Strassenmagazin Nr. 419 16. Februar bis 1. März 2018
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Obdachlosigkeit
Die Verletzbaren
In Basel wurde ein Obdachloser umgebracht. Wie sicher fühlen sich Menschen, die draussen schlafen? Seite 8
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TITELBILD: NILS FISCH
Editorial
Mutige Menschen Als ich vor 17 Jahren meinen Zivildienst bei einer sozialen Institution in Basel absol vierte, war ich beeindruckt von den Men schen, die ich kennenlernte. Viele von ihnen lebten in prekären Verhältnissen, einige auf der Strasse. Doch sie waren ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Nicht hilflos und schwach, sondern mutig, schlagfer tig, originell und stark. Genauso wie die Menschen, die unser Reporter Simon Jäggi für unsere Titelgeschichte getroffen hat. Er ging der Frage nach, wie gefährdet Obdachlose in der Schweiz sind: Seite 8. Ausgangspunkt seiner Recherche war die Tötung eines obdachlosen Mannes in Basel. Georges, wie ihn alle nannten, wurde vier Tage vor Weihnachten erstochen. Unser Titelbild zeigt die Blumen und Kerzen, die Menschen zum Gedenken an Georges an der Dreirosenbrücke niedergelegt haben. Als Selbständiger im Café am Laptop arbei ten: Das klingt cool. Doch die neue Ar beitswelt hat ihre Tücken. Die Aufträge sind
4 Aufgelesen 5 Vor Gericht
Kindergärtnerin in Angst 6 Challenge League
Im Nordirak filmen 7 All Inclusive
Stammtisch oder Bundesgericht? 8 Obdachlosigkeit
12 Purity-Bälle
Wo Mädchen Keuschheit schwören 18 Crowdworking
Tücken der neuen Arbeitswelt
meist schlecht bezahlt, wirtschaftliche Risi ken und ihre sozialen Folgen trägt man selbst. Damit ähnelt die Situation der soge nannten Crowdworker derjenigen von Heimarbeitern im 19. Jahrhundert, schreibt Andres Eberhard ab Seite 18. In Amerika wollen immer mehr Mädchen als Jungfrau in die Ehe gehen. An besonderen Anlässen versprechen sie ihren Vätern, bis zur Hochzeit keusch zu bleiben. Patrick Witte hat einen Purity-Ball besucht. Seine Reportage lesen Sie auf Seite 12. Übrigens: Die eingangs erwähnte soziale Institution in Basel war das Strassen magazin Surprise. Heute bin ich genauso begeistert von unseren Verkäuferinnen und Verkäufern und ihrem Mut wie damals. Herzlichen Dank, dass Sie unser Heft bei ihnen kaufen. GEORG GINDELY Redaktor
24 Musik
29 Wir alle sind Surprise
Julia Biel: Newcomerin Impressum Surprise abonnieren aus London
25 Literatur
Engländer und Esel 26 Veranstaltungen 27 Fortsetzungsroman 28 SurPlus Positive Firmen
Die Angst schläft mit 30 Surprise-Porträt
«Die Leute reden viel» Surprise 419/18
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Aufgelesen
FOTO: PONTUS HOOK
News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
#metoo
«Flirten muss nicht bedeuten, dass man jemanden berührt oder zu nahe tritt. Denkt einmal an all die Frauen, die seit Jahrzehnten Scham, Schuldgefühle und Angst mit sich herumtragen, die sich selbst im Spiegel betrachten und als abgewertet empfinden. Lasst diese Gedanken zu und haltet sie aus. Es geht hier um Menschlichkeit. Nur so wird sich etwas ändern.» Tarana Burke war sechs, als sie vom Sohn des besten Freundes ihrer Mutter vergewaltigt wurde. Seit zehn Jahren berät und begleitet sie Opfer sexueller Gewalt. Das Hashtag #metoo geht auf ihre Arbeit zurück.
FAKTUM, GÖTEBORG
FOTOS: ZVG
Strassenradio Im Podcast «La Voz de la Calle» (Die Stimme der Strasse) erzählen Verkäufer der mexikanischen Strassenzeitung Mi Valedor über «den Regen, die Freundschaft, die Diskriminierung, unsere Ziele und unsere Erfahrungen bei Mi Valedor. Viele von uns haben mit Drogenoder Alkoholabhängigkeit zu kämpfen und leben auf der Strasse oder in Notunterkünften. Über das Medium Radio können wir den Zuhörern eine andere, meist unsichtbare Welt näherbringen.»
MI VALEDOR, MEXICO CITY
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«Arme Menschen sind wie BonsaiPflanzen. Wenn man den Samen des höchsten Baumes im Wald in einen Blumentopf steckt, wird daraus nur ein 1 Meter hoher Baum wachsen. Er hat einfach nicht die richtige Grundlage, um zu wachsen. Die Gesellschaft gibt armen Menschen nicht den Raum , nicht die Voraussetzungen, um wachsen zu können.» Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus verlieh vor über 40 Jahren 42 Dollar an Handwerker und erfand so das Konzept der Mikrokredite.
THE BIG ISSUE, UK
Oben und unten
10,6 Billionen Euro beträgt das Nettoprivatvermögen in Deutschland. 1 Prozent der Bevölkerung – die Superreichen – besitzt ein Drittel davon: 3,6 Billionen Euro. Laut der Initiative «Vermögenssteuer Jetzt!» nimmt das Vermögen der Reichsten pro Sekunde um 3085 Euro zu. Ihnen stehen jene 15,7 Prozent der Bundesbürger gegenüber, die als arm gelten. Sie leben in Haushalten, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben.
STRASSENKREUZER, NÜRNBERG
Stressfaktor
88 Mal am Tag schauen Erwachsene in Deutschland im Durchschnitt auf ihr Smartphone. Diese Zahl errechneten Informatiker der Uni versität Bonn. Dass dies auf Dauer nicht gesund ist, zeigt eine zweite Zahl der Techniker Krankenkasse: 28 Prozent der Befragten einer Studie gaben dort an, die ständige Erreichbarkeit sei ein Stressfaktor für sie.
HEMPELS, KIEL
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Vor Gericht
ILLUSTRATION: PRISKA WENGER
In luftige Höh
Wenn «es» nicht klar ist Heuchelei kann man dem Angeklagten nicht vorwerfen. Er gibt sich keine Mühe, einen besonders vorteilhaften Eindruck zu machen. Seine Antworten auf die Fragen des Gerichtspräsidenten sind übellaunig oder pampige Rückfragen: «Was wollen Sie mir jetzt unterstellen?» Dabei ist er es, der am Obergericht Zürich in zweiter Instanz freigesprochen werden will, nachdem er wegen mehrfacher Drohung zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt wurde. Vor ihm, sagt er, müsse sich die Geschädigte bestimmt nicht fürchten, eher vor ihrem eigenen Gewissen. Laut Anklage hat der Beschuldigte die Kindergärtnerin seiner Tochter bedroht, nachdem das Kind aufgrund deren Gefährdungsmeldung an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB fremdplatziert wurde. Die familiären Zustände beschönigt er nicht. Stimmt, seine Frau sei «immer besoffen». Deshalb habe er die Kindergärtnerin auch gebeten, ihn zu informieren, falls es Probleme gebe. Doch die ging einen anderen Weg. Als das Kind im Winter in kurzen Hosen und Flipflops auftauchte und Tochter wie Mutter Zeichen körperlicher Gewalt aufwiesen, meldete sie sich bei den Behörden. Als die Tochter fremdplatziert wurde, war der Vater ausser sich. Erst wollte der Mann sich gleich bei Tele Züri und 20 Minuten melden, doch er besann sich und rief die Pädagogin an. Sagen konnte er nicht viel, nur: «Was machen Sie für einen Seich?» – dann legte die Frau auf. Er habe nur retten wollen, was es noch zu retten gab. Doch da war nichts mehr zu machen. Ein paar Tage später meldete er sich erneut bei der Kindergärtnerin, drohte mit den Medien und sagte: «Ich weiss, wo sie wohnen, sie werden ‹es› schon spüren.» Dass er die Medien letztlich nicht einschaltete, ist dem Rat seines Anwalts zu verdanken, der sich auch heute für ihn einsetzt: Das erstinstanzliche Urteil sei so einseitig, dass es ihn wütend mache, sagt er in seinem Plädoyer. Im Verlauf des Verfahrens sei die Sache laufend zugespitzt worden. Die Schilderungen der Kindergärtnerin wurden immer dramatischer, eine Psychologin diagnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung, und eine Anwältin verlangte dann auch noch Schmerzensgeld vom Angeklagten. Dabei habe sie einfach
die Ironie des Beschuldigten nicht verstanden. Das «es», das sie spüren sollte, waren doch keine Schläge, sondern eben die Medien. Die junge Pädagogin sei eine sehr ängstliche Person, aber das könne man ja schwerlich dem Angeklagten anlasten. Man fragt sich schon, wie diese Sache zu einem Gerichtsfall wurde. Dass der Mann ausgerastet ist, scheint verständlich. So verständlich wie die Gefährdungsmeldung der Kindergärtnerin. Warum war kein Gespräch möglich? Das Obergericht taxiert das Vorgehen der Behörden denn auch als «unglücklich». Ein übereifriger Wachtmeister habe einseitig ermittelt, eine überbesorgte Psychologin eine voreilige Diagnose gestellt. Denn: Eine Drohung im rechtlichen Sinn muss einem durchschnittlich ängstlichen Menschen Angst machen – und diese Intensität wiesen die eingeklagten Äusserungen nicht auf. Den Akten sei zu entnehmen, die Kindergärtnerin habe Angst gehabt, der Angeklagte könnte ihr etwas «ins Gesicht sagen». Das reicht nicht. Deshalb: vollumfänglicher Freispruch! Y VONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin in Zürich
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FOTO: KHUSRAW MOSTAFANEJAD
Ein Bild aus dem Dokumentarfilm «Down by Islamic State»: Hasan tröstet seinen Enkel vor der selbst gebauten Hütte.
Challenge League
Hasan und Khzer Von Mitte Dezember 2016 bis Mitte Januar 2017 drehte ich für mein Filmstudium an der F+F Schule für Kunst und Design Zürich den Dokumentarfilm «Der Jeside, Die Jesidin». Er dauert 12 Minuten und beschreibt die Lage einer Familie im Norden des Irak, die vor dem IS geflohen ist. Damals kamen meine Eltern extra aus dem Iran nach Irakisch-Kurdistan, um mich zu sehen. Aber ich war Tag und Nacht bei der Arbeit und nahm nur hin und wieder meinen Vater mit zum Dreh. Meine arme Mutter blieb fast immer im Hotel zurück, weil ihr Fuss schmerzte. Während der Dreharbeiten fielen mir die vielen Zelte und Hütten entlang der Strassen der nordirakischen Stadt Erbil auf. Auf manchen fand sich das UNHCRKennzeichen, das Symbol des Flücht lingshilfswerks der Vereinten Nationen. Hier fristeten Vertriebene und Geflüchtete nun ihr Leben, schön geordnet in Reih und Glied. Manche lebten auch im Freien. Diese Lager inspirierten mich zu einem weiteren Film, den ich «Down by Islamic State» genannt habe. Es ist mein erster langer Dokumentarfilm. Der Film erzählt unter anderem die Geschichte von Hasan (64). Er kommt ursprünglich aus Afrin, der kurdischen Stadt im Norden Syriens, die seit Kurzem 6
unter Beschuss türkischer Truppen steht. Nach Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien floh die Familie zuerst nach Damaskus, danach nach Duhok im Nord irak, von dort nach Mosul und schliesslich hierher nach Erbil. In Mosul wurde sein erwachsener Sohn von Islamisten verschleppt, nachdem er in einer Apotheke Kurdisch gesprochen hatte. Damals, im Jahre 2014, war die Stadt Mosul in der Hand des sogenannten Islamischen Staats. Aus Angst vor dem IS floh die Familie danach ins Hoheitsgebiet der kur dischen Autonomieregierung. Der Sohn blieb in der Gewalt der Islamisten. In Erbil baute Hasan mit seiner Familie eine kleine Hütte, einen einfachen Bretterverschlag, am Rande der Stadt. Die Nachbarn versorgen sie mit Strom und Wasser. Manchmal stoppt ein Auto neben dem Haus und jemand bringt Essen für die Familie. Auf diese Weise können die Grosseltern und die Kinder des verschleppten Sohnes knapp überleben. Sechs Kilometer entfernt, am Rande eines anderen Stadtteils, wohnt Khzer (53), ein Christ aus dem Süden des Irak, mit seiner Familie. Auch sie sind vor dem IS geflohen. Vor der Flucht besassen sie mehrere Geschäfte und Restaurants und gehörten zu den Reicheren in ihrer
Gegend. Nun wohnen sie in einem Flüchtlingslager, wo es medizinische Versorgung, Essen und Arbeit gibt. Khzer ist einer der Wächter des Lagers, die von den Peshmerga unterstützt werden. Seine Familie kocht für das Neujahrsfest, Khzer hilft dabei. Die christliche Familie feiert das Neujahr 2017 mit Feuerwerk und Tanz in der Stadt Erbil. Hasan aus Afrin hat keine Lust zum Feiern. Er wartet auf seinen vom IS verschleppten Sohn. Trotz aller Schwierigkeiten kümmern sich die Grosseltern rührend um die Enkelkinder. Am späten Abend geht die Mutter mit ihrer Tochter und ihrer Schwiegertochter kurz raus: Ein Auto hat am Strassenrand angehalten, jemand hat Essen gebracht. Nun kann der Grossvater am Neujahrsfest für die Kinder grillieren. Ein bisschen Hoffnung zeigt sich auf seinem Gesicht, als er später in der untergehenden Abendsonne den Grill und das Zubehör reinigt. Die Kinder können am ersten Abend des neuen Jahres mit vollem Magen schlafen gehen. Khusraw Mostafanejads Kurzfilm «Der Jeside, Die Jesidin» ist auch auf YouTube zu sehen: www.youtube.com/watch?v=YrxAbbEjCKo
Der kurdische Journalist KHUSRAW MOSTAFANEJAD floh aus seiner Heimat Iran und lebt seit 2014 in der Schweiz.
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ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING
Krankheiten einschliesse, entgegnete der damalige FDP-Bundesrat Didier Burkhalter in der parlamentarischen Debatte, dass «klassische» psychische Krankheiten wie Depressionen aus seiner Sicht objektivierbar und deshalb nicht betroffen seien. Die offene Formulierung führte jedoch dazu, dass die IV-Stellen daraufhin versuchten, alle möglichen Erkrankungen als nicht rentenberechtigte Päusbonogs einzustufen. Manchmal gab das Bundesgericht ihnen recht, manchmal nicht. Mediziner und Versichertenanwälte protestierten, dass das doch so nicht gehe. 2015 erinnerte sich das Bundesgericht dann plötzlich wieder an den Gesetzestext, wonach nicht die Diagnose, sondern die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen seien. Bei Päusbonogs sollten deshalb fortan anhand verschiedener Indikatoren die effektiven Einschränkungen ermittelt werden.
All inclusive
Stammtisch oder Bundesgericht? Für den Stammtisch ist es sonnenklar: Der Ueli sitzt im Rollstuhl, da sieht man sofort, dass das ein «richtiger» Invalider ist. Aber bei Fatima, da sieht man nix, das ist sicher so eine Scheininvalide. Depressionen? Unerklärliche Schmerzen? Da könnte ja jeder kommen. Der mittlerweile verstorbene SVPNationalrat This Jenny behauptete 2010 in der Sendung «Arena» gar: «Jeder, der erzählt, er sieht weisse Mäuse, bekommt eine IV-Rente.» Laut dem ATSG (Allgemeiner Teil des Sozialversicherungsrechts) sind allerdings «für die Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen». Übersetzt für den Stammtisch heisst das: Wenn jemand gehörlos ist, weisse Mäuse sieht oder im Rollstuhl sitzt, berechtigt ihn das nicht automatisch zu einer IV-Rente. Relevant ist nicht, welche Behinderung jemand hat, sondern wie sich diese Behinderung konkret auf dessen Erwerbsfähigkeit auswirkt. Surprise 419/18
Unter dem (Ein-)Druck der Scheininvalidenvorwürfe der SVP «vergass» das Bundesgericht allerdings diesen Teil des Gesetzestextes und begann ab 2004, immer mehr Versicherte allein aufgrund ihrer Diagnose von IV-Leistungen aus zuschliessen: Deren Symptome seien nicht beweisbar und darum «mit zumutbarer Willensanstrengung überwindbar». Wissenschaftliche Grundlagen für diese steile These existierten zwar nicht, aber von rechter Seite wurde freudig applaudiert. Im Rahmen der 6. IV- Revision entschied die rechtsbürgerliche Ratsmehrheit zudem, dass nicht nur neue Renten verweigert, sondern auch alle einst rechtmässig aufgrund von «pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage» (abgekürzt «Päusbonog») zu gesprochenen Renten aufgehoben werden sollten. Auf Einwände der Ratslinken, dass diese Formulierung nicht nur Schmerzkrankheiten, sondern alle psychischen
Bei mittelschweren Depressionen fanden die Bundesrichter unterdessen einen anderen Kniff: Da diese behandelbar seien, könne man da grundsätzlich keine Rente sprechen. Nachdem Psychiater protestierten, dass eine Therapie Jahre dauern könne, befand das Bundesgericht letzten Dezember: Na gut, dann gilt das ursprünglich für unklare Beschwerdebilder entwickelte Beweisverfahren jetzt auch für Depressionen. Und wo wir schon dabei sind, gerade für alle psy chischen Krankheiten (ähm, Herr Burkhalter!?). In diesem strengen Beweis verfahren werden nicht nur die Krankheit, sondern auch Hobbys, soziales Umfeld und mehr genau unter die Lupe genommen. Für Körperbehinderte gilt diese Regelung nicht. Obwohl natürlich auch bei körperlichen Krankheiten kein Röntgenbild darüber Auskunft gibt, wie viel jemand trotz seiner Behinderung noch arbeiten kann. Bei Körperbehinderten heisst es oft: Oh toll, hat er/sie *trotz Behinderung* ein Hobby. Bei psychisch Kranken hingegen: ein Hobby? Der/die kann auch arbeiten! Stammtisch oder Bundesgericht? Man weiss es nicht mehr so genau. MARIE BAUMANN schreibt unter ivinfo.wordpress.com über die Invaliden versicherung und wundert sich über die Urteile des Bundesgerichts.
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Ohne Schutz
Bildlegende, Bildlegende, Bildlegende
Sicherheit Die Zahl der Obdachlosen nimmt zu. Doch wer draussen schläft,
ist angreifbar. Das zeigte zuletzt die Tötung eines Obdachlosen in Basel. Wie gehen die Betroffenen damit um? TEXT SIMON JÄGGI FOTOS SOZIALWERKE PFARRER SIEBER
Ein Feuer gegen die Kälte, fotografiert von einem Obdachlosen. 8
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Basler Tageshaus für Obdachlose. An einem Tisch sitzt Hans M.* Glatt rasiert, fein umrahmte Brille, obdachlos. Seit vergangenem September schläft er unter freiem Himmel, in einem ruhigen Quartier am Rande der Stadt. Wenn er sich am Morgen aus seinem Schlafsack geschält hat, legt er sich als Erstes wieder auf den Boden. «Den Tag beginne ich mit 20 Liegestützen», sagt Hans M. Als Mittel gegen die beissende Kälte und weil Disziplin braucht, wer auf der Strasse bestehen will. Um neun Uhr geht er in eine geheizte Kirche im Stadtzentrum. Dort sitzt er dann, wärmt sich auf, denkt nach. Manchmal übt ein Orgelspieler. Diese Stunde sei für ihn besonders wertvoll. Sie gebe ihm Ruhe und Kraft, sagt Hans M. «Rückzug finden, das ist etwas vom Schwierigsten, wenn du draussen lebst.» Offizielle Zahlen zu Obdachlosigkeit gibt es in der Schweiz keine. Anders in Deutschland. Dort lebten im Jahr 2016 gemäss einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe BAGW etwa 52 000 Menschen auf der Strasse, 2008 waren es noch 20 000 gewesen. Auch in den Schweizer Städten häufen sich die Anzeichen dafür, dass immer mehr Menschen draussen schlafen. Anlaufstellen in Zürich und Lausanne berichten von steigender Nachfrage, auch der Basler Verein für Gassenarbeit zählt immer mehr Menschen ohne feste Wohnadresse. Allein in Lausanne schlafen jede Nacht 50 bis 100 Menschen auf den Strassen – Tendenz zunehmend. «Die Zahl der Obdachlosen in der Schweiz steigt», schrieb Nau.ch im Dezember; «Mehr Obdachlose in Bern», titelte die Berner Zeitung; «Immer mehr Menschen in der Schweiz leben ohne ein Dach über dem Kopf», vermeldete SRF Online. Ihren Höhepunkt erreichte die mediale Aufmerksamkeit, als vier Tage vor Weihnachten in Basel ein Obdachloser auf einer Parkbank erstochen wurde. Georges wurde dort getötet, wo er lebte Georges – die regionalen und nationalen Zeitungen nannten den Getöteten beim Vornamen – wurde innert weniger Tage zu einem Symbol für die prekäre Lage all jener, die unter freiem Himmel schlafen. Er lebte seit einigen Jahren neben einer Freizeitanlage im Kleinbasel. Am Ufer des Rheins, in der Nachbarschaft eine Sekundarschule, ein Jugendtreff, ein Basketballfeld. Ein belebter Ort, der sich in der Nacht zum Drogenumschlagplatz wandelt. Georges ist diese Nachbarschaft möglicherweise zum Verhängnis geworden. Die Polizei nahm wenige Tage nach seinem Tod einen mutmasslichen Drogendealer fest, der für die Tat verantwortlich sein soll. Angriffe auf Obdachlose sind in der Schweiz bisher selten, Zahlen dazu gibt es keine. Auch hier wird in Deutschland genauer hingeschaut: Laut der BAGW verloren seit 1989 über 500 obdachlose Frauen und Männer Surprise 419/18
durch Gewalt ihr Leben. Allein 2016 seien 17 Todesopfer zu beklagen gewesen. Mehr als 140 Obdachlose wurden bei Angriffen verletzt. Oftmals handle es sich dabei um Konflikte zwischen Wohnungslosen, die Konkurrenz habe stark zugenommen, schreibt die BAGW. Häufig gebe es aber auch einen rechtsextremistischen Hintergrund. Von derartigen Zuständen ist die Schweiz weit entfernt. Doch hier wie in Deutschland gilt: Wer auf der Strasse schläft, ist verletzbar. Hans M. hat aus der Zeitung von der Tat im Kleinbasel erfahren. Selber habe er das Opfer nicht gekannt. «Die Tat machte mir deutlich, wie prekär meine eigene Lage ist. Wenn ich schlafe, habe ich keine Chance, mich zu wehren.» Hans M. wohnt nun seit fünf Monaten auf der Strasse. Er lebte davor in der Innerschweiz, verdiente sein Geld mit Gelegenheitsjobs im Gastgewerbe und als Handwerker. Im vergangenen Sommer musste er das Haus verlassen, in dem er während vielen Jahren gelebt hatte. Er verlor den Boden unter den Füssen, reiste in den Jura, wo er in einem abgelegenen Hotel ein Zimmer mietete. Als er Ende September nur noch 140 Franken übrig hatte, machte er sich zu Fuss auf den Weg nach Basel. Entkräftet und mit Blasen an den Füssen erreichte er fünf Tage später jene Stadt, in der er sich schon bei früheren Besuchen zuhause geHANS M. fühlt hatte. Davon erzählt Hans M. mit klarer Stimme und Schweisstropfen auf der Stirn, das Gespräch kostet ihn Überwindung. «Ich habe Angst vor der Nähe zu anderen Menschen», sagt er. Auch deshalb war die Basler Notschlafstelle für ihn nie eine Option. Stattdessen zog er auf der Suche nach einem ruhigen und sicheren Schlafplatz durch die Aussenquartiere der Stadt. Gefunden hat er ihn am Stadtrand zwischen historischen Häusern und einem kleinen Park. Hans M. ist kein Einzelfall. Ein grosser Teil der Obdachlosen lebt abseits der Zentren. In den Aussenquartieren, in Parks oder an Waldrändern. Wo sie möglichst
«Die Tat machte mir deutlich, wie prekär meine eigene Lage ist. Wenn ich schlafe, habe ich keine Chance, mich zu wehren.»
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«Egal wo, du schläfst nur mit einem Auge. Die eine Hirnhälfte ist fast immer auf Alarm.» ROGER MEIER
Wer draussen schläft, muss fit sein und sich wehren können: Schlafplatz in der Stadt.
Ein grosser Teil der Obdachlosen lebt abseits der Zentren, zum Beispiel in Parks oder an Waldrändern.
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niemand sieht, wo sie Ruhe finden und etwas Schutz. So auch Markus F.* Der Surprise-Verkäufer schlägt als Treffpunkt die Zentralbibliothek in Zürich vor. Ein Mann über 50, Jeans, Windjacke, aufrechter Gang, vom Wetter gegerbte Haut. Auch auf den zweiten Blick lässt nichts erahnen, dass er seit 15 Jahren draussen lebt. Als obdachlos möchte sich Markus F. nicht bezeichnen. Er hat sich einen Schlafplatz eingerichtet, wo er auch bei Wind und Regen geschützt ist. Er lebe an der Grenze zwischen «Natur und Kultur», sagt er. In einem Aussenquartier in der Nähe des Waldes, wo ihn manchmal ein Fuchs besuchen komme. Wo genau er schläft, möchte er nicht sagen. Wie die meisten «rough sleepers», wie sie im Englischen genannt werden, hütet er seinen Schlafplatz wie ein Geheimnis. Um unerwünschte Besucher fernzuhalten und weil sichere Schlafplätze eine umkämpfte Seltenheit sind. Mit der zunehmenden Zahl von Obdachlosen steigt auch die Konkurrenz. Die grösste Gefahr lauert im Strassenverkehr Markus F. hat immer genau geschaut, wo er schläft. Im Stadtzentrum habe er kaum je übernachtet. «Dort weisst du nie, auf wen du triffst. Ich würde mich da nicht sicher fühlen.» Die eigene Verletzbarkeit bleibt auch so ein präsentes Thema für ihn. Selber sei er noch nie ausgeraubt oder angegriffen worden, er wisse aber von Freunden, denen das bereits passiert sei. Die grösste Gefahr in seiner Sicht ist jedoch der Verkehr. Das Risiko, im Stadtverkehr von einem Auto angefahren zu werden, sei grösser als das, ausgeraubt zu werden. Wer draussen schlafe, sei oft entkräftet, trage Gepäck mit sich rum, sei viel unterwegs, sagt Markus F. Wer bestehen möchte, müsse robust sein. Sich bewegen, am besten auf Tabak und Alkohol verzichten. Man brauche einen Ausgleich, eine Leidenschaft, die man ausleben könne. Für Markus F. sind es die Bücher und die Sprache. Er verbringt viel Zeit in der Bibliothek, schreibt selber Texte. Vielleicht das Wichtigste zum Überleben: Man müsse sich abgrenzen können. «Ich kann niemandem helfen, wenn es mir selber nicht gut geht.» Disziplin, Struktur, Abstinenz: Wer sich auf die Suche macht nach Obdachlosen, trifft in der Regel nicht auf schwache Personen. Was Markus F. und Hans M. exemplarisch aufzeigen, bestätigt Christian Fischer, Leiter der Stelle Sicherheit Intervention Prävention (sip) in Zürich. «Obdachlose werden oft als bedürftig und hilflos beschrieben. Ich habe von vielen aber den Eindruck, dass sie ziemlich fit sind. Das sind nicht nur arme, wehrlose Wesen. Die können sich wehren und müssen das auch. Sonst können sie dieses Leben gar nicht führen.» Fischer und sein Team sind viel draussen unterwegs und stehen regelmässig im Austausch mit Betroffenen. Wenn es zu Diebstählen Surprise 419/18
komme, so seine Beobachtung, dann würden diese häufig durch andere Obdachlose begangen. Ob die Zahl der Delikte zugenommen hat, dazu kann Fischer keine genauen Angaben machen. Er habe jedoch nicht den Eindruck, sagt er. Ähnlich klingt es bei der Stadtpolizei Zürich und der Kantonspolizei Basel-Stadt. Doch offizielle Statistiken dazu, wie oft Obdachlose Opfer von Verbrechen werden, gibt es keine. Schlaflose Nächte nach dem Angriff Das Gefühl, wenn man an seinem Schlafplatz angegriffen wird: Roger Meier kennt es. Der Surprise-Stadtführer aus Bern hat während 25 Jahren auf der Strasse gelebt. Dabei erfüllte auch er auf Anhieb keines der Klischees, wie sie Obdachlosen gemeinhin zugeschrieben werden. Er war in der Regel rasiert, duschte jeden Morgen, war sauber gekleidet. Auf einem Velo mit Anhänger transportierte er sein Hab und Gut durch die Stadt. Kleider, Bücher, iPad, Bettgestell mit Matratze, chemische Toilette. Er schlief manchmal in der Stadt, meistens aber in den Aussenquartieren oder im Wald. «Egal wo, du schläfst nur mit einem Auge. Die eine Hirnhälfte ist fast immer auf Alarm», sagt er. In einer Nacht jedoch, Roger Meier hatte etwas zu viel getrunken, war seine innere Alarmanlage ausgeschaltet. Er übernachtete ausnahmsweise in einem kleinen Park im Stadtzentrum. Als er erwachte, war er umringt von einer Gruppe junger Männer. Einer drückte ihm ein Messer an den Hals, ein anderer hielt ihm die Nase zu. Sie nahmen sein Tablet mit, sein Handy und etwas Geld. Zurück blieb Roger Meier und der Schock, den er bis heute nicht überwunden hat. «Es ist, als würde jemand in deine innerste Privatsphäre eindringen.» Ein paar Tage später kaufte er sich ein Licht mit einem Bewegungsmelder und ein Messer mit einer langen Klinge, das er jede Nacht unter sein Kopfkissen legte. Doch die schlaflosen Nächte blieben. Vor zwei Monaten bezog Roger Meier nach vielen Jahren nun wieder eine kleine Wohnung. Die Ruhe, sagt er, tue ihm gut.
Die Sicht der anderen Die Fotos zu diesem Artikel stammen von Obdachlosen aus Zürich. Sie haben ihren Alltag eine Woche lang mit Einweg kameras dokumentiert. Die Initiative zum Projekt «Die Sicht der anderen» ging von den Sozialwerken Pfarrer Sieber aus, die Bilder wurden im Januar an der photo18 in Zürich ausgestellt. Mehr Bilder aus dem Projekt finden Sie unter: www.surprise.ngo/strassenmagazin
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Der Ball der Jungfrauen Keuschheit Jedes achte Mädchen in den USA will jungfräulich in die Ehe gehen,
selbst Küssen ist vorher tabu. Auf pompösen Purity-Bällen schwören die jungen Frauen vor Gott ihre Enthaltsamkeit – und bauen dabei auf die Hilfe ihrer Väter. TEXT PATRICK WITTE FOTOS ANNIE FLANAGAN
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Beauchamp Powers tanzt mit seiner Tochter Hannah, die ihm eben Enthaltsamkeit bis zur Ehe geschworen hat.
Welche Krawatte passt am besten? Beauchamp ist noch unentschlossen. Surprise 419/18
Beauchamp Powers steht vor dem Standspiegel im Wohn zimmer seines Hauses in Bossier City, Louisiana. Die Strahlen der Nachmittagssonne fallen auf den Spiegel, Beauchamp nestelt mit gerecktem Kinn an seinem Kra wattenknoten. Das Licht blendet, mit zusammengeknif fenen Augen blickt er abwechselnd auf den roten Seiden stoff und dann wieder auf das Spiegelbild seiner Tochter Hannah, die hinter ihm an ihrem weissen Ballkleid zupft. Mutter und Geschwister schwirren um sie herum wie Koli bris. Sie lachen, umarmen sich, machen einander Kom plimente. Reinste Familienidylle. In diesem Augenblick, sagt Beauchamp später, habe er beschlossen, auf dem Ball am Abend gegen seine Tränen anzukämpfen. Hannah zuliebe. Beauchamp ist 44 Jahre alt, High-School-Lehrer, tief gläubiger Christ. Ein Mann des Südens, der normalerweise Jeans und Boots trägt und die Worte langzieht, «yes, Sir», «no, Ma’am». Sein Rauschebart lässt ihn alttestamenta risch wirken. Beauchamp ist ein Vater, der bald loslassen muss. Und er weiss es. Seine Hannah ist jetzt 17, und sie wird gehen – Richtung College, in eine andere Stadt, weit weg von der Familie. Und vor allem weit weg von ihm. Beauchamp fällt es schwer, sie ziehen zu lassen. Die Ver bindung zwischen Vätern und Töchtern, sagt er, sei eine ganz besondere. Als sein Sohn vor zwei Jahren aufs Col lege ging, sagte Beauchamp nur: «Jetzt stehst du auf ei genen Füssen.» Bei Hannah ist das anders. «Ein Vater», sagt Beauchamp, «weiss, wie zerbrechlich seine Tochter ist. Jungs schütteln sich einfach den Staub von der Hose, wenn sie gefallen sind. Deine Tochter willst du beschüt zen. Aber es wird nicht für immer gehen. Das ist bitter für einen Vater.» Der Ball an diesem Abend ist ein grosses Ereignis für die Tochter, und für den Vater. Dort wird Hannah einen Schwur ablegen: Sie wird versprechen, eine Jungfrau zu bleiben, bis sie heiratet. So lange will sie ein Leben führen ohne Knutschen, ohne Rummachen, ohne Sex. Enthalt sam und rein will sie sein. Und meint damit nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Seele und ihren Geist. Das werde auch ihm helfen, sagt Beauchamp. Überall lauert Verrat und Betrug Purity Balls, Bälle der Reinheit – so heissen in den USA die pompösen Veranstaltungen, auf denen Mädchen Keuschheitsgelübde ablegen. Im Gegenzug versprechen die Väter ihren Töchtern, sie auf diesem Weg zu unter stützen. Wenn eine Frau schliesslich den Mann gefunden hat, den Gott für sie bestimmt hat, entscheidet der Vater, ob er seinen Segen gibt, und führt die Tochter zum Altar. Beauchamp wünscht sich, dass der Tag, an dem er seine Tochter einem anderen anvertrauen muss, noch weit ent fernt in der Zukunft liegt. Heute Abend wollen sie Spass haben. «Aber auch das Heilige, das Ernste in Ehren hal ten», sagt Beauchamp. Und wenn er schon nicht verhin dern kann, dass seine Tochter erwachsen wird, soll der Ball zumindest helfen, sie vor dem Schlechten dieser neuen Welt zu bewahren. Man müsse sich ja nur um schauen: Ob Bandenkämpfe, Aids oder Porno, überall lau ere Verrat und Betrug. 13
Hannah kann den Abend kaum erwarten. Schon vor Jah ren habe sie beschlossen: «Ich warte, bis der Richtige kommt.» Zwar hatte sie schon mal einen Freund, doch mehr als ein Küsschen auf die Wange war nicht drin. Und als er nicht aufhörte, mehr zu wollen, trennte sie sich. In aller Freundschaft. Heute, auf dem Ball, wird sie ihre Ent scheidung zur Enthaltsamkeit feiern. In der Öffentlichkeit. Für sich. Für Gott. Und für ihren Vater. «Seit ich weiss, was Purity bedeutet, will ich selbst rein sein. Wenn Gott sagt, dass ich vor der Ehe keinen Sex haben soll, dann halte ich mich daran.» Dabei ist es für sie völlig normal, jemanden zu begehren. «So ist die menschliche Natur. Aber man darf dem Verlangen eben nicht nachgeben.» Sie verurteile niemanden für einen anderen Lebensstil, sagt Hannah, das fromm erzogene Mädchen. Eher empfinde sie Mitge fühl mit denjenigen, die unrein leben und sich ihren Schwächen wie Trinken, Rauchen oder Sex hingeben. «Ich respektiere die Wahl der anderen. Aber so ein Leben ist nichts für mich.» Ein Gebet gegen «diese Gedanken» Wenn Hannah so spricht, meint man, ihre Eltern zu hö ren. Ihr Vater und ihre Mutter setzen Hannah nicht einfach Regeln – sie bringen sie dazu, diese selbst festzulegen: Sie trifft sich nie allein mit einem Jungen in ihrem Zim mer, nur im Wohnzimmer oder gleich in der Öffentlichkeit. Falls sie doch einmal «diese Gedanken» bekommt, hilft
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ihr ein Trick: Sie betet. «Dafür, dass Gott mir hilft, diese Gedanken wieder loszuwerden.» Hannah streicht noch einmal über ihr Kleid und lächelt zufrieden. Gleich wird ein Stylist sie schminken, ihr Korkenzieherlocken drehen und sie in einer Wolke aus Haarspray glitzern lassen. Die stille Schülerin mit Brille, Jeans und Pullover, das Mäd chen von nebenan, sie verwandelt sich für einen Abend in eine Dame. Der grosse Aufwand für Hannahs Zeremonie erinnert an eine Mischung aus Tanzschule und Maturball und soll, so die Veranstalter, einen «entscheidenden Einschnitt» im Leben der Mädchen markieren. Hannah wird auf dem Ball die Älteste sein, die anderen Mädchen sind erst drei zehn, vierzehn Jahre alt. Es wäre leicht, die Keuschheits gelübde als skurrile Vorliebe einiger weniger Jesusfreaks abzutun: Die evangelikale Kirche, Abtreibungsgegner und konservative Politiker sponsern die Purity-Bälle. Auch Familie Powers ist streng gläubig. Praktisch an jeder Wand, an jedem Regal des Hauses hängen Kreuze und Tafeln mit frommen Sprüchen. «Family is everything, die Familie bedeutet uns alles», heisst es darauf. «Wir dienen dem Herrn» oder «Jesus loves you». Selbst für den Fami lienhund spricht Beauchamp vor dem Fressnapf ein Gebet. Jedes achte Mädchen leistet den Schwur Die Bälle finden jedoch nicht nur bei den tiefgläubigen Südstaatlern statt, sondern überall in den USA. Und ihre Zahl steigt von Jahr zu Jahr. In 48 der 50 US-Bundesstaa ten schwören jedes Jahr Mädchen ihren Vätern Enthalt samkeit. Mittlerweile will jedes achte Mädchen zwischen acht und 18 Jahren nicht nur auf Sex vor der Ehe verzich ten, sondern gleich allen Versuchungen der Lust wider stehen. Das sind über drei Millionen. Inzwischen hat sich ein richtiger Jungfrauen-Lifestyle entwickelt, die Purity- Bälle sind dessen feierlicher Höhepunkt: Es gibt Purity- Kinderbücher, in denen die Reinheit der Heldin gefeiert wird, die älteren Mädchen gehen auf Purity-Konzerte, ma chen Ferien in Purity-Zeltlagern oder tragen Purity-Silber ringe mit der Gravur «Worth the Wait, es lohnt sich zu warten». Auch in Deutschland versucht die Bewegung Fuss zu fassen, allerdings ist der Zulauf zum Verein «Wahre Liebe wartet» bei Weitem nicht so gross wie in den USA. Der Purity-Ball für Beauchamp und Hannah findet in der Nachbarstadt Shreveport statt. Der Ball nennt sich Arc-La-Tex, weil Jungfrauen aus Arkansas, Louisiana und Texas eingeladen sind. Im extra blank polierten schwar zen Pick-up fährt die Familie wenige Minuten über breite Highways und erreicht den Parkplatz des mondänen East Ridge Country Clubs. Es riecht nach Kiefern, Eichhörn chen huschen durch die Baumkronen. Neben den Ten niscourts erstreckt sich ein Golfplatz, ein Säulengang führt zum Eingang des Festsaals, ausgestattet mit poliertem Parkett, Kronleuchtern und festlich dekorierten Tischen. Kellner servieren drei Gänge, dazu natürlich nur unbe denkliche Getränke, Wasser und Eistee. Der Eintritt kostet 100 Dollar, die evangelikale Kirche Shreveports beteiligt sich an den Kosten. Die einmalige Entscheidung der Mädchen verdiene es schliesslich, würdevoll gefeiert zu werden. Viele der Mädchen besu Surprise 419/18
Die Mädchen beim Einzug in den East Ridge Country Club.
Vor dem grossen Moment sammeln sich die beiden.
Vater und Tochter beim Ankleiden am Nachmittag.
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Hannah und ihr Vater sind bereit für das Keuschheitsversprechen.
Beauchamp krönt seine Tochter mit einem silbernen Diadem.
Inniger Moment: Nach dem Schwur lehnen die beiden ihre Köpfe gegeneinander.
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Jungfrauen-Lifestyle: Väter und ihre Töchter am Purity Ball in Shreveport.
chen zum ersten Mal eine derart edle Veranstaltung, und sie wirken stolz, dass dieser Aufwand allein ihnen gilt. In ihren weissen Kleidern aus Tüll und Seide erinnern sie, ausgerechnet, an junge Bräute. Auch Beauchamp ist be eindruckt. «Es fühlt sich komisch an. Ich bin fast so auf geregt wie bei meiner eigenen Hochzeit.» Hannah betritt den Saal am Arm ihres Vaters. Sie ganz in Weiss, er im schwarzen Anzug. Wie ein skurriles Brautpaar durch schreiten sie einen Bogen aus weiss angesprühten Zwei gen, an denen Lichter funkeln, der Saal ist in warmes Licht getaucht. 30 Prinzessinnen, mit Zahnspangen und letztem Babyspeck, lassen sich von ihren Begleitern zu den Ti schen führen. Die Redner des Balls, Veranstalterinnen, Pfarrer, spre chen vom «Wert der Entscheidung», von der «Verpflich tung Gott gegenüber», davon, wie «wertvoll, schön, selbstbewusst und stark» diese Mädchen sind, die rein leben. Sie seien «die vorderste Reihe Gottes, die Prinzes sinnen des Königs». Für all die Unsicherheiten, die ein Mädchen in der Pubertät so anfällig und verletzlich ma chen, biete der Ball die einfache und richtige Lösung: Enthaltsamkeit. Enthaltsamkeit als Verhütungsmethode Obwohl die Mädchen sich längst entschieden haben, leis ten die Veranstaltenden weiter Überzeugungsarbeit, nicht nur mit göttlichen Versprechen, sondern auch mit Ab schreckung. Alicia Forrest war auf dem falschen Weg und wurde bekehrt. Sie ist 29, veranstaltet den Ball mit und arbeitet für das Crisis Pregnancy Center, ein christliches Zentrum gegen Abtreibung. Sie spricht zu den Mädchen über Geschlechtskrankheiten und Teenagerschwanger schaften. Um all das zu vermeiden, sollten die Mädchen «auf Party und Spass verzichten». Tatsächlich ist die Zahl von schwangeren Teenagern in Shreveport die höchste in ganz Louisiana, auch Krankheiten wie Herpes und Tripper sind in der Region laut der staatlichen Gesund Surprise 419/18
heitsbehörde Center for Disease Control besonders weit verbreitet. Schwangerschaften und Krankheiten könnte man natürlich auch vermeiden, indem man über Verhü tung aufklärt. Aber selbst im Sexualunterricht in der Schule wird gelehrt, Enthaltsamkeit sei die einzig wahre Verhütungsmethode. Alicia führt in ihrer Argumentation sich selbst als schlechtes Beispiel an. Sie entschied sich erst mit 22 Jah ren, nach einer «schlimmen Erfahrung» mit ihrem da maligen Freund, enthaltsam zu leben. Jungfrau sei sie nicht mehr und könne genau deshalb anderen zur Vorsicht raten, meint sie. Sex vergleicht sie mit Feuer: «Beide zie hen einen an, sie können wärmen, aber auch sehr gefähr lich werden.» Debbie, eine weitere Veranstalterin der Pu rity Bälle, erzählt freimütig von ihrem früheren Job als Stripperin. «Mit allem, was dazugehört.» Ihr verschwö rerisches Nicken soll sagen, dass man das besser nicht nachmacht. Die Väter erzählen von Scheidungen und Drogen Hannah nimmt ihren Vater zum Vorbild. Er ging rein und jungfräulich in die Ehe, seit 22 Jahren ist er verheiratet. Damit ist er an dem Abend allerdings eine Ausnahme. Andere Väter erzählen mal grinsend, mal verstohlen von ihrer bierseligen Zeit in der Armee, von viel zu frühen Hochzeiten und ebenso frühen Scheidungen, von Drogen erfahrungen und vor allem davon, dass sie «einfach zu jung und zu dumm waren». Erst danach fanden sie zu Gott, wurden von Jesus gerettet. Und fromm zu leben, heisst in der Gegend des Bible Belt, wie man die konservativ-christlichen Südstaaten auch nennt, für Unverheiratete eben auch, enthaltsam zu leben. Die Lebenswege der Väter werden so zum Massstab für die Mädchen, die heute ihren Schwur ablegen. Nicht aus Heuchelei. Sondern weil die Väter sie wirklich vor den Erfahrungen schützen wollen, die sie gemacht haben – und vielleicht auch vor solchen Typen, die sie selbst da mals waren. Endlich ist es soweit: Die Mädchen beginnen, sich mit ihren Vätern aufzureihen, begleitet von einer Akustikgi tarre und einer Sängerin, die in hohen Tönen immer wie der die Zeile «Sei Teil dieser Geschichte» singt. Im Gleich schritt nähern sich Beauchamp und Hannah dem Rednerpult, das mit weissen Blüten und türkisfarbenen Bändern geschmückt ist, daneben flackern Kerzen. Beauchamp bekommt ein silbernes Diadem überreicht, das er Hannah auf die Stirn setzt, eine weisse Rose wird in ihre Hand gelegt, dann gehen beide zurück zu ihrem Tisch. Ein kurzer Weg, doch Hannah schaut gerührt zu ihrem Vater auf und blinzelt gegen die Tränen an. Es ist ein emotionaler Akt. Am Tisch spricht Hannah den vorgelesenen Schwur nach. Sie wolle «enthaltsam für ihren Ehemann bleiben», und wenn das Verlangen auftauche, dann werde sie ihren Vater nach Anleitung fragen, tatsächlich den Vater, so will es das Gelübde. Beauchamp lehnt mit geschlossenen Au gen seine Stirn an ihre und legt seine Hand schützend um sie, ein inniger Moment. Und er schafft es, die Tränen zurückzuhalten. 17
Die Renaissance der Heimarbeit Crowdworking Im 19. Jahrhundert wurden daheim in der Stube Uhren zusammengebaut oder Tücher gewoben. Heute klicken sich selbständig Erwerbende am Laptop durch ihre Aufträge – meist ohne arbeitsrechtliche Absicherung. TEXT ANDRES EBERHARD FOTOS TOM KAWARA
Wenn Menschen mit Laptop im Café sitzen, sieht das ganz entspannt aus. Es kann aber gut sein, dass sie gerade damit beschäftigt sind, ihr Geld verdienen. 18
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Einen Werbetext schreiben für 3 Franken, für 15 Franken jemanden von Zürich nach Winterthur chauffieren, für 20 Franken über Skype an einer Umfrage teilnehmen: Die Digitalisierung macht es möglich, über das Internet oder eine App innerhalb von kurzer Zeit Arbeit zu finden. Bereits ist von einer «Gig Economy» die Rede, einem Heer von Arbeitnehmenden, die sich in Zukunft mit vielen Kleinstaufträgen, neudeutsch Gigs genannt, über Wasser halten. Wie gemacht für diese neue, flexible Form der Arbeit ist das sogenannte Crowdworking. Firmen schreiben über digitale Plattformen wie Freelancer.com oder Upwork.com Aufträge aus, Arbeitnehmende können sich darauf bewerben. Oft wird synonym von «Crowdsourcing» gesprochen, weil es für die Auftraggeber ein Outsourcing von Arbeit an eine undefinierte Masse von Leuten, eine «Crowd», bedeutet. Was wie ein eben erst aufgekommener Trend klingt, ist in Wahrheit gar nicht so neu. Letztlich sind Crowdworking und andere flexible Arbeitsformen des digitalen Zeitalters ein Zeichen für eine Renaissance der alten Heimarbeit: Arbeitgeber lagern Arbeiten an formell selbständige Dienstleistende aus, statt dafür Personal anzustellen – hauptsächlich, um Geld zu sparen, teilweise auch, um vom technischen Know-how oder von den Ideen der Arbeitenden zu profitieren. Die neuen Crowdworker wiederum kämpfen mit denselben Problemen wie die alten Heimarbeiter, wie es sie bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Exportindustrien zuhauf gab: sehr schlecht entlöhnt und auf Gedeih und Verderb den Launen der Konjunktur oder einzelner Arbeitgeber ausgesetzt. Wirtschaftliche Risiken und ihre sozialen Folgen tragen sie ausnahmslos selbst. Wurden Heimarbeiterinnen früher per Strang Garn entlöhnt, erhalten Crowdworker heute einen kleinen Obolus für das Testen einer Software. Billige Arbeitskräfte auf dem Land Heimarbeit gibt es schon seit dem 16. Jahrhundert. Kaufleute aus der Stadt engagierten Handwerker auf dem Land als billige Arbeitskräfte. Ihre grosse Blütezeit erlebte die Heimarbeit mit der Einführung des Verlagssystems ab dem 17. Jahrhundert. Der Herstellungsprozess wurde in einzelne Arbeitsschritte zerlegt, die von jeweils anderen Spezialisten in Heimarbeit ausgeführt wurden. In der Textilindustrie beispielsweise lieferten Kaufleute Rohstoffe Surprise 419/18
Plötzlich ist es möglich, mit wenigen Klicks selbst kleinste Arbeitsaufträge auf einem Markt mit Tausenden Dienstleistenden auszuschreiben. wie Baumwolle oder Zwischenprodukte wie Garn sowie die notwendigen Werkzeuge an die Haushalte, liessen sie dort verarbeiten – zu Tüchern etwa – und exportierten sie danach. So wurde beispielsweise im Kanton Zürich ein Grossteil der Baumwolle, Seide und Wolle in Heimarbeit auf dem Land verarbeitet. In Tausenden von privaten Stuben und Kellern standen Spulräder und Webstühle. Ein Grossteil der ländlichen Familien lebte bis Mitte des 19. Jahrhunderts von diesen Einkünften. Bezahlt wurden sie pro Strang oder Gewicht, Arbeitsausfälle wurden nicht entschädigt. Als Kinder Uhren herstellten Auch Uhren wurden über viele Jahre hinweg hauptsächlich in Heimarbeit gefertigt. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts waren für eine einzige Uhr über 50 Arbeitsschritte notwendig, die von den jeweiligen Spezialistinnen und Spezialisten zuhause oder in Ateliers ausgeführt wurden. Vielerorts waren ganze Familien mit der Arbeit beschäftigt – auch Kinder. Die Arbeit war für die ländliche Bevölkerung eine wirtschaftlich notwendige Nebenbeschäftigung zur landwirtschaftlichen Feldarbeit. «Der Verdienst war ordentlich und die Kinder zahlreich», wie sich ein jurassischer Uhren macher in der Zeitschrift Gewerbliche Rundschau von 1909 erinnerte. Doch das Glück über dieses goldene Zeitalter der Uhrenindustrie war von kurzer Dauer. Mit fortschreitender Industrialisierung wurde der Verdienst kleiner, die Arbeitszeiten länger, Kinderarbeit häufiger. Unzählige Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter mussten ihre Dörfer verlassen, um Arbeit in einer Fabrik anzunehmen. Aus kleinbäuerlichen Heimarbeitenden wurde das lohnabhängige Fabrikproletariat. Aus sozialer Sicht war dies eine durchaus positive Entwicklung. Denn seit 1877 und der Einführung des eidgenössischen
Fabrikgesetzes galt für die Arbeiter in den Fabriken ein gewisser Schutz; so unter anderem die Festsetzung einer Normalarbeitszeit von elf Stunden (samstags zehn Stunden) sowie die Haftpflicht der Unternehmer für körperliche Schäden, zum Beispiel durch Unfälle. Es waren die ersten sozialstaatlichen Massnahmen in der Schweiz, welche auch in der Folge hauptsächlich auf die regulären Arbeitsverhältnisse fokussierten. So kam es, dass die extremste Form der Fremd- und Selbst ausbeutung (inklusive Kinderarbeit) vor allem noch in der Heimarbeit möglich war – und dies weit bis ins 20. Jahrhundert hinein. Es dauerte bis 1940, ehe der Bund ein Heimarbeitsgesetz erliess, mit welchem sich unter anderem Mindestlöhne festschreiben liessen. Auslagerung ist günstiger geworden Während Anfang des 20. Jahrhunderts noch 68 000 Mitarbeitende in den Schweizer Exportindustrien in Heimarbeit tätig waren, waren es zu Beginn des Zweiten Weltkriegs noch 12 300. Wenig später war Heimarbeit praktisch verschwunden. Es gab sie primär noch als schlecht bezahlten Zusatzverdienst für Hausfrauen aus entlegenen Bergregionen. Erst mit dem Aufkommen der neuen Kommunikations technologien, mit der Verbreitung von Computer und Internet ab Ende des Jahrhunderts lagerten Firmen wieder vermehrt Arbeit aus – womit die Renaissance der Heimarbeit eingeleitet wurde. Die neue Heimarbeit über Crowdworking-Plattformen gibt es seit rund zehn Jahren, seit dem Aufkommen von sozialen Netzwerken. Warum aber wurde es für Firmen auf einmal wieder interessant, Arbeit an Externe zu vergeben, statt sie intern im Betrieb zu behalten? Und wie wirkt sich das aus auf die Arbeitnehmenden, die Gesellschaft? Der britische Ökonom Ronald Coase nahm die Antwort auf diese Frage 19
im Jahr 1937 vorweg – und gewann damit später den Nobelpreis für Wirtschaft. Je mehr Zeit und Mühe es koste, für jeden einzelnen Arbeitsschritt externe Dienstleister zu suchen, desto rationaler sei es, eigenes Personal anzustellen. Er nannte diese Aufwände «Transaktionskosten». Mit der Digitalisierung sind nun diese Transaktionskosten drastisch gesunken. Plötzlich ist es möglich, mit wenigen Klicks selbst kleinste Arbeitsaufträge auf einem Markt mit tausenden Dienstleistenden auszu schreiben – zum Beispiel über Crowd working-Plattformen. Mit anderen Worten: Das Auslagern von Arbeit ist viel günstiger und für Firmen damit interessanter geworden. Oft erledigen die neuen Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter monoton-repetitive Arbeiten für wenige Franken, Euro oder Dollar pro Stunde und ohne jeglichen
sozialen und arbeitsrechtlichen Schutz. So sind sie nicht gegen elementare Risiken wie Unfall, Arbeitslosigkeit oder Krankheit versichert. Dasselbe gilt für die berufliche Vorsorge. Weil sie als Selbständige gelten, müssten sie die entsprechenden Abgaben selber entrichten, um diesen Schutz trotzdem zu geniessen. Das tun in der Realität wohl die wenigsten. Vollzeit-«Clickworker» gibt es kaum Kommt hinzu, dass Betreibende von Crowdworking-Plattformen von einem rechtlichen Graubereich profitieren. Im Netz verschwimmen Landesgrenzen, weswegen Firmen Arbeitsverträge kurzerhand durch ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen ersetzen. Dass dies rechtlich auf Dauer standhält, ist zwar unwahrscheinlich. Jedoch ist es aufgrund des grenzüberschreitenden und meist anonymen Felds
der digitalen Arbeit noch immer schwierig, Arbeitsrecht zu kontrollieren. Geschweige denn, es flächendeckend durchzusetzen. Menschen, die mit Crowdworking-Aufträgen ihren Hauptverdienst bestreiten, werden auch «Clickworker» genannt. In Vollzeit gebe es sie in der Schweiz jedoch noch kaum, meint Professor Jan Marco Leimeister, Crowdworking-Experte am Instit ut für Wirtschaftsinformatik der Uni St. Gallen. «Für Schweizerinnen und Schweizer sind Crowdworking-Aufträge eher Dritt- bis Fünftjobs.» Arbeit über Crowdworking-Plattformen würde während Leerlaufzeiten als einfach verfügbarer Zuverdienst dienen, Abwechslung zu anderen Tätigkeiten bieten oder bei der Kundenakquise helfen. Was es hingegen sicher gebe, seien Schweizer Firmen, die ausländi sche Crowdworker beauftragen, die in ihren Heimatländern von diesen Einkünften
Oft erledigen die neuen Heimarbeiter montone und repetitive Arbeiten für wenige Franken, Euro oder Dollar pro Stunde und ohne jeglichen sozialen und arbeitsrechtlichen Schutz.
Trend zur Flexibilisierung: Viele Menschen wollen zeitlich und örtlich ungebunden arbeiten. 20
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Prekariat oder Bohème? Firmen suchen auf Crowdworking-Plattformen auch nach Kreativen, die etwa ein neues Logo gestalten.
leben. Leimeister betont, dass dies nicht durchwegs negativ ist. «Was für uns ein prekärer Lohn wäre, ist für Inder oder Bulgaren ein gutes Einkommen.» Morgens Yoga, abends Party Kritiker sehen das Aufkommen der neuen Heimarbeit als Zeichen für ein ausbeuteri sches System oder gar eine Rückkehr zum Taylorismus: Der Amerikaner Frederick Winslow Taylor propagierte im 19. Jahrhundert das Zerteilen der Arbeit in kleinste Einheiten, zu deren Bewältigung keine intellektuelle Eigenleistung vonnöten ist. Ziel ist es, die Produktivität zu steigern. Die Menschen sind dabei aber unterfordert: Die Tätigkeit wird zur Fliessbandarbeit. Von einem «digitalen Prekariat» ist die Rede, von Arbeit auf Abruf und einem Heer von Tagelöhnern und Scheinselbständigen, die keine Arbeit finden und darum für Hungerlöhne Kleinstaufträge annehmen. Surprise 419/18
Tatsächlich sind die Parallelen zwischen alter Heimarbeit und neuen Formen wie Crowdworking augenscheinlich. Doch gibt es einen wichtigen Unterschied: Geschah Heimarbeit früher aus einer wirtschaftlichen Notwendigkeit heraus, wählen heute viele gut ausgebildete Arbeitnehmende freiwillig die Heimarbeit mitsamt ihren prekären Bedingungen. Ein Grund dafür ist der Trend hin zur Flexibilisierung der Arbeit. Viele wollen zeitlich und örtlich ungebunden arbeiten. Manche wollen schlicht die Kinderbetreuung gleichberechtigt aufteilen. In jüngeren Generationen hat sich zudem eine Gruppe von Sinn suchenden Arbeitnehmenden herausgebildet, denen persönliche Freiheit und Selbständigkeit wichtiger sind als Entlöhnung oder Arbeitsbedingungen. Dem Stereotyp nach leben sie in Bali, machen morgens Yoga und abends Party, dazwischen bearbeiten sie am Laptop Projekte für globale Auftrag-
geber. Wohlgemerkt schreiben Firmen auf Crowdworking-Plattformen nicht nur re petitive, für Unqualifizierte geeignete Arbeiten wie das Testen von Software aus, sondern suchen dort auch nach Kreativen, die ihnen ein neues Logo gestalten oder einen Werbespruch texten. Es gibt also nicht nur das «digitale Prekariat», sondern eben auch die «digitale Bohème». Was passiert mit unserer Gesellschaft, wenn die Zukunft der Arbeit aus immer mehr solchen «neuen Selbständigen» besteht? Der Ökonom Jens Meissner von der Hochschule Luzern und der Arbeitspsychologe Johann Weichbrodt von der Fachhochschule Nordwestschweiz haben sich unter anderem diese Frage gestellt. In ihrer Studie «Flexible neue Arbeitswelt» haben sie mehrere Szenarien zur Zukunft der Arbeit erarbeitet. Eines davon war die Verschiebung hin zu einer Mehrheit der Bevölkerung, die als Selbständige arbeitet. 21
Haben diese Leute eine Pensionskasse? Haben sie Krankentaggeld und Arbeitszeitbeschränkungen?
Die Autoren schreiben, dass dies volkswirtschaftlich vor allem negative Konsequenzen hätte. Weichbrodt sagt: «Die soziale Absicherung wäre weitgehend ungeklärt, da unser Sozialsystem auf Festanstellungen ausgerichtet ist.» Ausserdem würden Einbussen bei den Steuereinnahmen anfallen – einerseits, weil Arbeitnehmende tendenziell weniger verdienen würden, andererseits, weil es durch Kryptowährungen wie Bitcoin leichter würde, Einkommen nicht anzugeben. Weichbrodt betont aber, dass es sich dabei um Gedankenspiele handelt: «Dass dieses Szenario eintrifft, ist unwahrscheinlich.» Mit der Studie habe man lediglich aufzeigen wollen, dass das Sozialsystem grundlegend überdacht werden müsse, falls sich flexiblere Arbeitsformen in Zukunft durchsetzen sollten. Als die Industrialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts viele Arbeiterinnen und Arbeiter aus ihren sozialen Netzen riss, die 22
eine gewisse Sicherheit verliehen, fand die Gesellschaft darauf eine Antwort. In jahrzehntelanger Arbeit schuf man soziale Sicherheitsnetze in der Überzeugung, dass es für individuelle Not eine kollektive Verantwortung gibt. Neue Arbeitsgesetze – aber welche? Mit der Digitalisierung ändern sich die Arbeitsverhältnisse erneut radikal – einerseits aus wirtschaftlichen Zwängen heraus, andererseits wegen veränderter gesellschaftlicher Normen. Noch aber hängt die Mehrheit der Errungenschaften des modernen Sozialstaats, erkämpft über mehr als 100 Jahre, an traditionellen Vollzeit- Lohnarbeitsverhältnissen: Pensions- und Krankenversicherung, Krankentaggeld und Mutterschutz, Arbeitszeitbeschränkungen und Feiertage, betriebliche Mitbestimmung oder Kollektivverträge. Die Gesellschaft wird also erneut gefordert sein, ihr
Sozialsystem grundlegend anzupassen, damit aus den neuen Selbständigen – einer Mischung aus digitalem Prekariat und digitaler Bohème – nicht die Verliererinnen und Verlierer der neuen, digitalen Revolution werden, die permanent in prekären Arbeitsverhältnissen leben müssen. Was also ist zu tun? Experten halten ein Rückzugsgefecht, in dem der Status quo – also die Durchsetzung von Norm- Arbeitsverhältnissen – verteidigt wird, für zwecklos. Vielmehr sollte die Sozialge setzgebung den neuen Verhältnissen angepasst werden, finden sie. So schrieb der Harvard-Ökonom Maximilian Kasy in der österreichischen Zeitung Der Standard: «Der Schutz des Arbeitsrechts sollte ausgedehnt werden auf Arbeiterinnen und Arbeiter, die nicht in traditionellen Voll zeitarbeitsverhältnissen sind und denen kein wohldefinierter Arbeitgeber gegen übersteht. Sozialleistungen sollten von Surprise 419/18
Studie: Jeder fünfte Schweizer nutzt Crowdworking Ländervergleich In Europa gibt es nur in Österreich
mehr digitale Heimarbeiter als in der Schweiz. Jeder fünfte Schweizer nutzt Crowdworking. Das geht aus einer neuen Online-Studie der Universität von Hertfordshire und Ipsos MORI in Verbindung mit der Foundation for European Progressive Studies (FEPS), UNI Europa und Syndicom hervor. Mit 18 Prozent boten deutlich mehr Schweizer übers Internet ihre Arbeit an als andere Europäer, wie Vergleiche mit Deutschland, Grossbritannien, Holland und Schweden zeigen, wo dieselbe Studie 2016 durchgeführt wurde. Einzig Österreich kam auf einen vergleichbar hohen Wert. Auf Arbeitssuche auf Crowdworking-Plattformen waren gar 32 Prozent der Schweizer, jedoch waren nicht alle erfolgreich. Mit diesem Wert liegt die Schweiz ungefähr im Durchschnitt der untersuchten Länder. Als Crowdworker wurde in der Studie bezeichnet, wer im Verlauf eines Jahres online seine Arbeit angeboten hatte. Crowdworking umfasst in dieser relativ weit gefassten Definition der Studienautoren also nicht nur Arbeit am eigenen Computer, wie sie auf Plattformen wie Upwork vermittelt wird, sondern auch Fahr- und Auslieferdienste wie Uber sowie Putz- oder technische Arbeiten bei anderen zuhause, wie sie auf Mila zu finden sind. Bedingung war aber stets, dass die Arbeit über eine Online-Plattform vermittelt wurde.
traditionellen Arbeitsverhältnissen entkoppelt werden.» Auch für die Studienautoren Meissner und Weichbrodt ist die Entwicklung hin zur Flexibilisierung der Arbeit unumkehrbar. Die Lösungsfindung sei komplex, in ihrem Buch listen sie über ein Dutzend Handlungsempfehlungen auf. Dabei nehmen sie nicht allein die Gesetzgeber in die Pflicht, sondern auch Arbeitgeber oder Gewerkschaften. Nur ein Beispiel: Gesamtarbeitsverträge müssten neu verhandelt werden, damit sie auch für flexible Arbeitsformen wie Teilzeitarbeit, befristete Arbeit oder Arbeit auf Abruf gelten. Das Fazit der Autoren: Bei der flexiblen neuen Arbeitswelt handle es sich um ein schlecht definiertes, aber eben reales Phänomen. Oder anders gesagt: Die Situation ist unübersichtlich und komplex. Trotzdem müssen die Probleme, die sie mit sich bringt, angegangen werden. Surprise 419/18
Meist ein Nebenverdienst Für die meisten ist Crowdworking laut Studie nur ein Zusatzverdienst. So gab nur jeder vierte Crowdworker (26 Prozent) an, dass die entsprechenden Aufträge mehr als die Hälfte seiner Einnahmen ausmachten. Das entspricht rund 4,7 Prozent der Schweizer Gesamtbevölkerung. Für wiederum rund die Hälfte davon stellte Crowdworking die einzige Einnahmequelle dar. Auffallend ist, dass die meisten Crowdworker mehrere unterschiedliche Arbeiten ausführten. «Das heisst, dass sie alles machten, was sie finden konnten», erklärt Studienleiterin Prof.Ursula Huws. Ihre These: «Möglicherweise handelt es sich um Saisonarbeiter, die während Leerzeiten andere Arbeit suchen.» Eher jünger, eher männlich, eher Tessiner Wer sind die Crowdworker? Gemäss der Studie finden sie sich in allen Gesellschaftsschichten, jedoch sind es etwas häufiger Jüngere und etwas häufiger Männer. Mehr als jeder Zweite (52 Prozent) hat einen Vollzeitjob, 21 Prozent sind Teilzeitangestellte, 9 Prozent Selbständige, jeweils 5 Prozent Studenten und Rentner sowie 3 Prozent Vollzeiteltern. Auch bezüglich Herkunft gab es Unterschiede: Am meisten Crowdworker fanden sich im Tessin, am wenigsten in der Ostschweiz. Bei der Studie handelt es sich um eine repräsentative Online-Umfrage unter 2001 Schweizerinnen und Schweizern. Die Resultate beruhen damit auf den Angaben der Studienteilnehmer. 23
FOTO: JENNA FOXTON
Julia Biel klingt nach Billie Holiday mit einem Schuss Massive Attack.
«Die Songs sind wie ein Spiegel» Singer/Songwriter Julia Biels Mutter stammt aus Deutschland,
der Vater aus Südafrika, aufgewachsen ist sie in London. Ihr wahres Zuhause hat sie in der Musik gefunden. TEXT HANSPETER KÜNZLER
Wir sitzen in einem wohlgeheizten Theater-Café in Südlondon. Die Möblierung gleicht der guten Stube unserer Grossmütter, die Kuchenauswahl ist üppig, aus den Lautsprechern dringen sanfte Geigen. Draussen dagegen herrscht Sturm. Äste fliegen waagrecht am Fenster vorbei, und ein paar waghalsige Fussgänger schlingern übers Trottoir wie Herbstlaub. Mit der Musik von Julia Biel verhält es sich genau umgekehrt. Gegen aussen hin herrscht abgeklärter Frieden, im Innern stürmt es. «Mit Liedern kann ich Dinge sagen, die niemand hören wollte, wenn man es einfach so dahersagen würde», erklärt die Sängerin. «Aber wenn die Vermittlung eines Gefühls mit Musik zusammenkommt, hören die Leute zu und nehmen es nicht mehr so persönlich. Das ist befreiend für eine Frau wie mich, die dazu neigt, sich allzu freimütig auszudrücken.» Eine Künstlerin wie Julia Biel kann wohl nur aus London stammen. In ihrem Abenteuergeist spiegelt sie eine Umgebung, in der die Kulturen ineinanderfliessen wie wohl selten an einem anderen Ort. Ihre Mutter stammt aus Deutschland, ihr Vater aus Südafrika. Er habe selten 24
über seine Herkunft gesprochen: «Er wollte nicht das Gefühl der Benachteiligung weitergeben, das er wohl selber spürte.» Sie verstehe, warum ihre Eltern die Kulturen, mit denen sie aufgewachsen waren, nicht in den Vordergrund rücken wollten. Man lebte ja jetzt in Grossbritannien: «Aber es bewirkte, dass ich mich irgendwie wurzellos fühlte. Wenn man in einer Gegend, wo die meisten Menschen weiss sind, nicht weiss ist, wächst unweigerlich das Bewusstsein, dass man ‹anders› ist. Hierin liegt bestimmt der Grund, warum ich zur Musik gekommen bin.» Mit den Liedern schaffe sie einen Kontext für ihre Gefühle und Gedanken. «Sie sind wie ein Spiegel. Ich kann mich davorstellen und erkennen: Das bin ich.» An der Uni ging es richtig los Mit fünf Jahren wurde Julia von ihrer Mutter vor die Wahl gestellt: Pfadfinder oder Klavierstunden. Die Ertüchtigung im Freien verlor bald ihren Reiz, und so setzte sie sich vor die Tasten. Später nahm sie auch Geigenunterricht. Erst an der Universität in Oxford ging indes der musikalische Surprise 419/18
Mr B und Pawlowa
Knopf auf. Einer der Ersten, die sie dort kennenlernte, war der geistesverwandte bengalisch-englische Gitarrist und Saxophonist Idris Rahman. Jetzt, zwei Dekaden später, hat er auch Julias neues Album wieder koproduziert. Damals holte er sie in seine Studentenband und machte sie mit den Freuden von Pharao Saunders, Weather Report, Cassandra Wilson und Nina Simone bekannt.
Buch Brian Sewell erzählt augenzwinkernd
von der märchenhaften Rettung einer Eselin durch einen englischen Exzentriker. Mr B ist ein waschechter Engländer. Nicht nur vom Scheitel bis zur Sohle, sondern auch vom Griff bis zur Spitze seines überdimensionalen wetter-, wind- und wüstenfesten Schirms. Und was seine Tierliebe betrifft, so ist sie am obersten Ende britischer Exzentrik anzusiedeln. Kein Wunder also, dass Mr B mitten im pakistanischen Peschawar aus dem Landrover springt, um einer geschundenen Kreatur zu Hilfe zu eilen: einer für die schwere Arbeit noch viel zu jungen Eselin mit blutenden Wunden, die Mr B wegen ihren langen Beine nach der russischen Ballett- Tänzerin Pawlowa benennt. Die Filmcrew aus London, mit der Mr B als Berater für einen Dokfilm unterwegs ist und die sich zu seinem Leidwesen nicht die Bohne für seine Kenntnisse der klassischen Antike interessiert, hat für solche Verrücktheiten keinen Sinn und lässt Mr B kurzerhand zurück, da er sich standhaft weigert, die Eselin im Stich zu lassen und notfalls bereit ist, mit ihr zu Fuss bis nach London zu wandern. Und während seine Gefährten insgeheim froh sind, den Spinner loszuwerden, sind Mr B und Pawlowa mutterseelenallein einem ungewissen Schicksal ausgesetzt. Einem Schicksal allerdings, das es so gut mit ihnen meint, dass die glückliche Geschichte einer durch viele Abenteuer wachsenden Freundschaft erzählt werden kann. Unaufgeregt und mit einer Gelassenheit, die die Wunder dieser Reise nicht aufbauscht, sondern still und augenzwinkernd an uns vorüberziehen lässt. So wie die kargen, pittoresken oder prächtigen Landschaften, die Städte und Relikte der Vergangenheit, die bunte Vielvölkerschar und die nicht weniger bunten Begegnungen. Und weit ist sie, diese Reise. Wenn auch weniger beschwerlich, als von unserem eigenbrötlerischen Helden befürchtet. Schliesslich trifft er auf Hector, einen Landsmann und Büchernarren, der ihn im Rolls Royce durch Europa bis nach London kutschiert und dank dessen Hilfe es Mr B gelingt, seine Eselin listenreich über den Ärmelkanal zu schmuggeln. Zu guter Letzt haben wir nicht nur ein modernes Märchen wie aus 1001 Nacht erlebt, sondern auch die Rückkehr eines zweiten Dr. Dolittle in sein von Hunden, Wild enten, Reihern, Fröschen, Eichhörnchen, Füchsen und von Mrs B bevölkertes Heim, in dem die so sonderbaren wie zauberhaften Abenteuer in einer gemeinsam endenden Lebensgeschichte ausklingen. We are amused!
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Julia Biel: «Julia Biel» (Rokit Records)
FOTO: ZVG
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Ausgerechnet in Südafrika ein Hit «Gleichzeitig waren für mich Massive Attack und Neneh Cherry sehr wichtig», erinnert sie sich. «Die Stimmung von ‹Unfinished Sympathy› hat bei mir viel sehr ausgelöst.» Mit dem Mut der Jugend stürzte sie sich in die neue Welt: «Ich studierte die Musik nie systematisch. Ich versuchte nur, einen Weg für den Ausdruck meiner Gefühle zu finden.» Nach einer mutigen Lehrzeit als Sängerin in einer eher kopflastigen Jazz-Band erkannte sie: «So komplizierte Musik passt nicht zu mir.» Ihr poppiges erstes Album spielte sie im Duo mit einem Gitarristen ein. Es hiess ‹Not Alone› und erschien 2005 im Eigenverlag: «Ich hatte keine Ahnung, wie viel Arbeit hinter sowas steckt.» Ein Jahr später war sie ausgebrannt. «Ich spürte, dass ich von vorn beginnen musste.» Idris Rahman schenkte ihr eine Gitarre – und so wechselte sie von den Tasten zu den Saiten. Sie lernte Schlagzeuger Sebastian Rochford – eine Schlüsselfigur der jungen britischen Jazz/Rock-Avantgarde – und den Saxophonisten Barak Schmool kennen. So tauchte Biel bald auch auf Alben von Polar Bear (mit Rochford) und Oriole (mit Jonny Phillips, Rahman und Rochford) auf, dazu gehörte sie den Bands Unity Collective und Soothsayers an und spielte einige Lieder mit dem deutschen Produzenten Stimming (sic) und mit Ben Watt (Ex-Everything But The Girl) ein, die ihnen einen Teppich von DeepHouse-Beats unterlegten. Vor Kurzem fand Biel heraus, dass eines davon – «Bright Star» – in Südafrika ein Hit geworden war: «Ich habe das Land selber noch nie besucht», sagt sie. «Aber ich bin mit meiner Musik dort gewesen.» Julia Biel hält sich auch auf ihrem neuen Album an keine Konventionen. Das Timbre ihrer Stimme gemahnt an Billie Holiday, aber auch an Shara Nelson von Massive Attack. Die subtil groovende Instrumentalbegleitung – Klavier, Gitarre, Schlagzeug und Bass, dazu Farbtupfer mit Viola, Laute, Klarinette und anderen organischen Instrumenten – ist der Singer/Songwriter-Tradition genauso verbunden wie dem Jazz oder eben Massive Attack. «Julia Biel» lautet der Titel des Albums: «Als ich die Songs zum ersten Mal alle zusammen hörte, sah ich, wie meine Identität ganz klar hervortritt. Der Titel zelebriert einen Meilenstein in meinem Leben.»
CHRISTOPHER ZIMMER
Brian Sewell: Pawlowa oder Wie man eine Eselin um die halbe Welt schmuggelt. Insel Verlag 2017. CHF 21.90
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Bern RaBe Fest, Fr, 23. / Sa, 24. Februar, ab 20.30 Uhr, Reitschule, Neubrückstrasse 8. www.rabe.ch
Über 10 000 Unterschriften haben Kulturschaffende aus der ganzen Schweiz mit dem Aufruf «No Billag No Culture» gesammelt. Denn die No-Billag-Initiative gefährde nicht nur die SRG, sondern auch lokale Radio- und Fernsehsender – und mit ihnen die Schweizer Kulturtradition, die mittels dieser Medien an Hörerinnen und Zuschauer gerät. Erreichen die Initianten von No Billag ihren Willen, wäre das 22. wohl das letzte RaBe-Fest. Ein guter Grund, das reichhaltige Programm in der Reitschule voll auszukosten. Und wenn der Vorstoss scheitert, umso besser: Dann geht es nächstes Jahr weiter. WIN
Langnau i.E./Basel/Bern «Funktionieren», Dokumentarfilm, So, 25. Februar, 16 Uhr, Kupferschmiede, Langnau i.E.; Sa, 10. März, 11 Uhr, kult.kino atelier, Basel; Mi, 11. April, 20 Uhr, Lichtspiel/Kinemathek, Bern. Basel und Langnau: Eintritt frei; Bern: CHF 15. Der Psychiater und Prota gonist Piet Westdijk und die Filmemacherin Brigitte Zürcher sind jeweils anwe send. Die DVD ist bestellbar über info@funktionieren.ch. www.funktionieren.ch
Leistungsgesellschaft: Das heisst, dass man nur Teil davon sein kann, wenn man funktioniert. Wer psy chisch erkrankt, muss wiederher gestellt, funktionsfähig gemacht werden. Dass das oft vor allem mit Medikamenten geschieht, wissen wir. Dass es oft nicht weiterhilft (und eben auch nicht funktioniert), wissen wir auch. Die Filmemacherin
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gründe erzählt. So hat sie schon Blumengestecke analysiert und nachinszeniert, die bei den Ab kommen der Mächtigen jeweils das Bild prägen. Oder Stammbäume zurückverfolgt, sämtliche Famili enmitglieder fotografiert und die, die sich weigerten, mit einem weissen Blatt dokumentiert (sehr viele weisse Blätter gab es etwa in der Familie von Hitlers Rechtsberater Hans Frank). Simon liebt Ord nungssysteme, Archivarbeit und die sorgfältige Inszenierung. Übri gens: Simon ist ein Top-Shot in der Kunstszene und die Schwägerin von Gwyneth Paltrow. Aber ihr Werk sollten Sie sich gerade nicht nur deswegen anschauen. DIF
St. Gallen Jungspund, Theaterfestival für ein junges Publikum, 21. Februar bis 3. März, diverse Aufführungen, Lokremise, Grünbergstrasse 7, und FigurenTheater St. Gallen, Lämmlistrasse 34. www.jungspund.ch
Brigitte Zürcher hat mit Be troffenen und Fachleuten über persönliche Erfahrungen und wis senschaftliche Erkenntnisse ge sprochen. DIF
Luzern Taryn Simon: «Shouting Is Under Calling», Ausstellung, 24. Februar bis 17. Juni, Di bis So 11 bis 18 Uhr, Mi bis 20 Uhr, Kunstmuseum Luzern, Europaplatz 1 www.kunstmuseumluzern.ch
Taryn Simon untersucht das Be ziehungsfeld von Macht, Geld und Politik, und sie tut es scharfsinnig, gewitzt und vor allem gut recher chiert: Wie mit einem Röntgen blick legt sie die Strukturen der Welt dort offen, wo die Oberfläche Wesentliches über die Hinter
Die erste Ausgabe des Theaterfes tivals Jungspund vereint zwölf ak tuelle Schweizer Produktionen für Kinder und Jugendliche. Die Insze nierungen aus allen Sprachregio nen bieten ein abwechslungsrei ches Programm und beinhalten die unterschiedlichsten Theaterfor men – von Tanztheater über Figu rentheater bis hin zum klassischen Sprechtheater. In den Stücken geht es um Familien, um Krieg, ums Lehrerzimmer, um Schafe und um mehr. Das Festivalzentrum in der Lokremise ist täglich geöffnet. GG
Zürich «The Happy Show – Stefan Sagmeister», bis So 11. März, Di bis So, 10 bis 17 Uhr, Museum für Gestaltung, ZhdK, Toni-Areal, Pfingstweidstrasse 96. www.museum-gestaltung.ch Stefan Sagmeister ist Grafikde signer und Typograf und hat als solcher CD-Cover von namhaften Musikern wie Lou Reed, den
Rolling Stones oder David Byrne gestaltet. Nun interessiert ihn aber das Glück, und gesucht hat es Herr Sagmeister mit allen Mitteln der Kunst: 2016 mit dem Dok «The Happy Film» und gleich dazu mit einer ganzen Ausstellung, die im mer noch um die Welt zieht und jetzt in Zürich zu sehen ist. Eine radikal persönliche Glücksfor schung mit erfrischend emotiona len Infografiken, Videodokumen ten von Selbstversuchen und Installationen zum Mitmachen. Das Glück, volle Kanne. Es gibt ge nug davon, auch für uns. DIF
Zürich Mendocino – Ein Abend mit Hits aus den Siebzigerjahren, Sa, 24. Februar, Fr, 23. März, je 20 Uhr, Mo, 2. April, 18 Uhr, Theater Rigiblick, Tickets CHF 20–39. www.theater-rigiblick.ch
Im erfolgreichen Liederabend «Az zurro» präsentierten der Sänger Giovanni und sein Pianist Enzo italienische Canzoni. Nun erhalten die beiden nach zehn Jahren im Hotel Excelsior die Gelegenheit, eine Deutschlandtournee zu un ternehmen. Wenn diese gut läuft, lockt eine Welttournee. Mit im Ge päck sind die unvergesslichen Hits aus den Siebzigerjahren, die da mals die Welt eroberten, von «Sounds of Silence» bis «Mendo cino». Daniel Rohr als Sänger Giovanni und Dietmar Loeffler als Pianist Enzo zaubern einen Hit paradenabend voller Komik und Musik auf die Bühne. GG
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BILD(1+2): ZVG, BILD(3):TARYN SIMON, COURTESY GAGOSIAN GALLELRY, BILD(4): CHRISTIAN ALTORFER BILD (5): STEFAN SAGMEISTER BILD (6): TONI SUTER/T+T FOTOGRAFIE
Veranstaltungen
ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT
Agglo-Blues
Folge 4
Die perfekte Ehe Was bisher geschah: Die Kriminalpolizistin Brandstetter wird mit dem Fall eines im Dorfweiher ertränkten Joggers betraut. Sie besucht die Frau, die einen Mann, auf den die Beschreibung passt, vermisst gemeldet hat. Vera Brandstetter folgte der blonden Frau in ihre Wohnung. Ein kurzer Flur führte ins grosse Wohnzimmer, das von einem gigantischen Fernseher dominiert wurde, gegenüber ein weisses Sofa, dazwischen die filigranen Boxen eines Home-Cinema-Systems. Parkettboden, ein schwarzweiss gemusterter Wollteppich unter dem lackschwarzen Salontisch, darauf eine Schale mit Steinen, links der Balkon, rechts ein Sessel. Alles picobello aufgeräumt, sie kam sich vor wie in einem Möbelkatalog. Frau Schwander zögerte, der Polizistin mit den dreckigen Hosen den Sessel anzubieten. «Ich stehe lieber», erlöste sie Brandstetter. «Ihr Mann ist nicht vom Joggen nach Hause gekommen?» «Ja, seit gestern Abend ist er fort. Ich mache mir grosse Sorgen.» «Kommt es öfter vor, dass er einfach wegbleibt?» «Niemals. Ich weiss immer, wo er ist. Er ruft an, wenn er verhindert ist. Wir sind sehr glücklich, er trinkt nicht und hat keinen Grund, sich herumzutreiben.» Brandstetter versuchte ihren Akzent einzuordnen. Russland? «Haben Sie ein Foto von ihm?» Die Frau griff zu einem Tablet, das auf dem Beistelltisch gelegen hatte, wischte darauf herum und präsentierte ein Hochzeitsfoto. Sie in einem prächtigen Kleid, der Bräutigam in einem dunkelblauen Anzug strahlten perfekt ausgeleuchtet, blumenumkränzt vor einer Kirche. Es war der Mann, der auf der Plastikfolie gelegen hatte. «Wir haben vor zwei Jahren geheiratet, davor führten wir sechs Monate eine Fernbeziehung. Ich stamme aus der Ukraine.» Sie unterbrach sich. «Was ist mit meinem Mann?» Brandstetter holte tief Luft. «Setzen Sie sich.» Zögerlich liess sich die Frau auf der Sofakante nieder. «Frau Schwander, ich habe schlechte Nachrichten: Ihr Mann ist tot. Er wurde umgebracht.» Die Frau blieb stockstill sitzen. In ihrem Gesicht zeigte sich keine Regung, was an der dicken Schicht Schminke liegen mochte oder daran, dass sie in ihrem Leben schon viele schlechte Nachrichten empfangen hatte. Nur ihre Finger Surprise 419/18
schlangen sich krampfhaft ineinander. «Entschuldigung.» Sie stand auf und verschwand durch eine Tür vorne links im Gang. Brandstetter griff nach dem Tablet und wischte sich durch die Bilder. Herr und Frau Schwander vor dem Matterhorn, in Interlaken, vor dem Grossmünster, am Genfer See, auf dem Jungfraujoch. Der Mann wirkte stets etwas verkrampft, seine schmalen Lippen brachten kein richtiges Lächeln zustande, während sie eine Menge blendend weisser Zähne zeigte. Die Tür ging und Brandstetter legte das Tablet wieder zurück. Frau Schwander kam mit einem zerknüllten Kleenex in der Hand zurück. «Hatte Ihr Mann Feinde? Haben Sie eine Idee, wer ihn umgebracht haben könnte?» Sie sah starr zu Boden und schüttelte den Kopf. So wenig sie sich äusserlich anmerken liess, so tief war sie offenbar erschüttert. Oder hatte sie Angst? Brandstetter legte ihr die Hand auf die Schulter, was keine gute Idee war, die Frau versteifte sich. «Brauchen Sie Hilfe?» «Nein.» «Haben Sie Kinder, die man abholen muss? Oder sonst jemanden, den ich benachrichtigen sollte?» «Nein, keine Kinder. Niemand.» «Ich brauche die Personalien Ihres Mannes.» Frau Schwander ging zur Garderobe und zog aus einer gewachsten braunen Jacke ein schwarzes Lederportemonnaie, dem sie eine Identitätskarte entnahm und Brandstetter reichte. Reto Schwander war 48 Jahre alt geworden. Bürger eines Vororts von Bern. Die Frau griff in die Aussentasche der Jacke und zog eine weissblaue Plastikkarte in einer durchsichtigen Hülle an einem blauen Bändel hervor. Es war der Firmenausweis, der wahrscheinlich auch als Badge diente. Auf dem Foto, das älteren Datums war, trug Schwander ein weisses Hemd und eine weinrote Krawatte. Sein Name stand auf der Karte, «Senior Developer» und seine Unterschrift. Cormartec AG hiess die Firma. Eine Adresse stand nicht darauf, doch Brandstetter kannte den Schriftzug. Er prangte an einem Gebäude im Industriegebiet, das vom Autobahnzubringer aus zu sehen war. STEPHAN PÖRTNER schreibt neben Kriminalromanen auch Theaterstücke. Sein neustes Werk «Die Bank-Räuber», eine Zusammenarbeit mit Beat Schlatter, wird bis 25. Februar im Zürcher Theater am Hechtplatz gezeigt und geht anschliessend auf Schweizer Tournee. Bereits erschienene Folgen von «Agglo-Blues» kann man online nachlesen oder nachhören: Stephan Pörtner liest sie selbst vor. www.surprise.ngo/krimi
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IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D
Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist. 01
VXL gestaltung und werbung AG, Binningen
02
Burckhardt & Partner AG, Basel
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Schluep & Degen Rechtsanwälte, Bern
04
SM Consulting, Basel
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Holzpunkt AG, Wila
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Praxis Colibri, Murten
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Sublevaris GmbH, Brigitte Sacchi, Birsfelden
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SBB Angebotsgestaltung Langstrasse, Zürich
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AnyWeb AG, Zürich
10
Hervorragend AG, Bern
11
Probst Schliesstechnik AG, Bern
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Hofstetter Holding AG, Bern
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Balcart AG, Therwil
14
Echtzeit Verlag, Basel
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Schweizerisches Tropeninstitut, Basel
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Yoga Für Alle, Turgi
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Hedi Hauswirth, Psychiatrie-Spitex, Oetwil
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Barth Real, Zürich
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Claude Keller & Partner AG, Zürich
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Netzpilot, Basel
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Apps with love AG, Bern
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FN Informatik GmbH, Steinhausen
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Ozean Brokerage & Shipping AG, Muttenz
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Erwachsenenbildung, Oberrieden
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PHS Public Health Services GmbH, Bern
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Nicole Huwyler Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 50 I marketing@surprise.ngo
SURPLUS – DAS NOTWENDIGE EXTRA Das Programm
Wie viele Surprise-Hefte müssten Sie verkaufen, um davon in Würde leben zu können? Hätten Sie die Kraft?
Wussten Sie, dass einige unserer Verkaufenden fast ausschliesslich vom Heftverkauf leben und keine Sozialleistungen vom Staat beziehen? Das fordert sehr viel Kraft, Selbstvertrauen sowie konstantes Engagement. Und es verdient besondere Förderung. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkaufenden zusätzliche Unterstützung. Sie sind mit Krankentaggeld und Ferien sozial abgesichert und erhalten ein Nahverkehrsabonnement. Bei Problemen im Alltag begleiten wir sie intensiv.
Eine von vielen Geschichten Der Weg in die Armut führte für Daniel Stutz über die Sucht. Als Jugendlicher rutschte der heute 44-Jährige in die Spielsucht und später in den Konsum harter Drogen. Dank einer Therapie schaffte er vor sieben Jahren den Ausstieg. Geblieben ist dem Zürcher Surprise-Verkäufer und -Stadtführer ein Schuldenberg. «Den Weg aus der Sucht habe ich hinter mir, der Weg aus der Armut liegt noch vor mir», beschreibt Daniel seine Situation. SurPlus gibt ihm dabei Rückenwind: «Es ermöglicht mir hin und wieder Ferien. Ausserdem bedeutet es, auch einmal krank sein zu dürfen – ohne gleich Angst haben zu müssen, die Miete oder Krankenkasse nicht zahlen zu können.»
Die ganze Geschichte lesen Sie unter: surprise.ngo/surplus
Unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 14 Verkaufende des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlusProgramm teilzunehmen.
Unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.
Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 | Vermerk: SurPlus Oder Einzahlungsschein bestellen: T +41 61 564 90 90 info@surprise.ngo | surprise.ngo/spenden Herzlichen Dank!
Wir alle sind Surprise
Ausgabe 416
Ausgabe 417
«Tiefer, als man erahnen kann» Und, liebe Politiker, seid ihr immer noch so sicher, dass es in der Schweiz keine Armut gibt? Ja, die reiche Schweiz hat auch Menschen, denen es nicht gut geht und die tiefer gesunken sind, als man es erahnen kann. Es macht mich traurig, dass Menschen in grösster Not immer unter den Teppich gekehrt werden. Schön, wird darüber gesprochen. Dankeschön, dass ihr uns zeigt, was vielen von uns noch bevorstehen kann. Es kann jeden treffen, das ist nur einigen gar nicht bewusst.
«Ehrenhalber» Danke, Fatima Moumouni, für Ihren Kommentar zum neuen Einbürgerungsgesetz. Dafür hätten Sie den Schweizerpass honoris causa verdient! E. SCHLESINGER, Zürich
RENATE L AUBSCHER, über Facebook
Ausgabe 416
«Stärker ermutigen»
Ausgabe 417
Ausgabe 416
«Kryptokommunisten»
«Privatsache Religion»
Gerne würde ich den vielen Surprise-Ver käufer*innen ein Magazin abkaufen. Aber ich mache es nicht mehr, weil der Inhalt wirklich nur für nostalgische Kryptokommunisten geniessbar ist. Ich drück’ den tapferen Leuten einfach einen Fünfliber in die Hand und bitte sie höflich, das Magazin zu behalten. Habe sonst schon immer so viel Altpapier.
Ich freue mich zwar jedes Mal über das Surprise im Briefkasten, aber wann schreibt ihr einmal etwas über Freidenker? Darüber, dass Religion Privatsache ist und bleiben soll? Und dass die «Religion der Vernunft» der liberale Freigeist, die Menschenliebe und die Lebensfreude ist?
EDHIN KROKOWSKI, über Facebook
P. JUD, Stühlingen
Impressum Herausgeber Surprise, Spalentorweg 20 CH-4051 Basel Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 F +41 61 564 90 99 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12 Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02 Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T +41 61 564 90 90 M+41 76 325 10 60 anzeigen@surprise.ngo Redaktion Verantwortlich für diese Ausgabe: Georg Gindely (gg) Diana Frei (dif), Sara Winter Sayilir (win) Reporter: Simon Jäggi (sim) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch
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Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Marie Baumann, Florian Burkhardt, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Khusraw Mostafanejad, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Isabella Seemann, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Andres Eberhard, Annie Flanagan, Lucian Hunziker, Tom Kawara, Hanspeter Künzler, Patrick Witte Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt. Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik Druck AVD Goldach Papier Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSC®, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach Auflage 21 900 Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3
Ich habe den Artikel von Herrn Meyer zum Thema Antisemitismus sehr geschätzt. Der Text hat mich hellhöriger gemacht bezüglich der Klischees, denen ich im Alltag beispielsweise aufgrund meines Geschlechts begegne, und mich daran erinnert, die Vorurteile im eigenen Kopf (mir und anderen gegenüber) offensiver anzugehen. Und daran, dass die Diskriminierung und Reduzierung, die ich in meinem Bereich erlebe, mich nicht daran hindern, in anderen Bereichen Ähnliches zu tun. B. ROTH, Reinach
Ich möchte Surprise abonnieren 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten StrassenverkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.– Geschenkabonnement für: Vorname, Name Strasse PLZ, Ort
Rechnungsadresse: Vorname, Name Strasse PLZ, Ort Telefon E-Mail Datum, Unterschrift 419/18
Bitte heraustrennen und schicken oder faxen an: Surprise, Spalentorweg 20, CH-4051 Basel, F +41 61 564 90 99, info@surprise.ngo
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FOTO: LUCIAN HUNZIKER
Surprise-Porträt
«2017 war ein dunkles Jahr für mich» «Mein Mann und ich haben drei Kinder, im Alter von neun, acht und sechs. Seit Anfang 2017 haben wir die F-Bewilligung. Davor waren wir fast zehn Jahre lang mit ungeklärtem Auf enthaltsstatus in der Schweiz. Der Alltag im Asylheim belastete mich sehr. Ich kriegte schwere Depressionen. Mein Leben war schon immer anstrengend, aber erst hier in der Schweiz kamen die richtig grossen Probleme. Heimweh habe ich trotzdem nicht. Das liegt daran, dass ich keine Heimat habe. Ich stamme aus Eritrea, war aber nur dreimal dort. Denn für uns Protestanten ist es dort unmöglich, unseren Glauben zu leben. Geboren und aufgewachsen bin ich in Äthiopien, aber man hat uns als Eritreer zu spüren gegeben, dass wir nicht in unserem Land sind. Auch im Sudan und in Libyen lebte ich eine Zeit lang, aber als Fremde. Bis jetzt war ich in keinem Land will kommen. Vielleicht gibt es nach dem Tod eine Heimat für mich bei Jesus, aber auf dieser Welt nicht. 2017 war für mich ein dunkles Jahr. Ende 2016 trennte sich unsere Familie. Wie es genau dazu kam, ist eine lange Geschichte und sehr privat. Es hat mit einer anderen Frau zu tun und auch mit Gewalt. Ich weiss, dass Europa eigentlich gut für uns Frauen ist, das sagen alle. Doch ich selber habe es anders erlebt. Im Konflikt mit meinem Mann gab es kein Gleichgewicht. Er ist gut vernetzt, charmant und spricht fliessend Deutsch. Ich war psychisch krank und spreche eher wenig Deutsch. Also glaubten die Leute meinem Mann. Ich hatte keine Chance, denn in dieser Welt ist er mir überlegen. Er bekam auch die Obhut für unsere Kinder. Die Leute reden viel. Gerade, wenn eine Mutter von ihren Kindern getrennt lebt. Sie beurteilten die Situation, ohne meine Geschichte zu kennen. Sogar meine Kinder haben mich nach der Trennung abgelehnt und den Kontakt verweigert. Mittlerweile kennen sie die Wahrheit und wir haben wieder eine gute Beziehung. Dafür danke ich Gott. Denn ich habe vor vielen Jahren bereits meinen ersten Sohn aus den Augen verloren. Als ich mit meinem Mann nach Libyen ging und von dort aus in die Schweiz, musste ich ihn bei meiner Mutter im Sudan zurück lassen. Ich habe ihn zum letzten Mal gesehen, als er fünf Jahre alt war, heute ist er 18. Wir telefonieren und schreiben uns regelmässig. Aber es ist keine Beziehung zwischen Mutter und Kind, da ist mehr Distanz. Mich nennt er bei meinem Vornamen Rigaat, ‹Mama› ist für ihn meine Mutter. Meine jüngeren Kinder wohnen immer noch bei ihrem Vater. Ich selber lebe seit Anfang Jahr mit vier anderen Frauen zusammen in einer Wohnung. Wir schlafen jeweils zu zweit in einem Zimmer, nicht mehr zu fünft wie im Asylheim. Und ich sehe meine Kinder jeden Tag. Ich kann also sagen, dass es mir besser geht. Seit Januar 2018 verkaufe ich Surprise in Birr, vor einem 30
Rigaat Okubazghi, 31, verkauft Surprise in Birr AG. Ihr grösster Wunsch ist, dass ihre Kinder einmal sagen werden: Wir haben eine gute Mutter.
Coop. Am Anfang war es für mich schwierig, auf die Strasse zu stehen, mitten unter die Leute. Ich war schüchtern und sprach mit leiser Stimme. Heute lächle ich die Passanten an und sage ‹Guten Morgen›. Das ist schön. Es tut gut, dass ich mit meiner Zeit etwas anfangen kann. Surprise hat mir Vertrauen geschenkt. Ich weiss jetzt, dass ich trotz allem die Kraft habe zu arbeiten. Es gefällt mir auch, dass ich mir die Arbeit frei einteilen kann. Ich habe keinen Stress und keinen Chef. Und mit dem Geld kann ich meinen Kindern manchmal kleine Geschenke und Süssigkeiten kaufen. Mein Mann hat inzwischen gemerkt, dass sein Leben ohne mich anstrengend ist. Auch meine Kinder wollen, dass wir wieder als Familie zusammenleben. Aber ich habe Mühe, Vertrauen zu fassen. Wenn ich heute mit meinem Mann an einem Tisch sitze, um zu essen und zu reden, dann mache ich das für meine Kinder. Eine Entscheidung zu treffen, fällt mir schwer. Also warte ich auf Gott. Ich hoffe, dass ich bald eine richtige Arbeit finde, mit der ich meinen Lebensunterhalt selber bestreiten kann. Und mein grösster Wunsch ist es, dass meine Kinder einmal sagen werden: Wir haben eine gute Mutter.»
Aufgezeichnet von MAR A WIRTHLIN
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Kultur
Solidaritätsgeste
STRASSENCHOR
CAFÉ SURPRISE
Lebensfreude
Entlastung Sozialwerke
BEGLEITUNG UND BERATUNG
Unterstützung
Job
STRASSENMAGAZIN
Zugehörigkeitsgefühl Entwicklungsmöglichkeiten
STRASSENFUSSBALL
Erlebnis
Expertenrolle
SOZIALE STADTRUNDGÄNGE
Information
Perspektivenwechsel
SURPRISE WIRKT Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3
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