfzig Jahre litt Burma, das heute Myanmar heisst, unter einer brutalen Militärdiktatur. Seit April 2016 wird das Land von einer demokratisch gewählten Regierung und der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi geführt. Shin Win erlebte die Schrecken der Diktatur in ihrer ganzen «Die meisten Politiker und Anwälte verbringen ihre Zeit im Büro. Die wisLänge. 1945 in Yesagyo im Landesinneren gesen nichts über das harte Leben der Bauern da draussen.» boren, überlebte er als einziges von zehn Geschwistern das Kindesalter. Sein Vater zog als Masseur von Haus zu Haus, während Shin Win seiner Mutter half, Feuristen besonders beliebt ist. «Aung war ein einsamer Bauer ohne Frau erholz zu sammeln und Wasser zu schleppen. Nachts schlief er zuund Kinder», erzählt Shin Win. «Sein Stück Land war das einzige, was sammen mit den Eltern auf einer Pritsche in einem einfachen Holzverer hatte.» Das Militär vertrieb den Bauer von seinem Acker, um darauf schlag. Trotz täglichem Überlebenskampf ging Shin Win zur Schule. neue Baracken zu bauen. Am 22. Mai 2015 übergoss sich U Myint Aung Spät abends lernte er beim Licht einer Terpentinlampe und mit seiner mit Benzin und zündete sich an. Heute verteidigt Shin Win zwei Duteinzigen Füllfeder, für die er aus Indigopflanzen Tinte mischte. Sein Tazend Nachbarn des Verstorbenen, die ebenfalls von der Armee vertrielent für Mathematik blieb nicht unbemerkt. Gegen Schulende qualifiben wurden. Shin Win ist ihre letzte Hoffnung. zierte er sich für ein Studium an der Universität von Yangon, das daFür sein Engagement bezahlt der Anwalt einen hohen Preis. Als er in mals noch Rangun hiess. Myeik, ganz im Süden des Landes, Bauern verteidigte, die von einem Schon als Student begann Shin Win sich politisch zu engagieren, trat Geldverleiher um ihre Landtitel betrogen worden waren, versuchte ihn der Studentengewerkschaft bei. Die Unzufriedenheit mit der damaligen ein Auftragskiller zu ermorden. Er schoss daneben und die Bauern jagsozialistischen Regierung und den steigenden Reispreisen war unter den ten den Angreifer fort. «Ich habe keine Angst», sagt Shin Win mit ruhiStudierenden besonders gross. Als 1974 U Thant verstarb, dritter UNger Stimme und entschlossenem Blick. Für einen Moment zeigt sich der Generalsekretär und in der Bevölkerung beliebter Politiker, verwehrte Kampfgeist auf seinem Gesicht. ■

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Flüchtlingshilfe «Kein Raum für Individualität» Der Deutsche Kilian Kleinschmidt leitete eines der grössten Flüchtlingslager der Welt. Das Wirtschaftsmagazin Forbes nennt ihn einen «humanitarian disruptor», einen humanitären Störer, weil er das System von Hilfe durch Wohltätigkeit infrage stellt. Er will die Wirtschaft ins Flüchtlingslager holen.

Kilian Kleinschmidt (54) arbeitete 25 Jahre lang in Krisenstaaten für das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR), zuletzt als Leiter des Flüchtlingslagers Zaatari an der syrisch-jordanischen Grenze mit 100 000 Flüchtlingen, 60 000 davon Kinder. Heute arbeitet er als Politikberater zu den Themen Flucht und Migration und hat unter anderem das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und das österreichische Innenministerium beraten. Er leitet die Hilfsorganisation IPA (Innovation and Planning Agency). Er ist Vater von sechs Kindern und lebt mit seiner Frau in Wien.

VON ANDREAS DÜLLICK (INTERVIEW)

Herr Kleinschmidt, Schlagwörter wie Flüchtlingskrise beherrschen unseren Alltag. Handelt es sich tatsächlich um eine Krise? Kilian Kleinschmidt: Wenn sich etwas verändert, empfindet man das immer als ein Problem. Wir machen es in unseren Köpfen zu einer Krise, in unserer Berichterstattung. Im Grunde ist es ja keine Krise, wenn eine Million Menschen nach Europa kommen. Im Jahr kommen 220 Millionen Touristen aus allen möglichen Ländern zu uns. Das sind zwar keine Menschen, die sich bei uns niederlassen wollen, aber diese 220 Millionen verarbeiten wir logistisch. Aber wir haben es in Deutschland nicht geschafft, mit einer Million geflüchteter Menschen logistisch umzugehen. Wir haben sie nicht einmal erfasst. Das hat einigen Menschen Angst gemacht. Sie haben mehr als 25 Jahre in den schlimmsten Krisenregionen der Welt gearbeitet und gelebt. Unter anderem leiteten Sie das Flüchtlingslager Zaatari mit 100 000 Bewohnern an der syrisch-jordanischen Grenze. Was macht Flucht mit den Menschen? Natürlich ist jede erzwungene Flucht ein Riesenschock für die Betroffenen. Flucht wird ja nicht nur durch Kriege ausgelöst, sondern durch extreme Armut, durch Sklaverei und Ausbeutung. Das sind Realitäten. Flucht entsteht aus der Verweigerung von Menschenrechten. Jemand, der nicht viel hat und mit Gewalt vertrieben wird, der wird zunächst einmal an sich selbst denken müssen, es geht ums pure Überleben. Deswegen ist eines der grossen Themen: Wie kann ich Menschen in ihrer Identität bestätigen und dadurch auch wieder einen Sinn für Gemeinschaft aufbauen? Das haben wir global nicht verstanden.

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BILD: MUHAMMAD HAMED/REUTERS

Bunte Gummistiefel als Zeichen der eigenen Identität: Ein Junge beim Schuhkauf im jordanischen Flüchtlingslager.

lichen. Und das ist heutzutage eigentlich ganz einfach. Doch die tradiIn Ihrem Buch «Weil es um die Menschen geht: Als Krisenhelfer an tionelle Flüchtlingshilfe, wie wir sie bisher gestalten, ob in Deutschland, den Brennpunkten der Welt» beschreiben Sie die Menschen im Lain Jordanien oder im Kongo, ist eine reine Vermassung von Menschen. ger Zaatari an der syrisch-jordanischen Grenze als hochgradig aggressiv. Die Bewohner zerstörten die Infrastruktur, warfen Steine. Was meinen Sie mit Vermassung? Auch in Deutschland kommt es in den völlig überfüllten AufnahmeViele Flüchtende vermeiden, in Massenunterkünfte zu kommen. Wenn lagern immer wieder zu Gewalt. sie können, gehen sie nicht in Lager. Nur zehn Prozent der Flüchtenden Es besteht natürlich ein sehr grosser Unterschied zwischen einem Lager auf der Welt sind in Lagern. Sie versuchen selbst unter grössten Schwiewie Zaatari und Flüchtlingsunterkünften in Deutschland. Weil wir verrigkeiten irgendwo in der Bevölkerung unterzukommen, sich eine Wohhindert haben, dass die Menschen legal nach Deutschland kommen – viele kamen selbstorganisiert, mit Schleppern –, sind es oft Einzelpersonen, keine Familien«Wir setzen Solidarität mit Almosen gleich. Davon müssen wir wegkomverbände. Das betrifft etwa die Hälfte der men. Es ist entwürdigend.» Geflüchteten. Wenn solche Strukturen nicht funktionieren, sprich Familie, Mutter, Vater, nung oder eine Garage zu mieten, um sich irgendwie als Familie oder dann bricht die Sozialkontrolle zusammen. Dazu kommt die Frage: Was als Person wiederfinden zu können. In den Lagern erleben wir oft, dass passiert hier? Kann ich bleiben oder nicht? Das bringt Unsicherheit. Und die Geflüchteten versuchen, aus dem Zwang auszubrechen, genau das trifft vor allem viele Männer hart. Häusliche Gewalt wird zum Thema, Gleiche zu essen wie 99 999 andere Menschen, die gleichen gespendeweil sich diese Männer, die aus Männergesellschaften kommen, hier ten Schuhe anzuziehen. Alle tragen die gleichen Schuhe. Da ist kein wertlos fühlen. Das setzt diese Menschen unheimlich unter Druck. GeRaum für Individualität. Deshalb versuchen viele, die Schuhe wieder zu nau dasselbe erleben wir doch auch bei Langzeitarbeitslosen. Wenn ich verkaufen, um sich dann Schuhe nach ihrem Geschmack zu besorgen. nichts wert bin und mich nicht stark fühle, dann werde ich aggressiv. Das sind Reflexe, die ich immer wieder beobachte. Wir können das anders machen heute. Was ist die Alternative? In Zaatari haben wir Supermärkte eingerichtet, wo die Menschen mit Und warum wird es dann so wenig gemacht? sogenannten Smartcards einkaufen konnten, anstatt LebensmittelverteiWir haben so ein Schema im Kopf: Ein Flüchtling ist abhängig von Allungen abzuholen. Sie gingen mit einem Einkaufswagen in einen Supermosen. Das ist unter anderem durch die Care-Paket-Mentalität nach markt und suchten sich aus, was sie essen möchten. Menschen, die für dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Wir setzen Solidarität mit Almosen sich selbst verantwortlich sein sollen, muss man genau das ermögSURPRISE 394/17

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BILD: MUHAMMAD HAMED/REUTERS

Mit dem Velo auf der Hauptstrasse: Alltag in Zaatari.

«Die Menschen haben nicht darauf gewartet, dass jemand ihnen aus Europa Räder schickt, sondern haben das selbst über Händler in Jordanien organisiert.»

gleich. Davon müssen wir wegkommen. Es ist entwürdigend. Auf dem klügsten Poster, welches das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR jemals produziert hat, stand: «Einstein was a refugee!» War Einstein abhängig von irgendwelchen Almosen? Nein. Aber er war abhängig davon, einen Platz zu finden, an dem er denken und forschen konnte. Sie halten Zahlen, Statistik und Logistik für Instrumente der Entmenschlichung, haben Sie mal gesagt. Wie meinen Sie das? Man spricht in der Katastrophenhilfe tatsächlich von der «Einheit Mensch». Und das muss ich dann als Logistiker übersetzen – wie viel Wasser, wie viel Nahrung, wie viele Medikamente, wie viele Toiletten benötige ich? Es gibt die Tendenz, diese Terminologie beizubehalten, genauso weiterzudenken. Habe ich erst einmal die ersten Leben gerettet, denke ich nur noch sehr wenig oder gar nicht darüber nach, dass ich es ja eigentlich mit Menschen zu tun habe, mit Individuen, Persönlichkeiten. Dafür sind wir, das humanitäre Hilfssystem, überhaupt nicht ausgestattet. War es denn möglich, ein Riesenlager wie Zaatari effektiv zu verwalten und dabei menschlich zu bleiben? Ich habe in Zaatari begriffen, dass beispielsweise das Stehlen von Gebäuden kein Stehlen war, sondern eine Privatisierung. Es ging um Individualität: Ich will keine Gemeinschaftstoilette, deshalb nehme ich mir

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Material von der Gemeinschaftstoilette und baue mir daraus eine private Toilette. So wurden Zementblöcke und Ziegel entwendet und daraus 14 000 Privatklos gebaut, oder Küchen. Da musste ich irgendwann begreifen: Unser Ansatz war falsch.

Inwiefern? Alle Hilfsorganisationen sassen in Nairobi und wollten gar nicht in Mogadischu arbeiten, sondern auf Distanz. Unheimlich viele Sachen sind dort einfach so verschwunden, es war sehr mühsam. Auch in Zaatari hätte man viel mehr machen können und müssen. Ich habe irgendwann gemerkt, dass es diese grossen, schwerfälligen Institutionen trotz aller Innovationsbemühungen nicht schaffen. Ich musste mich da irgendwie ausklinken. Ich habe nicht nur meinen Job gekündigt, ich habe mein Beamtentum aufgegeben. Der lange Marsch durch die Institutionen, den

Inwiefern? Die Leute haben keinen Bock, zusammen auf die Toilette zu gehen. Man muss sie also zunächst einmal gewähren lassen, aber daraus dann irgendwann einmal wieder Strukturen schaffen. Man muss verstehen: Wenn Menschen aus einem Krieg, aus einer Diktatur kommen, dann wird alles, was mit «Ebola wurde erst dann wirksam bekämpft, als sich die Industrie eingeStruktur zu tun hat, abgelehnt. Die Polizei ist klinkt hat, weil sie befürchteten, dass ihnen Afrika als Rohstofflieferant dein Feind und Folterer, nicht dein Freund und verloren ginge.» Helfer! Mir wurde oft gesagt: «Du bist genauso wie Baschar al-Assad! Du willst uns vorschreiwir früher mal propagiert haben – das funktioniert nicht. Man muss ben, dass wir die Toiletten genau so bauen müssen. Nein, wir sind freie ausserhalb der Institutionen versuchen, Veränderungen zu provozieren. Menschen, wir bauen die Gruben, wie wir wollen.» Das sind Prozesse gewesen, in denen Anarchie, Freiheit und Chaos Strukturen hervorgeWarum funktioniert das nicht innerhalb des Systems der grossen bracht haben, die man begleiten musste. Das war ein schwieriges Spiel. Hilfswerke? Weil wir von der Almosenmentalität wegkommen müssen und von dieWie muss ich mir das Leben und den Alltag im Flüchtlingslager Zaaser riesigen Hilfsmaschine, die mehr als Zweidrittel des wenigen zur tari vorstellen? Verfügung stehenden Geldes auffrisst. In Griechenland arbeiten DutDie Menschen haben relativ schnell durch Eigeninitiative Läden eingezende offizielle Organisationen mit Hunderten internationalen und narichtet. Sie versuchten, sich Individualität zu schaffen. Sie waren beitionalen Mitarbeitern. Ich bin davon überzeugt, dass da im Monat 15 bis spielsweise sehr damit beschäftigt, aus den Zelten und später den 20 Millionen Euro nur für Gehälter ausgegeben werden, um – in GrieWohncontainern ihre eigenen Lebensräume zu schaffen. Oder auch chenland, sprich in Europa – Hilfe für 60 000 Flüchtlinge zu organisieHandel zu treiben. Es war der Versuch, sich ein normales Leben aufzuren. Das ist der totale Wahnsinn: eine Viertelmilliarde Euro im Jahr! bauen. Doch die Flüchtlinge mussten leider zu viel Zeit damit zubrinKein Wunder, dass es den Flüchtlingen dort dreckig geht, das Essen gen, an Verteilungspunkten irgendwelches Zeug einzusammeln. Das ist schlecht ist, die Zelte miserabel. Man hätte von diesem Geld mit einem entwürdigend: Man steht sechs Stunden an, damit einem irgendjemand System wie der Smartcard jedem Flüchtling 2000 Euro im Monat zahlen etwas gibt, das man so gar nicht haben will. Lebensmittel, Windeln, können. Stattdessen wird dieses Geld einfach rausgeschmissen. Wasser, Hygieneartikel, Gas für die Heizung. Womit hätten die Menschen in Zaatari besser ihre Zeit verbracht? Ich habe immer gesagt, ich muss Verantwortung dafür tragen für das, was ich produziere und konsumiere – Müll, Strom, Wasser. Ich möchte also die Menschen dazu bringen, Dinge selbst herstellen zu können. Als die Stadt Amsterdam anbot, Fahrräder in Zaatari zu verteilen, fanden die Menschen im Lager das gut, und sie waren schlau. Sie haben im Netz nach Fahrrädern gegoogelt, und nach drei Tagen machte im Lager der erste Fahrradladen auf. Die ersten Fahrräder aus Amsterdam kamen aber erst nach anderthalb Jahren. Die Menschen haben nicht darauf gewartet, dass jemand ihnen aus Europa Räder schickt, sondern haben das selbst über Händler in Jordanien organisiert. Sie haben sogar E-Bikes in Eigenproduktion gebastelt, für all die Menschen im Lager, die ihre Beine verloren hatten und Prothesen trugen. Not macht erfinderisch! Also gibt es noch Hoffnung in Zaatari? Nun ja, ich habe immer mehr Resignation seitens der Flüchtlinge bemerkt. Es gab eine Phase, in der mehr Kooperation, mehr Engagement spürbar war. Es wurde mehr in die eigenen Behausungen investiert in dem Wissen, dass man wohl mehrere Jahre in Zaatari aushalten muss. Als ich 2014 die Leitung des Lagers aufgab, dachten viele, dass sie den Rest ihres Lebens in diesem Lager zubringen müssten, so wie viele andere Flüchtlinge auch. Nach 25 Jahren beim UNHCR zu kündigen, ist eine grosse Entscheidung. Sind Sie in Zaatari gescheitert? Nein. Ich hatte einfach die Nase voll von grossen Institutionen. Vor Zaatari war ich in Mogadischu, das zweite Mal. Dort war ich ein Jahr lang der humanitäre Koordinator und stellvertretender Sicherheitskoordinator für Somalia. Ich habe dort sehr viel Schlechtes erlebt in Bezug auf Korruption. SURPRISE 394/17

Sie wollen Unternehmen mit Flüchtlingslagern und -projekten vernetzen, um so Spenden durch Firmen zu ermöglichen. Ist das die Zukunft der Flüchtlingshilfe? Das ist zunächst ein Konzept. Es gibt für jedes Problem eine Technik, ein Management, eine finanzielle Lösung. Nehmen wir den Bürgermeister von Dohuk im Irak, der hat anstatt 600 Tonnen Müll pro Tag 2000 Tonnen Müll, weil er jetzt mit den Geflüchteten 100 000 Menschen mehr in seiner Stadt hat. Wo kriegt der die richtige Technologie her, um diese Menge an Müll zu verarbeiten? Was ist das beste Wirtschaftsmodell dafür, welche Recyclingtechnik kann ich dafür nutzen? Und dann natürlich die Finanzen. Welche Rolle spielen Sie dabei? Mir geht es derzeit darum, ein Werkzeug zu entwickeln. Das soll auch der etwas technische Name meines Start-ups Switxboard ausdrücken, denn bei einem Switchboard, einer Schaltanlage, geht es ja darum, Sachen zusammenzustöpseln. Ich habe gedacht, ich muss dieses Tool selbst entwickeln, habe dann aber gemerkt, es gibt ja schon viele Vernetzungsinstrumente. Ich baue zudem gerade eine Projektentwicklungsgesellschaft in München auf mit Profis aus dem Bankwesen und der Wirtschaftsberatung. So begleite ich beispielsweise eine Geschäftsoder Produktidee von Geflüchteten aus, sagen wir mal, Griechenland, von der technischen Prüfung über das Management bis hin zur Anwendung. Switxboard fungiert dabei als eine Art Inkubator. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Wirtschaft die Lage der Geflüchteten für ihre Zwecke nutzt, um günstig an Ideen und Arbeitskraft heranzukommen? Humanitäre Hilfe ist Abhängigkeit. Big Business ist Ausbeutung. Wir haben über Fair Trade geredet, Fair Investment, Value Sharing. Und damit

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meine ich diejenigen, die sich mit dem Thema «Es kommen deshalb so wenige Menschen zu uns, weil irgendwo auf der Hilfe und deren sozialer Wirkung auseinWelt viele arme Menschen unheimlich solidarisch sind.» andersetzen. Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft, und der Kapitalismus als Wie kann man einem Normalbürger vermitteln, was es heisst, als solcher hat über das vergangene Jahrhundert reinen Raubbau betrieben, Flüchtling zu leben? ist wenigen sozialen Verpflichtungen nachgekommen. Damit hat er sich Ich habe sehr wenig Kontakt zu sogenannten Normalbürgern. Leider. In ins eigene Fleisch geschnitten. Wien, wo ich lebe, habe ich vor allem Kontakt zu Menschen, die sich darüber Gedanken machen, wie wir Normalität und Menschlichkeit geUnd Sie glauben, dass der Kapitalismus das nun wiedergutmacht? meinsam hinkriegen. Wir leben oft in einer Blase unter Gleichgesinnten. Nehmen wir die erste industrielle Revolution, als die Kapitalisten geDas führt zu einer Polarisierung. Die Gutgesinnten bestärken sich, die merkt haben, dass ihnen die Arbeiter wegsterben. Auf einmal gab es soWut- und Angstbürger bestärken sich. So kommt es zu keinerlei Dialog. zialen Wohnungsbau. Dann gab es Transportsysteme, mit denen die Arbeiter zur Arbeit kommen konnten. Erholungsheime wurden gebaut. Ist die sogenannte Flüchtlingskrise ein Weckruf? Wir haben einige Bespiele, wo sich der Privatsektor reingehängt hat, wo Ja, natürlich ist das ein Weckruf, und das ist wirklich sehr gut. Die Gedann auf einmal Probleme gelöst wurden. Natürlich zu ihrem eigenen sellschaft hat sich wieder politisiert, im Guten wie im Schlechten. Wir Vorteil, aber letztlich auch zum Vorteil für die Gesellschaft. Es gibt Miengagieren uns wieder in verschiedenen Formen. Insgesamt beschäftinengesellschaften, die haben Malaria in ihren Gebieten ausgemerzt, gen wir uns wieder mit uns selbst, mit unserer Gesellschaft. weil sie zu viele Arbeiter verloren. Ich behaupte, Ebola wurde erst dann wirksam bekämpft, als sich die Industrie eingeklinkt hat, weil sie beEreignisse wie der Angriff auf den Weihnachtsmarkt in Berlin oder fürchteten, dass ihnen Afrika als Rohstofflieferant verloren ginge. Plötzdie viel diskutierte Kölner Silvesternacht helfen nicht gerade dabei, lich trafen Geld, Power und Know-how zusammen. Deshalb arbeite ich dass Angst abgebaut wird. Was kann man tun, damit die verschiegern mit grossen Firmen, die solches Know-how und das entsprechendenen Bevölkerungsgruppen nicht noch weiter auseinanderdriften? de Geld mitbringen. Natürlich kann und muss man die auch für ihr VerEs wird wohl weiter zu terroristischen Anschlägen kommen. Das heisst halten kritisieren. Ich glaube aber, dass viele immer mehr aus der Halfür mich, es ist eine noch grössere Anforderung für uns alle, Integration tung des Raubtierkapitalismus herauskommen wollen.

BILD: MUHAMMAD HAMED/REUTERS

Einkaufen wie in einem Supermarkt, nur muss man sich an der Kasse per Iris-Scan ausweisen: Lebensmittel-Laden des World Food Programs in Zaatari.

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voranzutreiben und Perspektiven zu schaffen. Natürlich müssen wir die Menschen, die zu uns kommen, erfassen, registrieren. Aber wir müssen für diese Menschen auch so viele Perspektiven wie nur möglich schaffen. Die Frage, wer findet überhaupt Arbeit und wie schnell, ist ein wichtiges Thema. Die Flüchtlinge können von vornherein gar nicht unseren Ausbildungsstandards genügen, weil sie 99 Prozent unserer Berufe gar nicht kennen. Ein Automechaniker aus Kabul wird keinen modernen BMW reparieren können. Er muss das lernen. Deshalb will ich viel mehr Investitionen dafür, dass Flüchtlinge in moderne Berufe kommen. Ein Problem dabei ist, dass durch die enorme Verschuldung der Geflüchteten ein wahnsinniger Druck auf ihnen lastet, sehr schnell viel Geld zu verdienen. Was braucht es, um empathisch zu sein? Wir dürfen nicht vergessen, dass die grösste Solidarität für fliehende Menschen auf der Welt von armen Menschen gestemmt wird. Die meisten Flüchtlinge sind bei armen Menschen untergekommen. 2009 war ich gerade in Peshawar, als es die grossen Kämpfe zwischen den Taliban und der pakistanischen Armee gab. Und auf einmal kommt da ein Tsunami aus Autos, Bussen und Lastwagen das Swat-Tal hinunter: Zweieinhalb Millionen Menschen innerhalb einer Woche verteilten sich auf Peshawar und das Gebiet. Innerhalb von zwei Wochen haben die Leute dort es geschafft, mehr als 500 000 Menschen in Lagern unterzubringen. Die restlichen zwei Millionen Menschen kamen nicht in Lagern, sondern bei der armen Bevölkerung unter. Es kommen deshalb so wenige

Menschen zu uns, weil irgendwo auf der Welt viele arme Menschen unheimlich solidarisch sind. Wir sind hierzulande nicht in Gefahr. Wie stehen Sie zu Merkels Flüchtlingspolitik? Ich würde ihr sagen, dass sie leider die Chance, eine visionäre Politik in Bezug auf Migration und Flucht zu machen, nicht genutzt hat. Wir zahlen im Augenblick den Preis dafür, dass wir bei dieser doch positiven Stimmung im gefühlten Chaos nicht robuster an einer Vision für die nächsten zehn Jahre in Bezug auf Migration in Deutschland und Europa gearbeitet haben. Und das gerade, weil Angela Merkel nichts unternommen hat, um die legale Migration zu fördern und zu strukturieren. Und weil sie nicht gesagt hat, wir machen jetzt ein Programm für Wohnungsbau und Arbeitsbeschaffung, also die grossen sozialen Themen nicht gesamtgesellschaftlich genutzt hat. Erst dadurch, dass sie es nicht richtig gemanagt hat, ist es überhaupt zu einer Art Krise geworden. ■

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Türkei Die Hoffnung ist verloren Vor vier Jahren wurde aus einem Umweltprotest im Istanbuler Gezi-Park eine landesweite Demokratiebewegung. Sieben Demonstrantinnen und Aktivisten erzählen, was davon übrig ist.

VON FELIX HUESMANN (TEXT UND BILDER)

Mehrere hundert Aktivisten versammeln sich Ende Mai 2013 im Gezi-Park, im Herzen Istanbuls. Sie wollen verhindern, dass der Park einem weiteren Einkaufszentrum weicht. Anderswo in der Welt wird bei solchen Bauvorhaben abgestimmt, die türkischen Behörden reagieren mit Wasserwerfern und Tränengas. Polizisten zünden die Zelte der Protestierenden an. Die Brutalität der Sicherheitskräfte und die Unnachgiebigkeit der Verantwortlichen lassen die Proteste zur Massenbewegung werden. Prominente solidarisieren sich mit den Protesten. Bald geht es nicht mehr nur um Bäume, sondern um Demokratie und Selbstbestimmung. Immer mehr Menschen gehen auf die Strasse. Sie wollen sich ihren Alkohol nicht verbieten lassen. Und wollen auch nicht, dass die islamisch-konservative Regierung in ihre Familienplanung hineinredet. Sie fordern Veränderung, Gleichberechtigung, Freiheit. Der Gezi-Park und der Taksim-Platz gleich daneben werden zum Austragungsort heftiger Strassenschlachten und zur gigantischen Kommune. Die jungen Leute demonstrieren hier nicht nur. Sie leben friedlich zusammen, teilen sich Zelte und Essen, richten in einer Ecke des Parks eine Bücherei ein. Nach wenigen Wochen beendet die Polizei diese Zusammenkunft brutal. Insgesamt werden bei den Protesten acht Menschen getötet. Der Geist der Bewegung lebt jedoch weiter. Man hat sich im Park kennengelernt, über die Grenzen politischer Ideologien hinweg. Es entstehen neue Projekte. Man trifft sich fortan in kleineren Gruppen in anderen Parks, organisiert sich in Nachbarschaftsinitiativen. Neue Organisationen, die sich für die Rechte von Homo- und Transsexuellen einsetzen, werden ins Leben gerufen. An einigen Orten werden Häuser besetzt und zu sozialen Zentren erklärt. Der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) verhilft diese Aufbruchsstimmung zwei Jahre später zum Einzug ins türkische Parlament.

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Davon ist heute nur noch wenig zu spüren. Als die Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) durch den Wahlerfolg der HDP im Juni 2015 ihre absolute Mehrheit vorübergehend verliert, macht sie eine abrupte Kehrtwende in der Kurdenfrage und nimmt den erbitterten Krieg gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die kurdische Zivilbevölkerung im Südosten des Landes wieder auf. Auch das religiöse Netzwerk rund um den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen, ehemals Verbündete der Regierung Erdog˘an, ist seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 massiv von Repressionen betroffen. Wer sich in der Öffentlichkeit kritisch äussert, muss mit Arbeitsplatzverlust und Inhaftierung rechnen. Lehrerinnen, Akademiker, Journalistinnen und sogar gewählte Abgeordnete werden als vermeintliche Terrorunterstützer eingesperrt. Der Rechtsstaat ist ausgehebelt, die Medienlandschaft nach der Schliessung vieler Medienhäuser nahezu gleichgeschaltet. Mit dem Referendum über ein Präsidialsystem im April will Präsident Recep Tayyip Erdog˘an diese absolute Macht nun langfristig an sich binden. Sieben Aktivistinnen und Demonstranten von damals erzählen, was die Proteste für sie bedeutet haben und was heute davon übrig ist.

Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv. https://correctiv.org/

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«Die Herrschaft gehört der Nation»: Das Transparent dominiert seit dem Putschversuch im Juli den Taksim-Platz im Istanbuler Stadtzentrum.

Ferhat Talan (29), Fussballfan und Aktivist «Wir haben in der Türkei ein Sprichwort: ‹Wenn ihr euch nicht gegen den Faschismus vereint, vereint euch der Faschismus im Gefängnis.› Die Gezi-Proteste haben es geschafft, Einigkeit herzustellen. Total verschiedene Menschen waren zum ersten Mal zusammen auf der Strasse. Da standen Kurden neben überzeugten Kemalisten. Die hättest du vorher niemals zusammenbringen können. (Die Anhänger von Mustafa Kemal Atatürk, die sogenannten Kemalisten, stehen aufgrund der Atatürk’schen Doktrin von einer ungeteilten Türkei den Autonomiebestrebungen der Kurden misstrauisch bis feindlich gegenüber, Anm. d. Red.) Wenn du aber für die gleiche Sache kämpfst und von der Polizei angegriffen wirst, dann merkst du, dass du Solidarität brauchst. Wir haben dabei nicht nur gelernt, zusammen zu kämpfen, sondern haben vor allem Empathie entwickelt. Zumindest ein bisschen davon ist erhalten geblieben. Ich habe viele Freunde, die vor Gezi überzeugte Kemalisten waren. Heute unterstützen sie die kurdische Bewegung. Als der Islamische Staat die syrisch-kurdische Stadt Kobanê belagert hat, sind auch einige Kemalisten in den türkischen Grenzort Suruç gefahren, um ihre Solidarität zu zeigen. Viele haben die Kurden aber leider längst wieder vergessen. Auch im Fussball hat sich vieles verändert. Früher ging es im Bes¸iktas¸-Stadion viel politischer zu. Heute wird alles überwacht, und SURPRISE 394/17

wenn du mit einem politischen Banner erwischt wirst, bekommst du dafür ein Jahr Stadionverbot. Den politischen Fussball gibt es hier trotzdem noch, nur eben nicht mehr im Stadion. Nach Gezi ist die ‹Kars¸i Lig› entstanden, die ‹Gegenliga›. Da spielen verschiedene

linke Gruppen gegeneinander. Es sind zum Beispiel Gewerkschafter, Anarchisten und kurdische Feministinnen mit dabei. Männer und Frauen spielen zusammen, was hier in der Türkei etwas völlig Neues ist. Hier gibt es Fussball ohne Sexismus und Nationalismus.»

«Ich habe viele Freunde, die vor Gezi überzeugte Kemalisten waren. Heute unterstützen sie die kurdische Bewegung.» 17


Gökçe Gökçen (25), Internationale Sekretärin des Jugendverbands der Republikanischen Volkspartei CHP «Als die Gezi-Proteste anfingen, habe ich gerade für meine Abschlussprüfungen an der Uni gelernt. Direkt nach der Prüfung ging ich dann selber in den Park und traf dort fast alle Menschen, die ich kenne. Meine unpolitischen Schulfreunde, meine Lehrer, meine Professoren. Alle waren da. Einige Professoren hatten ihre Prüfungen sogar verschoben, damit die Studenten auf die Strasse gehen können. Ich war schon seit ein paar Jahren Mitglied der CHP. Gezi war für mich aber keine Bewegung der Parteien, sondern der jungen Leute. Die Parteien haben gar nicht verstanden, wovon wir sprechen. Seitdem hat die CHP versucht, sich zu öffnen. Unser Parteivorsitzender hat gesagt: Die Partei gefällt euch nicht? Dann werdet Mitglieder und verändert sie von innen. Auch die Demokratische Partei der Völker HDP hat sich gewandelt. Sie hat sich nach Gezi stärker gen Westen orientiert und versucht, eine Partei für die ganze Türkei zu sein. Damit hat sie bei der Parlamentswahl sogar die Stimmen einiger CHP-Wähler bekommen. Es ist im Moment aber schwer, näher zusammenzukommen. Das liegt auch an dem Verhältnis der HDP zur kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die Terroranschläge der PKK können wir niemals akzeptieren. Die HDP unterstützt das zwar nicht offen, sie distanziert sich aber auch nicht wirklich. Auf der anderen Sei-

«Jedes Mal, wenn wieder Listen mit den Namen gefeuerter Mitarbeiter veröffentlicht werden, gucke ich direkt, ob ich auch darauf stehe.»

te macht es die Regierung den Kurden aber auch schwer. Sobald sie sich auf die politische Bühne begeben, werden sie angegriffen. Ich habe keine grosse Hoffnung mehr für die Zukunft. Als Nächstes wird das Verfassungsreferendum kommen, und dann haben wir wohl ein Präsidialsystem. Wahrscheinlich wird es auch noch mehr Terroranschläge geben. Dabei fühlen wir uns schon heute nicht

mehr sicher. Ich arbeite als Forschungsassistentin an einer öffentlichen Uni. Mein Fachgebiet ist Verfassungsrecht. Wenn ich vor Studenten spreche, dann überlege ich immer genau, was ich sage. Und jedes Mal, wenn wieder Listen mit den Namen gefeuerter Mitarbeiter veröffentlicht werden, gucke ich direkt, ob ich auch darauf stehe. Ich habe mich vorher noch nie so hoffnungslos gefühlt.»

Melis Özbakır (25), Aktivistin und ehemalige Hausbesetzerin «Wir haben im Gezi-Park die ganze Zeit irgendwas organisiert, gekocht, aufgeräumt. Dabei hat uns etwas gefehlt: Anders als Occupy Wall Street hatten wir keine organisierten Diskussionsforen. Wir haben nur individuell darüber gesprochen, wie es weitergeht. Wirklich geändert hat sich das erst, nachdem die Polizei uns aus dem Gezi-Park vertrieb. Da haben die Leute angefangen, sich in den Parks ihrer Stadtteile zu treffen und zu diskutieren. Daraus sind zum Beispiel die beiden besetzten Häuser im Stadtteil Kadıköy auf der asiatischen Seite hervorgegangen, das Don Kis¸ot und das Mahalle Evi. Als ich von der zweiten Besetzung erfuhr, war ich gerade mit meiner Mutter in einem Museum. Ich sagte ihr nur: ‹Sorry, ich muss wohin›, und habe sie im Museum stehenlassen. Wir machten aus dem Haus ein soziales Zentrum für die Nachbarschaft. Es gab eine offene Küche, Workshops und Sprachkurse. Die

Nachbarn fanden das super und haben uns unterstützt. Nachdem wir nach einigen Monaten eine Kampagne für die vom sogenannten Islamischen Staat belagerte kurdische Stadt Kobanê starteten, wurde die Unterstützung allerdings deutlich weniger. Als wir Solidarität mit Kurden forderten, standen wir auf einmal selbst ohne die Solidarität unserer Nachbarn da. Kurz später hat die Polizei das Haus dann geschlossen. Mit dem Mahalle Evi ist eines der letzten Projekte gestorben, die aus den Gezi-Protesten entstanden sind. Geblieben sind fast nur noch private Freundeskreise. Ich habe keine Ahnung, wie es jetzt weitergeht. Das Einzige, was ich weiss ist, dass wir dickköpfig bleiben und irgendwie versuchen müssen, Hoffnung zu bewahren. Wir dürfen nicht verrückt werden und müssen uns selbst schützen. Vor ein paar Monaten habe ich angefangen zu boxen, damit ich mich zumindest auf der Strasse etwas sicherer fühle.»

«Vor ein paar Monaten habe ich angefangen zu boxen, damit ich mich zumindest auf der Strasse etwas sicherer fühle.» 18

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Sedef Çakmak (34), LGBT-Aktivistin und Stadtratsabgeordnete von Bes¸iktas¸ «Ich war schon lange vor den Gezi-Protesten für LGBT-Rechte (Abkürzung für Lesbisch, Schwul, Bi- und Transsexuell, Anm. d. Red.) aktiv. Mit Gezi wurde für uns aber auf einmal vieles anders. Viele soziale Gruppen sind zum ersten Mal miteinander in Berührung gekommen. Wir haben gelernt, wie ein friedliches Zusammenleben aussehen kann. Gleichzeitig waren wir unglaublich sauer auf die Regierung, auch auf viele Oppositionspolitiker. Die haben zwar immer gesagt, dass sie LGBTRechte unterstützen. Wenn die politischen Kämpfe aber härter werden, sind sie das Erste, was fallengelassen wird. Wir dachten uns: Warum gehen wir nicht selber in die Politik und verändern etwas? Mein Freund Boysan hatte die Idee, in die Republikanische Volkspartei CHP einzutreten und bei der nächsten Kommunalwahl zu kandidieren. Ich wollte ihn unterstützen und habe mitgemacht. Also sind wir erstmal Mitglieder der CHP geworden und haben einige Abgeordnete und lokale Parteiverbände getroffen. Nach einer Weile hatten wir dann einen Termin beim Parteivorsitzenden Kemal Kılıçdarog˘lu und kurze Zeit später standen wir tatsächlich auf den Wahllisten unserer Bezirke. Ich hatte sogar einen einigermassen aussichtsreichen Listenplatz. Um direkt gewählt zu werden, hat es trotzdem nicht gereicht. Ich bin aber ein Jahr später nachgerückt. Wir haben seitdem einiges erreicht. Wir haben eine grosse Plakatkampagne in Bes¸iktas¸ gestartet. Auf den Plakaten haben LGBT-Aktivisten gemeinsam mit unserem Bürgermeister posiert. Dadurch ist nicht die Hölle losgebrochen, sondern den Menschen hat das gefallen. Es gibt hier heute mehrere LGBT-Cafés, und die Leute können sich offener zeigen als vorher. Auch in der Stadtverwaltung versuchen wir, unsere Arbeit zu institutionalisieren, und schulen die Mitarbeitenden. Das alles ist durch Gezi überhaupt erst möglich geworden. Die politische Entwicklung im Land macht unsere Arbeit aber verdammt schwer. Nach Gezi waren mehr als 80 000 Leute bei der LGBT-Pride-Parade. In den letzten beiden Jahren aber wurde sie verboten und von der Polizei angegriffen. Dabei ist die Polizei nicht mal die grösste Gefahr. Wir fürchten uns heute viel mehr vor möglichen Selbstmordanschlägen. Eigentlich sollte der Staat uns davor beschützen. Er tut es aber nicht.»

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«Das alles ist durch Gezi überhaupt erst möglich geworden. Die politische Entwicklung im Land macht unsere Arbeit aber verdammt schwer.»

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Dr. Azad Barıs¸ (47), Vorstandsmitglied der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker HDP «Ich habe mir die Gezi-Proteste natürlich angeschaut, aber ich war von Anfang an nicht so euphorisch wie viele andere. Das war zum einen eine urbane Demokratiebewegung. Da waren aber auch nationalistische und protürkische Gruppen. Und protürkisch zu sein, bedeutet hierzulande immer auch, für die Ausgrenzung Andersdenkender, anderer Ethnien und Religionen zu stehen. Es gab zwar eine gewisse Annäherung der verschiedenen Gruppen, aber keine wirkliche Einheit. Die wird es auch nicht geben. Sobald man nur ein Wort über Kurden verliert, eskaliert die Situation. Das ist immer noch das grosse Tabuthema in der Türkei. Wer sich für die Rechte der Kurden einsetzt, wird als Separatist oder Terrorist beschimpft. Da macht es keinen Unterschied, ob man mit Kemalisten oder mit Islamisten spricht. Das ist deren politisches Erbgut. Wir sehen heute sehr deutlich, dass aus Gezi keine wirkliche Solidarität entstanden ist. Als im Parlament die Immunität unserer Abgeordneten aufgehoben wurde, haben die Abgeordneten der Republikanischen Volkspartei CHP dafür gestimmt. Und als unsere Parteivorsitzenden und mehrere Abgeordnete festgenommen wurden, hat ihr Parteivorsitzender Kılıçdarog˘lu das zwar indirekt kritisiert, dabei

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aber nicht einmal den Namen unserer Partei ausgesprochen. Wie beschämend! Trotzdem gibt es in der CHP auch linksorientierte Demokraten, mit denen wir gut zusammenarbeiten können. Unter deren jetziger Führung werden unsere Parteien aber wohl kaum enger zusammenrücken. Die denken immer noch, dass der ‹Erdog˘anismus› etwas mit Demokratie zu tun hätte. Tatsächlich ist das, was sich gerade in der Türkei abspielt, noch harmlos. Es wird noch viel schlimmer kommen. Wir werden die Vernichtung von noch mehr kurdischen Städten, politische Attentate, Tötungen von Zivilisten und die Festnahme weiterer Abgeordneter erleben. Und das wird sich nicht nur gegen uns richten, sondern auch gegen die CHP. Unsere Möglichkeiten, etwas dagegen zu unternehmen, werden immer weniger. Unsere Medien wurden bereits geschlossen. Was uns bleibt, ist von Tür zu Tür zu gehen, um mit den Menschen zu sprechen. Wir wollen die Leute informieren und dazu motivieren, trotz ihrer Angst etwas zu tun. Für den Fall, dass sie mich irgendwann mitnehmen und einsperren, ist alles vorbereitet. Meine Genossen wissen Bescheid, und mit meiner Familie ist auch alles abgesprochen. Dass das passiert, wird von Tag zu Tag wahrscheinlicher. Eigentlich ist momentan eher die Frage, wann es geschieht, nicht ob.»

«Was uns bleibt, ist von Tür zu Tür zu gehen, um mit den Menschen zu sprechen. Wir wollen die Leute informieren und dazu motivieren, trotz ihrer Angst etwas zu tun.»

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Ayser Ali (38), Literatur-Agentin «Gezi war so eine unschuldige Zusammenkunft. Wir waren alle unterschiedlich, aber wir hatten die Hoffnung, etwas verändern zu können. Und wir haben es geschafft, eine Verbindung zueinander aufzubauen. Die Leute haben aber bald festgestellt, dass sie nicht dieselbe Vorstellung vom Leben haben. Darum ist die Bewegung am Ende nicht gewachsen, sondern verblasst. Die Stadt hat sich seitdem stark verändert. Rund um den Taksim-Platz sind heute weniger Menschen unterwegs. Bars und Restaurants, die Alkohol verkaufen, werden immer stärker unter Druck gesetzt. Statt all den jungen Leuten sieht man heute immer mehr arabische Touristen. Ich merke das sogar in meiner Nachbarschaft in Cihangir. Eigentlich ist das ein total weltoffener Stadtteil, hier leben Künstler, Musiker und Schauspieler. Aber auch hier gehen die Leute abends nicht mehr so viel raus. Es gibt dieses Gefühl der Unsicherheit. Und die Gesellschaft wird immer religiöser und konservativer. Vor ein paar Monaten, im Ramadan, hat ein Freund von mir eine Party gefeiert. Wir waren in einer privaten Wohnung, haben Musik ge-

hört und getanzt. Auf einmal stand eine Gruppe junger Männer vor dem Haus und begann laut rumzuschreien. Was uns denn einfallen würde, im Ramadan zu feiern, Männer und Frauen zusammen. Wir haben dann das Licht ausgemacht und gewartet, bis sie weg waren. Die Party war vorbei. Wir hätten natürlich die Polizei rufen können, aber die hätte eh nichts unternommen. Trotz allem müssen wir unseren Verstand behalten. Viele isolieren sich von allem und fokussieren sich komplett auf ihre Arbeit und ihr Privatleben. Ich mache mir mittlerweile ernsthafte Gedanken darüber, das Land zu verlassen. Dabei will ich hier eigentlich gar nicht weg. Ich mag Deutschland, ich mag Europa. Aber hier bin ich zuhause. Falls ich aber irgendwann ein Kind bekomme, wandere ich aus. In dieser Unsicherheit will ich kein Kind grossziehen.»

«Ich mache mir mittlerweile ernsthafte Gedanken darüber, das Land zu verlassen. Dabei will ich hier eigentlich gar nicht weg.»

«Falls der Staat das Internet abschaltet, müssen wir auf die Strasse gehen, Reden halten, Flugblätter verteilen und die Informationen an die Wände schreiben. Wir brauchen einen Plan.»

Ali Ergin Demirhan (34), Journalist beim gewerkschaftsnahen Onlinemagazin Sendika.org «Als die Proteste 2013 anfingen, haben wir im Minutentakt Informationen verbreitet. Die Aktivisten auf der Strasse haben uns angeruSURPRISE 394/17

fen, und wir haben deren Infos verifiziert und dann veröffentlicht. Das war vor allem deshalb wichtig, weil die Mainstream-Medien alles gezeigt haben, nur nicht die Wahrheit. Nach ein paar Tagen haben wir dann auch einen Online-Fernsehsender gestartet und im

Internet live aus dem Gezi-Park gestreamt. Wir haben die ganze Zeit darauf gewartet, dass die Regierung uns angreift. Sehr lange ist aber nichts passiert. Erst einige Monate später, nach den Korruptionsermittlungen gegen die Regierung, hat sich das geändert. Am Anfang haben sie nur den Zugang zu einzelnen Artikeln gesperrt. Dann haben sie aber angefangen, unsere komplette Internetseite zu sperren. Wir haben uns daraufhin einfach von Sendika.org in Sendika1.org umbenannt. Mittlerweile sind wir bei Sendika12. Vor allem vor grossen ‹Operationen› oder Festnahmen versucht die Regierung, den Zugang zu Informationen abzuschneiden. Worüber wir uns jetzt Gedanken machen müssen, sind alternative Kommunikationsmittel. Allein aus wirtschaftlichen Gründen wird die Regierung das Internet nie langfristig abschalten. Aber schon in ein paar Tagen kann eine Menge passieren. Darauf müssen wir reagieren können. Als sie das Internet vor Kurzem blockiert haben, hat sich in Izmir jemand auf einer Fähre vor die Passagiere gestellt und ihnen die Nachrichten einfach zugerufen. Das ist ein kreativer Weg, damit umzugehen. Falls der Staat das Internet abschaltet, müssen wir auf die Strasse gehen, Reden halten, Flugblätter verteilen und die Informationen an die Wände schreiben. Wir brauchen einen Plan.»

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BILD: ZVG

Moumouni … … schaut unter die Burka Ich finde ja die Burkadebatte vollkommen überflüssig. Und trotzdem muss ich jetzt noch was dazu schreiben. Obwohl mir vollkommen klar ist, dass ein Burkaverbot Unsinn ist und die Debatte eine Scheindebatte. Es geht dabei um alles Mögliche, aber nicht um die Burka. Es geht, wenn überhaupt, um den «Niqab». So heisst die schwarze Ganzkörperbedeckung mit einem Schlitz für Augen nämlich. Das ist ein arabisches Wort mit einem für nicht Arabisch sprechende Menschen schwierigen Laut: Das q in der Umschrift steht für den arabischen Buchstaben «Qaf». Das ist ein K, das tief im Rachen erzeugt wird. Wikipedia schreibt, dass es sich beim Qaf um einen «stimmlosen uvularen Verschlusslaut» handelt, bei dem «der hintere Teil der Zunge mit dem Gaumenzäpfchen einen Verschluss bildet». Und damit der Sprachkunde nicht genug: Das a im Wort Niqab ist übrigens ein langes. Klingt kompliziert. Aber vergessen Sie nicht: Im Schweizerdeutschen spricht man fast alle Fremdwörter schweizerdeutsch aus, und so ist es nicht unbedingt falsch, wenn Menschen in der Deutschschweiz von einem «Nikkab» (Betonung auf der ersten Silbe und mit Kehllaut) sprechen. Genau mit diesem Kleidungsstück wollte die SVP wohl ihre Frauen auf ihren Plakaten zur Volksabstimmung über die erleichterte Einbürgerung vor lüsternen Blicken schützen. Gibt es überhaupt Frauen in der SVP?, fragt man sich, wenn man die Plakate sieht und nicht weiss, ob eigentlich immer die gleiche Frau oder gar ein Mann hinter dem Stück Stoff versteckt ist. Ich google «SVP Frauen». Auf der Webseite steht: «Inhalt nicht erreichbar», was ich als virtuellen Niqab interpretiere: Auch online versteckt die SVP ihre Frauen. Na ja. Der Grund, warum mich die Debatte und erst recht der Missbrauch durch die SVP-Plakate stören, ist, dass die Debatte nicht auf Augenhöhe geführt wird. (Und ich würde behaupten, dafür sind doch die Augenschlitze da!) Zudem wird sie als Migrationsdebatte geführt, obwohl alle Frauen, die ich kenne und die einen Niqab tragen, deutsche oder schweizerische Konvertitten sind. (Huch, habe ich Titten geschrieben? Ich bezweifle, dass man als Gesprächspartner ein Recht auf ein ganzes Ge-

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sicht und das Dekolleté des Gegenübers hat.) Ebenso lächerlich ist das Argument, dass der Niqab nicht zur Schweizer Kultur passe. Dieser Argumentation nach passt nichts zur Schweiz ausser Käse und Berge – über Raubgold aus dem Zweiten Weltkrieg lässt sich streiten. In diesem Zusammenhang muss man dann aber auch sagen, dass Nora Illi schon sechs Jahre alt war, als man in Appenzell Innerhoden den Frauen das Frauenstimmrecht eingeprügelt hat. Und denken Sie an Mani Matter! Der war auch ganz angetan von den zwei Augen, in die sich Sidi Abdel Assar vo El Hama im gleichnamigen Lied verliebt hat. Aber ich will nicht falsch verstanden werden: Nein, ich finde nicht, dass Frauen einen Niqab tragen sollen. (Ich distanziere mich! – Das will man doch immer von muslimischen Mitmenschen hören, oder?) Ich finde, dass den Frauen, bei denen man ungefragt davon ausgeht, dass der Niqab ein Zeichen ihrer Unterdrückung ist, mit einem Verbot kein Gefallen getan wird. Und ich finde, dass unsere politischen Kämpfe nicht am Körper der Frau ausgehandelt werden sollen. Ich würde mich ausserdem eher dazu bereit erklären, der SVP mein Gesicht zu leihen, falls sie mal wieder keine Frau für Plakate und Webseite hat, als der SVP und anderen rechten Parteien den Feminismus zu überlassen. Und ich finde, dass ein Mensch sich verhüllen dürfen muss. Was

zum Beispiel, wenn ich ein Date habe und mir genau dann ein riesiger Pickel wächst?! Da darf es doch nicht sein, dass mir per Gesetz verboten ist, mein Gesicht zu verdecken. Es sprechen viele Gründe dagegen, Frauen per Gesetz zu sagen, was sie anziehen dürfen und was nicht. Und überhaupt: Wo sind denn die Frauen, über die da diskutiert wird?

Fatima Moumouni hofft, dass Sie bei der Initiative zur erleichterten Einbürgerung keinen Scheiss abgestimmt haben. Vielleicht möchte sie eines Tages nämlich selbst mal zur Schweizer Staatsbürgerschaft konvertieren. (Aber hat sie wirklich «Titten» geschrieben?)

Rahel Nicole Eisenring ist freie Illustratorin. www.raheleisenring.ch SURPRISE 394/17


Ausstellung Der uns einen Spiegel vorhielt Stadtoriginal Emil Manser hielt der Luzerner Bevölkerung mit seinen Plakaten einen Spiegel vor. Dreizehn Jahre nach seinem Tod thematisiert eine Ausstellung im Historischen Museum seine Rolle.

«Badzeli oder ich singe» steht auf einem Plakat. Daneben Emil Manser als Charlie Chaplin verkleidet. Mit gesellschaftskritischen und künstlerischen Plakatsprüchen und in wechselnder Verkleidung zog der grossgewachsene Mann ab Ende der Achtzigerjahre bis zu seinem Freitod 2004 durch die Strassen von Luzern. Er blieb den Menschen damit bis heute in reger Erinnerung, wie Anfang des 20. Jahrhunderts der Berner Geschichtenerzähler und Coiffeur Dällebach Kari. Oder noch viel früher, im antiken Griechenland, der Philosoph Diogenes von Sinope. In einer Tonne soll dieser gelebt und seine Haltungen und Denkweisen lautstark unter das Volk gebracht haben. Wie er da ohne Hemmungen seine Meinung vertrat und in aller Öffentlichkeit einen so ganz anderen Lebensstil als die Mehrheit pflegte, musste er auf die Menschen seiner Zeit eine ähnliche Wirkung ausgeübt haben wie der Dällebach Kari oder Emil Manser: Sie waren Stadtoriginale, charismatisch und polarisierend zugleich. Sie provozierten mit entlarvenden Wahrheiten, begeisterten mit ihrem Sprachwitz und faszinierten mit ihrer auffälligen Erscheinung. Emil Manser wird nun, dreizehn Jahre nach seinem Tod, vom Historischen Museum Luzern mit einer Ausstellung gewürdigt. «Manser beschäftigt die Luzerner Bevölkerung bis heute. Er war eine vielschichtige Persönlichkeit. Mit seiner direkten Art, mittels seiner Plakate mit den Leuten zu kommunizieren, wurde er zu einem Teil der Gesellschaft», sagt Christoph Lichtin, Direktor des Historischen Museums Luzern und Kurator der Ausstellung. Hingegen hat Manser selbst sich offenbar nie als zugehörig empfunden. 1951 wurde er in eine grosse Appenzeller Bauernfamilie hineingeboren. Nach einer Lehre zum Buchdrucker zog er 1975 nach Luzern. Wegen einer psychischen Erkrankung wurde er im Alter von 25 Jahren entmündigt. Dieser Bruch in seiner Biografie hinterliess tiefe Narben, die zeitlebens nie ganz heilten. Emil Manser wurde durch diese Vormundschaft wieder zum Kind gemacht und damit zum Aussenseiter abgestempelt. Deshalb ging es auf seinen Plakaten oft um Toleranz, Unterdrückung und Freiraum für alle. Nach einer Krebsdiagnose verabschiedete sich der stadtbekannte Strassenphilosoph mit dem Plakat «Krebs – wählte Abkürzung in den Himmel» von Luzern und beendete sein Leben mit einem Sprung in die Reuss. Aus Mansers Nachlass von 150 auf der Vorder- und Rückseite beschriebenen Plakaten hat der Kurator 37 ausgewählt, die die besondere Vielfalt in Typografie, Wortspiel und Farbigkeit widerspiegeln. «Er ortete soziale Unterschiede mit einem feinen Gespür und brachte diese in seiner prägnanten Art zu Papier», sagt Lichtin. «Laut seiner letzten Lebenspartnerin hat Manser jeweils lange mit einem Satz gerungen, denn er war sich seiner Wirkung sehr wohl bewusst.» Er pflegte seinen eigenen Stil mit Rechtschreibfehlern oder Verkleidungen ganz gezielt. «Es waren nicht einfach die Handlungen eines Spinners, sondern klare Akte im Sinne eines öffentlichen Auftritts», so Christoph Lichtin. «Manser war nicht nur schräg, sondern schuf trotz oder gerade auch wegen seiner Erkrankung zahlreiche Werke von künstlerischer Qualität, die wir im Museum einem breiten Publikum zeigen möchten.» Parallel zur Ausstellung nahmen bisher über 25 Schulklassen an einem Plakatwettbewerb teil. «Für die Kinder und Jugendlichen ist es eine spannende Erfahrung, mit Orthografie und Typografie zu experimenSURPRISE 394/17

BILD: MARGRITH STEINMANN, NACHLASS EMIL MANSER

VON MONIKA BETTSCHEN

Emil Mansers Freiwilligenarbeit: Gratisanregung zum Nachdenken.

tieren und lustvoll Fehler machen zu dürfen. Für sie ist jemand wie Emil Manser ein Beispiel für einen Menschen, der Mut hat und ganz sich selber ist», erzählt Lichtin. «Ich arbeite schon viele Jahre in Museen, aber noch nie hat eine Ausstellung die Menschen so tief berührt wie diese», stellt der Museumsdirektor fest. Er habe auch schon die Rückmeldung erhalten, dass es geschätzt werde, dass in einem historischen Museum neben Helden, Waffen und Rüstungen auch Raum für eine Persönlichkeit wie diese geschaffen wurde. «Eine Gesellschaft wird gerade auch von Menschen wie Emil Manser mitgeprägt», so Lichtin. ■

«Wer mich kennt, liebt mich. Emil Manser (1951 bis 2004)», Di bis So, 10 bis 17 Uhr, Historisches Museum Luzern, bis Ostermontag, 17. April. www.historischesmuseum.lu.ch

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Blues Medizinische Selbstversorgung Ein halbes Vagabundenleben lang hat der englische Sänger und Multi-Instrumentalist Duke Garwood die versteckten Ecken der Welt bereist. Aus den Erlebnissen ist ein magischer Wüsten-Blues zwischen Zorn und Versöhnlichkeit gewachsen.

Zum Interview hat Duke Garwood nicht in ein trendiges Café gebeten, sondern ins British Museum mitten in London. Ich erspähe ihn just in dem Moment, als ihm die Sicherheitskontrolle die Gitarre abnehmen will. Das geht natürlich nicht, und so landen wir doch noch im Café. Er liebe London, sagt er auf dem Weg dorthin, doch seit er in Hastings lebe, habe er sich die Stadt quasi abgewöhnen müssen. «Sowieso, es ist nicht mehr dasselbe hier.» Als wir uns hinsetzen, rattert die Kaffeemühle los. «Immerhin wirst du den authentischen Sound der heutigen Café-Society auf deiner Aufnahme haben», kommentiert Duke trocken. Man hat nicht den Eindruck, dass ihm die moderne Welt besonders Eindruck macht. «Es ist auch wirklich Scheisse, was hier abläuft», erklärt er. «Sie verändern London genauso, wie sie New York verändert haben. Alles, was die hohen Mieten nicht bezahlen kann, wird verdrängt. Eines Tages wird man sagen: Was zum Teufel haben sie da nur angerichtet?» «Garden of Ashes» – «Garten der Asche» – heisst sein neues Album. Das Bild von Erneuerung wie ein Phönix aus der Asche habe einfach zu seiner Gemütslage gepasst: «Die Stimmung auf der Welt erscheint mir ein bisschen ausgebrannt zu sein. Wir alle sind ein bisschen traurig darüber, wie die Dinge laufen.» Er sei ein zorniger Mensch, so zornig, dass er sich manchmal an sich selber verbrenne. «Dass dieses Album so versöhnlich klingt, so ruhig, kommt daher, dass ich es selber so brauchte. Es ist wie medizinische Selbstversorgung.» Einmal erinnert die Musik an den hypnotischen Wüsten-Blues von Tinariwen, ein andermal an die subtilen Stimmungsskizzen eines Ry Cooder. Dazu kommen die schimmernden Backing-Vocals von Jehnny (sic) Beth, die sonst bei der fulminanten Frauenband Savages tätig ist. Zuvorderst aber steht Garwoods Stimme, ein gewaltiges Instrument, das in jedem Wort die Fülle eines Lebens voller Geschichten anklingen lässt, die man auch noch hören möchte. Duke Garwood, Jahrgang 1969, wuchs in einem Dorf in der grünen englischen Grafschaft Kent auf, zusammen mit einer elterlichen Plattensammlung, die von Frank Zappa über Davy Graham und Soft Machine bis Big Bill Broonzy reichte. Als Teenager entdeckte er Electro und frühen Hip-Hop, ehe er dank einem Arbeitskollegen, der ständig Muddy Waters’ «Hard Again» abspielte, zurück zum Blues fand. Es war der Beginn einer langen Irrfahrt zwischen dem Bedürfnis, Musik zu machen, und einer lähmenden Frustration, dies im Rahmen des Geschäftes tun zu müssen. Eine Zeitlang war dieser Frust so gross, dass er seine Gitarren in den Schrank stellte. «Gleichzeitig war ich besessen von John Coltrane und suchte nach neuen Wegen des Ausdrucks für mich.» Auf seiner Suche verfiel er auf das Chalumeau, ein Holzblasinstrument, das im Barock populär war und mit der Klarinette verwandt ist: «Sieht aus wie eine Blockflöte, klingt aber echt funky.» Von da aus führte die Reise über konventionelle Klarinette und Bass-Klarinette zur Alt-Klarinette: «Das stellte meine Welt auf den Kopf, denn das ist ein eigenartiges Instrument, mit dem man gut in einer Rockband spielen kann. Es geht im Sound nicht unter und klingt auch nicht wie ein Saxophon.» Zudem war ihm keine Rockband bekannt, die es tatsächlich verwendete: «Die Dinger sind sehr rar und dazu schweinisch schwierig zu spielen.» Mit dem neuen Instrumentarium bewegte er sich in der experimentellen Impro-

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BILD: ZVG

VON HANSPETER KÜNZLER

«Was zum Teufel haben sie da nur angerichtet?»: Auf Duke Garwood macht die moderne Welt wenig Eindruck.

visationsszene, spielte aber auch auf dem ersten Hit von The Orb und in der Rockband The Archie Bronson Outfit mit. Seine wahre Liebe galt allerdings einer Band namens Little Wet Horse, die dank dem Job eines Mitglieds nächtelang in den Studios der BBC Aufnahmen machen konnte und schliesslich rund ein Dutzend Alben im Kasten hatte, ohne dass sie je das Interesse einer Plattenfirma hätte wecken können: «Eine unglaublich schöne Zeit war das!» Die Musikindustrie ignorierte Garwood, aber sein Können und seine Haltung sprachen sich herum. So spielte er in Nordafrika mit den Master Musicians of Joujouka und in der Sahara mit Tinariwen, in London mit den Savages und in Los Angeles mit dem geistes- und stimmverwandten amerikanischen Sänger Mark Lanegan. «Wenn mich jemand spielen lässt, spiele ich.» Bereits arbeitet er an seinem nächsten Album: «Die Musik im Jahr des Clowns – will sagen: nach der Wahl von Donald Trump – wird ganz anders klingen, das kann ich versprechen!» ■ Duke Garwood: «Garden of Ashes» (Heavenly/MV) SURPRISE 394/17


BILD: DIRK ZEHRT/GOURMET-BLOG.DE

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Manchmal ist ein Stössel so mächtig wie ein Zauberstab.

Piatto forte Höchste Wirksamkeit Odysseus vermochte Kirkes Zauber dank einem Zauberkraut zu widerstehen. Gut möglich, dass das in Wahrheit Knoblauch war. VON TOM WIEDERKEHR

Kulturgeschichtlich gesehen hat der Knoblauch seit jeher polarisiert. Die alten Ägypter schätzten ihn, die Griechen weniger, die Römer assen ihn mit grossem Vergnügen. Neben ganz Asien inklusive Indien sind es heute Italien und der Balkan, welche das Liliengewächs in der Küche zu nutzen wissen. Frankreichs Grande Cuisine machte lange einen grossen Bogen um den Knoblauch und überliess ihn verächtlich den Bauern. Dabei war es ausgerechnet der französische Chemiker und Mikrobiologe Louis Pasteur, der das Renommee des Knoblauchs aufmöbelte, indem er dessen antibakterielle Wirkung nachwies. Wer den Knoblauch schätzt, sich aber wünscht, dass das Aroma ein bisschen dezenter wäre, der kann mit einer aufgeschnittenen Zehe die Schüssel oder Pfanne einfach ausreiben. Oder die Zehen in etwas Wasser oder Milch kochen und ihn als deutlich milderes Püree nutzen. Wer die Aromen unwiderstehlich findet, macht sich am besten eine Aioli. Häufig wird eine Aioli auf Mayonnaise-Basis mit Eigelb als Emulgator zubereitet. Die echte, klassische Aioli kommt ausschliesslich mit Knoblauch, Olivenöl und Salz aus. Dazu braucht es allerdings ein bisschen Arbeit und vor allem Fingerspitzengefühl. Schälen Sie eine ganze Knolle und schneiden Sie die Zehen mit einem Messer klein. Danach geben sie die gehackten Knoblauchzehen in einen Mörser, wo sie zu einem feinen, gleichmässigen Brei verarbeitet werden müssen. Nun giessen Sie die ersten Tropfen Olivenöl zum Brei und rühren gründlich, bis sich das Öl mit dem Brei verbindet und zu einer Emulsion wird. Ab jetzt können Sie in ganz dünnem Faden langsam weiteres Olivenöl hinzugeben, während Sie konstant gründlich rühren. Nach einer Weile setzt sich das neu zugegebene Öl erst am Rand des Mörsers ab, bevor es sich in die Aioli fügt. Das ist das Zeichen, dass die Emulsion kein weiteres Öl mehr aufnehmen kann. Jetzt für den Geschmack noch ein bisschen Meersalz dazugeben, das Aioli auf eine Scheibe frisches Weissbrot streichen und zusammen mit ein paar Oliven essen. Das Kraut, das Odysseus vor Kirkes Zauberkräften schützte, hiess Moly, und offenbar half es, sich alles Unwillkommene vom Leib zu halten. Es wird gerne als Knoblauch interpretiert: Immerhin heisst die Lauchart Allium Moly danach. Bezugsquellen und Rezepte: www.piattoforte.ch/surprise SURPRISE 394/17

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Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen

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ChemOil Logistics AG, Basel

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Schluep & Degen Rechtsanwälte, Bern

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Institut und Praxis Colibri, Murten

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Kaiser Software GmbH, Bern

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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

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Rechtsanwalt Peter von Burg, Zürich

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Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

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Hofstetter Holding AG, Bern

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Hedi Hauswirth Privat-Pflege, Oetwil am See

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Echtzeit Verlag, Basel

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OpenTrack Railway Technology GmbH, Zürich

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Intercelix AG, Basel

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Naef Landschaftsarchitekten GmbH, Brugg

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Schweizerisches Tropeninstitut, Basel

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PS: Immotreuhand GmbH, Zürich

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Iten Immobilien AG, Zug

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Proitera GmbH, Basel

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Petra Wälti Coaching, Zürich

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Alfred Rappo-Kolenbrander, Breitenbach

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Botanica GmbH, Sins

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Brother (Schweiz) AG, Dattwil

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InhouseControl AG, Ettingen

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Maya-Recordings, Oberstammheim

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noline.ch GmbH, Buus

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

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BILD: ZVG

BILD: MANUEL BÜRGER BILD: JOCJONJOSCH

Ausgehtipps

Jetzt wird zugestimmt.

Zürich Stimmungslagen Ja! Machen Sie sich die Hände dreckig!

Luzern Umgraben Wir finden: Ein Titel wie ‹d g d g d g› sieht ganz nach kleinen Erdklümpchen aus, und der Name des Künstlerkollektivs JocJonJosch klingt genau so, wie wenn man mit einer Schaufel im Sand gräbt und ihn in hohem Bogen wegschleudert. Und siehe da, wir haben recht: ‹d g d g d g› heisst nichts anderes als «dig dig dig» (also drei Mal «graben»), wobei das i weggelassen ist, das heisst: Es ist eben weggegraben, damit etwas Neues entstehen kann, in der Lücke. JocJonJosch sind ein schweizerisch-englisches Kunstkollektiv, bestehend aus drei Männern, für die das Graben ein Lieblingsthema ist und die jetzt in Luzern eine Langzeitperformance dazu in Gang setzen: Graben als kollektive Aktivität. Graben ist etwas Zweckmässiges, oft aber auch etwas Symbolisches. Die Künstler graben ihre eigenen Körperformen in den Boden des Kunstpavillon-Gartens, um anschliessend die entnommene Erdmasse im Ausstellungsraum anzuhäufen. Das Publikum soll es ihnen gleichtun. Löcher sollen her, dreckige Hände und neu geformte Erde. Ein guter Auftakt für die neue Ära im Kunstpavillon, der seit den Neunzigerjahren für innovative und experimentelle Kunstprojekte genutzt wird: Neu ist hier regelmässig der Pavillon Tribschenhorn unter der Bezeichnung PTTH:// (Pavillon Tribschenhorn Temporary Host) zu Gast. (dif)

In einer Mischung zwischen Konzert, Performance und Schauspiel schauen der Theatermann Andreas Liebmann und seine Truppe, was passiert, wenn das Lied der nationalen Selbstüberschätzung angestimmt wird. Oder wie es klingt, wenn gestimmt wird: «UMP – Unsere musikalischen Prinzipien» vertont die Stimmungslage der Gesellschaft in unseren Breitengraden, schafft einen Echoraum zur Auseinandersetzung mit Nationalismus und identitärem Wahn. Zwei Performerinnen, ein Soundkünstler und drei musizierende Gäste sind: eine Konzerthalle. Eine kulturelle Identität. Und dann werden hier richtige und falsche Töne gespielt, es entstehen Dissonanzen, und sie werden wieder vernichtet. Die Katzenmusik des Fremden, die Psalmen der Demokratie und das Heimatgefühl im Gedudel einer Waschmittelwerbung werden aufgerufen und verklingen. Die Klangkünstler besingen ihr Bedürfnis nach Abgrenzung, sie zersingen sich ihre Orientierung im Zusammenspiel, sie schmettern andere nieder und versuchen ihrer inneren Stimme zu lauschen. Und sie hören hin. Auf die Klänge der Hochkultur, die in Bahnhöfen das Gesindel wegmusizieren will. Auf die Ohrwürmer, die jene verbinden wollen, die gar nicht zusammen sein wollen. Und darauf, dass wir uns immer weniger den schiefen Tönen entziehen können, je pathetischer die Musik klingt. Unsere musikalischen Prinzipien haben manch Ausgrenzendes oder Vereinnahmendes. Andreas Liebmann nutzt in seinen Arbeiten den Theaterraum als Spiegel politischer Auseinandersetzungen. (dif)

Ach, Schach.

Zürich Schachmatt

«JocJonJosch – ‹d g d g d g›», bis Sa, 4. März;

18. und 19. Februar, Do bis Sa, 23. bis 25. Februar

Schach ist ein abgründiges Spiel, lernen wir in der «Schachnovelle» – Stefan Zweigs berühmtestem Werk. Wir sind auf einem Passagierschiff auf dem Weg von New York nach Buenos Aires, ein Schachweltmeister fährt mit, ein Ölmillionär und Dr. B., der nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1938 in Österreich in Isolationshaft der Nazis kam, weil man sich von ihm als Vermögensverwalter des Klerus und des Adels Informationen erhoffte. Um nicht dem Wahnsinn zu verfallen, stahl sich Dr. B. ein Buch aus der Jackentasche eines seiner Peiniger: zwar nur eine Sammlung von Schachpartien, die Dr. B. aber mangels unterhaltenderer Lektüre nachspielte und auswendig lernte. Mit den Schachpartien gegen sich selbst in der zermürbenden Situation spaltete sich allerdings seine Persönlichkeit in ein «Ich Weiss» und ein «Ich Schwarz». Auf dem Schiff brechen die inneren Dämonen von damals nun wieder hervor, als er gegen das mitreisende Schachgenie spielt. Stefan Zweig bereitete ein Foltertrauma zu einer Erzählung auf, der Schauspieler Volker Ranisch bringt es als szenische Lesung auf die Bühne. (dif)

Talk – kollektive Kunstpraxis heute, Sa, 25. Februar,

und Do bis Sa, 2. bis 4. März, jeweils 20 Uhr, ausser

«Schachnovelle», Do und Fr, 23. und 24. Februar,

16 Uhr, mit Stefan Wagner (freischaffender Kunst-

sonntags 19 Uhr, Theater Winkelwiese Zürich,

20 Uhr, Sa und So, 25. und 26. Februar, 17 Uhr, sogar

historiker, Zürich), Michael Sutter (Leiter Kunsthalle

Winkelwiese 4, weitere Vorstellungen im November

theater, Josefstrasse 106, Zürich. www.sogar.ch

Luzern) und Hannah Horst (Kuratorin und Kunst-

im Schlachthaus Theater Bern. www.winkelwiese.ch

Wir verlosen 2 × 2 Tickets für die Vorstellung am Sa,

«Unsere musikalischen Prinzipien – UMP»: Sa und So,

vermittlerin, Zürich) und JocJonJosch; Finissage

25. Februar, 17 Uhr. Mail oder Postkarte bis

Sa, 4. März, mit Performance von JocJonJosch,

zum 21. Februar mit Betreff «Schachnovelle» an

13 bis 15.30 Uhr, Konzert der englischen Musikerin

redaktion@strassenmagazin.ch oder Strassen-

und Komponistin Cevanne, 16 Uhr, Kunstpavillon,

magazin Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel.

Sälistrasse 24, Luzern. http://ptth.pt

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BILD: ALFREDO SALAZAR-CARO

BILD: TJEFA WEGENER/WOMM

Die Alki-Szene auf dem Claraplatz war auch bei uns schon Titelthema.

Je virtueller die Realität, desto seltsamer die Mitmenschen.

Basel Gestört?

Basel 360 Grad Eintauchen

«Erlaubt ist, was nicht stört»: Der Slogan, unter dem der öffentliche Raum in der Stadt Zürich seit Jahren von unerwünschten Elementen befreit wird, ist herrlich inkonsistent. Denn auch was stört, kann durchaus erlaubt sein: Steuergeschenke zum Beispiel. Oder steigende Mieten. Man merke: «Erlaubt» stellt eine einigermassen definierte Grösse dar – ob etwas stört, liegt hingegen weitgehend im Auge der Betrachterin. Jenes einer Basler CVP-Grossrätin hat die Alki-Szene am Claraplatz im Kleinbasel als Problem ausgemacht. Was unter anderem daran liegen könnte, dass die Dame an besagtem Standort eine Apotheke besitzt. Sie und weitere Stadtparlamentarier fordern nun die Einrichtung eines «Alki-Stüblis» – wer an den Rand der Gesellschaft gehört, der soll sich also bitteschön nicht mitten in der Stadt besaufen. Gegen diese Reduktion von Mitmenschen auf das Obdachlos-Sein und das Trinken hat das Forum Kritische Soziale Arbeit eine Aktion «für ein vielfältiges Basel» auf die Beine gestellt. Wer sich «nicht gestört fühlt durch die vielseitige Nutzung von öffentlichem Raum», der ist eingeladen, das auch öffentlich zu zeigen. Mit Plakaten, Flyern, einer Rede im Speaker’s-Corner – oder einfach mit seiner Anwesenheit. (ami)

Schon immer versuchten Menschen, in andere Welten einzutauchen, sei es in Freskenräume der Renaissance, in Schlachten oder biblische Geschichten, in Panoramabilder oder in iMax-Kino-Unterwasserwelten. Heute heisst dieses Eintauchen Immersion, die Illusion des Hier-undJetzt-Da-und-Dort-Seins soll möglichst vollständig sein, und der technischen Möglichkeiten werden immer mehr. Bleibt die Zuschauerin vor einer Leinwand doch immer noch passive Beobachterin, nimmt sie in der virtuellen Realität ihre Umgebung mittels Head-Mounted-Display und Controller wahr, mittels HTC Vive, Oculus Rift oder Google Cardboard – zugegeben: Wir wissen auch nicht so genau, was das alles ist, es ist auch technisch betrachtet ein grosses Feld, in das wir hier eintauchen können. Im Haus der elektronischen Künste HeK vermitteln internationale Künstler das ästhetische Potenzial der virtuellen Realität und hinterfragen sie als kritisches Medium zur Reflexion der heutigen Lebenswelten und Seinszustände. (dif) «Die ungerahmte Welt. Virtuelle Realität als Medium für das 21. Jahrhundert», bis So, 5. März, Haus der elektronischen Künste Basel HeK, Freilager-Platz 9, 4142 Münchenstein/Basel.

«Claraplatz-Aktion – Für eine vielseitige Nutzung des Claraplatzes», Sa, 25. Februar, 14 Uhr, Anmeldung unter: basel@kriso.ch

Anzeigen:

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Verkäuferporträt «Ausgerechnet mein Schulitalienisch» Hassan Ali Nur (31) verkauft Surprise in Gelterkinden BL. Er war einer der ersten somalischen Flüchtlinge in der Schweiz und träumt noch heute davon, nach Hause zurückkehren zu können.

«Ich wurde 1986 in Mogadischu geboren. Seit ich denken kann, ist meine Heimatstadt umkämpftes Gebiet. Trotzdem hatte ich eine verhältnismässig ruhige Kindheit. Nach den schrecklichen Ereignissen der Operation Irene 1993 (auch: Schlacht von Mogadischu, Kämpfe zwischen UN-Soldaten unter Leitung der USA und somalischen Milizionären im somalischen Bürgerkrieg, Anm. d. Red.) hatte sich die Lage für Zivilisten mehrheitlich beruhigt. Ich ging normal zur Schule und begann am Flughafen in einem Reisebüro zu arbeiten. Verschiedene Rebellengruppen kämpften damals um die Hauptstadt, aber die Leute gingen zur Arbeit, es gab ein wenig Geld und zu essen. Der Mensch gewöhnt sich an alles, sogar an das Geratter von Maschinengewehren am Morgen auf dem Weg zur Arbeit. Als ich 20 Jahre alt war, begann der richtige Krieg, und die Situation verschlechterte sich in kürzester Zeit drastisch. Gemeinsam mit meiner Familie traf ich die Entscheidung, das Land zu verlassen, und machte mich auf zu den Orten, die ich bisher nur als Bilder aus den Reisekatalogen bei mir im Büro kannte. Ich hatte Glück: Dank meines Berufes konnte ich einen Flug für mich und meine Freunde von Äthiopien nach Frankfurt buchen. Wir fuhren nachts mit dem Auto über die äthiopische Grenze und landeten später in Frankfurt. Ich wollte weiter in die Schweiz, wo eine Bekannte meiner Familie lebte, der einzige Mensch, zu dem ich auf diesem Kontinent eine Verbindung hatte. Als ich in der Schweiz ankam, war nichts mehr wie im Reisekatalog. Weil wir Somalia schon sehr früh verlassen hatten und ich dazu noch die schnellstmögliche Reiseroute erwischt hatte, war ich einer der allerersten Somalier hier. Die Infrastruktur war noch nicht auf uns ausgerichtet. In den Asylzentren sprach niemand Somali, es gab kaum Übersetzer, und mein erstes Zimmer im Auffangzentrum teilte ich mit fünf Leuten aus fünf verschiedenen Ländern. Die Freundin, zu der ich wollte, war weg. Ich war einsam, und es gab Tage, an denen ich kein einziges Wort sprach. Die wenigen Somalier, die ich traf, konnten mir nicht helfen, weil sie selber in der gleichen Situation waren. Ich versuchte Deutsch zu lernen, aber es ging nur langsam voran. In den Integrationsprogrammen versuchte ich mich hervorzutun. Ich arbeitete hart, gab alles. Aber ich scheiterte an der Sprache. Das magische Dreieck aus Job, Wohnung und Freunden war in weite Ferne gerückt. Erst nach drei Jahren im Asylzentrum Kaiseraugst und schlecht bezahlten Temporärjobs hatte ich endlich Glück: Bei der Arbeit lernte ich einen Italiener kennen, mit dem ich mich gut verstand. Somalia war früher eine italienische Kolonie gewesen, und in der Schule lernen wir Kinder alle Italienisch. Fortan suchten der Italiener und ich zusammen eine Wohnung. Er sprach perfekt Deutsch, also überliess ich ihm das Reden und den Papierkrieg. Ich war so glücklich, als wir eine Wohnung fanden, endlich ein eigenes Zimmer. Ironisch, dass ausgerechnet mein Schulitalienisch der Schlüssel zum Erfolg war, während mir Deutsch als unüberwindbare Hürde erschien. Mein Freund und ich, wir wohnen immer noch zusammen, sechs Jahre sind es diesen Winter. Ich begann bei

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BILD: MARKUS CHRISTEN

AUFGEZEICHNET VON FELIX MÜLLER

Surprise zu arbeiten und hatte zeitweise drei Jobs gleichzeitig. Auf einmal hatte ich Arbeit, eine Wohnung und ein soziales Umfeld. Trotzdem reichte das Geld nicht. Weil es in Somalia immer schlimmer wurde und meine Eltern beide zu alt zum Arbeiten waren, wurden die Geldbeträge, die ich monatlich heimschickte, immer grösser. Schon seit Längerem weiss ich, dass es so nicht weitergehen kann, weil ich immer weniger für mich selbst habe. Ich muss zurück, aber im Moment kann ich mir das nicht leisten. Somalia ist eigentlich ein reiches Land. Wir haben fruchtbare Böden, Rohstoffe und vor allem viel Öl. Was wir brauchen, ist eine stabile Regierung. Ich setze grosse Hoffnungen in die bevorstehenden Wahlen. Wenn sie sauber ablaufen, hat unser Land eine Zukunft, zu der auch ich einen Beitrag leisten kann. Vielleicht in Form eines eigenen Reisebüros. Mit Katalogen voller Bilder aus der Schweiz.» ■ SURPRISE 394/17


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Elsa Fasil Bern

Kostana Barbul St. Gallen

Ralf Rohr Zürich

Marlis Dietiker Olten

Negasi Garahassie Winterthur

Josiane Graner Basel

Tatjana Georgievska Basel

Emsuda Loffredo-Cular Basel

Anja Uehlinger Baden

Andreas Hossmann Basel

Haimanot Ghebremichael Bern

Roland Weidl Basel

Daniel Stutz Zürich

Markus Thaler Zürich

Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken

1/2 Jahr: 3000 Franken

1/4 Jahr: 1500 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

1 Monat: 500 Franken

394/17 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 394/17

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Surprise – mehr als ein Magazin

Ich möchte Surprise abonnieren! 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–

Geschenkabonnement für: Vorname, Name

Strasse

PLZ, Ort

Rechnungsadresse: Vorname, Name

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E-Mail

Datum, Unterschrift 394/17

Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

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Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der Deutschschweiz um den Titel des Schweizermeisters. Einige Spieler nehmen am Homeless World Cup teil. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss erschwert ist. Café Surprise schenkt Menschen mit wenig Geld einen Kaffee in einer Bar oder einem Café. So können sie am sozialen Leben teilnehmen. Für Gäste ist es eine charmante Gelegenheit, sich sozial zu engagieren: Sie bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren.

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht. Gemeinsam wollen sie Vorurteile abbauen.

Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Impressum Herausgeber Verein Surprise, Spalentorweg 20, 4051 Basel www.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9 – 12 Uhr, Mo – Fr T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 Nicole Mathys, Thomas Oehler, info@vereinsurprise.ch Geschäftsleitung Paola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (Mitglied der Geschäftsleitung), Jannice Vierkötter (Mitglied der Geschäftsleitung) Anzeigenverkauf T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@vereinsurprise.ch Redaktion T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 Amir Ali (ami), Beat Camenzind (bc), Diana Frei (dif), Simon Jäggi (sim), Thomas Oehler (toe), Sara Winter Sayilir (win, verantwortlich für diese Ausgabe) redaktion@vereinsurprise.ch, leserbriefe@vereinsurprise.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Florian Burkhardt, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Khusraw Mostafanejad, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Monika Bettschen, Andreas Düllick, Felix Huesmann, Martin Kath, Hanspeter Künzler, Felix Müller, Samuel Schläfli Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 21 700, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising, Kommunikation T +41 61 564 90 50 Zaira Esposito, Katrin Pilling marketing@vereinsurprise.ch

Vertrieb Basel T +41 61 564 90 83/85 Thomas Ebinger, Anette Metzner Spalentorweg 20, 4051 Basel, basel@vereinsurprise.ch Regionalstelle Zürich T +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12 Christian Sieber, Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich zuerich@vereinsurprise.ch Regionalstelle Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02 Andrea Blaser, Barbara Kläsi, Alfred Maurer Scheibenstrasse 41, 3014 Bern, bern@vereinsurprise.ch Café Surprise T +41 61 564 90 50 Zaira Esposito (Leitung), z.esposito@vereinsurprise.ch Strassenchor T +41 61 564 90 40 Paloma Selma (Leitung), p.selma@vereinsurprise.ch Strassenfussball T +41 61 564 90 10 Lavinia Besuchet (Leitung), l.besuchet@vereinsurprise.ch, David Möller (Sportcoach), d.moeller@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Basel T +41 61 564 90 40 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Paloma Selma (Koordination), rundgang@vereinsurprise.ch Sozialer Stadtrundgang Zürich T +41 44 242 72 14 Sybille Roter (Leitung), s.roter@vereinsurprise.ch, Carmen Berchtold (Koordination), rundgangzh@vereinsurprise.ch Vereinspräsident Beat Jans

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Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt: PC 12-551455-3, IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 SURPRISE 394/17


Buch: Standort Strasse Bewegende Lebensgeschichten

Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand 152 Seiten CHF 40.– inkl. Versand- und Verpackungskosten ISBN 978-3-85616-679-3

Die belebten Plätze und Strassen der Deutschschweizer Innenstädte sind bekannt. Die Lebensgeschichten der Surprise-Verkaufenden, die hier arbeiten, jedoch nicht. Das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» rückt diese Personen ins Scheinwerferlicht und zeigt eindrücklich, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. Das Buch porträtiert zwanzig stolze Menschen, die trotz sozialer Not alternative Lebensentwürfe abseits staatlicher Hilfe gefunden haben. Die Angebote des Vereins Surprise haben ihnen dabei geholfen. Gastbeiträge sowie eine Fotoserie von Surprise-Standorten runden das Buch ab. Erfahren Sie mehr über die Lebensgeschichten unserer Verkaufenden und kaufen Sie jetzt das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand». Ein Teil des Geldes kommt direkt den Surprise-Verkaufenden zugute. Bestellen bei Verkaufenden oder unter: www.vereinsurprise.ch/shop/


Gesucht: Der Fan-Schal für die Nati 2017! Die Strassenfussball Nati nimmt vom 29.8. bis 5.9. am Homeless World Cup in Oslo teil – mit Ihrem Schal im Gepäck? Wie in den Jahren zuvor überreichen unsere Spieler auch in diesem Jahr ihren Gegnern zum Handshake original handgemachte Fanschals. Machen Sie mit! Der Schal sollte ca. 16 cm breit und 140 cm lang sein, am liebsten mit Fransen und – Sie hätten es erraten – in Rot und Weiss gehalten. Gestrickt, gehäkelt, genäht: alles geht! Die Spieler unserer Nati werden den schönsten Schal küren – der Gewinnerin oder dem Gewinner winkt ein attraktiver Surprise-Überraschungspreis!

Schicken Sie den Schal bis spätestens Freitag, 11. August 2017 an: Surprise Strassenfussball, Spalentorweg 20, 4051 Basel.


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