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Öffentlicher Raum

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Die Sozialzahl

Die Sozialzahl

Tatort Bänkli

Öffentlicher Raum Auf einer Rundbank mitten auf dem Bahnhofplatz Bern trafen sich Alkoholiker*innen. Nach Reklamationen wurde sie entfernt. Nun sitzen die Süchtigen wieder dort, wo sie für viele hingehören: am Rand.

TEXT ANDRES EBERHARD FOTOS KLAUS PETRUS

Polizist: «Hose ufe!»

Mann auf dem Bänkli: «Ja, wart schnell.»

Polizist, laut und energisch: «Nüüt warte! Hose ufe!»

Um den Feierabend am Bahnhofplatz Bern. Ein Mann mit langen, zerzausten Haaren sitzt vornübergebeugt auf einer Bank bei der Tramhaltestelle. Sein Oberkörper schwankt hin und her. Neben ihm eine Dose Anker-Bier, an der Sitzbank lehnen Krücken.

Als die Polizisten näherkommen, richtet sich der Mann auf, zieht seine Hose zurecht und fummelt in seiner Jackentasche. Er zieht ein zerknülltes Papier heraus. «Mis Billet.» Er hält das Tramticket vor, als wäre es eine Eintrittskarte für diese Sitzbank – als müsste er beweisen, dass er hierhergehört. Dabei gehört die Bank der Stadt Bern. Und ist für alle da. Zumindest in der Theorie.

Drei Jahre ist es her, da ging die Stadt Bern mit der «Sitzbank für alle» in die Offensive. 2000 bestehende Sitzbänke sollten in den kommenden Jahren durch eine barrierefreie Version ersetzt werden – gemütlich für Alte, ertastbar für Blinde. Auf dem Bahnhofplatz weihte Stadträtin Ursula Wyss 22 neue Bänke ein. Endlich könnte man an diesem «coolen, urbanen Ort» auch sitzen. Zwei Jahre später war es schon wieder vorbei mit der Heiterkeit. Das Flaggschiff der Bänkli-Offensive, eine grosse Rundbank direkt unter dem Baldachin, wurde wieder entfernt. Sogenannte randständige Menschen hatten sie für sich eingenommen. Es sei zu «ungebührlichem, zeitweise aggressivem Verhalten» sowie einer Zunahme von Abfall und Verunreinigungen gekommen, begründete die Stadt die Massnahme. Es habe zahlreiche Reklamationen von Passant*innen «wegen massiver Störungen» und Belästigungen gegeben.

Klingt dramatisch: Was war da los? Kam es zu Gewalt? Ist die Sicherheit des Bahnhofs gefährdet? Auf eine Anfrage bei der Stadt Bern meldet sich Silvio Flückiger von der städtischen Interventionstruppe Pinto. Die Sozialarbeiter*innen sind auf der Gasse unterwegs. Er wisse nichts von körperlicher Gewalt, aber es sei regelmässig «aggressiv gebettelt, gerempelt, rumgeschrien und rücksichtlos Fussball gespielt worden». Trotz Aufforderung, das Verhalten zu ändern, habe sich die Situation leider nicht nachhaltig verbessert, weswegen die Bank schliesslich entfernt wurde. «Die einzige Alternative wären repressive Mittel seitens der Kantonspolizei gewesen», so Flückiger.

Erst abgesperrt, dann ganz demontiert: die umstrittene Rundbank am Bahnhof Bern.

Der Bahnhof Bern habe kein Sicherheitsproblem, sagt Lilian Blaser, die im Auftrag der SBB die Sicherheitslage analysiert hat. Blaser ist bei der Beratungsfirma EBP angestellt und berät die SBB sowie zahlreiche Gemeinden in Fragen der städtebaulichen Kriminalprävention. Das heisst: Sie gibt Ratschläge, wie öffentliche Orte gestaltet sein müssen, damit sie sicher sind. Blaser sagt: «Objektiv gesehen sind die Bahnhöfe in der Schweiz sicher.» Ihre Vorschläge im Hinblick auf die laufende Erweiterung des Bahnhofs zielten auf die «Steigerung der Aufenthaltsqualität». Mithilfe von räumlicher Gestaltung und gezieltem Einsatz von Licht, Farbe und Musik könnten Angstorte vermieden werden. «Das führt zu einem Gefühl von Sicherheit.»

Ärgernis oder Geschenk

Bei der Entfernung der Rundbank am Bahnhof Bern ging es also nicht um Sicherheit. Sondern um Wohlbefinden. Und letztlich auch um Geld. Denn Ziel der «Aufwertung» des Ortes sind nicht zuletzt auch höhere Mieteinnahmen.

Die Kehrseite spüren die Menschen auf der Gasse, kritisieren Betroffene und deren Vertreter*innen. «Man stört sich an den Menschen, die im öffentlichen Raum herumhängen. Unter dem Vorwand von Sicherheit werden Menschen verdrängt», sagt Nora Hunziker von der kirchlichen Gassenarbeit Bern. Dies werde mit polizeilicher Repression erreicht, aber eben immer öfter auch mit baulichen Massnahmen. Hunziker ist der Meinung, dass Pendler*innen «Unwohlfühlmomente aushalten» müssten.

Die Geschichte mit der Rundbank unter dem Baldachin steht exemplarisch für den Umgang Berns mit Randständigen: Die rot-grün regierte Stadt will sozial sein und bietet den Menschen einen Platz in der Mitte an. Stehen diese aber auf dem Heimweg Richtung Feierabend im Weg, schubst man sie zur Seite.

Seit vielen Jahren ist der Bahnhof Treffpunkt für Menschen vom sogenannten Rand der Gesellschaft. Früher trafen sich Drogensüchtige bei den Überresten der alten Stadtmauer im Bahnhofinnern. Die Steine wurden im Rahmen des Bahnhofumbaus mit Glas eingefasst, worauf sich die Szene nach draussen verlagerte. Die Stadt reduzierte daraufhin die Sitzgelegenheiten und sprach zahlreiche Wegweisungen aus. Sie schuf aber auch soziale Institutionen, wo sich Süchtige aufhalten konnten.

Als Folge davon beruhigte sich die Situation am Bahnhof. Noch zu Beginn der Nullerjahre hatte die Polizei 600 bis 800 Wegweisungen ausgesprochen. 2019 war es nur noch eine einzige. Just in jenem Jahr ging die Stadt mit den neuen Bänkli in die Offensive. Endlich, so schien es, konnte man den Schwächsten ein Geschenk machen. Schliesslich lautet eines der Legislaturziele: «Die Aneignung des öffentlichen Raums durch die Bevölkerung».

Doch dann kam Corona. Soziale Institutionen mussten den Betrieb einschränken. Und die Süchtigen trafen sich vermehrt wieder am Bahnhof. Prompt stieg die Zahl der Wegweisungen wieder an: auf 56 im Jahr 2020. Und 2021, als es Sommer wurde – Corona-Welle erst einmal vorbei, Impfungen auf dem Vormarsch, Fussball-EM –, vermietete die Stadt mehrere zum Abhängen beliebte Plätze an Private, so etwa den Casino-Park, die kleine sowie die grosse Schanze. Das Resultat: Mehr Süchtige am Bahnhof, mehr Trubel auf der Rundbank.

Heute sitzen die Alkoholiker*innen und andere Suchterkrankte wieder dort, wo sie schon vor Berns BänkliOffensive sassen: auf den Treppen der Heiliggeistkirche

sowie entlang der Kirchenwand am Rand des Bahnhofplatzes. Zudem schuf die Stadt, nachdem auch linke Politiker*innen gegen die Entfernung der Rundbank protestiert hatten, Ersatz: etwas kleinere, voneinander separierte Bänke, zur Seite verschoben.

Dass es am zweitgrössten Bahnhof der Schweiz störend sein kann, wenn zur Hauptverkehrszeit Fussbälle durch die Luft fliegen, gerempelt oder herumgeschubst wird, versteht sich von selbst. Sicherheitsberaterin Blaser nennt das «Nutzungskonflikte». Was also tun? Blaser rät: «Die Bedürfnisse der Betroffenen müssen unbedingt miteinbezogen werden.»

Ein Ort für alle

Surprise-Stadtführer Roger Meier hat selbst viele Jahre auf der Gasse in Bern verbracht. Die Szene treffe sich aus zwei Gründen am Bahnhof. Erstens: Am Bahnhof gebe es billigen Alkohol und das Glasdach schütze vor Regen. Zweitens: In Bern gebe es keine Institution, in der sich alle aus der Szene gemeinsam aufhalten könnten. «Die Politik separiert die Gruppen. Aber die Menschen wollen zusammen sein», sagt er. So fänden Kokain- und Heroinabhängige in der Anlaufstelle Unterschlupf, Alkoholiker*innen im Alkistübli oder im offenen Haus Prairie, Einsame im Aufenthaltsraum Postgasse. «Und Kiffer dürfen gar nirgends hin.» Viele aus der Szene am Bahnhofplatz kennt Meier aus vergangenen Zeiten persönlich. Wenn er vorbeikomme, setze er sich zu ihnen, plaudere zwei Stunden. «Was viele nicht begreifen: diese Menschen sind dort, weil das ihr Wohnzimmer ist. Dort treffen sie alle sozialen Kontakte, die sie haben.»

Wäre denn ein anderer Treffpunkt denkbar? Theoretisch schon, sagt Meier. «Es muss aber ein stimmiger Ort sein.» Wichtig sei, dass alle dort hindürften. Ausserdem brauche es einen Aussenbereich, ein Pärkli oder einen Innenhof. Gute Beispiele gibt es in Basel, wo sich Menschen mit unterschiedlichen Suchterkrankungen in einem offenen Haus treffen. In Biel verwalten Alkoholiker*innen ihre eigene Beiz. Und vor dem Bahnhof Thun oder in der Bäckeranlage in Zürich werden Alkoholiker*innen geduldet, solange sie sich benehmen. Bezeichnend ist, dass sich die Szene in Bern in einem privaten Raum traf, als wegen Corona die Institutionen geschlossen hatten: in einem italienischen Restaurant.

Allerdings gibt es für Meier einen guten Grund, warum die Szene auf dem Bahnhofplatz bleiben sollte. «Solange die Menschen gesehen werden, gehen sie nicht vergessen. Sie dürfen nicht unsichtbar werden.» Darum findet es Meier auch gut, wenn sich manche Passant*innen über die Alkoholiker*innen und anderen Süchtigen am Bahnhof Bern aufregen. «Es muss ihnen unwohl sein dabei. Das erinnert sie daran, dass es Menschen in unserer Gesellschaft gibt, die nicht mehr mitkommen.»

Immerhin: Die Stadt hat nicht vor, die Randständigen vom Bahnhof zu verdrängen. Eine Begleitgruppe soll in Zukunft dafür sorgen, dass die Situation für alle, also auch für die «Langzeitnutzenden», gut bleibt, verspricht Flückiger von der Interventionstruppe Pinto. «Sie gehören zu Bern. Sie gehören zum Bahnhof.»

Designt für das kurzzeitige Sitzen, um unliebsame Dauergäste fernzuhalten: Sogenannte feindliche Baumassnahmen sorgen auch hierzulande dafür, dass man sich gar nicht oder nur sehr vorübergehend niederlassen kann.

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