Surprise 399

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Nr. 399 | 5. bis 18. Mai 2017 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

Die verborgene Krise In Europa steigt die Zahl der Obdachlosen dramatisch


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Helfen tut gut. Zeit, zuzuhören. Zeit, abzuwarten. Zeit für Rückschläge. Zeit, zu helfen. All das gibt es in der Sozialberatung und -begleitung, die Surprise an seinen drei Standorten in Basel, Bern und Zürich anbietet. Die Verkaufenden des Strassenmagazins sowie die Stadtführer, die Strassenfussballer und die Chorsängerinnen erhalten hier nicht nur ihre Hefte, gratis Kaffee oder Internetzugang, sondern wenden sich mit ihren Sorgen und Fragen an die Surprise-Mitarbeitenden.

Ob bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, bei Schulden, beim Umgang mit Behörden und administrativer Korrespondenz, bei familiären Krisen oder Suchtproblemen – für rund 400 armutsbetroffene Menschen ist diese umfassende und niederschwellige Begleitung eine unentbehrliche Stütze im Alltag. Surprise hilft individuell und niederschwellig. Spenden Sie heute. Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 surprise.ngo/spenden


Titelbild: Keystone

Editorial Die Gretchenfrage BILD: TOBIAS SUTTER

«Ihr schreibt ja nur noch über Ausländer», kritisierte kürzlich ein Berufskollege unser Magazin. Stimmt nicht, dachte ich. Trotzdem ist es vielleicht Zeit für ein paar Gedanken dazu. Wir Strassenmagazinerinnen unterscheiden nicht zwischen weissen, braunen oder schwarzen Geschichten. Für uns gibt es belanglose Themen und relevante. Interessante Geschichten und langweilige. Im Rahmen dieser Matrix lassen wir unsere journalistischen Reflexe spielen. Gut möglich, dass Migration, ihre Ursachen und ihre Auswirkungen heute mehr Platz in unserem Heft einnehmen. Es ist viel passiert, im Nahen Osten und in Afrika, auf dem Mittelmeer und auf dem Balkan. In Paris, in Brüssel, in AMIR ALI Berlin. Und auch bei uns. Wie wir mit all dem umgehen, ist die Gretchenfra- REDAKTOR ge unserer Zeit. Zudem, und für uns noch wichtiger: Migranten sind neben alleinerziehenden Müttern und Pensionierten am stärksten armutsgefährdet. Was viel mit Bildung zu tun hat und mit Sprache, aber auch einiges mit Paragrafen im Gesetz und Vorurteilen in den Köpfen. Mit Ausgrenzung also, selbstverschuldeter und struktureller Art. Anders gesagt: Der Schweizer Büezer, der nach einem Unfall arbeitsunfähig ist und IV bezieht, mag mit dem Millionärserben aus dem gleichen Dorf die Schulzeit, die Muttersprache und den Heimatort gemeinsam haben. Politisch und sozial aber sitzt er im gleichen Boot mit albanischen Arbeitsmigranten und geflüchteten Eritreern. Das ist die Realität, ob es uns passt oder nicht. Sie ist komplex geworden, und damit auch unsere Identitäten. Weder Schwarz, noch Weiss und nicht einmal Grau helfen weiter. Ich wünsche Ihnen farbenfrohe Tage und eine interessante Lektüre, Amir Ali

BILD: REUTERS

BILD: FLURIN BERTSCHINGER

Inhalt 04 Aufgelesen App für die Gasse 04 Vor Gericht Steuerabzug für Sanftmut 05 Basteln für eine bessere Welt Ort der Begegnung 06 #WirAlleSindSurprise Mittendrin 07 All Inclusive Unser Sonnenschein 08 Porträt Loslassen, immer wieder 18 Musikszene Auf dem Papier gibt es keinen Rassismus 22 Wörter von Pörtner Gespenster (2) 23 Musik Forever Blondie 24 Theater Imperativ der Dauerpräsenz 25 Piatto forte Doppelt sauer 26 Ausgehtipps Surprise, Surprise 28 Verkäuferinnenporträt «Ich will zeigen, was ich kann» 29 Surplus Eine Chance für alle 30 In eigener Sache Impressum

10 Obdachlosigkeit Die neue Krise SURPRISE 399/17

14 Alter Götter und Gymnastik

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Aufgelesen News aus den 115 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Smarte Kids Hannover. Ja, auch Strassenkinder haben Smartphones. In Deutschland können sie sich damit unter mokli-help.de ein kostenloses App herunterladen, über das sie Lebenswichtiges finden können, wie etwa Unterkünfte, Gassenküchen oder einen Arzt. Über einen eingebauten Whatsapp-Kontakt bekommen die Kids zudem Beratung in akuten Notlagen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe schätzt die Zahl der Strassenkinder in Deutschland derzeit auf rund 30 000 Betroffene.

Ehe statt Schule Kiel. 130 Millionen Mädchen vor allem in Entwicklungsländern haben keine Chance auf Schulbildung. Laut der Hilfsorganisation One sind die Entwicklungsgelder für Bildungsprojekte weltweit von knapp 15 Prozent im Jahr 2002 auf 10 Prozent gesunken. Bekämen Mädchen dieselben Chancen wie Jungen, könnte das den Entwicklungsländern mehr als 100 Milliarden Euro zusätzliche Wirtschaftsleistung verschaffen. Mädchen ohne Schulbildung liefen Gefahr, noch als Kinder verheiratet zu werden.

Vater Staat Linz. Immer noch führen Scham oder Unwissen dazu, dass Armutsbetroffene ihnen zustehende Sozialleistungen nicht beantragen. So auch in Oberösterreich: Nur rund die Hälfte der Berechtigten beziehen die sogenannte Mindestsicherung, welche seit diesem Jahr die Sozialhilfe ersetzt. Für eine alleinstehende Person beträgt der staatlich festgelegte Mindeststandard immerhin rund 900, für Paare knapp 1300 Euro.

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Vor Gericht Steuerabzug für Sanftmut Man hat es in den vergangenen Wochen vernommen: Die Schweiz sei sicherer geworden. Gemäss der Ende März vom Bundesamt für Statistik veröffentlichten polizeilichen Kriminalstatistik sank 2016 die Kriminalität gegenüber dem Vorjahr mit rund 470 000 registrierten Straftaten um 4,1 Prozent auf ein Rekordtief. Für Schlagzeilen sorgte vorab der starke Rückgang der Vermögensdelikte – nur noch 127 Einbrüche pro Tag gegenüber deren 201 im Spitzenjahr 2012. Auffallend ist auch, wie den Jugendlichen die Lust am Delinquieren vergangen zu sein scheint: Nur noch halb so viele wurden verzeigt wie 2009. Und für den Fall, dass Sie beim nächsten Apéro mit statistischem Kuriositätenwissen punkten wollen: Letztes Jahr wurden 801 Automaten geplündert, 13138 Hanfsamen sichergestellt und 35 869 Fahrräder gestohlen. Nach wie vor ist viel von Ausländerkriminalität die Rede. Seit die SVP eine entsprechende Motion durchbrachte, werden ausländische Kriminelle nach Nationalität sortiert. Um es gleich zu sagen: Es stimmt, die Ausländer sind überproportional vertreten. Als Beispiel: Von den 1238 schweren Gewaltdelikten gingen 684 auf das Konto von Ausländern. Es ist genauso fahrlässig, diesen Umstand unter den Teppich zu kehren, wie ihn populistisch auszuschlachten. Aber was das Wissen um zehn illegal eingereiste Mongolen genau bringen soll, bleibt unklar. Ein viel krasseres Ungleichgewicht gibt kaum zu reden: das zwischen Männern und Frauen. Hinsichtlich Geschlechterunterschiede im Kriminalwesen hört man immer wieder, dass die Männer braver und die Frauen gewalttätiger

würden. Ein Hohn, in Anbetracht der Zahlen: Von den erwähnten 1238 schweren Gewalttaten wurden nur 72 von Frauen verübt. Dafür sind sie in über 55 Prozent der Fälle von schwerer Gewalt die Opfer. In der Schweiz verlor 2016 alle 20 Tage eine Frau durch häusliche Gewalt ihr Leben. Von ihnen hört man herzlich wenig. Schön wäre, wenn sich der weibliche Sanftmut wenigstens bezahlt machen würde. In der Versicherungsbranche sind in der Schweiz, anders als in der EU, Bisex-Prämien nach wie vor zulässig: Wer mehr Leistung bezieht, bezahlt auch höhere Prämien. Männer verursachen zum Beispiel mehr Schäden beim Autofahren, beziehen mehr Versicherungsleistung und zahlen deshalb höhere Beiträge. Frauen gehen öfters zum Arzt, deshalb zahlen sie für Zusatzversicherung mehr. «Differenzierte Behandlung» nennt man das in Fachkreisen. Nun könnte doch der Staat den Frauen nach diesem Modell das Wohlverhalten belohnen. Schliesslich beziehen die Männer einen weit höheren Anteil von «Leistungen» in der Strafverfolgung, dem Gerichtswesen und dem Strafvollzug. Und weil Frauen überdies 20 Prozent weniger verdienen, aber für Rasierschaum, Haarschnitt oder Bekleidung bis zu doppelt so viel zahlen wie Männer, wäre ein Ausgleich ohnehin fällig. In Form eines Steuernachlasses etwa, der wäre bei dieser statistischen Ausgangslage durchaus fair, sonst wird ja auch alles Mögliche besteuert – warum also nicht auch die Kriminalität?

Yvonne Kunz ist seit 2008 als akkreditierte Gerichtsberichterstatterin wöchentlich an den Gerichten des Kantons Zürich unterwegs.

Priska Wenger ist Illustratorin in Biel und New York. SURPRISE 399/17


ILLUSTRATION: WOMM

Basteln für eine bessere Welt Ort der Begegnung Jedes Quartier verdient ein Stadtteilcafé, einen Ort, an dem man Freunde und Nachbarn trifft, wo jeder willkommen ist und auch mal ohne das nötige Kleingeld in der Tasche ein warmes Getränk bekommt. Wo ein solcher Ort noch fehlt, können Sie nun Abhilfe schaffen – zumindest für die ganz Kleinen unter uns.

Sie brauchen:

1. Schneiden Sie den Karton auf die Grösse des Mau-

5. Schneiden Sie zweimal das Logo mit der Sonne

2 Café-Surprise-Flyer

erlochs zu, so dass dieser das Loch gut abschliesst.

aus. Kleben Sie den Zahnstocher mittig und parallel

1 Stück Karton

zum abgebildeten Tassenrand an die Rückseite des

1 Zahnstocher

2. Zeichnen Sie eine Tür sowie zwei Fenster ein.

einen Logos, so dass der Zahnstocher noch zu Zwei-

1 Loch in der Mauer auf Trottoirhöhe

Schneiden Sie die Ränder der Tür auf einer Seite und

drittel rechts herausschaut. Kleben Sie das zweite

Frischhaltefolie

oben so ein, dass Sie aufklappbar ist. Malen Sie

Sonnen-Logo von hinten dagegen. Umwickeln Sie den

Alufolie

einen Griff darauf.

herausschauenden Teil des Zahnstochers mit Alufolie.

3. Schneiden Sie die Fenster aus und kleben diese von

6. Verzieren Sie die Fassade mit einem aufgemalten

hinten mit Frischhaltefolie zu.

Baum oder sonstigen Deko-Elementen.

4. Schneiden Sie aus einem Café-Surprise-Flyer den

7. Passen Sie Ihren Ort der Begegnung in Ihr Mauer-

Schriftzug «Café Surprise» aus und kleben Sie diesen

loch. Pinnen Sie am Schluss das Café-Surprise-Logo

über den Eingang.

mit dem Zahnstocher über Türhöhe an die Fassade.

Wasserfarbe, Stifte Schere, Leim

Wer noch mag, formt aus Alufolie einen Hundenapf und stellt diesen vor die Tür.

Café Surprise

Eine Tasse t Solidaritä

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Stadtrundgang

Leserbrief

Ich bin ein grosser Surprise-Fan! So eine tolle Sache und sehr interessante Berichte. N. van Huisseling, Zürich

#WirAlleSindSurprise Wer das Strassenmagazin kauft, tauscht mehr als Geld gegen Ware: Fast immer gibt es ein Lächeln dazu, oft werden ein paar Worte ausgetauscht – und manchmal sogar gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. Viele Leserinnen und Leser berichten uns von ihren Begegnungen mit den Verkaufenden. Und sie schreiben der Redaktion, was sie gut gefunden haben und was weniger. Wir bedanken uns herzlich für diese Rückmeldungen – und teilen hier einige davon mit Ihnen.

Stadtrundgang Wir haben im März mit Heiko Schmitz den Stadtrundgang 1 gemacht. Das war ein grosses Erlebnis für uns, vor allem die Geschichten, die er uns aus seinem Leben und dem Leben seiner Kollegen erzählte. Er war auch rhetorisch sehr stark. Am besten war seine Aussage, er sei nicht «randständig», sondern «mittendrin». Vielen Dank nochmals für die Erklärungen und Botschaften; das war nun wirklich mal eine Führung der anderen Art.

Elvis Hellinger ist ein super Stadtführer. Wir hatten viele AhaErlebnisse. Er hat es geschafft, uns in zwei Stunden einen sehr guten Einblick in die Verhältnisse der Armutsbetroffenen in Basel zu ermöglichen. U. Trüb, Diakon Reformierte Kirche, Schlieren

Leserbrief Ausgabe 397 Statt ins Kafi zu gehen, habe ich heute darauf verzichtet und dafür ein Surprise bei meiner Lieblings-Strassenverkäuferin Jovanka Rogger Radu gekauft. Nun sitze ich auf einem Bänkli und mache eben so Pause. Das Geld hätte ich ja sowieso ausgegeben. So habe ich ihr einen Gefallen gemacht und mir selber eigentlich auch. Ein Beitrag im Heft hat mich diesmal sehr bewegt: «Brief an ein geborenes Kind». R. Angelone, über Facebook

A. Kübler, Thalwil

Leserbrief Ausgabe 396, «Grenzerfahrungen»

Ich schaue mir eure Zeitung regelmässig an, und die Märzausgabe hat mich sehr beeindruckt. Ich schicke euch mein dickes Lob zu der gelungenen Ausgabe. Und das Titelbild über den gesamten Umschlag finde ich sehr gut. Weiter so. M. Risch, Düsseldorf

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Anlässlich der Tagung der deutschsprachigen Strassenzeitungen Anfang April in Nürnberg beschrieb die Deutsche Presseagentur Surprise als weit entwickeltes «Chancen-Netzwerk» und als «kleinen Sozialkonzern». Was uns fast so sehr freut wie der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland und Österreich, der auch dieses Jahr äusserst inspirierend war.

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3 oder vereinsurprise.ch/spenden-surprise Schreiben auch Sie uns – oder schicken Sie uns Bilder von Ihren Begegnungen mit Surprise! leserbriefe@vereinsurprise.ch oder Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, 4051 Basel SURPRISE 399/17


All Inclusive Unser Sonnenschein In der schweizweiten Publikation eines Grossverteilers war kürzlich zu lesen: «Die Gesellschaft wäre arm ohne Menschen wie Leo.» Dass Eltern sagen, dass sie sich durch ihre Kinder bereichert fühlen, ist nichts Ungewöhnliches. Wenn allerdings Eltern einer nichtbehinderten Teenager-Tochter mit Vorliebe für schwarze Kleidung und Stachelhalsbänder in einem Zeitungsartikel zitiert würden mit: «Menschen wie unsere Laura-Sophie sind eine Bereicherung für die Gesellschaft», würde so manche Leserin, so mancher Leser vermutlich leicht irritiert die Augenbraue heben. Handelt es sich aber um einen Artikel über eine Familie mit einem herzigen dreijährigen Buben mit Trisomie 21, ist die Feststellung, dass «Kinder wie dieses» nicht nur für seine Eltern, sondern für die ganze Gesellschaft eine Bereicherung darstellen, ebenso obligatorisch wie der Satz, dass «Leo der Sonnenschein der Familie sei». Zwar wirken die beiden nichtbehinderten Geschwister auf dem illustrierenden Foto auch nicht gerade wie Gewitterwolken, aber wenn Schreibende über behinderte Kinder berichten, bemühen sie sich häufig, das «besondere Kind» ausnehmend positiv darzustellen. Gerade dadurch entsteht jedoch unterschwellig der Eindruck, dass die Daseinsberechtigung behinderter Kinder davon abhänge, ob sie ihre Behinderung ausreichend wettmachen. Und dass Eltern, die sich bewusst für ein Kind mit TrisoSURPRISE 399/17

mie 21 entschieden haben, sich öffentlich dafür rechtfertigen müssten. Natürlich ist Leo herzig. Alle kleinen Kinder sind herzig. Aber Kinder werden grösser, und dann ändert sich das («Laura-Sophie, du lässt dir auf gar keinen Fall ein Totenkopf-Tattoo stechen!»). Jugendliche mit einer geistigen Behinderung kommen genauso in die Pubertät wie nichtbehinderte Jugendliche. Beziehungen, Berufswahl und der Wunsch nach mehr Selbständigkeit sind dann auch für sie wichtige Themen. Obwohl Menschen mit Trisomie 21 oft auch als Erwachsene noch stereotyp und pauschalisierend als «Sonnenscheine» bezeichnet werden, entwickeln sie wie alle anderen Menschen einen eigenen Charakter, haben individuelle Stärken und Schwächen und sind selbstverständlich auch mal schlecht gelaunt. Da Zeitungen und Zeitschriften vorwiegend über Familien mit einem noch sehr jungen geistig behinderten Kind berichten, kommen diese Aspekte in der Berichterstattung kaum vor. Vielmehr lautet die Botschaft, dass es Kinder wie alle anderen sind («Der Leo schaukelt gern») – nur eben ganz besonders tolle. Je älter die betroffenen Kinder aber werden, desto mehr wird sich die Diskrepanz zeigen zwischen ihren Wünschen (das, was die Nichtbehinderten können) und dem, was aufgrund der Behinderung möglich ist.

Eltern von erwachsenen Kindern mit einer geistigen Behinderung werden dann damit konfrontiert, dass ihre Tochter oder ihr Sohn vielleicht nicht in einer geschützten Werkstatt, sondern lieber «richtig» arbeiten möchte, dass er oder sie mit dem/der PartnerIn in einer Wohnung zusammenleben will oder einen starken Kinderwunsch hat. Mit der Romantisierung von Behinderung kann man diesen Fragestellungen nicht begegnen. Wichtig ist hier eine genaue Auseinandersetzung damit, was möglich ist und welche Unterstützung benötigt wird. Die Unterstützung sollte nicht davon abhängen, ob die betroffenen Menschen mit Behinderung «herzig» sind. Solche anspruchsvollen, zuweilen ethisch herausfordernden Fragestellungen sollten in unserem öffentlichen Diskurs auch für das Mainstreampublikum zumutbar sein. Aber der Leo, der schaukelt echt herzig.

Marie Baumann schreibt unter ivinfo.wordpress.com zu IV und Behindertenpolitik. Sie steht dabei allen Akteuren von links bis rechts gleichmässig auf den Zehen.

Rahel Nicole Eisenring ist freie Illustratorin.

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Porträt Loslassen, immer wieder Thomas Bisig hört zu. Zum Beispiel wildfremden Menschen auf der Strasse. Dafür hat er vor dreieinhalb Jahren seinen Job in der Finanzindustrie aufgeben. VON STEPHANIE ELMER (TEXT) UND MIRIAM KÜNZLI (BILD)

Wie viele Menschen sich in den letzten drei Jahren auf seinen Gartenstuhl gesetzt oder ihn in seinem Zuhörer-Studio besucht haben, weiss er nicht. Jedes Gespräch ist anders. Ja, abgrenzen könne er sich gut, sagt er. Schliesslich biete er eine professionelle Dienstleistung an, dann gehöre das auch dazu. Zuhören als professioneller Service: Vielleicht ist es gerade diese Herangehensweise, die es den Kunden von Thomas Bisig einfach macht. «Ich bin kein Fühlsch-mi-gspührsch-miTyp», sagt er. Tatsächlich assoziiert man mit seinem Auftritt in der sportlichen Bomberjacke eher einen Jungunternehmer mit einem smarten Start-up als einen Guru, dem der Geruch von Räucherstäbchen anhaftet. Dass er mittlerweile auch Kommunikationskurse und Workshops anbietet, passt ins Bild. Es gibt kein Schlüsselerlebnis, das aus dem Physiker einen Zuhörer machte, keine entscheidende, prägende Situation. «Es war eine Entwicklung», sagt Bisig. Mit der Mutter seiner damaligen Freundin diskutierte der überzeugte Wissenschaftler über spirituelle Themen, dabei spürte er seine persönliche Verschlossenheit gegenüber der Welt des

Es gibt da diese Geschichte: Einmal platzierte Thomas Bisig zwei kleine Stühle mitten in die Stadt Zürich und schrieb auf ein Schild daneben: «Möchtest Du etwas erzählen? Ich höre Dir zu.» Kurze Zeit später kam ein Mann, ein Obdachloser, wie Bisig später erfuhr, stellte sein Fahrrad vor die beiden Stühle und sagte: «Zuhören, das bringt doch sowieso nichts.» Dann setzte er sich und begann zu reden, zu erzählen, eine Stunde, vielleicht zwei. Später stieg er wieder aufs Fahrrad und fuhr davon. Nach ein paar Minuten kam er zurück und sagte: «Zuhören – eine hervorragende Idee.» Damals hatte Thomas Bisig gerade sein Zuhörer-Studio gegründet. Seither hat er viele solcher Situationen erlebt. «Die meisten Leute kommen und sagen, dass sie eigentlich gar nichts zu erzählen haben. Und dann sprechen sie eine Stunde.» Und Bisig hört ihnen zu. Meist sagt er nichts dabei, Ratschläge gibt er keine. An diesem Freitag im März ist es noch zu kühl, um sich auf einen Stuhl zu setzen. Nach Sonnenuntergang holt sich die Kälte die Stadt zurück. Ein Spaziergang statt Gartenstuhl beim Zürcher Bellevue. Es ist Feierabend, Men«Die meisten Leute kommen und sagen, dass sie eigentlich gar nichts zu schen drängen in Richtung Tram, Autos ziehen erzählen haben. Und dann sprechen sie eine Stunde.» als nervöser Wurm durch die Strasse. Rund dreieinhalb Jahre ist es her, seit Bisig seinen Bürojob in der Finanzindustrie aufgegeben hat. Den Bürosessel hat er gegen den Gartenstuhl getauscht, den Schutz Metaphysischen. Aber schliesslich, sagt er, habe er eine Vorliebe für Exdes Büros gegen die Ehrlichkeit der Strasse, den sicheren Zahltag gegen perimente, die eben nicht nur im Physiklabor stattfinden, sondern auch die Bezahlung auf Spendenbasis. im eigenen Denken, in sozialen Interaktionen. Bisig begann sich selbst Seinen Beruf, den mochte er, keine Frage, aber das Bedürfnis, etwas zu beobachten, lotete seine eigenen Grenzen aus. Er begann, sich für Eigenes zu machen, das war eben auch da, erzählt er. Dass er auf die Achtsamkeit zu interessieren und versuchte sich in Meditation – und Idee gekommen ist, das Zuhörer-Studio zu gründen, freut ihn noch heumerkte, dass ihn diese Welt genauso faszinierte wie die Formeln und Lote. «Das ist doch genial», lacht er. Mit einem Kontostand von null begann garithmen. Seither versucht er, jeden Tag achtsam zu sein. «Ich will er seine Arbeit: «Möchtest Du etwas erzählen? Ich höre Dir zu.» nicht in ein Kloster, um zwei Wochen lang achtsam zu sein und danach Dass er mit der Entscheidung, seine Karriere aufzugeben, auch viele vor der Klostertüre wieder vom Alltag überfahren zu werden», sagt er. Leute irritierte, ist ihm bewusst. Gerade bei den Ex-Kommilitonen, mit «Achtsamkeit steckt für mich in jeder noch so kleinen Situation. Jetzt. denen er an der ETH Physik studiert hatte, löste seine Entscheidung vor Hier. Im Grüssen des Verkehrspolizisten etwa, der mich über die Strasallem Kopfschütteln aus. Das stört Bisig nicht. «Was ist schon eine Karse lässt.» riere?», schmunzelt er. Und er zitiert seinen Lieblingsspruch: «Don't Und doch gibt es eine Situation, die Thomas Bisig geprägt hat. In eiworry, everything is out of control.» Keine Sorge, alles ist ausser Konnem Achtsamkeits-Seminar sagte ein 85-jähriger Teilnehmer, er wolle trolle. Bisig lacht. «Wir glauben, alles unter Kontrolle zu haben. Dabei nun, in seinem Alter, noch seinen Rucksack leeren. «Und ich dachte haben wir keine Ahnung, was morgen sein wird.» mir, weshalb sollte man warten, bis man alt ist?» Thomas, damals AnDer Spaziergang durch das feierabendliche Zürich wird an einem fang dreissig, kündigte seine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung, verFussgängerstreifen von einem roten Lichtsignal unterbrochen. «Du entschenkte das meiste von seinem Besitz und zog in eine WG. «Seither scheidest, wohin es geht», sagt Bisig in einer Art und Weise, die verrät, begleitet mich das Loslassen. Ich übe mich täglich darin. Im Materieldass er diesen Satz oft sagt. «Ich überlasse den Leuten, denen ich zulen wie auch im Immateriellen. Ersteres ist einfach. Letzteres manchhöre, die Entscheidung, was sie mir erzählen möchten und wohin das mal schwer. Vor allem, wenn es um eigene Gedanken geht, um VorstelGespräch führen soll.» Fast wird man etwas skeptisch. Ist das nun «délungen oder Gefühle.» Genug Platz, um sich im Loslassen zu üben, formation professionelle» oder hat er auch die Interviewsituation umgebietet auch sein Zuhörer-Studio: «Während des Zuhörens beobachte ich dreht? Schon scheint er mehr zuzuhören als zu sprechen. Ist das so, weil mich immer selbst. Was für Gefühle drängen sich in den Vordergrund? er der Zuhörer ist? Er lacht laut. «Vielleicht. Aber ich gebe auch gerne Diese versuche ich dann sanft wieder loszulassen. Immer wieder. Nur einen offenen Rahmen.» Die Ampel wechselt auf Grün und die Zweifel so kann ich völlig wertfrei zuhören und dem Gegenüber meine Präsenz verflüchtigen sich im Dialog. schenken.» ■ SURPRISE 399/17

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Daten aus ganz Europa zeichnen ein düsteres Bild: In fast allen Ländern verschlechtert sich die Lage auf den Wohnungsmärkten, fast überall steigt die Zahl der Menschen ohne Dach über dem Kopf. Die einzige Ausnahme zeigt, wie wichtig eine langfristige Strategie ist.

Obdachlosigkeit Europas nächste Krise

VON LAURA KELLY

der EU geben 42,5 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Wohnkosten aus. Kürzlich hat das EU-Parlament die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, das Recht auf angemessenes Wohnen zu gewährleisten.

Der Europäische Verband nationaler Organisationen der Wohnungslosenhilfe FEANTSA schlägt Alarm. Laut dem neuesten FEANTSA-BeBrüssel hat keine Macht richt steigt die Zahl der Obdachlosen in fast allen EU-Ländern. «RelatiAuch wenn das Thema auf dem Tisch ist, bleibt fraglich, was konkret ve Armut geht in Europa zwar zurück», sagt FEANTSA-Direktor Freek in Brüssel gegen prekäre Lebensverhältnisse auf den Strassen von Spinnewijn im Gespräch mit INSP, dem Internationalen Netzwerk der Berlin, Paris oder Rom getan werden kann. Raquel Cortes Herrera ist Strassenzeitungen. «Hingegen nimmt extreme Armut zu, insbesondere stellvertretende Referatsleiterin der Generaldirektion Beschäftigung, Sodie Obdachlosigkeit. Und zwar sehr schnell.» ziales und Integration der EU-Kommission. Die Kommission unter PräDer Bericht, den FEANTSA im März zusammen mit der französischen sident Jean-Claude Juncker habe nicht die Macht, direkt Massnahmen Hilfsorganisation Fondation Abbé Pierre herausgegeben hat, trägt Zahlen zu treffen, um die Zahl der Obdachlosen zu reduzieren, sagt sie. Sie verund Fakten aus einer Vielzahl von Studien aus ganz Europa zusammen spricht jedoch, dass die Kommission ihren Einfluss geltend machen und und zeichnet ein besorgniserregendes Bild von der Ausgrenzung auf dem die Mitgliedstaaten zum Handeln drängen werde. Man sei sich bewusst, Wohnungsmarkt. dass es sich um ein europäisches Problem handle. Dieses anzugehen lieEinige Beispiele: In Deutschland ist die Zahl der Obdachlosen in den ge zwar in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten. «Aber die letzten zwei Jahren um 35 Prozent gestiegen. In Österreich waren 2014 28 Prozent mehr Menschen obdachlos gemeldet als sechs Jahre zuvor. Die britische Haupt«Finnland ist sehr erfolgreich in der Bekämpfung von Langzeitstadt London verzeichnete von 2015 auf 2016 einen Anstieg der Obdachlosen von 7 Prozent, obdachlosigkeit, weil es sich für den «Housing First»-Ansatz in Spanien stieg die Zahl in den letzten sieben entschieden hat. Jahren um 5 Prozent, in Italien in den letzten sechs Jahren um 6 Prozent. In Dänemark erKommission will den Mitgliedstaaten ein klares Zeichen setzen», sagt gab eine Volkszählung einen Anstieg der allgemeinen Obdachlosigkeit Cortes Herrera. Brüssel werde «nicht tatenlos bleiben». Die Botschaft: von 23 Prozent zwischen 2009 und 2015 sowie die fast unglaublich ho«Wir werden euch beobachten und sehen was ihr unternehmt, um diehe Zunahme der Zahl obdachloser Jugendlicher um 85 Prozent. ses Problem zu lösen.» «Wir wollen, dass die Europäische Union sich für die Rechte von ObDer FEANSTSA-Bericht bildet den Auftakt zur Kampagne «Be Fair, dachlosen starkmacht», erklärt FEANTSA-Direktor Spinnewijn. ObdachEurope – Stand Up for Homeless People». Eines der Hauptziele ist, die losigkeit werde nicht als Verletzung der Grundrechte wahrgenommen. EU dazu zu bringen, belastbare statistische Daten zu Obdachlosigkeit Das müsse sich ändern, und Institutionen wie die Agentur der Europäizu erheben. Im Moment beurteilt jede europäische Regierung Obdachschen Union für Grundrechte hätten die Möglichkeit dazu. losigkeit anders. Obwohl der FEANTSA-Bericht die jeweils besten verDie irische EU-Parlamentarierin Marian Harkin, Mitglied des Ausfügbaren Daten zur Lage in den einzelnen Ländern aufnimmt, machen schusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, teilt die Sorge: die Unterschiede in der Datenerfassung einen Vergleich fast unmöglich. «In den letzten 15 Jahren sind die Hauspreise schneller gestiegen als die Eurostat, das Statistische Amt der EU, erhebt selbst keine Daten über Einkommen. Die Haushalte sind überlastet.» Die ärmeren Haushalte in

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BILD: KEYSTONE

Europa im Jahr 2013: Ein Mann schläft in Hamburg auf der Strasse. SURPRISE 399/17

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+30 % England: 3569 Menschen, die auf der Strasse schliefen Erhoben während einer Nacht im Herbst 2015; +30% seit 2014 London: 8096 Menschen, die auf der Strasse schliefen Gezählt 2015/16; +7% seit 2014/15

+33 % Irland: 1173 wohnungslose Familien, davon 1014 in Dublin Erhoben während einer Woche im September 2016; +33% seit 2015

+34 % Belgien: 2603 Wohnungs- und Obdachlose Erhoben während einer Nacht 2014; +34% zwischen 2010 und 2014

+28 % Österreich: +28% registrierte Obdachlose zwischen 2008 und 2014

+50 % Frankreich: 141 500 Wohnungslose Erhoben während einer Nacht 2012, exkl. Dunkelziffer; +50% seit 2011

+5% Spanien: 22 939 Wohnungs- und Obdachlose Erhebung des Nationalen Statistik-Instituts, Februar/März 2012; +5% zwischen 2005 und 2012

Obdachlosigkeit. «Das ist ein Skandal», sagt FEANTSA-Direktor Spinnewijn, «denn wenn sie nicht gezählt werden, existieren sie in der EU-Politik nicht.» Investieren hilft Während der FEANTSA-Bericht allgemein ernüchternd ist, fällt ein Land aus der Reihe: Finnland reduzierte die Zahl der obdachlosen Alleinstehenden in den drei Jahren von 2013 bis 2016 um 10 Prozent. «Die Finnen haben enorm viel in den sozialen Wohnungsbau und in die Subventionierung der Betroffenen investiert», sagt Ruth Owen, politische Koordinatorin bei FEANTSA. «Finnland ist sehr erfolgreich in der Bekämpfung von Langzeitobdachlosigkeit, weil es sich für den «Housing First»-Ansatz entschieden hat.» Das heisst: Menschen werden zunächst so schnell wie möglich in Wohnungen untergebracht, und danach werden sie beim Lösen ihrer weiteren Pobleme unterstützt.

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Janne Hukka, Redaktor beim finnischen Strassenmagazin Iso Numero, bestätigt diese Einschätzung. Auch er sieht klare Fortschritte, die zunehmende Einwanderung werde jedoch zur Herausforderung. «Bis vor Kurzem wurde das Problem der Obdachlosigkeit hauptsächlich im Rahmen des traditionellen Sozialstaats gelöst», sagt Hukka. Das sei besonders in Finnland sozial und ethnisch sehr homogen verlaufen. Die Personenfreizügigkeit und die Zuwanderung von Geflüchteten veränderten die Situation aber. «Die aktuelle Mitte-Rechts-Regierung verfolgt eine strikte Einwanderungspolitik, und man muss abwarten, wie sich das auf die Situation der Obdachlosen auswirkt. NGOs und Menschenrechtsexperten hier in Finnland sind sich einig, dass diese Politik einen rasanten Anstieg der Zahl von undokumentierten Migranten zur Folge haben und damit eine neue Art der Obdachlosigkeit entstehen lassen wird.» Das Strassenmagazin Iso Numero ist selbst ein Beispiel für diese Realität: Die meisten Verkaufenden sind nicht finnisch und fallen wegen SURPRISE 399/17


+55 % Schweden: +55% Menschen, die bei Familie und Freunden unterkommen mussten Erhoben zwischen 2005 und 2011; 34 000 Wohnungs- und Obdachlose (erhoben während einer Woche 2012); +29% Menschen in Notunterkünften zwischen 2011 und 2015

+84 % Dänemark: 633 obdachlose junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren Erhoben während einer Woche 2015, +84% zwischen 2009 und 2015

+27 % Litauen: 2487 Menschen in Notunterkünften, davon 2340 in Einrichtungen für Mütter und Kinder Erhoben während einer Nacht 2015; +27% Wohnungslose zwischen 2007 und 2015

+24 % Niederlande: 31 000 Wohnungs- und Obdachlose Erhoben während einer Nacht 2016, Schätzung des Statistischen Amtes; +24% seit 2013; +50% junge Obdachlose (18–30 Jahre) zwischen 2015 und 2016

+23 % Polen: +23% wohnungslose Kinder zwischen 2013 und 2015

+35 % Deutschland: 335 000 Wohnungslose 2014; +35% seit 2012

+6 % Italien: 50 724 wohnungslose Menschen Erhoben während eines Monats 2014; +6% seit 2011

ihres Aufenthaltsstatus durch das Netz des Sozialstaates. Hukka fügt an: «Die Lage in Sachen Obdachlosigkeit hier in Finnland hängt hauptsächlich davon ab, ob sich die Politik dem neuen Status quo anpassen und Wohnungen auch für Menschen zugänglich machen wird, die nicht in den engen Rahmen der Staatsangehörigkeit fallen.» ■ Aus dem Englischen von Birgit Puttock www.bptranslationservices.com Trommons.org

Mit freundlicher Genehmigung von INSP.ngo

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«Verborgene Wohnungslosigkeit» in der Schweiz Die Schweiz wird in dem Bericht nicht beleuchtet. Zwar werden Menschen ohne feste Wohnadresse in keiner Statistik systematisch erfasst. Einen Hinweis gibt die Zahl der Menschen, die in Basel die Postadresse des Vereins für Gassenarbeit Schwarzer Peter als Meldeadresse in Anspruch nehmen: Sie hat sich zwischen 2010 und 2015 mehr als verdreifacht. Grundsätzlich ist das Phänomen der «verborgenen Wohnungslosigkeit» gross – Menschen also, die alle paar Tage oder Wochen die Unterkunft wechseln müssen. Der Anteil der als arm eingestuften Schweizer Haushalte, die eine für ihr Einkommen unangemessen hohe Miete bezahlen müssen, hat sich laut einer Studie des Bundesamtes für Sozialversicherungen zwischen 2007 und 2012 um 2,3 Prozent erhöht.

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Alter Mit Göttern und Gymnastik In der Zürcher Spitex Seeblick arbeiten vorwiegend Migrantinnen und Secondos. Sie pflegen Menschen, die einst aus denselben Ländern eingewandert sind wie sie selbst oder ihre Familien – eine Arbeit, die weit über das Wechseln von Kathetern und Verbänden hinausgeht. Auf Hausbesuch mit Pfleger Kuru Kurusamy.

VON BEAT CAMENZIND (TEXT) UND FLURIN BERTSCHINGER (BILDER)

Kuru zieht bei der Garderobe Überschuhe aus Plastik an und geht durch das Wohnzimmer ins Schlafzimmer. Die Wohnung sieht aus, als sei sie erst vor Kurzem bezogen worden. Da und dort stehen kleine Häufchen mit Dingen herum, die noch keinen definitiven Platz gefunden haben. VHS-Kassetten liegen neben einem Bild des 25. Hochzeitstages des Ehepaars Naresh und einem Fusssprudelbad. In einer Vitrine stehen spanische Likörflaschen in Form eines Stiers. Und zwischen all den Dingen: Packungen mit Arzneimitteln und Verbandsmaterial. Maa-

Pünktlich um acht Uhr morgens trifft Kurumparam Kurusamy am Zürcher Letzigraben ein. Dort befindet sich der Hauptsitz der Spitex Seeblick. Im privaten Pflegebetrieb mit dem malerischen Namen arbeiten überwiegend Einwanderer und Secondas. Und das macht auch Sinn, denn die Pfleger mit Namen wie Catak, Abazi oder Sirikanjana kümmern sich um Menschen, die aus denselben Ländern eingewandert sind wie einst ihre Eltern und Grosseltern. Sie agieren dabei als Vermittler zwischen Ärzten und Naresh hält sich an der Bettkante fest, atmet tief durch und erPatienten. Denn viele Einwanderer, insbesondere ältere, haben zwar Jahrzehnte hier gelebt hebt sich. «Shiva!», schreit er vor Schmerz und Anstrengung. und gearbeitet, doch nie richtig Deutsch gelernt. Zumindest nicht so gut, dass sie Wörter varasan Naresh, 64 Jahre alt, Tamile aus Sri Lanka, hatte vor zweieinwie Bänderriss, Arthrose oder Stauchung kennen würden. Die Pfleger halb Jahren einen Hirnschlag. Deshalb ist seine rechte Körperseite geleisten also nicht nur medizinische Grundversorgung, sondern auch lähmt. Zudem hat er Diabetes und eine Niereninsuffizienz. wichtige Übersetzungsdienste. Und die Patienten vertrauen ihnen. Wer möchte nicht, wenn es ihm schlecht geht, in seiner Muttersprache mit «Wie war die Demo?» dem medizinischen Personal sprechen? Im Schlafzimmer steht ein riesiges Doppelbett, ein Schrank, an der Kuru, wie Kumparam Kurusamy gerufen wird, arbeitet seit zwei MoWand ein Rollstuhl und am Fenster ein Spitalbett. Darin liegt Maavaranaten für die Spitex Seeblick. Zuvor war der Pfleger und Ausbildner, der san Naresh und lacht den 25-jährigen Pfleger Kuru mit strahlenden Au2004 vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka in die Schweiz flüchtete, fünf gen an. Die beiden reichen sich die Hände zur Begrüssung. «Regnet es?», Jahre für eine andere Spitex in Luzern unterwegs. Dort absolvierte er fragt Naresh, denn Kuru hat kalte Hände. Nareshs erste Frage gilt immer auch seine Lehre zum Pflegefachmann Gesundheit. Er begrüsst die dem Wetter, denn trotz Hirnschlag und Rollstuhl verbringt er noch imMitarbeiterinnen im Büro am Letzigraben, bespricht kurz mit seinem mer gerne Zeit draussen. Chef Lathan Suntharalingam seine Einsätze an diesem Tag und besteigt Nach einem kurzen Wortwechsel beginnt Kuru mit seiner Arbeit: Er sein Dienstauto. Schon nach zehn Minuten Fahrt durch Zürich-Altstetlegt Kleider, Verbandsmaterial, Cremes, Insulinspritze und einen neuen ten ist er bei seinem ersten Patienten. Das Auto lässt er mangels BesuPlastik-Katheter so hin, dass er die Dinge später mit einem Handgriff cherparkplätzen auf einem Platz in der Siedlung stehen. Er legt einen fassen kann. Dann holt er im Bad ein Becken mit warmem Wasser und Zettel mit seiner Telefonnummer und dem Satz «Spitex im Dienst» hineinen Lappen. Er streift die Decke zur Seite, zieht Gummihandschuhe ter die Frontscheibe und klingelt bei Maavarasan Naresh*. an und beginnt, Nareshs Katheter auszuwechseln. Er entfernt sämtliche Die Wohnung ist im Erdgeschoss. Nareshs Frau öffnet die Türe und Verbände und Pflaster und wäscht den Mann. Dann cremt er seine Beiverschwindet gleich wieder in der Wohnung. SURPRISE 399/17

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Ganesha, Buddha und Maria stören sich nicht am Nebeneinander in der Altarecke.

Füssewaschen gehört zum Pflegeritual.

fällt das Wort «Velofahren». Dank seinem starken Willen hat Naresh eine ein und massiert sie. Die Creme soll auch gegen Nareshs Allergie genige Fortschritte gemacht. Er kann seinen rechten Arm schon ein wenig gen medizinisches Klebematerial helfen. Naresh liegt da, die Hände auf bewegen. Und alle paar Tage geht Kuru mit einem zweiten Pfleger bei der Brust. Ab und zu stöhnt er. Manchmal hustet er stark. ihm vorbei. Dann machen die drei Männer Stehtraining. Naresh hat eiImmer wieder unterhalten sich die beiden in ihrer Muttersprache. nige Fortschritte gemacht in der letzten Zeit. Der Tamile hat viel Willen. «Wie war die Demonstration in Genf?», will Naresh wissen. Dort vor Ob er je wieder gehen können wird, steht in den Sternen. dem Uno-Hauptsitz forderte Kuru anfangs März mit weiteren 5000 Tamilen eine Untersuchung der Ereignisse in Sri Lanka. Für Naresh ist der Freiheitskampf der «Politik und Arbeit sind nicht zu trennen», sagt Spitex-Gründer Tamilen eine Herzensangelegenheit. Er war immer Unterstützer der LTTE, der tamilischen Lathan Suntharalingam. Dann schreibt er einen BeschwerdeBefreiungsbewegung der Tamil Tigers. Als brief nach Bern. 1983 in Sri Lanka der Bürgerkrieg ausbrach und das srilankische Militär tausende Tamilen Götter und die Mutter Gottes umbrachte, sah Naresh für sich keine Zukunft mehr in diesem Land. Er Kuru zieht Naresh die Hosen an. Dann hilft er ihm mit geschickten floh nach Saudi-Arabien. In die Schweiz kam er 1988. Hier hat er die TaGriffen beim Aufsitzen. So kommt sein pinkes Kopfkissen zum Vormil Tigers vor allem durch Spendensammlungen unterstützt. schein. Darauf hat Nareshs Tochter die Worte «Ich liebe dich» gestickt. Nach einem gezielten Hopser sitzt Naresh im Rollstuhl. Jetzt noch das «Genozid», dann Velofahren Hemd anziehen und weiter «arbeiten»: Kuru fährt ihn zum Fussende des Naresh schaut viel fern und interessiert sich nach wie vor stark für Bettes, rastet die Bremsen des Rollstuhls ein und entfernt alle Kleider das Geschehen in Sri Lanka. Und den neusten Stand der Entwicklungen von der Bettlehne. Nun kommt der harte Teil des morgendlichen Rituerhält er von Kuru erzählt: Der Terror nehme kein Ende. Nach dem Sieg als: Naresh hält sich mit beiden Händen an der Bettkante fest, atmet einder Regierungstruppen über die Tamil Tigers 2009 begannen die Behörmal tief durch und erhebt sich. Das interessiert nun auch seine Frau. Sie den die tamilische Kultur im Norden und Osten der Insel systematisch kommt ins Zimmer und gibt ihm Anweisungen. «Shiva!», schreit Naresh zu zerstören. Kuru spricht von «strukturellem Genozid». Dann wendet vor Schmerz und Anstrengung. Er setzt sich, wartet und macht weiter: er sich wieder Maavarasan Naresh zu, der nun auch «arbeiten» muss: «Ayyappan», schreit er beim zweiten Mal Aufstehen. «Murugan!» beim Mit Kurus Hilfe bewegt er erst seine Arme, dann seine Beine. Die Bewedritten Mal, später «Ampal!» Er ruft hinduistische Göttinnen und Götter gung sieht aus, als ob er im Liegen Velo fahren würde und bedeutet für an, die ihm Kraft geben sollen. Kuru erzählt später im Auto, dass Naden alten Mann eine erhebliche Anstrengung. Die Übung soll die Durchresh erst seit seinem Hirnschlag so spirituell sei und seine Kinder gar blutung fördern. Trotzdem: Die beiden Tamilen lachen dabei, mehrmals

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öffnet, kein Geräusch ist zu hören. Also drückt Kuru die Türfalle. Eine kleine rundliche Tamilin erhebt sich gerade von ihrem Bett, das kann Kuru von der Eingangstür sehen. Die Frau lebt in einer sehr kleinen Einzimmerwohnung. Die Einrichtung ist karg: Links an der Wand das Bett, am Kopfende ein paar Blumen in einer Vase am Boden, am Fussende ein TV-Gerät, rechts ein kleines Sofa an der Wand, dahinter ein Tisch und ein Stuhl, darauf Packungen mit Medikamenten. Die Wände sind schmucklos. Ausser einem veralteten Wahlplakat der SP-Stadt Zürich hängt da nichts. Am Ende des Zimmers die Fensterfront mit Balkon. Von dort hätte man eine atemberaubende Aussicht auf die Stadt Zürich, auf den See und dahinter auf die Glarner und St. Galler Alpen. Asin Chandran scheint das nicht zu interessieren: Sie hat den Rollladen des Fensters halb gekippt und die Sonnenstoren auf dem Balkon heruntergelassen. Die Frau begrüsst den jungen Mann kurz. Er hilft ihr, sich an den Tisch zu setzen. Dann steckt er Mundstück und Schlauch an ein Inhalationsgerät. Chandran hat Lungenprobleme und muss täglich inhalieren. Deshalb wohnt sie auch zuoberst im Hochhaus: Da soll die Zürcher Luft besser sein. Kuru erklärt ihr, wie sie inhalieren soll. Das tut sie mit heftigen und hektischen Atemzügen, das Gerät dröhnt fast so laut wie ein Staubsauger. Er erklärt ihr noch einmal, dass sie ein wenig gelassener atmen soll. Geduldig redet er auf die Frau ein, bis sie weniger kraftvoll einatmet. Währenddessen hält Kuru seinen Besuch auf einem Datenblatt fest. Viel zu tun hat Kuru nicht bei der Frau. Auch sprechen sie wenig. Asin Chandran lebt einsam. Sie hat sechs Kinder, doch diese kommen für ihren Geschmack zu selten zu Besuch. Das ist das häufigste und oft das einzige Gesprächsthema zwischen ihr und Kuru.

Asin Chandsan lebt ganz oben in einem Hochhaus: wegen der guten Luft.

nicht erfreut sind über seine plötzliche Religiosität. Doch der Glaube helfe ihm, sich zu beruhigen. Beim letzten Hinsetzen lacht Naresh. Sieben Mal schafft er es aufzustehen, dann ist er mit seiner Kraft am Ende, da hilft auch kein Gott mehr, auch wenn er bei der Übung immer in die eine Ecke des Schlafzimmers geschaut hat. Dort hängt auf Kopfhöhe sein Heiligenschrein. Darin und darauf stehen Götterbilder und -statuen und andere Dinge, die dem Tamilen heilig sind. Der Schrein ist von einer Leuchtkette umrahmt. Auch unter dem Schrein stehen Götterfiguren. Dazwischen eine Marienstatue. Naresh hat sie im französischen Lourdes erstanden. Der ehemalige Chauffeur organisierte früher nebenbei Carfahrten zum Pilgerort. Das ist nichts Aussergewöhnliches. Neben Katholiken verehren auch Muslime und Hindus die Mutter Jesu. Kuru misst noch Nareshs Blutzucker und Blutdruck und notiert die Daten auf einem Blatt in einem Ordner. Darauf steht «Spitex Seeblick» und «Gesund und sicher daheim». Das schätzen Nareshs drei Kinder: Sie wollten auf keinen Fall, dass ihr Vater alleine in einem Pflegeheim liegen muss. Kuru liest dem 70-Jährigen die Resultate vor. Dieser quittiert sie mit einem «Mmh». Dann spritzt Kuru ihm Insulin ins Bein. Naresh zuckt nicht einmal mit der Wimper. Körperpflege, Übungen und Anziehen dauern fast zwei Stunden. Danach frühstückt Naresh: Seine Frau hat ihm Tee und Toastbrot zubereitet. Er will Kuru zum Kaffee einladen, doch der muss weiter. Die nächste Patientin wartet. Allein im 17. Stock Von Altstetten geht es zu einer Hochhaussiedlung, die der Stadt Zürich gehört. Einige der Wohnungen sind an ältere, alleinstehende Menschen vermietet. So etwa an Asin Chandran*. Kuru klingelt unten, fährt mit dem Lift bis ganz nach oben in den 17. Stock und klopft. Niemand SURPRISE 399/17

Beschwerden schreiben und Handschuhe zählen Zurück im Büro der Spitex Seeblick trifft Kuru auf seinen Chef. Geschäftsführer Lathan Suntharalingam, ebenfalls Tamile, flüchtete 1988 als 14-Jähriger mit seiner Familie aus Sri Lanka in die Schweiz. Er ist kein Unbekannter: Von 2004 bis 2007 sass er für die SP im Luzerner Stadtparlament, von 2007 bis 2013 war er Kantonsrat. Davor und danach hat er sich weitergebildet: Er ist Pfleger mit Meisterdiplom, Sozialarbeiter und Rechtsberater. Von der institutionellen Politik hat er sich verabschiedet, weil er seinen Landsleuten in der Schweiz konkret helfen wollte – und nicht endlos darüber diskutieren mochte, wie diese Hilfe aussehen könnte. Stattdessen gründete er sein Spitex-Unternehmen. Doch fürs Tagesgeschäft hat er im Moment keine Zeit, die Politik ruft. Das Staatssekretariat für Migration SEM, erzählt Suntharalingam, habe Menschen aus Sri Lanka in Gefahr gebracht. Nicht zum ersten Mal: 2013 etwa schafften die Schweizer Behörden einen Tamilen aus, der noch am Flughafen in der Hauptstadt Colombo verhaftet, ins Gefängnis gesteckt und dort geschlagen wurde. Der Mann klagte beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und erhielt Recht. Heute lebt er mit seiner Familie wieder in der Schweiz, der Bund wurde vom EGMR gerügt. Diesmal geht es um eine Frau. Zwar wurde die ehemalige LTTE-Kämpferin nicht ausgeschafft. Aber das SEM habe sich in Sri Lanka bei den Behörden nach ihr erkundigt und damit «ihre Familie in Gefahr gebracht». Suntharalingam will sich über das Vorgehen der Schweizer Behörden beschweren, mit einem Brief. Auch das ist die Spitex Seeblick. «Da sind Politik und Arbeit nicht zu trennen», sagt Suntharalingam und setzt sich wieder an den Schreibtisch, um seinem Ärger Luft zu machen. Kuru verbringt den Rest des Tages ebenfalls im Büro, mit administrativen Arbeiten. Denn jeder verbrauchte Gummihandschuh und jedes Pflaster müssen notiert werden, damit die Krankenkassen auch die Kosten übernehmen. ■

* Namen der Patienten wurden geändert.

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Musikszene «Auf dem Papier gibt es keinen Rassismus» Meng Tian ist Chinesin, Brandy Butler Afroamerikanerin. Beide sind Musikerinnen, beide leben in der Schweiz. Ein Gespräch über ihre Herkunftsländer, die Integration in der Schweiz und die Künstlerszene. VON MICHAEL GASSER (INTERVIEW) UND ANDREA GANZ (BILDER)

Meng Tian, Sie leben seit 1999 in der Schweiz, und Sie, Brandy Butler, seit 2003. Was hat Sie hierhergebracht? Meng Tian: Ich kam als Teenager mit meiner Familie in die Schweiz, weil mein Vater einen Job am Berner Inselspital angetreten hatte. Als ich China verliess, hatte ich noch keine eigene Meinung. Erwachsen wurde ich hier, in Zürich. Brandy Butler: Mit 20 schloss ich die Uni ab und wurde Primarlehrerin in Philadelphia. Ich stand damals am Beginn meiner Karriere als Musikerin. Drei Jahre später wollte ich ein Jahr Pause einlegen. Also suchte ich eine Stelle als Au-Pair in der Schweiz und landete bei einer Familie in Bonstetten im Kanton Zürich. Vermissen Sie Ihr früheres Zuhause? Brandy Butler: Ja, die Lockerheit der USA. Dort kann man mit den Leuten einfach plaudern, ohne dass sich etwas daraus ergeben muss. Ein nettes Gespräch in der U-Bahn muss nicht bedeuten, dass man zu besten Freunden wird. Meng Tian: Ich vermisse das Essen, vom Frühstück bis zum Nachtessen. Und die Menschen. In Beijing existiert eine sehr leidenschaftliche Gruppe von Musikern, Künstlern und Kunstschaffenden – sie haben ei-

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«In Künstlerkreisen ist man nicht immer lieb zueinander»: Butler und Meng beim Gespräch in einem Café in Zürich.

«In der Schweiz begegnet man vielen Mikroaggressionen, und diese bilden meiner Meinung nach den Urboden von Rassismus.» Brandy Butler

ne unglaubliche Dynamik. Die wiederum hängt mit dem kontinuierlichen Wandel Chinas zusammen, der so rasant vonstatten geht, dass niemand wirklich damit zurechtkommt. Das findet seinen Ausdruck in der Kunst. Auch deshalb bin ich 2011 zurück nach China, allerdings nicht für lange. Unter anderem, weil die Luftqualität so schlecht war, dass man sich kaum mehr nach draussen wagte. In einem Interview haben Sie, Meng Tian, mal gesagt, dass Ihnen die Musik bei der Integration geholfen habe. Meng Tian: Als ich in die Schweiz kam, sprach ich kein Deutsch. Auch mein Schul-Englisch half mir nicht wirklich weiter. Weil ich zudem eher die Streberin als die Sportlerin war, entwickelte ich mich in der Schule zur Einzelgängerin, obwohl ich mich um sozialen Anschluss bemühte. Die Musik war somit mein einziges Werkzeug, um mich zu integrieren. Ich kam in eine Schülerband, wo ich mich anerbot, Keyboard zu spielen. Akzeptiert haben sie mich allerdings nur, weil ich das Instrument beherrschte. Brandy Butler: Mir hat die Musik geholfen, die Sprachbarriere zu überwinden. Als Au-pair lernte ich nicht richtig Deutsch. Zwar verstand ich das Gesagte, doch mit dem Sprechen haperte es. Als ich später meine ersten Jobs als Backgroundsängerin erhielt, sollte ich schweizerdeutsche Texte singen. Ich fokussierte auf die Betonung und arbeitete darSURPRISE 399/17

auf hin, dass man nicht gleich hörte, dass ich nicht aus Bern oder Zürich bin. Musik wird gemeinhin als internationale Sprache gesehen, als Künstlerinnen kommen Sie ständig mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen. Spielt Rassismus eine Rolle in der schweizerischen Musikszene? Brandy Butler: Rassismus im Musikumfeld habe ich noch nie erlebt. Dennoch sind wir nicht immer lieb zueinander. Schwierige Situationen drehen sich in Künstlerkreisen jedoch eher um Fragen wie: Welche Musik ist es wert, gespielt oder in der Zeitung besprochen zu werden? Wer erhält Fördergelder und wie viel? Meng Tian: Ich unterscheide zwischen Musikern und zugehörigem Musikbusiness. Unter Musikern bin ich noch nie Rassismus begegnet. Es ist tatsächlich das einzige Berufsfeld, das ich kenne, in welchem man gegenüber anderen absolut offen ist. Im Musikbusiness hingegen geht es etwa darum, wer im Scheinwerferlicht steht, wer wo spielen kann und darf oder wer Förderung erhält. Als ich 2008 mein Debütalbum «New Start» drei Monate vor der Olympiade in Beijing veröffentlichte, hatten wir Mühe, die Musik zu platzieren. Immer wieder hiess es, das Thema China sei momentan heikel, also verzichtete man auf eine Berichterstattung oder ein Booking.

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Wurde in der Schule als «Reisfresserin» betitelt: Meng Tian.

«In der Schweiz bekommst du Hilfe, wenn es hart auf hart kommt»: Brandy Butler.

«Ich kam in eine Schülerband und spielte Keyboard. Akzeptiert haben sie mich dort nur, weil ich das Instrument beherrschte.» Meng Tian

Und ausserhalb der Musiker- und Künstlerinnenszene? Brandy Butler: Es ist mein Eindruck, dass die Diskussion über Rassismus in der Schweiz stärker blockiert ist als in den USA. Dort existiert das Bewusstsein dafür, dass es Rassismus gibt. Hier betont man gerne, dass die Schweiz keine Kolonialmacht war, weshalb es hierzulande keinen Rassismus geben könne. In der Schweiz begegnet man vielen Mikroaggressionen, und diese bilden meiner Meinung nach den Urboden von Rassismus. Wir alle beurteilen andere Kulturen, und das beruht auch auf Erfahrungen und Privilegien. Da gilt es, sich immer wieder selbst zu konfrontieren und zu klären, ob die eigenen Gedankengänge falsch oder richtig sind. Meng Tian: In der Schule habe ich Rassismus zu spüren bekommen. Unter anderem wurde ich etwa als «Schlitzauge» oder als «Reisfresserin» betitelt. Auf dem Papier gibt es keinen Rassismus in der Schweiz, aber er existiert dennoch. Was nicht heissen soll, dass das in China anders ist. Vielen Künstlern und Musikerinnen gelten New York oder auch Beijing als Karriereziel. Was sind Ihre Träume? Brandy Butler: Die US-amerikanischen Metropolen sind ein blödsinniger Traum. Einer meiner besten Freunde ist ein brillanter Jazzpianist in New York und spielt dort unzählige Gigs. Er muss Tag und Nacht arbeiten, nur um in der Stadt bleiben zu können.

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Hat sich Ihr Bild von Ihren Heimatländern verändert, seit Sie hier leben? Brandy Butler: Jedes Mal, wenn ich nach Hause reise, fällt mir auf, dass ich – mal abgesehen von meinen pensionierten Eltern – niemanden kenne, der eine Krankenversicherung hat. In meiner Wahrnehmung geht es den Leuten nicht gut. In der südöstlich von Philadelphia gelegenen Stadt Reading, wo ich aufgewachsen bin, leben 45 Prozent der Jugendlichen unter der Armutsgrenze. In der Schweiz siehst du niemanden, der auf der Strasse lebt. Obdachlosigkeit und Armut sind hier gut versteckt. Das ist in den USA anders. Inwiefern? Brandy Butler: Ich habe drei Jahre als Primarlehrerin in Philadelphia unterrichtet. Unter anderem auch im westlichen Stadtteil, der umgangssprachlich «The Bottom» heisst, also die Unterseite, wo sich zwei der schlechtesten Schulen der Stadt befinden. Einige der Kinder kamen mit schmutzigen Kleidern und mit seit Tagen ungewaschenen Haaren zum Unterricht. Sie rochen zum Teil nach Urin und sprachen davon, dass zuhause keine Eltern auf sie warteten, und auch davon, dass sie häufiger ohne Nachtessen ins Bett gingen. In der Schweiz bekommst du Hilfe, wenn es hart auf hart kommt. In den USA nicht.

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artischock.net

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Meng Tian: In China gibt es zwar sehr viel Geld, aber nur eine kleine Oberschicht. In Beijing kann man sein Geld ebenso schnell loswerden wie in New York, Tokio oder London. Traditionellerweise federt man Probleme über das starke Familiennetz ab. Doch mit der zunehmenden ökonomischen Entwicklung findet jetzt ein Wertewandel statt. Man ist mehr und mehr auf sich alleine gestellt. Glauben Sie, Ihre Musik würde anders klingen, wenn Sie nie nach Europa umgesiedelt wären? Meng Tian: Ohne den Umzug in die Schweiz wäre ich heute wahrscheinlich gar nicht Musikerin. Als Teenager war das Klavierspielen bestenfalls ein Hobby für mich. In China herrscht zudem ein ganz anderes Businessmodell. Wenn du als Künstlerin Erfolg haben willst, musst du einen 360-Grad-Vertrag mit einem starken Label haben, als Staatskünstler bei der Armee-Akademie angestellt sein oder einen unglaublichen Willen haben und dich als Independent-Musiker mit Gelegenheits-Jobs über Wasser halten. Brandy Butler: An Weihnachten war ich in Philadelphia und besuchte eine Freundin. Sie wohnt immer noch an derselben Adresse und ihre Wohnung sieht noch genauso aus wie vor 13 Jahren. Auf mich wirkte das Ganze so, als ob ich nie aufgebrochen wäre. Hätte ich meine Sachen nicht gepackt, würde ich wohl heute noch als Primarlehrerin unterrichten. Durch meinen Umzug habe ich das Vertrauen und die Selbstsicherheit gewonnen, die ich brauchte, um meiner Kunst zu folgen. ■

Brandy Butler Die US-amerikanische Sängerin Brandy Butler startete ihre Karriere als Backgroundsängerin für Sophie Hunger und Seven. 2011 veröffentlichte sie zusammen mit ihrer Formation Chamber Soul das gleichnamige Album, auf dem sie Kammermusik mit Soul zu verbinden verstand. Auf ihrem Anfang Februar erschienen Solodebüt, «The Inventory Of Goodbye», verdeutlicht die Soulsängerin jetzt nicht nur, dass sie stimmgewaltig ist, sondern sich auch zunehmend in der Pop-Welt zuhause fühlt.

WINTERTHUR 29. MAI – 5. JUNI 2017 DO 1. 6.

Southern Africa Night Nomfusi · Mokoomba

FR 2. 6. Reggae Night Warrior King · Macka B Big Youth feat. Jah’Mila SA 3. 6. Afro Latin Night Forró Miór · African Salsa Orchestra Septeto Nabori SO 4. 6. Tradition & Trance Ayekoo Drummers · Saodaj SO 4. 6. African Night Takeifa · Orchestra Poly-Rythmo BKO Quintett

AFRO-PFINGSTEN.CH

Brandy Butler: «The Inventory Of Goodbye» (Irascible)

VORVERKAUF: Meng Tian Auf ihrem Debüt, dem feinsinnigen Album «New Start» (2008), legte Meng Tian dar, dass sie elegant zwischen Pop, Jazz und Soul zu pendeln weiss. Nach einem Studium der Politikwissenschaften setzte die Pianistin wieder auf die Musik. Daraus resultierte im vergangenen Jahr das Konzeptalbum «Ti.Me.». Dessen elf Lieder, die Tian auf Chinesisch und auf Englisch singt, veröffentlichte sie nicht auf einen Schlag, sondern im Monatsrhythmus – und zwar im Abonnement. Inzwischen liegt die Platte vollständig vor und überzeugt mit kontrastreicher Musik voller stilistischer Gegensätze, die nicht zuletzt vom biegsamen Gesang der Künstlerin lebt.

GASTLAND

MEDIAPARTNER

FESTIVALTPARTNER

VERANSTALTER

Meng Tian: «Ti.Me.» (Eigenvertrieb) SURPRISE 399/17

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BILD: GUIDO SÜESS

Wörter von Pörtner Gespenster (2) Warum laufen die Leute von den traditionellen Linksparteien zu den rechtspopulistischen über? Ein Grund ist die Ablehnung des parlamentarischen Betriebs und die Geringschätzung von Politkern. Die 68er-Rebellion wurde von der APO angeführt, der Ausserparlamentarischen Opposition. «Nur die allergrössten Kälber wählen ihre Schlächter selber», hiess damals das Motto. Hierzulande wollte die Jugendbewegung 1980 aus dem Staat «Gurkensalat» machen. Diese Haltung hat unterdessen die äussere Rechte übernommen und hetzt gegen Politikerinnen und Parlamentarier. Ausgenommen sind die eigenen Leute, die als eine Art Anti-Politiker verkauft werden. Eine weitere Gemeinsamkeit ist das Entmenschlichen des politischen Gegners: Die radikale Linke nannte den gesamten Politbetrieb «das kapitalistische Schweinesystem». Seine

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willfährigen Büttel, die Polizei, wurden «Bullen» genannt. Jene Wirtschaftslenker und Politiker, die den Rebellen zufolge alle Fäden in der Hand hielten, wurden «das Establishment» oder einfach «Schweine» genannt. Dies sollte schon damals die Hemmschwelle senken, Gewalt anzuwenden. Dieser Wirkung sind sich auch diejenigen bewusst, die heute ihre Gegner als Schafe, Raben oder Ratten darstellen. Bis heute weigern sich Mitglieder der RAF, die deutschen Gerichte anzuerkennen und mit ihnen zu kollaborieren, weil sie «Klassenjustiz» übten. Derzeit versuchen rechtspopulistische Kreise, die Justiz als dritte Kraft auszuhebeln, davon zeugt unter anderem der Angriff der SVP auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Denkmuster sind nicht gegensätzlich, nur anders ausgerichtet. Die meisten Menschen wollen Teil einer Gruppe sein oder zumindest einem Umfeld angehören. Dort werden viele Themen gar nicht diskutiert, es wird vorausgesetzt, dass alle, die dazugehören, derselben Meinung sind. Grenzen sollten nicht nur für Waren offen sein, fremde Kulturen sind interessant, der öffentliche Verkehr ist vorzuziehen und Astrologie ernstzunehmen, findet das linksliberale Milieu und hinterfragt es nicht – so wie man im rechtskonservativen Dorf weiss, dass Ausländer kriminell sind, Autofahrer ausgenommen werden, Fleischesser eine verfolgte Minderheit sind und Astrologie ernstzunehmen

ist. Sobald allen, die man kennt und schätzt, klar zu sein scheint, welche Position man in einer bestimmten Frage einnimmt oder welche Partei man wählt, wird das schon seinen Grund haben, und man schliesst sich dem an. Man vertraut seinem Umfeld, will nicht anecken und mühsame Diskussionen führen, hat keine Zeit, sich mit den komplexen Themen zu beschäftigen. Gelingt es, einen ausreichenden Teil der Leute zu überzeugen, gewinnt man weitere Teile hinzu, die sich aus Konformität anschliessen. Also ist es wichtig, ein gutes Image zu haben. Darum versuchen rechte Parteiblätter, ihre angepassten Anzugträger als freche Rebellen zu verkaufen, darum hat die als spröde und betulich wahrgenommene Linke ein Problem mit ihrem Image als Spassbremse. Denn wie spottet man in Hollywood? Politik ist Showbusiness für Hässliche.

Stephan Pörtner ist freier Autor in Zürich. Er wehrt sich gegen die Vermenschlichung von Ratten, Raben und Schafen. Die Tiere haben Besseres verdient.

Sarah Weishaupt ist freie Illustratorin aus Basel. SURPRISE 399/17


Musik Forever Blondie Ende der Siebzigerjahre gab es keine coolere Band auf der Welt als Blondie. Mühelos schaffte die New Yorker Combo den Spagat zwischen Kult und Hitparade. 40 Jahre später ist die Welt eine andere geworden. Aber Blondie bleibt Blondie.

Die Hotelsuite ist riesig, die Couch dagegen winzig. Am linken Ende sitzt Chris Stein und macht mittels Handy und CCTV einen Streifzug durch sein tief eingeschneites Haus in Upstate New York. Am rechten Ende hat sich Debbie Harry in einem Haufen von Kissen vergraben. Und eingequetscht zwischen den beiden hock ich, mit zusammengeklemmten Knien und flatternden Nerven. Stein hatte mich zuvorkommenderweise aufgefordert, diese Position einzunehmen, damit es mit dem Halten des Mikrofons nicht allzu mühsam werde. Es geschieht nicht oft, dass man menschgewordenem Zeitgeist derart nahe kommt. Vier Jahrzehnte sind verstrichen, seit jede halbwegs smarte junge Frau Debbie Harry sein wollte und jeder heterosexuelle junge Mann ihr Freund, Chris Stein. Inzwischen hat Stein 67 Jahre auf dem Buckel und Harry gar deren 71. Aber Glamour rostet nicht. Harrys pergamentbleicher Teint ist ebenso erhalten geblieben wie ihr immer ein bisschen sarkastisches Lächeln. «Pollinator» heisst das neue Album, der Anlass dafür, dass sich das Duo ein weiteres Mal auf Promo-Tour begibt. Von einem Comeback kann indes nicht die Rede sein: Seit sich die Band nach einer 15-jährigen Pause 1998 neu formierte (nebst Harry und Stein ist von der Originalbesetzung noch Drummer Clem Burke geblieben), hat sie immer wieder Tourneen unternommen und Alben veröffentlicht. Deren Beachtung hielt sich allerdings in Grenzen. Diesmal nun soll es anders werden: «Die letzten zwei Alben sind am Computer entstanden», erklärt Stein. «Man hat Files hin und her geschickt und Clem hat dann noch seine Drums darüber gelegt.» Diesmal seien sie wieder als Band im gleichen Raum gestanden und hätten handfeste Instrumente gespielt. «Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass wir unbedingt back to the roots gehen müssen.» So hat denn der Titel «Pollinator» – zu deutsch «Bestäuber» – eine doppelte Bedeutung: «Es geht einerseits um die gegenseitige künstlerische Befruchtung, die es braucht, damit sich die Dinge entwickeln», erklärt Harry. «Und es geht auch wörtlich um die Bienen. Wenn wir nichts unternehmen, sind die Bienen am Ende.» Im vergangenen Sommer habe sie erwägt, in New York eigene Bienenstöcke einzurichten, es sei aber zu spät in der Saison gewesen. Heuer reicht die Zeit nicht. Die Band gibt zu viel zu tun, die Bienen müssen noch ein Jahr ohne Debbie Harry auskommen. Die frühen Tage von Blondie sind ein klassisches Exempel dafür, wie die Popgeschichte immer wieder Momente schafft, die nicht nur im Ohr hängen bleiben, sondern gesellschaftlichen Entwicklungen ein Gesicht geben, noch ehe diese richtig wahrgenommen werden. Harry hatte ihre musikalische Karriere in der Hippie-Ära mit einer Folk-Rock-Band namens Wind in the Willows begonnen. Dabei hatte sie erfahren müssen, dass die sogenannte sexuelle Revolution der Sixties eine eher einseitige Macho-Sache gewesen war. Frauen wurden im Musikgeschäft mit wenigen Ausnahmen – Joni Mitchell, Laura Nyro – weiterhin als blosse Kleiderständer erachtet. In der polysexuellen Künstlerszene des New Yorker East Village zeichnete sich aber eine Veränderung ab. Bei Frauen wie Tina Weymouth (Talking Heads) oder Patti Smith merkte man sofort, dass sie niemandem gehorchen würden ausser sich selber. Debbie Harry übersetzte diesen Geist in die Umgebung der Hitparaden. Typisch war das Cover des dritten Albums, «Parallel Lines». Mit angewinkelten ArSURPRISE 399/17

BILD: TBA

VON HANSPETER KÜNZLER

Glamour rostet nicht: Debbie Harry, 70+.

men aufgestellt vor den fünf uniform in schwarze Anzüge gekleideten Herren der Band erstrahlte Harry ganz in Weiss. Die Botschaft – eine Umkehrung der damals üblichen visuellen Gewohnheiten des Popgeschäftes – war klar: Debbie Harry war derart selbstsicher im Auftreten, dass sie sich sogar ein sexy Image leisten konnte, ohne damit ihrer Glaubwürdigkeit als starke neue New Yorkerin Abbruch zu tun. Dennoch will sich Harry heute nicht als Pionierin verstehen: «Ich ertastete mir einen Weg, der für mich stimmte», sagt sie. «Aber darin war ich nicht allein. Es war eine Haltung, deren Moment gekommen war.» 40 Jahre später herrscht ein merklich anderes Klima. Harry trägt über ihrer Bluse einen merkwürdigen, halfterartigen Gürtel, auf dem mit grossen Nieten die Worte «Not My President» geschrieben stehen. «Muss ich dem noch was beifügen?» lacht sie, diesmal wirklich sarkastisch. ■ Blondie, «Pollinator» (BMG)

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Theater Imperativ der Dauerpräsenz BILD: DONATE ETTLIN

Wir stellen unser Ich gerne auf allen Kanälen zur Schau. Das Berner Theaterfestival Auawirleben nimmt sich der Frage an, welche Schatten es auf die Seele wirft, wenn man sich selbst ins Scheinwerferlicht stellt. VON MONIKA BETTSCHEN

Sind wir erst, wenn wir sichtbar sind? Fast könnte man den Eindruck erhalten, dass die Selbstreflexion sich in Zeiten von Instagram und Snapchat total zur Oberfläche hin verschoben hat. Doch es wäre verfehlt, diesem Phänomen in der Folge gleich den Stempel «oberflächlich» aufdrücken zu wollen. Das Programm des diesjährigen Theaterfestivals Auawirleben verspricht rund um diese Thematik enormen Tiefgang. Unter dem Motto «overexposure» nehmen Theatergruppen aus der Schweiz und ganz Europa verschiedene Aspekte der Selbstdarstellung unter die Lupe. Abgründig, lustvoll, aber auch humorvoll darf das Publikum sich mit der Frage auseinandersetzen, wie viel Scheinwerferlicht für einen Menschen gerade noch zuträglich ist und ab welchem Grad die Dauerpräsenz auf allen Kanälen am Seelenleben zu nagen beginnt. So auch in der Basler Produktion «Hamlet». «Das Stück ist ein doppeltes Porträt, einerseits der Figur Hamlet und andererseits des Performers Julian Meding. Es ist eine Selbst-Ausstellung des Künstlers», sagt der Regisseur Boris Nikitin. «Meding zeigt sich, seine Biografie, seinen Körper, seine Verletzlichkeiten. Es geht darin um Sichtbarkeit als Form einer Teilhabe. Und es geht sehr spezifisch um das Theater als Ort der Sichtbarkeit und damit auch der Verletzbarkeit», sagt Nikitin. «Hamlet» erzählt die Geschichte beider Personen parallel und legt sie übereinander. Die Idee sei von Anfang an gewesen, eine Kippfigur zu entwickeln, bei der nie ganz klar ist, wie sie die Dinge, die sie sagt, genau meint. «Meint sie es ernst oder ironisch? Ist es Show oder Pathologie? Julian Meding oder Hamlet? Was wir also aus Shakespeares Stück übernehmen, ist diese Frage des Spiels. Bei Hamlet ist ja nie so richtig klar, ob er tatsächlich verrückt geworden ist oder nur aus machtpolitischen Interessen von aussen pathologisiert wird, um ein Problem loszuwerden.» Auch in den Nachrichten und speziell im Internet ist es zunehmend schwierig, den Wahrheitsgehalt einer Botschaft zu erkennen. Und in dieser entgrenzten virtuellen Öffentlichkeit schafft sich eine wachsende Anzahl Menschen eigene Bühnen, lässt tief blicken und wird dadurch ebenfalls verletzbar. Wie denkt man, gerade als Theaterregisseur, über

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Hamlet: Ist es Show oder Pathologie?

diese Entwicklungen? «Kürzlich hatte ich den Gedanken, dass im Wort ‹vulnerability› das Wort ‹ability› steckt. Verletzbarkeit als eine Fähigkeit und nicht als Schicksal zu betrachten, das interessiert mich», so Nikitin. Das sei ein bisschen wie bei Heiner Müller, einem der wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker, der sagte: «Zeig mir Deine Wunde.» «Ich denke, wer die Fähigkeit besitzt, seine Verletzbarkeit mit anderen Menschen zu teilen, wird überhaupt erst zu einem politischen Subjekt.» Dahinter stecke ja die Idee des Coming-outs. «Jemand hat ein Geheimnis, vergräbt es in seinem Inneren und ist damit erst einmal allein. Im Moment der Veröffentlichung aber wird das Geheimnis teilbar», so der Basler Regisseur. «Die Selbstdarstellungen im Internet können ein emanzipatorisches Potenzial haben, aber es gibt auch eine Gefahr des Narzissmus, weil ein physisches Gegenüber fehlt. Ohne diesen realen Widerstand eines Gegenübers ist die Selbstveröffentlichung erst einmal ein Selbstgespräch. Das Netz ist voller Selbstgespräche. Aber auch voller Begegnungen», findet Boris Nikitin. Eine Begegnung der besonderen Art könnte auch der Vortrag der Kunstfigur Maria Marshal werden. Die Sozialanthropologin hält am Theaterfestival einen Vortrag über die Wirkungs-

weisen von Kunstfiguren, wobei sie selbst sowohl als Forscherin als auch als Forschungsgegenstand in Erscheinung tritt. Sie ist die erste Person, die als Figur promoviert, und als einzige anerkannte Expertin für Kunstfiguren hat sie das Internationale Institut für Figurenkunst und Kunstfiguren, kurz IIFFUK, gegründet. Kunstfiguren wie Lady Gaga oder der unvergessliche David Bowie reflektieren den Zeitgeist, brechen festgefahrene Muster auf und regen zu neuen Gedankengängen an, wobei sie selber stets undurchschaubar bleiben. Der Mensch sehnt sich seit jeher nach Aufmerksamkeit und ein bisschen Scheinwerferlicht. Doch die eigene Präsenz zu pflegen erfordert viel Zeit und Energie. Ist es das wert? Auawirleben präsentiert eine gewaltige Fülle an möglichen Antworten. ■

Auawirleben Theaterfestival Bern, 11. bis 21. Mai (plus zusätzlich Out + About Internationales Theaterfestival Bümpliz-Bethlehem bis 7. Mai), Festivalzentrum im Kulturpunkt im PROGR und Hinterhof, Waisenhausplatz 30, Bern. www.auawirleben.ch SURPRISE 399/17


BILD: ISTOCKPHOTO

Die 25 positiven Firmen Diese Rubrik ruft Firmen und Institutionen auf, soziale Verantwortung zu übernehmen. Einige haben dies schon getan, indem sie dem Strassenmagazin Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Damit helfen sie, Menschen in prekären Lebensumständen eine Arbeitsmöglichkeit zu geben und sie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zu begleiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? Die Spielregeln sind einfach: 25 Firmen werden jeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jener Betrieb heraus, der am längsten dabei ist.

Und was haben Sie am Gründonnerstag gegessen?

Piatto forte Doppelt sauer Ampfer meint übersetzt sauer. Der Sauerampfer ist also sauersauer. Glücklich macht er dennoch. VON TOM WIEDERKEHR

Sauerampfer gehört wie Löwenzahn zu den Kräutern, die in der Natur häufig zu finden sind und in der Küche viel verwendet werden. Der Sauerampfer ist mit seinem angenehm säuerlichen Geschmack ein interessantes Wildkraut, das sich in vielen Gerichten mit Kräutern gut einfügt. Wie allen Kräuter und Gemüsearten mit einem hohen Anteil an Bitterstoffen wird ihm eine verdauungsfördernde und entschlackende Wirkung zugeschrieben. Entsprechend haben ihn die zur Opulenz neigenden alten Römer als Tinktur oder Aufguss zur Linderung von Verdauungsproblemen nach fetten Speisen eingesetzt. Ganz im Gegensatz dazu wird er von Mönchen zur Entgiftung während der Fastenzeit empfohlen. Traditionellerweise wird am Gründonnerstag, zum Ende der Fastenzeit, ein grünes Gericht zubereitet. Suppen aus Kerbel oder Sauerampfer finden sich in vielen Rezepten zum Beginn des Osterfestes. Gut also, dass er ab Anfang April in der Regel bereits geerntet werden kann. Eine Sauerampfersuppe tut natürlich auch über die Fastenzeit und ihr Ende hinaus gut: 3 Schalotten schälen und fein hacken. In 4 EL Butter glasig dünsten und mit 1 dl Weisswein und 1 dl Noilly Prat ablöschen, aufkochen und um die Hälfte reduzieren lassen. 6 dl Hühnerbouillon hinzufügen und aufkochen und ebenfalls etwas reduzieren lassen. In der Zwischenzeit je eine Handvoll Sauerampfer und glattblättrige Petersilie mit 100 Gramm Sauerrahm in einem hohen Becher mit dem Stabmixer zu einer Paste verarbeiten und kühlen. Jetzt bei der Suppe die Hitze reduzieren und 2,5 dl Rahm dazugeben. Auf die gewünschte Konsistenz reduzieren lassen und die Suppe schliesslich ganz vom Herd nehmen. Wenn die Suppe nicht mehr kocht, 3 EL des Kräuter-Sauerrahms in die Suppe geben und alles mit dem Stabmixer aufschäumen. Mit Zitronensaft, Salz und Pfeffer abschmecken. Jetzt noch 50 ml Milch erhitzen und aufschäumen. Die Suppe anrichten und den Milchschaum unter die Suppe ziehen. Am besten schmeckt die Suppe mit selbst geerntetem Sauerampfer, aber auch auf dem Wochenmarkt könnten Sie fündig werden. Es sei aber noch angemerkt, dass möglichst nur die jungen, makellosen und keinesfalls Blätter mit rostbraunen Löchern genutzt werden sollten. Die älteren Blätter sind unbekömmlich, da sie mehr Oxalsäure beinhalten und deren übermässiger Genuss – wie fast alles im Leben – ungesund sein kann. Bezugsquellen und Rezepte: www.piattoforte.ch/surprise SURPRISE 399/17

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Lisa Stettler Körpertherapie, Bäch

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Coop Genossenschaft, Basel

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Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

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Maya-Recordings, Oberstammheim

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Scherrer & Partner, Basel

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Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen

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ChemOil Logistics AG, Basel

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Schluep & Degen Rechtsanwälte, Bern

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Institut und Praxis Colibri, Murten

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Kaiser Software GmbH, Bern

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Klinik Sonnenhalde AG, Riehen

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Rechtsanwalt Peter von Burg, Zürich

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Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich

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Hofstetter Holding AG, Bern

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Hedi Hauswirth Privat-Pflege, Oetwil am See

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Echtzeit Verlag, Basel

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OpenTrack Railway Technology GmbH, Zürich

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Intercelix AG, Basel

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Naef Landschaftsarchitekten GmbH, Brugg

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Schweizerisches Tropeninstitut, Basel

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PS: Immotreuhand GmbH, Zürich

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Iten Immobilien AG, Zug

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Proitera GmbH, Basel

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Petra Wälti Coaching, Zürich

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Alfred Rappo-Kolenbrander, Breitenbach

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende von mindestens 500 Franken sind Sie dabei! PC-Konto: 12-551455-3, Verein Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma + Ihr gewünschter Eintrag. Wir schicken Ihnen eine Bestätigung.

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Nicht alle Popkultur kommt von den Amis.

Aarau Rausch am Berg Beim Stichwort Pop Art denken wir zunächst an Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Robert Rauschenberg oder Jasper Johns und sehr viel eher an die USA und England als an die Schweizer Berge. Aber auch hierzulande richteten die Künstler in den Sechzigerjahren ihren Blick auf Werbung, Mode, Popmusik. Die Bildwelten des Alltags wurden zu Kunst, triviale Motive zu plakativen Momenten. Die Ausstellung «Swiss Pop Art» zeigt einen Überblick über die schweizerischen Ausformungen der Pop Art. Da ist Franz Gertsch, der die Rolling Stones 1968 auf ihre Umrisse reduzierte, oder Peter Stämpfli, der sich ganz dem Autoreifen verschrieb – diesem Symbol der amerikanischen Konsumkultur und der Freiheit zugleich. Und Markus Raetz fand nicht zuletzt dank der Pop Art zu seinen radikal vereinfachten Formen. Da die Sechziger aber nicht nur Mondlandung und Flower Power waren, sondern auch Vietnam- oder Kalter Krieg, Rassenunruhen und Drogenkonsum, vermischt sich die Begeisterung für Astronauten und Bikinis zuweilen mit Kulturkritik – sieht aber auch dann noch cool aus. (dif)

BILD: MOYAN BRENN

BILD: LIFEJACKETPROJECT.ORG

BILD: RAINER ALFRED AUER, B.B./OBJEKT, 1968, LEIHGABE CH. UND B. AUER, UESSLINGEN

Ausgehtipps

Schwimmwesten, Schutzdecken: Man trägt Krieg.

Sucht die Bedeutung der Nacht: Jürg Halter.

Basel Menschen aus Zucker

Zürich Statt schlafen

Der «Parcours Humain» stellt mit künstlerischen Aktionen die Frage nach der Menschlichkeit im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise. Der deutsche Künstler Niels Tofahrn hat Zelte aufgestellt, auf deren Boden aus Zucker und Holzkohlestaub Bilder schlafender Personen zu sehen sind – einzeln oder auch ganze Familien. Die Bilder werden vor Ort gestreut und sind nicht fixiert. Jeder Luftstoss vermag ein Bild zu zerstören: So kann Schutzlosigkeit und Verletzlichkeit aussehen. Der französisch-marokkanische Künstler Badr el-Hammami zeigt den Krieg als «Jeu d’échec géant», als überdimensionales Schachbrett, die beiden Seiten in der Mitte durch eine hohe Mauer getrennt, sodass der Gegner gar nicht mehr sichtbar ist. Ein sinnentleertes Strategiespiel, in dem die Machthaber als Spieler fungieren – die nicht wissen, was sie tun. Die Ausstellungsreihe läuft schweizweit, Stationen in Genf, im Tessin und in Graubünden folgen 2018. (dif)

«Yakamoz» ist vielleicht das schönste Wort im Türkischen: Es beschreibt die Spiegelung nächtlichen Lichts auf dem Wasser. In Reinform meint dies natürlich: den Widerschein des Vollmondes auf der Meeresoberfläche. (Vom Strand aus gesehen und am besten Arm in Arm mit der oder dem Liebsten.) Das Meer ist hierzulande natürlich nicht zu haben, der Zürisee oder auch die Limmat tun es im Zweifelsfall auch. Vom Dach des Zentrums Karl der Grosse kann man vielleicht einen Blick auf «Yakamoz» erhaschen, und wenn nicht, zumindest im Mondlicht baden. (Wenn denn das Grossmünster nicht heller strahlt.) Und währenddessen lauscht man Jürg Halter, wie er mit nächtlichen Gästen über die Bedeutung der Nacht für unseren Alltag plaudert, und den Klängen einer geheimnisvollen One-Woman-Band. (win)

«Parcours Humain», Atelier Mondial Dreispitz,

karldergrosse.ch

«Vollmond-Talk» mit Jürg Halter und Gästen, Mi, 10. Mai, 21 Uhr, Dachterrasse, Zentrum Karl der Grosse, Kirchgasse 14, Zürich.

Holzpark Klybeck, Stapflehus Weil, bis Pfingstmontag, 5. Juni. Sa, 20. Mai, 12 bis 16 Uhr, Aktionstag Dreiländerbrücke unter Einbezug der drei Grenzorte Basel (CH), Hüningen (F) und Weil am Rhein (D). www.parcourshumain.ch

Anzeige:

«Swiss Pop Art – Formen und Tendenzen der Pop Art in der Schweiz», So, 7. Mai, bis So, 1. Oktober, Aargauer Kunsthaus, Aarau www.aargauerkunsthaus.ch

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BILD: BODARA

BILD: CHRISTOPH NIEMANN, COFFEE-SUNDAY-SKETCHING

Bei anderen läge noch der Gang in die Küche dazwischen.

Basel Meister der Metapher Christoph Niemann nimmt ein Stück Lebensrealität, einen Alltagsgegenstand, schiebt eine Idee dazwischen – und heraus kommt eine Illustration, die im Witz eine Metapher versteckt und die Wirklichkeit auf Wahrheit röntgen kann. Dabei sind die Bilder ganz einfach: ein Mann, eine Kaffeetasse im Gesicht. Diese eine Situation, dieses bestimmte Gefühl, dieser vertraute Sonntagmorgen-Körperzustand. Oder Guantanamo: ein Gittergeflecht – oder ist es ein Bildraster? – eine schemenhafte Figur, die auf ihre eigene Ikonenhaftigkeit reduziert ist: Und wir erschrecken ein bisschen, weil wir sofort erkennen, was hier zu sehen ist. Wir erschrecken darüber, wie schnell wir Bilder lesen – und zwar nicht etwa, weil wir es besonders gut könnten, sondern reflexartig, weil wir durch die Bilder in den Medien konditioniert sind. Und dann wieder, ganz sanft: ein Block, ein skizziertes Gesicht, die Papierecken bilden die Lippen. Gegenstand und draufgedachte Idee verschmelzen miteinander. Kein Wunder, ist der Deutsche Christoph Niemann international einer der gefragtesten Illustratoren, der für Zeitschriften wie The New Yorker arbeitet. (dif) «Christoph Niemann – That’s how!», Sa, 6. Mai bis So, 29. Oktober, Cartoonmuseum Basel, St. Alban–Vorstadt 28. www.cartoonmuseum.ch

Runde Zahl auf rotem Grund – das reicht zum Feiern.

Basel/Zürich Surprise, Surprise Vielleicht haben Sie es bemerkt: In der letzten Zeit haben sich laufend kleine Veränderungen ins Surprise eingeschlichen. Hier ein neues Format, da eine frische Kolumne, ein etwas anderes Bildkonzept. Jetzt endlich wagen wir den ganz grossen Sprung: Zur kommenden 400. Ausgabe von Surprise schenken wir uns – und Ihnen – eine Generalüberholung. Für das neue Heftdesign haben wir uns in erfahrene Gestalterhände begeben und uns inspirieren lassen von Ihren Rückmeldungen aus der Leserbefragung vom letzten Sommer. Lassen Sie sich am 19. Mai von der ersten Ausgabe im neuen Kleid überraschen – und feiern Sie mit uns! In Basel mit einer Festrede von David Sieber, Chefredaktor der bz Basel/bz Basellandschaftliche Zeitung. Unsere Autoren Stephan Pörtner und Khusraw Mostafanejad sowie Surprise-Verkaufende und -Stadtführer lesen Texte aus dem Strassenmagazin. Und der Surprise Strassenchor singt. In Zürich mit einer Festrede von Christof Moser, Co-Gründer Republik/Project R. Unsere AutorInnen Shpresa Jashari, Stephan Pörtner und Khusraw Mostafanejad sowie Surprise-Verkaufende und -Stadtführer lesen Texte aus dem Strassenmagazin. (win) Surprise #400, Vernissage und Apéro, Fr, 19. Mai, 19 Uhr, Flore, Klybeckstrasse 5, Basel, Di, 23. Mai, 19 Uhr, Sphères, Hardturmstrasse 66, Zürich. www.surprise.ngo/angebote/strassenmagazin

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Verkäuferinnenporträt «Ich will zeigen, was ich kann» Punitha Subhagaran, 38, verkauft Surprise in Langnau und Grosshöchstetten. Seit gut vier Jahren lebt sie im Emmental und fühlt sich dort schon voll und ganz zuhause. Von ihrem alten Leben in Sri Lanka, sagt sie, fehlen ihr nur ihre Eltern.

«Der Bürgerkrieg in Sri Lanka ist der Grund, weshalb ich heute in der Schweiz lebe. Meine beiden Brüder sind schon früher ins Ausland geflüchtet, nach Südafrika und Kanada. Meine Zwillingsschwester Pushpa ist 2002 verschwunden. Sie war mit einem Befreiungskämpfer der Tamil Tigers verheiratet, die beiden hatten ein Baby. Eines Abends wollte sie den Tempel besuchen, doch ich sagte, nein, sie solle das nicht machen, es sei zu gefährlich. Sie ging mit ihrem Kind trotzdem hin und kam nie mehr zurück. Ich weiss nicht, was mit ihnen geschehen ist, auch nicht, wo ihr Mann geblieben ist. Meine Eltern wollten danach, dass ich das Land verlasse, damit ich ein sicheres Leben führen kann. Eine Tante von mir, die in der Schweiz lebt, machte mich schliesslich mit einem tamilischen Mann bekannt, der schon seit Anfang der Neunzigerjahre hier ist. 2006 heirateten wir in Sri Lanka, in die Schweiz reisen konnten ich und unser 2007 geborener Sohn wegen der finanziellen Situation meines Mannes jedoch erst 2012. Es ist ein grosses Glück, dass wir jetzt hier leben. Nicht nur, weil wir als Familie zusammen sein können, sondern auch wegen der professionellen Betreuung unseres behinderten Sohnes. Er besucht die heilpädagogische Schule in Langnau, wird gefördert und macht grosse Fortschritte, seit wir in der Schweiz sind. Beispielsweise hat er angefangen zu sprechen – vorher hat er nie etwas gesagt, auch nicht auf Tamilisch. Unser zweiter Sohn ist dreieinhalb Jahre alt und geht in die Kita. So konnte ich einen Deutschkurs besuchen und letztes Jahr mit dem Verkauf von Surprise anfangen. Die Leute an meinen Standorten bei der Migros Langnau und bei Coop Grosshöchstetten sind sehr freundlich. Manchmal ergibt sich ein kurzes oder auch längeres Gespräch. Im Zug höre ich oft: ‹Hallo Punitha!› – viele Leute kennen mich vom Heftverkauf. Mein Leben hier in der Schweiz gefällt mir sehr. Von meinem alten Leben in Sri Lanka fehlen mir nur meine Eltern. Zum Glück kann ich sie regelmässig anrufen. Seit Anfang April besuche ich den sechsmonatigen Kurs ‹Hauswirtschaft und Betreuung› des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks Bern, um meine Chancen auf Arbeit zu verbessern. In Sri Lanka habe ich vor allem im Haushalt gearbeitet. Ende der Neunzigerjahre hatte ich einmal die Chance, als Lehrerin zu arbeiten und Viert- und Fünftklässler in Tamilisch und Rechnen zu unterrichten. Doch nach sechs Monaten war Schluss, denn meine Familie und ich mussten wegen des Bürgerkriegs umziehen. In diesem SAH-Kurs kann ich nun meine Kenntnisse vertiefen sowie mein Deutsch verbessern. Die ersten zwei Monate haben wir jeden Morgen Schule und lernen die wichtigsten Wörter für diesen Arbeitsbereich, dazu gehört auch ein bisschen Berndeutsch reden und verstehen. Danach folgt ein viermonatiges Praktikum bei einer Spitex-Organisation oder in einem Heim. Meine Tage sind momentan ziemlich ausgefüllt: Wenn der kleinere Junge in der Kita ist, gehe ich nach der Schule noch einige Stunden Surprise verkaufen und fahre erst dann heim nach Zäziwil. Spätestens um

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BILD: KARIN SCHEIDEGGER

AUFGEZEICHNET VON ISABEL MOSIMANN

16 Uhr müssen immer entweder ich oder mein Mann da sein, denn dann bringt der Schulbus den älteren Sohn nach Hause. Mein Mann arbeitet in einem Restaurant als Hilfskoch und hat unregelmässige Arbeitszeiten. Wenn er am Samstag frei hat und zu den Kindern schauen kann, verkaufe ich nochmals für ein paar Stunden Surprise in Langnau oder Grosshöchstetten. Habe ich frei, mache ich etwas mit den Kindern oder nähe. Meistens ändere ich Kleider, die mir, meinem Mann oder den Kindern zu gross sind. Zudem lese ich sehr gerne, am liebsten tamilische Romane. In nächster Zeit werde ich aber mehr lernen als lesen oder nähen, denn im Kurs gibt es regelmässig Lernkontrollen. Da will ich zeigen, was ich kann.» ■ SURPRISE 399/17


SurPlus – eine Chance für alle! Werden Sie Gotte oder Götti bei SurPlus Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkauf des Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation. Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neue Selbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialprogramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausgewählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufenden erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, Nahverkehrsabonnement) und werden bei Problemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft leisten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Verdienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Elsa Fasil Bern

Kostana Barbul St. Gallen

Ralf Rohr Zürich

Marlis Dietiker Olten

Negasi Garahassie Winterthur

Josiane Graner Basel

Tatjana Georgievska Basel

Emsuda Loffredo-Cular Basel

Anja Uehlinger Baden

Andreas Hossmann Basel

Haimanot Ghebremichael Bern

Roland Weidl Basel

Daniel Stutz Zürich

Markus Thaler Zürich

Ja, ich werde Gotte/Götti und unterstütze das SurPlus-Programm von Surprise! 1 Jahr: 6000 Franken

1/2 Jahr: 3000 Franken

1/4 Jahr: 1500 Franken

Vorname, Name

Telefon

Strasse

E-Mail

PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

1 Monat: 500 Franken

399/17 Talon bitte senden oder faxen an: Verein Surprise, Administration, Spalentorweg 20, 4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch, PC-Konto 12-551455-3 SURPRISE 399/17

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Surprise – mehr als ein Magazin

Ich möchte Surprise abonnieren! 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.– ) (Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen.) Gönner-Abo für CHF 260.–

Geschenkabonnement für: Vorname, Name

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PLZ, Ort

Rechnungsadresse: Vorname, Name

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Datum, Unterschrift 399/17

Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Verein Surprise, Administration Spalentorweg 20, 4051 Basel F +41 61 564 90 99, info@vereinsurprise.ch

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Hilfe zur Selbsthilfe Surprise unterstützt armutsbetroffene Menschen – beim Strassenverkauf, Strassenchor oder Strassensport, dem Sozialen Stadtrundgang oder Café Surprise: Der Verein fördert die soziale Integration der Betroffenen. Surprise gibt das vierzehntägig erscheinende Strassenmagazin heraus. Eine professionelle Redaktion produziert das Heft zusammen mit freien Journalisten, Fotografen und Illustratoren. Das Magazin wird auf der Strasse verkauft. Über 350 armutsbetroffene Menschen, denen der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, erhalten über den Strassenverkauf eine Erwerbsmöglichkeit und eine Tagesstruktur. Die Hälfte des Magazinerlöses behalten die Verkaufenden. Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht sozial ausgegrenzten Menschen eine Stimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit z.B. mit dem Sozialen Stadtrundgang in Basel und Zürich. Die Surprise-Stadtführer sind Armutsbetroffene, Ausgesteuerte und Obdachlose. Sie erzählen aus ihrem Alltag in ihrer Stadt und zeigen Orte, an denen man sonst vorübergeht.

Stärken. Bewegen. Integrieren. Surprise fördert die Integration mit Sport. In der Surprise-Strassenfussball-Liga spielen Teams aus der Deutschschweiz um den Titel des Schweizermeisters. Einige Spieler nehmen am Homeless World Cup teil. Seit 2009 hat Surprise einen eigenen Strassenchor. Gemeinsames Singen und Auftritte ermöglichen Glücksmomente für Menschen, für die der gesellschaftliche Anschluss erschwert ist. Café Surprise ermöglicht es Menschen mit wenig Geld, am sozialen Leben teilzunehmen: Gäste bezahlen ihren Kaffee und spendieren einen weiteren. Über Surprise Der Verein Surprise unterstützt Armutsbetroffene ohne staatliche Gelder. Das Strassenmagazin wird mit dem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inseraten finanziert. Für alle Angebote ist Surprise auf Spenden, Sponsoren und Stiftungen angewiesen. Surprise ist Mitglied des internationalen Netzwerkes der Strassenzeitungen (INSP), dem über 120 Magazine in über 40 Ländern angehören.

Impressum Herausgeber Surprise, Spalentorweg 20, CH-4051 Basel, surprise.ngo Öffnungszeiten Sekretariat Nicole Mathys, Thomas Oehler T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 info@surprise.ngo, Mo bis Fr 9 bis 12 Uhr Geschäftsleitung Paola Gallo (Geschäftsführerin) Sybille Roter (Stv. Geschäftsleitung) Jannice Vierkötter (Mitglied der Geschäftsleitung) T +41 61 564 90 62/63/64 geschaeftsleitung@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 60 anzeigen@surprise.ngo Redaktion Amir Ali (ami, verantwortlich für diese Ausgabe), Beat Camenzind (bc), Diana Frei (dif), Simon Jäggi (sim), Thomas Oehler (toe), Sara Winter Sayilir (win) T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Marie Baumann, Florian Burkhardt, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Khusraw Mostafanejad, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Flurin Bertschinger, Monika Bettschen, Stephanie Elmer, Andrea Ganz, Michael Gasser, Isabel Mosimann, Laura Kelly, Hanspeter Künzler, Miriam Künzli, Karin Scheidegger Gestaltung WOMM Werbeagentur AG, Basel Druck AVD Goldach Auflage 22 500, Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Marketing, Fundraising, Kommunikation Zaira Esposito, Nicole Huwyler, Katrin Pilling T +41 61 564 90 53/50, marketing@surprise.ngo

Geschäftsstelle Basel Vertrieb und Sozialberatung: Thomas Ebinger, Tarek Sayed Islami, Anette Metzner Spalentorweg 20, CH-4051 Basel T +41 61 564 90 83/90, basel@surprise.ngo Regionalstelle Zürich Vertrieb und Sozialberatung: Christian Sieber, Ralf Rohr Kanzleistr. 107, CH-8004 Zürich T +41 44 242 72 11, M+41 79 636 46 12 zuerich@surprise.ngo Regionalstelle Bern Vertrieb und Sozialberatung: Alfred Maurer, Negussie Weldai Scheibenstrasse 41, CH-3014 Bern T +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02, bern@surprise.ngo Café Surprise Zaira Esposito T +41 61 564 90 53, zaira.esposito@surprise.ngo Strassenchor Paloma Selma T +41 61 564 90 40, paloma.selma@surprise.ngo Strassenfussball Lavinia Besuchet (Leitung) T +41 61 564 90 10, lavinia.besuchet@surprise.ngo David Möller (Sportcoach) T +41 61 564 90 10, david.moeller@surprise.ngo Sozialer Stadtrundgang Gesamtleitung Basel und Zürich: Sybille Roter T +41 61 564 90 63, sybille.roter@surprise.ngo Koordination Basel: Paloma Selma T +41 61 564 90 40, rundgangbs@surprise.ngo Koordiniation Zürich: Carmen Berchtold T +41 44 242 72 14, rundgangzh@surprise.ngo Vereinspräsident Beat Jans

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsendungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinausgehende Beträge sollen – im Einverständnis mit der Spenderin oder dem Spender – allen Verkaufenden zugute kommen.

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GESUCHT: DER FAN-SCHAL FÜR DIE NATI 2017! Die Strassenfussball Nati nimmt vom 29.8. bis 5.9. am Homeless World Cup in Oslo teil – mit Ihrem Schal im Gepäck? Wie in den Jahren zuvor überreichen unsere Spieler auch in diesem Jahr ihren Gegnern zum Handshake original handgemachte Fanschals. Machen Sie mit! Der Schal sollte zirka 16 cm breit und 140 cm lang sein, am liebsten mit Fransen und – Sie haben es erraten – in Rot und Weiss gehalten. Gestrickt, gehäkelt, genäht: alles geht! Die Spieler unserer Nati werden den schönsten Schal küren – der Gewinnerin oder dem Gewinner winkt ein attraktiver Überraschungspreis!

Schicken Sie den Schal bis spätestens Freitag, 11. August 2017 an: Surprise | Strassenfussball | Spalentorweg 20 | CH-4051 Basel

ACHTUNG, FERTIG, STRICKEN!


GESCHICHTEN VOM FALLEN UND AUFSTEHEN

Porträts der Surprise Verkaufenden in Buchform

Kaufen Sie jetzt das Buch «Standort Strasse – Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» und unterstützen Sie einen Verkäufer oder eine Verkäuferin mit 10 CHF. «Standort Strasse» erzählt mit den Lebensgeschichten von zwanzig Menschen, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind – und wie gross die Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen. Porträts aus früheren Ausgaben des Surprise Strassenmagazins ergänzen die Texte. Der Blick auf Vergangenheit und Gegenwart zeigt selbstbewusste Menschen, die es geschafft haben, trotz sozialer und wirtschaftlicher Not neue Wege zu gehen und ein Leben abseits staatlicher Hilfe aufzubauen. Surprise hat sie mit einer Bandbreite an Angeboten dabei unterstützt: Der Verkauf des Strassenmagazins gehört ebenso dazu wie der Strassenfussball, der Strassenchor, die Sozialen Stadtrundgänge und eine umfassende Beratung- und Begleitung.

156 Seiten, 30 farbige Abbildungen, gebunden, CHF 40 inkl. Versand, ISBN 978-3-85616-679-3 Bestellen bei Verkaufenden oder unter: surprise.ngo/shop Weitere Informationen T +41 61 564 90 90 | info@surprise.ngo | surprise.ngo | Facebook: Surprise NGO


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