Surprise Nr. 411

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Strassenmagazin Nr. 411 20. Oktober bis 2. November 2017

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Das Schulheft

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Fürs Leben lernen Bildung, Erfolg, Freiheit: Schülerinnen und Schüler schreiben über die grossen Themen unserer Gesellschaft

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Kultur

Solidaritätsgeste

STRASSENCHOR

CAFÉ SURPRISE

Lebensfreude

Entlastung Sozialwerke

BEGLEITUNG UND BERATUNG

Unterstützung

Job

STRASSENMAGAZIN Information

Zugehörigkeitsgefühl Entwicklungsmöglichkeiten

STRASSENFUSSBALL

Erlebnis

Expertenrolle

SOZIALE STADTRUNDGÄNGE Perspektivenwechsel

SURPRISE WIRKT Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

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TITELBILD: BODARA

Editorial

Ein Schulheft Haben Sie sich scon einmal gefragt, was junge Leute von heute von der Welt hal­­ten? Wir haben Schülerinnen und Schüler zwischen 13 und 19 Jahren gebeten, für uns über die grossen Themen zu schreiben: Erfolg und Arbeit, Bildung und Klassenge­ sellschaft, Freiheit und Macht. Erhalten haben wir Schulaufsätze mit einer inneren Wahrheit und Ehrlichkeit, die manchem Erwachsenen abhandengekom­ men ist. Nah an den Ängsten, die eine offene Zukunft mit sich bringt, nah aber auch an einem Idealismus, den man sich bewahren will. Voller Unverständnis darüber, dass die Welt ist, wie sie ist. Die Texte sind Hochrechnungen für das Leben: Man nimmt a) die eigenen Erfah­ rungen, b) die Ratschläge der Erwachsenen,

Fotografie

DIANA FREI Redaktorin

12 «Vom Erfolg, es zu

6 «Felende Inteligenz

13 «Die korrekte

10 «In Einsteins

18 «Freiheit ist, wenn

ich selber entscheide, ob ich gläubig bin»

29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren

19 «Irgendwann muss

30 Surprise-Porträt

wagen, in die Ferien zu fahren»

20 «Der Prinz und

seine Wächter»

22 «Ich werde

es wenigstens Berechnungsmethodik versuchen.» von Erfolg» 22 «Wie laut ist die 7 «Mit Wörtern gedopt» 14 «Auf der Suche Stimme des nach dem Erfolg» Obdachlosen?» 8 «Was, wenn man 16 «Fehler sind nicht 25 «Die heutige Jugend» sich im Wald einfach irgendein verlaufen hat?» 26 «Wie geht’s dir?» Schimmel» 8 «Bildung ist die 17 «Eigentlich muss man 28 SurPlus Macht, die Zukunft nur die Treppe hoch» Positive Firmen zu verändern» durch Mangel an Bildung»

Fischteich»

11 «Kraft in

Wegrichtung»

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Wenn Sie nach den 19 Texten in diesem Heft noch nicht genug haben: Unter surprise.ngo/schulheft gibt es noch mehr Schulstoff. Wir danken den Schülerinnen und Schülern und ihren Lehrerinnen und Lehrern für das Engagement. Und den Eltern für das Einver­ ständnis zur Publikation.

5 «Vom Druck, sich

selbst­verwirklichen zu müssen»

Henri Lünsmann, 17, macht seit August die vierjährige Ausbildung als Grafiker EFZ bei Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik, das unter anderem das Surprise Strassenmagazin gestaltet. Parallel dazu absolviert er die Berufsmatura. Für diese Ausgabe ist er mit der Kamera losgezogen, um seine eigene Sicht auf die Themen zu zeigen, die in den Texten verhandelt werden. Die Bild­legenden stammen ebenfalls von ihm.

und c) die Fakten, die man aus Medien und Unterricht kennt. Das alles zählt man zu den eigenen Erwartungen hinzu und errechnet sich so von der Schulbank aus, wie das Leben ungefähr funktionieren wird. Und dann kommt doch nicht alles wie erwartet, ist das Leben eine einzige, fort­ laufende Korrektur.

man ja ausziehen»

«Ich schaue nach vorne» 3


Teseque latisci omnis intium quis nobitat emquianiet ipientur, quame imet aturion nonet as acienisqui nisqui volum

Das Schweizer Schulsystem ist weit verzweigt. Es gibt viele verschiedene Mรถglichkeiten, sich an einem Ort zu verwurzeln und sich ein Standbein zu schaffen. 4

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Vom Druck, sich selbst­ verwirklichen zu müssen TEXT  CARMEN MARTI

Jeder Normalsterbliche bekommt als Kind unzählige Male die Frage gestellt, was er denn gerne einmal machen würde, und je älter man wird, desto langweiliger werden die Antworten. Von Astronaut über Feuerwehrmann zu Zahnarzt, dann vielleicht Architekt und schliesslich gar kein Berufswunsch mehr, weil es mittlerweile einfach egal ist. Nur wenige Leute haben das Glück, ihren Kindheitsträumen nachjagen zu können. Die meisten Erwachsenen haben mit dem richtigen Träumen aufgehört und sehnen sich tagsüber vor allem nach einem Kaffee oder ihrem Bett. Aber darf man denn überhaupt noch wünschen? Das Träumen vom Traumberuf ist in unserer kapitalistischen Gesellschaft doch eher unvorteilhaft, und obwohl uns das allen irgendwie klar ist, spricht es doch keiner aus. Die schweizerische Wirtschaft ist ein Palast, gebaut aus zerbrochenen Träumen. Wir, die Gesellschaft, brauchen niedrig qualifizierte Arbeitskräfte, und wir brauchen grundsätzlich überhaupt mal Arbeitskräfte. Nicht jeder kann einen Job bekommen, den er so sehr liebt, dass er in seinem Leben keinen Tag als Arbeit empfindet. Und trotzdem wird das Jagen nach Träumen ständig befeuert, von Lehrern, Büchern, Psychologen und Eltern. Wichtig für das Glück sei nicht das Geld, sondern die Selbstverwirklichung. Das stimmt leider einfach nicht. Natürlich, man ist nicht umso glücklicher, je mehr Geld man hat. Der US-amerikanische Sozialpsychologe Abraham Maslow hat menschliche Bedürfnisse und Motivationen beschrieben und sie in der sogenannten Bedürfnishierarchie (auch: Maslow-Pyramide) dargestellt. Die Sicherheit steht an zweiter Stelle. Die Selbstverwirklichung hingegen Surprise 411/17

an der letzten. Um Sicherheit zu haben, braucht man unter anderem Geld. Ich gehe deshalb so weit zu sagen: Geld ist wichtiger für das eigene Glück als seinen Traumberuf zu haben, zumal viele Leute heute gar keinen mehr haben. Geld kriegt man häufig leider nicht, wenn man nur das tut, was man am liebsten tut. Viele Leute, zu denen ich mich übrigens auch zähle, würden schliesslich am liebsten gar nichts tun. Die freie Marktwirtschaft verhindert die Selbstverwirklichung. Ich muss für die freie Marktwirtschaft an dieser Stelle allerdings eine Lanze brechen, denn nur das zu tun, was einem selbst am besten passt, das funktioniert in keinem Bereich der Gesellschaft. Selbst in der ach so süssen Liebe muss man Kompromisse eingehen, damit das Schatzi nicht zu weinen beginnt. Damit das Portemonnaie nicht zu weinen beginnt, müssen Kompromisse auf dem Arbeitsmarkt eingegangen werden, und das bedeutet häufig, dass man seine Träume aufgeben muss. Dieses Aufgeben von Träumen wird oft mit dem Verkauf der eigenen Seele gleichgestellt, und wer offen zugibt, dass er seine Träume für einen anderen Job aufgegeben hat, um Brötchen nach Hause zu bringen, der wird als erfolglos und traurig angesehen. Dem ist aber nicht so, denn ein Verlierer ist nicht der, der seine Träume aufgibt. Ein Verlierer ist der, der ihnen nachtrauert. Dennoch steigt der Druck, sich unbedingt selbst zu verwirklichen, ständig an, und es wird immer schwerer, seine Träume loszulassen, denn uns allen wird schliesslich auch ständig gesagt, dass das schlecht sei. Dabei geht vergessen, dass im Wort «Selbstverwirklichung» das kleine Wörtchen «selbst» steckt. Die Entfaltung ist eine Herausforderung, die man nur selbst meistern kann. Die ständige Lüge der Gesellschaft, dass nur derjenige glücklich wird, der seinen Beruf liebt, macht es uns lediglich schwerer, unseren Träumen nicht nachzutrauern. Es ist völlig legitim, sich ein Luftschloss zu bauen, und es ist völlig legitim, dieses Luftschloss ein Luftschloss bleiben zu lassen. Das Unglück kommt nicht von der Diskrepanz zwischen Traum und Realität. Das Unglück beginnt dort, wo die Diskrepanz nicht akzeptiert wird. CARMEN MARTI ist 17 Jahre alt und Schülerin an der Kantons­ schule Zürich Nord. Die Schülerinnen und Schüler haben einen Essay zu einem der Reizworte Leistung, Erfolg, Selbst­ verwirklichung, Bildung, Macht und Freiheit geschrieben.

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Felende Inteligenz durch Mangel an Bildung VON  SANDRO BRUNNER

Heutzutage hat man in einem Grossteil der Welt ohne Bildung schlicht und einfach keine Zukunft. Das ist der Grund, weshalb wir alle tagtäglich topmotiviert zur Schule sowie später dann auch zur Arbeit gehen. Wir alle brauchen Geld. Geld, mit dem wir uns unsere Nahrung kaufen, uns unsere Träume erfüllen und uns unser Busticket für den Weg zur Arbeit bezahlen können. So denken die meisten Leute. Aber hinter der Bildung steckt halt eben leider doch noch ein bisschen mehr als nur die Absicht, Geld zu verdienen. Die Wirtschaft lebt von der Innovation. Genau deshalb ist es umso wichtiger, hochqualifizierte Leute auszubilden, und das wird immer schwieriger, je mehr in der Bildung gespart wird. Aber überlegen Sie mal: Wenn es das berüchtigte Phänomen der «felenden Inteligenz durch Mangel an Bildung» nicht geben würde, wäre auch nie irgendeinem in den Sinn gekommen, sogenannte Spar­ ­massnahmen im Bildungssektor vorzunehmen. Allerdings gibt es sie doch, und es wird gespart. So werden Sportstunden gestrichen, Klassen vergrössert, Lohnerhöhungen für die Lehrer gestoppt oder ihre Löhne gleich gesenkt. (Die Schüler erhalten keine Löhne, sie sind topmotiviert und gehen freiwillig zur Schule.) Nur blöd, dass in den vielen, beengenden, mit Schülern vollgestopften Klassenzimmern eine individuelle Betreuung kaum mehr möglich ist. Blöd nur, dass die Schüler dadurch weniger gefördert, dafür umso mehr gefordert oder halt eben auch überfordert werden. Noch blöder, wenn man zu all dem auch noch zu den Kindern gehört, die in ein fremdes Land einreisen mussten, sich an die fremde Sprache gewöhnen und sich dennoch mit kaum vorhandener fremder Hilfe durchschlagen müssen. Man sieht, dass durch die Sparmassnahmen das Phänomen der «felenden Inteligenz durch Mangel an Bildung» wieder präsenter wird. Es führt dazu, dass es Leute gibt, die davon überzeugt sind, im Bildungssektor sparen zu müssen. Dieser Teufelskreis wirkt sich dann langsam, aber sicher auch auf die Wirtschaft aus. Den tagtäglich 6

topmotivierten jungen Erwachsenen fehlt der Innovationsgeist, und das Phänomen der «felenden Inteligenz durch Mangel an Bildung» nimmt auch in diversen Firmen überhand. Blöd nur, dass wir alle Geld brauchen. Ich brauche Geld, um mir meine Nahrung zu kaufen, mir meine Träume zu erfüllen und mir mein Busticket für den Weg zur Schule bezahlen zu können. So denken alle Leute, und deshalb sollte man so schnell wie möglich die Sparmassnahmen im Bildungssektor einstellen, damit alle wieder tagtäglich topmotiviert zur Schule oder später dann auch zur Arbeit gehen und die Zukunft tatsächlich uns gehört! SANDRO BRUNNER ist 17 Jahre alt und Schüler an der Kantons­ schule Zürich Nord. Die Schülerinnen und Schüler haben einen Essay zu einem der Reizworte Arbeit, Erfolg, Klassengesellschaft, Bildung, Macht und Freiheit geschrieben.

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Man hat nie ausgelernt: Und so büffelt manch einer oft bis in die Nacht hinein.

Mit Wörtern gedopt VON  LUCA FAGA

Wenn junge Eltern ein paar Kameras und sehr viel Zeit haben, können sie ganz einfach eine grobe Vorhersage darüber machen, wie gut ihr Kind später mal abschneiden wird: Alles, was man dazu wissen muss, ist die Anzahl Wörter, die die Eltern dem Kind in dessen ersten zwei Lebensjahren gesagt haben. Dazu muss man einfach die Umgebung des Kindes konstant filmen oder Tonaufnahmen machen und danach die Wörter zählen. Simpel, oder? Surprise 411/17

Für eine Studie wurde das tatsächlich bei verschiedenen Kindern gemacht. Das interessante Ergebnis: Kinder aus niedrigeren sozialen Schichten bekamen etwa 15 Millionen Wörter zu hören, wogegen Kindern aus höheren sozialen Schichten deutlich mehr, etwa 50 Millionen Wörter, gesagt wurden. Dieser doch ziemlich markante Unterschied wird in der Fachsprache «30 Million Word Gap» genannt (die Differenz wurde ein wenig nach unten gerundet). Von der Seite des Gaps, wo ein Kind stand, hingen auch die Erfolgschancen ab – je grösser die Anzahl Wörter, desto höher die Chancen. Ob es jetzt an diesem «30 Million Word Gap» liegt oder nicht, die Statistiken sagen, dass ein privilegiertes soziales Umfeld zu einer privilegierten Bildung führt. Während bessergestellter Nachwuchs zu mehr als 60 Prozent im Gymnasium ist, sind fast 50 Prozent des benachteiligten Nachwuchses in der Sek B. Allgemein scheint in unserem Schulsystem Geld eine grössere Rolle zu spielen als die effektiven Fähigkeiten. Wenn zum Beispiel ein Kind aus reichem Haus nicht so gut ist, dann bekommt es halt so lange Nachhilfeunterricht, bis es gut ist oder – in der Schweiz wohl zwar eher nicht der Fall – man besticht die Lehrer so lange, bis es gut ist. Das darf eigentlich nicht so sein, auch wenn echte Chancengleichheit allgemein nicht als erreichbar angesehen wird. Zu verschieden sind die Umstände, in denen Kinder leben. Aber nicht alle Eltern können es sich leisten, daheim zu bleiben und mit dem Kleinkind zu schwatzen und so «Vorschuleunterricht» zu geben. Diejenigen, die es nicht können, benachteiligen ihr Kind damit bis zu einem gewissen Grad, was dazu führen kann, dass dieses dasselbe tun muss bei seinen Kindern – also der nächsten Generation. Das nennt man Teufelskreis. Simple Lösung für Eltern: Man nehme das Kind im Alter von null bis zwei, man nehme einen Fernseher mit einem deutschen Kinderprogramm und kombiniere beides. Die Eltern sind fein raus und haben Ruhe. Funktioniert nur leider nicht: Wörter, die der Fernseher anstelle der Eltern spricht, darf man nicht zur Gesamtmenge zählen, so ein Ergebnis der Studie. Also muss jemand viel Zeit damit verbringen, mit dem Kind zu diskutieren. Das muss man sich erst mal leisten können. Und so ist Bildung immer noch, wie schon seit Urzeiten, auch eine Geldsache, nicht nur eine Zeitfrage: Man muss mehr investieren, um mehr zu erhalten. Leider können nicht alle einfach mehr investieren. Übrigens darf man aber Wörter problemlos oft wiederholen, das zählt trotzdem. Wenn also Sie als Leserin oder Leser völlig unkreative Eltern sind, dann sollen Sie herzlich eingeladen sein, diesen Text Ihren Kindern vorzulesen. Nach dem hunderttausendsten Mal sind Sie dann ungefähr bei den 50 Millionen Wörtern angekommen. Sie haben zur Sicherheit sogar einen kleinen Überschuss. LUCA FAGA ist 17 Jahre alt und Schüler an der Kantonsschule Zürich Nord. Die Schülerinnen und Schüler haben einen Essay zu einem der Reizworte Bildung, Arbeit, Erfolg, Macht und Freiheit geschrieben.

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Was, wenn man sich im Wald verlaufen hat? VON  JEROEN UESBECK

«Bildung ist wichtig, Bildung macht Spass!» Solche Sätze hört man oft in der Werbung für weiterführende Schulen wie Universitäten oder Hochschulen. Jedoch sieht der Spass dann letztlich so aus, dass man nur im Hörsaal sitzt und einem mindestens 50-Jährigen zuhört, wie er über ein Thema spricht, das für das spätere Leben oder den zukünftigen Job kaum relevant ist. Der Student interessiert sich bis dann halbwegs dafür, dass er genug Wissen hat, um die Semesterprüfung zu bestehen. Danach vergisst er einen grossen Teil davon sofort wieder. Das geht bei vielen Menschen über Jahre hinweg so. Bei vielen Menschen durch die ganze Aus- und Weiterbildung hindurch, über ein Viertel ihres Lebens. Könnte man diese Zeit nicht sinnvoller nutzen? Ich spreche hier die Ineffizienz unseres Schulsystems an. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde Wissen genauso wichtig wie Sie. Aber bringt es mir wirklich etwas, den Satz des Pythagoras zu kennen, wenn ich später einmal Kaufmann werde, oder bringen mich meine Französischkenntnisse wirklich so weit in meinem Leben, wie die Lehrer in meinem Unterricht immer wieder sagen? Ich glaube nicht. Meiner Meinung nach sollte es weiterhin eine Primarschule geben, um die Grundausbildung eines Kindes zu gewährleisten. Danach würde ich aber versuchen, den Kindern zu helfen, ihre Vorlieben und Stärken zu erkennen und diese einer Ausbildung zuzuordnen. In dieser Ausbildung sollten die Kinder auf ihren späteren Job massgeschneiderte Fächer unterrichtet bekommen. So würden nicht Unmengen an Zeit und Geld verschwendet werden, und der neuen Generation würden Dinge gelehrt, die sie im Leben wirklich braucht. Sie denken, ich spinne und denke viel zu radikal. Sie haben recht. Aber überlegen Sie mal, wie viel Sie aus der sechsten Klasse noch wissen. Nicht so viel, nehme ich an. Und wissen Sie was, ich weiss auch nichts mehr, und ich bin gerade erst in der zehnten. Viele andere Dinge lernen wir dafür gar nicht. Was ich meine, sind Dinge wie die Steuererklärung. Meine Rechte. Aber auch, wie man sich in einer schwierigen Situation verhalten soll. Was man tun sollte, wenn jemand mit einem Messer vor einem steht oder wenn man sich im Wald verlaufen hat. Wüssten Sie wirklich, wie man sich in einer solchen Situation verhält? Ausserdem sollte es auch ein Fach geben, in dem Schüler über aktuelle Themen diskutieren. Ein Fach, in dem sie informiert werden. Denn ich persönlich denke nicht, 8

dass es noch viele Schüler gibt, die die Nachrichten schauen oder die Zeitung lesen. Aber wie Sie vielleicht wissen, muss der Kanton Aargau sparen, weil er Geldprobleme hat. Zum Beispiel spart man bei der Bildung. An den Schulen. Von der Primarschule bis zum Gymnasium sind alle betroffen. Obwohl ich gerade unser Schulsystem so angeprangert habe, sitzt aber die Zukunft, nämlich wir Schüler, immer noch in den Schulen. Wenn man den Schulen die Gelder kürzt, wird es die junge Generation zu spüren bekommen. Das Problem bei Kürzungen an Schulen ist, dass diese als Erstes beim praktischen Unterricht kürzen, zum Beispiel bei Ausflügen und Exkursionen. Die sind aber wichtig, um die Schule abwechslungsreich zu gestalten. Sie sind wichtig für die Motivation der Schüler. Ich bin kein Feind der Schule, denke aber, dass die Schule effizienter sein könnte. JEROEN UESBECK ist 18 Jahre alt und Schüler an der Kantons­ schule Baden. Die Klasse hat einen Aufsatz zu einem der Reizworte Leistung, Erfolg, Klassengesellschaft, Bildung, Macht und Freiheit geschrieben.

Bildung ist die Macht, die Zukunft zu verändern VON  THARRMEEHAN KRISHNATHASAN

«Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.» Mit diesem Zitat von John F. Kennedy möchte ich Ihnen meine Meinung über die Bildung näherbringen. Ich bin jetzt 19 und gehe in die Wirtschaftsmittelschule an der Kantonsschule Baden. Ich habe diesen Weg gewählt, weil ich es liebe, mir Wissen anzueignen, und weil mich Wirtschaft und Recht interessieren. Ich habe auch sehr viel gelernt, wichtige wie auch unwichtige Sachen, und Surprise 411/17


Vorsicht bei jedem Schritt: Die Schule bringt uns im Leben voran, wenn auch wir es wollen. Wer sich dem System nicht fügt, für den schwinden die Chancen und Perspektiven.

kann sagen, dass dieser Weg ein guter war. Als Kind war ich begeistert von meinem Umfeld; ein ziemlich neugieriges Kind war ich damals, wie andere Kinder in meinem Alter auch. Ein Kind lernt im Alter von wenigen Jahren sehr viel, die Lernfähigkeit nimmt mit fortschreitendem Alter aber ab. In unserer Gesellschaft ist der Bildungsstandard sehr hoch, was sehr gut ist, und als einzelne Person hat man Hunderte von Wegen, welche man beschreiten kann. Man hat Berufsfreiheit, und es gibt wenige Einschränkungen. Wir können nur von Glück reden, dass wir einen so hohen Bildungsgrad geniessen. Es gibt Länder, in denen es der Bevölkerung an einer Grundausbildung mangelt. Die Leute dort wären gerne an unserer Stelle, sie würden gerne zur Schule gehen und etwas lernen. Bei uns haben wir Leute, die keine Lust haben, in die Schule zu gehen, oder die gar ihr Studium abbrechen, weil sie keine Lust haben und nur herumhängen wollen. Ich denke, wir sollten ein bisschen dankbarer sein. Erfolg hängt meistens mit Bildung zusammen, ausser man ist Schulabbrecher und heisst Bill Gates oder Steve Jobs. Und Leute, welche gebildeter sind, verstehen ihre Welt, ihre Mitmenschen und auch ihre Umwelt besser. Sie Surprise 411/17

sind auch weniger ignorant als Leute, welche eine gute Bildung verachten. Wenn man Wissen hat, besitzt man eine ungeheure Macht, mit der man fähig ist, unsere Zukunft zu verändern. Ohne Bildung und Entwicklung gäbe es unsere Welt, wie wir sie kennen, gar nicht, und wir würden wahrscheinlich mit Steinen werfen und versuchen, uns gegenseitig zu töten. Heute besitzen wir dank genialen Menschen einen Laptop, um beispielsweise einen Aufsatz im Deutsch schreiben zu können. Ich habe mir oft Gedanken darüber gemacht, was wäre, wenn es eine weltweite Bildungsgleichheit gäbe. Vielleicht würden wir dann nicht unnötigerweise Krieg führen und unsere Leben verschwenden. Vielleicht gäbe es keine Armut, und vielleicht wäre auch gegenseitiges Verständnis möglich. In den kommenden Jahren werden die Leute zunehmend gebildeter sein, und vielleicht können wir etwas Grosses erreichen. Denn nur durch Entwicklung und Ausprobieren wird der Mensch fähig, aus seinen Fehlern zu lernen. TARRMEEHAN KRISHNATHASAN ist 18 Jahre alt und Schüler an der Kantonsschule Baden. Die Klasse hat einen Aufsatz zu einem der Reizworte Leistung, Erfolg, Klassengesellschaft, Bildung, Macht und Freiheit geschrieben.

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Assoziationskette: Schule. Arbeit. Tod. Hat da jemand die Schnauze voll?

In Einsteins Fischteich

Irgendeiner arbeitet immer irgendwo. Ein Prozess, in dem ständig Neues entsteht.

VON  MIGUEL SOLANA

Wie Albert Einstein schon sagte: «Jeder ist begabt! Aber wenn du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein Leben lang glauben, dass er dumm ist.» Ich muss fragen: Schule, bist du stolz auf das, was du gemacht hast? Realisierst du eigentlich, wie viele Kinder sich mit diesem Fisch vergleichen? Und glauben, dass sie unnütz sind, dass sie dumm sind? Ist es sinnvoll, Kinder Woche für Woche mehrere Seiten Vokabeln oder Rechnungsarten auswendig lernen zu lassen, und das immer und immer wieder? Nur damit sie das Wochen oder Monate später vergessen können, im besten Fall vielleicht nach der Schulzeit. Das Phänomen wurde sogar wissenschaftlich erforscht: Es wird «Vergessenskurve» genannt. Kinder, die lernen, und danach nichts wissen, fühlen sich wie Einsteins Fisch. MIGUEL SOL ANA ist 13 Jahre alt und Schüler an der Rudolf Steiner Schule Zürich. Die Klasse hat formal freie Texte zu den Reiz­worten Leistung, Erfolg, Klassengesellschaft, Bildung, Macht und Freiheit geschrieben. Die 13- bis 14-jährigen Schülerinnen und Schüler der Rudolf Steiner Schule sind die jüngsten Beteilig­ ten dieser Surprise-Ausgabe.

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Kraft in Wegrichtung VON  MATTHIAS RAMSAUER

Ich schreibe gerade einen Text. Ich arbeite. Ich mache mir gerade Gedanken. Ich arbeite. Was ist Arbeit, was bringt Arbeit, ist Arbeit nützlich? Physikalisch gesehen ist Arbeit Kraft in Wegrichtung. Arbeit ist demnach zielgerichtet, sie sollte bestenfalls auf etwas hinsteuern, sonst wird sie negativ und wirkt in die entgegengesetzte Richtung. Das ist Arbeit, die man zweimal machen muss. Doch das Ziel ist für jeden Menschen ein anderes. Es ist individuell. Als umso schwieriger erweist es sich, Arbeit gemeinsam zu Surprise 411/17

verrichten, denn man muss zuerst die Ziele des Arbeitskollegen kennen, ansonsten arbeitet man in verschiedene Richtungen. Der Ausdruck für «arbeiten» im Schweizerdeutschen bringt mich zu einem weiteren Aspekt, der bei der Arbeit mitschwingt. «Schaffe» erinnert mich an Beschäftigung. Arbeit ist eine Art der Beschäftigung, verliert jedoch ihren Sinn, wenn sie nur noch gemacht wird, um sich zu beschäftigen, denn Arbeit soll ja zielgerichtet sein. Beschäftigung ist eine Möglichkeit des Zeitvertreibs, aber sie zeigt auch: Jemand will mich beschäftigen, zum Beispiel, indem mich jemand anstellt. Dieser Jemand braucht mich. Er will, dass ich meine Zeit benutze, um in seine Wegrichtung Kraft auszuüben. Meine Arbeit ist also ein Gut, das ich besitze. Das jemand erwerben kann, wenn er es braucht. Doch jetzt kommt die Schattenseite. Dieser ominöse Arbeitgeber muss mich nicht anstellen. Vielleicht braucht er mich momentan nicht, dann hat meine Kraft einfach kein Ziel, zu dem sie hinstreben kann, und somit keine Wirkung. Das neue Ziel heisst jetzt – richtig, Arbeit. Und wer arbeitslos ist, erfährt von einer weiteren Bedeutung von Arbeit: Fähigkeit. Wer Arbeit hat, ist fähig, etwas zu leisten, der wird gebraucht. Wer keine Arbeit hat, ist unfähig, wird nicht gebraucht und in eine Ecke geschmissen. Und dann muss man sich langsam wieder hocharbeiten. Aber erst, nachdem man den Schock der Arbeitslosigkeit verarbeitet hat. Geht denn nichts, ohne zu arbeiten!? Wo bleibt bloss die freie Zeit, die Musse, wo bleiben die Dinge, mit denen man sich beschäftigen kann, ohne zu arbeiten? Diese Tätigkeiten sind selbstverständlich wichtig, vielleicht gerade weil man sie einfach so machen kann, sie müssen kein Ziel haben. Sie sind ein guter Ausgleich zum Joballtag, der sehr intensiv sein kann – so zielgerichtet, dass man das Ziel gar nicht mehr sieht. Man sollte bei jeder Arbeit, die man tut, das Ziel dahinter erkennen können. Sonst kann man die Arbeit nicht sinngemäss zu Ende bringen, da man ein anderes Ziel im Sinn hat, oder man arbeitet gegen die eigenen Ziele. Um nicht in so eine nutzlose Arbeit hineinzurennen, hilft vor allem der dritte von drei Punkten, die man bei einer Aktivität immer anwenden sollte: planen, durchführen und auswerten. Beim Auswerten findet man he­ raus, ob die Ziele, die man sich beim Planen gesetzt hat, bei der Durchführung erreicht worden sind. So erkennt man, ob die Arbeit zielgerichtet war, und bemerkt nächstes Mal schon bei der Planung: Oh, diese Arbeit bringt mir nichts. Ich werde sie nicht ausführen. Dieser Entschluss benötigt einiges an Entscheidungskraft und auch Verantwortungsbewusstsein. Diese kommen oft erst mit der Erfahrung. Doch keine Angst, die kann man sich ja noch erarbeiten. Und so beende ich hier meine Arbeit. Ob sie zielgerichtet war, befindet diesmal ein anderer. MAT THIAS R AMSAUER ist 17 Jahre alt und Schüler an der Kantonsschule Zürich Nord. Die Schülerinnen und Schüler haben einen Essay zu einem der Reizworte Arbeit, Erfolg, Klassengesellschaft, Bildung, Macht und Freiheit geschrieben.

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Vom Erfolg, es zu wagen, in die Ferien zu fahren VON  NIK MEILE

Erfolg ist ein Gefühl der Befriedigung. Das muss gesagt werden, um sich eine Vorstellung von Erfolg zu machen, und es beantwortet auch, was Erfolg ist. Befriedigung in diesem Sinne heisst aber, etwas erreicht zu haben, viel Zeit in etwas investiert zu haben, vielleicht frustrierende Probleme gelöst zu haben und trotz allen Widerständen sein Ziel erreicht zu haben. Dieser Moment, wenn man das Unmögliche vollbracht hat, das ist Erfolg. Doch jeder Mensch hat andere Träume und Ziele, und damit hat auch jeder Mensch eine andere Ansicht von Erfolg – seinem eigenen oder dem von anderen. So wird ein Hippie dem Banker nicht zu seinem neuesten Geschäftsabschluss gratulieren. Allerdings würde er einer Freundin zu ihrem neugeborenen Kind gratulieren. Dieses Verständnis, dass nicht nur Kunst, sondern auch Erfolg und vieles mehr im Auge des Betrachters liegt, fehlt vielen Menschen. Es ist aber essenziell, um die Motivation anderer und von sich selbst zu verstehen. Erfolg in der Schweiz? «Leistungsgesellschaft» ist hier ein gutes Stichwort, und «Von nichts kommt nichts» das dazu passende Sprichwort. Denn Erfolg wird in der Schweiz wie in den meisten Ländern mit Leistung verbunden, und diese wiederum mit Arbeit. Was hier aber falsch am Platz ist, ist die Arbeit. Zu viele Menschen sehen den Erfolg nur in ihrer Karriere, während sie oftmals kleinere, zwischenmenschliche oder allgemeine Erfolge igno­ rieren, herabsetzen oder gar als Misserfolg empfinden. Ein Beispiel mit dem oben genannten Banker: Er ist seit Jahren nicht mehr in die Ferien gegangen und steht unter Dauerstress. Für ihn ist sich endlich Ferien zu gönnen etwas, das er scheut. Etwas, das er aus Angst, den Job zu vernachlässigen, eigentlich gar nicht machen möchte. Er braucht Überwindung, um sich von seiner Arbeit zu lösen. Doch ist es dann endlich getan, und unser Banker liegt nach Jahren wieder einmal entspannt am Strand, so ist das für ihn doch als etwas Erfolgreiches zu verbuchen? Was das mit der Schweiz zu tun hat? Wir sind eine extreme Leistungsgesellschaft. Das zeigen die vielen Probleme, die wir mit Südkorea, einer Leistungsgesellschaft schlechthin, teilen. Allem voran unsere hohe Selbstmord­ rate und der gesellschaftliche und elterliche Druck, dem wir ausgesetzt sind. Die Schule ist das perfekte Beispiel, um eine Leistungsgesellschaft als Leistungsgesellschaft und Erfolg durch Arbeit zu beschreiben. Wie Sie wissen, werden Schüler 12

nach ihrer Leistung benotet, und diese sechs Zahlen sind ziemlich wichtig für unsere Zukunft. Zumindest wurde es mir mein ganzes Leben lang gesagt, und hier liegt der Hund begraben. Unsere Mentalität, unser Charakter und unser Denken werden von klein auf bearbeitet und nach den gesellschaftlichen Ansichten und elterlichen Wünschen geformt. Das ist zwar etwas völlig Normales, doch in der Schweiz (und in vielen anderen Ländern) sind diese Ansichten und Wünsche mit Leistung und dem damit einhergehenden Erfolg verbunden. Ein Zitat meines Vaters, um das Ganze zu veranschaulichen: «Es ischmer relativ egal was du machsch oder wieviel rauchsch, solang du gueti Note hesch.» Das Witzige dabei ist, er hat recht. Das einzig Wichtige in meiner Zukunft in der Schweiz sind die Schule und ihre Noten. Denn ohne gute Noten beziehungsweise Abschlüsse und Diplome geht gar nichts. Ich möchte keinen Erfolg in der Schule und Karriere. Doch wenn mich etwas in der Schule antreibt, ist das nicht Erfolg. Nein, was mich antreibt – und ich bin mir sicher, dass ich damit nicht alleine bin –, ist die Angst. Die Angst, nichts zu erreichen. Nicht die Motivation und die Belohnung für den Erfolg. Sondern die Angst, nie Erfolg zu haben. NIK MEILE ist 18 Jahre alt und Schüler an der Kantonsschule Baden. Die Klasse hat einen Aufsatz zu einem der Reizworte Leistung, Erfolg, Klassengesellschaft, Bildung, Macht und Freiheit geschrieben.

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Die korrekte Berechnungs­ methodik von Erfolg VON  LUCA WALTHER

If und would, Satz kaputt. Und auch alle Antworten bereits zu kennen, wäre ein Fehler.

Erfolg bedeutet, etwas zu leisten und somit ein Ziel zu erreichen. Dabei zählen Leistung und Ziel ungefähr gleich viel. Doch viele bewerten das Ziel als wichtiger, es ist halt offensichtlicher. Man kann sein Leben lang arbeiten und um jeden kleinen Rappen streiten, trotzdem könnte man nie mit so viel Geld blöffen wie die seit der Geburt mit dem Mund voller Goldlöffel. So besteht der Grund ihrer Erfolge einzig in der Erbfolge, und der Zufall mit seinen zwei Schneiden lässt den einen frohlocken, den anderen leiden. Ausserdem ist das Ziel nicht nur kaum glücks-beständig, sondern auch noch ortsabhängig. Wie sonst ist es zu erklären, dass, wenn man mehrere Sprachen spricht, zu jeder noch eine eigene Schrift, zu Fuss halb Afrika durchquert, das Mittelmeer dann überlebt, es in Europa nichts zählt? Denn in Europa zu sein ist hier kein schwer erreichbares Ziel. Was ich eigentlich erreichen will, macht euch klar, der Weg ist das Ziel. Denn das Ziel ist immer relativ, allein die Leistung bleibt stativ. Oder wie Einstein es schon sagte: Erfolg ist gleich Ziel mal Leistung im Quadrat. Und die Moral von der Geschicht, eine Drei im Franz verdien ich nicht! LUCA WALTHER ist 17 Jahre alt und Schüler am Gymnasium Neufeld, Bern. Die Klasse hat formal freie, persönliche oder fiktionale Texte zu den Reizworten Leistung, Erfolg, Klassengesell­ schaft, Bildung, Macht und Freiheit geschrieben.

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Auf der Suche nach dem Erfolg VON  SHARUSHAN ATPUTHARASA

Die Lehrerin stellte dem Schüler, Mert, die Frage: «Was ist Erfolg für dich?» Mert starrte die Lehrerin nur stur an und sagte kein Wort. Mert wusste nicht, wie er Erfolg definieren sollte und was ihm Erfolg genau bedeutete. Diese Frage begleitete Mert den Schultag hindurch bis spät­ abends im Bett. Er dachte stundenlang nach, aber fand keine Antwort, da er sehr viele unterschiedliche Einfälle dazu hatte. Am nächsten Tag frühmorgens fragte er seine Eltern: «Mama und Papa, was heisst Erfolg genau?» Die Mutter antwortete auf Türkisch: «Mein Sohn, dein Vater und ich sind aus der Türkei geflohen, weil wir dort in Armut lebten und keine Arbeitsmöglichkeiten hatten. Wir wollten, dass du in deinem Leben Erfolg hast, indem du einen guten, anerkannten Beruf ausübst und reich wirst.» Mert bedankte sich bei seiner Mutter und nahm das Fahrrad seines Vaters, um in die Schule zu fahren. Er radelte mit einer Hand das Fahrrad lenkend die Strasse entlang, in der anderen Hand drehte er einen Zettel herum. Als er dann verschwitzt in die Klasse kam, war das Zimmer leer, nur die Lehrerin war dort, die ihn strahlend anblickte. Während er sie lächelnd begrüsste, nahm er ganz vorne in der Nähe der Wandtafel Platz. Die Lehrerin bemerkte den Zettel in Merts Hand. Neugierig fragte sie ihn: «Was hast du in der Hand?» Aufgeregt zeigte er der Lehrerin den Zettel, währenddessen schwitzte er noch mehr und seine Knie fingen an zu zittern. Er hatte Angst, dass die Lehrerin ihn auslachen würde. Doch die Lehrerin freute sich, als sie den Zettel anschaute. Sie war beeindruckt, dass er sich Gedanken über Erfolg gemacht hatte. Auf dem Zettel stand die Definition von Erfolg, die seine Mutter ihm gegeben hatte. Die Lehrerin widersprach: «Erfolg heisst nicht nur das, sondern auch, dass du deine Ziele nicht aus den Augen verlierst und dass du sie zu erreichen versuchst. Erfolg heisst auch, dein Leben frei zu gestalten und so zu leben, wie du es möchtest!» Mert machte sich nach dieser Antwort nur noch mehr Gedanken, er wusste, dass sowohl die Eltern als auch die Lehrerin recht hatten. Entscheiden konnte er sich nicht für das eine oder das andere, da er unsicher war. Später kamen die Klassenkameraden, somit fing die Schulstunde an. Während der Lektionen war er sehr nachdenklich, in der Pause führte er eine Diskussion mit seinem besten Freund, der gesehen hatte, dass Mert sich über etwas Gedanken machte. Sein bester Freund erklärte ihm, dass Erfolg im Leben eine wichtige Rolle spiele. Als Mert ihm mit einem «Warum?» antwortete, sagte sein Freund: «Du 14

musst viel Geld für deine Zukunft haben. Damit kannst du dir teure Designerklamotten leisten, eine schöne Frau heiraten, ein grosses Haus bauen und ein Traumauto kaufen. So wirst du in der Gesellschaft eine angesehene Persönlichkeit sein. Wenn du das schaffst, dann hast du Erfolg im Leben. Mit diesem Erfolg kannst du zu der besseren Gesellschaftsschicht gehören. Wenn du aber wenig Geld hast und keinen prestigeträchtigen Beruf hast, gehörst du zu dieser Gesellschaftsschicht nicht dazu, weil dich diese Leute nicht beachten werden.» Aufgrund der grossen Anzahl an Definitionen stellte Mert fest, dass Erfolg im Leben eine sehr wichtige Rolle spielen muss. Bemerkenswert fand er auch, dass die Frage Surprise 411/17


Erfolg ist nicht an einer Stelle stehenbleiben. Sondern auftauchen, aufsteigen und vorwärtskommen.

«Was ist Erfolg für dich?» keine leichte, sondern eine sehr schwierige und komplexe Frage ist. Mert nahm sich die Antworten von den Eltern und Freunden zu Herzen. Er legte los und begann mehr für die Schule zu lernen, um bessere Noten zu bekommen. Damit er eine gute Ausbildung ausüben konnte und den Erfolg spüren würde. Heute ist Mert 35 Jahre alt und arbeitet als Geschäftsführer für eine bekannte Bank. SHARUSHAN ATPUTHARASA ist 17 Jahre alt und Schüler an der Kantonsschule Baden (Informatikmittelschule). Die Schülerinnen und Schüler haben Geschichten geschrieben, in denen folgende Wörter eine zentrale Rolle spielen: Erziehung, Bildung, Leistung, Macht.

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Fehler sind nicht einfach irgendein Schimmel VON  YIKUAN CHEN

Sie sitzen in einem Schulzimmer und der Lehrer verteilt Ihnen die Prüfung, welche Sie kürzlich geschrieben haben. Er zögert kurz, bevor er Ihnen Ihre Prüfung zurückgibt. Sie haben für diese Prüfung lange gelernt, erfahren jetzt aber, dass Sie ungenügend sind. Jeder kennt das Gefühl, wenn man etwas versucht, es aber nicht schafft. Man ist gescheitert und fühlt sich danach schlecht. Kann es aber sein, dass man, obgleich man einen Fehler begangen hat, trotzdem weiterkommt oder sogar erfolgreicher wird? Dagegen spricht, dass man von seiner eigenen Leistung enttäuscht ist und nicht mehr weitermachen will, da man keinen Sinn mehr darin sieht. Man möchte lieber aufhören. Im schlimmsten Fall wird man diese Aufgabe oder dieses Thema und den Lehrer, der es unterrichtet, hassen. Im Untergymnasium hatten einige Schüler schlechte Noten in Latein. Das hat dazu geführt, dass sie keine Vokabeln mehr lernen wollten und auch die Grammatik vernachlässigten. Eine andere Sichtweise wäre, dass der oder die Gescheiterte durch das schlechte Ergebnis noch mehr angespornt wird und somit eine bessere Leistung hervor16

bringt. Ich habe in einem Stück im Orchester die Haupt­stimme und bin somit ein wichtiger Teil. Letzte Woche, als wir Probe hatten, konnte ich diesen Teil aber nicht spielen. Das hat mich dazu gebracht, diese Woche noch mehr zu üben. Jetzt könnte ich das Stück schon fast vorführen. Man könnte allerdings auch sagen, dass die Schuld für das Scheitern immer bei der Person liegt, die versagt hat. Wenn sie ihre Aufgabe beherrschen würde, könnte sie das Problem ohne Weiteres lösen, ohne dabei den einen gravierenden Fehler zu begehen, der dazu führt, dass die ganze Aufgabe scheitert. Wenn man in der Schule für eine Prüfung oder auch eine Vorführung nicht genügend lernt und übt, wird man später auch im Berufsleben nie erfolgreich werden. Trotzdem kann man im Sport zum Beispiel nicht sagen, dass der Letzte, der bei den Olympischen Spielen über die Ziellinie läuft, sich nicht genug angestrengt oder dass er nicht genug trainiert hätte. Er hat schon eine riesige Leistung vollbracht, um überhaupt dabei sein zu können. Er ist in seiner Disziplin bereits den meisten Menschen der Welt überlegen. Es kann sein, dass er einfach einen schlechten Tag hatte oder dass er nicht genug unterstützt wurde. Dadurch, dass er auf dem letzten Platz landet, wird er versuchen, nächstes Mal eine bessere Platzierung zu erreichen. Er kann auch das Positive daran sehen, dass es für ihn nicht mehr weiter hinunter, sondern nur noch hinauf gehen kann. Kann man also erfolgreich scheitern? Das stärkste Argument, dass doch dagegen spricht, ist, dass man durch sein eigenes Versagen andere Menschen in Gefahr bringen könnte. Wenn man zum Beispiel nicht mit technischen Geräten, Fahrzeugen, Chemikalien oder auch Werkzeugen umgehen kann, kann es zu einer Katastrophe kommen, die im schlimmsten Fall ganze Städte zerstören kann. Wenn man sich an Fukushima erinnert und dabei bedenkt, wie viel Schaden die Strahlungen hinterliessen, und wenn man bedenkt, dass es überall auf der Welt Atomkraftwerke gibt, die in Betrieb sind, wird man zum Schluss kommen, dass es auch in der Schweiz zu einer riesigen Katastrophe kommen kann, wenn man die Kraftwerke nicht richtig kontrolliert und betreibt. Unfälle müssen aber nicht immer ein so grosses Ausmass haben. Es können auch einfach kleine Experimente sein, die misslingen, weil man nicht aufgepasst hat oder Stoffe verwechselt hat. Und die wiederum könnten auch positive Folgen haben. Man könnte in der Chemie einen neuen Stoff produzieren, in der Mathematik neues Wissen erlangen, in der Astronomie neue Sterne und Planeten entdecken oder in der Biologie neue Heilmethoden finden. So sollen auch Antibiotika durch ein kleines Missgeschick entdeckt worden sein: Ein Wissenschaftler wollte ein Experiment mit Bakterien durchführen. Sein Arbeitsplatz war nicht so sauber, sodass sich nach einiger Zeit ein Pilz ausbreitete und die Bakterien abtötete. Der Pilz war nicht irgendein Schimmel, sondern der, aus dem man in der Folge heutige Antibiotika entwickelte. Durch das Scheitern kann man starke Rückschläge erleiden, die die Motivation senken. Es kann aber auch Surprise 411/17


das Gegenteil bewirken – man versucht noch viel stärker, sein Ziel zu erreichen. Man kann aber auch anderen und nicht nur sich selber schaden, wenn man sich der Gefahren nicht bewusst ist. Trotzdem wären wir ohne das Scheitern gewisser Menschen heute nicht so weit, wie wir sind. Für mich ist es also nichts Negatives, wenn man einen Fehler macht. Sehen Sie es als Gelegenheit, Ihre Leistung zu toppen, wenn Sie das nächste Mal in einer Prüfung schlecht abschneiden. YIKUAN CHEN ist 16 Jahre alt und Schüler an der Kantonsschule Zürich Nord. Die Klasse hat eine Erörterung zur Frage «Kann man erfolgreich scheitern?» geschrieben.

Eigentlich muss man nur die Treppe hoch VON  ROBERT JASHARI

«Freiheit heisst Verantwortlichkeit, darum wird sie von den meisten gefürchtet», heisst ein berühmtes Zitat des irischen Dramatikers George Bernard Shaw. Mein erster Gedanke dazu war: «Freiheit in welchem Zusammenhang?» In erster Linie dachte ich über die Volljährigkeit nach, denn erst, wenn man seine Eltern verlässt, bekommt man ein Gespür für Freiheit und damit auch für Verantwortlichkeit. «Wie wird es sein, alleine zu leben? Und vor allem, werde ich in der Lage sein, mein Leben selbständig zu finanzieren?» Ich denke, ich bin nicht der einzige Schüler, dem diese Fragen durch den Kopf gehen, denn bisher konnten wir (fast) alles unseren Eltern überlassen. Egal, was geschah, Mama und Papa waren da und erledigten für uns alles. Doch irgendwann ist Schluss mit lustig. Tatsächlich gibt es Jugendliche, die Furcht vor der Tatsache haben, irgendwann alleine auskommen zu müssen. Zu denen gehöre ich aber nicht. Ich bin ein Mensch, der alles auf sich zukommen lässt. Behaupten, dass ich vor gar nichts Angst habe, kann ich nicht. Tatsächlich habe ich Angst vor Spinnen oder vor Wespen, aber ganz sicher nicht vor meiner Zukunft. Würde ich in meinem Heimatland leben, wäre das wahrscheinlich anders, denn dort Surprise 411/17

hat man eine ziemlich beschränkte Perspektive an Möglichkeiten. Bleiben wir bei der Schweiz. Hier kann man seine Zukunft immer wieder neu gestalten. Ich kenne Leute, die wurden vom Automechaniker zum Ingenieur, und das heisst für mich, dass man hier alles erreichen kann, solange man die nötige Motivation hat, was beispielsweise in Serbien nicht so ist. Nun stelle ich mir die Frage, weshalb man Angst vor der Verantwortlichkeit haben sollte. Statt in einem relativ jungen Alter über die Selbständigkeit nachzudenken, sollte man eher seine Jugend geniessen und den Rest mitgleiten lassen. Es ist auch nicht so, dass man irgendwann einfach in ein Loch fällt und von einem Tag auf den anderen selbständig werden muss. Der Weg zur Selbständigkeit gleicht viel eher einer Treppe, und mit jeder Stufe, die er hochgeht, wird der Mensch erfahrener und somit erwachsener. Hat man die Treppe hinter sich, hat man ein Fundament an Kenntnissen, das man mit der Zeit ausbaut. Man muss sich mit neuen Aufgaben beschäftigen, wie Steuern und Rechnungen zahlen. Man hat einen festen Arbeitsplatz und erhält für die erledigte Arbeit einen Lohn. Doch um sich diesen Lohn auch zu verdienen, muss man die Arbeit sauber und gründlich erledigen. Man muss pünktlich und ordentlich zum Arbeitsplatz erscheinen. Wenn man sich das Ganze als Jugendlicher durch den Kopf gehen lässt, könnte man denken, dass es vielleicht tatsächlich Grund zur Sorge gibt. Solange man aber geduldig seine Treppe hochsteigt, wird das nicht so sein. Man gewöhnt sich an die Lebensumstellung, genauso wie man sich an einen Schulwechsel gewöhnt. Mit der Zeit wird man im Leben immer stärker gefordert, bis zu dem Punkt, wenn man im Alter ankommt. So läuft es nun einmal, und deshalb sollte man sich die nötige Zeit nehmen und sein Leben beim Treppensteigen auch geniessen. ROBERT JASHARI ist 15 Jahre alt und Schüler an der Kantons­ schule Baden (Informatikmittelschule). Die Schülerinnen und Schüler haben sich aus einer Auswahl an Themen und Zitaten eines ausgesucht und die eigene Position dazu erklärt.

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Freiheit ist, wenn ich selber entscheide, ob ich gläubig bin VON  SVENJA OBSCHLAGER

Freiheit bedeutet für jede Person etwas anderes. Es kann bedeuten, dass Jugendliche selber entscheiden möchten, was sie anziehen möchten, wie lange sie am Handy sind, mit wem sie sich am Abend oder am Mittag verabreden möchten, was sie in ihrer Freizeit machen. Ob sie ins Kino gehen möchten oder ins Schwimmbad, ob sie alleine sein oder mit ihren Freunden etwas unternehmen möchten. Freiheit bedeutet auch, dass Jugendliche selber entscheiden können, ob sie einem Hobby nachgehen. Ob sie zum Fussball, in die Geigenstunde, ins Tanzen oder in den Chor gehen wollen. Wenn Jungen und Mädchen in die Pubertät kommen, möchten sie mehr Freiheit haben als früher, sie möchten selber entscheiden können und sich nichts mehr von den Eltern sagen lassen. In der Schweiz darf man ab 16 Alkohol trinken, rauchen und noch mehr, was man früher noch nicht durfte. Ab 18 darf man wählen und abstimmen. Ein paar Jugendliche wollen mit allem am liebsten schon viel früher anfangen, und es ist für sie dann das Tollste, wenn sie endlich das Recht dazu haben. In einigen Ländern, wo man sehr gläubig ist, müssen Frauen verschleiert herumlaufen. Für mich wäre das keine Freiheit. Ich will selber entscheiden können, ob ich mich verschleiern möchte oder nicht. In den Ländern, wo Krieg herrscht, haben die Menschen eigentlich gar keine Freiheit. Sie leben in Angst und hoffen, dass sie überleben können. Diese Menschen können nicht entscheiden, was sie in ihrer Freizeit machen möchten, weil sie überhaupt keine Freiheit haben. In anderen Ländern wird ein junges Mädchen einfach mit einem Mann verheiratet, den sie gar nicht kennt. Für mich bedeutet Freiheit auch, dass ich selber entscheiden kann, wen ich heiraten möchte und wen nicht. In einigen Familien muss man einfach in die Kirche, es gibt keine Diskussion. Egal, ob das Mädchen oder der 18

Das Darknet ist aufgrund der absoluten Anonymität der letzte Ort, an dem man sich vollkommen frei bewegen kann.

Junge hingehen will oder nicht, er oder sie muss einfach. Für mich bedeutet Freiheit, dass ich selber entscheiden kann, ob ich gläubig bin oder nicht, und dass das nicht die Eltern für mich machen. In der Arbeitswelt wiederum sind die Löhne Frauen gegenüber sehr ungerecht verteilt, denn die Männer verdienen im Durchschnitt mehr als die Frauen, obwohl die Frauen die gleiche Arbeit machen wie die Männer. Ich finde, Freiheit ist sehr wichtig für das Leben. Vor allem für Teenager ist Freiheit sehr wichtig. Trotzdem glaube ich, sie sollten auch nicht zu viel davon haben. SVENJA OBSCHL AGER ist 14 Jahre alt und Schülerin an der Rudolf Steiner Schule Zürich. Die Klasse hat formal freie Texte zu den Reizworten Leistung, Erfolg, Klassengesellschaft, Bildung, Macht und Freiheit geschrieben. Die 13- bis 14-jährigen Schülerin­ nen und Schüler der Rudolf Steiner Schule sind die jüngsten Beteiligten dieser Surprise-Ausgabe.

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Irgendwann muss man ja ausziehen VON  NINA CARUSO

«Ich denk’ zurück an die Zeit, als ich noch Kind war / Wir waren Kinder, klein und sorglos» «To be a child again and have no worries on my mind» Der Gedanke «Ich will wieder ein Kind sein» wird nicht nur von Mudi oder Johnny Tillotson in umfangreiche Songs verpackt. Er ist zu einer Floskel geworden, obwohl Surprise 411/17

sich dahinter sehr viel Bedeutung versteckt. Als Kind ist man unwissend und wird bevormundet. Das heisst, es wird einem gesagt, was und vor allem wie man etwas zu tun hat. Die Verantwortung wird einem grösstenteils abgesprochen, und mit ihr auch eine gewisse Freiheit. Freiheit wird erfahrungsgemäss mit positiven Gedanken in Verbindung gebracht. Die romantische Seite des Menschen denkt an die unendlichen Möglichkeiten, freien Entscheidungen und Gelegenheiten. Als ich im Frühling letzten Jahres volljährig wurde, starb meine romantische Seite. Ich wurde plötzlich mit Fragen, Aufgaben und Verpflichtungen konfrontiert, die mich komplett überforderten. Plötzlich wurden mir Dinge klar, denen ich vorher keinen Gedanken geschenkt hatte. Irgendwann muss man ja ausziehen, irgendwann muss man seine Rechnungen selber pünktlich bezahlen, irgendwann muss man lernen, mit Geld richtig umzugehen. Das Wichtigste, was ich gelernt habe, war eindeutig, dass ich alleine für meine Entscheidungen geradestehen muss. Ich habe nicht meine Mutter hinter mir und kann mich damit entschuldigen, dass sie es mir so gesagt hat. Ich muss selber abwägen, welches der richtige Weg ist und wie ich diesen einschlagen soll. Für mich und unzählige andere Jugendliche ist die Schwelle zur Volljährigkeit ein extrem grosser und auch herausfordernder Schritt. «Freiheit heisst Verantwortlichkeit, darum wird sie von den meisten gefürchtet.» Mit diesen Worten hat George Bernard Shaw den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Eigenverantwortlichkeit ist quasi ein All-inclusive-Angebot. Das Hauptangebot ist die Freiheit, und die vielen Schattenseiten, wie Fehlentscheidungen oder Zukunftsängste, bekommt man gratis dazu. Genau diese Seiten der Freiheit sind es, vor denen sich der Mensch oft drücken will. Jemand, der in einer Firma als Angestellter arbeitet, geht am Abend nach Hause und bekommt pünktlich seinen Lohn. Dafür hat er feste Arbeits- und Ferienzeiten und muss sich an die Richtlinien des Arbeitgebers halten. Ein Selbständiger hat eigene Regeln und kann seine Arbeitszeit flexibel einteilen. Dafür hat er keinerlei Garantie für Aufträge und das damit verbundene Geld. Jemandem, der nicht weiss, was Freiheit bedeutet, kann man genau so erklären, dass alles schön und gut klingt, sich dahinter aber viel mehr verbirgt. In jeder Lebensphase hat man Verantwortung. Ob für sich selber, für andere Individuen oder für eine bestimmte Angelegenheit. Ich werde im Leben noch in viele Situationen geraten, die mich komplett überfordern. Ich werde falsche Entscheidungen fällen und mit Konsequenzen rechnen müssen. Hauptsächlich aber werde ich akzeptieren müssen, dass ich nicht wieder ein Kind sein kann. NINA CARUSO ist 19 Jahre alt und Schülerin an der Kantons­ schule Baden (Gymnasium). Die Schülerinnen und Schüler haben sich aus einer Auswahl an Themen und Zitaten eines ausgesucht und einen formal freien Text dazu geschrieben. Das ausgewählte Zitat: «Freiheit heisst Verantwortlichkeit, darum wird sie von den meisten gefürchtet.» (George Bernard Shaw)

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Der Prinz und seine Wächter VON  DAVID PROSEV

Es war 7 Uhr in der Früh. Die Vögel zwitscherten, die Bauern arbeiteten im Hof und die Männer in ihren Rüstungen reinigten ihre Schwerter. Bran wurde von seiner Mutter mit den Worten «Wach schon auf, mein Sohn! Sonst bist du wieder zu spät bei den Meistern» aufgeweckt. Bran war der Sohn eines schlechten Königs. Eines Königs, dessen Untertanen nichts wert waren. Er setzte sich auf und begab sich zum Fenster. Schon von Weitem sah er die Gesichter der hungrigen Bauern und Schmiede. In ihren Augen sah Bran die Wut, die sie für den König, der sein Vater war, aufgebaut hatten. Während Bran am Fenster stand, platzte seine Mutter ins Zimmer und brüllte los: «Na los! Was für ein König wirst du sein, wenn du nicht einmal rechtzeitig zur Schule gehen kannst?» Seine Erziehung war der Mutter das Wichtigste. Während sein Vater mit Herrschen und Unterdrücken der einfachen Bevölkerung von Siebenstein beschäftigt war, kümmerte sich seine Mutter um des Königs Nachfolger, der Bran war. Bran erwiderte: «Hatte Vater auch so eine Mutter, wie ich sie habe? Mit solch gewaltvoller Erziehung? Ist er deswegen so ein Monster?» Mit zwei Ohrfeigen brachte die Mutter Bran zum Schweigen. «Geh dich umziehen und verschwinde. Ich will dich bis heute Abend nicht mehr sehen», sagte sie und knallte die hölzerne Tür hinter sich zu. Bran öffnete seinen Schrank, sah sich um und nahm seine Kleidung hervor. Er wurde von einem Diener zum Tor begleitet, der den Palast des Königs vom restlichen Teil der Stadt abtrennte. Früher war es Bran möglich gewesen, den Palast seines Vaters ohne Leibwächter zu verlassen und normal, wie jeder andere Bürger, durch die Stadt zu schlendern. Doch seitdem sein Vater die Nahrungsversorgung der Bevölkerung aufgrund einer bevorstehenden Revolution gegen den König und seine Helfer gekappt hatte, bestand zu grosse Gefahr, dass Bran ent20

führt oder gar getötet werden könnte. Schon vor den ersten Häusern, einige Meter vor dem Palast, sah Bran eine Gruppe von Bettlern, die in der eisigen Kälte unter einem Balkon lagen und mit grossen Augen die Soldaten, die Bran begleiteten, anschauten. Denn mit Macht und Bildung war man in Siebenstein angesehen. Niemand kümmerte sich um die Armen und Kranken. Mit Nächstenliebe erreichte man nicht viel, ausser einen leeren Geldbeutel in der Jackentasche. «Darf ich diesen Männern denn etwas geben?», fragte Bran einen der vier Leibwächter, «Essen oder Geld, wir haben von beidem genug da.» «Nein. Als Sohn des Königs dürft ihr kein Mitleid und auch keine Gnade zeigen. Wer Mitleid zeigt, ist schwach. Wer gnädig ist, dem wird früher oder später ein Dolch in den Rücken gestossen. Das Leben hier ist hart, und wenn wir noch langsamer laufen, kommen wir heute nicht mehr bei der Kirche an. Und ohne Bildung könnt ihr nicht mächtig werden.» Ein paar Meter weiter sah Bran, wie eine Frau mit ihrem Säugling von ihrem Vermieter aus einem Haus hi­ nausgeworfen wurde. Sie fiel hin, und als Königssohn befahl Bran zweien seiner Leibwächter, der Frau auf die Beine zu helfen. «Gnädige Frau!», rief Bran, «Nehmen Sie das hier, suchen Sie sich einen Schlafplatz und kaufen Sie Ihrem Kind etwas zu essen.» «Vielen, vielen Dank, mein Prinz! Möge Gott Euch und Euren Vater segnen!», erwiderte die Frau überglücklich, nahm ihre geflochtene Tasche und ihr Kind und begab sich zum nächsten Gasthof. «Was habe ich euch gerade vorhin gesagt?», äusserte sich Brans Leibwächter. «Sie hatte ein Kind bei sich, und bei dieser Kälte soll keine Frau auf der Strasse sein!», antwortete Bran dem Wächter. «Ihr seid schon 16 Jahre alt. Ihr solltet schon wissen, dass man mit Leistung und Disziplin in dieser Stadt alles erreichen kann. Diese Frau hat in ihren Jugendjahren wohl keine Leistung erbracht, deswegen lebt sie auf der Stras­ ­se», waren die letzten Worte des Wächters, bevor sie weitergingen. Bran stimmte in seinen Gedanken nicht mit der Meinung seines Bewachers überein. Die grosse Armut und das Elend der Stadt kam, so dachte Bran, nicht von fehlender Leistung, sondern von seinem eigenen Vater. Seine Mutter trichterte ihm immer ein, Bildung sei das Wichtigste im Leben eines Stadtmenschen. Jedoch war es für die einfachen Leute schwer, zu Bildung zu gelangen, wenn der eigene Vater aufgrund des fehlenden Geldes alle Schulen schliessen liess. Kurz vor der Kirche, im Stadtzentrum, mussten die Wächter handgreiflich werden, da sich eine grosse Prügelei zwischen verschiedenen Ladenbesitzern und Passanten gebildet hatte. Bran versuchte sich mit zweien seiner Leibwächter durch die grosse Menge an Menschen zu stossen, ohne die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Schon stand Bran 200 Meter vor der Kirche nur noch mit zwei Wächtern da. Der eine Wächter fragte den anderen: «Wo sind sie? Sollen wir auf sie warten oder weiterziehen?» Surprise 411/17


«Weiterziehen. Wir gehen sonst ein zu grosses Risiko ein», antwortete der Wächter auf Brans rechter Seite rabiat. Doch auch vor der Kirche befand sich eine dichte Menschenmasse. Kurz vor dem grossen Holzportal der Kirche wurden Brans Leibwächter von der Gruppe Bettler, die Bran zuvor in der Nähe des Palastes gesehen hatte, umgestossen. Bran war überrascht und drehte sich um und sah einen Haufen von Menschen, die in seine Richtung kamen. Ganz vorne die Frau, der er vorher Geld für eine Unterkunft gegeben hatte. Sie packte ihn am Hals und flüsterte: «Gruss an den König.» Sie stach ihn mit einem Dolch mehrmals in den Rücken, bis er zusammensackte. Durch seinen Kopf schossen viele Gedanken. Er dachte sich, wieso er nicht auf seine Mutter gehört hatte, als sie sagte, er solle machen, was seine Wächter ihm auf den Strassen befahlen. Jetzt wusste er, dass seine Familie trotz Macht verletzlich war. Seine eigene Naivität, gepaart mit der Macht des Vaters, wurde Bran zum Verhängnis. DAVID PROSEV ist 15 Jahre alt und Schüler an der Kantonsschule Baden (Gymnasium). Die Schülerinnen und Schüler haben Geschichten geschrieben, in denen folgende Wörter eine zentrale Rolle spielen: Erziehung, Bildung, Leistung, Macht.

Wenn du aus einem anderen Land kommst, ist die Integration schwierig. Es braucht Akklimatisierung an die spezifischen Bedingungen und Kulturunterschiede.

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Ich werde es wenigstens versuchen VON  ANISCHCA ANANTHARAJAH

Letzten Samstag war ich mit der «Jungschi» in einem Asylzentrum. Dort bin ich einer älteren Dame begegnet, die mich freundlich anlächelte und mir Tee anbot. Holunder, mein Lieblingstee. Ich setzte mich zu ihr und begann den noch heissen Tee zu schlürfen. «Wie heisst du, woher kommst du?» Dies waren ihre einzigen Worte während der ersten zehn Minuten, doch dann begann sie mir plötzlich ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Wie sie in die Schweiz kam, welchen Gefahren sie begegnete und wie es ihr hier gefällt. In ihrem Land herrsche Krieg, und sie sei als Einzige ihrer siebenköpfigen Familie geflüchtet; mehr als die Hälfte der mit ihr Geflüchteten sei auf dem Weg verhungert oder ertrunken. Da, wo sie herkomme, habe sie zur Oberschicht gehört und habe sogar Bedienstete – Sklaven – gehalten. Hier, sagte sie, gehöre sie nun selbst in die Klasse dieser Bediensteten – in die Unterschicht. Das mit den Gesellschaftsschichten verstehe ich nicht. Die Menschen aller Schichten sind aus Fleisch und Blut, alle haben ein Herz und eine Lunge – aber weil der eine einen Anzug trägt und der andere nicht, gehören sie verschiedenen Schichten an? Die letzten Worte der Frau im Asylzentrum hallen immer noch in meinem Kopf nach: «Das ist zwar mein neues Zuhause, aber eine neue Heimat finde ich nie wieder.» Heimat und Zuhause, ist das nicht dasselbe? Laut Definitionen, die ich online finde, bezieht sich das Zuhause auf die eigene Wohnung – das Daheim, die Heimat dagegen auf das Land, in dem man geboren und aufgewachsen ist. Wo man sich also zuhause fühlt. Als Tochter von Migranten kenne ich das Gefühl, wirklich zuhause zu sein, auch nicht. Und trotzdem fühle ich mich hier wohl. Das Wohlbefinden hat nichts mit dem Zuhause oder der Heimat zu tun. Klar fühle ich mich in meinem Ursprungsland auch wohl, aber nicht nur dort. Solange ich in Gesellschaft von gutherzigen Menschen bin, fühle ich mich wohl, egal, wo ich mich gerade befinde. So wie bei dieser netten alten Dame, welche mich warmherzig empfing. Letzten Montag sagte wieder jemand das A-Wort, Ausländer. Und jedes Mal fühle ich mich angesprochen oder eher: angegriffen. In meinem Heimatland war ich noch nie, den dortigen Pass besitze ich nicht, und trotzdem bin ich in den Augen meines Umfeldes eine Ausländerin. Ich bin in der Schweiz geboren und aufgewachsen, ich habe den Schweizer Pass, und trotzdem bin ich nur auf dem Papier eine Schweizerin. Meine Hautfarbe verrät mich. Vorurteile, von Stereotypen abgeleitet, verfolgen mich Tag 22

und Nacht. Ich stieg am Montag in die S-Bahn, setzte mich hin und begann die NZZ zu lesen. Als ich bei der nächsten Station ein älteres Ehepaar einsteigen sah, überliess ich ihnen den Platz. Nachdem sie sich gesetzt haben, hörte ich sie flüstern: «Du lueg emau d’NZZ, die cha niid vo däm Ussländermeitschi sii.» Als Ausländerin bezeichneten sie mich, zudem noch als Stereotypen, der die NZZ nicht liest und ungebildet sein muss. Auch wenn sie es nicht zu mir direkt gesagt haben, bin ich bis heute immer noch gekränkt. Doch wie meine Mutter immer zu mir sagt: «Wohlstand misst sich an der Bildung, nicht am Geld oder der Hautfarbe.» Ich bin stolz, mich als Schweizerin zu bezeichnen, und genauso bleibe ich meinem Heimatland treu. Ebenso stolz bin ich, zur Bildungselite der Schweiz zu gehören. Ich werde mich weder durch Vorurteile noch durch soziale Schichtzugehörigkeiten kränken lassen – ich werde es wenigstens versuchen. Eine Ausländerin zu sein, hat auch Vorteile, ich muss mich dafür nicht schämen. Weder für die Kultur meiner Heimat noch für die Hautfarbe. Ich bin froh darüber, dass ich bikulturell und bilingue aufgewachsen bin. Ich bin der Beweis dafür, dass man auch in einem neuen Zuhause die alte Heimat mit sich tragen und sich ausleben kann, ohne sein Umfeld – das neue Zuhause – aus den Augen zu verlieren. Ich schliesse hier. Denn mein Schönheitsschlaf ist mir genauso wichtig. ANISCHCA ANANTHARAJAH ist 16 Jahre alt und Schülerin am Gymnasium Neufeld, Bern. Die Klasse hat formal freie, persönliche oder fiktionale Texte zu den Reizworten Leistung, Erfolg, Klassengesellschaft, Bildung, Macht und Freiheit geschrieben.

Wie laut ist die Stimme des Obdachlosen? VON  RAPHAEL BLATTNER

Warum sind die Meinungen mancher Leute wichtiger als die anderer? Warum sind ein paar Stimmen nichts wert, dafür die Stimmen anderer hundertmal so viel? Ich frage mich, wieso die Meinung eines Akademikers in der Gesellschaft höher gewertet wird als die eines Obdachlosen. Sicher ist der Akademiker meist besser informiert, trotzdem hat er die gleiche Stimme verdient. Zum Glück ist es in der Schweiz so, dass jeder zumindest politisch die gleiche Stimme hat. Jede Stimme zählt gleich und wird nicht nach Grösse, Alter oder Ansehen gewertet. Das finde ich ein gutes System, da die sonst Stimmlosen das gleiche Gewicht bekommen wie die anderen. Surprise 411/17


Menschen haben schnell das Gefühl, dass ihre Stimme nicht zählt. Aber jeder kann das Wort ergreifen, die Stimme erheben oder auch leise etwas verändern.

Jedoch gibt es in unserem Land auch Leute, die nicht einmal eine politische Stimme besitzen, wie zum Beispiel Flüchtlinge. Für diese Stimmlosen sind die Medien ein wichtiges Werkzeug, um ihnen eine Stimme zu verleihen. Das zeigt das Buch «Gehen, ging, gegangen» der deutschen Autorin Jenny Erpenbeck. Sie macht auf die Probleme aufmerksam, die die Flüchtlinge haben. Und versucht damit, denen eine Stimme zu geben, die keine haben. Stellen wir uns vor, ein Mann vertritt eine flüchtlingsfeindliche Politik. Durch den Roman «Gehen, ging, gegangen» wird dieser Mann in seinem Denken verändert und beginnt nun Flüchtlinge zu unterstützen. Dadurch, dass der Mann etwas unternimmt, konnte die Stimme der Flüchtlinge in die Gesellschaft getragen werden. Die Medien sind also wichtig, um denen eine Stimme zu geben, die vergessen werden. Genauso ist es aber auch nötig, dass diesen Stimmen jemand zuhört. Der Mensch neigt nämlich dazu, es sich sehr einfach zu machen. Wenn jemand nicht unserer Meinung ist, passiert es oft, dass wir nicht richtig zuhören oder alles, was das Gegenüber sagt, bereits in Gedanken als unwahr und falsch einstufen. Oder wir geben uns der Überzeugung hin, der andere habe in diesem Themenbereich keine Ahnung. Meistens wollen Surprise 411/17

wir die Dinge schwarzweiss sehen und die Welt in Gut und Böse aufteilen. Wenn Sie Partei A wählen und Ihre Gegenpartei einen Artikel veröffentlicht, werden Sie diesen wahrscheinlich lesen, das herausgreifen, was Ihnen daran am meisten missfällt, und denken: «Ich habe es ja gewusst, Partei B besteht immer noch aus irgendwelchen Hobby-Politikern, die keine Ahnung haben. Ich kann es beurteilen, denn ich habe recht, ich kenne mich aus. Ich habe Ahnung davon.» In Wahrheit ist die Welt aber selten schwarzweiss, meistens ist sie in einem Grauton. Deshalb ist es wichtig, einander zuzuhören. Die Meinung anderer muss einem nicht gefallen, sie muss auch nicht der eigenen entsprechen, aber ich finde, sie sollte eine Daseinsberechtigung haben – solange sie sich nicht gegen die Menschenrechte stellt. Ich finde, jede Meinung sollte etwas wert sein, unabhängig von Alter, Religion, Geschlecht, Ausbildung oder Herkunft. Dies ist jedoch nur meine bescheidene Meinung. R APHAEL BL AT TNER ist 16 Jahre alt und Schüler am Gymna­ sium Neufeld, Bern. Die Klasse hat formal freie, persönliche oder fiktionale Texte zu den Reizworten Leistung, Erfolg, Klassengesell­ schaft, Bildung, Macht und Freiheit geschrieben.

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Leute, die nicht in die Gesellschaft passen, bilden selbst eine Gruppe. So sind sie auch in Gesellschaft.

Stress ist, wenn alle erwarten, dass du gute Noten hast, beruflich erfolgreich wirst und nie etwas falsch machst.

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Die heutige Jugend VON  CÉDRIC BALLARINI

«Die jungen Leute haben keine Ideale mehr. Sie sind materialistisch, gleichgültig, bequem und zufrieden, solange sie das Leben geniessen können und keine Verantwortung zu tragen brauchen.» Das ist ein anonymes Zitat und eine weit verbreitete Meinung. Eine These, die in meiner Sicht leider mehr wahr als falsch ist. Ein Beispiel dafür ist ein Ereignis, das sich gerade heute Morgen auf dem Weg zur Schule abgespielt hat, als fünf junge Mädchen in den Bus stiegen, um eine einzige Haltestelle bis zur Schule zu fahren. Für eine Strecke, die man zu Fuss in fünf Minuten bewältigen kann, ist das einfach sinnlos. Das ist ein Indiz dafür, wie die meisten Jugendlichen heutzutage funktionieren: ohne Verstand. In meiner alten Schule bekam ich auch öfters zu sehen, wie gewisse Mitschüler ihr Mittagessen, welches sie nur zur Hälfte verspeist hatten, einfach in den Abfall warfen, statt es sich für später aufzuheben. Dies konnten sie nur tun, weil sie das Geld dafür nicht selber erarbeiten mussten und sich folglich ihres Wohlstands nicht bewusst waren. Man kann auch beobachten, wie ein grosser Teil der Jugend in einem Einheitsbrei versinkt. Man sieht es zum Beispiel am Kleidungsstil, der von wenigen Einzelnen vorgegeben und von Millionen nachgeahmt wird, in der Hoffnung, dadurch auch zu den wichtigeren Kreisen gehören zu können. Ich denke, dies hat zum Teil mit mangelnder Straffheit in der Erziehung sowie auch mit der fortschreitenden Digitalisierung der Gesellschaft zu tun, Surprise 411/17

da uns immer mehr Arbeit abgenommen wird und man dadurch sehr schnell der Faulheit verfällt. Man sagt immer, dass betagte Menschen sich über die heutige Jugend beklagen. Ich finde das aber auch angebracht, denn früher halfen junge Leute den älteren bei der Arbeit oder im Alltag, um ihn für sie leichter zu gestalten und auch, um sich selbst körperlich zu betätigen. Heutzutage hat sich dieses Phänomen eher rar gemacht, da die meisten Jugendlichen offensichtlich sehr egoistische Züge haben. Das Internet hat sicherlich keinen positiven Einfluss auf die Jugend, da man dort häufig auf Inhalte stösst, die regelrecht zu solchem Verhalten aufrufen. Was früher eher vorhanden war als heute, ist eine geordnete, bodenständige Erziehung. Man bekommt regelrecht das Gefühl, dass diese Schmarotzerjugendlichen einem unbedingt beweisen wollen, dass sie höhere Wesen sind. Ich selber habe auch an Menschen, die mir sehr nahestehen, erlebt, wie materialistisch sie geworden sind. Zum Beispiel war ein siebenjähriger Verwandter von mir am Boden zerstört, als er nicht das neueste iPhone zum Geburtstag bekam, sondern einen Gutschein für einen Freizeitpark. Er gab nicht einmal acht darauf, dass es den Schenker verletzen könnte, wenn er vor ihm herumschreit, wie schlecht ihm das Geschenk gefalle. Für den Jungen jedoch ist solches Verhalten selbstverständlich, da es ihm in der Schule täglich von anderen vorgelebt wird und er somit bereits damit aufgewachsen ist. Ich denke, diese Jugend wird den Ernst der Sache erst verstehen, wenn ihnen im Alter niemand hilft, weil die neueste Nachricht auf dem teuren, geschenkten Smartphone wichtiger ist, als sich anzustrengen. Ich persönlich hoffe, dass irgendjemand diesem ganzen Teufelskreis ein Ende setzen kann und dass man einander vielleicht irgendwann wieder hilft oder man im Zug wieder Gespräche erleben kann, statt dass sich jeder von den anderen abschottet, um aufs Handy zu schauen. Viele heutige Jugendliche haben dies jedoch noch gar nie erlebt und können somit auch nicht einsehen, welche Vorteile eine solche offene, hilfsbereite Gesellschaft bietet. CÉDRIC BALL ARINI ist 15 Jahre alt und Schüler an der Kantons­ schule Baden (Informatikmittelschule). Die Schülerinnen und Schüler haben sich aus einer Auswahl an Themen und Zitaten eines ausgesucht und die eigene Position dazu erklärt.

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Wie geht’s dir? VON  LUCIJA RATKIC

Wie geht’s dir? Wahrscheinlich die Frage, welche am häufigsten mit einer Lüge beantwortet wird. Dies ist eigentlich ziemlich traurig, da fast niemand mehr mit anderen über ernste Themen spricht. Doch muss ich zugeben, ich bin auch so. Wie immer komme ich jeden Tag nach einem langen, anstrengenden Tag zuhause an. Und wie immer ist die Arbeit damit nicht beendet. Ich komme in mein Zimmer und weiss ganz genau, dass ich mich nicht schön gemütlich in mein Bett legen kann, da meine Aufgaben darauf warten, erledigt zu werden. Ehrlich gesagt, ist mir dies schon eine Weile lang, nett ausgedrückt, ziemlich egal. Ich soll neun Stunden lang mit Leuten, mit welchen ich unfreiwillig in ein Klassenzimmer gesteckt wurde, in der Schule hocken, und später zuhause noch bis 1 Uhr nachts Hausaufgaben erledigen und lernen? Als ob. So habe ich schon seit einigen Wochen meine Aufgaben nur halbbatzig gelöst. Doch trotzdem spüre ich immer diese Last, welche mir im Nacken sitzt und immer schwerer und schwerer wird. Aber hey. Warum soll ich mich beschweren? Ich habe alles, was ich brauche. Meine Eltern und ich sind zwar nicht unbedingt die Reichsten, doch wir haben genügend und noch mehr zum Überleben. Ein Zuhause, Essen, Familie. Normale Einwohner mit einem kleinen Anteil Luxus, könnte man sagen. Deswegen bin ich einfach still und schweige. Meinen Eltern ist wichtig, dass ich eine gute Ausbildung habe und schliesslich einen guten Beruf finde. Sie möchten mir ein einfaches Leben ermöglichen, was ich natürlich schätze. Jedoch geht das nicht so problemlos, wie man meinen könnte. In der Schule werden Höchstleistungen erwartet. Und obwohl man sich Mühe gibt und das Beste versucht, wird man schlussendlich nur enttäuscht. Dann geht man nach Hause, muss dort der Familie helfen, wieder für die Schule lernen und dann noch irgendwo seine Freizeit einplanen. Nicht so simpel. Der Stress und die Erwartungen lagern sich immer stärker im Unbewussten ab, bis du zu einer Hülle ohne Inneres wirst. In diesem Zustand gehst du unter Menschen und denkst, es wird besser. Ja, anfangs schon. Doch aus heiterem Himmel trifft dich dieses bestimmte Gefühl, und ohne Grund geht es wieder bergab. Du merkst, wie du dich ausgeschlossen fühlst und nicht dazu gehörst. Obwohl du mit deinen Freunden zusammen bist, fühlst du dich allein. Du siehst, wie es bei ihnen gut läuft und ihr Erfolg immer grösser wird. Klar freust du dich auch für sie, aber du merkst, dass nur sie beachtet werden, dass nur sie lustig und sympathisch sind, dass sie die einzig Wahren sind. Du selber stehst im Hintergrund und bekommst einen oder zwei Blicke zugeworfen. Aber da dies ständig so ist, gewöhnst du dich daran, irgendwie. So ging es mir dauerhaft. Nicht dazuzugehören, nicht viel zu bekommen für die Zeit, die man in etwas investiert 26

hat. Alles bricht in sich zusammen, und man kann nichts dagegen tun. Oder doch? Die Lehrerin gab uns kürzlich unsere letzte Chemiearbeit zurück. Ich hatte wie immer keine grosse Hoffnung auf eine gute Note. Bestenfalls kommt eine 4 dabei raus. Doch ich hatte unrecht, es war tatsächlich eine 6. Und auch im Englisch bekamen wir unseren Test zurück, und ich hatte eine 5,5. Mathe und Deutsch waren auch nicht viel schlechter. Das konnte ich nicht glauben, ich konnte es mir nicht erklären. Für diese Fächer hatte ich mich noch einmal zusammengerissen, und seltsamerweise hatte es sich gelohnt. Als ich damit nach Hause kam, waren meine Eltern ziemlich glücklich. Ich musste trotzdem noch einige Sachen für sie erledigen, doch es fiel mir leichter als sonst. Die anderen Aufgaben machten mir genauso wenig Mühe, im Gegenteil. Ich war sogar motiviert, sie zu bearbeiten. Am nächsten Tag ging ich mit meinen Freunden raus und fühlte mich gleich noch besser. Wir redeten, lachten, sie waren auch stolz auf mich, als sie von meiner Leistung und meinem Erfolg erfuhren. Es war alles so anders, im positiven Sinne. Ich habe gemerkt, dass vieles an meinem Zustand mit mir selber zu tun hatte. So habe ich meine Sichtweise geändert. Ich schaute, dass ich alles rechtzeitig erledigte, genügend Schlaf und Erholung fand, mehr Zeit mit meinen Liebsten verbrachte. Ich achte nun darauf, meine eigenen Leistungen zu schätzen und Erfolgsmomente stärker wahrzunehmen, da sich diese auch in kleinen Dingen verstecken. Ich habe gelernt, selbstbewusster zu sein und nicht immer zu denken, ich sei die Aussenseiterin. Und wenn mich nun jemand fragt, wie es mir geht, kann ich ehrlich antworten: Mir geht es gut. LUCIJA R ATKIC ist 15 Jahre alt und Schülerin an der Kantons­ schule Baden (Gymnasium). Die Schülerinnen und Schüler haben Geschichten geschrieben, in denen folgende Begiffe zentral sind: Erfolg, Gesellschaftsschicht, dazugehören – nicht dazugehören.

Weitere Aufsätze von Schülerinnen und Schülern der Kantonsschule Zürich Nord, des Gymnasiums Neufeld, Bern, der Kantonsschule Baden und der Steiner Schule Zürich finden Sie über diesen QR-Code oder unter: www.surprise.ngo/schulheft

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Um ja nicht aufzufallen, setzen sich viele Menschen eine Maske auf. Eine unsichtbare allerdings.

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IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D

Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist. 01

Thommen ASIC-Design, Zürich

02

bewegstatt.ch, Janine Holenstein, Frauenfeld

03

Naef Landschaftsarchitekten GMBH, Brugg

04

Yogazeitraum, Wädenswil

05

Echtzeit Verlag, Basel

06

Schweizerisches Tropeninstitut, Basel

07

Iten Immobilien AG, Zug

08

AnyWeb AG, Zürich

09

Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur

10

Madlen Blösch, GELD & SO, Basel

11

Praxis PD Dr. med. Uwe Ebeling, Bern

12

Proitera Betriebliche Sozialberatung, Basel

13

Gemeinnütziger Frauenverein Nidau, Nidau

14

VXL gestaltung und werbung ag, Binningen

15

Hervorragend AG, Bern

16

Lisa Stettler Körpertherapie, Bäch

17

Coop Genossenschaft, Basel

18

Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

19

Maya-Recordings, Oberstammheim

20

Scherrer & Partner, Basel

21

Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen

22

ChemOil Logistics AG, Basel

23

Schluep & Degen Rechtsanwälte, Bern

24

Institut und Praxis Colibri, Murten

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Kaiser Software GmbH, Bern

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Nicole Huwyler Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 50 I marketing@surprise.ngo

SurPluS – DaS notwenDige extra Das Programm

Wie viele Surprise-Hefte müssten Sie verkaufen, um davon in Würde leben zu können? Hätten Sie die Kraft?

Wussten Sie, dass einige unserer Verkaufenden fast ausschliesslich vom Heftverkauf leben und keine Sozialleistungen vom Staat beziehen? Das fordert sehr viel Kraft, Selbstvertrauen sowie konstantes Engagement. Und es verdient besondere Förderung. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkaufenden zusätzliche Unterstützung. Sie sind mit Krankentaggeld und Ferien sozial abgesichert und erhalten ein Nahverkehrsabonnement. Bei Problemen im Alltag begleiten wir sie intensiv.

eine von vielen geschichten Josiane Graner, Juristin, wurde in ihrem Leben von schweren Schicksalsschlägen getroffen. Sie kämpft und steht immer wieder auf. Ein Geschäftsprojekt, das sich zum Flop entwickelte, führte sie 2010 zu Surprise. Ihr Geschäftspartner hatte sich ins Ausland abgesetzt und sie mit dem Schuldenberg allein gelassen. Um ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten, verkauft Josiane Graner in Basel das Strassenmagazin. Zudem ist sie für den Aboversand zuständig. Dank des SurPlus-Programms erhält sie ein ÖVAbonnement und Ferientaggeld. Diese Zusatzunterstützung verschafft der langjährigen Surprise-Verkäuferin etwas mehr Flexibilität im knappen Budget.

Die ganze Geschichte lesen Sie unter: surprise.ngo/surplus

unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 14 Verkaufende des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlusProgramm teilzunehmen.

unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 | Vermerk: SurPlus Oder Einzahlungsschein bestellen: T +41 61 564 90 90 info@surprise.ngo | surprise.ngo/spenden Herzlichen Dank!


Wir alle sind Surprise

Ausgabe 408

Leserbrief

«Hoffnung»

«Schachbrett-Denken» Nach dem Lesen der amüsanten, scharfen Kolumne «Moumouni ... beleidigt» möchte ich eine Vision mit Ihnen teilen, weil ich langsam eine Aversion gegen die Bezeichnungen «Weisse» und «Schwarze» entwickle; sie zementieren ein Schachbrett-Denken, welches die Menschen in zwei unabänderliche, extreme Gegenpole drängt. Einen Ausweg sehe ich darin, dass wir etwas genauer hinschauen: Kein Mensch ist weiss wie eine WC-Schüssel oder schwarz wie ein Laptop-Deckel. Wir alle haben individuelle Hauttöne, weshalb gerade wir Frauen mit der richtigen Wahl des «Fond de Teint» gefordert sind: Einfach weisse oder schwarze Schuhwichse auftragen geht nicht. Und statt unsere kostbare Lebenszeit damit zu verbringen, uns mit N-, Sch-, W-, Hb-, Db, Fdb(Fastdunkelbraun-), Bl (Bleich-) und anderen -Wörtern nichtzubeleidigen, könnten wir uns darauf besinnen, dass wir halt einfach Menschen sind, alle aus dem gleichen «Stoff der Träume». Und dass wir alle einen Namen tragen. C. BRUNNER BUCKSON, Ittigen BE

Herausgeber Surprise, Spalentorweg 20 CH-4051 Basel

Barbara Schibli, Kantonsschule Baden; Barbara Walzik, Kantonsschule Baden; (Gymnasium/Informatikmittelschule)

Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99
 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo

Mitarbeitende dieser Ausgabe Henri Lünsmann, Kostas Maros, Mara Wirthlin und die Schülerinnen und Schüler der oben genannten Schulen.

Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T  +41 31 332 53 93, M+41 79 389 78 02 Soziale Stadtrundgänge Basel: +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T  +41 61 564 90 90, M+41 76 325 10 60 anzeigen@surprise.ngo Redaktion
 Verantwortlich für diese Ausgabe: Diana Frei (dif) Sara Winter Sayilir (win), Amir Ali (ami) Reporter: Beat Camenzind (bc), Simon Jäggi (sim) T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99
 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch
 Dank an: Michael Borner, Gymnasium Neufeld, Bern; Stefan Damiano, Kantonsschule Zürich Nord; Sibylle Rohdich, Rudolf Steiner Schule Zürich;Janine Rudis, Kantonsschule Zürich Nord;

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D. SUTER, Wettswil

Sozialer Stadtrundgang

«Aufmerksam» Die Führung heute mit Werner Elvis Hellinger und Heiko Schmitz war ein wunderbares Erlebnis. Ich möchte mich ganz herzlich bedanken. Meine Schüler waren während der ganzen zwei Stunden aufmerksam und sichtbar interessiert dabei.

M. GOOP, Basel

Impressum

Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T  +41 44 242 72 11, M+41 79 636 46 12

Vielen Dank für die vielen interessanten und warmherzigen Beiträge, die gut recher­ chierten und spannend geschriebenen Artikel, welche Hintergründe aufdecken und Dinge einfach auf den Punkt bringen. Vor allem aber mag ich eure Porträts über Menschen, die trotz schwieriger Umstände viel Gutes bewegen und Menschen Hoffnung geben.

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh­ migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt. Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik Druck  AVD Goldach Papier  Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSC®, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach Auflage  22 000 Abonnemente  CHF 189, 25 Ex./Jahr Surprise behält sich vor, an Verkaufende gerichtete Postsen­dungen zu öffnen. Barspenden an namentlich bezeichnete Verkaufende können nur bis zu einem Betrag von CHF 100.– weitergeleitet werden. Darüber hinaus­gehende Beträge sollen – mit dem Einverständnis der Spenderin oder des Spenders – allen Verkau­fenden zugute kommen. Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt. Spendenkonto:
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Ich möchte Surprise abonnieren 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten Strassen­verkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.– Geschenkabonnement für: Vorname, Name Strasse PLZ, Ort

Rechnungsadresse: Vorname, Name Strasse PLZ, Ort Telefon E-Mail Datum, Unterschrift 411/17

Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Surprise, Spalentorweg 20, CH-4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@surprise.ngo

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FOTO: KOSTAS MAROS

Surprise-Porträt

«Ich schaue nach vorne» «Ich komme aus Côte d’Ivoire und bin seit vier Jahren in Frankreich. Ich bin es nicht gewohnt, offen über meine Gefühle zu sprechen. In meiner Kultur ist der Einzelne nicht so wichtig. Ich mag es auch gar nicht, im Rampen­ licht zu stehen. Aber es ist mir wichtig, dass die Leute erfahren: Migranten aus Afrika wollen ein würdevolles Leben und der eigenen Familie helfen. Ich hatte Glück, mein Vater konnte mich über einen Familiennachzug nach Mulhouse holen, als ich 16 war. Wenn ich mit anderen Migranten rede, fühle ich mich privilegiert. Es gibt viele extreme Schicksale, Menschen, die ihr Leben auf dem Meer in kleinen Booten aufs Spiel setzen, nur um nach Europa zu kommen. Meine Eltern trennten sich früh, mein Vater kam nach Europa, als ich vier war. Meine Mutter ist eine einfache Marktverkäuferin, weshalb mein Vater beschloss, dass ich besser bei seiner Mutter aufwachsen sollte. Er hatte Angst, dass ich sonst meiner Mutter auf dem Markt helfen müsste, anstatt zur Schule zu gehen. Es macht mich traurig, wenn ich daran denke, dass wir in Frank­ reich Sozialhilfe haben und alles, und in meiner Heimat eine Frau ihr einziges Kind weggeben muss, nur weil sie arm ist. Bei der Familie meiner Grossmutter konnte ich zwar essen, schlafen und zur Schule gehen, aber ich wurde schlecht und lieblos behandelt. Ich fühlte mich nicht wie ihre Enkelin, sondern als Last. In Côte d’Ivoire stehen die Aussichten für die Jugend schlecht. In Mulhouse mache ich derzeit eine Ausbildung im Verkauf und weiss, dass ich später ein einigermassen sicheres Einkommen haben kann. Ich bin dankbar, dass mein Vater und seine Schweizer Frau so viel auf sich genommen haben, um mich nach Europa zu holen. Inzwischen habe ich noch drei kleine Halbgeschwister, die sehr süss sind. Ich fühle mich wie in einer richtigen afrikanischen Familie. Was mich zurzeit etwas traurig macht ist nur, dass meine Familie nun wieder in der Schweiz lebt, im Jura. Sie fanden eine günstige Wohn­ möglichkeit. Ich habe bei ihnen zwar ein Zimmer für die Wochenenden, aber muss wegen der Ausbildung in Mulhouse leben. Ich bin jetzt 21 – für andere Mädchen in meinem Alter wäre es ein Traum, ganz alleine zu wohnen. Aber ich mag es viel lieber, Familie um mich zu haben. Ich hoffe, dass ich bald die französische Staats­ 30

Karitia Yeo, 21, ist als einzige Frau Schiedsrichterin in der Surprise Strassenfussball-Liga. Ihr grosser Wunsch: Sie möchte ihre Mutter in Côte d’Ivoire unterstützen können.

bürgerschaft erhalte. Dann kann ich eine Aufenthalts­ bewilligung für die Schweiz beantragen und nach der Ausbildung im Jura leben und arbeiten. Neben meiner Familie gibt mir der Surprise Strassen­ fussball Halt. Die sozialen Kontakte tun mir gut, denn ansonsten verbringe ich viel Zeit zuhause. Es ist ein bunt gemischter Haufen, aber jeder hat hier seinen Platz und wird respektiert. Zum Beispiel haben die Leute viel Verständnis dafür, dass ich kaum Deutsch spreche. Als Schiedsrichterin muss ich pfeifen, wenn ­jemand gegen die Regeln verstösst. Das ist kompliziert und erfordert eine richtige kleine Ausbildung. Ich bin bei Surprise die einzige Frau, die das SchiedsrichterProgramm absolviert. Das macht mich stolz. Ich bin alles in allem ein fröhlicher, zufriedener Mensch und lache viel. Zum Glück sind die Wunden aus meiner Kindheit und Jugend verheilt. Lieber schaue ich nach vorne. Ich will nicht viel vom Leben: die Ausbildung ab­ schliessen, ein einigermassen sicheres Einkommen, mal irgendwohin verreisen können, wo es warm ist und einen Strand hat. Und ich will meine Mutter finanziell unterstützen.» Aufgezeichnet von MAR A WIRTHLIN

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IST GUT. KAUFEN! Machen Sie sich selbst eine Freude oder überraschen Sie jemanden mit einem passenden Geschenk. Sie unterstützen damit eine gute Sache.

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SURPRISE-ETUI CHF 27.– (exkl. Versandkosten) Hergestellt von JLTbag in Altdorf, Uri. JLTbag beschäftigt in der Produktion anerkannte Flüchtlinge und fördert damit deren Ausbildung und Integration. Erhältlich in rot und schwarz.

Weitere Informationen und Online-Bestellung T + 41 61 564 90 90 | info@surprise.ngo surprise.ngo/shop

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Helfen tut gut. Zeit, zuzuhören. Zeit, abzuwarten. Zeit für Rückschläge. Zeit, zu helfen. All das gibt es in der Sozialberatung und -begleitung, die Surprise an seinen drei Standorten in Basel, Bern und Zürich anbietet. Die Verkaufenden des Strassenmagazins sowie die Stadtführer, die Strassenfussballer und die Chorsängerinnen erhalten hier nicht nur ihre Hefte, gratis Kaffee oder Internetzugang, sondern wenden sich mit ihren Sorgen und Fragen an die Surprise-Mitarbeitenden.

Ob bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, bei Schulden, beim Umgang mit Behörden und administrativer Korrespondenz, bei familiären Krisen oder Suchtproblemen – für rund 400 armutsbetroffene Menschen ist diese umfassende und niederschwellige Begleitung eine unentbehrliche Stütze im Alltag. Surprise hilft individuell und niederschwellig. Spenden Sie heute. Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 surprise.ngo/spenden 32

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