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«Meine Kinder sollen es besser haben»

«Ich verkaufe die englische Strassenzeitung The Big Issue nun schon seit zehn Jahren. Es waren Verwandte von mir, die mich auf die Idee brachten. Sie verkauften das Heft ebenfalls und erzählten mir, wie das Ganze funktioniert und dass man mit dem Verkauf obdachlose Menschen unterstützen kann. Und so kam es, dass ich ab und zu meine Verwandten zur Zentrale von Big Issue begleitete. Die Frau, die dort arbeitete, war sehr nett, und eines Tages fragte sie mich: ‹Möchtest du ebenfalls Verkäuferin werden?› Ich sagte sofort: ‹Ja, das wäre toll!› Schon bald merkte ich, dass mir das alles sehr guttat: Die Leute auf der Strasse waren freundlich zu mir, ich begann, Kontakte zu knüpfen – und meine Arbeit zu geniessen.

Der Verkauf von Big Issue kommt mir sehr entgegen: Ich habe sechs Kinder, und da brauche ich keinen Chef, der mich herumschubst oder sagt: ‹Du musst arbeiten, auch wenn dein Kind krank ist.› Ich kann an meinen Standplatz gehen, wann immer ich möchte, und ich kann aufhören, wann immer ich will. Diese Flexibilität ist sehr praktisch. Noch wichtiger ist, dass mir dieser Job Spass macht. Ich verkaufe das Heft schon seit fünf Jahren immer an demselben Platz, nämlich vor dem Lebensmittelladen bei der Universität von Warwick in Coventry, das liegt etwas östlich von Birmingham. Hier fühle ich mich wie zuhause. Alle mögen mich, die Mitarbeiter*innen und Studierenden der Universität sind freundlich und zuvorkommend. Und die Kund*innen? Ich sage nur so viel: Wenn ich nicht aufpasse, werde ich noch richtig dick! Denn sie wissen genau, was ich gerne trinke. Sie rufen mir zu: ‹Für dich ein Ingwer Latte, Bianca?› Das ist eine Tasse Milch mit Ingwer, Zimt und Honig. Und natürlich sage ich dann: ‹Ja, gerne!›

Ich konnte hier wirklich gute Freundschaften schliessen, die auch von Dauer sind. Einige meiner Kund*innen haben längst ihren Uniabschluss gemacht und rufen mich trotzdem immer wieder mal an. So wurden aus Kund*innen Freund*innen, einige von ihnen sind sogar Teil der Familie geworden.

Wie ich schon sagte, ich habe sechs Kinder, die mich ständig auf Trab halten. Ich wünsche mir, dass sie zur Schule gehen und sich weiterbilden können, am liebsten an einer Universität. Ich selbst hatte dazu nie die Möglichkeit. Das war aufgrund der Umstände nicht zu ändern, das Leben in Rumänien war hart; mehr möchte ich nicht dazu sagen. Meine Kinder sollen es einmal besser haben, das ist mir wichtig. Natürlich, am Ende liegt es an ihnen, was sie mit ihrem Leben anstellen wollen. Solange sie bereit sind, zu lernen und hart zu arbeiten, haben sie alle Voraussetzungen, die es für ein gutes Leben braucht.

Sonntags gehe ich gerne mit meinen Kindern zu McDonald’s –auch wenn das für mich eine Strafe ist, da ich derzeit auf Diät bin und nur Grünzeugs essen darf. Ich liebe Weihnachten, weil wir dann unser traditionelles Essen aus Rumänien zubereiten. Ich mache Gerichte wie Sarmale – Kohlrouladen –, was köstlich ist. Viele meiner Kund*innen kennen rumänische Speisen nicht, und so bringe ich ihnen etwas mit und meistens schmeckt es ihnen auch.

Im Moment sind die Zeiten hart. Die Preise steigen, alles wird teurer. Doch was kann man machen? Wir müssen es nehmen, wie es kommt. Umso wichtiger ist mir, dass die Leute merken, dass Big Issue nicht bloss eine Zeitung ist, sondern auch eine Möglichkeit, um Menschen zu helfen, die es schwer haben. Je mehr Leute die Zeitung kaufen und lesen, desto grösser ist diese Unterstützung. Deshalb ist es mir ein Anliegen, all jenen zu danken, die bei mir die Strassenzeitung kaufen: für ihre Freundschaft und dafür, dass sie da sind, wenn ich sie brauche –und dass sie mit mir einen Schwatz halten, wenn ich müde bin, gelangweilt oder niedergeschlagen. Diese Freundschaft ist für mich mehr wert als alles andere.

Aufgezeichnet von LIAM GERAGHTY

Übersetzt von KLAUS PETRUS

Mit freundlicher Genehmigung von THE BIG ISSUE UK / INTERNATIONAL NETWORK OF STREET PAPERS

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