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Die Sozialzahl

Die Sozialzahl

Angemessen?

Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise. So steht es in der Bundesverfassung. Die Politik hat daraus das Ziel abgeleitet, dass das Renteneinkommen rund 60 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommens entsprechen soll. Spiegelt sich diese Vorstellung auch in der Einkommensverteilung der Erwerbstätigen im Vergleich zu jener der Rentner*innen?

Für diesen Vergleich unterteilen wir beide Gruppen in fünf Untergruppen, die sogenannten Quintilen. Das erste Quintil umfasst die 20 Prozent Erwerbstätigen bzw. Rentner*innen mit den tiefsten Einkommen, das fünfte Quintil jene mit den höchsten. Weiter unterscheiden wir Einpersonenhaushalte und Paarhaushalte ohne Kinder.

Drei sozialpolitisch interessante Beobachtungen können aus der Grafik abgelesen werden. Zunächst zeigt sich, dass die Ungleichheit bei den Einpersonenhaushalten im Übergang zur Pensionierung abnimmt. Das Verhältnis des ersten zum fünften Quintil ist bei den erwerbstätigen Einpersonenhaushalten 1 zu 4,7 – bei jenen über 65 Jahre bei 1 zu 4,1. Die Altersvorsorge, und hier vor allem die AHV, bei der die maximale Rente nur doppelt so hoch sein darf wie die minimale Rente, hat einen nivellierenden Effekt. Bei den Paarhaushalten bleibt die Ungleichheit hingegen etwa gleich hoch.

Weiter wird erkennbar, dass die mittleren Einkommen im Ruhestand durchwegs niedriger sind als in der Erwerbsphase. Dies gilt für alle Einkommensklassen und beide Haushaltstypen. Die Pensionierung führt zu einer deutlichen Einschränkung der vorhandenen Mittel. Ob dies in «angemessener Weise» geschieht, ist fraglich. Der breite politische Widerstand gegen Rentenkürzungen macht deutlich, dass für viele die Schmerzgrenze erreicht ist.

Drittens zeigt sich aber, dass diese Absenkung in den verschiedenen Quintilen sehr unterschiedlich ausfällt. Die geringsten relativen Verluste müssen sowohl bei den Alleinlebenden wie bei den Paaren das unterste sowie das oberste Quintil in Kauf nehmen. So macht das Renteneinkommen der Einpersonenhaushalte im untersten Quintil 85 Prozent des mittleren Einkommens der erwerbstätigen Alleinlebenden aus. Bei den Paarhaushalten beträgt dieser Satz 69 Prozent. Stärkere relative Abnahmen müssen die Mittelschichtshaushalte (Quintil 3) akzeptieren. Sie liegen nahe bei den anvisierten 60 Prozent.

Die Haushalte mit mittleren Einkommen müssen also in besonderer Weise um die Fortsetzung ihrer gewohnten Lebenshaltung kämpfen, wenn sie in Pension gehen. Viele greifen auf Erspartes zurück, um sich nicht übermässig einschränken zu müssen. Dieses Geld fehlt dann, wenn die Ausgaben für die Betreuung und Pflege steigen. Der Sozialstaat rechnet bei dieser politischen Ausgestaltung der Altersvorsorge offensichtlich mit der unentgeltlichen Care-Arbeit der Angehörigen. Doch das wird sich angesichts des sozialen und demografischen Wandels bald als Trugschluss erweisen.

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Monatliche Einkommen (in CHF) nach Haushaltstyp und Alter

25000

20000 Erwerbs- und Renteneinkommen der Einpersonenhaushalte Erwerbs- und Renteneinkommen der Paarhaushalte unter 65 über 65 unter 65 über 65

15000

10000

5000

0

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